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8  China oder Russland? 

 

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Niemand weiß, warum den Vereinigten Staaten nichts von dem gefiel, was in unserem Lande geschah. Und sie haben doch immer gedacht, sie müßten ihre Meinung zu allem, was sich in irgendeinem Winkel der Erde gerade ereignet, verkünden — egal, ob sie darum gebeten wurden oder nicht

Sicher war nur eins, daß die Regierung der USA ihrer "tiefen Besorgnis" Ausdruck verlieh, angesichts der fortschreitenden sozialen Veränderungen, die wir in Angriff genommen hatten: In wenigen Jahren hatten wir die Arbeitslosigkeit beseitigt, hatten die Medizin sozialisiert, den Analphabetismus praktisch ausgerottet und allen Leuten eine vernünftige Wohnung gegeben. Das hörte sich ganz schlecht an, das hörte sich nach "Kommunismus" an. Ein schreckliches Wort, gewiß. Und dann bestand unsere Regierung noch darauf, daß ihr Bezugsrahmen eine Art "sozialistischer Humanismus" oder "humanistischer Sozialismus" sei. 

Die nordamerikanischen Konzerne hatten daraufhin erst einmal beschlossen, das Land zu verlassen, was in der Tat zu einem beträchtlichen Durcheinander und einer Desorientierung in der Wirtschaft des Landes führte. Wir gingen fast bankrott, als die nordamerikanischen Unternehmen abzogen. Ich, der ich eigentlich nie viel von Ökonomie verstanden hatte, bemerkte auf einmal, welche Macht das Geld in der Welt hat. Wir gerieten an den Rand des Abgrunds, des Bankrotts, und unsere Sozialreform scheiterte fast, nur weil die großen Kapitalisten der Wall Street argwöhnten, daß sich unser Land in ein zweites Kuba verwandeln könnte.

In Moskau wie in Peking schien man die gleiche Idee zu haben. Im Abstand von wenigen Monaten empfingen wir sogenannte nicht-offizielle Delegationen aus China und der UdSSR, die das neue gesellschaftliche Experiment in der Dritten Welt besichtigen wollten, die sehen wollten, was in unserem tropischen Vaterland tatsächlich geschah.

Nun gab es einen wesentlichen Unterschied zwischen dieser, unserer, sozialen Reform und den anderen, die man in verschiedenen anderen Ländern vorhatte: nämlich den, daß wir uns auf die Wissenschaft stützten, vor allem auf die Wissenschaft vom menschlichen Verhalten.

Wir gingen davon aus, daß die Revolution in der Kindheit beginnt, mit den Praktiken der Kindererziehung. Wir maßen auch den psychologischen Faktoren im Arbeitsleben große Bedeutung bei, insbesondere dann, wenn es um das Treffen von sozialen Entscheidungen ging oder darum, eine Übereinstimmung mit den angestrebten Reformen und Veränderungen herzustellen. Wir wollten die Familie, die Sexualität, die Arbeit umwandeln. Es war vielleicht die gründlichste, vitalste, langlebigste Revolution.

Die Kommission aus China kam zuerst. Sie bestand aus einem Dutzend sehr liebenswürdiger, aber etwas ausdrucksarmer Funktionäre, die von Peking aus über die Vereinten Nationen nach Panama gereist waren. Sie waren eine Zeitlang in New York gewesen und kamen dann in Tocumén an. Der Präsident und seine Vertrauten, darunter auch ich, waren am Flughafen, um sie zu empfangen.

"Ich weiß eigentlich gar nichts über China", bekannte der Präsident, als wir mit ihm warteten — Mercedes, Eduardo (der Beauftragte für Kommunikationsfragen) und ich. —

"Ich weiß nur, daß es ein gigantisches Land ist, in dem Mandarin gesprochen wird, und daß es dort einen Mann wie Mao gab, der es schaffte, sein riesiges Land innerhalb von zwei Jahrzehnten aus der Steinzeit ins Atomzeitalter zu führen. Ich weiß natürlich auch, daß sie mit der UdSSR und mit den USA im Streit liegen, und daß sie einen Dritten Weltkrieg für unvermeidlich halten. Ja, und dann erinnere ich mich auch noch, daß die Wertschätzung, die man in diesem Land für Lao-Tse und Konfuzius hegt, entsprechend den jeweiligen Regierungen wechselt; im allgemeinen ist sie wohl nicht sehr ausgeprägt. — Aber Mao, das war schon ein großer Mann! Es ist unglaublich, wie so ein Mann leben konnte! Man denke nur an seine Kämpfe, seine Erfolge und die Art, wie er sein Land führte. Ich weiß noch, wie wir damals aus allen Wolken fielen, als die Chinesen verkündeten, daß sie die Atombombe hätten, genauso wie wir ein paar Jahre früher aus allen Wolken gefallen waren, als die Russen ihren ersten Sputnik starteten. Arme, unter­entwickelte Agrarstaaten wie China oder die UdSSR sollten solche Großtaten verwirklichen?"

