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2. Der Mensch lebt von der Erde   Vogt-1948

 

 

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Der Mensch braucht immer neuen Brennstoff, nicht anders als irgendein <Ford> oder <Chrysler>. Niemand würde erwarten, mit einem leeren Benzintank auf unseren Landstraßen vorwärts zu kommen. Wir haben kürzlich die unliebsame Erfahrung gemacht - in Indien, in China, in Europa -, was Mann und Frau und Kind geschieht, wenn ihre Brennstofftanks nicht wieder aufgefüllt werden.

Alle Energie, mit der der Mensch sich aufladet, stammt von der Sonne. Von dem Augenblick, da das sich windende Sperma auf das wartende Ei stößt, bis zum letzten Blutstropfen, der aus unserm sterbenden Herzen kommt, verbrennt der Mensch den Feuerungsstoff aus dieser Quelle. Seine Kraft, sich zu bewegen, zu wachsen, zu denken, zu essen, zu verdauen, seine Art sich fortzupflanzen hat den gleichen Ursprung. 

Aus dem fallenden Wasser, das durch die Hitze der Sonne zu den Wolken gehoben wird, zieht er die hydroelektrische Kraft, welche er braucht, um die Schwächung seiner körperlichen Energie auszugleichen und sich die Energie zugänglich zu machen, die im Atom eingeschlossen ist. Der Wind, der das Wasser in die Behälter einer Farm heraufpumpt, bläst nur deshalb, weil die Sonnenhitze Ungleichheiten im atmosphärischen Druck auf die Erdoberfläche verursacht. Kohle und Erdöl enthalten nur die Sonnenenergie, die vor Millionen von Jahren durch Pflanzen aufgefangen wurde. Selbst die großen Kräfte in der Kernzelle des Atoms wurden bei der Geburt der Welt von der Sonne abgeschleudert.

Der Mensch kann seine körperliche Energie nur einsaugen durch die zarten Kanäle von Millionen grüner Pflanzen. 

Trotzdem er die Naturgesetze immer mehr begreift und die Naturkräfte immer mehr beherrscht, hat er noch nicht gelernt, die Grundstoffe aus der Erde und der Luft aufzunehmen — Kohlenstoff, Wasserstoff, Stickstoff, Phosphor usw. — und sie zu der Nahrung zusammenzufügen, die er braucht, um Knochen und Muskeln aufzubauen. Dies ist nur möglich durch die Alchemie des Chlorophylls, das unsere Landschaft grün malt. Nicht anders als Amöbe, Seestern, Krokodil, Kolibri und Tiger ist der Mensch ein biologisches Geschöpf, biologischen Gesetzen unterworfen, und das erste dieser Gesetze ist, daß er ohne die Pflanze nicht leben kann. Das fleischfressende Tier — wie der Löwe und die Eule — verschafft sich diese Nahrung aus zweiter Hand, durch die Körper der Pflanzenfresser. Der Löwe frißt das pflanzenfressende Zebra, die Eule die pflanzenfressende Feldmaus, und das dient in dieser Nahrungskette als Mittel, um die in den Pflanzen gespeicherte Energie weiterzugeben.

Wenn wir uns diese Tatsache nicht vergegenwärtigen, gibt es keine Möglichkeit, den Menschen auch nur annähernd zu begreifen. Man schreibt das Ende des babylonischen Reiches gemeinhin den Perserkriegen zu. Man legt der Tatsache wenig oder gar kein Gewicht bei, daß Ur, die große Stadt Abrahams, einstmals ein blühender Seehafen, jetzt 150 Meilen in einer unfruchtbaren Wüste liegt.1) 

Ziege und Axt, die den Sand bis hinunter zur Küste trieben, waren weit tödlichere Waffen als die Pferde und die Wurfspeere des Eroberers Cyrus. Hannibal hatte ein Reich, um das zu kämpfen es sich lohnte, und besaß die Mittel, ein mächtiges Heer zu unterhalten. Heute ist die Urheimat seiner Elefanten, die seine Tanks und Lastwagen waren, vom Wüstensand überwältigt, und selbst die Elefanten sind nicht mehr.2)  In seinen bittersten Grübeleien hätte selbst Cato sich nicht eine so grenzenlose Vernichtung vorstellen können. Die Geschichte von Babylon, Assyrien, Karthago, China, Spanien und Britannien ist ohne Sinn, wenn man sie nicht mit der Art verknüpft, wie die Völker dieser Länder die Pflanzen behandelten, von denen sie abhingen. 

Tatsächlich gibt ein großer Teil aller niedergeschriebenen Geschichte ein Bild, das mindestens so verzerrt ist wie eine Zeichnung von Picasso, weil sie blind ist für die Rolle, welche die Pflanzen und ihr Nährboden in der Geschichte der Menschheit gespielt haben.

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   Der Zyklus der Pflanzen  

 

Außer den Wasserpflanzen, die dem Menschen wirtschaftlich unzugänglich sind, kann keine Pflanze ohne Boden und Wasser existieren. Obwohl sie hauptsächlich vom Kohlendioxyd der Luft leben, hängen sie unvermeidlich von anderen Mineralien ab, die im Boden zu finden sind. Sie saugen Wasser durch ihr Wurzelsystem, das sich größtenteils in der obersten Schicht des Bodens ausbreitet. Man hat die Theorie aufgestellt, daß sich der Mensch "hydrophonisch" (d.h. vom Boden unabhängig) von Pflanzen ernähren könne, die in chemisch aufgeladenem Wasser leben. 

Man hat diese Theorie während des Krieges in die Praxis umgesetzt, in strategisch wichtigen Gebieten wie auf den Aszensionsinseln (Himmelfahrtsinseln) im Atlantischen Ozean. Dort mußte jedoch das dazu erforderliche Wasser aus dem Meer mittels Petroleum destilliert werden — also wieder Pflanzenstoff! —, und die Kosten solcher Destillation sind zu hoch für die Allgemeinheit und wären nur wenigen Menschen erschwinglich. Sollten wir versuchen, allgemein von Hydrophonien abzuhängen, so brauchten wir enorme vegetative Auffangbecken, um das notwendige Wasser zu liefern.

Es ist denkbar, daß man bei vollkommenerer Beherrschung der Zellkernenergie das Seewasser destillieren könnte. Das würde dazu führen, die Bevölkerung an den Küsten der Kontinente zu konzentrieren und Gebiete bewohnbar zu machen, die jetzt unproduktiv sind, wie die peruanische und chilenische Wüste. Die Techniker versichern sogar leichtfertig (und sie sollten es besser wissen!), daß die "Wissenschaft" durch die Synthese des Chlorophylls und daher der Nahrung dieses Problem lösen kann. Aber dazu sagt ein Biochemiker:3)

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"Wenn unsere Erfindungen nicht viel wirksamer sind als die grünen Pflanzen, und wenn wir nicht gewillt sind, ein Gelände, das jetzt mit schönen Wäldern und Wiesen bedeckt ist, durch häßliche Maschinerien zu zerstören, ist die künstliche Photosynthese nicht nur utopisch, sondern unausführbar. Selbst angenommen, wir entdeckten eine Art künstlicher photo-chemischer Verwandlung von Kohlendioxid in ein verdauliches Kohlehydrat von überragender Wirksamkeit, größer als die der Pflanzen, die durchschnittlich 2% der einfallenden Sonnen­bestrahlung gebrauchen — selbst das hülfe uns nicht viel, da wir nicht nur ein einzelnes Produkt des pflanzlichen Metabolismus, sondern Tausende benötigen..."

Die bloße Möglichkeit einer solchen Entwicklung liegt bestimmt noch um viele Jahrzehnte in der Zukunft, und es ist buchstäblich Tatsache, daß wir nicht Zeit haben, darauf zu warten. Wir brauchen jetzt größere und bessere Produktion von lebenspendenden Pflanzen. Das erzählen uns sogar fast täglich die Zeitungs­überschriften. Denn während dieses Buch geschrieben und gelesen wird, sterben stündlich viele Menschen Hungers.

 

   Ertragsfähigkeit  

 

Jedes Fleckchen Boden hat die ihm allein eigene Ertragsfähigkeit. Nicht zwei Weiden, nicht zwei Kornfelder sind absolut gleich. Diese Ertragsfähigkeit — das biotische Potential* — schwankt betreffs der Menge der Vegetation, die es hervorbringen kann, und betreffs der Eigenschaften, zum Beispiel des Wertes. Das ist eine Tatsache, die jedem Landwirt wohl bekannt ist, wenn sie auch den führenden Männern, die unsere Geschicke lenken, entgangen zu sein scheint. Der "Kriegsgärtner" hat sie in harter Arbeit erprobt, als er versuchte, auf einem Fleckchen schlechtem Boden im Stadtgebiet Mais und Tomaten anzubauen — auf einem Boden, der seit langem seiner organischen Stoffe beraubt war; voll Neid blickte erauf seinen Kollegen, dessen reiches Gartenland auf dem angeschwemmten Boden eines Flußufers lag.

*  Biotik = Lehre vom Lebensraum, von den biologischen Möglichkeiten. 

