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Teil 4    Töchter und ihre Väter 

 

1. Schwierige Väter

 

 

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Die Unterdrückung der Frau durch den Mann ist in unserer Kultur noch immer gang und gäbe. Männer dürfen sich vom Patriarchat nichts Gegenteiliges einreden lassen und müssen sich dieses Themas annehmen. Ich höre immer wieder aus den Kreisen der Männer: »Das sind doch alte Hüte«. Solche rationalisierenden Äußerungen kommen von Leuten, welche die Unterdrückung der Frau und auch den sexuellen Mißbrauch bagatellisieren oder leugnen.

Männer, die sich für tüchtiger, klüger und besser halten als die Frau, und die lernen müssen, daß diese Vorstellung ein Irrtum ist, empfinden so etwas wie eine narzißtische Kränkung. Ich nenne dies den Nora-Konflikt, nach dem aufklärerisch-feministischen Theaterstück von Henrik Ibsen. Ein Mann, der sich gekränkt fühlt, wenn man ihm sagt: »Du kannst von deiner Frau etwas lernen«, lebt als Vater zumeist in dem Glauben, seine Tochter gehöre ihm. Manche Väter behandeln ihre Töchter geradezu wie Sklavinnen. 

Männliche Psychologen müßten die Töchter zu Wort kommen lassen. Frauen nehmen immer wieder Stellung und berichten über ihre Beziehung zum Vater. Sie erzählen, daß Väter für sie diejenigen sind, die scheinbar alles schon wissen. Der Vater tritt seiner Tochter gegenüber so auf, als ob er eine quälende Angst davor hat, irgend etwas nicht zu können. Er leidet unter einer fast zwanghaften Art von Gewißheit, Macht haben und für seine Tochter eine Autorität sein zu müssen.

Der Vater weiß in der Regel nicht, wie man Kinder erzieht, fragt aber auch nicht und glaubt nicht, ein Gegenüber zu brauchen, um Mensch zu werden. Er setzt seinen Kindern schon frühzeitig Denkhemmungen, weil er Erziehung autoritär ausübt. Weil er immer mit dem Fetisch der scheinbaren eigenen Sicherheit lebt, meint er, daß er auch immer am besten weiß, was zu geschehen hat. Deshalb versagt er gegenüber seinen Kindern.

In der Untersuchung »Die Männer« (1978) hielt Helge Pross fest, daß der autoritäre Vater immer noch vorherrscht. Unter seinem Regiment wird die Familie zur Schule der Autorität, besser: der Pseudo-Autorität. Wir absolvieren in der Familie das Lernprogramm: vor dem Vater Angst haben, gehorsam sein und ihn nicht kritisieren.

Die These von Alexander Mitscherlich, daß wir auf dem ' Weg zur vaterlosen Gesellschaft sind, scheint nicht zu stimmen. Pross führt plausibel aus, daß die väterliche Herrschaft in der Familie mit den Machtstrukturen in Wirtschaft, Militär, Verwaltung, Parteien und Verbänden übereinstimmt. Die Grundlage wird in der Familie gelegt. Der Vater darf über Frau und Kinder disponieren, er ist Herr im Haus, weil er das Geld verdient und die Macht hat. Er gewöhnt seine Kinder an Bescheidenheit und Gehorsam ihm gegenüber.

Pross hat Gruppendiskussionen mit Vätern und Nicht-Vätern angeregt. Dabei diskutierten die Männer engagiert und ausführlich Mutter-Aufgaben, Vater-Aufgaben nur sehr karg und distanziert. Sie waren sich darüber einig, daß es gut ist, Kinder zu haben, aber darüber hinaus machten sie sich nicht viele Gedanken. Auf die Frage »Warum Kinder?« wurden Antworten gegeben wie »Ich möchte irgendwie fortleben«, »Ich möchte etwas Junges haben, um selber jung zu bleiben, um an einer Art Unsterblichkeit mitzuwirken und nach dem Tod fortzuleben«, »Ich möchte Kinder haben, weil Kinder Spaß machen, weil ich mich einfach zu Kindern hingezogen fühle«.

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An diesen Antworten sehen wir, daß Väter im allgemeinen kein Problembewußtsein davon haben, welche Aufgabe auf sie zukommt, wenn sie Väter werden. Sie wissen nicht, was es heißt, sich ihren Kindern wirklich zuzuwenden. Die Angelegenheiten der Kinder werden von den Vätern oft auch gegen den Willen der Mütter entschieden. Zwischen Eltern und Kindern herrscht Schweigen, männliches Schweigen.

