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9  Atmen, Stimme und Schrei  

 

Arthur Janov 1970

 

 

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Freud bezeichnete den Traum als via regia in das Unbewußte des Träumers. Wenn es eine via regia gibt, dann mag sie im tiefen Atmen zu suchen sein. Bei manchen Patienten trägt die Anwendung von Techniken des tiefen Atmens in Verbindung mit anderen Methoden dazu bei, die ungeheure Gewalt des Urschmerzes im Körper freizusetzen.

Eine vor einem Vierteljahrhundert durchgeführte Untersuchung ließ einen möglichen Zusammenhang zwischen Atmung und Unbehagen erkennen.*  Eine Gruppe von Versuchspersonen, die angewiesen war, nur an erfreuliche Dinge zu denken, wurde plötzlich aufgefordert, an unerfreuliche Dinge zu denken. Es trat eine signifikante Zunahme des seufzenden Atmens ein. 

Eine neuere Untersuchung des Problems der Hyperventilation ergab, daß Störungen der Atemfunktionen in engem Zusammenhang mit Angst stehen. Bei den Hyperventilationstests hat der Forscher überdies mit der flachen Hand auf den unteren Teil der Brust gedrückt, um tieferes Ausatmen zu fördern. In fast allen Fällen war als Begleiterscheinung eine Affektfreisetzung die Folge, zugleich mit Weinen und der Enthüllung wichtiger Einzelheiten aus der Vergangen­heit.**

Wilhelm Reich hatte beobachtet, daß die Hemmung des Atmens verknüpft ist mit der Hemmung des Fühlens: »Denn es war nun klar, daß die Atem­bremsung als der physiologische Mechanismus der Affekt­unterdrückung und Affektverdrängung auch der Grundmechanismus der Neurose überhaupt ist.«***

Reich glaubte, daß Atmungsstörungen bei Neurotikern die Folge von Bauchspannungen seien, und beschrieb dann, wie dadurch flaches Atmen hervorgerufen wird, und daß man, wenn man einen Schreck bekommt, den Bauch zusammenpreßt und so den Atem anhält.

*  Finesinger, »The Effect of Pleasant and Unpleasant Ideas on the Respiratory Pattern in Psychoneurotic Patients«, American Journal of Psychiatry, Bd. 100 (1944), S. 659.
**  Lewis, »Hyperventilation Syndromes; Clinical and Physiological Evaluation«, California Medicine, Bd. 91 (1959) S. 121.
*** Reich a.a.O. S. 266.


Die Technik des tiefen Atmens wird daher während der Primärtherapie angewandt, um den Patienten seinen Gefühlen näher­zubringen. Viele meiner Patienten berichteten, daß sie nach der Therapie anders atmeten; erst nachdem sie begonnen hatten, tief zu atmen, wurde ihnen klar, wie flach ihr Atmen vorher gewesen war. Jetzt, sagen sie, fühlen sie, wie die Luft <bis ganz unten> geht, wenn sie atmen. Im Zusammenhang mit den Urerlebnissen bedeutet das, daß sie im normalen Verlauf der Ereignisse nicht in ihren Urschmerz eindringen, was darauf hinweist, daß es eine der Funktionen des flachen Atmens ist, das Hervorkommen des tiefen Urschmerzes zu verhindern.

Richtiges Atmen sollte unwillkürlich sein — die natürlichste Sache der Welt; doch die Neurotiker, die ich gesehen habe, atmen selten richtig. Das liegt daran, daß sie sich des Atmens bedienen, um das Fühlen zu unterdrücken; kurz und gut, das Atmen wird ein Teil des unnatürlichen Systems. Neurotisches Atmen ist ein gutes Beispiel dafür, wie das irreale System das reale unterdrückt, denn nach Urerlebnissen atmen diese Patienten automatisch tief und richtig.

Weil das neurotische Atmen den Urschmerz niederhalten soll, ist es oft nützlich, den Patienten zum tiefen Atmen zu zwingen, um das Unterdrückte aufzudecken. Das Ergebnis ist ein Hervorbrechen mit explosiver Gewalt von etwas, das früher in Form von erhöhtem Blutdruck, erhöhter Temperatur, Händezittern oder dergleichen auf den ganzen Körper verteilt war. Die bei der Primärtherapie angewandten Atemtechniken werden die via regia zum Urschmerz und legen unterwegs Erinnerungen frei. In dieser wichtigen Beziehung sind sie der Pfad zum Unbewußten.

