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Vorwort 

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Selten hat etwas in der Bundesrepublik die Gemüter so erhitzt wie die Studentenrevolte von 1968. Und zwar sowohl auf seiten der Akteure wie auch auf seiten derer, gegen die sie sich richtete, die ihre Zielscheibe abgaben. Noch heute geraten alle in Erregung, wenn die Sprache, auf die Ereignisse von damals kommt. Das Thema des Buches bringt es also schon mit sich, daß der Inhalt der folgenden Seiten nicht auf ungeteilten Beifall stoßen kann. Weder bei denen, die eine Gedenk- oder Festtagsschrift zur Studentenbewegung erwarten, noch bei denen, die eine mehr oder weniger böswillige Abrechnung mit diesen Jahren wünschen. All das findet bereits regelmäßig zu den Jahrestagen von 1968 statt.

Die Haltung der ehemaligen Akteure von 1968 umfaßt dabei verschiedene Spielarten: die gemeinsame Erinnerung an alte Zeiten, die an Soldaten- oder Heimattreffen erinnernde Nostalgie mit umgekehrten Vorzeichen beziehungsweise das resignierte Abwinken, die enttäuschte Innenschau oder die an Don Quichotte gemahnende "Trotz-alledem"-Haltung derer, die sich nicht haben unterkriegen lassen. Auf der anderen Seite wird man dagegen nicht müde, mit Häme darauf hinzuweisen, daß man das Scheitern der 68er schon immer vorausgesagt habe. Nach wie vor rechnen manche Gruppierungen jegliche Fehlentwicklung der Gesellschaft dem "Feind von gestern" an, und das entweder mit erstaunlich ungebrochenem Haß oder mit einer großväterlichen Attitüde, die auch den Aufmüpfigen von gestern ein paar positive Absichten zuschreibt.

Wie gesagt, die Intention dieses Buches ist es nicht, in diesen Jahrmarkt der Eitelkeiten oder enttäuschten Lieben einzugreifen. Es ist ein Beitrag, der dabei helfen soll, einen Ausschnitt bundesdeutscher Nachkriegsgeschichte mit aufzuklären und die damaligen Ereignisse auch aus heutiger Sicht zu verstehen. 

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Einleitung

Aber da gibt es eine hohe, weißgestrichene Gartenmauer, die schreit förmlich nach einem Spruch.
Wir schreiben was drauf, das macht alles klar: Macht kaputt, was euch kaputt macht. 
Macht kaputt, was euch kaputt macht, wiederholte Ullrich langsam, mit steigender Wut betonend. 
Genau, sagte er, das ist es. Also los.   --
Uwe Timm aus seinem Roman Heißer Sommer--

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1968: Heftige Proteste der Studenten erschüttern die Bundesrepublik Deutschland. Die jungen Leute üben eine bis dahin ungekannte, erbarmungslose Kritik an dem Staat, in dem sie aufgewachsen sind. Um die Ereignisse dieser Jahre wirklich zu verstehen und nachvollziehen zu können, muß man die Verhältnisse kennen, die damals in Staat, Gesellschaft und vor allem im Alltag der Bundesrepublik herrschten.

Heute verfügt nur noch ungefähr die Hälfte der deutschen Bevölkerung über eigene Erinnerungen an die Zeit Anfang/Mitte der 60er Jahre. Die damaligen Studentinnen und Studenten sind mittlerweile über 50, manche haben bereits die Pensionsgrenze erreicht und sind selber Großmütter und Großväter geworden.

Zu den Zeiten ihres Protestes war Deutschland ein geteiltes Land, in dem zwei Staaten, die BRD und die DDR, sich nicht nur ideologisch mit allen erdenklichen legalen und illegalen Mitteln bekämpften. Eingebettet war dieser Konflikt in den Ost-West-Gegensatz, der in erster Linie ein Kampf der Systeme war: Auf der einen Seite stand das kapitalistische System, das sich "freier Westen" nannte, auf der anderen Seite ein bürokratisierter "Parteienstaat", der sich selbst mit dem Begriff "real existierender Sozialismus" titulierte, weil es in ihm keine Privatwirtschaft gab.

