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4. Kreis 

  Mensch und Tier

Der Prediger — Sprüche — Demokrit — Leonardo da Vinci — Liä Dsi — Brüder Grimm 
— Buddhistisches Märchen — Die Indianer — Whitman — Schweitzer — Dostojewski 

 

92-103

Die Stelle des Alten Testaments, die ökologische Zusammenhänge am eindrucksvollsten darbietet, stammt aus dem Buch des <Predigers>, in dem man den König Salomo sehen wollte. Es enthält auch die einzige Stelle der Bibel, in der die Menschen keinen höheren Rang als die Tiere einnehmen. 

Das Neue Testament dagegen kreist in seinen Aussagen allein um den Menschen. Insofern hatte Arthur Schopenhauer mit seiner Kritik an der christlichen Religion recht, daß sie ihre Moralvorschriften auf den Menschen beschränke, hingegen die gesamte Tierwelt rechtlos lasse: »Man möchte wahrlich sagen, die Menschen sind die Teufel der Erde und die Tiere die geplagten Seelen.« 

Die Asiaten haben ein ganz anderes Verhältnis zur Tierwelt als die Europäer, da schon der Glaube an die Seelenwanderung zur Achtung der Tiere führen mußte. Die Gleichartigkeit von Mensch und Tier wird in den Erzählungen des chinesischen Philosophen Liä Dsi dargelegt und ist in den buddhistischen Märchen selbstverständlich.

Der griechische Philosoph Demokrit billigt den Tieren sogar Überlegenheit zu, denn der Mensch lerne von ihnen — allerdings nicht das gleichbleibend maßvolle Verhalten.

Einen ebenbürtigen Rang bekommen die Tiere in allen Märchen. Tiere sind dort mit überlegener Klugheit ausgestattet. Daß die enge Verwandtschaft mit dem Menschen als selbstverständlich gilt, bezeugen die unzähligen Verwandlungen von Menschen in Tiere und umgekehrt. In diesem Sinne kann man die Märchen als ökologische Literaturgattung bezeichnen. 

Die belebte Natur spielt immer mit. Nur solche Menschen, die Tiere und Pflanzen achten, haben Glück in ihrem Tun und werden mit Hilfe der Tiere belohnt; denn mit deren Beistand gelingen die schwersten Aufgaben, oft gegen böse oder mißgünstige Menschen. In den Märchen enden selbst Tragödien in einer versöhnlichen Weise, sogar dann, wenn es um das Sterben geht. Alle lebenden Wesen versuchen zwar den Tod mit aller List zu vermeiden; doch wenn er unvermeidlich geworden ist, fügen sich Menschen und Tiere gelassen. Das Sterben gehört so selbstverständlich zur Märchenwelt wie das Leben.


       93

I

Worte des Predigers

Denn es geht dem Menschen wie dem Tier. Wie dies stirbt, so stirbt jener auch, und haben alle einerlei Atem, und der Mensch hat nichts mehr denn das Tier. Denn alles ist eitel. Es fährt alles an einen Ort. Es ist alles von Staub gemacht und wird wieder zu Staub. Wer weiß, ob der Atem des Menschen aufwärts fahre und der Atem des Tiers unterwärts unter die Erde fahre? Darum sage ich, daß nichts Besseres ist, denn daß ein Mensch fröhlich sei in seiner Arbeit. Denn das ist sein Teil. Denn wer will ihn dahin bringen, daß er sehe, was nach ihm geschehen wird.

Prediger 3,19-23

 

Der Gerechte erbarmet sich seines Viehs. Aber das Herz der Gottlosen ist unbarmherzig.

Wer seinen Acker bauet, der wird Brots die Fülle haben. Wer aber unnötigen Sachen nachgehet, der ist ein Narr.

Sprüche 12,10-11

 

Wieviel klüger ist doch das Tier als der Mensch: wenn dieses etwas bedarf, weiß es, wieviel es bedarf; der Mensch aber, der etwas bedarf, erkennt es nicht.

Die wichtigsten Fertigkeiten haben die Menschen von den Tieren gelernt: von der Spinne das Weben und Flicken, von der Schwalbe den Hausbau und von den Singvögeln, dem Schwan und der Nachtigall, den Gesang auf dem Wege der Nachahmung.

Demokrit

 

Der Mensch hat ein großes Urteilsvermögen, aber es ist meistens eitel und falsch. Die Tiere haben es in geringem Maße, aber dieses geringe ist nützlich und richtig, und die geringe Gewißheit ist doch besser als der große Trug.

Leonardo da Vinci


 

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 Herbert Gruhl (Herausgeber) Glücklich werden die sein....  Zeugnisse ökologischer Weltsicht  aus vier Jahrtausenden