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Unterschiedlich wie die Produktionsfähigkeit der einzelnen Gärtner, ist auch die der Nationen und Kontinente. Der Gärtner im Schrebergarten der Großstadt kann von seinem Land nur einen geringen Ertrag erwarten. So geht es den Kanadiern und den Russen mit einem großen Teil ihres Territoriums, das in der subarktischen Eiszone liegt; es hat mageren und sauren Boden, oder Boden, welcher der Winderosion ebenso wie die großen Prärien Nordamerikas unterworfen und daher nur geringer Produktion fähig ist. Obwohl die Ukraine und die kanadischen Prärien reiche Erträge bringen, stellen diese fruchtbaren Gebiete doch nur einen Bruchteil der riesigen Ausdehnung ihrer Länder dar. Und selbst hier unterliegen die Widerstände der Umgebung unkontrollierbarer, scharfer Zunahme.

Jedes Stück Land verändert mit der Zeit seine Produktivität. 

Die reichen Ernten, welche die Siedler in unser späteres "Staubbecken" (Dust Bowl) lockten, verschwanden mit der Wiederkehr eines Dürrezyklus', einer Periode unzureichender Regenfälle. Überschwemmungen und Dürre haben unsere Kornernte 1947 schwer reduziert, was sich auf der ganzen Welt auswirkte. Dürren in Indien verursachten mehrere Fehlernten, die — durch die Hungersnot, die sie nach sich zogen — heftig auf die menschliche Bevölkerung zurückschlugen. Da solche Dürren auch schon früher vorgekommen sind, muß man sie wieder erwarten. Vom nationalen wie vom universalen Gesichtspunkte aus ist es unbedingt notwendig, daß wir diese Veränderlichkeit erkennen und unsere Bevölkerung und unsere Wirtschaft ihr anpassen. Denn die ungünstigsten, nicht die günstigsten Bedingungen bestimmen und begrenzen die Fähigkeit der Erde, menschliche Wesen zu erhalten.

Das biotische Potential eines jeden Stückes Boden hat eine absolute oder theoretische Höchstgrenze, die niemals erreicht wird, es sei denn unter außergewöhnlichen Bedingungen.

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Die Maisfelder um die Hochschule von Iowa mit ihren großen finanziellen, technischen und intellektuellen Hilfsmitteln produzieren (innerhalb der Feststellungen von 1948) wahrscheinlich die Höchstmenge von Nahrungsmitteln, zu denen sie fähig sind. Die drei oder vier Bushel Mais pro Acker, die der mexikanische Indianer produziert, liegen zweifellos weit unter der Ertragsmöglichkeit seines Landes. Trotzdem ist es wichtig, daran zu denken, daß selbst bei den günstigsten Anbaubedingungen die drei Zoll Boden, auf denen diese Bauern oft versuchen, Nahrung zu produzieren, unmöglich jemals an die fünfzig Bushel — wenn nicht noch mehr — herankommen, die der tiefe, reiche Boden Iowas hervorbringt.

Eine große Anzahl der praktischen Höchsterträge liegt in verschiedener Entfernung weit unter dem theoretischen Höchstertrag. Und es sind die praktischen, im größten Teil der Welt von Jahr zu Jahr sinkenden Höchsterträge, die der Mensch für sich in Betracht zu ziehen hat; sie sind es, die den Vorrat an Nahrungsmitteln umgrenzen — die Menge von Energie, die Menge von Faserstoffen für Kleidung und Wohnung —, die der Mensch für die rapide anwachsende Bevölkerung zugänglich machen kann. Ob er will oder nicht — er muß in den Grenzen seiner Mittel leben, und diese Mittel schrumpfen von Tag zu Tag.

Die praktische Höchstgrenze ist durch den umgebungsmäßigen Widerstand gesetzt, welcher die Summe schwankender, aber immer großer Zahlen von einschränkenden Faktoren ist, die auf das biotische Potential wirken. Wo es möglich ist, die Anzahl und die Wirksamkeit dieser einschränkenden Faktoren zu verringern, werden auch die umgebungsmäßigen Widerstände verringert, wird das biotische Potential nahezu erreicht und die Ertragsfähigkeit des Bodens gesteigert. Wir haben dazu zwei Methoden: die Bewässerung und die Insektenkontrolle. Steigt die Ertragsfähigkeit des Bodens, so steigt die Möglichkeit zu einem höheren Lebensstandard für eine begrenzte Anzahl von Menschen oder der allzutiefe Lebensstandard außerordentlich vieler Menschen wird gemildert.

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   Die physischen Grenzen   

 

Der augenfälligste Faktor, mit dem der Mensch zu rechnen hat, ist das Klima. Wo die Sommerzeit zu kurz ist, um der Pflanze richtiges Wachstum zu erlauben, und damit die Landwirtschaft unmöglich macht, muß sich der Mensch — wie der Eskimo — zum Meer wenden. Indem er den Polarbären, den Seehund, die wohlschmeckenden Weichtiere verzehrt, die er aus dem Bauch des Meeres schöpft, genießt er die Vorteile der Pflanzenproduktion in der stabileren Umgebung, die durch die ungeheuren Wassermassen geschaffen ist. Er kann nur mit Landtieren wie dem Karibu, dem nordamerikanischen Renntier, rechnen, das von so kälteharten Pflanzen wie Flechten leben kann. Oder er muß, wie der Kanadier, die Bevölkerung im südlichen Teil seines Landes konzentrieren und aus diesem die Nahrung ziehen, durch welche er sich die Mineralien, die Pelze und das Holz der nördlichen Gebiete zugänglich machen kann.

Lebt der Mensch dagegen in äquatorialen Niederungen, wo Temperaturen von über hundert Grad Fahrenheit rapide die organischen Stoffe im ungeschützten Boden vernichten und der Regen die Minerale auswäscht, so muß er entweder sein Land kurzfristig bebauen, so daß es nach ein- oder zweijährigem Gebrauch etwa dreißig Jahre ruht, oder er muß sich zum größten Teil auf Baumfruchternten verlassen, die dem Boden angepaßt sind und ihn zugleich schützen. 

Trockenheit macht ungeheure Gebiete unserer Erdoberfläche unbewohnbar, wie Nordafrika und einen großen Teil der Sowjetunion. Ohne genügend Wasser kann man keine nahrungspendenden Pflanzen anbauen. Wo es überhaupt atmosphärische Niederschläge gibt und die Temperaturen nicht außerordentlich hoch oder niedrig sind, sind wilde Pflanzen sogar in Halbwüsten-Gebiete eingedrungen und haben das Weiterbestehen einer kleinen Anzahl ländlicher Nomaden ermöglicht. Nach Ackermann bestehen 18% des Anbaulandes der Erde aus dürren oder ungenügend feuchten Gebieten, von denen man mit Sicherheit annehmen kann, daß sie unzulängliche und höchst unberechenbare Regenfälle haben.4) Unsere Great Plains sind ein Beispiel dafür, ebenso das argentinische Patagonien.

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Übermäßige Regenfälle wirken ebenso wie Dürren einschränkend auf die Entwicklung des Ackerlandes. In Gebieten wie in Südchile mit etwa zehn Fuß Regen pro Jahr, in Teilen von Indien mit vierzig Fuß werden die lebenspendenden Minerale so reißend aus den oberen Erdschichten ausgewaschen, daß nur eine kurze Periode für den Anbau des Bodens bleibt. An den Küsten Mexikos und Mittelamerikas dauert der Zyklus vom jungfräulichen Wald über die Bananenpflanzungen bis zum nutzlosen Brachlande stellenweise nur sieben bis acht Jahre.

Als einschränkender Faktor tritt in manchen Gebieten auch die Verdunstung durch täglich viele Stunden sehr hoher Temperatur auf. Atmosphärische Niederschläge an sich sind bedeutungslos. Sie bekommen ihre Bedeutung durch ihre Beziehung zur Temperatur, zum Wind, zu den tieferen Erdschichten und anderen Faktoren, welche die dem Pflanzenwuchs zugängliche Wassermenge begrenzen. Wo es scharfe trockene Winde gibt — etwa in Gebieten der inneren Sowjetunion oder zu Zeiten in unserem eigenen Weizen- und Maisgürtel — wird der Nutzen des wenigen Wassers, das niederfällt, scharf verringert.

Der klimatische Einfluß auf ein großes Gebiet ist durch das Klima kleinerer Gebiete oder das Mikroklima kompliziert. Die Durchschnittstemperatur des Bodens unter tropischer Bewaldung ist sechzig Grad Fahrenheit niedriger als es die Temperatur des gleichen Bodens wäre, wenn das Dach der Baumkronen fehlte. Äußerste Temperaturen würden noch stärker variieren5. Der Kaffee, den man an den Berghängen Mittelamerikas und Südamerikas pflanzt, kann nur bei einem Mikroklima gedeihen, das durch eine dichte Decke schattenspendender Bäume geschaffen wird. Die Bäume schützen den Boden auch bei Regenfällen, die andernfalls das Erdreich wegschwemmen würden, und dadurch entsteht ein Mikroklima, das für den Boden wie für den Kaffee gleich günstig ist. 

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Heuschreckenplagen, die jährlich Ernten im Werte von Millionen Dollar zerstören, entstehen großenteils wahrscheinlich dadurch, daß der Mensch die Bildung des Mikroklimas stört, indem er die Vegetation vernichtet. Vor der peruanischen Küste (wo Millionen von Vögeln den Guano produzieren, der für die Bewirtschaftung des Bodens so nötig ist) hat die Entfernung des Guanokaps das Mikroklima durch die damit verbundene Verringerung der Windmenge, die große Teile der Inseln trifft, so verändert, daß diese wegen ihrer zu hohen Temperaturen für die Vögel nicht mehr bewohnbar sind, da die Eier in den Schalen kochen und die Jungen sterben.

