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 Visionen vom Nutzen des Geldes

Rede zu Vianden, 3.7.1997 
 wikipedia  Vianden  in Luxemburg 

 

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Von den Veranstaltern beauftragt, Visionen vom Nutzen des Geldes abzuliefern, scheint es mir das Beste zu sein, mit einer Erinnerung zu beginnen. Sie wird nächstes Jahr ein halbes Jahrhundert alt. Ich erinnere mich an jenes Wochenende, an dem das Zentralsakrament unserer Religion eingesetzt wurde: jener Religion, in der wir alle leben, atmen und uns bewegen. Dieses Zentralsakrament war und ist die D-Mark.

Sie ging auf als goldene Sonne über der wüsten Nachkriegsnacht. In strahlendem, machtvollen Schweigen. Eben hatten wir noch ein studentisches Fest im Nymphenburger Park gefeiert, ein Fest, aus dem die üblichen idealistischen Blasen von einem Neuen Europa wie Luftballone in den Münchener Sommerhimmel stiegen ... Schon der Hauch eines Gerüchts vom Neuen Geld genügte, um nicht nur sie, sondern die gesamte lumpenbunte Gesellschaft herab- und auseinander zu fegen. Die Welt war verändert: alles war plötzlich da, war plötzlich zu haben, von Babywindeln und Butter über Fahrradschläuche bis zu jenem Volkswagen, den wenige Tage später ein Geschäftsmann vor Ort in Wolfsburg erwarb, per cash aus dem Koffer. 

Siehe, ich mache alles neu, Apk. 5, 21.

Ich lebte damals als Student in München, fast ohne Geld, bei freiem Logis in einer alten Stiftung, ziemlich mephistophelisch gestimmt. Ich beschloß, die Gnadenwirkung des Neuen Bundes exemplarisch zu prüfen. In den elenden Jahren seit 1946 hatte ich des öfteren im Münchener »Spatenhaus« ein Stammgericht gegessen — ein Teller voll Goldrübchen etwa, gegen einen fiktiven Reichsmarkpreis und die Hingabe einer Fett-Rationsmarke von 2,5 Gramm. Das ebenerdige überfüllte Lokal roch nach schlechtem Fett und schlechtem Rauch, und das Gericht wurde einem mürrisch vor die Nase geknallt. (Dies ist keine Anklage oder Denunziation, es war einfach die allgemeine Stimmung.)

Nun, ich wollte sehen, was sich vielleicht geändert hatte. Ich ging spätabends, die ersten vierzig D-Mark in der Tasche, ins »Spatenhaus« — nicht ins Parterre, sondern in den festlich erleuchteten ersten Stock. Ich ließ mich als Einziger im weiten Raum an blütenweißem Tischtuch nieder und sah mich umringt von aufmerksamen Männern und Knaben in Schwarz und Weiß, die Zeit und Muße fanden, mir, dem singulären Gast, ihre ganze Aufmerksamkeit zu widmen. Es war schiere Transzendenz.

Von Fleisch- oder Fettmarken (sie galten offiziell noch immer) war natürlich keine Rede mehr. Etwas Kostbareres als ein Schnitzel habe ich wohl damals nicht bestellt, und die Zeche dürfte etwa ein Dreißigstel der jetzt üblichen Preise betragen haben. Zum Abschluß verlangte ich aus Bosheit noch eine amerikanische Zigarette, die es legal gar nicht gab. Man bedauerte bestürzt, sie nicht im Hause zu haben, aber selbstverständlich werde einer der schwarzweißen Knaben sofort über die Straße spritzen, wo ein sicherer Lieferant jederzeit zu finden sei. Ich wiederhole: es war schiere Transzendenz.

Das neue Pfingsten, das Pfingsten der Neuen Religion, war herabgestiegen in sanften, erhellenden, wärmenden Feuerzungen, hatte eine Gesellschaft von miesen Raunzern, von stets gereizten Hungerleidern, von Hamsterern und sich selbst bemitleidenden Egoisten wenigstens in eine Vorahnung der civil society verwandelt. Und so erfüllte die D-Mark aufs genaueste die Anforderungen an ein Sakrament, wie sie der katholische Katechismus formuliert: das äußere Zeichen für eine unsichtbare Gnade.

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Brechen wir, nach solcher notwendigen Erinnerung, in Richtung zukunftsträchtiger Vision auf. Wir passieren dabei jedoch die weiten, wüsten, verminten Felder der Gegenwart, und wir haben uns einiger Mythen dieser Gegenwart zu entledigen, ehe wir für das erwünschte Patmos frei werden.

