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Schlußwort  -  Uesseler-1998

Das Schmerzlichste für einen Menschen, der sich mit dem beschäftigt, was auf
 die Menschen zukommt, ist, in vieles Einsicht, aber über nichts Gewalt zu haben. 
(Persischer Spruch,  4. Jh.v.Chr.)

342-355

Die Studentenbewegung der 60er Jahre ist kein Mythos, auch wenn viele sie aus den unterschiedlichsten Motiven dazu machen wollten und wollen. Das Aufbegehren von 1968 war real, auch wenn es in Formen stattfand und mit Mitteln ausgetragen wurde, die vorher nicht bekannt und auch später nicht mehr üblich waren.

Das Wesen des Konflikts von 1968 ist schnell zusammengefaßt: 

Es handelte sich darum, daß eine junge Generation die etablierte Ordnung, die sie vorfand, so nicht akzeptieren wollte und sich nicht ungefragt in sie hineinpassen oder -pressen lassen wollte. Sie beanspruchte das Recht, selbst entscheiden und soweit wie möglich sogar bestimmen zu können, was »gut« und »böse«, »richtig« und »falsch«, »erstrebens-« und »verachtenswert« ist. Diese Forderung bezog sich aber nicht nur auf ihre individuelle Lebens­gestaltung, sondern – hier nahmen die 68er Demokratie und Verfassung ernst – wurde auf alle Bereiche des gesellschaftlichen Lebens erweitert.

Die Studenten wollten und konnten den stummen Zwang der Verhältnisse nicht akzeptieren, demgemäß alles nun einmal so ist, wie es ist, und sich daran auch nichts ändern läßt. Sie hatten die feste Überzeugung, daß Änderungen möglich sind. So wollten sie beispielsweise nicht einfach hinnehmen, daß es nur eine Wissenschaftstheorie geben sollte, auch wenn diese faktisch in einer Art Monopolstellung an den Universitäten vorherrschte. Denn es existierten unzählige Wissenschaftstheorien und keineswegs nur die eine, die überall gelehrt wurde. Die 68er sahen darin eine moderne Form der Inquisition und fühlten sich in jeder Weise berechtigt, gegen sie zu Felde zu ziehen.

Was für die Wissenschaft im allgemeinen galt, traf auf ihre einzelnen Fachdisziplinen genauso zu; und was für die Ökonomie, die Psychiatrie und die Pädagogik galt, traf auch auf die bestehende Form des Parlamentarismus, die Verteilung von Macht und Reichtum, auf die Formen der öffentlichen Meinung und das Zusammenleben der Geschlechter zu.

Zwei Fragen zu der 68er-Bewegung werden vor allem von der heutigen Generation junger Studenten immer wieder gestellt. Sie lassen sich schnell beantworten:

 

1. Warum solidarisierten sich die 68er so stark mit den Völkern der Dritten Welt?

 

Dies kam zum einen daher, daß sie sich selbst wie Knechte im Herrenhaus fühlten und sich mit den anderen Knechten gleichsetzten, die auf den Reisfeldern von Südostasien, auf den Kaffeeplantagen Lateinamerikas oder in den Goldbergwerken Afrikas arbeiteten.

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Zweitens kämpften sie dagegen, Erkenntnisse der Wissenschaft zur Vernichtung anderer Menschen und Völker zu mißbrauchen.

Drittens wollten die Studenten nicht mit der Unterstützung kriegerischer Handlungen gegen andere Menschen und Völker in Zusammenhang gebracht werden:

Wenn die Regierung angeblich im Namen des deutschen Volkes sprach, dann sollte die deutsche wie auch internationale Öffentlichkeit wissen, daß nicht alle Deutschen dahinterstanden.

Viertens wollte man den Menschen und Völkern, die für ihre Unabhängigkeit und gegen die koloniale Unterdrückung Europas und der USA kämpften, verdeutlichen, daß man sich mit ihnen verbunden fühlte. Sie sollten wissen, daß es in Europa und in den USA Menschen gab, die diese Unterdrückung nicht billigten. Zudem wollten die Studenten ihnen zeigen, daß diejenigen, die sie unterdrückten, auch im eigenen Land die Herrschaft in ihren Händen hielten.