Und der Graben zwischen diesen beiden Systemen ging sehr viel tiefer, als die offizielle Politik es erahnen ließ. Wer zwischen die Fronten geriet, hatte keine Chancen mehr, gehört zu werden: Man stand entweder hier oder da, dazwischen existierte nichts. Der Haß auf das andere, das Unverständnis für den anderen gehörte nicht nur zum Weltbild, sondern war in weniger als zwei Jahrzehnten nach dem Ende des Zweiten Weltkrieges zur ideellen Existenz­grundlage der Menschen und der Institutionen geworden. 

Die Mechanismen stimmten auf beiden Seiten völlig überein. Nur der ideologische Kleister, der als Rechtfertigung darüber gegossen wurde, hatte eine extrem unterschiedliche Färbung und Konsistenz. Was hier war, war gut, was dort existierte, war abgrundtief schlecht, böse und menschenfeindlich. Für die einen war der "Sozialismus" eine menschenverachtende Diktatur, für die anderen war der "Kapitalismus" der Prototyp des Ausbeutungs­systems der Menschheit schlechthin, dem alle Übel dieser Welt zugeschrieben wurden.

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Jegliches Rütteln an diesen stereotypen Grundmustern galt auf beiden Seiten als Sakrileg und wurde mit sozialer Ächtung verfolgt oder sogar mit Schlimmerem geahndet. Obwohl in der Wahl der Mittel Unterschiede zwischen den Systemen herrschten, waren Ziel und Zweck der Sanktionsmechanismen dieselben: zum Schweigen bringen und ausschalten.

In diesen "geschlossenen Gesellschaften" hatten sich die Menschen diesseits und jenseits des Eisernen Vorhangs beziehungsweise des "Antifaschistischen Schutzwalls" biedermeierlich eingerichtet. In beiden Teilen Deutschlands herrschte ein penetranter kleinbürgerlicher Mief, ebenso wie in Italien, dem anderen "Frontstaat" Europas. Doch je weiter man sich von der "Demarkations­linie" entfernte, um so mehr verschwand diese drückende Atmosphäre. So entstand in den 60er Jahren der Eindruck, daß man jenseits der Grenzen, in Frankreich, England oder den USA frischere und freiere Luft atmen könnte. Und gegen jene verkrusteten Gesellschaften, die sich die Weltkriegs-Generationen in den 50er Jahren aufgebaut hatten, rebellierte die Nachkriegs­generation in den 60er Jahren. Die Verhältnisse waren ihnen längst zu eng geworden.

Die Studentenbewegung der 60er Jahre stellt eine Zäsur in der Geschichte der meisten westlichen Länder dar. Ausgehend von den USA, erfaßte sie bald fast ganz Westeuropa und erreichte auf der anderen Seite des Pazifiks auch Japan. Die Anlässe, die die Studenten zum Protest trieben, waren nicht überall dieselben, und auch die Bedingungen, unter denen sie ihr Aufbegehren zum Ausdruck brachten, unterschieden sich stark voneinander.

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Dies zeitigte notwendigerweise Auswirkungen auf die jeweiligen Strategien und auf die Formen, in denen die junge Generation ihrem Unmut Ausdruck verlieh. Zwar gab es einige Grundmuster, wie beispielsweise "Sit-ins" beziehungsweise "Go-ins", die von amerikanischen Universitäten übernommen wurden, oder öffentliche Demonstrationen, die man den Organisationen der Arbeiterbewegung abgeschaut hatte, doch im Spezifischen variierten die Mittel des Protests von Land zu Land. Gemeinsam war ihnen allerdings das Angriffsziel: Die Studenten und ihre Revolten richteten sich allesamt gegen die bestehenden Gesellschaften.