Als Erstes drängt sich dabei die genauere Benennung der Religion auf, deren Zentralsakrament die D-Mark war und ist. Sie ist, wie jede Religion, die den Namen verdient, eine Heilslehre. Das Heil wird, wie wir alle wissen, als ökonomisches definiert: als Reichtum, als Fülle der Güter, als immer weiter aufsteigende Spirale von Bedürfnissen und Bedürfniserfüllung — gleichviel. Drei Viertel des Jahrhunderts (jene drei Viertel, die Kenner als die eigentliche Substanz des 20. Jahrhunderts bezeichnen) bauten sich zwei Konfessionen dieser Religion gegeneinander auf zum sogenannten Kalten Krieg. Er ist überhaupt nur erklärbar als Konfessionskrieg, der bekanntlich der unerbittlichste Religionskrieg überhaupt ist. In den Prämissen, im Skript des Konflikts, war man sich, betonen wirs, völlig einig. Es ging um die Entfesselung der Produktionskräfte, um die endgültige Sicherstellung des Lebens-Mittels. Jede Seite warf der anderen vor, die falsche, die völlig falsche Fährte zu diesem Ziel eingeschlagen zu haben. Den Ausgang des Matches, 1989, kennen wir.

Der Sieg war, um zum Thema zurückzukehren, der Sieg des unbestreitbar sakralen Charakters des Dollars und der D-Mark. (Vergessen wir den Yen nicht.) Der realexistierende Sozialismus hat das nie begriffen, und zuletzt, in der Brezhnjevtschina, waren riesige Grauzonen der Natural-Schattenwirtschaft und der feudalen Domänen entstanden, die sich jeder monetären Logik völlig entzogen. 

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Der Übergang zum Kapitalismus, wie er heute in Rußland zu beobachten ist, leidet offensichtlich unter der Schwierigkeit, von diesen Feudaldomänen herunterzukommen — sowohl psychologisch wie organisatorisch.

Im Zuge dieses Kalten Krieges, der beide Seiten in Höllen der Simplifizierung zwang, wurde auch die ökonomische Religion des Westens endgültig fundamentalistisch, in einem ganz strikten Sinne. Denn was ist, letzten Endes, ein religiöser Fundamentalismus? Er ist die Ablehnung aller Wirklichkeiten, die sich nicht in das Schema seiner Heilserwartung fügen — ob das nun die iranischen Mullahs, die US-amerikanische Moral Majority, die halb untergründigen Splittersekten christlicher Provenienz oder die Restbestände des orthodoxen Marxismus sind. Unser Thema verbietet uns glücklicherweise, hier auf Einzelheiten einzugehen; und es bedarf ja auch keines besonderen Scharfblicks, um wahrzunehmen, daß der D-Mark-Fundamentalismus so sicher wie jeder andere in immer primitivere Dogmen, immer absurdere Auslegungen des eigenen Daseinsgesetzes drängt, je unerbittlicher die Wirklichkeit, die er nicht anerkennt, ihn von allen Seiten einkesselt.

Es entstehen dann so merkwürdige Dogmen wie etwa die Annahme, daß das Geld selbst arbeitet.  

Ja, so kann man es auf Plakaten und in Inseraten des Bankenwesens lesen: »Lassen Sie Ihr Geld für sich arbeiten!« Man muß nun wirklich nicht sehr gescheit sein, um das als schwachsinnig zu erkennen. Natürlich arbeitet mein Geld nicht, auch wenn es auf der Bank liegt. Natürlich arbeitet irgendwo im brasilianischen Urwald ein Chaboclo, der unersetzliche Bäume umsägt. Natürlich arbeitet in den Schären von Alaska ein analphabetischer Malaie, der einen Hunderttausendtonnen-Tanker für seinen besoffenen Kapitän so gut es geht durchbugsiert. Natürlich arbeitet, um mein Geld zu vermehren, ein Uran-Kumpel im Reservat der Navajos, denen er pro Kilowatt Atomstrom etliche Kubikmeter Yellow Cake, also Strahlenmüll, vor die Türen ihrer Hogans schaufelt. Dank der Begrenzung unserer Sinne, dank der segensreichen Erfindung der Arbeitsteilung bleiben uns diese Tatsachen verborgen.

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Dies ist der Punkt, wo die Gnaden-Funktion des D-Mark-Sakraments unversehens umschlägt in eine andere, wohlbekannte und verwandte, religiöse Funktion: die Funktion der Stellvertretung für alle Sünden, die ich eigentlich selbst zu verantworten habe. 

