Epilog: 
Erinnerung 

Und die Mörder? 
Die Mörder leben weiter...  

Lew Rasgon, True Stories  1)

  Wieviele?

Start

 

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Im Frühherbst 1998 bestieg ich ein Schiff, das mich von Archangelsk über das Weiße Meer zu den Solowezki-Inseln brachte. Es war die letzte Fahrt jenes Sommers: Wenn Mitte September die arktischen Nächte länger werden, wagt sich kein Schiff mehr auf diese Route. Die See wird zu rau und das Wasser zu eisig für Touristenfahrten.

Vielleicht war es das Ende der Saison, das diesem Trip eine Spur Ausgelassenheit gab. Die Trinksprüche in der Messe wollten nicht enden, es wurde gescherzt und dem Kapitän applaudiert. Meine Tischnachbarn — zwei Paare in mittlerem Alter von einer Marinebasis an der Küste — waren offenbar entschlossen, sich gut zu amüsieren.

Zunächst trug meine Anwesenheit noch zur allgemeinen Hochstimmung bei. Schließlich begegnet man nicht alle Tage auf einer klapprigen Fähre mitten im Weißen Meer einer waschechten Amerikanerin. Die Neugier der Leute war geweckt. Sie wollten wissen, wieso ich Russisch spreche, was ich von Russland halte und wie es sich von den USA unterscheidet. Als ich ihnen sagte, weshalb ich in Russland war, sank die Stimmung allerdings merklich. Eine Amerikanerin auf einer Vergnügungsreise, die die Solowezki-Inseln besuchte, um die Landschaft zu genießen und sich das schöne alte Kloster anzuschauen, war eine Sache. Aber eine, die auf die Inseln fuhr, um dort Reste der Lager zu finden, war etwas anderes.

Einer der Männer verbarg seine Feindseligkeit nicht.

»Warum kümmert ihr Ausländer euch immer nur um die hässlichen Dinge in unserer Geschichte?«, wollte er wissen. »Wozu schreiben Sie über den Gulag? Warum nicht über unsere Errungenschaften? Wir haben schließlich den ersten Menschen ins All geschickt!«

Mit »wir« meinte er »wir Sowjets«. Die Sowjetunion gab es schon sieben Jahre nicht mehr, aber er betrachtete sich nach wie vor als sowjetischer, nicht als russischer Bürger. Seine Frau pflichtete ihm bei. »Der Gulag interessiert doch keinen mehr«, erklärte sie. »Wir haben jetzt ganz andere Sorgen: Arbeits­losigkeit, Verbrechen. Warum schreiben Sie nicht über diese realen Probleme statt über Dinge, die vor langer Zeit geschehen sind?«

Bei dem Gespräch, das langsam unangenehm wurde, schwieg das andere Paar. Der Mann äußerte sich gar nicht. Schließlich kam mir die Frau zu Hilfe. »Ich kann verstehen, dass Sie sich für die Lager interessieren«, sagte sie leise. »Es ist schon wichtig zu wissen, was passiert ist. Ich wünschte, ich wüsste mehr darüber.«

Diesen vier Positionen zu meinem Projekt begegnete ich bei späteren Reisen in Russland immer wieder.

»Das geht Sie nichts an« oder »Das ist heute nicht mehr wichtig« waren häufige Reaktionen. Am meisten aber stieß ich auf Schweigen oder Gleichgültigkeit, ausgedrückt durch ein Achselzucken. Allerdings gab es stets auch Menschen, denen die Vergangenheit etwas bedeutete und die selber mehr wissen wollten.

Mit ein wenig Mühe kann man im Russland von heute eine Menge über die Vergangenheit erfahren. Nicht alle Archive sind geschlossen, und auch nicht alle russischen Historiker beschäftigen sich mit anderen Themen. Allein dieses Buch beweist, wie viele neue Informationen es gibt. Die Geschichte des Gulags ist inzwischen auch in der öffentlichen Diskussion ehemaliger Sowjetrepubliken und Satellitenstaaten ein Thema. 

Dort, wo man sich vor allem als Opfer des Terrors und nicht als Täter sieht, spielen Gedenkstätten und die Debatten zu diesen Fragen eine große Rolle. Die Litauer haben das ehemalige KGB-Gebäude in Vilnius zu einem Museum für die Opfer des Genozids gestaltet. Die Letten haben ein altes Museum, das ursprünglich den »Roten Schützen« gewidmet war, zu einem Museum der Besetzung des Landes gemacht.

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Im Februar 2002 war ich bei der Eröffnung eines neuen Museums in Ungarn, in dessen Gebäude zwischen 1940 und 1945 die faschistische Bewegung des Landes und zwischen 1945 und 1956 die kommunistische Geheimpolizei ihren Sitz hatte. Im ersten Ausstellungsraum wird der Besucher von faschistischer Propaganda aus einer Batterie von Bildschirmen an der Wand empfangen. Von der anderen Wand schlägt ihm kommunistische Propaganda entgegen. Die durchaus beabsichtigte Wirkung ist sehr emotional. Das ganze Museum ist nach diesem Prinzip aufgebaut. Mit Fotos, Klängen, Videobildern und sehr wenig Worten suchen die Schöpfer des Museums ihre Ausstellungsstücke Menschen nahe zu bringen, die zu jung sind, um beide Regime bewusst erlebt zu haben.

