Start     Weiter

Brief der Mutter Alexander Serhijenkos

 

185-200

An die Organisation »Amnesty International«
von Oxana Jakiwna Meschko-Serhijenko, geb. 1905, Witwe eines Veteranen des Vaterländischen Krieges 1941-1947
Kiew 86, Werbolozna 16.

Beschwerde

Die Zeitung »Radjanska Ukrajina« vom 14. Februar 1972 enthielt eine Nachricht über die Verhaftung von I. A. Switlytschnyj, W. M. Tschornowil, J. A. Swerstjuk und anderer wegen »feindlicher Tätigkeit der sozialistischen Gesellschaftsordnung gegenüber«.

Zu den vielen anderen gehörte auch mein Sohn Alexander Fedorowytsch Serhijenko, verhaftet 1972 während der Kampagne der erschreckenden Verhaftungen unter der schöpferischen ukrainischen Intelligenz und den Schaffenden der nationalen Kultur in der Ukraine. Der Verhaftung ging am 12. 1.1972 eine Haussuchung voraus, eine weitere folgte am 4.2.1972, die dritte am 20.12.1973, als sich mein Sohn bereits im Permer Lager befand. Während der Haussuchung wurden Materialien sichergestellt, deren Liste ich beifüge.

Mein Sohn wurde am 24.6.1972 vom Kiewer Gebietsgericht in einer geschlossenen Verhandlung (nicht einmal seine Mutter und seine Ehefrau wurden zugelassen) aufgrund des Art. 62, Nr.1. des Strafkodex der Ukr. SSR zu sieben Jahren Besserungsarbeitslager und drei Jahren Verbannung verurteilt.

Der Richter, Genosse Mazko, hat während der Gerichtsverhandlung gegen die Artikel 367; 368, 1, 3, 4; 370,9; 371; 372 der Strafprozeßordnung verstoßen.

Im Zusammenhang damit war das Gericht gezwungen, in seinem Beschluß zu Vorbehalten und ungefähren Annahmen Zuflucht zu nehmen, die »... die Sachlage nicht klären« (aus der Berufungsbeschwerde des Verteidigers S. M. Martysch) und die von offensichtlicher Gesetzwidrigkeit zeugen.

Serhijenko wurde der Agitation und Propaganda in mündlicher und schriftlicher Form beschuldigt: er habe mit dem Ziel der Untergrabung und Schwächung der Sowjetmacht »antisowjetische Dokumente verfaßt, aufbewahrt und verbreitet«. Die wichtigsten der etwa zehn Anklagepunkte:

1. Ein Abzug von etwa 33 Seiten des Manuskripts von Iwan Dzjuba »Internationalismus oder Russifizierung?«

Der Nachweis dieses Anklagepunktes wurde damit begründet, daß Serhijenko auf den ersten 33 Seiten des Manuskripts mit Bleistift Anmerkungen an den Rand geschrieben habe -einige Sätze und Worte, die vom Gericht als Mitautorschaft ausgelegt wurden. Der Verfasser des Manuskripts wurde in der Sache nicht als Zeuge vorgeladen. Nach seiner Reueerklärung und der darauffolgenden Freilassung schickte Dzjuba jedoch eine am 20. 5. 1974 datierte Erklärung an das Oberste Gericht der Ukr. SSR, in der er die meinem Sohn zur Last gelegte Mitautorschaft an seiner Arbeit bestreitet und das Gericht bittet, im Fall Serhijenko aussagen zu dürfen. Die Schlußfolgerung, daß Serhijenko unrechtmäßig als Mitautor beschuldigt wird, liegt auf der Hand (siehe die Erklärung von I. Dzjuba).

2. Erklärungen zur Tschechoslowakei - die Anklage lautet wie folgt: »Im September 1968 hat Serhijenko in Gegenwart der Studenten Srebnyj, Werhatnyj und anderer im Zusammenhang mit den konterrevolutionären Ereignissen in der cssr die sowjetische Wirklichkeit und die Demokratie der UdSSR verleumdet.« Das Gerichtsurteil enthält zu diesem Punkt folgenden Vorbehalt: »Der Umstand, daß die Zeugen kein genaues Datum dieser Gespräche angeben können, ist an und für sich kein Beweis für die Unglaubwürdigkeit dieser Zeugenaussagen.« Alle Zeugen haben während der Verhandlung ausgesagt, das Gespräch über die Tschechoslowakei habe am Anfang des Studienjahres stattgefunden - sie konnten sich nicht erinnern, in welchem Studienjahr -, und dabei stellte sich heraus, daß sie im Herbst 1968 auf dem Neuland im Ernteeinsatz waren, während sich Serhijenko, der seit 1967 vom Medizinstudium ausgeschlossen war, in Kiew befand.

Außerdem stellte sich heraus, daß die Beziehungen zwischen meinem Sohn und dem Studenten Srebnyj feindselig waren (es war zu Tätlichkeiten gekommen); somit sind seine Zeugenaussagen nicht rechtskräftig.

