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7   Über Möglichkeiten und Pflichten des Gebildeten 

Amery-1978

   4.8 Kulturwort-

285-291

Der deutsche Philosoph Max Scheler, heute zu Unrecht in den Hintergrund der öffentlichen Aufmerksamkeit geraten, hat in seinem Aufsatz <Die Stellung des Menschen im Kosmos> Betrachtungen darüber angestellt, was den Menschen eigentlich grundsätzlich vom Tier unterscheide. 

Das gangigste Kennzeichen, die Herstellung von Werkzeugen, überhaupt die rationale Aneignung von Gegenständlichem, verwirft er als ungenügend: Vorgänge dieser Art sind aus Schimpansen-Käfigen bekannt, in denen beachtliche Techniken etwa zur Ergreifung hochhängender Bananen entwickelt wurden und werden. In diesem schimpansenhaften Drang zur technischen Weltaneignung unterscheidet sich, laut Scheler, auch Edison noch nicht vom Primaten — Edison einseitig als Erfinder der Glühlampe gesehen, nicht natürlich als Mitmensch.

Für Scheler beginnt der Mensch woanders, liegt die Schwelle woanders. Mensch, das ist für Scheler der Primat, der, etwa auf dem Jagdpfad, von einem stürzenden Ast oder von einem feindlichen Wurfgeschoß verletzt, auf seine Wunde blickt, sich von seinem Schmerz zu abstrahieren vermag und sich die Frage stellt: Warum blute ich? Warum empfinde ich Schmerzen?

Aus dieser Möglichkeit, sich über die Flucht- oder Angriffs-Reaktion des Tieres reflektierend zu erheben, leitet Scheler die Würde des Menschen ab. Und es gibt eine Schule von Anthropologen, die damit etwa die Foltern der Jugendweihen bei vielen Primitiven erklären: der bewußte Entschluß des Jugendlichen, sich Schmerzen zu unterziehen, um in die Stammesgemeinschaft einzugehen, mag vorgeschichtlichen Weisen als die beste Garantie dafür erschienen sein, daß sein genetisches Material die Weiter- und Höherbildung der Art sicherstellte. 

Nun haben sich die jungen Frauen und Männer, deren erfolgreiches Abitur wir feiern, in abgewandelter Form einem solchen Initiations-Ritus unterzogen — und was man von Eltern, aber auch von Lehrern zu hören und in den Medien zu sehen und lesen bekommt, deutet immerhin an, daß auch die Grausamkeit solcher Riten in sublimierter Form noch ihre beachtliche Rolle spielt — man denke etwa an den raffinierten Einfall, hinter das atemlos bestandene Examen noch die Zusatzhürde des Numerus Clausus zu plazieren. Diese Anspielung wäre unpassender, wenn es unseren Abiturienten nicht gelungen wäre, diesen Ritus mit Glanz zu bestehen — wozu noch der kollektive Glückwunsch ausgesprochen sei.

Dieser Exkurs zu Schelers Mensch-Definition sei damit abgeschlossen; als Exkurs, wenn auch nicht als unwesentlicher. Es geht mir, in dieser Stunde und zu diesem festlichen Anlaß, um ein allgemeineres Thema: um die Möglichkeiten und Pflichten des Gebildeten in der Gesellschaft von heute, von hier und heute. Sie brauchen nicht zu befürchten, daß ich in eine Marathon-Festrede ausbreche: ein paar Apercus müssen genügen, bevor wir uns wieder Informellerem und Fröhlicherem zuwenden.

Die Aufgabe des Gebildeten scheint mir, gestern wie heute, die zu sein, dem Anspruch des Mensch-Seins, wie Scheler es definiert hat, zu genügen. »Bildung« in einem fundamentalen Sinne war dazu immer notwendig; noch der Analphabet mit Pfeil und Bogen mußte Bildung, Formung hinter sich haben, um gegen den Schmerz die reflektierende Frage zu stellen. Aber ich fürchte, verehrte Anwesende — lassen Sie mich die Gelegenheit benützen, diese Furcht auszusprechen — daß es noch kaum ein historisches Zeitalter gegeben hat, in dem offiziell angebotene »Bildung« dieser Forderung so wenig genügt hat wie heute. 