Fünftens schließlich gaben die Erfolge, die die Rebellierenden und Revolutionäre in der Dritten Welt erzielten, ihnen Mut und nährten ihre Hoffnung, man könne auch die Macht im eigenen Lande zurückdrängen.

 

2. Warum waren die 68er die Kinder von Marx und Coca-Cola?

 

Alle 68er kannten Coca-Cola, auch wenn es nicht jeder trank. Fast alle von ihnen lernten innerhalb der Bewegung auch Marx kennen, doch nur wenige von ihnen waren überzeugte Marxisten.

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Mit Marx öffnete sich für sie wieder die Geschichte: Das Heute wurde relativ, der Status quo wieder ein Punkt im Kontinuum zwischen dem Gestern und Morgen.

Zudem ließ sich für die Studenten durch die Begegnung mit Marx der Zusammenhang wieder herstellen zwischen Staat und Gesellschaft, Recht, Herrschaft und Macht. Auch wenn man die Ableitungen und Analysen der marxistischen Theorie nicht teilte, so regten sie doch dazu an, die Zusammenhänge zwischen Geldeigentum als in der Produktion eingesetztem Kapital und lohnabhängiger Arbeit zu sehen. Zudem erklärte Marx, wie der Besitz an Produktionsmitteln zu gesellschaftlicher Macht führt. 

Die Studenten hingen seiner Analyse der bestehenden Verhältnisse auch deshalb an, weil mit ihr die Hoffnung verbunden war, daß sich die Zustände durch eigene Anstrengungen verändern ließen. Außerdem galt für Marxisten die Überzeugung, daß auch der Umsturz des gesamten bestehenden Herrschaftssystems zu bewerkstelligen sei.

Ein indianisches Sprichwort sagt: »Es gibt vier Dinge im Leben, die kommen nie zurück: der abgeschossene Pfeil, die vertane Zeit, das gesprochene Wort und die verpaßte Gelegenheit.« Man kann darüber streiten, ob 1968 eine verpaßte Gelegenheit oder vertane Zeit war. Sicher ist, daß die Situation so nie wiederkehren wird. Ob von der Bewegung etwas geblieben ist, das noch Gültigkeit beanspruchen kann, darüber entscheiden die Nachgeborenen in ihrer jeweiligen Gegenwart immer neu.

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Ob die Anstöße auf die Entwicklung der Bundesrepublik Einfluß hatten, kann mit Recht bezweifelt werden: Wenn überhaupt, dann hatten die Effekte nur sekundäre Bedeutung.

Die bundesrepublikanische Bevölkerung der 60er Jahre wollte in eine andere Richtung gehen als die 68er. Die übergroße Mehrheit der Gesellschaft teilte die Hoffnung, daß sich mit wachsendem volkswirtschaft­lichem Reichtum die Probleme lösen ließen, für die es durchaus ein Bewußtsein gab: die ungleiche Reichtumsverteilung, die enormen Machtgefälle, das Bildungsprivileg, Arbeitsplatzunsicherheit etc. Die 68er dagegen waren der Meinung, daß sich die Probleme auf diesem Weg nicht lösen ließen. Es ist müßig, darüber zu spekulieren, ob sie damit Recht hatten. Denn de facto wurde der Weg, der ihnen vorschwebte, nicht eingeschlagen.

Doch 30 Jahre später ist das Wirklichkeit geworden, was die Bundesrepublik mit ihrem 1968 eingeschlagenen Weg gerade hatte vermeiden wollen: Die Arbeitslosigkeit nimmt immer weiter zu, die soziale Absicherung wird immer unsicherer, die Armut wächst beständig, das reale Einkommensgefälle wird stetig größer, die Lücke zwischen oben und unten klafft immer weiter auseinander, während die Mitte schrumpft; der Wohlfahrtsstaat ist unwiederbringlich auf dem Rückzug und das »Recht des Stärkeren« beständig auf dem Vormarsch; die Investitionen für Wissenschaft/Bildung, Technologie und Infrastrukturen gehen stetig zurück, obwohl sie für die Zukunft entscheidend sind; der volkswirtschaftliche Reichtum wächst Jahr für Jahr, dennoch wird der Staat immer ärmer. Die Mängelliste ließe sich noch weiter fortführen.