186


Die willkürliche Verlegung eines Gesprächs über die Tschechoslowakei vom Studienjahr 1966/67 in den August 1968 ändert grundsätzlich die Sachlage. Selbst wenn ein solches Gespräch stattgefunden haben sollte, konnte sein Inhalt nicht die Ereignisse von 1968 in der CSSR betreffen, wie die Anklage nachzuweisen versuchte.

Ich beziehe mich auf die Rede G. Husaks vom 26. August 1972 in Prag: »Wir haben niemanden für seine politischen Ansichten und Überzeugungen aus den Jahren 1968/69 verurteilt, wir verurteilen niemanden und werden auch in Zukunft niemanden dafür verurteilen.«

3. »Korrespondent der illegalen Zeitschrift >Ukrajinskyj Wisnyk<« (Der ukrainische Bote).

4. »Nekrolog« - ein handgeschriebener Text auf der Seite eines Schulheftes.

Die Grundlage der Anklage der letzten beiden Punkte:

a) Die Grabrede Serhijenkos am 7. 12. 1970 bei der Beerdigung der unter rätselhaften Umständen ermordeten Kiewer Malerin Alla Horska und der Abdruck dieser Rede ohne Wissen meines Sohnes in der inoffiziellen unzensierten Zeitschrift »Ukrajinskyj Wisnyk«; die Grabrede wurde vom Gericht als »antisowjetisch und verleumderisch« ausgelegt.

b) Eine Kladde meines Sohnes - die dem Gericht als »Beweisstück« diente1. In der Kladde sind 95 Seiten durchnumeriert, sie sind unbeschrieben mit Ausnahme l. eines zweiseitigen Textes aus der Einleitung der Zeitschrift »Ukrajinskyj Wisnyk«; 2. der Erzählung Kesslers »Finsternis am Mittag«, etwa 6 Seiten; 3. des Satzes »Das erzchauvinistische Gift der Russifizierung auf den Seiten der sowjetukrainischen Publikationen«; 4. des Satzes auf Seite 73: »Aus dem ukrainischen Gesellschaftsleben« und einiger Vorlagen memoiristischen Charakters, die jedoch fragmentarisch und nicht abgeschlossen sind.

Das ist alles. Keine Texte. Es gefiel dem Gericht, die Eintragungen auf den Seiten l und 73 als »Entwürfe« für die Zeitschrift »Ukrajinskyj Wisnyk« auszulegen. Weitere Beweise zu diesem Punkt liegen nicht vor, auch keine Expertisen über

187


einen inhaltlichen Zusammenhang dieser vereinzelten Sätze mit der Anklage. Die Beschuldigung der Teilnahme meines Sohnes an der Herausgabe der Zeitschrift »Ukrajinskyj Wis-nyk« anhand der Punkte 3 und 4 ist unbewiesen; die Veröffentlichung des Nekrologs gibt keine Grundlage, ihn der »antisowjetischen Verleumdung« anzuklagen. Der Text des Nekrologs ist der Akte beigefügt, sein Inhalt beschränkt sich auf den Ausdruck der Gefühle des Verlustes und hat keinen politischen Charakter. Es entbehrt jeder Grundlage, diesen Text als »antisowjetisches Dokument« auszulegen.

5. Die verleumderischen Äußerungen Serhijenkos über die Durchführung des Russifizierungskurses in der Ukrainischen SSR. Er kritisierte den Zustand, daß an den Hochschulinstituten der Ukraine, besonders am Medizinischen Institut, an dem er studierte, alle Vorlesungen in russischer Sprache abgehalten wurden. Als »Beweisstück« wurde während der Gerichtsverhandlung ein Tonband mit der Stimme Serhijenkos abgehört, er schildert darauf seine Eindrücke von einer Delegiertenabordnung beim ZK der KP der Ukraine 1967 zur Frage der Notwendigkeit des Übergangs von der russischen zur ukrainischen Unterrichtssprache an den Hochschulen der Ukrainischen SSR.2 Das Tonband wurde während einer Hausdurchsuchung vom KGB beschlagnahmt. Diese Aufzeichnung war nicht zur Verbreitung bestimmt. Ich hatte sie selbst schon 1967 aufgenommen, weil mich der Bericht meines Sohnes mit der Wahrhaftigkeit der Entlarvung unserer Wirklichkeit betroffen hatte.

Der Leidensweg auf der Suche nach der Wahrheit, die Schwierigkeit der Delegierten, eine Audienz bei der hohen Obrigkeit in den beschützten Kabinetten der Abteilung für Ideologie beim ZK der KP der Ukraine zu bekommen, die Mißachtung und Geringschätzung den »nichtoffiziellen« Delegierten gegenüber...

Und das Finale - ein Gespräch mit dem Genossen Popow, einem gewöhnlichen Wächter der Ideologie in dieser Abteilung.

188


Nachdem die Tonbandaufzeichnung abgehört worden war, wurde das Band auf Verlangen des anklagenden Staatsanwalts, Genosse Arschanow, als »Beweisstück« aufgenommen und laut Gerichtsbeschluß vernichtet. Den eigentlichen Anklagepunkt - »die Äußerungen über die Russifizierung« ließ der Staatsanwalt Arschanow aus irgendwelchen Gründen jedoch nicht aufnehmen, es blieb also ein nicht erhärtetes, überaus überzeugendes und nicht weniger beredtes »Beweisstück«.