Ich bitte mich nicht mißzuverstehen: das Geld ist von Anfang an und seiner ganzen Bestimmung nach ein Instrument der Stellvertretung und als solches eine der genialsten Erfindungen der Menschheit. Auf lateinisch heißt das Geld pecunia und enthält den Stamm pecus — das heißt Rindvieh; es wurde also zum Ersatz für das mühselige Geschäft, für jeden Austausch von Gütern und Dienstleistungen eine Rindviehherde auftreiben zu müssen. Und auf deutsch wird mit jedem Stück GELD eben etwas abgegolten, ein Tausch besiegelt, so konkret oder abstrakt er immer sein mag.

Logischerweise hängt GELD etymologisch mit dem englischen GUILT zusammen, was »Schuld« heißt, aber nicht monetäre, sondern moralische Schuld, Schuld vor Gott und den Menschen. Fast alle alten Rechtsbücher vor allem der germanischen Völker sind voller Vorschriften für Bußzahlungen; »Wergeid« wurde für Totschlag gezahlt, für Schändung, für Treubruch — Geld hat gesühnt, Geld hat Schuld getilgt, Geld gab Ablaß.

Aber sofort treffen wir, wenn von solchem lösenden und erlösenden Wesen des Geldes die Rede ist, auf die finstere Kehrseite der Medaille: den Ablaß-Handel, die trügerische Annahme, daß man Leben und Tod und ihre ewigen Gesetze schon irgendwie wird managen können, wenn man nur den richtigen Preis ermittelt. 

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Im Spätmittelalter verwaltete Rom den »Thesaurus Ecclesiae«, den Gnadenschatz, der sich durch Jesu Opfertod und durch die Verdienste der Heiligen sozusagen auf der Habenseite der ewigen Bilanz angesammelt hatte, und von dem die Kirche als Bankerin gegen entsprechende irdische Sicherheiten, lies Ablaßgelder, Sündenstraf-Nachlässe gewähren konnte. Wir kennen das geschichtliche Resultat: die Beamten der Fugger, die den Ablaßprediger Tetzel begleiteten, um die Rückzahlung der gewährten Kredite zu gewährleisten, zahlten für die Liebesdienste der Hübschierinnen mit Ablaßbriefen, die absolute Konvertierbarkeit von weltlichem und geistlichem Geld war Tatsache.

Wie wir wissen, hat Luther all das durcheinandergebracht, hat nicht nur die Protestanten, sondern auch die Christen, die Rom die Treue hielten, von dieser Gleichschaltung der Währungen abgebracht. Aber es wäre höchst verwunderlich, wenn so in die Kultur eingepflanzte, eingefleischte Gedanken- und Gefühlsgänge sich nicht erhalten hätten, weit bis in unsere säkularisierte oder vielmehr ökonomisierte Gesellschaft hinein. Denn letzten Endes sind diese Gänge schon längst vor unserer christlichen Ära gegraben worden, gehören zu den ältesten Werkzeugen und Aushilfen der Menschheit: die magische salvatorische Formel, die es mir erlaubt, ein Tabu zu umgehen; der ewig fortlaufende Handel mit den Gottheiten und Mächten; die Konvertierbarkeit der himmlischen und weltlichen Währungen prägte schon immer den Umgang des Menschen mit dem, was er nicht ganz verstand, aber zur Anordnung eines Lebenssinnes unbedingt brauchte.

Und in einem ökonomischen Fundamentalismus wie dem unseren ist es naturgemäß das Geld und nichts als das Geld, was diese alten Umgangsformen ersetzt und übernommen hat. Mit anderen Worten: Alles hat seinen Preis. Damit hätten wir den zweiten Mythos, mit dem wir uns auseinandersetzen müssen.

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Der Satz ist nämlich richtig, aber die Währung stimmt nicht. Alles, was auf dieser Welt geschieht und vorrätig ist, hat seinen Preis — aber er wird nicht in Dollar oder D-Mark oder Euro entrichtet, sondern in Energie — entweder in materieller oder in sozialer Energie. Unser Fundamentalismus beruht auf der steten kostenlosen oder doch kraß unterbezahlten Zufuhr dieser beiden Energieformen. Diese bedient sich zum Beispiel am Arbeitsethos alter Bauernkulturen, hat in Deutschland hintereinander italienische, griechische, südslawische und türkische Energien an sich gezogen und verwertet. Jene, die materielle Energie, wurde durch die Jahrmillionen der Erdgeschichte ausschließlich von der Sonne geliefert und im wesentlichen durch Ernährung und Verdauung freigesetzt, zunächst nur der des Menschen, dann in wachsendem Maß auch seiner tierischen Hausgenossen. Selbst das Brennholz stammte im wesentlichen aus regenerierbaren Waldbeständen — eine Kreislaufwirtschaft, die sich erst mit dem Aufkommen der sogenannten Hochkulturen, vor allem der Seefahrt, änderte.

