Welzer zum Emmottbuch 2013

 

Von Harald Welzer  DIE ZEIT  37/2013 vom 14.09.2013 

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Der renommierte Forscher Stephen Emmott will das Publikum mit Fakten zum Klimawandel aufrütteln. Ob das hilft? 

Die erste Geschichte: 

Vor Jahren war ich auf einer Open-Space-Konferenz zur Lage des Klimas. <Open Space> heißt, dass weder die Themen im Detail festgelegt sind noch die Referenten. Man meldet in Abstimmungsrunden thematische Workshops an, erläutert kurz, was man dort zu bearbeiten gedenkt, und schaut, wie viele Leute das interessant finden. Workshops gab es zum Thema Forschungsförderung, zu Szenarien der künftigen Klimaentwicklung, zu <Kultur und Klimawandel> und einen weiteren, vorgeschlagen von einem britischen Kollegen, zum Thema <What if we fail?>. 

Dabei sollte es um die Frage gehen, welche soziale und politische Situation man zu erwarten habe, wenn eintritt, was die Klimaforschung mit überwältigender Evidenz prognostiziert: vermehrte Extremwetter-Ereignisse, Anstieg der Meere, Schmelzen des arktischen Eises und so weiter. Klar, dass solch eine Entwicklung die geopolitische Architektur heftig in Turbulenzen stürzen würde. Daher die Frage: <Was ist, wenn wir recht haben?> 
Die meisten angebotenen Workshops der Konferenz waren gut besucht. Bei dem des britischen Kollegen waren nur zwei Teilnehmer: er selbst und ich.

Die zweite Geschichte: 

Im vergangenen Jahr fand in Hannover eine wissenschaftliche Tagung statt, weil sich das Erscheinen des Berichts <Grenzen des Wachstums> zum 40. Mal jährte. Mehr als 160 Wissenschaftlerinnen und Wissenschaftler aus allen Teilen der Welt kamen, um ein Resümee zu ziehen, wo man heute stehe. Dennis Meadows höchstselbst hielt den Eröffnungsvortrag und teilte den Anwesenden mit, dass er heute keinen Pfad zu einer nachhaltigen Entwicklung mehr sehe. Zu viel sei irreversibel ausgebeutet, zerstört, vermüllt, überlastet worden, als dass ein Umsteuern noch möglich sei. Die einzige Strategie, die er noch empfehlen könne: Stellt euch auf extrem wachsenden Stress ein, macht euch für die kommenden Krisen bereit, trainiert eure Widerstandskräfte.  

Die Reaktion der Zuhörer: donnernder Applaus. 
Die Konsequenz für den weiteren Verlauf der Tagung: keine.  

Alle hielten sie ihre vorbereiteten Power-Point-Vorträge, fast alle mit katastrophalem Ausblick. Die Klimaerwärmung schreitet so ungebrochen voran wie das Bevölkerungswachstum, die Überfischung der Meere, die Übernutzung der Böden. Alle Redner beendeten ihre Vorträge mit der dringenden Aufforderung, "sofort zu handeln", um das Schlimmste noch zu verhindern.

Die dritte Geschichte: 

In London ist letztes Jahr am <Royal Court Theatre> mit großem Erfolg ein Bühnenstück aufgeführt worden, das <Ten Billion> heißt und im Wesentlichen darin besteht, dass jemand alle wichtigen Fakten zum drohenden Kollaps deklamiert. Das Stück endet nicht tröstlich. Kurz vor Schluss fasst der Autor und Rezitator Stephen Emmott bündig zusammen: "I think we’re fucked". 

Emmott leitet hauptberuflich ein Microsoft-Labor für rechnergestützte Naturwissenschaft und lehrt außerdem in Oxford. Da kommt also einer aus dem Establishment, stellt sich auf eine Bühne und gibt die absehbare Katastrophe als Stück. Die Leute sind tief betroffen, das Buch ist ein Bestseller, Emmott ein Star. 