 

6. Die Beschuldigung des Nationalismus beruht lediglich auf Äußerungen Serhijenkos, die von Zeugen als »nationalistisch« ausgelegt wurden.

Auf die Bitte des Anwalts, zu erklären, warum die Studenten Serhijenko als »Nationalisten« bezeichneten, antworteten die Zeugen während der Gerichtsverhandlung: »Serhijenko hat stets konsequent Ukrainisch gesprochen. Sogar seine Vorlesungsaufzeichnungen waren ukrainisch! Auch die Prüfungen hat er in ukrainischer Sprache abgelegt.«

Sie bezeugten auch, daß Serhijenko, wenn er mit den Studenten zum Ernteeinsatz fuhr, ihnen gerne ukrainische Gedichte von Schewtschenko, Franko, L. Ukrajinka, Symonenko, Lina Kostenko und anderen vorlas. Die zur Bestätigung der »antisowjetischen mündlichen Propaganda« als Zeugin geladene Professorin des Lehrstuhls der Philosophie widerrief die von ihr während der Voruntersuchung zu Protokoll gegebenen Aussagen, da sie offensichtlich entstellt seien - aus ihnen ging hervor, daß Serhijenko durch ständige Fragen ihre Vorlesungen in eine Diskussion verwandelte.3 Sie bestätigte, daß Serhijenko ein sehr gebildeter und ausgezeichneter Student gewesen sei, daß er tiefe und ernsthafte Fragen gestellt habe, daß sie historischen Materialismus gelehrt habe und nicht habe zulassen dürfen, daß ihre Vorlesung in eine Tribüne der Studenten verwandelt wurde. Doch ihre positive Charakteristik hatte keinen positiven Einfluß auf die Gerichtsverhandlung . . .

 

7. Als nächster Punkt der mündlichen Propaganda wird angeführt, daß während eines Urlaubs in der Stadt Skadowsk in einer zufälligen Unterhaltung mit zufälligen Bekannten unter zufälligen Umständen über die »selbständige« Ukraine gesprochen worden sei. Der einzige vor Gericht geladene Zeuge Dawydenko legte dieses Gespräch in einem dem Gericht genehmen Sinne aus. Ist es rechtmäßig, diese Unterhaltung vor Gericht zu untersuchen, wenn in der sowjetischen Verfassung das Recht auf Selbstbestimmung der Sowjetrepubliken vorgesehen ist?

189


Klingt die Antwort des anklagenden Staatsanwalts, des Genossen Makarenko, vom Obersten Gericht der Ukr. SSR an den Verteidiger, den Genossen Martysch, während der Verhandlung gegen meinen Sohn am 7. 9. 1972 nicht kurios:

»Dieser Punkt gilt doch für das Volk und nicht für Serhijenko!«

8. Der einzige Zeuge Dudtschak sagte aus, daß Serhijenko in seiner Wohnung unter vier Augen über die Zweckmäßigkeit einer geographischen Revidierung der Grenzen der Ukraine auf der Grundlage ihrer ethnisch-ethnographischen Dichte gesprochen habe. Mein Sohn bestritt kategorisch, daß ein solches Gespräch jemals stattgefunden hat. Juristisch blieb auch diese Beschuldigung unbewiesen.

9. Verfassen, Aufbewahren und Verbreiten von Samisdat-Material.

a) Wieder spielt die oben erwähnte Kladde eine Rolle, die auf zwei Seiten das Fragment eines Vorworts der Zeitschrift »Ukrajinskyj Wisnyk« und zwei Überschriften enthält, die Untersuchungsorgane vermuten, daß es sich um »Vorbereitungen« für Beiträge für diese Zeitschrift handelt.

b) Der Student Werhatnyj hat angeblich das Manuskript »Internationalismus oder Russifizierung?« gelesen, er kann sich aber nicht genau erinnern.

Kurz: es blieb für das Gericht, für den Staatsanwalt, für die Zeugen und für die Verteidigung immer noch ungeklärt: Welches Samisdatmaterial hat mein Sohn verfaßt, aufbewahrt und verbreitet?4

In diesem Punkt wurde mein Sohn faktisch nicht einer Gesetzesübertretung angeklagt, er wurde nur angeklagt, weil das Gericht eine solche Übertretung für möglich hielt. Somit ist die Anklage auf dem Nichts aufgebaut, sie entbehrt der Tatsachen und wirklichen Grundlagen und ist selbst ein empörender Verstoß gegen das vaterländische Rechtswesen.

190


Weitere Tatsachen zu den Verstößen und der Voreingenommenheit des Gerichts gegenüber meinem Sohn:

1. Während der Voruntersuchung waren viele Zeugen verhört worden, zur Gerichtsverhandlung wurden hauptsächlich ehemalige Studenten (heute an der Peripherie beschäftigte Ärzte) vorgeladen, mit denen mein Sohn nach seinem Universitätsausschluß nicht mehr verkehrt und keinerlei Beziehungen unterhalten hatte. Dazwischen lagen fünf Jahre . . .