Dagegen wurde in Belarus das Fehlen eines Denkmals zu einem echten Politikum: Im Sommer 2002 verkündete der diktatorisch agierende Präsident Alexander Lukaschenko noch lauthals seine Absicht, quer über eine Hinrichtungsstätte nahe der Hauptstadt Minsk, wo 1937 Massenexekutionen stattgefunden hatten, eine Straße zu bauen. Damit rief er die Opposition auf den Plan und löste eine breite Diskussion über die Vergangenheit aus.

In Russland selbst findet man heute eine Hand voll inoffizieller, halb offizieller und privater Gedenkstätten, die von den verschiedensten Menschen und Organisationen initiiert wurden. Die Zentrale der Gesellschaft Memorial in Moskau besitzt ein Archiv mit mündlichen und schriftlichen Überlieferungen aus den Lagern sowie ein kleines Museum, in dem unter anderem eine herausragende Sammlung von Häftlingskunst untergebracht ist. Das Andrej-Sacharow-Museum in Moskau erinnert ebenfalls an die Stalinzeit. Am Rande vieler Städte — Moskau, St. Petersburg, Tomsk, Kiew oder Petrosawodsk — haben örtliche Ableger von Memorial oder andere Organisationen über Massengräbern aus den Jahren 1937/38 Denkmäler errichtet.

Es gibt auch größere Projekte. Der Ring von Kohleschächten um Workuta, die alle einen Lagpunkt beherbergten, ist übersät mit Kreuzen, Statuen und Gedenksteinen, die litauische, polnische und deutsche Opfer hier aufgestellt haben. Das Museum für Regionalgeschichte in Magadan hat dem Gulag mehrere Räume gewidmet. Auf einem Berg über der Stadt ist ein alter Wachturm zu besichtigen. Ein bekannter russischer Bildhauer hat den Toten der Kolyma ein Denkmal gesetzt, auf dem sich Symbole der verschiedenen Glaubensrichtungen finden, die dort vertreten waren.

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In einem Raum des Solowezker Klosters, das heute Museum ist, sind Briefe, Fotos und Kassiber von Häftlingen ausgestellt. Draußen hat man zum Gedenken an die Toten des Lagers eine Allee gepflanzt. Im Zentrum von Syktywkar, der Hauptstadt der Komi-Republik, haben die neue Regierung und die örtliche Gruppe von Memorial eine kleine Kapelle errichtet. Eine Hand voll Häftlingsnamen sind innen aufgelistet, stellvertretend für die vielen Nationalitäten im Gulag: Litauer, Koreaner, Juden, Chinesen, Georgier oder Spanier.

Einige Autostunden nördlich von Petrosawodsk ist am Rande des Dorfes Sandormoch ein spontanes Denkmal entstanden. »Denkmal« ist vielleicht nicht das richtige Wort. Zwar gibt es eine Gedenktafel und mehrere Steine, die Polen, Deutsche und andere niedergelegt haben, aber Sandormoch, wo Gefangene von den Solowezki-Inseln 1937 erschossen wurden, ist vor allem wegen seiner anrührenden handgefertigten Kreuze und persönlichen Zeichen bekannt geworden. Da es keine Akten darüber gibt, wo wer begraben liegt, hat jede Familie sich willkürlich einen Ort des Gedenkens ausgesucht. Verwandte von Opfern haben Fotos ihrer verstorbenen Lieben an Holzpfählen befestigt, einige haben Epitaphe hineingeschnitzt. Bänder, Plastikblumen und anderer Grabschmuck sind in dem ganzen Kiefernwald verstreut, der über diesem Ort der Toten gewachsen ist.

Ein anderes größeres Projekt hat am Rande der Stadt Perm Gestalt angenommen. Auf dem Gelände von Perm-36, das in der Stalin-Ära ein Lagpunkt und in den siebziger und achtziger Jahren eines der härtesten Lager für politische Gefangene war, haben Heimathistoriker sich zusammengetan und ein Museum geschaffen — das einzige auf dem Gelände eines ehemaligen Lagers. Mit eigenen Mitteln haben sie Baracken, Mauern und Stacheldrahtzäune in den ursprünglichen Zustand versetzt. Sie haben sogar mit den alten, verrosteten und kaum noch brauchbaren Geräten ein kleines Holzfällerunternehmen eröffnet, um Geld für ihr Projekt zu beschaffen. Zwar gab es von den Behörden vor Ort wenig Unterstützung, aber sie konnten in Westeuropa und Amerika Spenden werben. Ihr Ehrgeiz ist geweckt. Sie hoffen nun, 25 Gebäude wiederherstellen zu können, von denen vier ein größeres Museum der Repressalien beherbergen sollen.