Orographische oder Formationsphänomene treten oft als mächtige einschränkende Faktoren auf. Der tiefe Boden, der sich auf den Berghängen von Guatemala und Mittelamerika gebildet hat, brachte üppige Wälder hervor. Wenn jedoch diese Wälder gelichtet werden, ändert sich der ruhende Zustand dieses Bodens sofort und ganze Berghänge rutschen hinunter ins Tal. Hartarbeitende Farmer von Neuengland haben längst den Wert der Südhänge erkannt, die sich der schrägen Strahlen der zeitigen Frühlingssonne erfreuen. Auch in regnerischen Tropengegenden werden für den Farmer die Berghänge von Nutzen sein — wenn auch nur zeitweilig —, weil von ihnen das Regenwasser abläuft. In Gebieten mit minderen Niederschlägen ist der Farmer gezwungen, die Hänge durch künstlich angelegte Terrassen zu unterbrechen, um dadurch die Abschrägung zu mildern und soviel Wasser wie möglich auf dem Lande festzuhalten.

In großen Teilen der Welt übt das Relief des Landes einen so mächtigen Einfluß auf die Produktivität aus, daß üppigste Vegetation und Halbwüste nur wenige hundert Meter voneinander getrennt sind. Diese Erscheinung ist jedem bekannt, der jemals in Mexiko gereist ist, wo ein Landstrich, auf dem nur Kaktus wächst, von saftigen Wäldern oder fruchtbarem Ackerland umgeben sein kann. Fliegt man über die Santa-Maria-Berge zwischen Barranquilla, in Columbien und Caracas, so kann man unter dem Flugzeug dramatische Verschiedenheiten der Ertragsfähigkeit buchstäblich zwei- oder dreihundert Meter voneinander entfernt liegen sehen. 

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Die Passatwinde blasen gegen die Osthänge der Berge und lagern Regenfälle ab, die sogar in hohen Lagen reiches Wiesenland hervorbringen. Sobald die Winde gezwungen sind emporzusteigen, dehnen sie sich aus, kühlen sich ab und verlieren ihre Feuchtigkeit in Form von Regen. Erreichen sie die Leeseite der Berge, so sind sie fast trocken — und die Hänge auf dieser Seite bringen dann nur Kaktus und andere dürreharte Pflanzen hervor. Das ganze Küstengebiet von Peru ist von dieser adiabatischen Abkühlung in Mitleidenschaft gezogen; der große Schutzwall der Anden wirkt sich als Damm gegen die schweren Regenfälle aus, die einen großen Teil des Amazonentals in einen Halbsumpf verwandeln.

Ferner leidet die peruanische wie die nordchilenische Küste unter einer Naturerscheinung, die oft auf der Westseite der Kontinente, wie in Südkalifornien und Südwestafrika beobachtet wird. Wenn sich die Erde gegen die scheinbar aufgehende Sonne dreht, schleudert sie eine Wasserwehe von der Meeroberfläche an diesen westlichen Küsten ab. Diese Wasseroberfläche wird durch kaltes Wasser aus der Tiefe ersetzt, das beispielsweise in Peru eine um vierzig Grad Fahrenheit niedrigere Temperatur hat, als das Wasser an der Küste des Pazifik unter demselben Breitengrade. Die kalte Wasseroberfläche kondensiert die Feuchtigkeit, die vom offenen Ozean herangebracht sein kann, und liefert Los Angeles die Hochnebel, von denen es nicht gerne spricht, und Lima die Hochnebel, die eins seiner Hauptgesprächsthemen bilden.

Der Boden selbst zwingt die Produktion des Landes in scharfe Grenzen. Ist er sehr sauer oder sehr alkalisch, so ist das Wachstum der meisten Nahrungs­pflanzen schwierig oder unmöglich. Der Boden kann so wenig an Grundelementen wie Bor, Magnesium, Kupfer usw. besitzen, daß der Nährwert der Pflanzen, die er hervorbringt, gering ist. In den Alpen, den Anden und Teilen unseres mittleren Westens tritt durch den mangelnden Jodgehalt des Bodens häufige Kropfbildung auf. Die Bodenstruktur kann dem Durchdringen der pflanzlichen Wurzeln entgegen sein. Kalksteinunterlagen ziehen den Regen so rasch ab, daß die unentbehrliche Grundwasserschicht erschöpft wird.

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Lehmboden andererseits kann so schwache Entwässerung haben, daß die Pflanzenwurzeln ertrinken. Fast aller Boden der Vereinigten Staaten ist derartig der Erosion unterworfen, daß Hänge von mehr als 5% Steigerung nicht sicher bebaut werden können ohne besondere Anbaupraktiken, die oft geld- wie arbeitsmäßig sehr teuer sind; Hänge von mehr als 15% Gefälle können im allgemeinen überhaupt nicht bebaut werden. Vulkanischer Boden, welcher der Erosion weniger unterworfen ist — wie man ihn in Java und häufig auch in Mittelamerika findet —, kann dagegen bei geeigneter Bearbeitung auf Hängen von 50% Gefälle bebaut werden. Der organische Gehalt des Bodens, der mitbestimmend für seine Produktivität ist, variiert weitestgehend. 

In Gebieten mit niedriger Temperatur und hoher Regenmenge ist die Oberdecke (oder A-Horizont) an organisch reichem Boden wahrscheinlich dünn. Daraus ergibt sich zum Beispiel im südlichen Teil Chiles, wo der Staat versucht, seinen Ackerbau auszudehnen, eine niedrige Ertragsfähigkeit. Der außerordentlich produktive chernozeme Boden der Zentral-Sowjetunion ist hauptsächlich dadurch so reich, daß die Regenmenge begrenzt ist; die starken Winde in diesem Gebiet machen den Boden in hohem Maße der Erosion zugänglich, sobald der Pflug einmal die Grasdecke aufgebrochen hat. Die Erodierbarkeit der Oberdecke variiert weitgehend mit ihrer Zusammensetzung, dem Regenfall, dem Wind und dem Gefälle.

 

  Wieviel Land? 

 

Demnach bedeutet das bloße Vorhandensein von Boden, selbst in Landstrichen, die im allgemeinen günstige Temperatur- und Niederschlagsverhältnisse haben, nicht unbedingt, daß dieser Boden auch zum Ackerbau geeignet ist. Die Landwirtschaftskammer der Vereinigten Staaten schätzt, daß in der ganzen Welt etwa 4000 Millionen Acker kulturfähiger Boden vorhanden sind. Diese Zahl gründet sich hauptsächlich auf Schätzungen der betreffenden Länder.

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Diese Schätzungen sind häufig ohne Karten und mit unzulänglichem Verständnis der vielen Faktoren gemacht worden, die dazu gehören, wirklich anbau­fähiges Land zu schaffen; vielleicht sind sie übertrieben, um die nationale Eigenliebe zu schüren; jedenfalls sind sie anzweifelbar. Meiner Meinung nach ist die Zahl, welche die Vereinigten Staaten angeben, höchstwahrscheinlich zu hoch.

Nach meiner eigenen praktischen Erfahrung sind die Berechnungen von Pearson und Harper verläßlicher.6) Durch Zusammen­stellung der Erdgebiete, die günstigen Boden, regelmäßige und ausreichende Regenmengen, günstige Temperatur und Topographie, genügend Sonnenlicht und Kohlendioxyd haben, kommen sie zu einer Schätzung von 2600 Millionen Ackern Land, das zur Nahrungsproduktion geeignet ist — das heißt etwas mehr als ein Acker für jedes menschliche Wesen. In einem späteren Bericht7) vervollkommnet Pearson seine Schätzung noch und stellt fest: "Die wirklich produktiven Gebiete der Welt sind so beschränkt, daß sich nur etwa zwei Zehntel Acker pro Person ergeben." Das wäre ein Fleck Erde von ungefähr neunzig Fuß im Quadrat. In solchen Schätzungen sind natürlich nicht manche zusätzlichen Möglichkeiten berücksichtigt, Schwankungen, die als einschränkende Faktoren fungieren, von denen wir einige nachstehend ins Auge fassen wollen.

Soweit mir bekannt ist, hat es noch niemals eine befriedigende Definition für kulturfähiges Land gegeben. In dem Begriff "kulturfähig" ist der Farmer ebenso wichtig wie die Farm; es gibt japanische und philippinische Farmer, welche zweifellos Millionen von Ackern erfolgreich bebauen würden, die jetzt von ihren Besitzern zerstört werden. In vielen Gebieten würde eine Veränderung vom Pächter zum Besitzer zweifellos große kulturfähige Ackerareale sichern, die in der Hand des Pächters unergiebig, wenn nicht zur Wüste werden. In anderen Gebieten könnte dieser Wechsel genau die entgegengesetzte Wirkung haben.

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   Die biotischen Grenzen  

 

Man kann die stickstoffhaltigen Bakterien in der Erde als den Dynamo des Bodens bezeichnen. Wo der Mensch die Oberdecke zerstört hat, kann er oft einen Teil der Fruchtbarkeit wiederherstellen, indem er Gründüngung anbaut, die an ihren Wurzeln die Keime trägt, welche den Stickstoff im Boden hervorbringen. Die Fauna und Flora des Bodens, besonders die mikroskopischen Formen, machen den Pflanzen Bodenminerale zugänglich, indem sie organische Stoffe assimilieren. Auf den Milpas von Lateinamerika wurde der Boden wiederholt abgebrannt und von tropischen Regengüssen vernichtet und also in steigendem Maße erschöpft durch die Zerstörung seiner Fauna und Flora. Hier sind Feuer und Wasser die einschränkenden Faktoren.