* (d-2014:)   wikipedia  Max Scheler  1874-1928 (55)

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Noch in keinem Zeitalter war die Vermeidung souveräner Reflexion so beliebt, ja als kollektives Ziel so proklamiert wie in der Gegenwart; richteten sich auch die Ansprüche der »Gebildeten«, der durch bestandene Weihen, Riten und Examina Ausgezeichneten, so eindeutig darauf, dem Nachdenken über eigene und fremde Behinderungen durch Flucht oder Aggression zu entrinnen.

Wir werden darauf selten ausdrücklich aufmerksam, weil die Zivilisation, in der wir uns befinden, Flucht wie Aggression in eine nicht mehr körperliche Aktionssphäre verlegt hat. Unsere Trophäe ist nicht mehr das Tigerfell, sondern das Bankkonto, unser Siegesgeheul die Höherstufung nach BAT, die Adrenalin-Ausschüttung, die den pleistozänen Vorfahren zur Flucht in die Baumkronen veranlaßte, wurde durch Abschalt-Prozesse jeder Art — oder durch unbewußte Unterwerfungen ersetzt. 

Das ist niemandes persönliche Schuld. Solange Bildung, wie dies hierzulande der Fall ist, mit dem Erwerb immer umfassenderer Jagdscheine im zivilisatorischen Dschungel gekoppelt ist, dürfte es fast jedermann schwer fallen, den Unterschied, und zwar den existentiellen Unterschied, zwischen Bildung und gesellschaftlichem Privileg zu begreifen.

Was Bildung »eigentlich«, im Sinne der angedeuteten menschlichen Aufgabe, sein könnte, ist deshalb bei uns nur noch schwer nachzuvollziehen. Ich erlaube mir deshalb, ein angelesenes Beispiel zu bringen. In den Erinnerungen eines südstaatlichen Amerikaners las ich, daß er sich seines Vaters — eines ehemals reichen Mannes — nur mehr als eines schwer arbeitenden Farmers entsann. Aber umso schärfer blieb es dem Sohn eingeprägt, daß der Vater, während er im Zuber die hellrote Erde der Äcker von den Armen wusch, scherzend Vergils Bukolika zitierte — natürlich auf lateinisch.

Entscheidend an dieser Geschichte ist nicht, daß der Farmer lateinisch konnte. (Ähnliche Geschichten hört man übrigens auch über die bitterarmen schottischen Highlander vor 1750.) Entscheidend ist der reflektierende Abstand von eigener Not, die Bildung dem scheinbar »heruntergekommenen« Mann im Overall verlieh.

287


Die Antike, angeblich die Wiege unserer ganzen Bildungswelt, war hier noch deutlicher. Ataraxie, das heißt die Immunität gegen Widrigkeiten des materiellen Daseins, war geradezu Kennzeichen souveränen Menschseins. 

Jene Helden, die auf oft verschlungenen Wegen zu den Helden unserer modernen Republiken, von den USA bis Frankreich, wurden; jene Staatsmänner hinterm Pflug, jene Weisen hinter Tellern mit Lauch und Schafskäse und Bechern voll schlichten Landweins, sie haben das Ethos aller demokratischen Verfassungen geprägt und einen Maßstab gesetzt, der für sie selbst zunächst ein Maßstab der Freiheit war — nicht nur der kollektiv garantierten oder vorgeschützten, sondern der eigenen freiheitlichen Motivation. 

Warum, so fragen Sie vielleicht, dieser Rückfall in humanistische Feierlichkeit? Wozu diese hageren Spektren beschwören? Nun, zunächst einmal, weil es nicht überflüssig ist, darauf hinzuweisen, daß die Verkopplung von Freiheit und Überfluß kein Daseinsgesetz ist, und daß sie vermutlich schon bald keine Realität mehr sein wird. In einer Welt, in der es sich bald anders leben wird als auf unserer glücklichen zentraleuropäischen Insel, hieße es ganz einfach Zukunft verschenken, wenn man auf diese Möglichkeiten der Bildung, diese Möglichkeiten der wirklich Gebildeten nicht hinwiese — Möglichkeiten, die in jedem gesellschaftlichen Sinne bald zur Pflicht werden können. »Konsum-Verzicht« ist, wie jeder Verzicht, dafür ein recht ungeeignetes Wort; denn Bildung setzt gerade voraus, daß Unabhängigkeit vom widrigen Schicksal, freie Reflexion über seine Zu- und Umstände, nicht Verzicht, sondern Chance ist. Es geht nicht um Konsum-Verzicht, sondern um die freie Meisterung von Zuständen, in denen Angst teilweiser Selbstmord — und Aggression Mord von anderen ist.