Dann entdeckte man die Bodenschätze. Das Wort ist liebenswert und verräterisch, denn es läßt unmittelbar auf die allgegenwärtige Methode der Akquisition schließen: Schatzsuche — und Schatzraub, Tresorknackerei. Am besten läßt sich das an den fossilen Energievorräten, insbesondere am Erdöl demonstrieren.

Sie werden in aller Welt nach dem Tresorknackerprinzip eingeholt. Kosten verursacht erstens der jeweilige politische Hausmeister, dem man Schmiergeld zahlen muß — wenn er zu frech wird, schafft man ihn mehr oder weniger gewalttätig ab, siehe Mossadegh seinerzeit im Iran, Allende in Chile, Lumumba im Kongo. Zweitens gilt es das Einbruchswerkzeug zu beschaffen: Bohrmaschinen, Raffinerie-Technik etcetera.

Dazu kommt die Beschaffung der nötigen Transport-Kapazität: Tankwagen, Güterwaggons, Schiffszüge, Pipelines.

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Insgesamt ist die Parallelität mit der Vorbereitung eines professionellen Bankraubs unübersehbar. Noch wichtiger ist allerdings, daß hier wie dort für die Ware selbst nicht bezahlt wird. So ist der erdgeschichtliche Wert der Kohlenflöze und Erdölkavernen gar nicht hoch genug anzusetzen: sie sind das Resultat einer evolutionären Arbeit der Lebenssphäre, die sich, durch Bindung ungeheurer Mengen von Kohlenstoff und Freisetzung des problematischen Sauerstoffs, jene Atmosphäre schuf, in der wir allein zu leben vermögen. (Der Fortschritt, dessen wir uns so rühmen, besteht im wesentlichen darin, diese Arbeit rückgängig zu machen.)

Ähnliche Schatzraub-Methoden bemächtigten sich der Landwirtschaft (Agrar-Chemie, Aushagerung der Böden, Verwandlung der natürlichen Nahrungsketten in industrielle Fließbandfabrikation von der Aussaat bis zur Klarsichtfolien-Verpackung); bemächtigten sich der Fischerei, der gesamten Sekundärproduktion, die nur mithilfe immer steigender Mengen von maschineller Energie zu bewältigen ist — wodurch zwangsläufig Arbeitskraft »freigesetzt«, d.h. auf den Müll gekippt wird.

Die beiden Währungen - hier unsere Geldwirtschaft, dort die Energiewährung - gerieten infolgedessen immer weiter auseinander. Hiezu nur zwei Beispiele: erstens das des Dorftrottels, der sich eine Harley-Davidson kauft, und des erstklassigen Unfall-Arztteams, das ihn acht Tage später so gut es geht wieder zusammenflickt. Beide Leistungen, die des Trottels wie die der Ärzte, erhöhen das Bruttosozialprodukt. Zweites Beispiel: der Einsatz von Kalorien zum Zweck der Gewinnung von Kalorien, nämlich Nahrungskalorien. Ich erinnere mich an eine Tabelle, in der als energetisch billigste, da im Endresultat profitabelste Methode die steinzeitliche Aussaat mithilfe des Pflanzstocks aufgeführt war; es ging dann über konventionelle und hochtechnisierte Landwirtschaft bis zur modernen Hochseefischerei, bei der auf zwanzig eingesetzte Kilowatt oder Joule oder was sonst eine entsprechende NAHRUNGS-Einheit kommt.

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Alles hat seinen Preis, sagten wir, aber die Währungen stimmen nicht. Das führt dazu, daß die Falschen zahlen. So hinterläßt jeder Einbruch ein Durcheinander, eine kraß erhöhte Entropie, deren Schaden oft größer ist als der Wert der Beute. Verstärkt wird dieser Entropie-Effekt noch durch die Endbestimmung, die den Ergebnissen unserer Produktion zugedacht ist. So dürfen etwa sogenannte dauerhafte Konsumgüter keinesfalls zu dauerhaft sein, was fürs Bruttosozialprodukt schlecht wäre. Und damit ist als causa finalis, als End-Zweck all unserer Produktionsbemühungen eindeutig der Schrotthaufen erkennbar. Und wer zahlt für diesen Schrotthaufen, für diese immer raschere Transportbewegung zum entropischen Ziel des Wärmetods? Eindeutig nicht der Produzent oder der Konsument, sondern die Kinder, die Enkel, die gesamte Lebenssphäre.

