7 Sabine und Peter Schwarz / Schwerter zu Pflugscharen
Peter Schwarz und seine Frau gerieten als junge bekennende katholische Christen ernsthaft in Konflikt mit der Staatsmacht, als sie sich weigern, die aufgenähten Symbole »Schwerter zu Pflugscharen« von ihren Jacken zu entfernen. Von Polizisten brutal zusammengeschlagen, verlangte Schwarz schließlich die Ausreise. Das führte zur Festnahme der Familie. Auch die Kleinkinder wurden zunächst eingesperrt. Erst nach entwürdigender Haftzeit konnte das Ehepaar Schwarz mit seinen Kindern schließlich freigekauft werden und in den Westen übersiedeln.
110-119
Konflikte mit der DDR-Staatsmacht hatte Peter Schwarz schon früh: Lange Haare, Jeans und Mick Jagger waren angeblich mit dem Abitur nicht vereinbar. Dann hieß es, daß aktiver Wehrdienst die unabdingbare Voraussetzung für einen Studienplatz sei. Schwarz hatte Glück: Er kam, ohne Waffen tragen zu müssen, bei einem Militärorchester unter.
Doch weil er sich weigerte, Reserveoffizier der NVA zu werden, mußte er sein Maschinenbaustudium an der Technischen Universität Dresden abbrechen. Wieder hatte er Glück: Als Ersatz für die angestrebte Ausbildung durfte er Bauingenieurwesen an einer Ingenieurschule studieren. Als Jahrgangsbester konnte er sich einigermaßen gegen die »roten Provokationen« schützen, sagt er heute.
1979 begann er in Cottbus als Ingenieur in einem staatlichen Planungsbüro für Wohnungsbau — »mit sehr guten Ergebnissen«, wie die Stasi in ihren Akten vermerkte. Weiterhin weigerte er sich, an den vielen geforderten »gesellschaftlichen«, gewerkschaftlichen oder politischen Aktivitäten teilzunehmen oder gar Mitglied in den SED-Organisationen zu werden, »wodurch ich ständigen Feindseligkeiten ausgesetzt war«.
1980 heirateten Sabine und Peter Schwarz, 1981 und 1982 kamen die Söhne zur Welt. In dieser Zeit, in der die massive Aufrüstung des Warschauer Paktes unter anderem mit »SS-20-Rakten« erstmals in der DDR diskutiert wurde, begannen die beiden katholischen Christen, sich mit Freunden in der Initiative der evangelischen Kirche »Schwerter zu Pflugscharen« zu engagieren. Auslöser war der Friedenstag der evangelischen Kirche 1982 in Dresden.
Schnell kamen sie in den »Genuß« diverser Kontrollen der DDR-Sicherheitsorgane, die vor allem eines im Sinn hatten: Der Aufnäher mit dem Symbol »Schwerter zu Pflugscharen« sollte von der Jacke entfernt werden. Keine noch so an den Haaren herbeigezogene Argumentation (»Ohne Druckerlaubnis hergestellt«) war den Polizisten dafür zu dumm, doch weil Schwarz sich weigerte, kam es zu vorläufigen Festnahmen, Durchsuchungen, Befragungen, Drohungen mit der Entlassung aus dem Betrieb — und massiven körperlichen Mißhandlungen.
Am 1. Mai 1982 wurde er von der Polizei »zur Klärung eines Sachverhaltes« mit gezogenen Pistolen abgeführt, auf der Polizeiwache zunächst in eine Einzelzelle gesteckt und verhört. Später brachten ihn mehrere Volkspolizisten zu einer einsamen Garagenanlage und schlugen ihn dort brutal zusammen.
111
Als er sich tags darauf darüber beschweren wollte, sagten ihm die zuständigen Stasi-Offiziere unverblümt ins Gesicht, daß nicht nur seine Beschwerde, sondern sein ganzes Handeln aussichtslos sei: »In Zukunft, Herr Schwarz, können Sie sich auf wesentlich mehr einstellen.«
Als die Eheleute kurz darauf erfuhren, daß sie ihr zweites Kind erwarteten, war es Peter und Sabine Schwarz schlagartig klar, daß es unter diesen Umständen für ihre Familie keine Zukunft in der DDR geben konnte. Vorher hatten sie nie erwogen, aus der DDR auszureisen. Noch unter dem schmerzenden Eindruck der demütigenden Erlebnisse des 1. Mai stellte Peter Schwarz am 11. Mai 1982 den ersten Ausreiseantrag. Er war damals 27, seine Frau 26 Jahre alt.
»Wir hatten die Hoffnung aufgegeben, daß aus der DDR jemals ein demokratischer, lebenswerter Staat mit weniger bornierten Leuten würde.«
Doch die Ausreiseanträge wurden von der zuständigen Dienststelle immer wieder »wegen fehlender Voraussetzungen« abgelehnt, sogar mit der Begründung, daß der Antrag strafbar sei. Eingaben auch an den Staatsrat der DDR (»Als Pazifisten leben wir de facto außerhalb bestehender Gesetze der DDR. Die perspektivische Gestaltung eines Lebensweges bar jeder Legalität erscheint uns eminent hoffnungslos, zumal wir Eltern von zwei Kindern sind«) blieben ohne Antwort.
