24. Die Ökologie
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"Der Mensch ist ein Teil der Natur, wie die Amöben, die Vögel und die Sterne", sagte einige Tage später Mercedes. Der Besuch des Rehabilitations-Zentrums hatte mir gut gefallen, und ich glaube, daß auch Charles angenehm überrascht worden war. An diesem Tag nun sollte die Arbeit der <Kommission für Ökologie> analysiert werden, die Bericht erstatten mußte und nach der Evaluation, der umfassenden Prüfung, beginnen sollte, die nötigen Reformen einzuleiten.
"Nur allzu oft vergessen wir unsere biologische Natur. Dann respektieren wir nicht die Grenzen unseres eigenen Organismus, vergiften und verschmutzen die Umwelt, zerstören die natürlichen, nicht ersetzbaren Ressourcen, kurz, schaffen ein wahres Chaos in unserer ökologischen Welt."
Der große Saal der "Nationalen Planung" füllte sich langsam mit Menschen. In der Versammlung waren Vertreter aller Kommissionen, weil die ökologischen Probleme wirklich enorm wichtig waren, da sie eine Art Grenze für unsere Zivilisation bildeten, die Expansionsmöglichkeiten der Menschen auf diesem Planeten begrenzten, und es nicht länger anging, daß die Wälder einer nach dem anderen zerstört wurden und die Erde sich in eine Wüstenei verwandelte.
Schon war der Tag des <Stummen Frühlings> in vielen Regionen der Erde angebrochen: Die Vögel sangen nicht mehr, weil wir sie ausgerottet hatten, ohne es zu wollen — indem wir immer mehr Chemie verwendeten, die die Insekten vergiftete, und somit auf dem Umweg über die Insekten auch die Vögel umbrachten.
In der großen ökologischen Kette konnte man kein Glied aufbrechen, ohne die anderen in Mitleidenschaft zu ziehen. Jedes Öko-System mußte erhalten werden. Alle Elemente, die wir zerstört hatten, mußten durch neue ersetzt werden.
Der Redner auf dem Podium sprach mit großem Ernst; er zeigte uns die Wachstumskurven der Erdbevölkerung und Abnahmekurven der natürlichen Rohstoffe.
Zum Beispiel war auf diesem Planeten nur noch für 20 Jahre Erdöl vorhanden, und auch das nur, wenn man den Optimisten Glauben schenkte. Andere Minerale waren ebenfalls so gut wie erschöpft. Die Veränderungen in der Ozonschicht der Erde konnten einen noch gar nicht abzuschätzenden Schaden bei menschlichem und tierischem Leben verursachen. Das Bevölkerungswachstum war einfach explosiv gewesen. Der Mensch verbrauchte schlicht zu viele natürliche Ressourcen, vergiftete ohne jede Kontrolle die Umwelt, zerstörte die ökologischen Ketten und brachte in die biologische Ordnung ein Chaos wie das, das auf der Erde vor Jahrmillionen von Jahren geherrscht hatte.
Die Lage schien wirklich hoffnungslos zu sein. Die größte ökologische Katastrophe in der Geschichte des Planeten schien unmittelbar bevorzustehen. Im Vergleich dazu waren die schwarze Pest des Mittelalters und die beiden Weltkriege nichts gewesen.
Unsere Ziele waren nur schwer zu erreichen: die Ziele einer Gesellschaft, die so wenig wie möglich natürliche Ressourcen verbrauchen, das ökologische Gleichgewicht des Planeten beachten und eine Vergiftung der Umwelt weitestgehend vermeiden wollte. Wann immer ein Gebiet auf dieser Erde entwickelt, industrialisiert wurde, hatte dies eine Reihe ökologischer Schäden zur Konsequenz. Wenn Brasilien zum Beispiel eine Straße querdurch den Amazonas-Urwald baute, verursachte das schwerwiegende ökologische Störungen. Aber es tat das, um sich als Nation, als Staat, weiterzuentwickeln, um seine natürlichen Reichtümer zu nutzen, um seine Menschen ernähren zu können.