Fassen wir unsere kleine Entmythologisierung in zwei Sätzen zusammen: Erstens — Geld arbeitet nie für sich selbst, Geld läßt andere Leute arbeiten. Und zweitens: Alles hat seinen Preis, aber es zahlen die Falschen und nicht in unserer Währung.

Bleibt nun, über diese nüchternen Sätze hinaus, noch Platz für Visionen vom Nutzen des Geldes? Noch dazu für eine nachhaltige Zukunft?

Es gibt Leute, und zwar gescheite Leute, die das entschieden bestreiten. Sie sehen in der gegenwärtigen Apokalyptik des globalen Finanzmarktes, in den Tausendmilliarden-Wolken, die tagtäglich über die Bildschirme der fünf Kontinente jagen, die endgültige Evidenz für die endgültige Entropie des Geldes, seine endgültige Entfremdung von jedem humanen Nutzen.

Nun liegt es mir erstens vom Temperament her nicht, zu resignieren, und zweitens habe ich in Jahrzehnten des säkularisierten Prophetenhandwerks ein gesundes Mißtrauen gegen Prognostik erworben. Ist es nicht dennoch möglich, das Geld von alten und neueren Flüchen zu befreien und es, trotz oder gerade wegen dieser Fluchwürdigkeit, zu einem vielleicht nicht entscheidenden, so doch nutzenbringenden Werkzeug nachhaltiger Entwicklung zu machen?

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In der alten römischen Präfation vom Heiligen Kreuz heißt es: »Du hast das Heil des Menschengeschlechts auf das Holz des Kreuzes gegründet, damit das Leben neu erstehe von dort, wo der Tod geboren wurde, und damit der, welcher am Holze siegte, auch am Holz besiegt werden würde ...« Das Holz des Todes, das gemeint ist, ist natürlich der Baum der Erkenntnis im PARADIES; DIE Operations-Basis der Schlange; und es ist eine tiefsinnige Legende, die annimmt, das Kreuz Christi stamme, wohl über eine lange Kette von Generationen, von ebendiesem Baume ab. Das Element und die Ausgangsbasis des Unheils ist eng und sehr materiell mit dem Element und Wirkstoff der Erlösung verbunden — ein aus jeder Mystik wohlvertrauter Gedanke, der sicher vorgetragen werden darf, wenn man erst einmal die historische Sakramenten-Rolle der D-Mark begriffen hat.

Nun ist jeder Weg ins Unheil ein Weg in Gefangenschaft, und jede Erlösung ist zugleich eine, ja die Befreiung. Und solche Befreiung liegt sehr, sehr oft in der Hand derer, die selber glauben Gefangene zu sein. Der große englische Dichter Milton hat das in einer markanten Zeile ausgedrückt: The Gates of Hell are locked from within die Tore der Hölle sind von innen verriegelt.

Um dies konkreter zu machen, darf ich wieder auf ein persönliches Geld-Erlebnis zurückgreifen, diesmal aus der jüngsten Vergangenheit. Da starb eine weitläufige Verwandte, eine hochbetagte Dame, die in einfachsten Verhältnissen lebte und einfach kein Bedürfnis nach Geldausgeben empfand. Sie hinterließ uns ein knapp sechsstelliges Erbe, das mir etwas bescherte, was ich mein ganzes Leben nicht geschafft hatte: ein Bankdepot.

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Ihre Anlagen waren natürlich zutiefst konservativ. Da war eine Schuldverschreibung ihrer Bank (einer weithin bekannten bayerischen Geschäftsbank), da waren jene merkwürdigen Sparbriefe, die plötzlich auf einmal ausbezahlt werden und dann einen Haufen Steuer kosten, da war ein Bundesschatzbrief, ein Sparbuch mit den üblichen lächerlichen Erträgen — und einige Aktien der Bank selber.

Meine Tante hatte also, wie wohl die Meisten von uns Klein- und Mittelverdienern, beachtliche Spardisziplin geübt — aber sie hatte wiederum, wie die meisten von uns, das bißchen Vermögen vollständig der Erfahrung der Geschäftsbank anvertraut. Sie war zeichnungsberechtigt, sicher. Aber was mit ihrem Geld geschah, wußte sie nicht. Sie wußte nicht, wo ihre (damals recht stattlichen) Prozente herkamen; ob dafür ein Exxon-Tanker durch Alaskas Schären fuhr, ob die Münchener Urangesellschaft damit den Uranabbau bei den Eskimos finanzierte, oder ob damit vielleicht irgendein Jürgen Schneider betreut wurde. 