Einer der wirksamsten einschränkenden Faktoren sind die Insekten. Man schätzt, daß sie ein Zehntel aller Erntepflanzen in den Vereinigten Staaten alljährlich zerstören. Mit anderen Worten: der Farmer gibt jeden zehnten Tag jeden zehnten Acker seiner Farm den Insekten zum Fräße! Die Kosten aller Nahrung, die wir kaufen, steigen um zehn Prozent durch Blattläuse, Eulenlarven, Schildläuse usw. Die sogenannte "Ulmenkrankheit", die sicherlich einen der schönsten Landstriche unserer nordöstlichen Vereinigten Staaten zerstört, wird durch Insekten übertragen.

Insekten, die menschliche Krankheiten übertragen, machen große Flächen der Erde nur zu Randgebieten menschlicher Betätigung. Diese Gefahr ist jedoch nicht annähernd so bedeutend, wie die Fürsprecher der Malariabekämpfung es behaupten. In vielen Gegenden ist die Malaria tatsächlich ein verkappter Segen gewesen, da ein großer Teil des Malariagürtels nicht zum Ackerbau geeignet ist, und die Krankheit hat den Menschen abgehalten, ihn ganz zu zerstören oder aber seine Substanz an ihn zu verschwenden. Die Onkocerkose, eine fliegenübertragene Krankheit, welche Blindheit und einen besonders schrecklichen Tod verursacht, sitzt in Mittelamerika fest und breitet sich nach Norden und Süden aus; sie ist einer der unerwünschten Reisenden auf der mittelamerikanischen Landstraße. Es ist begreiflich, daß sie menschliche Wesen zwingt, große Gebiete nutzbaren Landes zu meiden, obwohl man kürzlich in Afrika ein (allerdings teures und kompliziertes) Heilverfahren gefunden hat.

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In manchen Gebieten Afrikas, wo man die Tsetsefliege örtlich bekämpfte, hat die Eingeborenenbevölkerung das Land überweidet, das früher durch die Fliege entvölkert war, und hat in wenigen Jahren wirksam seine Ertragsfähigkeit und seine Möglichkeit, den Wasserspiegel aufzufüllen, Überschwemmungen einzudämmen usw. ausgelöscht. Hier war die Tsetsefliege kein begrenzender Faktor für den Menschen, sondern tatsächlich ein Beschützer der wichtigen Hilfsquellen. Viele Insekten, wie die Befruchter der Obstbäume und die parasitenzerstörenden Insekten, sind dem Menschen außerordentlich nützlich, was ein zusätzlicher Grund ist, daß die Biologen der ganzen Welt durch die weitverbreitete und wahllose Anwendung des DDT beunruhigt sind. 

Wahrscheinlich können weniger als 5% der bekannten Insektenarten als Hindernis für das menschliche Weiterbestehen betrachtet werden. Trotzdem richtet der kleine Prozentsatz, der Ernten und Wälder zerstört, solche Verwüstungen an, und seine Bekämpfung mit kaum bekannten Mitteln ist so teuer, daß man ihn als einen der hartnäckigsten aller einschränkenden Faktoren betrachten muß. Unglücklicherweise haben die modernen Forschungen ergeben, daß die geläufigen Ackerbaumethoden oft dazu führen, den Insektenschaden zu vermehren. Fernerhin hat der Mensch durch die unachtsame oder ungewollte Verbreitung der Plagen ihre Wirksamkeit sehr gesteigert.

Auch einem anderen Feinde, dessen Vorhandensein ihm oft kaum bewußt ist, zahlt der Mensch einen schweren Tribut — den Nagetieren. Sie betätigen sich meistens nachts und nehmen ihren Platz unter der Vegetation und unter der Bodendecke ein. Nahrungsmittel für Hunderte von Dollarmillionen (200.000.000 Dollar allein in den Vereinigten Staaten) werden alljährlich von diesen kleinen Säugetieren zerstört. 

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Ihr Überhandnehmen ist oft zurückzuführen auf die schlechte Behandlung, die der Mensch seinem Lande angedeihen läßt (zum Beispiel durch übermäßiges Weiden), und oft auf die Vernichtung ihrer natürlichen Feinde, der Habichte, Eulen, Kojoten usw. In Lateinamerika, wo die Bauern oft ihren Mais am Stengel aufhängen, weil sie nicht ausreichend luftdurchlässige Behälter dafür haben, holen sich die Nagetiere wahrscheinlich zeitweise bis zu 25% der Ernte. Periodisch ausbrechende Nagetierplagen machen, so behauptet man, die Bodenbestellung unmöglich. Kein geringer Teil des Hungers, der jetzt die Welt in seinen Klauen hält, ist der ungeheuren Anzahl der kleinen Nagetiere zuzuschreiben.

Wo die menschliche Bevölkerung so zahlreich ist, daß das verfügbare Land sie nicht nähren, kleiden und mit Obdach versehen kann, schießen die zerstörenden Ausbeutungsmethoden wie Pilze aus dem Boden und breiten sich aus wie die Atomwolke über Hiroshima. Das geschieht in allen Teilen der Welt, wo die Nachfrage die Ertragsfähigkeit des Landes übersteigt, von Italien bis Indien. Mehr und mehr Land, das für die Erzeugung von Ernten ungeeignet ist, wird unter den Pflug genommen.

Ein solcher Druck kann politisch, wirtschaftlich und bevölkerungsmäßig sein. 

Die Weideländer der Vereinigten Staaten sind übermäßig zerstörend ausgebeutet worden; gutunterrichtete Gelehrte schätzen, daß 80% unserer Weideländer überweidet wurden. Wenn man jetzt die Herden verringert und Fleisch und Wolle aus anderen Ländern einführt, so gibt das vielleicht dem Gras die Möglichkeit, sich zu erholen, aber die Vieh- und Wollinteressen im Kongreß sind so mächtig, daß sie solche sichtlich gesunden Versuche, den amerikanischen Weideboden zu entlasten, zunichte machen. Jedes Jahr türmen sich die umgebungsmäßigen Widerstände gegen hohe Produktivität. Selbst die Viehzüchter beweisen, daß sie diese Bedingungen anerkennen, indem sie immer wieder versuchen, die kleinen Strecken Grasland unserer nationalen Parks zu übernehmen, obwohl das Totalgebiet dieser Parks nur einundsiebzig Hundertstel eines Prozents der Vereinigten Staaten ausmacht. Sie sind durchaus willens, diesen Teil des nationalen Erbes zu zerstören, aber sie sind nicht willens, die Einfuhr aus Australien und Argentinien zu dulden.

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Unter primitiven Bedingungen, bevor der Mensch begann, seine Intelligenz und sein Wissen auf das Verstehen eines Teils der Naturgesetze anzuwenden, erreichte das Verhältnis zwischen biotischem Potential und örtlichem Widerstand ein relativ stabiles Gleichgewicht, das nur über geologische Zeitperioden beträchtlich verändert wurde. Beschränkende Faktoren waren wirksam, aber innerhalb des Rahmens biophysischer Gesetze produzierte das Land seine Gaben in direktem Verhältnis zu seinem Bodenreichtum. Und wahrscheinlich war auch kein Kontinent reicher als der nordamerikanische. Die Natur hatte sich mit sich selbst abgefunden, wie sie das über längere Perioden immer muß; ihr Zugriff überschritt niemals ihren Griffbereich.

Dann steigerte der Mensch durch ein Zusammenwirken von Umständen, die wir im vierten Kapitel diskutieren, rasch seine Gewalt über die Natur und brachte durch eine schiefe Entwicklung dieser Herrschaft eine große Menge neuer Beschränkungsfaktoren hervor. Nur wenige vereinzelte Männer wie Robert Malthus, Benjamin Franklin und Thomas Jefferson begriffen wenigstens teilweise, was vorging, aber nicht einmal Malthus sah voraus, daß im Innersten dieser steigenden "Produktion" der Wurm Auroboros verborgen war — der Wurm, der endlich die Erde aufzehren würde.

 

   Die Gesetzesübertreter  

 

Während des 19. und 20. Jahrhunderts verbreitete der europäische Mensch Verheerung über Afrika, Asien und beide Amerika, teils weil er in den geographischen Begriffen seiner Heimat dachte, teils weil er die schweren Regenfälle nicht kannte, die anderen Weltteilen charakteristisch sind; hauptsächlich aber, weil er annahm, die neuen Reichtümer seien unerschöpflich, und er brauche deshalb keine Maßnahmen zu treffen, sie zu erhalten. 

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Auch der primitive Mensch — sogar die hochkultivierten Völker — hatte seine Umgebung zerstört, aber niemals mit dieser geradezu berechnenden Unerbittlichkeit einer Panzerdivision. Die destruktiven Kulturkräfte, die durch unsern Einfluß entwickelt und gesteigert wurden, sind jetzt über den ganzen Erdball vorgedrungen, vom Hottentotten bis zum Buschmann, vom Malaien bis zum Ainu, die diese Plage weiterverbreiten.

Eins der ersten und mörderischsten Werkzeuge, die der Europäer in die Neue Welt brachte, war die Stahlaxt. Der Wald schien ihm ein Feind des Menschen zu sein, wie das in Europa tatsächlich drei Jahrhunderte früher der Fall gewesen war, als die Schotten wohlüberlegt ihre Wälder niederbrannten, weil sie sichanders nicht vor den Wölfen8 schützen konnten. Die Äxte blitzten von Quebec bis Georgia. Oft war das Holz wertlos, war etwas, was man bloß loswerden mußte.