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In Russland, wo riesige Kriegsdenkmäler und prächtige, feierliche Staatsbegräbnisse üblich sind, müssen diese lokalen Bemühungen und privaten Initiativen einen äußerst dürftigen, zersplitterten und unvollkommenen Eindruck hinterlassen. Der Mehrheit der Russen dürften sie gar nicht bekannt sein. 

Das ist kein Wunder: Zehn Jahre nach dem Zusammenbruch der Sowjetunion verhält sich Russland, das die Diplomatie und die Außenpolitik, die Botschaften, die Schulden und den Sitz der Sowjetunion in der UNO geerbt hat, als ginge die Geschichte dieses Landes es nichts an. Bis heute gibt es kein nationales Museum, das der Geschichte der Repressalien gewidmet wäre. Es gibt keinen Ort der nationalen Trauer, kein Denkmal, das die Leiden der Opfer und ihrer Familien offiziell würdigt. In den achtziger Jahren fanden zwar Ausschreibungen für ein solches Denkmal statt, aber es kam nichts dabei heraus. Bisher ist es lediglich der Gesellschaft Memorial gelungen, einen Stein von den Solowezki-Inseln, wo der Gulag seinen Anfang nahm, nach Moskau zu bringen und auf dem Dzierzynski-Platz gegenüber der Lubjanka aufzustellen.2) 

Noch bemerkenswerter als die fehlenden Gedenkstätten ist jedoch das fehlende Bewusstsein der Öffentlichkeit. Manchmal hat es den Anschein, als seien die enormen Emotionen und Leidenschaften, die die Diskussionen der Gorbatschow-Zeit auslösten, zusammen mit der Sowjetunion verschwunden. Auch der erbitterte Streit um Gerechtigkeit für die Opfer wurde abrupt abgebrochen. Ungeachtet der vielen Diskussionen Ende der achtziger Jahre hat die russische Regierung bisher nichts getan, um gegen Folterer und Massenmörder zu ermitteln oder diese gar zur Rechenschaft zu ziehen. Und das, obwohl viele namentlich bekannt sind. Anfang der neunziger Jahre war einer der Beteiligten des Massakers an polnischen Offizieren bei Katyn noch am Leben. Bevor er starb, befragte ihn der KGB und bat ihn — rein technisch — zu erklären, wie der Mord geschehen sei. Ein Band mit diesem Gespräch wurde dem polnischen Kulturattache in Moskau als Geste des guten Willens übergeben. Nirgends kam die Forderung auf, den Mann vor Gericht zu stellen, weder in Moskau noch in Warschau oder anderswo.

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Sicher sind Prozesse nicht immer der beste Weg, um die Vergangenheit zu bewältigen. Westdeutschland brachte seit dem Zweiten Weltkrieg 85.000 National­sozialisten vor Gericht. Verurteilt wurden nicht einmal siebentausend von ihnen. Die Gerichte waren korrupt und ließen sich von persönlichen Rivalitäten und Streitigkeiten beeinflussen. Der Nürnberger Prozess selbst ist ein Beispiel für »Siegerjustiz« von zweifelhafter Legitimität — unter anderem auch deswegen, weil dort sowjetische Richter mitwirkten, die genau wussten, dass es auch auf ihrer Seite zu Massenmorden gekommen war.

Aber es gibt andere Möglichkeiten außerhalb der Justiz, die Verbrechen der Vergangenheit öffentlich aufzuarbeiten: Wahrheits­kommissionen, offizielle Unter­suchungen oder öffentliche Entschuldigungen. Die russische Regierung hat bisher keine dieser Optionen auch nur in Erwägung gezogen. Von dem kurzen und ergebnislosen »Prozess« gegen die Kommunistische Partei abgesehen, hat es bisher in Russland keine öffentlichen Sitzungen, parlamentarischen Anhörungen oder offiziellen Ermittlungen zu den Morden, Massakern und Lagern in der UdSSR gegeben.

Während die Deutschen über ein halbes Jahrhundert nach Kriegsende regelmäßig öffentliche Debatten über die Entschädigung der Opfer, über Gedenk­stätten, über eine Neuinterpretation der nationalsozialistischen Geschichte abhalten, darüber streiten, ob die späteren Generationen noch Verantwortung für die Verbrechen des Dritten Reiches tragen, gibt es in Russland ein halbes Jahrhundert nach Stalins Tod keinerlei derartige Diskussionen, ist die Erinnerung an die Vergangenheit noch nicht zum lebendigen Gut der Öffentlichkeit geworden.