Obwohl Mütter Anwälte der Liberalität sind und Väter durch diese Mütter in ihrer autoritären Erziehung etwas gebremst werden, genießen Väter eher Respekt bei den Kindern. Sie beschäftigen sich mit den ganz kleinen Kindern sehr wenig und überlassen das vollständig den Müttern. »Aus natürlichen Gründen« tue sich ein Mann schwer damit, Kontakt zu Säuglingen und Kleinkindern zu finden. Oder der Vater sagt schlicht: »Ich habe dafür einfach keine Zeit.« Väter lassen Schulkindern wenig Hilfe zukommen, weil sie der Ansicht sind, das sei Sache der Frau. Die Mutter soll den Kontakt zu den Lehrern herstellen.

Bei mir war das auch so. Meine Mutter ging, als ich in der zwölften Klasse war, zum Klassenlehrer und sagte: »Mein Junge ist noch zu unerfahren. Lassen Sie ihn sitzen.« Meine Mutter hatte recht. Ich bin dann tatsächlich sitzengeblieben, die Lehrer gaben mir zwei Fünfen auf dem Zeugnis, wahrscheinlich nicht zu Recht. Dennoch bin ich meiner Mutter dafür dankbar, daß ich Gelegenheit bekam, dieses Jahr in der Schule zu wiederholen. Mir gefiel es in der Schule. Ich war vorher einer der schlechtesten Schüler gewesen und in der neuen Klasse einer der besten. Die Rolle des besseren Schülers hat mir sehr gutgetan, brachte mir Selbstbewußtsein.

Ich wundere mich nur darüber, warum meine Mutter das übernommen hat und nicht mein Vater, obwohl er von seiner Ausbildung her besser geeignet gewesen wäre, mit den Lehrern zu verhandeln. 

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Aber Väter sind eben keine aktiven Erzieher. Allenfalls spielen sie mit Kindern, gehen mit ihnen spazieren. Doch die Zusammenarbeit mit den Kindern kommt zu kurz. Unangenehme Konflikte und Auseinandersetzungen werden der Mutter überlassen, auch disziplinarische Maßnahmen, Beaufsichtigung der Schulaufgaben oder die Vorbereitung des nächsten Tages. Kranke Kinder werden immer von der Mutter gepflegt.

Es gibt auch andere Beziehungsmuster zwischen Vätern und Töchtern. Eines davon zeigt sich darin, daß die Mutter immer zwischen dem Vater und der Tochter steht, den beiden nie einen direkten Zugang zueinander ermöglicht. Roswitha Neumann hat das so erlebt:

»Der Kontakt zum Vater war immer durch die Mutter bestimmt. Es gab nie eine direkte Beziehung zwischen mir und meinem Vater. Es ist für mich nicht leicht gewesen, Zuwendung von ihm zu bekommen. Die Mutter hat zwischen dem Vater und mir vermittelt. Ich wußte zwar, daß mein Vater immer gerne wollte, daß ich bei ihm bin, aber meine Mutter hat unseren Kontakt geregelt. Ich habe meinen Vater eigentlich gar nicht wahrgenommen. Manchmal habe ich sogar gedacht, wenn der nicht wäre, dann wäre alles viel einfacher.

Wenn ich traurig war, dann hat er sich für unzuständig erklärt, er konnte mich nicht trösten. Er hat immer auf meine Freundinnen geschimpft. Mit ihnen war ich vertrauter als mit ihm. Darüber hat er dann seine Witze gemacht. Mein Vater hat nie die Initiative ergriffen, ein Gespräch mit uns Kindern zu führen. Allerdings hat er mich viel kritisiert. Er konnte auf mich nicht eingehen, wußte nicht, warum ich mich jetzt so oder so fühle.

Mein Vater war ein Mensch, der sich nicht selbst akzeptieren konnte. Später hat er manchmal Solidarität mit mir versucht, indem er gesagt hat: »Wir beide«, Vater und Tochter, sind die, die nicht so akzeptiert werden. Auf der anderen Seite standen Mutter und Sohn. Wir beide aber, Vater und Tochter, waren in seinen Augen nicht erfolgreich.