Für die paar Aktien besaß sie Stimmrecht, gewiß; aber sie hat garantiert jedes Jahr auf der gepunkteten Linie, unter freundlicher Mithilfe des netten Herrn in der Filiale, ihr Stimmrecht an die Bank abgetreten, die sich auf diese Weise selber kontrolliert. Und ihr Bundesschatzbrief brachte ihr zwar aktive Teilnahme an der Umverteilung von unten nach oben (das ist die gewollte oder ungewollte Endbestimmung der Bundesverschuldung), aber zu einem so geringen Betrag, daß sie sich deswegen keine moralischen Vorwürfe zu machen brauchte.

Sie war sehr mächtig, wie wir Zeichnungsberechtigten alle — und sie war praktisch ohnmächtig. Sie selbst hatte, wie wir alle, die Riegel der Hölle von innen vorgeschoben, in dem Augenblick, wo sie die entsprechenden Kauforders und Vollmachten unterzeichnete. Von diesem Zeitpunkt an entschieden andere über ihr Scherflein von Macht, bestimmten andere, was und wo gearbeitet, gehandelt, tresorgeknackt wurde. 

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Ich behaupte keinen Augenblick, daß die Herren der Banken pflichtvergessen oder schurkisch oder zynisch sind (manche sind's vielleicht doch, aber die stehen hier nicht zur Debatte). Entscheidend ist, daß diese Herren (meist sinds ja Herren, Damen findet man ganz wenige in ihrem Fach und in ihrer Position) ihre Pflicht tun, und ihre Pflicht ist eben immer wieder das Tresorknacken oder entsprechende Dienstleistungen dafür. Kürzer und brutaler gesagt: ihre Pflicht ist es, die Entropie zu erhöhen und damit die Lebenswelt zum Teufel zu schicken.

Und wir Zeichnungsberechtigten können die Verantwortung dafür keineswegs leugnen — so wenig wie der kleine Hitler- oder Stalin-Mitläufer seine Verantwortung leugnen konnte.

Ich wiederhole: wir sind zeichnungsberechtigt, ob uns das paßt oder nicht. Und das kleine Bankdepot meiner weitläufigen Tante war ja nur die erste, winzige Schaumlippe einer ungeheuren Woge, die in diesen Tagen und Jahren über uns hereinbricht — der größten Vermögensbewegung aller Zeiten.

Wir sind ja bitterarm, sicher. Der Bund hat kein Geld, die Länder haben kein Geld und die Kommunen erst recht nicht. Die Zahl der Sozialhilfeempfänger steigt, die Zahl der Obdachlosen steigt, es reicht hinten und vorne nicht. Und auf den Bankdepots, den ganz großen und den kleinen wie dem meiner Tante, lagen und liegen plus-minus siebentausend Milliarden D-Mark. Das ist eine Sieben mit zwölf Nullen. Das sind sieben mal zehn hoch zwölf der geweihten Hostien des Zentralsakraments. Und von diesen wird in den nächsten Jahren etwa ein Drittel, etwa zwei oder zweieinhalbtausend Milliarden Deutschmark, in Bewegung geraten, wird den Besitzer wechseln — sei es durch Erbschaft, sei es durch überlegte Schenkung.

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»Die größte und reichste Erbengemeinschaft (der Geschichte) schlendert gelassen und oft perspektivlos ihrem Erbe entgegen«, so las ichs kürzlich in einem Programm-Prospekt der Katholischen Akademie Freiburg — eine Formulierung, für die ich ausdrücklich danke. Gelassen, perspektivlos — das ist eine Wahl des Verhaltens, obs uns bewußt ist oder nicht. Das ist der Entschluß, die Riegel am Tor der Hölle geschlossen zu halten. Gelänge es, dieses Verhalten zu ändern; gelänge es, auch nur einen Bruchteil dieses Reichtums einer nachhaltigen Zukunft zur Verfügung zu stellen, es würde die Welt verändern.

Mehr und mehr Menschen in unserem Land, die diese Situation begreifen (innerlich begreifen), machen sich darüber ihre Gedanken. Die Heinrich-Böll-Stiftung ist im Begriff, eine Aufklärungs- und Aktions-Kampagne unter dem Titel »Gemeinwohlorientierte Vermögensübergänge« zu starten, unter dem Motto: »Zehn Prozent fürs Gemeinwohl!« Zehn Prozent, das wären, nach obiger Schätzung, hundertfünfzig bis zweihundert Milliarden — ein hübsches Sümmchen, und es ist reichlich optimistisch, damit zu rechnen. Aber selbst wenn es nur fünf, nur zwei Prozent werden sollten: es reicht immer noch zu einem stattlichen Parallel-, oder vielmehr zu einem Contra-Budget.