Die Axt fand im Feuer einen zügellosen Gefährten, und wo keine Zeit war, den Wald abzuschlagen, kam die Brandfackel der Axt zu Hilfe. "Ein Mann kann in einem Tage mit einem Streichholz hundert Acker abholzen", sagt ein Sprichwort in Nikaragua. Die Hänge wurden gelichtet und mit Mais bepflanzt — mit Mais, der, wie die Syphilis, einer der mächtigsten Beiträge der Neuen Welt zur Zivilisation war. Es ist mit Sicherheit anzunehmen, daß der Mais bei modernen Anbaumethoden mehr Elend angerichtet hat als die venerische Krankheit.

Dicht hinter der Axt kam der Scharpflug. Er riß große klaffende Wunden in die Landschaft, bergauf und bergab, und machte das Regenwasser dadurch mit derartig kanalisierter Kraft zu einer so wirksam zerstörenden Gewalt, wie sie kein Ingenieur hätte ersinnen können. In den Tropen, wo ein großer Teil des Ackerbaus auf die Berghänge des Hochlandes konzentriert ist, dürfte das wohl die vernichtendste Macht sein, die der Mensch eingeführt hat.

Der Pionier brachte die Vogelflinte und die Büchse. Er tötete das wilde Leben, um Nahrung zu haben wie um sich zu schützen; später fing er an, für die fernen Märkte und zum Sport zu töten.

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Erst in den letzten paar Jahrzehnten hat man allgemein die Notwendigkeit anerkannt, eine geeignete Umgebung und reichliches Zuchtmaterial zu erhalten. Der größte Teil Lateinamerikas, Afrikas und Asiens tötet immer noch ohne jede Rücksicht auf die Zukunft. Die Liste der Tierarten, die der_Mensch niemals wieder sehen wird, ist ein unheilvolles Zeugnis seiner Schießkunst und seiner Dummheit.

Feuer, Axt, Pflug und Feuerwaffe sind die vier fundamentalen Werkzeuge unserer modernen Kultur, und in einigen der fruchtbarsten und produktivsten Gebiete der Welt haben sie den umgebungsmäßigen Widerstand derartig hochgetrieben, daß die Ertragsfähigkeit fast so niedrig ist wie die der Wüste Gobi und der sibirischen Tundren. Hunderte von Millionen Acker ehemals reichen Bodens sind jetzt ebenso arm oder noch ärmer als der Schrebergarten in der Großstadt.

Zerstörte Wälder, Erosion, Waldbrände, übermäßiges Weiden und das Sinken der Wasserspiegel sind unvorhergesehene und unerwünschte Rückschläge einer wirksamen und jungen Kultur, die losgelassen ist. Hätte man kluge Vorsichtsmaßnahmen getroffen, so wäre diese Entwicklung durch eine Art ökologischer Geburtenkontrolle vermieden worden; aber man konnte die Neue Welt nicht schnell genug in Besitz nehmen, es blieb keine Zeit zur Vorsicht oder auch nur zum Nachdenken. Fernerhin fehlten die erforderlichen Kenntnisse, die ein harmonisches Leben mit einer neuen Umgebung zuließen — und wir besitzen sie bis heute noch nicht.

 

   Gewinne sind Verluste  

 

Einer der schädlichsten einschränkenden Faktoren ist das kapitalistische System — und das ist eine der schwerstwiegenden Kritiken, die man dagegen ins Feld führen kann. Die Methoden des freien Wettbewerbs und die Anwendung des Profitmotivs haben sich für den Boden höchst unglücklich ausgewirkt. Die Eisenbahnen erhielten große Landstrecken, auf denen sie Männer und Frauen ansiedelten, deren Enkel das "Staubbecken" schufen.

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Halsabschneiderischer Wettbewerb in der Ausbeutung der Wälder hat uns in der Holzwirtschaft schon längst von einer Gläubiger- in eine Schuldnernation verwandelt; wir sind gezwungen, Holz und Zellulose zu importieren, während unser eigenes Land, das am besten zur Produktion geeignet ist, in die Ozeane und in den Golf von Mexiko gespült wird. Heute ist das "freie Unternehmertum" im Holzhandel eine der größten Gefahren für Lateinamerika.

Man hat den Geschäftsgeist losgelassen, um Tausende von Wasserläufen mit industriellen Abfällen zu vergiften; viele hundert Städte verbrauchen Millionen Dollar, um ohne Gefahr das Wasser trinken zu können, das durch die Abfälle verseucht ist, die stromaufwärts hineingeworfen wurden. Kürzlich hat man einen neuen höchst überflüssigen Apparat erfunden, der den Müll klein mahlt, so daß er durch den Küchenausguß weggespült werden kann; anscheinend gibt es keine Möglichkeit, den Hersteller für die erhöhte Schändung und Verunreinigung verantwortlich zu machen, die er den Binnenlandwassern zufügt. Der erhöhte Bedarf an Oxygen im Wasser — um der Bakterie möglich zu machen, die organischen Stoffe zu assimilieren — zerstört endgültig die Reste der Fischerei, die in manchen Flüssen noch übriggeblieben ist. Der Fabrikant kassiert ein — und der amerikanische Bürger zahlt die Kosten des vermehrten umgebungsmäßigen Widerstandes.

Die Preise der Nahrung steigen mit der Nachfrage der ganzen Welt; der Farmer stellt zu viel Vieh auf seine Weiden, er bepflanzt jeden Zoll schlechten Bodens, um Geld einzunehmen, solange "das Geschäft floriert". Die Preise fallen, und er jammert laut, daß er es sich nicht leisten kann, sein Land zu verbessern; er muß eine Unterstützung haben! Einnahmen, die er in fortlaufende Verbesserungen stecken sollte, wurden oft genug für Flugzeuge, Autos und Pelzmäntel verwendet — der "hohe" amerikanische Lebensstandard.

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Man hat der Industrie gestattet, unsere Grundwasservorräte zu behandeln, als wären sie unerschöpflich, und der Wohlstand, ja vielleicht die Existenz vieler unserer Städte ist durch diese Wasserverschwendung gefährdet.

Geschäftstüchtige Fischer haben sich das Vorrecht des Piraten angemaßt, zu nehmen, was sie bekommen konnten, und haben dadurch mehrere sehr bedeutende Fischvölker auf einen Punkt reduziert, auf dem es wirtschaftlich nicht mehr möglich ist, sie zu fangen. An den Küsten Kaliforniens ist die Sardine derart ausgebeutet worden, "daß die Erträge 1937-1938 nicht einmal halb so groß waren wie 1932-1933... Eine Reduzierung des Gesamtfanges auf die Hälfte scheint deshalb das Minimum von Kürzung zu sein, um eine weitere Abnahme der Fischvölker zu verhindern. Um sie wieder aufzubauen, und zwar in absehbarer Zeit, wäre ein noch drastischerer Schnitt auf ein Drittel des gegenwärtigen Totalfanges erforderlich."9) 

Die kalifornischen Fischer fahren fort, ihre Ausbeutung auch auf Gebiete außerhalb der Vereinigten Staaten zu erstrecken, in die Gewässer Mexikos, der mittelamerikanischen Länder und Ekuadors. Da ihnen die technisch angemessenen Fischereibehörden fehlen, haben diese Länder wenig oder gar keine Ahnung, wie sehr ihre Hilfsquellen erschöpft werden. Und als die Fischereisachverständigen der nordamerikanischen Regierung anfingen, unsern "Guten Nachbarn im Süden" wissenschaftliche Hilfe zukommen zu lassen, drangen unsere geschäftstüchtigen Fischereiunternehmer darauf, daß diese Zusammenarbeit beendet würde!

Auf der anderen Seite unseres Kontinents lagen die Verhältnisse folgendermaßen: "In Neuengland betrug der Alsenfang im Jahre 1934 nur 385.000 Pfund gegen 2.000.000 Pfund vor erst fünfzig Jahren. Nach Ackermann war der jährliche Fang im Anfang des vorigen Jahrhunderts oftmals 2.000.000 Pfund, damals jedoch betrug die menschliche Bevölkerung nur einen Bruchteil der heutigen.

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"Im Jahre 1889 brachte Maine 22.000.000 Pfund frischen Hummer auf den Markt. Ein großer Teil des Fanges ging zu einem Preise von 2% Cent pro Pfund in die Konservenfabriken. Seit 1905 ist es eine Seltenheit, daß der Fang über 6.000.000 Pfund hinausgeht, und zwar zu einem Engrospreis von 27 Cent pro Pfund, also mehr als das Zehnfache des alten Preises ... Jetzt kommt unsere Hummerversorgung zum größten Teil aus immer weiter abgelegenen Gebieten, aber das bedeutet nur, daß das moderne Transportwesen zeitweilig die sich nahende absolute Erschöpfung verdeckt. (Vor dem letzten Kriege wurden Zehntausende von Pfunden eines stachligen Hummers in gefrorenem Zustande von der südafrikanischen Küste nach New York gebracht!)