Dabei gingen die Rehabilitierungen auch in den neunziger Jahren in aller Stille weiter. Mit Stand von Ende 2001 sind in Russland 4,5 Millionen politische Gefangene rehabilitiert. Die nationale Kommission schätzt, dass noch eine halbe Million Fälle ausstehen. Die Opfer, die niemals ein Urteil erhalten haben — es handelt sich um Hunderttausende, vielleicht sogar mehrere Millionen —, sind natürlich von diesem Vorgang ausgenommen.3) Die Kommission ist sicher seriös und mit guter Absicht eingerichtet worden. Sie besteht aus Überlebenden der Lager und aus Angehörigen der Staatsbürokratie.

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Man hat allerdings nicht den Eindruck, dass sich die Politiker bei ihrer Einrichtung davon leiten ließen, wirklich »Wahrheit und Versöhnung« zu erreichen, wie es die britische Historikerin Catherine Merridale formuliert hat. Ihr Ziel war vielmehr, unter die Debatten über die Vergangenheit endlich einen Schlussstrich zu ziehen, die Opfer zu befrieden, indem man ihnen ein paar Rubel und Freifahrkarten für die öffentlichen Verkehrsmittel hinwirft, und so jede tiefer gehende Auseinandersetzung mit den Ursachen des Stalinismus oder seinem Erbe zu vermeiden.

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Für das Schweigen der Öffentlichkeit gibt es einige gute oder zumindest verzeihliche Erklärungen. Die meisten Russen sind vollauf damit beschäftigt, die Umwälzung ihrer Wirtschaft und Gesellschaft zu bewältigen. Die Stalin-Ära ist lange her, und seitdem ist viel geschehen. Das postkommunistische Russland ist nicht Nachkriegsdeutschland, wo die Erinnerung an die schlimmsten Grausamkeiten noch frisch war. Am Beginn des 21. Jahrhunderts sind fünfzig Jahre zurückliegende Ereignisse des zwanzigsten Jahrhunderts für große Teile der Bevölkerung weit weg.

Man kommt der Wahrheit näher, wenn man bedenkt, dass viele Russen meinen, sie hätten bereits über ihre Vergangenheit debattiert, und es sei sehr wenig dabei herausgekommen. Wenn man ältere Leute fragt, warum das Thema des Gulags heute so selten erwähnt wird, winken sie ab: »1990 wurde nur darüber gesprochen, heute brauchen wir das nicht mehr.« Das Problem wird dadurch kompliziert, dass viele Menschen Gespräche über den Gulag und die Unterdrückung der Stalinzeit mit den »demokratischen Reformern« in Zusammenhang bringen, die die Diskussionen über die sowjetische Vergangenheit zunächst angestoßen hatten. Diese Generation von Politikern gilt heute als Versager, ihre Zeit wird mit Korruption und Chaos assoziiert und die Debatten über den Gulag gleich mit.

Die Frage, wie man der politischen Unterdrückung gedenkt, wird, wie ich bereits in der Einleitung zu diesem Buch erwähnte, zusätzlich dadurch verwirrend, dass so viele andere Tragödien der Sowjetunion ebenfalls so zahlreiche Opfer hinterlassen haben, und häufig dieselben. Dazu schreibt Catherine Merridale: 

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»Noch komplizierter werden die Dinge dadurch, dass viele gleich mehrfach zu Opfern wurden: als Kämpfer im Krieg, als Opfer der Unterdrückung, als Kinder politisch Verfolgter oder als Überlebende der Hungersnot...«4) So viele Denkmäler sind den Toten des Krieges gewidmet, scheinen manche Russen zu denken. Genügt das nicht? 

Es gibt allerdings auch Gründe für dieses hartnäckige Schweigen, die weniger verzeihlich sind. Viele Russen haben den Zusammenbruch der Sowjetunion als schweren Schlag gegen ihren persönlichen Stolz empfunden. Vielleicht war das alte System schlecht, denken sie nun, aber unser Land war stark und mächtig. Heute, da es das nicht mehr ist, wollen wir nicht hören, dass es auch noch schlecht war. Das ist so, als rede man übel von einem Toten.

Wieder andere haben Angst vor dem, was zum Vorschein kommen könnte, wenn sie zu tief in der Vergangenheit graben. Die russisch-amerikanische Journalistin Masha Gessen hat 1998 geschildert, was sie empfand, als sie entdecken musste, dass eine ihrer Großmütter, eine nette alte jüdische Dame, Zensorin gewesen war, die die Berichte ausländischer Korrespondenten in Moskau bearbeitet hatte. Außerdem stellte sie fest, dass ihre andere Großmutter, eine ebenso nette alte jüdische Dame, sich einst bei der Geheimpolizei beworben hatte.