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Mein Vater war ein ganz starker Schweiger. Sein Schweigen hat mir auch Angst gemacht. Er war nicht eigentlich ein massiver, lautstarker, autoritärer Typ, sondern eher schüchtern. Er hat nirgends Raum eingenommen; wenn er ins Zimmer kam, senkte sich ein Schleier von Sprachlosigkeit über alle Menschen. Dieses erdrückende Schweigen, diese Stimmung, die er verbreitet hat, hat mich sehr beeindruckt. Er war depressiv, in gewissem Sinn wie ein wandelnder Vorwurf.

Kritik am Vater war nicht erlaubt, Auseinandersetzung war völlig unmöglich. Das hat auch meine Mutter verhindert. Mein Vater konnte sich nicht durchsetzen, wurde als Schwächling hingestellt, der nichts so richtig kann.

Mein Vater wußte nicht sehr viel von mir. Die Mutter hat dafür gesorgt, daß er es nicht weiß. Und auch ich habe mich bemüht, daß er nicht so viel von mir erfährt. Ich habe mich ihm entzogen, habe nichts richtig an ihn herangetragen. Und erst heute wird mir klar, daß er eigentlich um die Beziehung zu mir betrogen worden ist, daß sich die Mutter dazwischen gestellt hat. Heute ist mir der Kontakt zu ihm angenehmer als der zu meiner Mutter, aber »einfach« ist er immer noch nicht. Ich hatte nie das Gefühl, von ihm etwas lernen zu können. Ich habe ihn stark abgelehnt. Darüber war er sehr gekränkt.«

Was tun Väter aus eigener Initiative, um ihre Töchter zu beeinflussen? Das geschieht in vielerlei Hinsicht, bei der Wahl des Berufes der Tochter, ihres Liebespartners, ihrer Weltanschauung. Immer sind Väter damit beschäftigt, der Tochter alles Mögliche auszureden.

Auch Simone de Beauvoir war von der Behinderung der Berufswahl betroffen. Sie sollte ausdrücklich ein intellektuelles Leben fuhren. Als sie dann aber begann, sich intensiv mit Büchern zu beschäftigen, wurde dem Vater das zuviel. Er wurde wütend und äußerte prompt, er wolle sie lieber verheiratet sehen.

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Colette Dowling berichtet in ihrem Buch »Der Cinderella-Komplex« weitere Beispiele für die Behinderung von Töchtern durch ihre Väter. Eine Frau erzählt, daß sie Gedichte geschrieben hat. Das galt als etwas Schlimmes, weil der Vater Dichter werden und auch immer Gedichte schreiben wollte, aber versagt hatte. Nun schrieb seine Tochter Gedichte, das empfand er als Verrat. Er interpretierte ihre Gedichte als unangenehmes Verhalten ihm gegenüber und sagte: »Vom Gedichteschreiben kann man nicht leben. Laß das lieber. Ich finanziere dir dein Studium, aber nur, wenn du studierst, was ich für richtig halte. Richterin darfst du werden, Psychotherapeutin nicht.«

Ähnliches wird auch in dem Buch »Das unterdrückte Talent« von Germaine Greer dargestellt. Die Autorin hat vierhundert Jahre Geschichte analysiert, und überall war es dasselbe: Die Künstler-Väter ermutigten ihre Töchter, solange sie genau so gemalt haben wie sie selbst. Dann galten sie als gute Schülerinnen, wurden »begabt« genannt und unterstützt. Sobald sie aber begannen, ihren eigenen Stil zu entwickeln, wurden sie meist von den Vätern abgedrängt oder verstoßen.

    Sexuelle Ausbeutung durch den Vater   

 

Wir leben heute in einer Zeit, in der wir wissen könnten, was Töchtern passiert. Wenn wir uns ernsthaft mit der Kindheitsgeschichte der Töchter befassen, stoßen wir auf eines der schwierigsten Probleme der Männer. Das Thema ist nach wie vor aktuell, wird von Feministinnen aktiv angegangen. Ich halte es für wichtig, mich diesem Thema zuzuwenden und es nicht auszuklammern, auch weil ich in meiner therapeutischen Arbeit immer wieder damit konfrontiert werde.

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»Hundertprozentig« heißt der Bericht von Margot Lang in dem von ihr herausgegebenen Buch »Mein Vater — Frauen erzählen vom ersten Mann ihres Lebens«. Dieser Bericht zeigt die sexuelle Ausbeutung durch den Vater, dessen schrankenlose Macht ihm erlaubt, mit seiner Tochter alles zu machen, was er will.