Dieser Umstand legt für viele Interpreten den Schluß nahe, daß es sich bei der Studentenbewegung der 60er Jahre um einen immer wieder zu beobachtenden "Generationenkonflikt" gehandelt hat, der in diesem Fall nur etwas heftiger ausgefallen war. Doch warum er sich in seiner Intensität von anderen Jugend­beweg­ungen unterschied, darauf bleiben sie die Antwort schuldig. Kein Wunder, denn es handelte sich bei dem Protest der 68er-Generation eben nicht um den bloßen Konflikt zwischen "Vätern und Söhnen".

Auch die Charakterisierung als "zweijährige Straßenparty" (DER SPIEGEL) geht nicht nur an der Sache vorbei, sondern ist obendrein noch zynisch. Zwar mögen die Ereignisse Ende der 60er Jahre Nachgeborenen wie eine riesige Fete erscheinen, wenn sie das in den Redaktionsstuben der Massenmedien selektierte Bildmaterial betrachten, doch Bilder deuten sich eben nicht selbst. Sie sind Schnappschüsse, Moment­aufnahmen von einem weitaus komplexeren Geschehen.

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"Zwei Jahre lang hatte die Party gedauert, acht Jahre lang wurde aufgeräumt, spätestens nach dem deutschen Herbst von 1977 herrschte wieder Ruhe im Land." (DER SPIEGEL) Letzteres ist richtig: Danach herrschte Friedhofsruhe. Das "deutsche Nachrichtenmagazin" ist sich treu geblieben — auch 30 Jahre danach. Schon damals hängte es die Verantwortung für die Toten (der Studentenbewegung) nicht denjenigen an, die geschossen und geknüppelt hatten, sondern den Zurück­gebliebenen und den Opfern. "Provozierter Selbstmord" hätte als Überschrift den Tenor der Berichterstattung besser getroffen, doch dazu fehlte den Herren in den Schreibstuben nahe der Mönckebergstraße in der Hamburger Innenstadt wahrscheinlich der Mut, denn die "Revoluzzer" von der Universität hinter dem Dammtor waren ja nicht so weit von ihnen entfernt.

Die 68er haben weder eine Kulturrevolution in Gang gesetzt, noch lag dies je in ihrer Absicht. Ihre Bewegung wurde zwar stark politisiert — aber eine tatsächliche politische Bewegung waren die 68er zu keinem Zeitpunkt. Sie sind keine eigenständige politische Kraft oder gar Partei in der BRD geworden: Das hätte auch nicht in ihr Selbstbild gepaßt. Sie sind an dieser Aufgabe also nicht gescheitert, wie das immer noch einige Experten nahelegen. Auch die Behauptung, die Studenten hätten 1968 den revolutionären Sturz des Kapitalismus herbeiführen wollen, gehört in den Bereich der Legenden. Ihre von außen so apostrophierte "revolutionäre Vorhut", der "Sozialistische Deutsche Studentenbund" (SDS), hielt es 1968 ja noch nicht einmal für realistisch, den Springer-Konzern unter öffentliche Kontrolle zu stellen oder gar zu enteignen. Vom Sturz des Kapitalismus konnte also keine Rede sein.

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Die Studentenbewegung von 1968 war zuallererst ein gesellschaftspolitisches Experiment. Und die Protagonisten brachen dieses Experiment nur unfreiwillig ab. In erster Linie wurde es mut- und böswillig zerstört; es wurde vorsätzlich und mit Hilfe der höchsten Stellen in Staat und Gesellschaft von außen zerschlagen. An den Folgen leidet die Bundesrepublik noch heute, und sei es nur aus dem Grund, daß man nicht eine ganze Generation der zukünftigen Elite nahezu geschlossen ausgrenzen, abschrecken und in die Resignation, Apathie oder Verzweiflung treiben kann, ohne daß dies Konsequenzen hätte. Die negativen Folgen haben in der BRD heute die einen mehr, die anderen etwas weniger zu tragen. Unter den Parteien traf es die CDU/CSU und die FDP schwächer als die SPD, die Gewerkschaften mehr als die Unternehmerverbände, die Lohnabhängigen stärker als die Privilegierten des Besitzbürgertums. Aber alle wirkten vor über einem Vierteljahrhundert an der Zerschlagung mit, sie zogen – mit Ausnahme einzelner Persönlichkeiten – damals alle am gleichen Strang.