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Und angesichts einer solchen Situation, die ein Umdenken ebenso nötig hätte wie neue Parteien, die mit brillanten neuen Ideen aufwarten und praktikable Lösungsversuche anbieten würden, propagieren die Parteien des rechten Spektrums die Rückkehr in eine mythische Vergangenheit, die nie möglich sein wird. Doch auch die Parteien des linken Spektrums, die sich mit ihnen hitzige Debatten liefern, verfügen ihrerseits über kein richtiges Programm.

Was ist also aus dem 1968 von Politikern gemachten Versprechen an die Bevölkerung geworden, sie in das gelobte Land zu führen? 30 Jahre folgte das Volk willig, doch wo sind die konkreten Utopien heute? Wo liegt dieses Land?

Die Wirtschaft versucht, neue High-Tech-Life-style-Wellen zu schlagen, und die Massenmedien propagieren, daß Träume in weltweit vernetzten multimedialen Cyber-Welten wahr werden; aber was macht die Politik? Gibt es außer Rechenstunden hinsichtlich Inflationsrate, Haushaltsdefizit etc. noch Diskussionen über Konzepte, die den richtigen Weg in die Zukunft beschreiben? Sind nicht auch die Wahlen 30 Jahre danach zu reinen Popularitätsumfragen abgesunken? Ist Demokratie nicht inzwischen zu einem System verkommen, in dem alle Parteien nur noch versprechen, das System in seiner gegenwärtigen Form besser zu verwalten als der politische Gegner? Doch heute, wo die großen Träume von der goldenen Zukunft und vom gelobten Land zerplatzt sind wie Seifenblasen, reicht die Verwaltung des Status quo nicht mehr aus.

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Man muß also wieder da beginnen, wo auch die 68er angefangen haben: mit Fragen, dem Hinterfragen, dem In-Frage-Stellen des Bestehenden. Und man muß wieder nach den Ursachen forschen, nach den Zusammenhängen, nach dem Warum: warum das Einzelschicksal mit dem Ganzen einer Gesellschaft zu tun hat oder warum es zwischen Arbeitslosigkeit und Kriminalität einen Zusammenhang gibt. Man muß also fragen, wie das Problem gelöst werden könnte, daß technologisch bedingte Massenentlassungen zur Entstehung einer Schicht von Kriminellen führen, die das Überschreiten der strafrechtlich gesetzten Grenzen als das letzte Mittel sehen, um noch ein Stück vom kleiner werdenden ökonomischen Kuchen zu ergattern. Man muß fragen, warum eine Demokratie ihre Probleme nicht lösen kann, wenn sie auf die tätige Partizipation der Mitglieder der Gesellschaft verzichtet; warum es nicht ausreicht, Universitäten zu »knowledge-factories«, zu »Wissensfabriken« umzubauen und ihren Output zu erhöhen, damit innovatives Wissen in die Gesellschaft fließt.

Die Realität von heute stellt noch viel dramatischere Fragen; Fragen, vor deren Hintergrund die Zustände der 60er Jahre sich nahezu paradiesisch ausnehmen.

Ein paar Aspekte davon beleuchtet der amerikanische Publizist J. Rifkin in seinem Buch »Das Ende der Arbeit« näher:

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»Unternehmer und Wirtschaftswissenschaftler wollen uns weismachen, daß die steigenden Arbeitslosenzahlen nur die kurzfristige Folge einer tiefergreifenden >Strukturanpassung< seien, die die Weltwirtschaft im Zuge der Dritten Industriellen Revolution durchmacht. Sie versprechen uns eine wunderbare neue, voltautomatisierte High-Tech-Welt, in der der Welthandel blüht und der materielle Wohlstand ungeahnte Höhen erreicht.

Millionen von Arbeitnehmern stehen solchen Visionen skeptisch gegenüber. Jede Woche gibt es neue Entlassungen, und in den Büros und den Fabriken der ganzen Welt bangen die Menschen um ihren Arbeitsplatz, Gleich einer unaufhaltsamen tödlichen Epidemie breitet sich eine unheimliche ökonomische Krankheit aus, gegen die es kein Mittel zu geben scheint. Sie zerstört das Leben unzähliger Menschen und bedroht ganze Gemeinschaften. ...