Und jetzt die heiße Frage: 

Wie viele derjenigen, die das wahrlich erschütternde und gut gemachte Stück gesehen oder das gleichermaßen aufrüttelnde Buch gelesen haben, werden aus dem ästhetischen Erlebnis eine praktische Folgerung ziehen?

Das ist die interessante Frage an Emmotts Experiment: 

Ist die ästhetische Übersetzung der Daten ein Mittel, das die Leute endlich dem glauben ließe, was sie wissen? 

Der tief greifende Bewusstseinswandel, der in den westlichen Ländern stattgefunden hat, hat ja nie wirklich das Handeln erreicht: Jedes Jahr gibt es einen neuen Rekord im Material- und Energieverbrauch, in den Emissions- und Müllmengen. 

Deshalb ist Emmotts Versuch, den Weg der wissenschaftlichen Aufklärung zu verlassen, zu begrüßen, denn inzwischen sind all die Nachrichten, Statistiken und Diagramme zum Niedergang der Zukunftsaussichten in die kommunikativen Benutzer­oberflächen moderner Gesellschaften eingepreist.

Es hat sich eine Besorgnisindustrie etabliert, die Realängste bewirtschaftet, die aus den Daten resultieren sollten. Sie kanalisiert die Ängste, bis jeder in die Rhetorik des "Wenn wir nicht ..." einstimmt, die aber nur die Ornamentik zum ungebrochenen Weitermachen liefert. 

Das heißt: Die Besorgnis hat einen anderen sozialen und politischen Ort als die Produktion, der Konsum einen anderen als das Bewusstsein, und deshalb geht alles so weiter wie gehabt. Bis es eben nicht mehr weitergeht.

Wenn dem so ist, so Emmotts Ansatz, muss man das Problem ästhetisch angehen, in ein Drama übersetzen, in dem die Zuschauer das bewegende und verursachende Element darstellen und in dem kein Deus ex Machina erscheint, der das Unheil abwendet – "we’re fucked".

Dass aus dieser Formulierung in der Übersetzung ein gemütliches "Ich glaube, wir sind nicht mehr zu retten" geworden ist, läuft dem kathartischen Prinzip zuwider, das Emmott verfolgt. 

In der Originalfassung treibt die Aufzählung aller beunruhigenden Fakten auf ein Finale zu, das keine Hoffnung auf einen guten Ausgang mehr vorsieht. Im Gegenteil: Das Stück endet noch schlimmer, weshalb ich das Ende hier nicht verrate. Das Publikum wird alleingelassen mit dem, was es anrichtet, weil es niemanden als dieses Publikum gibt, das davon ablassen könnte, weiterzumachen.

Emmotts Hinweise auf das Mögliche bleiben vage: Nur eine radikale Verhaltensänderung und eine diese nachvollziehende und unterstützende radikal veränderte Politik könnten noch das Schlimmste verhindern. 

Aber Emmott glaubt nicht daran, dass so etwas geschehen könnte: "Nichts deutet darauf hin, dass dies gerade geschieht oder irgendwann geschehen wird. Ich glaube, alles wird einfach so weitergehen wie bisher." 

In der ästhetischen Logik des Stücks ist angelegt, dass nirgends Hoffnung aufscheint. Insofern erzeugt Emmotts atemlose Aufzählung den Schock der Ausweglosigkeit, aus dem wohl der Impuls zur radikalen Veränderung entstehen soll. 

Das ist eine Strategie der paradoxen Intervention. 

Dumm ist nur, dass die selbst gemachte Apokalypse eben keine ist, die unterschiedslos alle trifft. Sondern sie zieht sich über Jahrzehnte hin und bleibt gerade für diejenigen unernst und unwirklich, die noch davon profitieren, dass alles so weitergeht. 

Man mag der Emmottschen Katharsis allen Erfolg wünschen. Auf ihre Wirkung vertrauen sollte man nicht.

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