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Es geht gerade durch die Jugend heute eine starke Ahnung von diesen Notwendigkeiten und Chancen. Und ich bin mir voll bewußt, daß wir, meine Generation, es waren, die es ihr schwer machten, an diese Chancen heranzukommen. Die überwältigende Einfachheit der Aufgabe, in der wir 1945/48 steckten, hat uns dafür nicht gerade zu geeigneten Interpreten gemacht. Und wir sollten, gerade wenn wir der Rebellion, die seit den späten sechziger Jahren lief — der Rebellion einer nach Bewußtsein strebenden jugendlichen Minderheit — voller Reserve gegenüberstanden und stehen, heute eines zugeben: der Bildungsgedanke, der die deutschen Universitäten beherrschte, wäre auf dem besten Wege gewesen, in einer sinnlosen technokratischen Abrichtung zu landen, im Dschungel der sogenannten »Sachzwänge«, wenn nicht diese manchmal nur verrückte, manchmal von Klischees beherrschte, aber im ganzen hochmoralische Rebellion dazwischengekommen wäre. 

Heute, im Zeichen einer schleichenden Malaise, einer Art von Dauer-Rezession, mögen viele von uns Genugtuung darüber empfinden, daß der sogenannte Sachzwang wieder regiert, daß die sorglosen Horizonte von 1965, die trügerischen Bilder des Überflusses vergangen sind. Aber verhalten wir uns, bei so gar nicht klammheimlicher Freude, wirklich wie Schelers geforderter Mensch? Reflektieren wir wirklich das »Warum?« unserer Schmerzen auch und gerade an der Jugend? Ich fürchte, daß von Gebildeten mehr gefordert ist. Es wäre, bei steigender Produktion pro Arbeitsstunde und ständigem Überangebot, etwa gefordert zu fragen, ob der notwendige Bestand an Arbeit nicht anders und besser verteilt werden müßte. 

Es wäre zu fragen, ob das System von Belohnungen und Verweigerungen, das wir ausgeknobelt haben, wirklich sinnvoll ist, wenn es den besten Bildungserfolg (soweit überhaupt meßbar) zwanghaft mit den lukrativsten Berufsangeboten koppelt. 

289


Kurz, es wäre zu fragen, ob wir unsere Bildung nicht darauf ausrichten müßten, persönliche Souveränität auch unter widrigen materiellen Umständen zu ermöglichen, jenen »gerechten, hartnäckigen Menschen«, von dem Horaz spricht — den »weder die Wut des Mobs, der ihm Gemeines befiehlt, noch die drohende Braue des Tyrannen« vom gerechten Ziel abschreckt. 

Wie es mit diesem Aufrechtsein unter deutschen Gebildeten Anno 1933 bestellt war, sollten wir wohl auch nicht so schnell vergessen. Haben diese Apercus pessimistisch geklungen? Zu elegisch gestimmt für den festlichen Anlaß? Sollte das der Fall gewesen sein, dann, so fürchte ich, steckt in mir selbst noch zu viel von dem Hominiden, der beim Anblick erlittener Verletzung nicht an die Chance freier Reflexion denkt, sondern den Schweiß der Angst vermittelt. In Wahrheit ist es eher die Angst vor dem Paradies — dem Paradies wirklicher Souveränität über die Notwendigkeiten —, das uns zu schaffen macht, als die Angst vor echten Schrecken. 