In der Zwischenzeit arbeitete mein Sohn in zwei größeren Kollektiven: als Lehrer an einer Mittelschule und als Kunstrestaurator im Museum für ukrainische Volksarchitektur und Volksleben. Die Mitarbeiter wurden alle vorgeladen, doch das Gericht hielt es nicht für nötig, ihre positiven Aussagen anzuhören.

2. Die Forderung des Verteidigers und des Angeklagten, zusätzliche Zeugen vorzuladen, wurde vom Gericht abgelehnt, mit Ausnahme der Zeugin Senowia Franko, deren Aussagen überaus befangen waren.

3. Als unbestreitbare Beweisstücke für das »Andersdenken« Serhijenkos hat das Gericht folgende während der Haussuchung beschlagnahmte Unterlagen anerkannt: a) das Buch »Lenin über die Ukraine« (mein Sohn hatte auf den Seiten 304-5 und 387 Anmerkungen gemacht, die von der üntersu-chungskommission als »verächtlich« ausgelegt wurden) sowie b) die Zeitung »Molod Ukrajiny« (Die Jugend der Ukraine) vom 2. 5. 1971 mit einer Rede des Genossen Breschnew. Am Rand des Textes stehen Anmerkungen, die mit den Worten beginnen: »Wenn sie euch wirklich teuer ist. . .« (aus dem Haussuchungsprotokoll des KGB vom 4.2.1972). Mir scheint, daß die erwähnten »Beweisstücke« das schwere Schicksal eines Menschen vorentschieden haben. Serhijenko hat sich für nicht schuldig bekannt. Seine Verteidigung war der gleichen Meinung. Der Anwalt Martysch sah in dem Anklagematerial keine juristische Begründung für eine Bestrafung seines Mandanten und bat das Gericht, Serhijenko zu rechtfertigen.

Die vorgelegten Anklagepunkte wurden also in der Gerichtsversammlung nicht bewiesen. Verurteilt ohne Tatbestand und nach einem Artikel, der der Anklage nicht entspricht.

191


Es wurde das höchstmögliche Strafmaß verhängt, das sogar über das vom KGB-Untersuchungsrichter Arschanow geforderte hinausgeht, das Gericht fügte drei Jahre Verbannung hinzu. Der Verteidiger Martysch schrieb in seiner Berufungsbeschwerde an das Oberste Gericht der Ukr. SSR:

»Geht man davon aus, daß Serhijenkos Schuld an dem begangenen Verbrechen bewiesen ist, dann erfordert der subjektive Aspekt dieses Verbrechens eine Umqualifizierung nach Art. 187, Nr. l des Strafgesetzbuches der Ukr. SSR, der hier zur Anwendung gelangt, da die Handlungen des Angeklagten nicht das Ziel einer Schwächung der Sowjetmacht einschließen.«

Bei einer objektiven Analyse des Wesens dieses Falles wird jeder unvoreingenommene Mensch keinerlei Grundlage für eine gerichtliche Bestrafung Serhijenkos finden.

Doch das Oberste Gericht der Ukr. SSR hat das Urteil gegen meinen Sohn automatisch bestätigt und nicht nach dem Prinzip der Objektivität und der Menschlichkeit entschieden; der vom KGB aufgenommene Fall mußte in allen Abteilungen und durch alle gerichtlichen Instanzen störungsfrei zu Ende geführt werden.

Nach der Verhandlung bekamen andere, sogar zu Spezialfällen zugelassene Anwälte keinen Zugang zur Gerichtsakte meines Sohnes. Dem Anwalt I. S. Jeschow, der die Verteidigung meines Sohnes beim Obersten Gericht der Ukr. SSR übernommen hatte, verweigerte das Kiewer Gebietsgericht am 14. 8. 1972 den Einblick in die Akten (Kiew, Juristische Beratung, Nr. l. Registrierkarte 3862, Quittung 051024, 9/8-78) . . . Das Kiewer Gebietsgericht, das die Gesetzeswidrigkeit zugelassen hat, widersetzt sich jetzt der Durchführung einer Aufsichtsbeschwerde im Fall Serhijenko.

Meine mündlichen Beschwerden während verschiedener Audienzen sowie meine schriftlichen Eingaben an die höheren Instanzen der Ukr. SSR, einschließlich des Obersten Sowjet, sind bereits über eineinhalb Jahre ergebnislos geblieben.

Das Kiewer Gebietsgericht - doch nicht für sich allein? -handelt nach dem Prinzip »Die Macht auf lokaler Ebene« als autonome gerichtliche Einzelinstitution, die frei ist in ihren Entschlüssen und Gesetzesverstößen gegenüber Serhijenko -eines Menschen hinter Gefängnisgittern - und gegenüber seiner Mutter, die früher einmal von einer Sonderabteilung des

192


KGB verurteilt worden war. Obwohl meine Vorstrafe nach zehnjähriger Haftzeit durch die Rehabilitierung aufgehoben wurde, lastet die Tatsache, daß ich vorbestraft bin, jedoch heute noch auf dem Schicksal meines Sohnes. Diese Tatsache begleitet Serhijenko auf all seinen Strafetappen: seine Verhaftung, die Voruntersuchung, das maximale Strafmaß und sogar der Ort seiner Strafverbüßung wurden bestimmt von der Voreingenommenheit des Gefängnis- und Lagerpersonals ihm gegenüber. Die Folge: Serhijenko wurde aufgrund eines Beschlusses des Stadtgerichts von Tschusowsk des Permer Gebietes zu drei Jahren Haft im Wladimirgefängnis verurteilt.5