"Das Dilemma, das die industrialisierte Welt den Nationen der sogenannten <Entwicklungswelt> präsentiert hat, ist ganz klar", sagte unser Vortragender. "Sie vergiftet die Umwelt, stört das ökologische Gleichgewicht, um sich industriell weiterzuentwickeln, um sich in ein Heer potenter Wirtschaftsmächte zu verwandeln. Uns, die armen Länder der Dritten Welt, bitten, fordern die Industriestaaten auf, das nicht zu tun. Wir sollen das ökologische Gleichgewicht in der Welt immer beachten, wir sollen nicht die Amazonas-Wälder abholzen, wir sollen nicht die Wildtiere in den Wäldern ausrotten. Auf diese Weise wird in der Tat das ökologische Gleichgewicht — in unserer Ecke dieses Planeten — aufrechterhalten, aber wir werden uns so auch nicht weiterentwickeln. Sie haben das bereits getan, sie, die Bewohner der <Ersten Welt>, der Industrieländer. Und uns bitten sie, uns fordern sie auf, es nicht so zu machen wie sie, und uns stellen sie immer wieder als wichtigstes, grundlegendes Problem die Beachtung des ökologischen Gleichgewichtes anheim und die drohende Erschöpfung der natürlichen Reichtümer."
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"Das stimmt, das ist sehr wichtig", kommentierte Mercedes, zu mir gewandt, mit leiser Stimme. "Um uns zu entwickeln, müssen Fabriken gebaut, Straßen angelegt und Wälder niedergerissen werden. Die industrialisierte Welt hat das bereits hinter sich, und jetzt drängt sie darauf, daß wir nicht das gleiche machen, unter dem Vorwand, das ökologische Gleichgewicht müsse erhalten werden."
"Ein echtes Dilemma."
"Wir müssen einen Plan zur wirtschaftlichen Entwicklung vorlegen", fuhr der Redner fort, "der die biologische Ordnung und die Ökosysteme respektiert und die Umweltvergiftung vermeidet. Wir dürfen nicht denselben Weg gehen wie die ,Erste Welt' mit ihrer Konsum- und Wegwerfgesellschaft. Ein Mensch der 'entwickelten Welt' verbraucht wahrscheinlich im Durchschnitt zehnmal so viele Rohstoffe wie ein Mensch der ,unterentwickelten Welt'. Wenn wir unseren Platz in der Welt der ökonomischen Mächtigen fordern, befinden wir uns im Wettstreit, Kampf um die noch verbliebenen natürlichen Ressourcen. Wir brauchen dann mehr Öl, mehr Elektrizität, mehr Atomenergie. Das heißt, daß wir dann in einen Preiskrieg eintreten, in die Inflationspyramide der gegenwärtigen Welt einsteigen. Wenn der ganze Planet dann industrialisiert ist, wenn es keine Wälder mehr gibt und keine ungenutzten Regionen mehr, dann wird unsere Erde einer Wüste gleichen, und das wird dann der vorletzte Tag der Geschichte der menschlichen Species sein."
Die Lösung, die die <Kommission für Ökologie> präsentierte, war sehr komplex und basierte vor allem auf einem besseren, vernünftigeren Verständnis der natürlichen Systeme und der Organismen in ihrer Beziehung zur physikalischen und biologischen Umwelt. Sie setzte weiter eine Planwirtschaft auf nationaler Ebene voraus — die wir schon hatten —, und dies im Rahmen einer breiten, energischen internationalen Kooperation — die wir bestimmt nicht hatten und die auch nur sehr schwer zu erreichen war. Nationale Planung sollte im Geflecht internationaler Planung zu einer besseren Weltwirtschaftsordnung führen.
Jede Region sollte das produzieren, wofür die besten Kapazitäten und Grundlagen vorhanden waren. In den für Landwirtschaft ungeeigneten Zonen konnte Industrie angesiedelt werden. Aber dort, wo er fruchtbar war, sollte der Boden auch auf rationelle Weise für die Nahrungsmittelproduktion genutzt werden. Da es natürlich unmöglich war, daß alle Länder alle Güter in idealer Weise und optimaler Kosten-Nutzen-Relation erzeugten, müßte die wirtschaftliche Planung zweifellos von grenzüberschreitendem Charakter sein.
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"Eines der Basiselemente wirtschaftlicher Planung wie umfassender ökologischer Perspektive ist die rationale Geburtenplanung. Wir sind in diesem Punkt schon beträchtlich weitergekommen, so daß das Bevölkerungsproblem, das wie ein Alptraum auf der Dritten Welt lastet und über das so viele Vorurteile und falsche Vorstellungen, so viele politische und religiöse Mythen existieren, für uns kein Problem mehr ist. Ja, dieser Erfolg erlaubt es uns, optimistisch in die Zukunft zu schauen. Es ist unmöglich, daß ein Paar alle die Kinder tatsächlich bekommt, die es biologisch gesehen zu erzeugen in der Lage ist.
