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Anhang   

Arthur Janov 1983

  

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Die Messung der emotionalen und psychologischen Wirkungen der Geburt

Im Jahre 1979 wählten wir willkürlich eine Gruppe von 200 Primärpatienten aus, die nach ihrer Behandlung einen Fragebogen ausfüllten. Alle Patienten wurden gebeten, die Länge der Zeit, in der sie Primals gehabt hatten, die Ebene der Primals (erste, zweite, dritte) und den Grad der eventuellen Änderung der Symptome und Verhaltensprobleme anzugeben. Patienten mit einer Primal-Erfahrung von mehreren Jahren (es waren 62) wurden die »Veteranengruppe« genannt.

Um den ersten Zweck der Studie zu erreichen, verglichen wir die Veteranengruppe mit der Gesamtheit der Primärpatienten und untersuchten, ob eine Änderung der Symptome und des Verhaltens als Ergebnis der Primals mit der Länge der Zeit zunahm. Der zweite Zweck der Studie war festzustellen, ob die Ebene der Primals den Grad der Änderung und Besserung signifikant beeinflußte.

Die Ergebnisse zeigten, daß 1.) Besserungen durch die Primärtherapie von Dauer sind; 2.) die Besserung um so größer ist, je länger jemand Primals hat, und 3.) der Grad der Besserung signifikant zunimmt, wenn Patienten Primals auf der ersten Ebene haben — und ihre Geburtstraumata (perinatalen Traumata) wiedererleben.

Der Fragebogen enthielt eine Aufstellung von über fünfzig Symptomen nach dem Grad der Schwere vom Nägelkauen bis zu Suizidanwandlungen. Er enthielt ferner eine Liste von emotionalen und Verhaltensproblemen wie exzessive Extra- oder Introversion, Alkoholismus, Leistungsschwäche, Schwierigkeiten im Umgang mit Menschen etc.

Bei der Einschätzung des Grades der Veränderung konnten die Patienten ihre Symptome und Verhaltensprobleme einstufen als 1.) schwerer und häufiger, 2.) unverändert, 3.) weniger schwer und häufiger, 4.) schwerer und weniger häufig oder 5.) verschwunden.

Einige spezifische Ergebnisse der Studie:

Phobien

Patienten, die ihre Therapie mit Phobien begannen und Primals auf der ersten Ebene hatten, zeigten eine Besserung von 70 Prozent in bezug auf Grad und Häufigkeit der Phobie, verglichen mit einer Besserung von 60 Prozent bei Patienten mit vorwiegend Primals auf der zweiten Ebene. Bezeichnenderweise zeigte die Veteranengruppe (mit Primals im Laufe von drei bis fünf Jahren) eine Besserungsrate von beinahe 100 Prozent bei Phobien. Dieses Ergebnis widerlegt eindeutig die Annahme, daß Phobien erlernte Reaktionen seien, das heißt, sozial konditionierte Gewohnheiten, die man nur durch verschiedene Konditionierungsmethoden wieder zu verlernen braucht.

Es gibt keine Möglichkeit, das Geburtstrauma zu entkonditionieren, ohne das Trauma selbst anzusprechen. Daher können Entkonditionierungs­therapien nur eine Art von Symptomersatz schaffen, da man in ihnen nur auf symptomatischer Ebene arbeitet und die Ursachen nicht behandelt. Phobische Symptome sind verbunden mit tiefliegendem Schmerz, und die Symptome zu vertreiben, ohne diese physiologischen Verbindungen zu verstehen, kann nur zuletzt das Erscheinen noch schwererer Formen von Phobien, das heißt von Paranoia, sicherstellen.

Symptome haben eine biologische Funktion, die nicht angetastet werden darf, es sei denn im spezifischen Kontext dieser Funktion. Ein Symptom von seiner Ursache zu lösen, kommt dem Versuch gleich, die Struktur des Gehirns umzuordnen, ohne diese Struktur za verstehen. Verbindet man ein Symptom mit seiner Ursache, so gestattet man dem Gehirn, sich automatisch neuzuordnen, indem man es ihm ermöglicht, auf seine natürliche — vor-schmerzliche — Weise zu funktionieren.

Nägelkauen

Man könnte meinen, Nägelkauen sei ein recht harmloses Symptom. Es zeigt sich aber, daß es Wurzeln in der ersten Ebene hat. Von den Veteranen, die von Feelings auf der ersten Ebene berichteten, verzeichneten 40 Prozent ein Verschwinden des Nägelkauens, während keiner derjenigen, die nur Feelings auf der zweiten Ebene gehabt hatten, von einer vergleichbaren Besserung berichten konnten. Alles in allem wurde nach Primals auf der ersten und zweiten Ebene eine Besserung dieses Symptoms von 88 Prozent erreicht.

Das weist darauf hin, daß auch das einfachste Symptom komplexe und tiefliegende Verbindungen haben kann. Nach Freudschen Begriffen ist Nägelkauen ein gegen das eigene Ich gerichteter Zorn. Wir sehen, daß das keine ausreichende Erklärung ist. Und es ist wieder eine auf psychologische Ereignisse aufgepfropfte Theorie statt einer direkten Korrelation zwischen Tatsachen. Und wir sehen auch in diesem Fall die möglichen Gefahren der unbedachten Behandlung auch eines so »leichten« Symptoms wie Nägelkauen ohne Rücksicht auf den zugrunde liegenden Schmerz. Wenn man Pflaster über die Nägel eines Kindes klebt, kann man es vielleicht dazu bringen, nicht mehr daran zu kauen, aber man kann den Schmerz nicht zwingen aufzuhören.

Andere Symptome

Es gibt eine Anzahl anderer Symptome, die durch Primals auf der ersten Ebene vollständiger aufgelöst wurden. Dazu gehörten Halluzinationen, Depressionen, panische Zustände und Alpträume. Sexualprobleme wie Frigidität, vorzeitiger Samenerguß und Impotenz haben offensichtlich ebenfalls Wurzeln in der ersten Ebene. Je öfter die Patienten Primais auf der ersten Ebene hatten, mit desto größerer Wahrscheinlichkeit lösten sie ihre Probleme. Chronische Schlaflosigkeit ist ein weiteres Symptom, das durch Primais auf der zweiten Ebene gemildert und durch Primais auf der ersten Ebene aufgelöst wurde.

Den emotionalen und psychologischen Veränderungen, die sich aus tiefen Primals ergaben, entsprachen ebenso auch entscheidende physiologische Veränderungen. Wir fanden signifikante Korrelationen zwischen dem Wiedererleben des Geburtstraumas und Änderungen der Biochemie, der Vitalfunktionen und der neurologischen Funktionen. Die Streßhormonspiegel wurden gesenkt — ein Zeichen, daß das Erlebnis biologisch »real« und nicht vorgetäuscht war. Wachstums- und Sexualhormone wurden normalisiert, die Cholesterinspiegel verändert. Die allgemeine Amplitude der Alpha-Hirnwellen wurde reduziert, und es fand eine gleichmäßige Verschiebung in Richtung eines größeren Gleichgewichts zwischen den beiden Hirnhälften statt. Blutdruck, Pulsfrequenz und Körpertemperatur sanken und blieben jahrelang niedrig. Die gesunkene Körpertemperatur ist ein besonders wichtiges Zeichen, denn mehr als alles andere reflektiert sie die Arbeit des Körpers: die erzeugte, gegen den Schmerz mobilisierte Wärme. Dieser Index liefert eine der vielen Methoden, durch die wir die physiologische Realität von Geburts-Primals nachweisen.

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