Man könnte versucht sein, das Urerlebnis herunterzuspielen und es einfach als eine Folge des Hyperventilations­syndroms anzusehen (das heißt, stärker atmen, als das System erfordert, was zu erhöhter Sauerstoffanreicherung und Verminderung des Kohlendioxydgehalts im Blutstrom führt). Doch das hieße, zwei wichtige Faktoren außer acht zu lassen. Erstens haben Untersuchungen gezeigt, daß das Empfinden von Schmerz oder Unbehagen an sich schon den Atmungsvorgang vertieft — ein Phänomen, das von Forschern festgestellt, aber nicht erklärt worden ist. Ich glaube, daß die Primärtherapie den Zusammenhang zwischen Schmerz und der Tiefe des Atmens erklärt. Zweitens: In den meisten Fällen von Hyperventilation tritt gleichzeitig Schwindel oder Benommenheit auf. Das ist während des Urerlebnisses nicht der Fall.

Ich glaube nicht, daß Atemtechniken allein eine Neurose zu verändern vermögen. Sie werden vielleicht, wie ein Seufzer, eine Zeitlang die Spannung mildern, aber dann würden sie als eine Abwehr betrachtet wie jede andere Linderung der Spannung.

In der Mehrzahl der Fälle sind Atemtechniken entweder nicht notwendig oder werden nach den allerersten Tagen der Therapie selten angewandt. Es darf nicht vergessen werden, daß wir es auf den Urschmerz abgesehen haben und das Atmen nur eins von vielen Mitteln ist, die angewandt werden, um ihn zu erreichen.

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Der Atem und die Stimme, die von ihm getragen wird, scheinen ein signifikanter Indikator für Neurose zu sein. Der nervöse Teilnehmer bei einem Fernseh­interview scheint oft nicht imstande zu sein, Luft zu holen. Das mag dem Versuch zuzuschreiben sein, ein Image zu bieten, das mit dem realen Selbst nicht über­einstimmt.

Ein Patient, der gerade mit der Therapie anfängt und in Spannung ist, ist vielleicht in derselben mißlichen Lage. Oft ist er voll Angst, und wenn er hereinkommt, leckt er sich die Lippen, schluckt und schnappt nach Luft.

Wenn sich der Primärtherapeut dann anschickt, das Abwehrsystem des Patienten zu bearbeiten, schnappt er noch mehr nach Luft. Der Urschmerz, der von dem verknoteten Bauch aufzusteigen scheint, kann indes das Hindernis in der Brust (das oft als eine stramme Bandage empfunden wird) nicht überwinden. Das tiefe Atmen prallt nun gegen das Hindernis. Der Patient wird aufgefordert, tief von unten Luft heraufzuholen und gleichzeitig >Ah< zu sagen. Sobald das >Ah< in das aufsteigende Gefühl einhakt, ist der Patient nicht mehr auf fremde Hilfe angewiesen. Der Druck unten stößt auf eine Bresche und scheint automatisch nach oben zu drängen, und der Patient gelangt in den Zustand, den ich einfach Konflikt-Atmen nenne.

An diesem Punkt steht der Hauptdurchbruch unmittelbar bevor. Der Patient ist im Begriff, nicht mehr vorwiegend irreal, sondern vorwiegend real zu sein. Das Konflikt-Atmen findet gewöhnlich nach einer Reihe von Urerlebnissen statt, kurz bevor die Einheit stiftende Verbindung hergestellt wird, die den Patienten mit Gefühlen und später mit Einsichten überflutet.