Als wir das eherne <Naturgesetz> der Kindersterblichkeit zerbrachen, das uns während der gesamten Menschheitsgeschichte begleitet hatte, zerbrachen wir das ökologische Gleichgewicht unserer Art. Natürlich werden wir nicht zur <traditionellen> Lösung — der Kindersterblichkeit — zurückkehren, sondern wir planen die Familie, und zwar ganz rational. Das allerdings ist auch eines der Dinge, die weltweit geschehen müssen, nicht nur auf nationaler Ebene. Wir haben in der Geburtenkontrolle viele Fortschritte gemacht, genauso übrigens die Volksrepublik China, Kanada und einige andere Staaten. Aber, noch einmal, dieses Problem muß endlich auf der ganzen Welt angegangen werden und darf sich nicht nur auf die nationale Ebene — und noch weniger auf die individuelle Ebene — beschränken."
"Ein anderes Grundelement unserer ökologischen Planung ist die Wiederherstellung des verlorengegangenen Gleichgewichts. Es ist dringend notwendig, neue Wälder anzupflanzen, die verschmutzten Flüsse zu reinigen, wieder Fische in die Seen zu ,säen'. Die Fabriken müssen weit weg von den Städten angesiedelt werden. Der ,Rat für Umwelt- und Lebensqualität' nimmt gerade in dieser Frage eine wichtige Rolle ein (wie er überhaupt ein wichtiger Teil der 'Kommission für Ökologie' ist)."
"Eine ähnlich große Bedeutung kommt auch der Entwicklung von Techniken zur Wiederaufbereitung von Produkten zu. Nehmen wir zum Beispiel das Papier. — Gebrauchtes Papier kann so wiederaufbereitet werden, daß es neues Papier ergibt. Wenn es einmal keine Wälder und Bäume mehr gibt, werden wir die Bedeutung des Recycling-Prozesses erkennen; wir werden dann nicht länger gebrauchte Dinge einfach wegwerfen. Auch viele Metalle können wiederaufbereitet werden. Viele Abwässer können geklärt werden, so daß von neuem frisches Wasser entsteht."
"Damit sind wir schon beim nächsten Punkt, den Abfällen. Rings um die Großstädte dieses Planeten gibt es riesige Müllgürtel, Müllhalden, die ständig wachsen. Überall stellt der Müll ein ernstes, bedrohliches Problem dar; niemand weiß, was man damit anfangen soll. Früher warf man den Abfall einfach in die Flüsse und ins Meer, und als Folge davon verwandelten sich die Flüsse in Kloaken und das pflanzliche und tierische Leben erstickte. Jetzt vergräbt man die Abfälle. Manche Müllprodukte aber brauchen Tausende, ja bis zu Hunderttausende von Jahren zur Zersetzung, weil wir keine Gedanken darauf verwendet haben, biologisch zersetzbare, abbaubare Dinge zu produzieren.
Der Tag wird kommen, an dem man nicht mehr weiß, wohin man den Müll werfen soll. Das ist aber kein Problem von morgen, sondern eines von heute. Wir müssen dringend mehr Studien über die bessere Nutzung von Abfällen durchführen und dahin gelangen, nur noch wiederaufbereitbare oder innerhalb relativ kurzer Zeitspanne sich zersetzende Materialien zu produzieren."
Der Redner sprach noch weiter, von den synthetischen Nahrungsmitteln, von Sonnenenergie, vom Nutzen der Meeresprodukte für die menschliche Ernährung. Er sprach davon, wie wichtig es sei, sowohl die Kinder früh zur Naturliebe zu erziehen als auch noch zu versuchen, die Erwachsenen umzuerziehen. Aber trotz aller Versuche, trotz Bevölkerungskontrolle, Wiederherstellung des ökologischen Gleichgewichts, Recycling, Abfall-Nutzung, synthetischen Fleischs, Nutzung der Sonnenenergie und der Meere schien die Lage sehr ernst zu sein. Alle verließen wir besorgt und pessimistisch den großen Saal der "Nationalen Planung".
Was konnten wir in diesem kleinen Land in den Tropen tun, um die ökologische Zerstörung der Erde aufzuhalten?
"Wenn der Mensch nur an die kommenden Generationen dächte, würde er wohl weniger konsumieren und weniger die natürlichen Ressourcen der Erde verschwenden", sagte Mercedes zu mir. "Jeder denkt doch nur an sich selbst und sein eigenes Wohlergehen. Uns interessiert eben nicht, was für eine Welt wir unseren Kindern und Enkeln hinterlassen werden."
"Die Voraussagen sind jedenfalls sehr, sehr pessimistisch, Mädchen. Wenn die Welt den bisherigen Weg weitergeht, haben wir vielleicht noch Kinder, aber wahrscheinlich gar keine Enkel mehr. Die Generation unserer Kinder wird die letzte in der Geschichte der Menschheit sein."
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