Die »Grenzen des Wachstums«, die Grenzen der Ressourcen, sind nur dann Grenzen der Freiheit, wenn wir Freiheit allzulang und allzu gedankenlos mit unbegrenzter Beute identifiziert haben. Pflicht des Gebildeten ist es, das Trügerische solcher Identifikation zu durchschauen — und in dieser Pflicht steckt seine, ja diese Pflicht ist identisch mit seiner Freiheit. Eine Ahnung solcher Freiheit durch diesen Raum wehen zu lassen — ein Aroma nicht nur für unsere Initiierten mit dem Bildungsnachweis, sondern auch für uns, die wir — so oder so — noch immer durch den alten gefährlichen Dschungel traben —, dies war die kleine Absicht, die mich verfolgte. Und Freiheit ist ja immer und notwendigerweise mit Heiterkeit verbunden.

Deshalb zum Schluß eine wirklich heitere Geschichte. 

Ein Rabbi im heutigen Israel stellte einem deutschen Zeitungsmann seine keineswegs rosige materielle Lage dar. Tatsächlich, so meinte er, sei das Geld für ihn und die Seinen verdammt knapp. »Wenn ich nicht zweimal in der Woche fastete«, schloß er halb lächelnd, »müßte ich glatt hungern.« 

Ich wünsche den Abiturienten, den Angehörigen — und nicht zuletzt mir selbst, zwar nicht den Hunger des Rabbi, so weit geht meine Anmaßung nicht — wohl aber seine gebildete Souveränität — für den Notfall.

290-291

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8. Allgemeine Verhaltensregeln für Kulturwort-Produzenten in entwickelten Nationen

(1987)

 

292-295

Wie schon die Einladung zu dieser Anthologie beweist, wird auf unsere Ansichten und Anmerkungen zum Atomzeitalter größter Wert gelegt. In der Einladung hieß es: »In einer Lebenssituation, in der tiefsitzende Emotionen und archaische Ängste aktiviert werden, suchen viele Menschen nach Orientierungshilfen.«

Daß solche Orientierungshilfe von uns erwartet wird, zeigt, wie erfolgreich wir in dem Bemühen waren, der Welt unsere Kompetenz für Orientierungen, Sinnstiftungen und dergleichen klarzumachen. Dazu dürfen wir uns nachträglich beglückwünschen.

Nun wird solche Sinnstiftung natürlich dadurch erschwert, daß schon der Ausdruck »Atomzeitalter« höchst verschwommen und historisch wie semantisch hinterfragbar ist. Das Atom, beziehungsweise seine industriell-militärische Ausnützung ist ja nur ein Teil, und nicht einmal der umfänglichste, unseres gegenwärtigen Menschheits-Dilemmas. Es könnte sich zum Beispiel herausstellen, daß das »Atomzeitalter« nichts als die letzte — und bisher heikelste — Anordnung des Versuchs ist, dem kollektiven Menschheits-Schicksal der Kreatürlichkeit zu entrinnen — ein Bestreben, das nicht erst seit gestern, sondern schon seit mindestens 3000 Jahren die Herzen und Gehirne der Menschheit — jedenfalls ihres aktivsten Teils — angelegentlich beschäftigt. 

Unser Stand, der der Kulturwort-Produzenten, war an solcher Beschäftigung, zumindest während des letzten Zehntels dieses Zeitraums, höchst aktiv beteiligt. Es sind also zunächst einige Abgrenzungen fällig, ehe wir — was wohl selbstverständlich sein dürfte — in den allgemeinen Konsensus der kritischen Intelligenz gegen das Atom einstimmen.

So ist insbesondere darauf hinzuweisen, daß unser historischer Weg immer der des Fortschritts und der Emanzipation war und ist. Zusammen mit der demographischen Entwicklung, die natürlich auch mit dem Entrinnen aus der Kreatürlichkeit zu tun hat, führte und führt uns dies logisch zwingend zu einer Bejahung der »künstlichen Welt«, das heißt einer Welt, die sich zunehmend von naturwüchsigen, beziehungsweise naturgegebenen Bedingungen absetzt und die eigene wie die kollektive Existenz in den Griff des Bewußtseins — und damit der notwendigen technisch-wissenschaftlichen Apparate — nimmt.

Dieser Weg fiel und fällt uns schon deshalb nicht schwer, weil unser Berufsstand, seit er als solcher erkennbar ist, existentiell völlig von einer komplexen arbeitsteiligen Gesellschaftsordnung bürgerlichen Zuschnitts abhängt. Altere, etwa feudale Verhältnisse haben wir längst abgestreift, unsere Fahne ist das geistige Eigentum, ob mit oder ohne Copyright, und unser Markt sind wiederum Schichten, die ihrerseits von der Akkumulation von Bildung, das heißt Freizeit, profitieren. Der Aufmerksamkeit dieser Schichten und ihrer führenden Rolle in der Öffentlichkeit verdanken wir denn auch unsere Prominenz, falls eine solche gegeben sein sollte.