Der Makrelenfang im Osten der Vereinigten Staaten betrug von 1845 bis 1885 etwa 100.000.000 Pfund pro Jahr. Zwischen 1885 und 1930 ist er rapide auf 25.000.000 Pfund gesunken und das bei ständigem Anwachsen der Bevölkerung und daher der Nachfrage. ... Im Jahre 1889 fingen die neuenglischen Fischer 173.000.000 Pfund Maifische. Nach 1900 trat ein ständiges Absinken ein und 1933 wurden nur noch 1.000.000 Pfund in unsern Wassern gefangen. Der Maifisch meidet gern Gebiete mit niedrigen Temperaturen. Die Sommer 1936 und 1937 waren jedoch abnormal warm, und doch erschienen im Golf von Maine nur wenige dieser Heringe. Sie sind ohne jeden Gedanken an die Zukunft ausgefischt worden."10

Auch die Walfischfänger behandelten die Quellen ihres Reichtums, als sei ihre Üppigkeit unbegrenzt; sie dehnten die Bereiche ihrer Tätigkeit und die Wirksamkeit ihrer Angriffe bis nach den fernsten Winkeln des Meeres aus; das größte lebende Säugetier ist praktisch im überwiegenden Teil seines arktischen Gebietes ausgerottet worden. Das Überleben der wenigen noch vorhandenen Wale hängt von der Einhaltung eines internationalen Abkommens ab, das, während ich dieses Buch schreibe, noch nicht von genügend Ländern ratifiziert worden ist, um es wirksam zu machen. Die Macht der kommerziellen Interessen in einer fetthungrigen Welt und die Halsstarrigkeit solcher Nationen wie Rußland machen die Zukunft dieser Hilfsquellen äußerst zweifelhaft.

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Die enormen Guanovorkommen von Peru — mit einer Totalmenge von 23.000.000 Tonnen vor hundert Jahren — sind auf der Basis des freien Wettbewerbes ausgebeutet worden und sind bis 1911 auf 30.000 Tonnen gesunken. Der Höchstertrag, den Peru in der Folgezeit aufzuweisen hatte, waren 168.000 Tonnen im Jahre 1938. Die ganze Welt, und besonders Lateinamerika, leidet verzweifelten Mangel an organischem Dünger; aber die "Saturnalia", wie Peru die Guano-Hausse nannte, zog viele große Vermögen aus dem System des freien Wettbewerbs! Ein buchstäblich unschätzbares Mittel, sterbendem Boden neues Leben einzuflößen, ging an den höchsten Bieter, anstatt so behandelt zu werden, daß für einen Dauerhöchstertrag gesorgt war. Die Vögel, die den Guano produzierten, wurden von ihren Nestern vertrieben, weil sie den Arbeitern im Wege waren!

 

Der Großgrundbesitz im Auslande lebender Gutsherren hat alljährlich sein Pfund aus dem Fleische des Bodens gefordert und über Millionen von Ackern Unheil gebracht. Viele reiche lateinamerikanische Landbesitzer, deren Interessen mehr auf Paris oder New York als auf ihre eigenen Haziendas gerichtet sind, legen nur einen Maßstab an ihre ungeheuren Besitzungen: die Jahresbilanz. Wenn ihre Verwalter das Land ausbeuten, was sie oft tun müssen, um den Ertrag auf der Höhe zu halten, so weiß es der Besitzer kaum und kümmert sich nicht darum. 

In Afrika hat der gleiche ausbeuterische Standpunkt des Kolonialsystems dasselbe Resultat; die Verwalter suchen sich ihr Teil zu sichern und nach einem möglichst kurzen Zeitraum wieder nach Hause zu gehen. In den Vereinigten Staaten bebauen kommerzielle Verbände Gebiete mit Weizen, die unvermeidlich bei der nächsten Dürre ihre Bodendecke durch Erosion verlieren. Das Hauptinteresse liegt beim Gewinn, und die Profite werden auf einem Wettbewerbsmarkt festgesetzt. Überall in buchstäblich der ganzen Welt wird der Boden dazu benutzt, nicht die Ernten, für die er am besten geeignet ist, und mit denen er einen gleichmäßig guten Nahrungsertrag liefert, sondern einen möglichst hohen Geldertrag zu bringen, so billig wie möglich und so schnell wie möglich — das gleiche System wie es in gehobenem Maße der Fabrikant anwendet.

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Mit anderen Worten: das Land wird auf der Basis der sogenannten ökonomischen Gesetze bewirtschaftet, unter sehr allgemeiner Nichtachtung der physikalischen und biologischen Gesetze, denen es unterworfen ist. Der Mensch setzt voraus, daß ein System, das für die Industrie gut ist, notwendiger­maßen auch für den Boden gut sein muß. Es wird sich erweisen, daß dies einer der kostspieligsten Fehler in der Geschichte ist.

 

    Es ist praktisch unmöglich   

 

Man betrachtet den steigenden Lebensstandard, wie man den materiellen Fortschritt nennt, fast allgemein als einen Vorteil für das menschliche Geschlecht. Dennoch verdanken in bezug auf die "Erosion des menschlichen Nervensystems" die Vereinigten Staaten diesem Vorteil die höchste Zahl an Geisteskranken in der ganzen Welt. 

(Während dieses Buch im Druck war, lenkte ein Freund meine Aufmerksamkeit auf einen Absatz der "Stromlinien" von Christopher Morley, der unter uns Modernen als einer der Kultiviertesten bekannt ist: "Wir hören von dem landwirtschaftlichen Problem der Bodenerosion; Berghänge werden ihrer fruchtbaren Oberdecke entkleidet ... Große Gebiete des mittelwestlichen Reichtums werden durch Sandstürme weggerissen. Sicherlich ist die Frage der geistigen Erosion nicht weniger wichtig; die Sandstürme täglicher Aufregungen und nicht endender Trivialitäten sind sehr dazu angetan, die empfindliche Oberdecke des Geistes zu zerstören. Das Resultat ist eine unfruchtbare und hohle nervöse Leichtgläubigkeit."

Der steigende Lebensstandard hat eine parallele Verlockung entwickelt, die sich marktschreierisch im <Reklamewesen> dartut, in den beliebten Radio­programmen, in den Zeitungen und Zeitschriften. Nur ein enormer Aufwand an Lebens- und Arbeitsstunden ermöglicht den Einkauf von allerlei nichts weniger als lebensnotwendigen technischen Spielereien. Dieser Aufwand wird häufig zur Debatte gestellt. Trotzdem gibt es nur wenige Amerikaner, die nicht überzeugt sind, das <Summum bonum>, das höchste Gut, bestünde in einer Unzahl solcher technischer Spielereien.

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Dieser Aberglaube ist ein Teil des amerikanischen Volkswesens; er ist, so viel ich weiß, noch niemals vom Gesichtspunkte der nationalen physischen Wohlfahrt geprüft worden. Was ist die Wirkung unseres (wie man behauptet) steigenden Lebensstandards auf die natürlichen Hilfsmittel, die Basis unseres Fortbestandes? 

Sind die Ergüsse kitschiger Liebesgeschichten, schlechter Kriminalromane und sogenannter "Comics" wirklich wertvoll genug, um die Ausrottung der Wälder dieser Erde zu rechtfertigen, damit das Papier hergestellt werden kann, auf das man sie druckt? 

Rechtfertigen unwesentliche elektrische Kinkerlitzchen, Industrien und die hydroelektrische Kraft, die nötig ist, um sie zu handhaben, die Zerstörung anderer Werte — die Überflutung fruchtbaren Ackerlandes durch hydroelektrische Anlagen, den ungeheuerlichen Aufwand an öffentlichen Mitteln, die erforderlich sind, um Dämme zu bauen und instand zu halten — Mittel, die schließlich und endlich aus dem Fell des amerikanischen Volkes geschnitten werden ?

Der TVA (Plan zur Ausnützung der Wasserkräfte des Tennessee-Tales = Tennessee Valley Administration) ist bösartig und dumm angegriffen und dann als eine krönende Errungenschaft des schier unfehlbaren Menschengeschlechts verteidigt worden. Er ist sicherlich weder so gut, noch so schlecht, wie man behauptet. Im Hinblick auf die Dollarmilliarden, die für ähnliche Anlagen vorgesehen sind, scheint es höchste Zeit, daß wir eine alle Teile einzeln ansetzende Abschätzung solcher Arbeit bekommen. Hier sollten nicht nur die Energie, die Navigation, die Faktoren der Überschwemmungskontrolle berücksichtigt werden, sondern auch der totale Aufprall auf unsere nationalen Hilfsmittel. Bisher scheint wenig Zweifel zu bestehen, daß der TVA. als Methode der Landbewirtschaftung nichts weniger als befriedigend ist. Seit Jahren haben die Leute, die daran arbeiten, wirksam das Bodenkonservierungsamt des Tales ausgeschlossen, und deshalb hinkt die Bodenkonservierung schwer hinterdrein. 

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Das Forstprogramm ist nach den Angaben verläßlicher Beobachter stümperhaft behandelt, und das Wilderhaltungsprogramm scheint außer der Fischerei nicht viel besser dran zu sein. Die Überschwemmungen werden "kontrolliert", aber nicht indem man das Wasser im Boden erhält, wo es nur Gutes tun könnte, sondern durch ständiges Unterwassersetzen von mehr als drei Vierteln des Bodens, den der Plan beschützen sollte!11) Die vielgepriesene Entwicklung zum Erholungsgelände ist ziemlich billig; in diesen heruntergezogenen Wassern zu fischen oder Kahn zu fahren, von Meilen übelriechender Schlammufer umgeben, dürfte ebenso erholend und befriedigend sein, wie in einem Fabrikshof Baskettball zu spielen. Die sogenannten "vielen Zwecken dienenden Deiche" sollten — ich führe das noch an anderer Stelle aus — richtiger "zweckwidrige Deiche" genannt werden.