Konflikt-Atmen ist ein unwillkürliches Stadium des Urerlebnisses, bei dem der Patient schwer zu keuchen beginnt, was geradezu tierisch klingt. Der Atem geht immer schneller und schwerer, bis er sich zeitweise wie das Schnaufen einer Lokomotive anhört. Weil der Patient so mit dem Fühlen beschäftigt ist, merkt er oft gar nicht, wie er atmet. Konflikt-Atmen scheint die Folge davon zu sein, daß all die verleugneten Gefühle von unten auf die neurotischen Kräfte eindringen, die sie niederhalten. Der Atmungs­prozeß kann fünfzehn oder zwanzig Minuten dauern, und der Patient sieht aus, als ob er einen Wettlauf ums liebe Leben macht und alle Luft braucht, die er nur kriegen kann. Unter normalen Umständen würde der Patient ohnmächtig werden.

Sobald das Atmen erst einmal von selber geht, kann der Therapeut nicht viel mehr tun als beobachten. Konflikt-Atmen ist ein pathognomonisches Zeichen, daß das Urerlebnis begonnen hat. Die Patienten berichten, daß sie sich vor dem Ansturm des Urschmerzes hilflos fühlen. Während des Angriffs wissen sie irgendwie, daß sie ihn aufhalten könnten, wenn sie wollten, aber in der Primärtherapie hat kein einziger Patient sein Urerlebnis in diesem Stadium abgebrochen.

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Wenn sich das Atmen ausweitet und vertieft, spüren wir, daß der Höhepunkt in Sekunden oder Minuten da sein wird. Der Bauch zuckt; die Brust hebt und senkt sich; die Beine werden angezogen und wieder gestreckt; der Kopf bewegt sich von einer Seite zur anderen; der Patient ist am Würgen und scheint im großen und ganzen in voller Flucht vor seinem Urschmerz zu sein. In einem einzigen großen Kampf scheint dann plötzlich die Verbindung hergestellt worden zu sein - und bricht als Urschrei aus dem Mund hervor. Der Patient atmet dann voll und leicht; ein Patient sagte: »Ich habe mich eben wieder ins Leben zurückgeatmet.« Die Patienten fühlen sich >gelassen<, >gereinigt<, >sauber<.

Nachdem die große Verbindung hergestellt ist, finden wir ein müheloses Fließen der Luft, nicht mehr das stoßweise sporadische Atmen wie zu Beginn der Stunde. Ein Patient, Kurzstreckenläufer seines College, meinte, ein volles Atmen dieser Art habe er nie erlebt, auch nicht, wenn er eine Meile gelaufen war.

Der Urschrei hat eine Reihe von Nebenwirkungen. Patienten, die zu Hause nie <Piep> sagen konnten, fühlen sich mit einemmal stark. Der Urschrei selbst scheint ein befreiendes Erlebnis zu sein.

Wenn man Tonbandaufnahmen von Urerlebnissen abhört, dann bemerkt man, wie sich das Atmen in den verschiedenen Stadien des Urerlebnisses verändert. Es ist entscheidend, wie das Atmen klingt; der Patient kann nicht einen Teil seiner Abwehr aufrechterhalten, wenn er in einen Atemprozeß verwickelt ist, der den ganzen Körper erfaßt.

In seltenen Fällen kommt es vor, daß ein Patient den Urschrei fingiert. Anscheinend wird er aus voller Kehle ausgestoßen und kommt als schriller Ton heraus. Der vorgetäuschte Urschrei scheint die Fortsetzung irrealer Hoffnung zu sein. Da der Urschrei das Ende des Kampfes bedeutet, ist es unwahrscheinlich, daß ihn jemand hört, der noch in den Kampf verwickelt ist.

Obwohl wir oft von tiefen Gefühlen sprechen, spezifizieren wir selten, was eigentlich unter >tief< zu verstehen ist. Nach meiner Erfahrung ist bei >tiefen Gefühlen< der gesamte Organismus beteiligt, besonders der Bereich von Magen und Zwerchfell. Manche von uns begreifen schon früh im Leben, daß unsere Eltern es nicht gern haben, wenn wir ausgelassen und wirklich lebendig sind, und so lernen wir rasch, fast den Atem anzuhalten, weil wir fürchten, das Falsche zu tun oder zu sagen, zu laut oder zu wild zu sein, zu schallend zu lachen. Früher oder später würgt diese Furcht das Fühlen ab und ruft eine zugeschnürte Kehle, einen Druck auf der Brust oder einen verspannten Bauch hervor. Wegen dieses Abklemmprozesses neigt die Stimme dazu, höher zu werden; es ist eine Stimme, die mit dem ganzen Körper nicht mehr verbunden ist.