Nun läßt sich aber gerade anhand des Prominenz-Parameters am deutlichsten demonstrieren, wie eng unser eigenes berufliches So-Sein mit dem Dilemma der Menschheit zusammenhängt. Dieses Dilemma, dem sie nicht zuletzt durch die Erstellung von AKWs beizukommen hofft, ist der Hunger nach immer größeren zusätzlichen Energiemengen. Er hat mannigfache Ursachen und mannigfache Folgen, über die schon viel geredet und geschrieben worden ist. 

293


Fest steht nun leider, daß Prominenz in proportionalem Verhältnis zur Energiefreisetzung steht: je höher die Prominenz, desto höher die Energiefreisetzung. Man nehme allein die Menge an Kilowatt-Stunden, die ein durchschnittliches Interview im TV-Studio einschließlich der An- und Abreise-Energie verschlingt. Man rechne nationale und internationale Konferenzen dazu, Gastprofessuren mit entsprechendem Blick auf Land und Leute. Man vergesse nicht den unbedingt notwendigen Sitz in der Toskana oder im Algarve. 

Zudem: die gastronomischen Ansprüche steigen, und ein Bresse-Huhn, aus der ostburgundischen Heimat eingeflogen, kostet eben auch die entsprechende Transport-Energie. Bei bestem Willen und lauterster Gesinnung: man ist verwickelt; wenn nicht ins Atom-, so doch ins energophile und damit ins weltfressende Zeitalter. Wir, die Kulturwort-Produzenten der entwickelten Nationen, gehören zu jener Besatzungsarmee, die mindestens zehnmal mehr Welt-Energie im Griff hat, als ihr zusteht.

Soviel zum düsteren Hintergrund. 

Gott sei Dank sind wir Abendländer und Post-Christen genug, um Praxis und Gesinnung sauber auseinanderzuhalten. Dies, zusammen mit dem Erbe der Prophetie, das wir von machtlos gewordenen Priesterschaften übernommen haben, reicht hin, um die gewünschten Orientierungshilfen darzureichen. Man braucht dabei ja nicht allzu gründlich zu werden. Sicher, wenn man ganz konsequent ins non-konformistische Denken einstiege, könnte einem schon recht schlecht werden bei der Aussicht, eines Tages mit der Energiereserve eines Bewohners von Ruanda oder Bangladesch dazustehen, was uns zweifelsohne in dem Augenblick blüht, wo wir nicht mehr einen großen Teil der Welt überreden können, unsere Exporte abzunehmen. Aber wer wird denn so weit gehen — oder auch nur denken?

Es genügt, auf die Zusammenhänge zwischen Polizeistaat und Atomstaat hinzuweisen — was jedenfalls richtig ist. Es genügt, einen neuen Fortschritt zu fordern; einen Fortschritt nämlich, der die notwendigen Fehlerquoten einer unvollkommen evolvierten Menschheit in sein kulturelles Kalkül einbezieht. Auch das ist vollständig richtig. Es hat sich — und das nicht nur zufällig — so ergeben, daß die Leute, die man eher den Linken zurechnet, mit all ihren fortschrittlichen und emanzipatorischen Erbschaften gegen das Atom sind und die Leute, die nach wie vor die Revolution von 1848 bedauern, wie etwa der größte Teil unserer bayerischen Machthaber, dafür. 

Das schafft Einteilungen, welche Orientierung in schwieriger Zeit leichter machen. Ein sozialdemokratischer Minister in Bonn sagte mir einmal: »Eines habe ich an der Front gelernt: man darf nie soweit voraus sein, daß einen die eigenen Leute in den Hintern schießen.« Alle meine Überlegungen und Anmerkungen sind, wie ich erleichtert feststelle, auf diese Moral zugelaufen. Man kann sie auch demokratisch nennen. Und: guten Appetit beim Bresse-Huhn!

294-295

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