Täglich steigen in Nordamerika, Europa und Japan die Arbeitslosenzahlen an. ... Die Menschen, die bisher ihre Arbeitskraft für wenig Geld verkauften, können mit den billiger, schneller und besser produzierenden Maschinen nicht mithalten..., Überall sorgen sich die Menschen um ihre Zukunft. ... Überall macht sich ein tiefgreifender Wandel bemerkbar - ein Wandel, dessen ganzes Ausmaß wir noch nicht einmal erahnen können und der unser gewohntes Leben von Grund auf verändern wird.«

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Klargeworden ist jedoch, daß der folgende ökonomische Lehrsatz nicht mehr stimmt: Neue Technologien steigern die Produktion, senken die Kosten, vergrößern das Angebot von billigen Waren, daraufhin wachsen Kaufkraft, Märkte und Arbeitsplätze. Dieser Gleichung ist die Wirtschaftspolitik bis heute gefolgt. Doch das Ergebnis sind steigende Arbeitslosigkeit, Rückgang der allgemeinen Kaufkraft, immense Überproduktion und drohende (Welt-)Wirtschaftskrisen. Damit die Gleichung »wachsende Automatisierung führt zu zunehmender Verelendung« in der Zukunft nicht Realität wird, bedarf es konkreter Utopien, die über den Status quo hinausreichen.

Doch alle konkreten Utopien sind an Randbedingungen geknüpft, die heute im Prinzip nicht anders aussehen als 1968. An diesen Randbedingungen entfachte sich damals der Konflikt der 68er mit der Gesellschaft, mit den staatlichen Institutionen, den wirtschaftlich Stärkeren und den Massenmedien. Der liberale amerikanische Wirtschaftswissenschaftler Lester C. Thurow, Professor an der Elite-Universität MIT (Massachusetts Intitute of Technology), beschreibt sie so:

»In der Demokratie und im Kapitalismus streben die Meinungen über die richtige Verteilung der Macht weit auseinander. Die eine Form, die Demokratie, glaubt an die politische Gleichberechtigung aller Bürger. Jeder Wähler hat eine Stimme. 

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Die andere Form, der Kapitalismus, glaubt dagegen daran, daß es die Pflicht des wirtschaftlich Stärkeren sei, den Leistungsfähigeren in den wirtschaftlichen Ruin zu treiben. Das Kernstück der kapitalistischen Effektivität ist schließlich das darwinistische »Recht des Stärkeren* und eine ungleiche Verteilung der Kaufkraft. Der einzelne und auch die Unternehmen werden effektiv, weil sie reich werden wollen. Im Extrem ist der Kapitalismus auch mit der Sklaverei vereinbar. Im amerikanischen Süden funktionierte ein solches System über 200 Jahre lang. Die Demokratie dagegen ist mit Sklaverei unvereinbar.

In einer Wirtschaft, in der die Ungleichgewichte schnell anwachsen, ist diese unterschiedliche Auffassung zur angemessenen Verteilung der Macht eine riesige Bruchstelle, die ein gewaltiges Erdbeben verursachen könnte. In demokratisch-kapitalistischen Gesellschaften gibt es zwei Pole der Macht: den Reichtum und die politische Stellung. Während der letzten zwei Jahrhunderte gab es zwei Faktoren, die eine Koexistenz dieser beiden Machtsysteme ermöglichten, die auf antithetischen Grundsätzen über die richtige Machtverteilung beruhen. ... 

Die Geschichte lehrt uns auch, daß die Versionen des Kapitalismus, die auf das <Recht des Stärkeren> pochen, nicht funktionieren. Die freien Marktwirtschaften der 20er Jahre implodierten während der Großen Depression und mußten von den jeweiligen Regierungen wieder neu aufgebaut werden. Vielleicht kann man ja einen Kapitalismus ohne Eingriffe des Staates zum Funktionieren bringen, aber geschafft hat es bisher niemand.... 

Es ist kein Zufall, daß die kapitalistischen Gesellschaften politische Systeme aufbauten, in denen wirtschaftliche Macht in politische Macht umgesetzt werden kann.... im Kapitalismus gibt es keine Analyse der Zukunft, es gibt kein Muß-Konzept für Investitionen in Maschinen und maschinelle Anlagen, in die Qualifizierung der Menschen, in Infrastrukturmaßnahmen, Forschung und Entwicklung oder Umweltschutz, um so wirtschaftliches Wachstum und einen steigenden Lebensstandard zu sichern. Es gibt im Kapitalismus kein gesellschaftliches >Muß< ... Die Probleme des Kapitalismus, die schon in seinen Anfängen sichtbar waren (Instabilität, wachsende Disparitäten) warten immer noch auf eine Lösung. Genauso auf eine Lösung wartet ein Bündel neuer Probleme, die sich daraus ergeben, daß der Kapitalismus zunehmend auf Humankapital und wissensbasierte Technologien angewiesen ist. In einer Ära wissensbasierter Technologien werden diejenigen, die schließlich den Sieg davontragen, gelernt haben, ein neues Spiel mit neuen Spielregeln und neuen Spielstrategien zu spielen. Die Sieger von morgen werden ganz andere Erfolgsmerkmale aufweisen als die Sieger von heute.