Beide hatten aus Verzweiflung, nicht aus Überzeugung so gehandelt. Jetzt versteht sie, warum ihre Generation nicht den Stab über die Generation der Großeltern brach: »Wir haben sie nicht entlarvt und nicht gerichtet... denn schon mit solchen Fragen riskiert jeder von uns, jemanden zu verraten, den er liebt.«5)

Alexander Jakowlew, der Vorsitzende der russischen Rehabilitierungskommission, sagte es noch eindeutiger: »Die Gesellschaft verhält sich gleichgültig zu den Verbrechen der Vergangenheit, weil so viele Menschen daran beteiligt waren.«6) Das Sowjetsystem hat Millionen seiner Bürger in viele Formen von Kollaboration und Kompromiss hineingezogen. Viele taten das freiwillig, aber auch anständige Menschen wurden zu schrecklichen Dingen gezwungen. Sie selbst, ihre Kinder und Enkel wollen sich daran heute nicht mehr erinnern.

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Die wichtigste Erklärung dafür, dass dieses Thema öffentlich nicht diskutiert wird, liefern jedoch nicht die Ängste der jüngeren Generation, Minder­wertig­keits­komplexe oder Reste von Schuld bei ihren Eltern. Das wichtigste Hindernis sind Macht und Ansehen jener, die heute nicht nur Russland, sondern auch viele der anderen ehemaligen Sowjetrepubliken und Satellitenstaaten der UdSSR regieren. Im Dezember 2001, zehn Jahre nach Auflösung der Sowjetunion, standen in dreizehn der fünfzehn ehemaligen Sowjetrepubliken frühere Kommunisten an der Spitze. Ähnlich ist die Lage in den ehemaligen Satellitenstaaten — darunter Polen —, aus denen Hunderttausende in sowjetische Lager und Dörfer deportiert und verbannt wurden. 

Aber auch in Ländern, die nicht von direkten ideologischen Nachfolgern der kommunistischen Parteien regiert werden, sind ehemalige Kommunisten, deren Kinder oder Mitläufer in der Intelligenz, in den Medien und den Wirtschaftseliten stark vertreten. Der russische Präsident Wladimir Putin ist selbst ein ehemaliger Mitarbeiter des KGB, der sich stolz als »Tschekisten« bezeichnet. Als er noch russischer Ministerpräsident war, suchte er am Jahrestag der Gründung der Tscheka die ehemalige KGB-Zentrale an der Lubjanka auf, um dort eine Gedenktafel für Juri Andropow zu enthüllen.7) 

Die Dominanz ehemaliger Kommunisten in der postkommunistischen Welt und die ungenügende Diskussion über die Vergangenheit sind kein Zufall. Ehemalige Kommunisten haben ein eindeutiges Interesse daran, die Vergangenheit ruhen zu lassen. Sie nimmt ihnen den Glanz, untergräbt ihre Position, widerspricht ihrem Anspruch, »Reformen« durchzuführen, selbst wenn sie persönlich mit den Verbrechen der Vergangenheit nichts zu tun haben. In Ungarn hat sich die ehemalige kommunistische Partei, die sich heute sozialistisch nennt, der Einrichtung eines Museums für die Opfer des Terrors erbittert widersetzt. Auch in Russland werden zahllose Begründungen dafür beigebracht, weshalb den Millionen von Opfern bisher kein nationales Denkmal gesetzt wurde. 

Wieder hat Alexander Jakowlew die einleuchtendste Erklärung gegeben: »Das Denkmal wird gebaut werden, wenn wir — die ältere Generation — alle tot sind.«

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Das ist es: Die Tatsache, dass man die Geschichte der kommunistischen Vergangenheit bisher weder angenommen noch bereut oder auch nur diskutiert hat, lastet schwer wie ein Stein auf vielen Staaten des postkommunistischen Europa. Gerüchte über den Inhalt alter »Geheimakten« destabilisieren weiterhin die Politik der Gegenwart und haben zumindest einen polnischen und einen ungarischen Ministerpräsidenten ins Wanken gebracht. Eine zufällige Entdeckung bisher verborgener Gebeine kann unverhofft Zorn und Kontroversen auslösen.8) 

In Russland wiegt die Last der Vergangenheit am schwersten. Russland hat die Insignien der Sowjetmacht geerbt, ihren Großmachtkomplex, ihr Militär­potenzial und ihre imperialen Ziele. Daher sind die politischen Folgen des Gedächtnisschwundes hier gravierender als in anderen ehemals kommun­istischen Staaten. Im Namen des sowjetischen Vaterlandes deportierte Stalin das tschetschenische Volk in die Steppen von Kasachstan, wo die Hälfte zugrunde ging und der Rest mitsamt seiner Sprache und Kultur verschwinden sollte. Fünfzig Jahre später, gleichsam als Wiederholungstat, hat die Russische Föderation die tschetschenische Hauptstadt Grosny in Schutt und Asche gelegt und in zwei Kriegen Zehntausende tschetschenische Zivilisten umgebracht. 

Hätten das russische Volk und die russische Elite emotional verinnerlicht, was Stalin den Tschetschenen angetan hat, dann wären sie in den neunziger Jahren nicht in Tschetschenien einmarschiert — nicht ein Mal und erst recht nicht zwei Mal. Das ist etwa so, als wenn Nachkriegsdeutschland Westpolen überfallen hätte. Nur sehr wenige Russen sehen das so, was beweist, wie wenig sie über ihre eigene Geschichte wissen.