In den Gesellschaften der Länder, die hinter dem sogenannten Eisernen Vorhang lagen, verlief die Entwicklung etwas anders. Sie haben erst gar keine Studentenbewegung zugelassen, sondern mit Spitzeldiensten und Repressionen die sprießenden Zellen (wie in Polen oder der Tschechoslowakei) gleich im Keim erstickt.

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In der Folge kam es in diesen Gesellschaften zum völligen Stillstand in ihrer Entwicklung, dann zu einer sich beschleunigenden Regression und schließlich zum völligen Zusammensturz. Das kann nur als späte Rache der Geschichte verstanden werden, denn wenn die damaligen Studenten auch noch nicht viel begriffen hatten, so war ihnen doch folgendes immerhin schon klargeworden: Eine Gesellschaft, die die Kritik an sich selbst unterdrückt, die sich selbst nicht mehr überprüft und in Frage stellt, kommt erst zum Stillstand, dann in eine Wertekrise und ist spätestens in diesem Stadium nicht einmal mehr in der Lage, ihre selbstgestellten Aufgaben zufriedenstellend zu lösen.

Die Bundesrepublik und die meisten westlichen Länder befanden sich Mitte der 60er Jahre in einer Situation, in der auf einmal – aus scheinbar unerfindlichen Gründen – all das nicht mehr funktionieren wollte, was bis dahin so reibungslos geklappt hatte; steigender Wohlstand, Vollbeschäftigung, Abwesenheit von Wirtschaftskrisen, allseits vorhandener moralischer Grundkonsens und somit allgemeine Zufriedenheit und ein verbindendes Wir-Gefühl. Heute ist die Gesellschaft der Bundesrepublik an einem ähnlichen Punkt angelangt, nur mit dem Unterschied, daß die letzten drei Jahrzehnte nicht so golden waren wie die Nachkriegszeit bis Mitte der 60er Jahre.

Die Studentenbewegung von '68 hatte keine Programmatik oder Strategie. Sie brauchte all das auch nicht, weil ihr Anspruch ein gänzlich anderer war. Auch verfügte sie nicht – wie ihre Gegner behaupteten – über eine feste Ideologie (natürlich mit komm­unistischer Ausrichtung).

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Falls überhaupt, dann bildeten sich nach und nach Utopien unterschied­lichster Couleur heraus, die zum großen Teil entweder ins Schwärmerische, ins Dogmatisch-Groteske oder in steriles Epigonentum abglitten. Die Studenten von '68 fühlten sich weder als Weltverbesserer noch als Vollstrecker des Weltgewissens, auch wenn es einige unter ihren so apostrophierten Führern gegeben haben mag, die sich zu Höherem berufen fühlten. Im allgemeinen standen die Studenten von damals mit beiden Beinen fest auf dem Boden der Realität.

Die 68er-Generation stellte in erster Linie Fragen – und zwar berechtigte. Und sie tat dies zu Anfang äußerst schüchtern. Erst als die Studenten von keiner Seite Antworten bekamen, sondern man sie aufgrund ihrer Fragen als aufmüpfig verunglimpfte, wurden ihre Stimmen lauter. Inzwischen hatten sie sich – zum Teil mit der Hilfe etwas aufgeklärterer studentischer Organisationen wie dem Sozialistischen Deutschen Studentenbund (SDS) – selbst Antworten erarbeitet, die jedoch wieder nur zu weiteren Fragen Anlaß gaben. Als die Gesellschaft sie weiterhin ignorierte, wurde ihre Ungeduld immer größer. Doch erst, als die Studenten dem Projekt der Bildungsreform unterworfen werden sollten, das in den herrschenden Kreisen der bundesdeutschen Gesellschaft unter dem Etikett "Formierte Gesellschaft" gehandelt wurde, verstärkte sich ihr Unmut zum Protest.