Der Gerichtsprozedur vom 28. 12. 1973 ging am 20. 12. 1973, über zwei Jahre nach der Verhaftung meines Sohnes, eine Haussuchung in unserem Haus voraus, in dem ich allein lebe. Sie wurde von einer 17köpfigen KGB-Einheit durchgeführt. Dabei wurde ich einer gewaltsamen leiblichen Untersuchung unterworfen, bei der ich mich ganz ausziehen mußte — ohne Erlaubnis des Staatsanwaltes.

Dieser im KGB-Geist vor der Gefängniseinweisung meines Sohnes durchgeführte Akt erweckte den Anschein, es handele sich um ein »antisowjetisches Nest«, und da Beweise und Beweisstücke fehlten, hatte er eine psychologische Wirkung auf die Zusammensetzung des Gerichts von Tschusowsk, das sichtlich in Eile einberufen wurde: sie fand auf der Wachstube des Lagers 389/36 statt, ohne die Anwesenheit eines Beobachters vom Gebietsvollzugskomitee, ohne Zeugen.6

Der Lagerleiter erklärt (im Brief vom 2.3. 1974 Nr. 44/7 M 12utschr. WS 389): ». . . die Einweisung ins Gefängnis ist eine Disziplinarmaßnahme und keine kriminelle Bestrafung für begangene Vergehen.«

Auch hier kein Vergehen!

Und so wurde meinem Sohn, der nicht dazu verurteilt wurde, seine Strafe im Gefängnis abzusitzen, eine dreijährige Gefängnisstrafe angehängt - wegen Verstoßes gegen die Lagerordnung - d. h. gegen die internen Regeln, denn nur davon ist die Rede. Hinzu kommen eineinhalb Jahre PKT (Lagergefängnis), die Vorbereitungsstufe zum Gefängnis, und mehr als zehn Monate Untersuchungsgefängnis, was zusammen viereinhalb Jahre Gefängnis ausmacht!

193


Mein Sohn leidet seit 1951 an einer chronischen herdförmigen disseminierten Lungentuberkulose, aus diesem Grunde wurde er vom Militärdienst freigestellt. Doch in der Personalakte Serhijenkos existiert seine langjährige Krankheitsgeschichte nicht - der KGB-Mitarbeiter Hanenko zog während des Untersuchungsverfahrens Serhijenkos Karteikarte aus dem TBC-Dispensaire Nr. 6 der Stadt Kiew heraus, nahm dabei auch den sechsseitigen Entlassungsbericht Serhijenkos aus der Studentischen Poliklinik mit, also alles, und weigerte sich, eine Quittung darüber auszustellen. Gefängnisstrafe bei einem solchen Gesundheitszustand Serhijenkos - ist das eine »Besserungsmaßnahme« oder nicht vielmehr ein Todesurteil?

Meine Rehabilitierung hat mich von der Möglichkeit eines gerechten Ausgangs überzeugt, doch sie kam so spät! Deshalb bemühe ich mich bei all meiner Verzweiflung schon das vierte Jahr um eine gesetzliche Entscheidung im Fall meines Sohnes, der von der ersten Instanz ungesetzlich verurteilt wurde.

Ich habe mich im Fall meines Sohnes bei allen Institutionen der Sowjetunion beschwert, die an der Quelle des Gesetzes stehen und ihre Reinheit und Unerschütterlichkeit garantieren sollen.

Zunächst wandte ich mich an meine republikanischen Instanzen, dann an die allsow jetischen - mit dem gleichen negativen Ergebnis. Meine und meines Sohnes Beschwerden und die Antworten, die wir erhalten, sind nichts anderes als Dialoge, der Form und dem Inhalt nach stereotype Ablehnungen, unterschrieben von den Personen, die an der Vor- und Hauptuntersuchung in der Strafsache Serhijenkos beteiligt waren.

Die Beschwerden, die ich an die höheren Instanzen richte, werden nicht bearbeitet. Nach einem Umweg landen sie unveränderlich bei den Instanzen, über die man sich beschwert.

Meine energischen Bemühungen, persönlich beim ZK der KPdSU vorsprechen zu dürfen, mußten erfolglos bleiben: für mich, ein parteiloses, gezeichnetes Mitglied der Gesellschaft, ist ein Vorsprechen beim ZK dasselbe wie das Nadelöhr für ein Kamel. Doch mir stand der wirklich allgemeine Volksempfangstag des ZK der KPdSU in Moskau, Kujbyschewstraße 3, offen.