Das hat auch Folgen für die Entwicklung der Zivilgesellschaft und der Rechtsordnung in Russland. Um es ganz klar zu sagen: Solange die Täter des alten Regimes straffrei bleiben, wird nie das Gute über das Böse siegen. Das mag apokalyptisch klingen, ist politisch aber durchaus nicht irrelevant. Die Polizei muss nicht zu jeder Zeit alle Verbrecher dingfest machen, damit die Mehrheit die staatliche Ordnung einhält, aber sie muss zumindest einen bedeutsamen Teil erwischen. Nichts trägt mehr zur Gesetzlosigkeit bei als der Anblick von Schurken, die davonkommen und von ihrer Beute in Saus und Braus leben. 

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Die Angehörigen der Geheimpolizei haben ihre Wohnungen, ihre Datschen und ihre hohen Renten behalten. Ihre Opfer sind arm und unbedeutend geblieben. Für die meisten Russen heißt das, je mehr man in der Vergangenheit kollaboriert hat, desto klüger ist man gewesen. Analog gilt dann: Je mehr man heute lügt und betrügt, desto weiser handelt man.

In einem tieferen Sinne hat etwas von der Ideologie des Gulags in der Haltung und Weltsicht der neuen russischen Elite überlebt.

Ich hatte einmal Gelegenheit, spät nachts im Haus von Moskauer Freunden Zeugin eines der typischen Küchengespräche zu werden. Dort gerieten zwei Anwesende, erfolgreiche russische Unternehmer, in Streit darüber, wie dumm und naiv das russische Volk sei. Und für wie intelligent man sich selbst hielt. Hier war sie wieder, die alte Stalinsche Teilung der Menschen in Kategorien: in die allmächtige Elite und die »Feinde«, die zu nichts zu gebrauchen sind. Sie lebt in der arroganten Verachtung der russischen Elite für ihre Mitbürger fort. Solange diese nicht erkennt, wie wertvoll und wichtig alle Bürger Russlands sind, solange sie deren Bürger- und Menschenrechte nicht respektiert, so lange kann Russland das Schicksal eines Zaire des Nordens drohen, bevölkert von verarmten Bauern und steinreichen Politikern, die ihr Vermögen in Schweizer Banktresoren einschließen und stets ein Privatflugzeug mit laufendem Motor auf einer Startbahn stehen haben.

Es ist tragisch, dass Russlands fehlendes Interesse an der Vergangenheit ihm seine Helden ebenso wie seine Opfer nimmt. Die Namen derer, die sich — wie wenig wirksam auch immer — Stalin widersetzt haben, Studenten wie Susanna Petschora, Viktor Bulgakow und Anatoli Schigulin, die Anführer der Revolten und Aufstände im Gulag, die Dissidenten von Sacharow über Bukowski bis Orlow, sollten in Russland genauso bekannt sein, wie man in Deutschland die Namen derer kennt, die an dem Attentat auf Hitler beteiligt waren. 

Die unglaublich reiche Literatur von Überlebenden — Geschichten von Menschen, deren Humanität die schrecklichen Bedingungen in den sowjetischen Lagern besiegte — sollte mehr gelesen und häufiger zitiert werden. Wenn die Schulkinder diese Helden und ihre Geschichten besser kennen, dann finden sie auch in der Vergangenheit Sowjetrusslands neben imperialen und militärischen Siegen etwas, auf das sie stolz sein können.

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Doch das Verdrängen der Vergangenheit hat auch Folgen irdischer, praktischer Natur. Die fehlende Auseinandersetzung mit der russischen Vergangenheit kann erklären, warum heute bestimmte Arten von Zensur oder die weiterhin starke Präsenz der Geheimpolizei, die jetzt Sicherheitsdienst der Föderation [FSB] heißt, so gleichgültig hingenommen werden. Die meisten Russen stört es nicht, dass Letzterer nach wie vor ohne Gerichtsbeschluss Post öffnen, Telefone abhören und in Privatwohnungen eindringen kann. Auch dass er den Ökologen Alexander Nikitin lange Zeit verfolgte, der darüber schrieb, welchen Schaden die russische Nordflotte in der Ostsee anrichtet, interessiert kaum jemanden.9) 

Mit diesem Desinteresse gegenüber der Vergangenheit ist außerdem zu erklären, weshalb es nach wie vor keine wirkliche Reform von Justiz und Strafvollzug gibt.

 

1998 besuchte ich das Zentralgefängnis der Stadt Archangelsk. Einst eine der wichtigsten Städte des Gulags, lag es auf direktem Weg zu den Solowezki-Inseln, nach Kotlas, Kargopollag und zu anderen Lagerkomplexen im Hohen Norden. Das Stadtgefängnis, das aus vorstalinistischer Zeit stammt, schien sich seitdem kaum verändert zu haben.