Margot Lang beginnt mit der Schilderung eines Nachmittags, an dem es zu Hause Kaffee und Kuchen gab, sie aus dem Wohnzimmer herausging, der Vater hinterherkam und nach ihr grapschte. Sie war gerade dreizehn Jahre alt.

Er begann, seine Tochter zu verfolgen. Margot hatte Sehnsucht nach ihrem Vater, weil er ihr früher jeden Abend eine Geschichte vorgelesen, alle Fragen beantwortet, den Rücken gestreichelt hat, bis sie eingeschlafen war. Im Alter von zwölf Jahren war Margot schon sehr hübsch. Sie schreibt: »Wir belauerten uns jetzt wie zwei Raubtiere. Nachts, wenn ich im Dunkeln im Bett lag und er kam, fanden wir die alte Vertrautheit wieder. Leise, um die anderen nicht zu wecken, sprachen wir miteinander ... Meine Mutter und ich begannen, uns zu hassen.«

Bis hierher hört sich die Schilderung von Margot Lang so an, als wolle sie die Freudsche Idee vom Ödipus-Komplex bestätigen. Dann kam es anders.

An jenem Nachmittag nämlich folgte der Vater Margot, 

»umfaßte mich von hinten, zog mir den Pulli hoch.... Hunderte von langen Nächten waren vorausgegangen. Nächte, in denen ich nicht einschlafen konnte, nicht durfte. Schlief ich ein, so mußte ich immer damit rechnen, daß er mich festhielt mit der einen Hand, mich mit der anderen unter der Decke anfaßte. Bewegen hätte ich mich nicht können, er war ja stärker. Zu schreien hätte ich mich nicht getraut, wem hätte ich hinterher >alles< erklären sollen. Endlich erklären, warum ich immer neue Schlüssel für das Zimmer anfertigen ließ. ... Erklären, was zwei Jahre Schlaflosigkeit sind. Erst einige Tage zuvor war ich weinend in der Schule zusammengebrochen, konnte niemandem sagen, weshalb.«

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Diese Tochter beschreibt eindringlich, was in ihr vorgegangen ist. Sie wurde mit der Situation nicht fertig. All ihren Mut verbrauchte sie in den Nächten, ihre Angst auch. Sie betrachtete ihren Vater nie als richtigen Erwachsenen, er sie wohl auch nicht als richtiges Kind. Später tauchte der Vater nur noch in betrunkenem Zustand bei ihr auf, wenn er etwas von ihr wollte. Mit neunzehn Jahren war sie verheiratet und fing schon an zu schreien und zu beißen, wenn ihr Mann sie, während sie schlief, auch nur berührte.

Die Mutter wußte alles. Sie konnte oder wollte ihrer Tochter nicht helfen, konnte sie nicht einmal ansehen. Alle Familienmitglieder taten so, als sei das Mädchen schuld. Und manche Frauen halten sich tatsächlich für Hexen, für Dämoninnen — sie denken, sie seien für Männer gefährlich und halten sich diese auf die eine oder andere Weise vom Leib.

Margot Lang litt jahrelang ganz entsetzlich unter ihrem Vater: »Panik — vor allem, wenn ich einmal zur Ruhe komme. Das ist im Urlaub, oft nachts: Er wird kommen, mich umbringen, zerstören, endgültig, schnell, befreien.« Die Zerstörung durch ihren Vater hätte sie wie eine Befreiung empfunden. Dieser Vater hat ihr den Sinn des Lebens genommen, sie psychisch zerstört.

Um den Zusammenhang der sexuellen Ausbeutung und sexuellen Gewalt besser zu verstehen, empfehle ich das Buch »Das bestgehütete Geheimnis« von Florence Rush über sexuellen Kindermißbrauch. Es handelt von Vätern, die sich überrascht zeigen, wenn man sie darauf hinweist, daß sexuelle Kontakte mit ihrer eigenen Tochter strafbar sind. Die Väter sind der Meinung, daß dieser sexuelle Zugang eine ganz natürliche Sache sei. Sie halten Inzest nicht für strafbar oder für Unrecht. Im Gegenteil: Die sexuelle Ausbeutung ihrer Töchter empfinden sie als ihr gutes Recht, sozusagen von der Natur verliehen.