"Heute betrachtet sie niemand mehr als arm oder unterentwickelt", bemerkte Eduardo, "im Gegenteil, sie sind zwei der industriell und technologisch fortgeschrittensten Länder der Welt. Sie haben es übernommen, soziale Veränderungen durchzuführen, und sie haben sie der Welt vorgeführt, als der geeignete Zeitpunkt dafür gekommen war. Und ich denke, daß ihr Planungssystem von keinem anderen Land erreicht worden ist."

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Als das Flugzeug mit der chinesischen Kommission an Bord zur Landung ansetzte, wußte niemand, was uns erwartete. Die Chinesen kamen und sprachen mit uns die ganze Zeit in korrektem Spanisch — eine Sache, die uns überraschte und sehr freute —, sogar mit einem leichten karibischen Akzent. Es ist schon manchmal unglaublich, was die internationale Politik alles zustande bringt! 

Wir besuchten mit ihnen Schulen, Fabriken und Gesundheitszentren. Wir zeigten ihnen unsere Wohnungsprojekte, die Pläne zur Entwicklung der Industrie und erläuterten ihnen die Familienreform. Mercedes wollte mit ihnen auch über gewisse Veränderungen sprechen, die man in etwas heiklen und umstrittenen Bereichen, wie der Sexualität, durchführen wollte. Aber der Präsident wies auf den Ruf der Chinesen hin, puritanisch und bigott zu sein, und daß sie um Himmels willen nicht denken dürften, daß wir in den Tropen alle rechte Wüstlinge seien, denn das würde ihren Besuch stören. Also zeigten wir ihnen irgendwelche Erfolge, die sie beeindrucken konnten — um sie in Erstaunen zu versetzen, "apantallar", wie man in Mexico sagt. Wir zeigten ihnen nicht Dinge, die sie womöglich langweilen würden. (Genau das, was man in der internationalen Politik eben macht!)

Die Kalenderreform interessierte sie sehr, ebenfalls die Idee mit dem Urlaub zu verschiedenen Zeiten im Jahr, und dem Frei-Tag, der an ganz verschiedenen Wochentagen stattfand — je nach dem Stadtteil, in dem man wohnte.

"Wir haben festgestellt", erklärte ihnen unser Experte für Kommunikationsfragen, Eduardo, "daß sich die Menschen immer in einem relativ eng umgrenzten (geographischen) Raum bewegen. Ihre Kinder gehen in eine Schule, nicht weit von ihrem Heim, und sie selbst gehen zu dem Arzt und zu dem Zahnarzt, die in der Nähe ihrer Wohnung oder ihres Arbeitsplatzes praktizieren. Deshalb ist es plausibel und sinnvoll, daß beispielsweise alle Leute der Zone 4 ihren Erholungs-Tag auf einmal nehmen, einschließlich der Fabriken, Dienstleistungsunternehmen, Schulen und Gasthäuser."

"Genauso ist es mit dem Jahresurlaub", fuhr er fort, "man nimmt seine Ferien zu verschiedenen Zeitpunkten im Jahr. Früher fuhr alle Welt im Dezember an die See und die Hotels dort konnten die Leute gar nicht beherbergen, der Service war mangelhaft, das ganze Land war während dieser Zeit regelrecht gelähmt. So ähnlich wie das auch in Frankreich oder Spanien im August ist, wo die Einheimischen aus den Städten verschwinden und sie den Touristen überlassen."

Die Chinesen lächelten wie immer, sagten aber nichts. Ohne Zweifel waren sie der Meinung, daß unsere soziale Reform sich auf "banale" Dinge, wie Familie, Kinder, psychologische Faktoren der Arbeit und Erholung zentriert hatte. 