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Technologie und Ideologie erschüttern die Grundlagen des Kapitalismus des 21. Jahrhunderts. Aufgrund der fortgeschrittenen Technologie werden Bildung und Wissen zu den einzigen Quellen eines nachhaltigen strategischen Wettbewerbsvorteils. Ausgerechnet zu einem Zeitpunkt, an dem der Wirtschaftserfolg auf die Bereitschaft und Fähigkeit zu Langfristinvestitionen in das allgemeine Bildungswesen und in Infrastrukturmaßnamen angewiesen ist, entwickelt sich die allgemeine Ideologie – unterstützt durch die elektronischen Medien – in Richtung einer radikaleren Form kurzfristiger individueller Konsummaximierung. Wenn Technologie und Ideologie auseinanderdriften, stellt sich nur noch die Frage, wann der >große Knall< kommt, wann das große Erdbeben das System insgesamt erschüttern wird.«1) 

Eines ist jetzt schon sicher: Die Wissensproduktion wird zur strategischen Quelle der nächsten Jahrhunderte. Kreativität, Phantasie, Intelligenz, Erfindungsreichtum, analytisches, funktionales, organisatorisches, flexibles Denken werden die wichtigste Rolle spielen. Doch geistige Fähigkeiten sind Humankapital, an dem man so ohne weiteres kein Eigentum erwerben kann. Diese Fähigkeiten müssen sich Individuen aneignen, und dazu brauchen sie die Wissenschaft beziehungsweise Universitäten, an denen sie vermittelt wird. Die Investitionen in Geisteskapital, die zum Aufbau wissensorientierter Branchen erforderlich sind, lassen sich aber nur in einem gesellschaftlichen Rahmen tätigen.

1)  Lester C. Thurow: Die Zukunft des Kapitalismus. Düsseldorf 1969.

Wenn auch nichts von der 68er-Bewegung übriggeblieben sein sollte, so bleibt den 68ern doch zumindest der Trost, daß die Realität zumindest den damals behaupteten Zusammenhang von Wissenschaft und Gesellschaft einzuholen beginnt. Ob auch die Utopie der Verknüpfung von Wissenschaft und Demokratie von der Realität eingeholt wird, dazu bedarf es wohl noch der Anstrengungen vieler.

Das Problem, das sich heute stellt, ist, ob soziale Demokratie und kapitalistische Wirtschaftsweise miteinander in Einklang zu bringen sind – und wenn ja, wie dieser Kompromiß in der Zukunft aussehen soll. Es lag nicht im Aufgabenbereich der 68er, den Nachweis zu erbringen, daß es geht, und Möglichkeiten der Umsetzung aufzuzeigen. Ebensowenig müssen es ihre Nachfolger von heute tun. Denn die Verfassung spricht weder von der kapitalistischen Wirtschaftsweise noch schützt sie sie. Der demokratische und soziale Bundesstaat ist im Grundgesetz jedoch mit einer Ewigkeitsklausel versehen.

Die Art und Weise, wie das Kapital, das die Entwicklung der letzten 30 Jahre weitgehend bestimmte, diese beiden sich beißenden Prinzipien Kapitalismus und Demokratie zusammenbinden wollte, ist vor aller Augen gescheitert. Neue Konzepte für diese Konfliktlösung sind auf konservativer Seite nirgends in Sicht. Aber auch auf der Seite derer, die sich einer sozialen Demokratie verpflichtet fühlen, sind bisher nur Ansätze und Bruchstücke einer Konzeption zu erkennen. 

Doch wie Hermann Hesse einmal sagte: »Damit das Mögliche entsteht, muß immer wieder das Unmögliche versucht werden«.

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Ende

 

 

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