Jawohl, einem Budget, das über die wahren Prioritäten auch die Wahrheit sagt. Ein Budget, das zum Beispiel die ungeheuren pädagogischen Bedürfnisse der Jugend ernster nimmt als den Eurofighter. Einem Budget, das die wachsende soziale Misere nicht einfach an die Suppenküchen der Wohltätigkeit delegiert — denn so weit sind wir bald.

Vor allem aber wäre es lebensnotwendig, etwas für das Lebensnotwendigste zu tun — unsere Lebens­grund­lagen in dieser Region und auf diesem Globus. Hier stoßen wir auf das letzte Adjektiv im Titel meines Vortrags: das Adjektiv »nachhaltig«. Und wenn ich hier und heute über Nachhaltigkeit sprechen soll [vielleicht sogar Nachhaltigkeit im Gaytal], dann gilt es in erster Linie, über Energie und Energiefreisetzung zu sprechen. Ja, die lebensnotwendige radikale Energie-Konversion: sie ist der vordringlichste Posten in einem solchen Contra-Etat. 

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Sie muß so massiv gefördert werden, wie wir das nur fertig bringen. Sie wäre der zentrale Angriff auf die Weltgefahr, die heute von unserem Energie-Gebaren, von unserer blindwütigen Freisetzung von gefesseltem Kohlenstoff und Uranstrahlung ausgeht.

Diese Konversion ist der absolut notwendige Schritt, um die Klima-Katastrophe zu verhindern. Aber die Regierenden weigern sich, die nötigen Marktvorgaben zu leisten. Wind, Wasser, Photovoltaik, Sonnenwärme für Niedrigtemperaturbedarf, Biogas und Biomasse: wie rasch sie sich durchsetzen würden, wenn erst einmal die nötigen Vorgaben sichergestellt sind, zeigt die stürmische Entwicklung der Windkraft. Innerhalb weniger Jahre hat sie in Deutschland eine Leistung von 1600 bis 1800 Megawatt erreicht, einfach weil eine rentable Einspeisungsvergütung ins Netz garantiert wurde.

Das Gleiche geschähe noch rascher und stürmischer, wenn man sich zu einer entsprechenden Vorgabe für die Wärmekraftkopplung, die sogenannten Heizkraftwerke durchringen könnte. Sie kann ein Einfamilienhaus, sie kann eine ganze Reihensiedlung, sie kann ganze Mietblöcke mit Wärme und Elektrizität versorgen — aber bisher gibt es keine rentable Vergütungsgarantie für die Einspeisung ins Netz.

Warum ist das so? Und warum vernachlässigt man die Photovoltaik? Warum gibt man sich mit winzigen punktuellen Förderungsgesten zufrieden?

Sehr einfach: alle diese alternativen Energieformen sind umso effizienter, je dezentraler sie eingesetzt werden. Nicht mächtige Hochspannungs- und Rohrleitungen erfordern sie, sondern flexible Netze, nach Bedarf gesteuert. Und das widerspricht natürlich völlig der Logik des ökonomischen Fundamentalismus. Der denkt GROSS. Der will möglichst lang in seinen Energie-Trutzburgen RWE, VIAG, Preußag und wie sie alle heißen, der Herr über die großen Netze bleiben. Dieser Fundamentalismus vereidigt seine Stromherren auf Macht, Profitmacht und Verfügungsmacht. Der will möglichst lange die Überschüsse aus längst abgeschriebenen nuklearen und fossilen Großkraftwerken sicherstellen.

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Wir haben eine Fülle von Beispielen dafür, wie weit die Strom- und Erdölfürsten zu gehen bereit sind, auch in unseren Landen. Aber Abhilfe ist möglich. Tapferkeit ist möglich, Hartnäckigkeit ist möglich. Vor zwei Tagen, meine Damen und Herren, hat die Gemeinde Schönau im Schwarzwald das Ziel eines elfjährigen Ringens erreicht: sie hat ihr Stromnetz vom allmächtigen Versorger zurückgekauft, dem Versorger, dem sie keinen Atomstrom mehr abnehmen will. Schritt für Schritt hat sie das durchgekämpft, ich bin stolz, daß ich mitgeholfen habe, die letzten zwei Millionen für diesen Kauf, dem ein völlig überhöhter Preis zugrunde liegt, in der ganzen Republik zusammenzubetteln. 