Der Eisenbahnenthusiast des 19. Jahrhunderts achtete wenig darauf, was seine Eisenbahnen dem Lande antaten. Das Staubbecken war einer ihrer Beiträge zum modernen ^eben, die Zerstörung der Wälder — teilweise wenigstens — ein anderer. Wir müssen es vermeiden, solche Fehler zu wiederholen, um so mehr als jetzt das 20. Jahrhundert in seinem eigenen Enthusiasmus für Autobahnen, Flugplätze und Deiche geradezu schwelgt.

 

   Das übersättigte Land   

Ein alter chinesischer Weiser sagt, daß "ein Berg nicht zwei Tiger beherbergen kann". Das ist die Erkenntnis einer gesunden biologischen Tatsache. (Und dieser Chinese würde niemals das Unding begriffen haben, daß man solche Tiger übereinandertürmt, in Etagenhäusern mit Badezimmern und Doppel­garagen!) Die modernen Biologen haben diesen alten chinesischen Grundsatz neu entdeckt, und erzählen uns, daß der Berglöwe unseres eigenen Westens einen Aktionsradius von etwa vierzig Acker braucht; mit weniger ^and kann er nicht auf genügend Nahrung rechnen. Das Rotwild, seine hauptsächlichste Nahrung, braucht vierzig Acker pro Stück, um sich in den beschnittenen nachgeforsteten Wäldern des Nordostens zu ernähren, und sogar vierhundert Acker im dürren Südwesten.

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Jede Wachtel braucht unter gewissen Bedingungen annähernd einen Acker. Als man die durch die Jagd fast ausgerotteten Baumwachteln auf die Singvogelliste setzte und der Druck der Jagd nachließ, was vor einigen Jahren geschah, haben sie sich keineswegs unendlich vermehrt, wie die Vogelliebhaber hofften; sie vermehrten sich genau entsprechend der Ertragsfähigkeit des Wachtelgebietes — dann hielten sie inne. In manchen Gegenden genügen zwei Acker, um eine Kuh das ganze Jahr hindurch zu füttern; in anderen ist eine Quadratmeile dazu erforderlich.

Der primitive Mensch ist denselben Grenzen der Ertragsfähigkeit unterworfen wie die Tiere und die Pflanzen, von denen er lebt. Die Indianer der Vereinigten Staaten haben wahrscheinlich niemals die Bevölkerungsgrenze einer Million überschritten. Als sie es aufgaben, von der Jagd zu leben, und sich dem Ackerbau zuwandten und dabei die Grundbegriffe der Bodenbebauung lernten, erreichten sie eine beträchtlich dichtere Bevölkerung. In Zentren wie Mexiko, Honduras und Guatemala überschritten ihre Völker die Ertragsfähigkeit des Landes. Sie zogen viel mehr aus dem Boden, als er auf die Dauer hervorbringen konnte. Sie zerstörten die Wälder, verloren Boden und Wasser, und eine nach der anderen ihrer Kulturen verschwand. Die peruanischen Indianer litten unter solchem Unglück weniger als ihre nördlichen Nachbarn. Vielleicht, weil sie lernten, ihr Land zu bewässern und den Boden an seinem Ort festzuhalten, vor allem weil sie im Guano ihrer Küsteninseln das Mittel besaßen, die Fruchtbarkeit des Bodens aufrechtzuerhalten.

Vor zweihundert Jahren war der amerikanische Farmer im wesentlichen ein Bauer, obwohl er den Gebrauch dieser europäischen Bezeichnung sehr übel genommen hätte. Auf einer Farm von bescheidender Größe war es ihm möglich, sich selbst, seine Frau, vielleicht ein paar bedürftige Verwandte, ein oder zwei bezahlte Landarbeiter und fünf oder sechs Kinder zu erhalten. 

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Sie wurden in der Hauptsache mit Erzeugnissen der Farm bekleidet, und vollkommen mit Erzeugnissen der Farm ernährt und beherbergt. "Gekaufte" Produkte hielt man auf einem Minimum, und es wurden — außer in begrenzten Gegenden, die destruktive Ernten wie Tabak und Baumwolle erzeugten — verhältnismäßig geringe Anforderungen an die Ertragsfähigkeit des Bodens gestellt.

Dann kam die Industrialisierung, die Eisenbahnen, das Wachstum der Städte mit Millionen von Einwohnern, die ernährt sein wollten, und endlich der Begriff des amerikanischen Lebensstandards. Drei der hauptsächlichsten Merkmale dieses amerikanischen Lebensstandards sind das Automobil, das Badezimmer und das Radio. Der Farmer fühlt ebenso wie der Industriearbeiter, daß er wenigstens auf diese drei Dinge Anspruch hat. Sie müssen aus den Gewinnen erworben werden, die er von seiner Farm zieht. Mit anderen Worten, der Farmer muß seine Produkte an den Nichtfarmer verkaufen, um das Bargeld zu bekommen, das er zum Ankauf des Automobils braucht. Das setzt sofort einen stärkeren Druck auf die Ertragsfähigkeit des Bodens. Das Verhältnis zu dem, was er zu produzieren fähig ist, ist für den Farmer und seine Familie nicht mehr gültig.

Es ist interessant, wenn man bedenkt, wer und wieviel Menschen jetzt vom Lande des Farmers leben müssen. Wenn er ein Automobil kauft, so bezahlt er aus den Produkten seines Landes — durch Geld symbolisiert — folgende Personen: 

Bergleute, Metallarbeiter, Straßenbauarbeiter, Ingenieure, Autoarbeiter, Eisenbahnarbeiter, Regierungsbeamte, Werkzeugfabrikanten und die Arbeiter in ihren Fabriken, Verkäufer, Reklameleute, Zeitungsverleger mit ihrem Stab, Drucker, Papierfabrikanten, Holzhändler, welche die Papiermasse liefern, Post- und Eisenbahnbeamte, Fabrikanten für Eisenbahnbedarf, Pflanzer, Gummizapfer, Aufseher, Gesundheitsbeamte, Mitglieder des Gummikartells, Lastwagenbesitzer, die den Gummi zum Pier bringen, Matrosen und Schiffsoffiziere, Schiffsbauer, Reifenfabrikanten, die Arbeiter in ihren Fabriken, die Angestellten ihrer Verkaufsorganisationen, Ölquellenbohrer,

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Ingenieure, Ölfeldarbeiter, Hersteller und Erbauer der Ölleitungen, die Erbauer der Tanks und ihre Mannschaften, Börsenmakler, Aktionäre, Garagenbauer und -arbeiter, die Beamten der Fahrdienststellen, Verkehrspolizisten, Hersteller und Arbeiter für Motorräder, Friedensrichter, Straßenbauer und Straßenverwaltung, die Fabrikanten des zum Straßenbau notwendigen Materials, Chirurgen, Hospitäler, in denen die Opfer der Verkehrsunfälle behandelt werden, Hersteller und Fahrer der Ambulanzen, Versicherungsagenten, Leichenbestatter, Wohlfahrtsbeamte und Waisenhäuser für die Kinder der Todesopfer bei Verkehrsunfällen, Erbauer und Wärter von Gefängnissen, und eine ganze Herde zusätzlicher Regierungsbeamter wie Legislatoren, welche die Verkehrsgesetze abfassen, das Marineministerium, dem die Schiffahrt untersteht, die Inter-Staaten-Handelskommission, die Angestellten des Staatsdepartements zur Überwachung ausländischer Ölquellen — vielleicht noch Armee und Marine, die um diese Ölquellen kämpfen — usw. 

Dies ist eine unvollständige Liste; aber sie gibt einen Hinweis auf die steigenden Anforderungen, die man an den amerikanischen Boden stellt.

Ökonomen schreiben über die "Revolution der Landwirtschaft", über die größere Produktivität des einzelnen Farmarbeiters, die Vorteile der Farm­mechanisierung und die Fähigkeit des Farmers, mehr Leute zu ernähren als ehedem im 19. Jahrhundert. Was die meisten aber überhaupt nicht erkennen ist, daß die Produktion "pro Arbeitskraft" völlig bedeutungslos ist, wenn man sie von der Produktion "pro Acker" trennt. Ein paar Jahrzehnte gelang es der westlichen Welt, unter dieser Annahme zu wirtschaften — weil noch genügend neues Land zu erschließen war und das Land noch durch die bloße Bearbeitung der Bodendecke produzierte. Aber die moderne Agrikultur hat das biotische Potential nicht gehoben, und abgesehen von wenigen sehr begrenzten Gebieten, die umgebungsmäßigen Widerstände nicht verringert. Auf annähernd der ganzen Erde hat es sie enorm erhöht, bis zum Punkte der Zerstörung von Hunderten von Millionen Ackern produktiven Bodens. 

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Die Diskussion über die Revolution der Agrikultur in Begriffen einer Produktionssteigerung per Arbeitskraft — ja selbst in rein landwirtschaftlichen Begriffen, unter Beiseitestellung der Probleme der Wasserspiegel, der Forsten, des nichtlandwirtschaftlichen Landes, der Fauna und der Nicht-Ernte-Pflanzen usw. — drückt eine höchst irreführende und gefährliche Denkweise aus. Ein Mann kann zwar unter Berücksichtigung einer verbesserten Technikologie, einen ganzen Landabschnitt bebauen; dadurch entstehen aber keine neuen Abschnitte agrikultureilen Bodens, und auch die Produktivität der anderen Äcker wird dadurch nicht gehoben.