194


Am 17. April 1974 wurde ich von der Allgemeinen Abteilung mit einer Bescheinigung und mit meinem Paß um 12.15 Uhr in das Zimmer 9 zum Genossen Schtscherbakow geschickt. Genösse Schtscherbakow las die Erklärung an das ZK der KPdSU während des Empfangs sehr aufmerksam durch und gab mir während der Lektüre merkwürdige Antworten, z.B.:

1. In der Erklärung heißt es: »Da der Verteidiger Martysch für die Beschuldigung seines Mandanten wegen >Agitation und Propaganda mit der Absicht der Unterhöhlung der Sowjetmacht keine juristische Begründung fand, forderte er das Gericht auf, den Angeklagten zu rechtfertigen.« Die Bemerkung Schtscherbakows: »Man hat ihn gut bezahlt, also hat er gefordert, ihn zu rechtfertigen.«

2. In der Erklärung heißt es: ». . . der äußerst bedrohliche Gesundheitszustand des Sohnes erfordert vor allem eine unverzügliche Entscheidung über seine Freistellung vom Gefängnisregime, da ihm bereits jetzt eine physische Katastrophe droht.« Genösse Schtscherbakow: »Ja, was denn, schlagen Sie etwa vor, ihn in ein Sanatorium zu schicken?«

Es gab noch andere Repliken - doch sie hatten alle nicht das beim hohen Empfang erwartete Niveau.

3. Genösse Schtscherbakow erläuterte, warum er meine Erklärung nicht angenommen hatte: »Das ZK der KPdSU und seine Mitglieder haben kein Recht, sich in Gerichtsverfahren einzumischen, wenden Sie sich an die verantwortlichen Gerichtsorgane oder geben Sie Ihre Erklärung in der Allgemeinen Abteilung des Empfangsamtes ab, und man wird sie an die zuständigen Stellen weiterleiten.«

Mir wurde klar, daß mein Beschwerdeweg in das ZK der KPdSU versperrt wird von einer Mauer solcher verknöcherter Schtscherbakows, Leute vom Typ der Lagerverwaltung, denen ich auf meinem Lebensweg bereits begegnet bin, und der Wortschatz, den sie gebrauchen, hat sich mir in den zehn Jahren Haftzeit zur Genüge eingeprägt. . .

Um eine Überprüfung der Strafsache meines Sohnes bemühten sich im Jahre 1974 folgende Abgeordnete des Obersten Sowjet der UdSSR:

195


1. Der Schriftsteller Mychajio Stelmach - vor dem Obersten Gericht der Ukr. SSR.

2. Der Komponist Dmytro Kowalewskyj - vor dem Obersten Gericht der UdSSR - bat den Fall im Auswahlverfahren zu überprüfen (ein praktiziertes Mittel der Überprüfung des unbeaufsichtigten Obersten Gerichts der Ukr. SSR).

3. Der Präsident der Akademie der Wissenschaften der Ukr. SSR, Boris Paton, versuchte beim Permer Gebietsgericht eine Annullierung der Gefängnisstrafe zu erreichen.

Doch die Strafsache meines Sohnes wurde nicht überprüft, die Bemühungen der drei ehrwürdigen Abgeordneten des Obersten Sowjet der UdSSR waren in den Augen der Gerichtsfunktionäre der Spezialabteilungen gleich Null.

Ohne die Hoffnung auf Gehör zu verlieren, schickte ich meine Beschwerde:

1. An das ZK der KPdSU, am 3. 9. 1972 . . .

2. An das Präsidium des Obersten Sowjet der UdSSR, an den Vorsitzenden, Genösse N. W. Podgorny, am 27. 2. 1975 . . .

3. An den Vorsitzenden der sowjetischen Kommission zum Internationalen Jahr der Frau, Genösse K. T. Mazurow, am 21. 5.1975 . . .

4. An den Verteidigungsminister der UdSSR, Genösse Gretschko, am 25. 6.1975 . . .

5. An den Referenten des Generalsekretärs des ZK, Genösse Samotejkin.

6. An das Justizministerium der UdSSR.

Beide Erklärungen sind vom 12. 9. 1975 und betreffen den Verstoß des Kiewer Gebietsgerichts gegen das in der Verfassung garantierte Recht auf juristische Verteidigung im Fall Serhijenko.

Die Beschwerde Nr. 5 wurde umdirigiert an die Staatsanwaltschaft der UdSSR.

Die Beschwerde Nr. 6 wurde der Staatsanwaltschaft der Ukr. SSR zugeleitet.

Ich erhielt zwei inhaltlich analoge Ablehnungen:

»Es bestehen keine Grundlagen, das Urteil und den Gerichtsbeschluß in der Strafsache Serhijenko aufzuheben oder zu ändern.«

196


Die Kernfrage meiner Beschwerde - die Nichtzulassung der Anwältin Nemirinskaja zur Einsicht in das Gerichtsmaterial des Falles Serhijenko zwecks einer Aufsichtsbeschwerde, blieb sowohl von der republikanischen als auch von der Unionsstaatsanwaltschaft unbeantwortet, es liegt jedoch eine formelle Antwort vor.

Die Schlußfolgerung drängt sich von selbst auf: Die offensichtliche Mißachtung meiner gesetzlichen Forderungen und der Machtmißbrauch der Abteilungen der für die Aufsicht über die Untersuchungsverfahren des KGB zuständigen republikanischen und Unionsstaatsanwaltschaft.