Ich kam in Begleitung von Galina Dudina dorthin, einer Anwältin, die sich für Gefangenenrechte einsetzt — im heutigen Russland eine echte Rarität. Als wir in Begleitung eines schweigenden Wärters durch dieses Steingebäude schritten, war das wie ein Gang in die Vergangenheit.

Die Korridore waren eng und dunkel mit feuchten, glitschigen Wänden. Als der Wärter die Tür zu einer Männerzelle öffnete, sah ich kurz nackte, tätowierte Körper, auf Pritschen ausgestreckt. Als der Wärter bemerkte, dass die Männer nicht angezogen waren, schloss er die Tür rasch wieder, damit sie sich in Ordnung bringen konnten. Als sie wieder aufging, standen zwanzig Mann stramm in einer Reihe, überhaupt nicht erfreut, dass wir sie unterbrochen hatten. Auf Galinas Fragen murmelten sie einsilbige Antworten. Die meisten starrten mürrisch auf den Zementboden. Offenbar hatten sie Karten gespielt. Der Wärter führte uns rasch weiter.

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Mehr Zeit verbrachten wir in einer Frauenzelle. In einer Ecke stand eine Toilette. Ohne sie hätte die Szene aus Erinnerungen der dreißiger Jahre stammen können. An einer Schnur unter der Decke hing Frauenunterwäsche. Die Luft war zum Schneiden dick. Es war heiß und feucht und roch nach Schweiß, schlechtem Essen und menschlichen Ausscheidungen. Die Frauen, ebenfalls nur halb bekleidet, hockten auf ihren Pritschen und überschütteten den Wärter kreischend mit Klagen und Forderungen.

Es war, als hätte ich die Zelle betreten, in die Olga Adamowa-Sljosberg 1938 gekommen war.

In der Zelle für Jugendliche, die wir als nächste aufsuchten, stießen wir auf weniger Häftlinge, aber traurigere Gesichter. Galina gab einer schluchzenden Fünfzehnjährigen ein Taschentuch, die eines Diebstahls im Wert von umgerechnet zehn Dollar angeklagt war. »Ist ja gut«, sagte sie zu ihr, »beschäftige dich weiter mit deiner Algebra, bald bist du wieder draußen.« Das hoffte sie zumindest; immerhin war sie schon vielen Häftlingen begegnet, die monatelang ohne Verhandlung festgehalten wurden. Dieses Mädchen war erst eine Woche hinter Gittern.

Der Gefängnisdirektor zuckte nur mit den Schultern, als wir ihn auf das Mädchen in der Jugendzelle, auf den Gefangenen, der seit vielen Jahren in der Todeszelle saß und seine Unschuld beteuerte, auf die schlechte Luft und die fehlenden sanitären Anlagen ansprachen. Das habe alles mit Geld zu tun, meinte er. Es sei nicht genug Geld da. Das Personal werde schlecht bezahlt. Die Stromrechnung steige, deshalb die dunklen Gänge. Für Reparaturen, für Vernehmungsbeamte, Richter oder Prozesse — überall fehle das Geld. Die Gefangenen müssten halt warten, bis die nötigen Mittel vorhanden seien.

Das überzeugte mich nicht. Geld ist ein Problem, aber das ist es nicht allein. Wenn russische Gefängnisse heute aussehen wie in Jewgenia Ginsburgs Memoiren, wenn russische Gerichte und Ermittlungen eine Farce sind, dann liegt das zum Teil auch daran, dass das sowjetische Erbe denen, die heute das Strafrechtssystem des Landes verantworten, kein schlechtes Gewissen bereitet. Die Vergangenheit treibt sie nicht um — weder die russische Geheimpolizei noch die Richter, die Politiker oder die Geschäftselite des Landes.

Das heißt aber auch, dass die Vergangenheit nur für sehr wenige Menschen im heutigen Russland eine Last oder gar eine Verpflichtung ist. Sie erscheint ihnen eher als ein böser Traum, den man schnell vergessen will, als ein Gerücht, das man ignorieren kann.

Wie eine große verschlossene Büchse der Pandora liegt sie da und wartet auf die nächste Generation.

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Wenn wir im Westen das ganze Ausmaß dessen, was in der Sowjetunion und in Mitteleuropa geschehen ist, nicht in vollem Umfang verstehen, dann hat das natürlich nicht die gleichen Folgen für unsere Lebensweise.

Wenn wir manch einen in unseren Universitäten dulden, der die Existenz des Gulags bestreitet, dann erschüttert das nicht die moralischen Grundlagen unserer Gesellschaft. Schließlich ist der Kalte Krieg vorüber, und die kommunistischen Parteien des Westens stellen keine reale intellektuelle oder politische Kraft mehr dar.

Wenn wir uns allerdings nicht stärker für diesen Teil der Vergangenheit interessieren, wird das auch für uns nicht folgenlos bleiben.