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Die großen wirtschaftlichen und ideologischen Probleme hatten wir ihnen nicht erläutert. Möglicherweise dachten sie, unsere gesellschaftliche Reform sei unvollständig und von recht begrenzter Reichweite.

"Dieses Land funktioniert 360 Tage im Jahr ohne irgendeine Unterbrechung. Die zehn Monate mit den jeweils 36 Tagen im Jahr sind völlig ausgefüllt, und das hat sehr positive Auswirkungen auf die Produktion gehabt", erklärte ich.

"Und was ist mit den fünf oder sechs restlichen Tagen im Jahr?" fragte einer, der sprach, als wäre er in Panama oder Colón geboren, und nicht in Peking.

"Die sind für die Meditation da", erklärte ich, fühlte mich aber ein wenig unbehaglich dabei. — "Die Menschen kommen in den Fabriken, Schulen, Theatern, Häusern zusammen und überdenken gemeinsam das zu Ende gehende Jahr und machen Pläne für das kommende. Und die Regierung verschickt jährlich Berichte über ihre Erfolge und Mißerfolge, damit die Leute sie analysieren können..."

Martin sah mich an und ich fühlte, daß es ihm nicht gefiel, wie ich erwähnte, daß wir auch Fehlschläge gehabt hatten und daß die jährlichen Berichte diese Fehlschläge auch wiedergaben.

"Die Meditation muß sich natürlich nicht auf die Regierungsberichte beschränken", fügte Mercedes hinzu. "Die Leute können nachdenken, worüber sie wollen, wenn wir ihnen auch Vorschläge machen, über unser Kommunikationssystem. Aber was wir auf jeden Fall wollen, ist, daß die Familien beisammen sind, daß sie sich unterhalten, miteinander viel überlegen, und daß sie ihre internen Probleme lösen. In dieser Meditationsphase kann z.B. ein Paar zum Entschluß kommen, zu heiraten, oder ein anderes auch dazu, sich scheiden zu lassen; ein drittes kann beschließen, sein Kind auf eine spezielle Schule zu schicken. Es ist eine Zeit des Einander-Begegnens, des In-sich-Hineinschauens und auch der Stille. Ich glaube, daß man dasselbe auch in verschiedenen Religionen tut, wie z. B. im Islam, wenn ich mich nicht täusche."

Unser Gesundheits- und Erziehungswesen war dem anderer sozialistischer Systeme ähnlich, weshalb sich die Chinesen auch nicht sonderlich dafür interessierten. Während der letzten Sitzungen mit der Beratergruppe der Regierung wurde auch vage von einer Zusammenarbeit mit Peking gesprochen, die zum Ziel haben sollte, die Ergebnisse unserer Revolution voranzutreiben, aber es wurde nichts konkretisiert. Die Chinesen gingen schließlich, ohne etwas Wesentliches zugesagt zu haben. Ich hatte immer gedacht, daß China sehr daran interessiert sein müßte, daß ein Land in

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Amerika von ihm abhängig wäre und seiner ideologischen Orientierung folgte. Denn Rußland hatte doch Kuba direkt vor den Toren der Vereinigten Staaten, aber China hatte nichts in Amerika.

Der Besuch der sowjetischen Delegation geriet wesentlich länger, und die Leute waren auch lebhafter. Es gab mehr Fragen, mehr Sitzungen, mehr Erklärungen. Bei den sowjetischen Experten gab es Männer und Frauen, die Nachkommen von Spaniern waren; sie waren nach dem Bürgerkrieg in die UdSSR ausgewandert und hatten sich dort niedergelassen. Und es waren auch einige Kubaner mitgekommen.

Eines Nachts kehrten wir von einem Besuch in einem Schulungszentrum für Ersatzmütter, das von einem der bedeutendsten nordamerikanischen Psychologen für frühkindliche Entwicklung geleitet wurde, zurück — ein Zentrum übrigens, das die Aufmerksamkeit der Russen geweckt hatte, weil man in der UdSSR den Kindern schließlich große Aufmerksamkeit schenkt. — Martin war sichtlich verärgert und verdrießlich.