Ich habe in meiner optimistischen Standhaftigkeit alles in meiner Macht stehende zur Verteidigung meines Sohnes innerhalb der Grenzen des sowjetischen Vaterlandes unternommen - doch meine Stimme verklang in der Wüste.

Ein TB-Kranker, in einer Gefängniszelle mit Zementfußboden, ohne Tageslicht und frische Luft, mit einer Hungerration im Wert von 19,5 Kopeken pro Tag. Der Kurzsichtige muß Metallteilchen bearbeiten, die nach Gewicht zugeteilt werden, und zwar nicht in einer Werkstatt, sondern in einer Zelle ohne genügende Luftzufuhr mit elektrischer Beleuchtung, wobei noch eine Arbeitsnorm festgesetzt wird!7

Oft werden Briefe von Verwandten und Bekannten grundlos beschlagnahmt, um seine moralische Haltung zu beeinflussen.

Alles ist darauf ausgerichtet, den Menschen physisch zu zerstören. Ohne ein in der Verfassung aufgeführtes Verbrechen begangen zu haben, wird mein Sohn als »Staatsverbrecher« abgestempelt. Wofür eigentlich?

Ein hohes Nationalbewußtsein, ein energisches Engagement für die staatliche Gleichberechtigung der ukrainischen Sprache an den Hochschulen und im kulturellen Leben der Ukraine wurden Serhijenko als »bürgerlicher Nationalismus« angelastet. Mein Sohn wird seit seiner frühen Kindheit verfolgt. Das verdankt er der Opferbereitschaft seiner Eltern in der Zeit der Stalinära. Er wuchs, unter ständigen Entbehrungen, als Halbwaise auf und erkrankte an TB. Er hat ein gehöriges Maß an Leiden ertragen müssen, doch als ehrlicher und aufrichtiger

197


Mensch reagierte er stets scharf und kompromißlos auf die Gesetzlosigkeit der Behörden, wofür ihn das KGB als »Extremisten« abgestempelt hat.8

Im Studienjahr 1966/67 wurde er im Zusammenhang mit den Verhaftungen und Verfolgungen der ukrainischen Intelligenz 1965 ohne ersichtliche Gründe vom Medizinstudium ausgeschlossen. 1971 wurde er wegen der Grabrede bei der Beerdigung von Alla Horska aus dem Schuldienst entlassen (wo er eine Anstellung als Mal- und Zeichenlehrer gefunden hatte).

Seine engagierte pädagogische Arbeit an der Mittelschule wurde sogar in der Zeitung »Wetschirnyj Kyjiw« im Oktober 1970 hervorgehoben. Bis zu seiner Verhaftung arbeitete er als Kunstrestaurator im Kiewer Museum für Volksarchitektur und Volksleben. Die Verwaltung und das Kollektiv des Museums fanden seine Arbeit ausgezeichnet. Er hatte auch ein Hobby -er rezitierte gern Gedichte der ukrainischen Klassiker und der Dichter der 1960er Jahre. An Jubiläumsabenden wurden Gedichte von I. Franko, T. Schewtschenko, L. Ukrajinka, W. Samijlenko und anderen Dichtern in der Interpretation von Öles Serhijenko vorgetragen, eines guten Historikers und Ethnographen. Als Rezitator nahm er einige Jahre lang aktiv an offiziellen Veranstaltungen der ukrainisch-thematischen Abende der Kulturhäuser der Stadt Kiew teil. Die öffentliche Vortragsarbeit Serhijenkos mit ukrainischer literarischer und historischer Thematik machte nicht nur ihm Freude, sondern auch anderen Vertretern der Jugend mit geistigen Interessen, die mit dem Zeitgeist Schritt hielten. Doch das »wachsame Auge« bewertete diese Tätigkeit anders. In der Nähe des Schewtschenko-Denkmals lief ein Tonband, daneben klickten die Auslöser von Fotoapparaten, die die »Anhänger des ukrainischen Nationalismus« auf dem Film festhielten. An den Klubabenden wurden nicht nur die Ausführenden des Programms »aufgeschrieben«, sondern auch die Zuhörer und Besucher.

Mein Sohn verheimlichte niemals seine Ansichten und Gefühle über die Ukraine, da er von ihrer Rechtmäßigkeit überzeugt war. Während des eskortierten Transports ins Permlager schrieb er: »Jetzt kann ich ruhig mit Schewtschenko sagen, daß mein Schicksal ein Teil des Schicksals meines Volkes ist.«

198


Im Brief vom 16. 7. 1975 zitiert mein Sohn den englischen Gelehrten Thomas Huxley: ». . . ich habe von neuem die Grundlage all dessen überprüft, was meinen Glauben ausmacht - und ich sage: sollen sie mir alles nacheinander wegnehmen:

meine Frau, mein Kind, meinen guten Namen, meinen Ruhmich werde dennoch nicht lügen«, und er fügt hinzu: ». . . und Lesja Ukrajinka hat gesagt: Von allen Älteren, Bruder, ist die Wahrheit die Älteste.«

Während er im Gefängnis umkommt, sagt mein Sohn tapfer:

»Macht euch keine Sorgen, ich bin trotz allem glücklich und reich, denn die Wurzel der Wahrheit auf der Welt ist stark und nicht auszutilgen.«