Als dieses Aufbegehren innerhalb der Universitäten trotz unaufhörlicher Versuche kein Gehör fand, sondern die Hausherren nur dazu veranlaßte, die Staatsmacht um Hilfe zu bitten und die Polizei auf den Campus zu rufen, versuchten die Studenten, sich außerhalb ihrer Ausbildungsstätten Aufmerksamkeit zu verschaffen.

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Sie trugen ihre Fragen zu den Bürgern auf der Straße. Aber sehr schnell mußten sie feststellen, daß sie auch hier nur auf eine Mauer des Schweigens oder sogar auf offene Feindseligkeit stießen. Nach jeder enttäuschenden Erfahrung zogen sie sich wieder in ihre Seminare und Auditorien zurück, um das Erlebte zu reflektieren, ihre eigenen Fehler zu analysieren und sich Möglichkeiten zur Verbesserung des eigenen Handelns zu überlegen. 

Und währenddessen blieb die Welt um sie herum nicht stehen, sondern die Umstände verschlechterten sich und der Druck von außen nahm unaufhörlich zu.

Die Studenten von '68 zeichneten im Gegensatz zu anderen Studentengenerationen im wesentlichen drei Dinge aus: Erstens zogen sie sich nicht kleinlaut und geschlagen zurück, als sie nach unzähligen negativen Erfahrungen endgültig begriffen hatten, daß sie sowohl innerhalb wie außerhalb der Universitäten isoliert und auf sich allein gestellt waren: Sie nahmen dies zur Kenntnis und änderten ihr Handeln entsprechend.

Da sie sich nicht vereinnahmen lassen wollten, ihnen aber bewußt war, daß sie nur ein sehr schwaches Glied in der gesell­schaft­lichen Kette darstellten, entwickelten sie zweitens Aktionsformen, die nach dem Vorbild von David und Goliath auch dem Schwächeren Erfolg versprachen. Die Schwachstelle des Systems waren die Massenmedien, die zwar grundsätzlich die herrschende Meinung transportierten, sich aber noch viel mehr von ihrer Sensationsgier leiten ließen.

Da die Studenten dies erkannt hatten, erfanden sie mit enormer Phantasie immer wieder spektakuläre Aktionen, die begierig aufgegriffen wurden. Daß die Inhalte der Anliegen verfälscht wiedergegeben oder negativ kommentiert wurden, war zwar ärgerlich, bestätigte aber andererseits auch das Bild, das sich die Studenten von den Massenmedien der Bundesrepublik gemacht hatten. Diesem Medien­spektakel verdankt – nebenbei gesagt – die 68er-Generation ihren größten Ruhm.

Drittens beschränkte die Bewegung sich nicht auf das Theoretisieren, sondern sie entwickelte eine neue Form der Einheit von Theorie und Praxis oder besser gesagt: von Erkenntnis und Aktion. Dieser Vorgang schloß im Gegensatz zu früher die sogenannten Führer mit ein, die - wie die Masse selbst - sowohl Theorien als auch Formen der Aktion produzierten. Zudem waren sie immer an der Spitze der Aktionen zu finden.

Doch noch ein vierter wichtiger Punkt unterschied die 68er von anderen Studentenbewegungen. Sie thematisierten ihren Protest anhand von Problemen, die der bundesdeutschen Gesellschaft allgemein auf den Nägeln brannten, vom größten Teil der im Parlament vertretenen Parteien aber schamhaft ausgeklammert wurden. Die Studenten nahmen zumeist tagespolitische Ereignisse zum Anlaß, ihre eigene Sichtweise der Dinge transparent zu machen. Sie wandten sich also – im Gegensatz zu früheren Studenten­generationen, anderen Interessenverbänden oder Gewerkschaften – nicht mit Gruppen- oder Partikularinteressen an die Öffentlichkeit, sondern ihre Protestformen und -inhalte hatten symbolischen Charakter: Die Studenten beanstandeten die allgemeine gesellschaftspolitische Lage und verwiesen auf Zusammenhänge, für die ihr eigenes Problem nur das Symptom war.

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Rolf Uesseler 1998