"Mir gefällt der Imperialismus der Kubaner nicht", meinte er zu mir. "Denk dran, was sie in Afrika gemacht haben. Achte nur gut darauf, wie sie Panama interessiert. Sie wollen die 'Retter' der Dritten Welt sein, und sie 'beraten' eifrigst die Guerilleros in Afrika und Lateinamerika. Ihr Auftreten in Bolivien, in Angola, in so vielen anderen Ländern ist echt imperialistisch und bedeutet eine klare Einmischung in die inneren Angelegenheiten dieser Länder. Sie wollen eine Revolution sowjetischen Zuschnitts in der ganzen Welt verbreiten, in der gleichen Geisteshaltung, mit der die frühen Christen ihren Glauben verbreiteten: sie sind Kreuzfahrer des Zwanzigsten Jahrhunderts, diese Kubaner!"

"Sie haben immer im Ruf gestanden, arbeitsame und disziplinierte Leute zu sein. Was sie anfangen, machen sie ganz. Die Kubaner, die in die USA oder nach Puerto Rico emigrierten, kamen schnell voran, paßten sich schnell an ihr neues Vaterland an und stiegen in wichtige Positionen auf. Sie sind Arbeiter, ernsthaft, sparsam, gleichen in nichts den anderen Völkern in der Karibik und passen nicht in die Stereotype, die über die Lateinamerikaner existieren."

"Ich weiß nicht, was sie von uns wollen. Ihre Haltung ist wirklich verführerisch, es ist die von Konquistadoren, und das läßt mich vor Wut platzen. Die Chinesen waren viel ernsthafter und taktvoller. Sie kamen, um alles genau zu beobachten, und ich bin sicher, daß ich bald ein gut strukturiertes Programm für technische Hilfe von ihnen erhalte. Diese Russen und ihre kubanischen Freunde sind viel geschwätziger, reden viel und versprechen viel. Vorher, bevor sie in die Karibik gekommen sind, waren sie wahrscheinlich nicht so, aber sie haben sich schnell an die geographischen und kulturellen Verhältnisse angepaßt, diese Russen. Jedenfalls gefallen sie mir nicht. Mir sind die Chinesen lieber."

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Beide Besuche waren der Anlaß für Spannungen in unserer Führungsspitze. Von der "Kommission für Soziale Kommunikation" (unter der Leitung von Eduardo, dem jungen und dynamischen Kommunikations­ingenieur, der auf Soziologie spezialisiert war) kam der Vorschlag, die Bevölkerung über diese Besuche gar nicht zu informieren, weil es schließlich "nicht-offizielle" Visiten gewesen seien. Ich dagegen dachte, daß es irgendwie unmoralisch sei, diese Informationen zurückzuhalten, aber Martin war schließlich mit dem Vorschlag einverstanden. Information ist gefährlich. Wissen ist Macht, also folgten wir schließlich dem, was die Experten meinten. Unsere Gesellschaft war eine wissenschaftliche. Wenn nun die Wissenschaft der sozialen Kommunikation dafürhielt, daß die Berichterstattung über den Besuch der Chinesen und der Russen in den Zeitungen, in Rundfunk und Fernsehen gewisse Erwartungen, ja Unruhen bei den Menschen bewirken würde und dies schlimme Folgen zeitigen könnte, woraus zu schließen war, daß man besser die Visiten nicht erwähnte — dann hatten wir ihrem Rat zu folgen.

"Die Chinesen wußten auch lange Zeit nicht, daß die Nordamerikaner auf dem Mond gelandet waren oder daß Nixon China besucht hatte. Es ist ein wichtiges Prinzip der Kommunikation, daß die Konsequenzen der Information, die man gibt, antizipiert werden", erläuterte Eduardo.

Ich allerdings dachte mir, daß die Presse- und Informationsfreiheit Grundrechte der Menschen seien und daß nur die totalitären Regime auf der extremen Linken oder extremen Rechten diese Rechte beschnitten. Gingen wir etwa auch diesen Weg?

Die Chinesen wie auch die Russen schickten uns bald höfliche Dankesbriefe und kurz darauf in der Tat konkrete Angebote für wirtschaftliche und soziale Zusammenarbeit. Für China wie die Sowjetunion waren wir eine wertvolle Beute; wir standen davor, entscheidende ideologische Wege einzuschlagen, und sie konnten uns bei unseren Entscheidungen "helfen". Für China wäre es wunderbar gewesen, Panama in seinem Einflußbereich zu haben, jetzt wo die Nordamerikaner den Kanal verlassen hatten, die Gringo-Unternehmen abgezogen waren und damit die Wirtschaft unseres Landes gründlich durcheinander gebracht worden war.

