Teil 4 / Lobreden
Der Literat als Freiheitskämpfer
Zum 90. Geburtstag von Hermann Kesten
Nürnberg, 28.1.1990
wikipe Hermann_Kesten 1900-1996
195-199
Unter all den Laudatoren, die zu diesem Geburtstag eines Jahrhundert-Zeugen in Nürnberg versammelt sind, fällt dem Präsidenten des bundesdeutschen P.E.N.-Zentrums eine besonders angenehme Aufgabe zu — jedenfalls will es mir so scheinen. Denn wenn — im aufreißerischen Stil des internationalen Marketing — so etwas wie der Titel »Mister PEN« zu vergeben wäre, dann fiele er zweifellos unserem Jubilar zu.
Er hat, in einer Epoche von Barbarei, die man vor 1933 für unmöglich hielt und (leider) heute schon wieder für unmöglich zu halten beginnt, den Beweis dafür erbracht, daß sich der Literat dieser Barbarei stellen, daß er ihr jene Freiheit des Wortes entgegenstellen kann, die sozusagen die Grundwährung des internationalen PEN-Clubs ist — und daß der Praktische Einsatz für diese Freiheit politisch wirksam zu werden vermag.
Er hat dadurch der Nachkriegs-Existenz des internationalen wie des bundesdeutschen PEN ein Erbe übermittelt, das ebenso politisch-praktisch wie moralisch ist. Der Einsatz für politisch verfolgte, verdächtigte, ja der Einkerkerung und der Folterung unterworfene Schriftsteller ist zum wichtigsten Arbeitsgebiet des PEN geworden — ist es, leider, so muß man sagen, bis in unsere Gegenwart geblieben.
Hermann Kestens Wirken in der Emigration, vor allem auch während der Kriegszeit, bleibt uns dabei als höchst konkretes und anfeuerndes Beispiel vor Augen. Und es ist nur konsequent, daß die Medaille, die der PEN alle zwei Jahre für besondere Verdienste um dieses Anliegen vergibt (am letzten 15. November, dem Writers-in-Prison-Tag, hat ihn die energische und opferbereite Angelika Mechtel erhalten, als dritte Trägerin der Auszeichnung), den Namen unseres Jubilars trägt.
Dabei ist Hermann Kesten immer Literat geblieben; ja, er war und ist Cafehausliterat, Asphalt-Literat — eine Tatsache, auf die er zeitlebens großen Wert gelegt hat. Literaten als Freiheitskämpfer — diese neuzeitliche Tradition ist ja keineswegs eindeutig. Gerade in deutschen Landen war man dem Typus Hermann Kesten keineswegs immer gewogen, und zwar schon längst vor den Zeiten der Nazi-Barbarei nicht. In gefühlsstarken und rational verarmten Kulturen wie der unseren im 19. Jahrhundert wurde der Kranz des Freiheitskämpfers nach viel wörtlicheren Regeln verliehen — an Lord Byron etwa, der im Befreiungskampf der Griechen gegen die Türken starb (nicht durch Feindeshand, sondern am hitzigen Fieber, was nicht hinderte, daß sein Name auf griechisch in den Münchener Propyläen, dem Ehrenmal für diesen Freiheitskampf verewigt wurde).
Oder an den feurigen jungen Lyriker Bulgariens, Cristo Botev, der an der Spitze einer verzweifelt kleinen Schar gegen die Türken losschlug und dabei umkam. Oder (typisch deutsches Beispiel des 19. Jahrhunderts) Theodor Körner, der Barde des Freiheitskrieges gegen Napoleon, der als Mitglied einer Freiwilligentruppe, der Lützower Jäger, schlecht ausgebildet im Scharmützel gegen Napoleons Profi-Soldaten fiel. Sein Fall (im doppelten Wortsinn) beweist, daß man einen solchen Tod weitgehend auch als literarisches Gütesiegel auffaßte — sonst wären nicht Generationen deutscher Jugend mit Körners Hervorbringungen belästigt worden.
Nun, Hermann Kesten gehört, wie schon erwähnt, einer ganz, ganz anderen Tradition an; einer Tradition, die wohl zu Beginn des 18. Jahrhunderts in Londoner Kaffeehäusern begann, ihre eigentliche Blüte aber im Frankreich der Aufklärung entfaltete und daher mit Fug und Recht als Erbe Voltaires und der Enzyklopädisten bezeichnet werden kann. Hier geht es nicht in erster Linie um den Kampf gegen irgendwelche äußeren Tyrannen, es geht um die Freiheit der Köpfe und die Freiheit der Gesellschaft, welche den Inhalt der Köpfe bestimmt. Es geht von Fall zu Fall und von Jahr zu Jahr um so konkrete Dinge wie Justizirrtümer und Übermut der Zensur, gleichzeitig aber und sozusagen in Idealkonkurrenz um Abstrakta wie Meinungsfreiheit, Recht auf Skepsis und Zweifel, um die Veränderung von Politik und Gesittung.