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Zur Rede gestellte Väter äußern sich zum Beispiel so: »Meine Tochter ist für mich sehr aufreizend gewesen.« Oder sie geben an, daß die Mutter schuld war, weil sie insgeheim sogar gewollt hat, daß der Vater mit der Tochter Sexualität hat. Insgesamt lautet der Tenor bei den Vätern, daß kein großer Schaden angerichtet worden sei. Eine ledige Tochter gehöre nun einmal ihrem Vater. Selbst in der Bibel gebe es kein Tabu gegen den Vater-Tochter-Inzest. Dieser sei historisch auch nie verurteilt worden, schreibt Florence Rush. Und die Ehefrau nehme alle Greueltaten ihres Mannes, einschließlich der Blutschande mit der eigenen Tochter, geduldig hin. 

Sogar von männlichen Wissenschaftlern sei zu hören, daß, wenn eine hübsche junge Tochter ihren Papa umarme und küsse, dann nur ein äußerst abgestumpfter Vater nicht erregt würde und die Situation nicht fortsetzen wolle. Rush erwähnt die angesehene Anthropologin Margaret Mead, die das Interesse der Väter an ihren kleinen, reizenden Töchtern alltäglich fand. Die Gesellschaft, so Mead, müsse einen Weg finden, um die Väter vor der Versuchung zu schützen.

Barbara Kavemann und Ingrid Lohstöter vertreten in ihrem Buch »Väter als Täter« die Meinung, daß diese Töchter immer Opfer sind: »Das Opfer muß die Folgen tragen. Alle Kinder brauchen Liebe, körperliche Zärtlichkeit und emotionale Wärme. Alle Mädchen brauchen Anerkennung ihrer Weiblichkeit, um zuversichtlich in ihr späteres Leben als Frau hineinwachsen zu können. Wenn ihnen statt dessen sexuelle Gewalt begegnet, wenn sie in der eigenen Familie als Sexualobjekt benutzt werden, entstehen Verletzungen, an denen die Frauen oft lebenslang zu tragen haben — Väter gelten nicht als Täter, sondern als Beschützer.

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Das vergrößert Vertrauensseligkeit und Unbefangenheit der Mädchen, aber auch — wenn wirklich etwas passiert — ihren Schock, ihre Schuldgefühle, ihre Ratlosigkeit. In welche Worte sollen sie das Unfaßbare auch fassen? Das Verschweigen des Mißbrauchs vergrößert den Handlungsspielraum der Täter. Sie müssen kaum Angst haben, daß ihre Taten entdeckt, daß sie zur Rechenschaft gezogen werden.

In der Einleitung mit der Überschrift »Es kann in jeder Familie vorkommen«, schreiben die Autorinnen: »Es ist auch eine Tatsache, daß selbst die allernächste Umwelt des Mädchens seine Signale und Hilferufe nicht hört, nicht versteht oder aus Unkenntnis und Überforderung nicht verstehen will. Da dem Mädchen niemand hilft und sich auch niemand anbietet, den ein Mädchen ins Vertrauen ziehen könnte, nimmt das Geschehen seinen Lauf, bleibt der alltägliche Schrecken unverarbeitet und begleitet das Trauma das Mädchen sein Leben lang.«

Diese Mädchen sind einsam und verzweifelt; sie werden vielleicht vor dem »fremden Onkel« oder »fremden Mann« gewarnt, doch damit wird ihnen suggeriert, daß sie vor ihren Vätern so gut wie keine Angst haben müssen. Niemand wird den Vater zur Rechenschaft ziehen, niemand wird das Mädchen verstehen.

Es bedarf keiner brutalen körperlichen Gewaltausübung, um ein Mädchen über Jahre hinweg zum — scheinbar freiwilligen — Sexualobjekt zu machen. Aber Machtmißbrauch ist immer ausschlaggebend. Die betroffenen Mädchen haben ein schlechtes Gewissen, werden dem Vater gegenüber und auch sonst in der Familie zu Anpasserei und Duckmäuserei gezwungen, häufig zu Unrecht bestraft oder beschuldigt, in vielen Fällen aber auch auf brutalste Art und Weise geschlagen und mißhandelt. Jeglicher Widerstand ist für sie gefährlich. Der bedingungslose Respekt vor dem Vater gehört zu den zentralen Inhalten der Erziehung dieser mißbrauchten Mädchen.