Erstens werden wir nur wenig von dem begreifen, was heute in der früheren Sowjetunion geschieht, weil wir ihre Geschichte nicht verstehen. Wenn man bei uns wirklich wüsste, was Stalin den Tschetschenen angetan hat, dass es ein schreckliches Verbrechen war, dann wäre nicht nur Wladimir Putin unfähig, ihnen heute das Gleiche anzutun, sondern auch wir könnten nicht mit derartiger Gleichmut zuschauen. 

Der Zusammenbruch der Sowjetunion hat den Westen nicht in ähnlicher Weise mobilisiert wie das Ende des Zweiten Weltkrieges. Als NS-Deutschland endlich besiegt war, gründete der Westen die NATO und die Europäische Gemeinschaft. Ein wichtiges Motiv dafür war, Deutschland daran zu hindern, jemals wieder aus der »Normalität« der zivilisierten Welt auszubrechen. Erst nach dem n. September 2001 begannen die Staaten des Westens ernsthaft über ihre Sicherheitspolitik seit dem Ende des Kalten Krieges nachzudenken. Aber auch dann gab es für sie Wichtigeres, als Russland in die Zivilisation des Westens zurückzuholen.

Dabei sind die außenpolitischen Folgen nicht einmal die gravierendsten. Denn wenn wir den Gulag vergessen, dann werden wir eines Tages auch unsere eigene Geschichte nicht mehr verstehen können. Warum haben wir den Kalten Krieg eigentlich geführt? 

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Haben etwa wild gewordene rechte Politiker im Verein mit dem militärisch-industriellen Komplex und der CIA die Sache nur erfunden und ganze Generationen von Amerikanern und Westeuropäern dazu gezwungen? Oder gab es da noch etwas Wichtigeres? Darüber herrscht durchaus Verwirrung. In einem Artikel des konservativen britischen Nachrichtenmagazins Spectator hieß es im Jahre 2002, der Kalte Krieg sei »einer der unnötigsten Konflikte aller Zeiten« gewesen.10) 

Wir beginnen zu vergessen, was uns mobilisiert und inspiriert hat, was die Zivilisation »des Westens« so lange zusammenhielt. Wir beginnen zu vergessen, wogegen wir gekämpft haben. Wenn wir uns nicht stärker für die Geschichte der anderen Hälfte des europäischen Kontinents interessieren, die Geschichte des anderen totalitären Regimes des zwanzigsten Jahrhunderts, dann werden wir am Ende unsere eigene Vergangenheit nicht verstehen und nicht mehr wissen, warum unsere Welt so geworden ist, wie wir sie heute erleben.

Das gilt nicht nur für unsere eigene Vergangenheit. Wenn wir die Geschichte von halb Europa vergessen, dann gerät auch manches, was wir über die Menschheit wissen, in ein schiefes Licht. Jede der Massentragödien des zwanzigsten Jahrhunderts war einzigartig: der Gulag, der Holocaust, das Massaker an den Armeniern, das Blutbad von Nanking, die Kulturrevolution, die kambodschanische Revolution, der Bosnienkrieg und viele andere. Jedes dieser Ereignisse hatte seine eigenen historischen, philosophischen und kulturellen Ursachen, jedes hat sich unter besonderen lokalen Umständen abgespielt, die sich nie wiederholen werden. 

Nur unsere Fähigkeit, unsere Mitmenschen zu erniedrigen, unmenschlich zu behandeln und zu vernichten, bestätigt sich wieder und wieder — dass Menschen es fertig bringen, ihre Nachbarn zu »Feinden« zu erklären, politische Gegner zu Läusen, Ungeziefer oder Unkraut herabzuwürdigen, ihre Opfer als niedrige, wertlose oder gefährliche Wesen zu sehen, die man nur einsperren, ausweisen oder töten kann.

Je besser wir verstehen, wie einzelne Gesellschaften ihre Nachbarn und Mitbürger von Menschen in Sachen umdeuteten, je genauer wir die besonderen Umstände kennen, die zu jedem Fall von Massenfolter und Massenmord geführt haben, desto besser werden wir auch die dunkle Seite unserer eigenen menschlichen Natur begreifen. 

Dieses Buch ist nicht geschrieben worden, »damit so etwas nie wieder geschieht«, wie man vielleicht denken könnte.
Es ist geschrieben worden, weil es fast sicher wieder geschehen wird. 

Totalitäre Philosophien haben immer Anziehungskraft auf viele Millionen Menschen ausgeübt und werden es weiter tun. Die Vernichtung des »objektiven Gegners«, wie Hannah Arendt es einst nannte, bleibt das Ziel vieler Diktaturen.

Wir müssen wissen, warum, und jede Geschichte, jede Erinnerung, jedes Dokument des Gulags ist ein Stückchen dieses Puzzles, ein Teil der Erklärung. Ohne sie werden wir eines Tages aufwachen und feststellen, dass wir nicht wissen, wer wir sind. 

609-610

 

 Ende

 

 

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