Dafür begann die Stasi zwei Monate nach dem ersten Antrag mit einer »Operativen Personenkontrolle« (OPK) gegen die Familie Schwarz. Die Spitzel stammten aus dem Kollegenkreis, selbst auf die Eltern und Geschwister wurde eingewirkt, diese sollten doch die Kinder von ihren Vorhaben abbringen. Im Freundeskreis und in der Kirchengemeinde gelang es der Stasi jedoch nicht, Spitzel zu finden.
112
Die Stasi berichtete damals:
»Mit dem Kennenlernen seiner jetzigen Ehefrau, die (auch) einen katholischen Glauben besitzt, hat sich die Weltanschauung des Sch. grundlegend geändert. Er besitzt eine feste Bindung zur katholischen Kirche. Sch. hat ein sehr enges Verhältnis zu den Pfarrern Schneider und Ehrlich. Schneider hat auch dem Sch. bei der Formulierung seines rechtswidrigen Ersuchens (auf Ausreise) geholfen.
Sch. wird als Pazifist und Person mit einer politisch negativen Einstellung zu unserem Staat eingeschätzt. Er zählt sich zu den Christen römisch-katholischer Konfession und lehnt sowohl den Wehrdienst mit der Waffe als auch jegliche gesellschaftliche Mitarbeit ab. Mehrere Male trat Sch. als Träger pazifistischer Symbole »Schwerter zu Pflugscharen« in Erscheinung und kam der Aufforderung des Betriebsleiters und des Parteisekretärs seiner Arbeitsstelle, diese Symbole zu entfernen, nicht nach. Erst durch das Eingreifen der Deutschen Volkspolizei konnte die gesetzliche Ordnung wieder hergestellt werden.
Am 11.5.1982 stellte Sch. für sich und seine Familie einen schriftlichen Antrag auf Übersiedlung und Entlassung aus der Staatsbürgerschaft der DDR. Mit dieser Handlung begibt sich Sch. eindeutig auf die Seite des Klassengegners.«
113
Nach einem Jahr Hoffen und Bangen entschloß sich das Ehepaar Schwarz 1983, seinen Ausreisewunsch über Verwandte in Westdeutschland öffentlich zu machen.
Die Stasi wurde nervös: Aus den Spitzelberichten der Kollegen, aus den abgehörten Telefonaten und abgefangenen Briefen wußte sie, daß die Familie Schwarz es ernst meinte mit ihrer Forderung, die DDR zu verlassen. Die OPK wurde deshalb Anfang 1983 zu einem umfangreichen »Operativen Vorgang« (OV) ausgeweitet, mit dem der Familie strafbare Handlungen nachgewiesen werden sollen, um sie ins Gefängnis zu bringen.
Ansatzpunkte hatten die Stasi-Spitzel schon gefunden: So war berichtet worden, Schwarz hätte in seinem Betrieb offen darum gebeten, eine Zeichnung fünfmal zu kopieren.
»Die politische Aussagekraft dieser Zeichnungen greifen zum Teil staatliche Organe (Volkspolizei) an bzw. würdigen deren Tätigkeit herab. Die Art und Weise der Begehung (der Straftat) kann dabei als beabsichtigte Provokation gewertet werden. Weil Sch. wissentlich eine betriebliche Weisung verletzt hat, besteht der begründete Verdacht, daß eine strafrechtlich relevante Handlung gemäß der Tatbestandsmerkmale des § 220 Abs. 2 StGB im Stadium der Vollendung vorliegt«, heißt es in den Stasi-Berichten
Und als der EM »Erich Künert« alias Werner Siemers (heute ein hoher Angestellter der Stadt Cottbus) der Stasi meldete, der von ihm bespitzelte Vater des Verdächtigen habe gesagt, sein Sohn beabsichtige, »den Papst um Unterstützung der Übersiedlung zu ersuchen«, stand auch der zweite Anklagepunkt für die Stasi fest: »Es kann politisch-operativ geschlußfolgert werden, daß Sch. auch eine ungesetzliche Verbindungsaufnahme im Sinne des § 219 StGB Abs. 1 einkalkuliert.«
114
Und, besonders schlimm aus der Sicht der Stasi: »Bei Seh. handelt es sich um eine Person mit sehr hohem Intelligenzgrad und rhetorischer Begabung. Aufgrund seines kontaktfreudigen und kameradschaftlichen Verhältnisses zu einem großen Teil seiner unmittelbaren, meist jungen Arbeitskollegen genießt er deren Sympathie.«
Die Gefahr, daß der Virus der politischen Gegnerschaft zum SED-Regime auf diese Kollegen übersprang, war also groß.