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Viele verdeckte Signale machen auf den Mißbrauch aufmerksam; sie sind nicht immer leicht und eindeutig zu entschlüsseln. Eine Tochter badet sich täglich, schrubbt sich mehrmals ab. Eine Neunjährige spricht von Bauchschmerzen und deutet auf die Vagina. Niemand versteht etwas, bis sie mit dreizehn Jahren schwanger wird. Eine Siebenjährige schläft bekleidet und wartet schon sehr früh in der Schule auf den Unterrichtsbeginn, aus Angst vor Übergriffen des Stiefvaters. Ein Mädchen würgt ein anderes brutal. Mädchen wollen nicht mehr zu Hause wohnen, laufen von dort weg. Alle haben Angst, daß niemand ihnen glaubt, deshalb reden sie auch nicht, sondern versuchen, Signale an die Umwelt zu senden, die schwer zu verstehen sind.

Florence Rush weist auf die Ansicht des bekannten Sexualforschers William Masters hin, der die Kombination »junge Frau — älterer Mann« für selbstverständlich hält. Er meint, die Häufigkeit von Vater-Tochter-Inzest habe nichts mit dem Meiden der Mütter zu tun. Es sei lediglich eine Frage der Ästhetik. Zu dieser Ästhetik gehört dann, daß nach Alfred Kinsey jede vierte Frau als Kind sexuelle Erfahrungen mit Erwachsenen hat erdulden müssen.

85 Prozent aller Inzestfälle spielen sich zwischen Vater und Tochter ab und werden deshalb meist im Verborgenen ausgeführt. Die Kultur fördert männliche Zügellosigkeit und zugleich weibliche Attraktivität. Auf diese Weise kommen Frauen zu der Überzeugung, sie seien sexuell gefährlich, und entwickeln ein äußerst hartes Über-Ich.

Mir persönlich erscheint es nicht uneinfühlbar, daß ein älterer Mann sich von seiner Tochter erotisch angezogen fühlt. Ethisch gesehen, muß er die Hände von ihr lassen und sich darum bemühen, die Beziehung zu seiner Frau oder einer im Alter erwachseneren, ihm entsprechenden Frau zu suchen. Vielen Vätern scheint die Tochter nicht nur verlockend, sondern auch einfacher zu handhaben. Sie kann sich noch nicht so wehren.

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Die Mädchen, die Opfer des sexuellen Interesses ihrer Väter sind, werden im allgemeinen für den Inzest verantwortlich gemacht. Man behauptet, sie hätten ihre Vater verführt. Aus diesem Grund ist das sexuelle Schuldgefühl der Frau so weit verbreitet. Die Inzest-Väter entschuldigen sich so, und die Töchter halten sich für schuldig, nehmen die Schuld auf sich, die eigentlich ihre Väter haben.

Florence Rush weist darauf hin, daß in unserer Kultur kein Inzest-Tabu besteht, daß nicht der sexuelle Mißbrauch tabu ist, sondern das Sprechen darüber. Das Schweigen der Väter belegt dies eindrücklich. Oft sind die betroffenen Mädchen nicht bereit, über die erlebten Traumata zu sprechen, bleiben treue Geheimnisträgerinnen, weil sie ihren Vater lieben und ihm nicht wehtun wollen.

Männer bagatellisieren das Problem und bezeichnen die feministische Aufklärungsarbeit als banales Gerede. Sie diffamieren alle, die sich dem Problem ernsthaft zuwenden, und versuchen, Frauen lächerlich zu machen. Sogar Fachleute, selbst Psychoanalytiker, beschuldigen das mißbrauchte Kind und verzeihen dem Vater.

Florence Rush ist der Ansicht, daß Freud mit seiner Odipus-Theorie (die besagt, daß das Mädchen den Vater sexuell begehrt, die Mutter beseitigen und den Vater verführen will) die Erklärung bzw. Begründung für die sexuelle Gewalt gegen Kinder liefert. Nun konnte man Kinder ohne Schuldgefühle mißbrauchen und dennoch ein gutes Gewissen behalten. Man konnte rationalisieren, daß man letztlich nur die sexuellen Wünsche der Kinder erfülle, wenn man sich ihnen erotisch nähere. Die Ödipus-Theorie Freuds hat sicherlich pädophile Tendenzen unterstützt.

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Ich vertrete die Meinung, daß auch für den Fall, daß die Tochter den Vater verführen will, dieser nicht das Recht hat, auf diese »Verführung« einzugehen. Der Vater ist der Ältere und hat die Verantwortung. Ich sage das, obwohl ich nicht glaube, daß es überhaupt viele Mädchen gibt, die mit erotischen Angeboten an ihre Väter herantreten.