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In vielen Fällen läßt sich die Redeweise von Neurotikern mit der eines Bauchredners vergleichen — der Mund bewegt sich mechanisch, entmenschlicht, anscheinend ohne irgendwelche Verbindung mit dem übrigen System. Weil die verkrampfte Stimme auf einer Spannungsschicht und nicht auf einer soliden Gefühls­grundlage beruht, ist sie oft zittrig.

Auch der Mund scheint an der Neurose ziemlich beteiligt zu sein. Nach der Primärtherapie berichten Patienten häufig, daß sie die Spannung spüren, die sie früher immer um die Lippen hatten. Eine Patientin spürte nach ihrem Urerlebnis zum erstenmal seit Jahren ihre Lippen. Sie sagte, sie seien ganz gefühllos geworden, weil sie sich so oft hatte auf die Lippen beißen müssen. Ich erwähne das, weil ich der Meinung bin, daß unser ganzes System offenbar den Urschmerz widerspiegelt. Wer ärgerlich ist, preßt vielleicht die Lippen zusammen; wenn der Ärger anhält, wird unter Umständen auch die Lippenhaltung bleiben.

Nicht nur das Gesicht und die Kiefer entspannen sich nach den Urerlebnissen, sondern auch die Stimme senkt sich. Das ist möglicherweise eines der offenkundigeren und dramatischen Anzeichen bei jemandem, der eine Therapie durchgemacht hat. Frauen mit dünnen Babystimmchen haben mit einem Mal eine tiefe, volle Stimme und eine größere Ausdrucksfähigkeit.

Die Redeweise von Neurotikern läßt oft Nuancierungen vermissen, weil sie einen ständigen Spannungszustand reflektiert. Ein Patient sagte: »Ich habe immer gehetzt gesprochen, ganz oben aus dem Kopf. Ich hatte nie ein Gefühl beim Sprechen. Der ganze innere Druck schob immer alles in dicken Brocken hinaus. Jetzt kann ich mein Sprechen fühlen.« Vielleicht entspricht der Ausdruck >ein Sturzbach von Wörtern< am besten der Vorstellung, daß die neurotische Redeweise ein Abflußkanal für Spannung ist.

Ein Patient, der immer nur ein Stimmchen hatte, sagte nach seinem Urerlebnis: »Ich glaube, bei mir war alles klein. Ich hatte das Gefühl, daß es irgendwo eine kräftige Stimme gebe, aber ich traute mich nie, sie zu gebrauchen.« Ein anderer Patient, der vorher durch die Nase gesprochen hatte, erklärte: »Ich habe mein Leben lang geglaubt, daß etwas mit meiner Nase nicht stimme. Jetzt scheint es, als ob ich einfach gewinselt habe, ohne es zu wissen. Ich filterte alle meine Gefühle durch die Nasenlöcher, statt alles gerade heraus und direkt zu erledigen.«

Ich halte die Redeweise des Neurotikers eindeutig für einen Abwehrmechanismus. Jemand mit einer leisen Stimme agiert womöglich durch seine unhörbaren Äußerungen die Furcht aus, die Aufmerksamkeit auf sich zu lenken, und daher läßt er vielleicht einen Schrei nicht zum Ausbruch kommen.

Wenn der Primärtherapeut einen Patienten, der schnell spricht, bremst und ihn ermahnt, sich mit dem Sprechen >Mühe zu geben<, dann höhlt er einen Abwehrmechanismus aus. Solange es einen Fundus von verleugneten Gefühlen gibt, prägen und formen sie jedes Wort, das der Neurotiker spricht, und sogar die Struktur des Mundes. Wenn der Patient in seinen ersten Stunden redet, dann hören wir einen funktionierenden Abwehrmechanismus. Hier zumindest ist »das Medium die Botschaft«.