Der Beitrag des einzelnen Farmers zum Unterhalt der oben bezeichneten Personen ist natürlich nur ein geringer; aber 33% der Automobile, Schlepper und Lastwagen der Vereinigten Staaten sind im Besitze von Farmern, und viele Hunderttausende laufen zusätzlich im Dienste ihrer Farmen. Außer den Millionen Menschen in der Autoindustrie und ihren Beiwerken sind weitere Millionen in der Radio- und den anderen Luxusindustrien tätig. Zur Zeit der Inkas — um das Problem an einen anderen Teil der Welt zu knüpfen — hätten voraussichtlich fünf Acker ausgereicht, um eine ganze Familie zu unterhalten. Heute könnte man von ihren Erträgen nicht einmal den Wagen der Familie kaufen. Beim Mittagstisch steht hinter dem Stuhle eines jeden Farmers ein schattenhafter Gast aus anderen Familien, dem er Energiehilfsmittel überträgt, "indem er ihn aus seinem Lande Nutzen ziehen läßt, um seinen eigenen amerikanischen Lebensstandard aufrecht zu erhalten".

 

     Die Bilanz muß stimmen   

Ist der Farmer geschickt genug, um seine Farm gut zu bewirtschaften — das heißt, erzeugt er alles, was er für seinen Bedarf und seine Wünsche braucht, ohne die Ertragsfähigkeit zu verringern, und ist das Land selbst von so guter Qualität, daß es diesen Wohlstand auf einer gleichbleibenden, nicht auf einer aussaugenden Basis hervorbringt —, so befindet sich seine Wirtschaft im Gleichgewicht.

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Wo jedoch infolge armen Bodens oder unzulänglicher Bewirtschaftungsmethoden der Farmer seinen Traktor, sein Automobil, sein Badezimmer und sein Radio nur durch Ausbeutung des Bodens bestreiten kann, wird es schon schwierig, sein Anrecht auf den sogenannten amerikanischen Lebensstandard zu verteidigen; und ist eine solche Bodenausnützung weit verbreitet, so ist dieser amerikanische Lebensstandard überhaupt kaum zu rechtfertigen. Tatsächlich ist das die Lage des größten Teils der Vereinigten Staaten. Die Produktivität des Bodens ist in vielen Gebieten sinkend. Die Bundesregierung hat das Ungesunde der Lage des Farmers stillschweigend anerkannt — durch Zuschüsse unter dem Titel "Bodenkonservierung" und durch Subsidien. Ein Beispiel ist der Niedrigstpreis, ein anderes der "Schutztarif" für Wolle. Das läuft auf einen Zuschuß der Regierung zugunsten der Bodenerosion hinaus, denn sie unterstützt damit die zu große Tierhaltung unserer westlichen Gebiete. Wären solche Zuschüsse nicht, so müßte mancher Wollzüchter sein Geschäft einstellen. Und das Grasland erhielte eine Möglichkeit, sich zu erholen.

So weit Hilfsgelder die wirtschaftliche Lage des Farmers und des unterstützten Industriellen ausgleichen (dieser ist der erste, der gegen jeden wirklichen Angriff auf den freien Wettbewerb protestiert), sind sie sicherlich verfechtbar. Der Farmer ist jahrzehntelang ausgebeutet worden, ungeachtet der Tatsache, daß er als Mitglied unserer Gesellschaft nützlicher, produktiver und fähiger ist und härter arbeitet als die überwiegende Mehrzahl unserer Geschäftsleute. Dennoch ist es schwierig, für die langfristige Unterstützung ausbeutender Überernten eine Rechtfertigung zu finden.

Auf kurze Zeit ist bestimmt besser, man zahlt dem Farmer Zuschüsse, als man gestattet ihm, seinen Boden so zu schädigen, daß innerhalb der Lebensdauer der Nation seine Produktivität nicht wieder hergestellt werden kann. Vielleicht ist das ebenso gerechtfertigt wie eine Digitalisinjektion für ein versagendes wirtschaftliches System.

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Trotzdem können solche Praktiken nicht ad infinitum fortgesetzt werden, solange die Nationalschuld anerkannt und nicht durch Inflation herabgesetzt wird. Unsere Wirtschaft kann nicht auf die Dauer mit Papier eingedämmt werden. Trotz der Theorie gewisser Wirtschaftler, die Nationalschuld sei nichtssagend, da wir sie uns selbst schulden, wird sie doch nur aus Steuergeldern abgetragen, die im Grunde aus unseren natürlichen Hilfsquellen gezogen werden — Steuern, welche die Arbeitsstunden amerikanischer Bürger verkörpern und die aus unserem Boden gezogene Energie darstellen. 

Es muß wiederholt werden, daß keine andere Quelle dieser Energie vorhanden ist. Durch Notendruck und andere Formen, diese Rechnung hinauszuschieben, schaffen wir einen Scheinreichtum. Wenn wir unser wirkliches Kapital natürlicher Hilfsmittel aufbrauchen, verringern wir die Möglichkeit, diese Schuld jemals abzuzahlen. Es scheint mir ganz unmöglich, sich dem Schluß zu entziehen, daß der relativ hohe materielle Lebensstandard, den wir für unseren Farmer aufgestellt haben, auf die Dauer nicht verwirklicht werden kann; noch fantastischer ist es, ihn für die Millionen von Nichtproduzenten zu suchen, die in sehr buchstäblichem Sinne Parasiten des Landes sind.

Die Amerikaner, die guten Willens sind, haben den amerikanischen oder wenigstens einen annähernd guten Lebensstandard für die gesamte Welt befürwortet. "Freiheit von Not" war die Lockspeise, die weniger wohlhabenden Völkern vor die Nase gehalten wurde, um sich ihre Unterstützung während des Krieges zu sichern. Was für ein ungeheuerlicher Betrug das war — an uns selbst wie an ihnen — müßte jedem klar sein, der in Begriffen der Ertragsfähigkeit aller Länder der Welt denken kann.

Ein Farmer in den holländischen Siedlungen Pennsylvaniens kann auf 150 Ackern Land sorgenfrei leben und sogar reich werden. Wahrscheinlich pflegt er sein Land, das bereits seit zweihundert Jahren intensiv bewirtschaftet wurde. 

Sein Lebensstandard ist einer der höchsten, den man bei der ganzen ländlichen Bevölkerung der Vereinigten Staaten findet, obwohl er aus religiösen Gründen sinnlosen Luxus vermeidet. Andererseits benötigt in West-Dakota ein Nachkomme der Schweden oder Norweger zwei bis drei Quadratmeilen, um einen einigermaßen anständigen Lebensstandard für seine Familie aufrecht zu erhalten. Er arbeitet vermutlich ebenso hart wie der pennsylvanische Holländer, ist ebenso intelligent und vielleicht sogar besser erzogen. 

Die Tatsache, daß er so viel mehr Land benötigt, ist ein Zeichen der niedrigeren Ertragsfähigkeit seines Bodens. In Dakota kann der Boden arm und die Schicht der Oberdecke dünn sein; in vielen Gebieten gibt es beträchtliche Winderosion, und die Menge der für die Ernten notwendigen Niederschläge ist so unterschiedlich, daß ein Farmer in zehn Jahren vielleicht nur sechs gute Ernten hat.

Die Bestätigung der niedrigen Ertragsfähigkeit spiegelt sich in der Auswanderung der Farmer aus Dakota. Während die nationale Bevölkerung zunimmt, stellt man in der Bevölkerungszahl dieser Gebiete ein bezeichnendes Absinken fest. (Auch die Mechanisierung der Agrikultur hat dazu beigetragen.) Im ländlichen Georgia und Südkarolina, wo Tabak und Baumwolle zusammenwirken, um die ländlichen Slums zu schaffen, die Erskine Caldwell so anschaulich schildert, kann der Lebensstandard nicht höher sein als 50% dessen, was er in Iowa ist. Die Ertragsfähigkeit lag ehemals viel höher, aber der Mißbrauch des Landes hat sie verringert, hat die umgebungsmäßigen Widerstände vermehrt, und zwar schon seit den Kolonialzeiten.

Diese Unterschiedlichkeit der Ertragsfähigkeit ist natürlich auf der ganzen Welt vorhanden. Nicht zwei Baumwollfelder, nicht zwei Weiden werden vermutlich auch nur theoretisch dieselbe Menge an Nahrung und Faserstoff liefern. Durch die verschiedenen kulturellen Komplikationen wird die Unterschiedlichkeit der Produktivität noch größer. Es ist interessant zu erwägen, was eine beliebig herausgegriffene Gruppe javanischer Farmer mit einer Insel wie Portorico anfangen würde. Wie hätte sich Mexikos Schicksal gestaltet, wenn es von Schweden besiedelt worden wäre? 

Was wäre aus Nordamerika geworden, wenn in den frühen Zeiten die Konquistadoren sich dort niedergelassen hätten und nicht ein überwiegend nordeuropäisches Geschlecht? 

Die Ertragsfähigkeit ist offenbar nicht nur eine Funktion des Bodens selbst. Und jedes Gebiet — gleichviel wie das biotische Potential sein mag — hat eine beschränkte Ertragsfähigkeit.

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 William Vogt   Road to Survival   Die Erde rächt sich   1948