 

29. Oktober 1975, Die Mutter O. Meschko

 

1 Die Kladde wurde von den KGB-Organen 1970 in unserer Wohnung wahrend einer Haussuchung, die im Zusammenhang mit der Verhaftung des Historikers V Moros stand, sichergestellt Sie hatte eineinhalb Jahre ohne Folgen beim KGB gelegen

2 Er war zusammen mit einigen anderen Studenten auf einer der vielen spontanen Studentenversammlungen zum Delegierten des ZK der KPU gewählt worden Es war ein großes Auditorium, zu dem Studenten aller Hochschulen der Stadt Kiew gehorten, insbesondere solche, die sich für die ukrainischsprachige Dichtung interessierten; sie hatten einen literarischen Zirkel an der Kiewer Universität gegründet Doch bald danach wurde der freie Zugang zur Kiewer Universität gesperrt es wurde ein System von Passierscheinen und Auswelskontrollen für die Lernenden und Lehrenden eingeführt Diese Regelung gilt bis heute

3 Dieser Vorfall im Vorlesungssaal wahrend einer Vorlesung wurde wahrend der Voruntersuchung absichtlich in eine »Tribüne« meines Sohnes umgewandelt, d h in einen Auftritt »vor einem großen Kreis von Leuten«, vor denen er »antisowjetische Ideen« propagierte (laut Definition des Fachausdrucks »Agitation« gemäß dem Kommentar zur Strafprozeßordnung der Ukr SSR, Verlag für politische Literatur 1968)

4 Das aufgeführte Material, das bei den drei Haussuchungen bei uns sichergestellt wurde, zeigt, daß weder bei Serhijenko noch bei seiner Mutter »Material, Dokumente und Gegenstande« gefunden wurden, die uns als sowjetische Burger kompromittieren wurden, ganz zu schweigen von kriminellen oder antikommunistischen

Die KGB-Abordnungen, die die Haussuchungen durchführen, haben kein offizielles Verzeichnis der Literatur und der Dokumente, die zu beschlagnahmen sind, die Untersuchungsrichter handeln nach eigenem Ermessen, und um nicht in die Klemme zu geraten, nehmen sie alle Manuskripte und Gedichte mit zwecks Einschüchterung. Besonders aufgeregt und mißtrauisch macht sie alles, was mit Schreibmaschine getippt ist. Dabei erklären sie entschuldigend, daß sie es mitnehmen, um die Typen der Maschine zu überprüfen, doch am Ende geben sie das beschlagnahmte Material nicht von selbst zurück. So wurden bei mir z.B. acht Blätter mit Gedichten von N Danko beschlagnahmt, »Rotes Solo«, Verlag »Prapor«, Charkiw 1967.

 

5 Seit dem l 6 1971 ist ein Erlaß in Kraft, wonach aufgrund einer Disziplinarstrafe das Lagerregime in Gefangnishaft bis zu drei Jahren umgeändert werden kann (Dies geschieht auf Gerichtsbeschluß ohne juristische Verteidigung und ohne das Recht eines Anwalts auf Einblick in das Genchtsmate-nai Die Strafe laßt keine Berufung zu )

6 Im Fall meines Sohnes wurde das Fehlen einer Zusammenstellung der Vergehen mit Gefängnis bezahlt

7 Diese Arbeit wird als »Heimarbeit« eingestuft, und die politischen Gefangenen, die sie zwangsweise verrichten, werden als »Heimarbeiter« gefuhrt

8 Besonders empörte sie ein Vorfall, der nicht ohne Folgen für ihn blieb Am 12 l 1972 kamen wieder Leute vom KGB zu einer Haussuchung in unser Haus, das zwei Wohnungen hat. In einer wohnte ich abgesondert von meinem Sohn, jedoch mit einer Wohnberechtigung auf meinen Namen. Mein Sohn weigerte sich, ohne Befehl des Staatsanwaltes eine Haussuchung in seiner Wohnung vornehmen zu lassen. Er riß sich gewaltsam los und ging aus dem Haus. Nach der Verfolgung von KGB-Leuten und einer Zwangsabführung auf die Miliz wurde er schließlich zum KGB gebracht. Die Haussuchung fand natürlich später statt, jedoch mit einem offiziellen Befehl.

Und noch ein Vorfall 1965, als Student, trug mein Sohn am 22 Mai, dem traditionellen Trauergedenktag der Überfuhrung der sterblichen Überreste des ukrainischen Nationaldichters Schewtschenko von Petersburg nach Kaniw, vor dem Denkmal des Dichters dessen Gedichte vor. Dafür wurde er wegen Rowdytums mit einer Gefängnisstrafe von 15 Tagen bestraft. Zum Zeichen des Protestes gegen die Gesetzlosigkeit und die Verhöhnung des Menschen (dessen, was gut und edel im Menschen ist) trat er für die Dauer der Haft in den Hungerstreik, den er bis zu seiner Freilassung durchhielt, als er zusammen mit drei anderen Häftlingen, die für das gleiche Delikt bestraft wurden, entlassen wurde. 

199-200

#

 

 www.detopia.de       ^^^^