Wir haben zu diesem Zweck eine Stiftung Neue Energie gegründet, und wenn jetzt das Elektrizitätswerk Schönau gerichtlich den unmoralischen Überschuß zurückfordert, wenn endlich Schönau für alle die Gemeinden, die nicht die Nerven und die Mittel für eine längst fällige Grundsatzentscheidung vor höchsten Gerichten haben und hatten, eine solche grundsätzliche Klärung erzwingt — dann werden diese zwei Millionen wieder an die Stiftung Sanfte Energie zurückgehen — Grundstock für neue alternative Projekte.

Ich bin in der glücklichen Lage, Ihnen Informationsmaterial zum Komplex Schönau und Stiftung Neue Energie anbieten zu können. Ich habe auch Überweisungsträger mitgebracht, wenn Sie den ersten kleinen Riegel zurückschieben wollen, der den Reichtum der Nation von ihren allerwichtigsten Aufgaben trennt.

Letzten Endes (und wir kehren mit diesem Ende an den Anfang zurück) geht es darum, das Geld zu entsühnen; es aus seiner verfluchten Sakralität zu befreien. Es geht darum, es wieder mit den eigentlichen Energien des Lebens, der sozialen und biosphärischen Energie, konvertierbar zu machen. 

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In Schönau ist das schon geschehen; Schönau ist keine Vision, es war vielleicht einmal eine, aber jetzt, seit dem 1. Juli 1997, ist es eine Realität. Und wenn es uns gelingen sollte, zehn, fünf, zwei Prozent der laufenden Vermögensübergänge für das Gemeinwohl fruchtbar zu machen, wird es noch viele solcher Realitäten geben. Denn worum geht es denn zum Beispiel einem Erblasser? Es geht ihm doch darum, die Zukunft der Seinen besser, sicherer, lebbarer zu machen. Es geht darum, sie vor Unheil zu bewahren, soweit das mit irdischen Gütern möglich ist. 

In früheren Zeiten, in denen neunzig Prozent des Lebens-Mittels noch vom örtlichen Kirchturm aus übersehbar war, hatte die Familie, hatte die Übertragung des Reichtums auf Kinder und Enkel und Neffen und Nichten die Logik für sich. Heute, wo die Maschine des ungezügelten Reichtums Länder und Wälder und Völker verschlingt, Meere ausmordet und alte Salzgruben verstrahlt, Treibhausgase in die Stratosphäre schickt und lebendige Erde mit Beton versiegelt, ist es nicht nur unmoralisch, sondern völlig unlogisch, den Erben nichts anderes zu hinterlassen als die ohnmächtige Finanzierung der geborgten, nicht rechtmäßigen Zerstörungsmacht. 

Es ist nicht nur unmoralisch, sondern unlogisch, jede Zeichnungsberechtigung ins völlig Unbekannte zu delegieren. Stiften und zustiften; Verständigung über Stiften und Zustiften, wie das etwa in den amerikanischen Community Foundations geschieht; Aufbau der Gegen-Etats, Aufbau der gesellschaftlichen Gegenmacht gegen den Mammonismus (gebrauchen wir, ganz zum Schluß, diesen christlichen, diesen wahrhaftigen Namen, den wir bisher mit Abstraktionen umschlichen haben!), Aufbau aus extrem dezentralen Positionen: aus Gemeinden, aus Stadtvierteln, aus Solidarität und Subsidiarität: ich bin überzeugt davon, daß dies die gute alte D-Mark und demnächst den hoffentlich guten neuen Euro entsühnen, entmammonisieren, mit den Wirklichkeiten der Schöpfung oder der Evolution, wenn Sie so wollen, wieder konvertierbar machen kann.

Auch mit den Wirklichkeiten der wahren menschlichen Bedürfnisse, wie ich meine. Dezentralität ist nicht nur demokratisch, sie ist beheimatet in der frischen Morgendämmerung der Menschheit. Und der Angriff auf feudale Zwingburgen ist nicht erst seit 1789, sondern schon seit den Bauernkriegen der Widerschein wahrhaftiger menschlicher Bestimmung.

So, und jetzt die Floßgassen auf für die schäumenden Energien, für die gemeinwohlorientierten Vermögens­übergänge, für die Freiheit von den selbstauferlegten Zwangsvorstellungen! Oder, um mit allem Respekt den Vers von John Milton zu variieren und logisch zu ergänzen:

Ich danke Ihnen. 

(1997) 

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