Da dem Mädchen ausgeredet wird, erlebt zu haben, was es erlebt hat, wird es auch der Mutter selten davon erzählen. Deshalb kommt es dazu, daß Kinder — Mädchen und Jungen — ihre Eltern entschuldigen, schonen und idealisieren. Sie bagatellisieren die Grausamkeiten der sexuellen Gewalt, natürlich auch deshalb, weil sie ohne ein bißchen Liebe der Eltern nicht leben können, und weil sie von den Eltern abhängig sind. Die Folge ist immer die tragische Isolierung der sexuell gewalttätig behandelten Frauen, die nichts anderes tun können, als den eigenen Verfolger zu schützen. Durch die psychoanalytische Therorie werden sie noch mehr verwirrt und fragen sich: »Was ist falsch an mir, daß ich solche Phantasien habe?« Die Betroffenen bekommen Schuldgefühle, verlieren den Kontakt zu ihren Gefühlen, geraten in Gefahr, eine Bewußtseinsspaltung zu entwickeln, schizophren zu werden.

Auch heute noch gibt es eine Reihe von vor allem männlichen Psychologen und Psychoanalytikern, die Frauen einreden wollen, daß diese phantasieren, wenn sie von Mißbrauchserlebnissen berichten, die in der Kindheit stattgefunden haben. Sie versuchen, Frauen sogenannte ödipale Phantasien zu verbieten, und stürzen sie damit noch stärker in psychisches Unglück. Andere gehen noch weiter und tun so, als ob Inzest unter bestimmten Umständen Spaß mache und völlig unschädlich sei.

In der Geschichte der Menschheit gab es immer wieder Menschen, die bestimmte Erkenntnisse hatten, diese aber unter dem Druck gesellschaftlichen oder persönlichen Widerstandes gegen die Aufdeckung gefährlicher Erkenntnisse wieder preisgaben. 

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In ihrem Buch »Du sollst nicht merken« erwähnt Alice Miller die Schrift »Zur Ätiologie der Hysterie« von Sigmund Freud. Im Jahr 1898 stellte der Begründer der Psychoanalyse fest, daß in allen achtzehn von ihm behandelten Fällen von Hysterie — darunter waren sechs Männer und zwölf Frauen — ein sexueller Mißbrauch vorlag, der durch Erwachsene oder ältere Geschwister an jüngeren Kindern begangen worden war.

Freud war nicht nur überrascht, sondern entsetzt. Seine Erkenntnis kam ihm ungeheuerlich vor. Zunächst neigte er zu einer moralischen Verurteilung der Erwachsenen und nannte deren Verhalten pervers. Immer wieder aber war er versucht, nicht zu glauben, was die Klienten ihm erzählt hatten. Und immer wieder hat er mit Geboten aus seiner eigenen Erziehung gerungen.

Von da an lebte Freud mit einem Widerspruch zwischen »Ich habe es entdeckt« und »Es kann nicht sein, weil es nicht sein darf«. Es war ihm klar, daß der Erwachsene die Macht, die Autorität gegenüber dem Kind besaß, daß er sich das Recht herausnehmen konnte, seine sexuellen Bedürfnisse ungehemmt zu befriedigen. Es war ihm auch klar, daß das Kind durch seine Hilflosigkeit der Willkür der Erwachsenen preisgegeben war.

Die Erkenntnis aber, daß Erwachsene Kinder sexuell gewalttätig mißbrauchen, hat auch Sigmund Freud überfordert. Er sah sich dazu veranlaßt, seine Erkenntnisse zu leugnen, keine weiteren Fragen mehr in dieser Richtung zu stellen, die Wahrheit zu verdrängen und seine Theorie, daß Erwachsene Kinder verführen, aufzugeben. Er muß unbewußt geahnt haben, daß er die Menschen mit diesen Erkenntnissen zu stark beunruhigen würde, daß sie es lieber nicht wissen wollen.

Also gab Freud die Verführungstheorie auf. 

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Dann installierte er die Triebtherorie, die auf dem Postulat der infantilen Sexualität und dem Ödipus-Komplex beruht. Damit konnte die Idealisierung und Schonung der Eltern erhalten bleiben. Die Verführungsthese wurde tabuisiert, die Berichte der Patienten zu Phantasien erklärt. Die Machtausübung gegenüber Kindern, das sexuelle Benutzen der Kinder konnte ungestört weitergehen. Eine narzißtische Kränkung blieb den Erwachsenen erspart. Vor allem unter dem Druck seiner eigenen geheimen Verbote, seiner Über-Ich-Schranken hat Freud die Verführungstheorie aufgegeben und die Triebtheorie vom sogenannten Ödipus-Komplex lanciert.