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Ich glaube, das Sprechen ist nur ein Aspekt der gesamten Abwehrmaßnahmen der Person. Wenn jemand eine babyhafte Ausdrucks­weise hat, dann ist er nach meinen Erfahrungen auch unreif in seinen sexuellen Beziehungen und oft sogar im Körperbau (hat die Figur eines kleinen Jungen oder Mädchens). Deshalb ist nicht zu erwarten, wenn man ein Problem in einem Bereich findet, daß nicht auch woanders eins zu finden ist. Derselbe Faktor, der eine volle Stimme verhindert, wirkt sich vielleicht auch auf das Unvermögen des Patienten aus, zum vollen Orgasmus zu gelangen.

Ein Beispiel:  

Ein kleiner Junge wird wegen allem, was er sagt und tut, kritisiert und darf nie Widerworte geben oder seinen Ärger zum Ausdruck bringen. Der unterdrückte Ärger bleibt bestehen und prägt, wenn der Junge größer wird, seine Gesichtsform. Später hat er dann selbst Kinder. Jedes Wort aus seinem Mund hat einen ärgerlichen Klang und ist eine implizierte und ständige Drohung für das Kind. Das Kind unterdrückt alle Aspekte seines eigenen Verhaltens aus Furcht, den alten Vulkan in seinem Vater zum Ausbruch zu bringen. Die Redeweise des Kindes ist unterdrückt; seine Bewegungen sind steif und knapp. Diese Einengung kann sich auf alle körperlichen Prozesse auswirken, möglicherweise sogar auf den Wachstumsprozeß. Die Furcht, etwas Falsches zu sagen und der Anlaß zu sein, daß der Vater hochgeht, kann bei einem Kind Sprachschwierigkeiten hervor­rufen. Jedes Wort muß es erst auf die Goldwaage legen, ob es womöglich Gefahren birgt. Stammeln und Stottern können die Folge sein.

Ein ehemaliger Stotterer erklärte seine Sprachschwierigkeiten folgendermaßen: »Mein Stottern war in Wirklichkeit der Kampf. Es war, als ob das <Nicht-Ich> rede, um zu verhindern, daß das reale Ich zum Vorschein kommt. Ich mußte meine Worte immer sorgfältig wählen, seit ich sprechen gelernt hatte. Zu guter Letzt sprach ich die Gedanken und Wörter meiner Eltern aus. Ich sagte, was sie hören wollten. Es war, als ob ich mit meinem Mund an ihnen hing. Solange mein reales Ich nicht sagte, was es empfand, konnte ich mit ihnen auskommen.«

Bei einem Urerlebnis, wenn er sein reales Selbst war, stotterte dieser Mann nie. Stottern schien auf anschauliche Weise den Konflikt zwischen den beiden Selbst und die von dem Konflikt hervorgerufenen Symptome sichtbar zu machen. Die stotterfreien Urerlebnisse dieses Patienten sind auch ein Hinweis darauf, wie das Fühlen neurotische Symptome beseitigt.

Als dieser Mann bei einer Gruppensitzung über seine Symptome sprach, legte ein anderes Mitglied der Gruppe dar, er habe mit dem Mund an seinen Eltern gehangen, während sie dadurch an ihnen hing, daß sie ihre Vagina frigide hielt. Sie meinte, mit anderen Worten, daß der Ort des Kampfes diejenige Stelle ist, auf die das heranwachsende Kind seinen Kampf konzentriert. Wenn eine Frau ihren Eltern zuliebe anständig und unschuldig bleiben will, kann es sein, daß der Kampf (die Gefühlsverleugnung) in die Genitalien geleitet wird. In anderen Fällen ist es, wie wir gesehen haben, der Mund. Wenn ein Kind die Einstellungen seiner Eltern geistig aufnimmt und sich in seinem Verhalten nach ihnen statt nach seinen eigenen Gefühlen richtet, ist jedenfalls zu erwarten, daß der Körper nicht länger auf reale, bewegliche Weise funktionieren wird.

Sprechen ist ein kreativer Prozeß, bei dem wir in jedem Augenblick etwas hervorbringen, das vorher nicht da war. Der Neurotiker erschafft mit jedem Wort seine Vergangenheit wieder. Der Normale erschafft eine ständig neue Gegenwart.

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