Trotz Wieland und Lessing, trotz Kant und Heine und Börne, ja trotz Goethe (der ja ein eminenter Aufklärer gewesen ist, unter vielem anderem) ist der Typus hierzulande nur mit größter Verspätung heimisch geworden; und anno 1900, als Hermann Kesten geboren wurde, war er noch keineswegs wirklich eingebürgert. Der Nationalbetrieb des 19. Jahrhunderts stand ihm feindselig gegenüber, und wo seine Erwähnung nicht zu vermeiden war (etwa im Falle Lessings, Kants oder Goethes), hat man ihn je nachdem in die sogenannte nationale Tradition hineingedeutet, vielmehr hineingebogen — Menschen meines Alters haben das in Deutschlands Schulen noch sattsam mitbekommen und entweder bewußtlos integriert oder auch bewußt durchlitten.
Die erstere Partei blieb in der Überzahl, schickte eine herzzerbrechende Zahl von Talenten auf die Schlachtfelder des Ersten Weltkriegs — das Stichwort Langemarck steht für diesen zivilisatorischen Greuel. Und erst in der sogenannten Weimarer Zeit konnte sich der voltairianische Typus des aufklärenden Literaten etablieren, konnte vor allem in Berlin etwas heimisch werden.
Daß die Schlacht damit keineswegs gewonnen war, ist den Literaten durchaus klar gewesen — sonst wäre der PEN nie gegründet worden. Er konstituierte sich sozusagen als die ständisch-literarische Garantie für jene Freiheit des Wortes, die wohl nie ganz ohne Gefährdung ausgeübt werden kann. 1933 zeigte es sich denn auch, wie vorläufig dieses Heimatrecht gewesen ist. Und Hermann Kesten stand als Typus mitten im Ressentiment, im Kreuzfeuer der Ressentiments: Haß gegen den Asphalt oder was man so nannte, Haß gegen die Cafehäuser und ihre windigen Insassen, Haß gegen die Skepsis, den Zweifel, ja die Aufklärung selbst. Haß von Sinnhubern jeder Couleur — und wohl auch Haß gegen die literarische Kompetenz selbst (Joseph Goebbels etwa, der rein soziologisch dem Typus gar nicht so fernstand, hat sicher auch aus dem puren Neid des literarisch Erfolglosen gehandelt).
Aber nun zeigte sich etwas Überraschendes!
Dieser verhaßte Typus, dem man Windbeutelei, Zersetzung, Kraftlosigkeit vorwarf, bewies eine Entschlossenheit, mitten in der Barbarei auf der Verteidigung der Literatur, der Literaten, auf der Verteidigung ihrer Standardwährung, nämlich der Freiheit zum wahren Wort, zu bestehen. Dieser Typus — kommen wir zum Anlaß, sprechen wir über Hermann Kesten! — entfaltete Tatkraft, erwies sich als über die Maßen tapfer auf dem schwierigsten Schlachtfeld, das es gibt, auf dem nämlich, wo es nur um die Courage des Einzelnen geht, des »gerechten und zielstrebigen Mannes«, von dem schon der alte Horaz sang; des Mannes, der nicht nur der Drohgebärde des Tyrannen, sondern auch der Wut der verderbten Mehrheit widersteht, ja den selbst der krachende Einsturz des Weltgebäudes nicht zu schrecken vermag — »impavidum ferient ruinae«.
Seit Hermann Kestens Geburtstag ist mehr als ein Weltgebäude zusammengekracht: 1917/18, 1933, 1945, 1989. Nicht nur er, sein Erbe, seine Tradition im PEN hat es überlebt, und, wie wir hoffen, unerschrocken überlebt.
Heute ist ein Kollege, den wir im Zug der von unserem Jubilar initiierten oder doch gestützten und vitalisierten PEN-Politik zum Ehrenmitglied gemacht haben, Präsident einer benachbarten Republik geworden.
Es ist dies das schönste Geschenk, das der PEN dem Jubilar überhaupt machen konnte.
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