Die Russen ihrerseits konnten uns sowohl vor den Chinesen wie den Nordamerikanern retten. Außerdem war Kuba nur eine Flugstunde von Tocumén entfernt, und wir hatten immer große Achtung vor der kubanischen Revolution gehabt und sie sehr bewundert. Wenn die Neue Ära, die Martin in Panama gerade einführte, mit irgend etwas Ähnlichkeit hatte, dann mit der kubanischen Revolution — in ihren Anfängen. Also: <Welcome to the club!>...

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Die nächste Vollversammlung der nationalen Planungsabteilung unter dem Vorsitz des Präsidenten dauerte mehrere Stunden. Es war eine spannende, schwierige Sitzung, da wir wichtige Entscheidungen zu treffen hatten, von denen niemand genau sagen konnte, wie sie unsere Zukunft beeinflussen würden. Die Wirtschafts-Kommission vertrat die Auffassung, daß wir nicht allein überleben könnten, daß die Staaten dieser Welt viel zu sehr voneinander abhängig seien — wie es übrigens Kissinger viele Male konstatiert hatte —, weshalb es nach dem Ausscheiden aus der nordamerikanischen Einflußsphäre notwendig sei, sich mit den Russen oder den Chinesen zu verbünden; die Russen boten nach Ansicht der Kommission dabei die günstigeren Aussichten.

Wir hatten alle gründlichst die Vorschläge Chinas und der UdSSR studiert. Viele schlaflose Nächte hatte uns dies Problem gebracht. Sicher gab es niemanden, der nicht wieder und wieder über die Folgen der angebotenen Zusammenarbeit nachgedacht hätte, über den dramatischen Wechsel, den es für unsere Geschichte und Kultur bedeuten würde, wenn wir nicht mehr pro-(nord)amerikanisch wären, sondern pro-sowjetisch oder pro-chinesisch. Es war eine Tatsache, daß wir ,,allein" nicht überleben konnten in dieser komplexen und von gegenseitiger Abhängigkeit geprägten Welt in den letzten Dekaden des 20. Jahrhunderts.

Ich persönlich hätte mir gewünscht, daß wir Teil einer großen Lateinamerikanischen Union werden würden, mit Mexico oder Sao Paulo als Hauptstadt. Aber dieser gemeinsame Markt ist mit Pauken und Trompeten gescheitert, und die lateinamerikanischen Staaten grenzten sich immer stärker voneinander ab, anstatt sich zusammenzuschließen. Ich wollte weder von Peking noch von Moskau abhängig sein, sondern nur von meinen lateinamerikanischen Brüdern. Aber das war nicht das Thema, um das es an diesem spannungsgeladenen Morgen des Monats "Darwin" um "sechs" ging. Es ging um die Entscheidung, ob wir uns der UdSSR oder China verkaufen sollten.

Plötzlich hatte Martin seine breit angelegte Rede beendet. Er hatte seit Stunden gesprochen — worin er Fidel Castro glich. Er hörte sich selbst gern reden, obgleich er seinerseits ein bemerkenswert schlechter Zuhörer ist. Ich hatte inzwischen den Faden seiner Rede völlig verloren. Aber dann hörte ich, wie er ausrief:

"Weder Marx noch Jesus! Weder Lenin noch Mao! Wir werden allein existieren. Wir werden unsere eigene Wirtschaft und unser eigenes Gesellschaftssystem haben. Wir werden weder von China noch von Rußland noch von den USA abhängig sein. Wir werden eine alternative Gesellschaft sein, ein eigenes System, eine Neue Gesellschaft, die in nichts dem gleicht, was die Menschen vorher erfunden haben!"

Die Leute redeten und redeten. Schließlich hörte die Diskussion auf, weil es sehr spät war, — schon "Neun" vorbei und Zeit zum Mittagessen. Der Präsident hatte zwar nicht alle Mitglieder der Wirtschafts-Kommission überzeugt, aber er hatte eine wichtige Entscheidung getroffen: Wir wollten von niemandem abhängig sein. Wir würden Rußland und China einen ablehnenden Bescheid erteilen und wir würden alleine überleben ... Obwohl wir alle die anderen brauchten, um zu existieren ... Trotz der ökonomischen und auch politischen Verflechtung der Nationen in der gegenwärtigen Zeit.

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