Die Theorie von der infantilen Sexualität wurde nun benutzt, die Empörung über den sexuellen Mißbrauch nicht mehr gegen den Vater, sondern gegen die Tochter zu richten, die begonnen hatte, davon zu sprechen. Weil angeblich schon kleine Kinder sexuelle Bedürfnisse auf ihre Eltern richten, schien es nun nichts Böses mehr zu sein, diese in die Kinder projizierten Bedürfnisse zu befriedigen, an ihnen sexuelle Handlungen vorzunehmen, dann aber darüber zu schweigen. Man gab vor, daß der Inzest dem Kind nicht schaden würde, wenn er ihm nicht bewußt wird. So vollzog sich der Mißbrauch sprachlos.

Alice Miller fugt hinzu, daß das betroffene Kind mit diesem unauflösbaren Widerspruch fertigwerden muß, »daß es schmutzig und verdorben sei, wenn es sein eigenes Genitale berühre, daß es aber gleichzeitig böse wäre, das Spiel mit seinem Körper dem Erwachsenen zu verweigern.« Der Titel ihres Buches bedeutet also: »Kind, du sollst nicht merken, daß du von deinem Vater oder deiner Mutter sexuell mißbraucht wirst.«

Ich habe mich nach der Lektüre von Florence Rush und Alice Miller gefragt, was das für ein Mann sein muß, der »nicht anders kann«, der sich gezwungen und berechtigt fühlt, sich seiner Tochter sexuell zu nähern. Ich sehe ihn als erotisch unbefriedigten Mann, der wahrscheinlich unter sexueller Spannung steht und, wenn er seine Tochter sieht, sexuelle Begierde entwickelt. Er glaubt, mit niemandem darüber sprechen zu können, auch nicht mit seiner eigenen Frau. Er hält den Inzest für normal, für unschädlich, und spürt nicht die Verpflichtung, die Beziehung zu seiner Frau und zu seiner Tochter therapeutisch zu problematisieren, zu klären und zu verbessern. Statt dessen wird geschwiegen. Es ist für den Mann unmöglich und mit seiner Vorstellung von Männlichkeit nicht zu vereinbaren, sich jemandem anzuvertrauen und gegebenenfalls professionelle Hilfe in Anspruch zu nehmen, um herauszubekommen, was eigentlich mit ihm los ist. Oder herauszufinden, warum er in der Beziehung zu seiner Frau sexuell unbefriedigt bleibt.

Der Meinung mancher Feministinnen »Jeder Mann ist ein potentieller Vergewaltiger« kann ich mich nicht anschließen. Doch was ist die Ursache für diese seelischen und körperlichen Grausamkeiten? Ist der Vater sexuell unbefriedigt? Ist er ein Triebtäter? Zu schnelle Antworten drängen sich auf. Meistens ist er ein ganz normaler Mann, der mit seiner Frau nicht genügend sexuellen Kontakt hat, mit ihr nicht spricht, sie nicht umwirbt, keine Konflikte mir ihr bespricht und keine Gefühle äußert. Ein Mann, der niemals über Mängelgefühle, Schwächegefühle spricht, nicht trauert und keine Angst entwickelt. Ein ganz normaler Mann, der strikt ablehnt, irgendeine Art von Therapie zu machen oder eine Männergruppe aufzusuchen. Ein Mann, der sich nicht verantwortlich fühlt für die Menschen, mit denen er zu tun hat. Ein Mann, der diese Menschen nicht kennt: die Frau nicht, die Tochter nicht, sich selbst nicht. Ein Mann ohne Menschenkenntnis.

Auch solche Väter — und gerade sie — wollen ihre Töchter vor allem folgsam und gefügig. Sie sind daran interessiert, ihre Töchter zur Ehefähigkeit zu erziehen. Sie sollen schnell erwachsen werden, nicht ehrgeizig sein, nicht anstreben, in einem Beruf weiterzukommen. Die Mädchen müssen all die Sachen machen, die Mutter vorgemacht hat. Sie müssen vor allem in der Nähe des Vaters bleiben, sich hübsch machen für ihn. Auf diese Weise werden Töchter in die klassische Frauenrolle hineingezwungen, in die Rolle, Hausfrau zu sein, im Hause zu bleiben, dort zu arbeiten, sexuell anziehend zu sein und ausbeutbar.

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