So wurde bei der Stasi-Bezirksverwaltung Cottbus, Abteilung XVIII/1, der Operativ-Vorgang (OV) »Pazifist« begonnen: vier IMs, eine umfassende Post- und Telefon-Kontrolle des Ehepaars Schwarz und der Eltern von Frau Schwarz sollten die zur Verurteilung nötigen »Ergebnisse« erbringen.
Nach einem Jahr intensiver Bespitzelung schlug die Stasi zu: Am 14. Februar 1984 wurde die Familie einschließlich der ein- und zweijährigen Kinder festgenommen, als Peter Schwarz auf dem Weg zur Ständigen Vertretung der Bundesrepublik Deutschland in Ost-Berlin war. Bereits weit vor seinem Ziel wurde er abgefangen und verhaftet, ebenso seine Frau und die Kleinkinder. Alle vier wurden von der Stasi in eine enge Zelle gesperrt, die beiden Kleinkinder blieben stundenlang unversorgt. Abends nahm die Stasi den Eltern die weinenden Kinder weg, ohne den Eltern irgendeine Erklärung zu geben. Sie blieben in fürchterlicher Sorge. Erst später erfuhren die Eheleute Schwarz, daß die Kinder zu den Eltern der Mutter gebracht worden waren.
Dann wurden die beiden getrennt und einzeln in das Staatssicherheitsgefängnis Cottbus verfrachtet. In winzig kleinen Zellen eingepfercht, wo die Sonne nur durch doppelte, verdreckte Glasbausteine erahnt werden konnte, hatten sie täglich zwanzig Minuten »Freigang« in den
115
dortigen »Tigerkäfigen« — kleinen, zugemauerten und oben mit Stachel- und Maschendraht ausbruchsicher gemachten Teilen des Gefängnishofes. Die Verhöre dauerten manchmal den ganzen Tag, oft länger als sechzehn Stunden. Einen Verteidiger erhielt keiner der beiden Inhaftierten.
Mehr als einmal drohen die Vernehmer Peter Schwarz: »Wir dürfen Ihnen die Knochen brechen!« Auch von einem möglichen »Genickschuß im Hof« war die Rede.
»Ich kam mir vor wie in einem lächerlich schlechten Film, aber es war leider bittere Wirklichkeit«, erinnert Schwarz sich heute. Seine Magengeschwüre wurden in der Stasihaft völlig mangelhaft behandelt und platzten deshalb auf - die Schmerzen des »Klassenfeindes« ließen die Vernehmer ungerührt.
Unterdessen wurde seiner Frau von der Stasi nahegelegt, sich von ihrem Mann zu trennen - dann würde sie verschont bleiben. Tatsächlich wurde sie einige Wochen vor der Verhandlung aus der Untersuchungshaft entlassen. Sabine Schwarz stand jedoch unbeirrt zu ihrem gemeinsamen Entschluß und zu ihrem Mann. Sie mußte ihre Haltung schließlich mit einer hohen Gefängnisstrafe bezahlen.
Der Prozeß Ende Mai 1984 (unter Ausschluß der Öffentlichkeit, mit einem von Rechtsanwalt Vogel beauftragten örtlichen Rechtsanwalt als Verteidiger) dauerte nur 25 Minuten. Peter Schwarz wurde zu 27 Monaten Zuchthaus, Sabine Schwarz zu 19 Monaten verurteilt — wegen »mehrfacher ungesetzlicher Verbindungsaufnahme« zu westlichen Politikern und Medien.
Sabine Schwarz mußte sich nach dem Prozeß bei der Polizei stellen und wurde in Handschellen durch die Stadt zum Bahnhof getrieben, wo der »Grotewohl-Expreß« (spezielle Waggons mit engen Zellen zum Häftlingstransport) auf sie und andere Häftlinge wartete.
116/117
Die Kinder wurden zu Sabines Eltern in Obhut gegeben. Kennzeichnend für die »sozialistische Rechtsstaatlichkeit« der DDR war es, daß die Angeklagten weder die Anklageschrift noch das Urteil zu DDR-Zeiten schriftlich erhielten.
Sabine Schwarz wurde in dem berüchtigten Zuchthaus Hoheneck, Peter Schwarz im Zuchthaus Brandenburg zusammen mit zum Teil »hochgradig perversen« Gewaltverbrechern in überfüllten Zellen eingesperrt »und unzähligen erniedrigenden Schikanen ausgesetzt«.
Doch das Ehepaar Schwarz hatte »Glück«: Ihr Alptraum endete schon nach knapp zehn Monaten: Am 5. Dezember 1984 wurden sie freigekauft und in die Bundesrepublik entlassen. Zwei Monate später waren auch ihre Kinder endlich im Westen.
Nach der Wiedervereinigung, im Dezember 1990, haben die einstigen politischen Gefangenen erstmals ein Exemplar ihrer Anklageschrift und des Urteils erhalten. Das (neue) Bezirksgericht Cottbus hat sie dann ein Jahr später in vollem Umfang rehabilitiert:
»Es ist unerfindlich und in dem Urteil (auch) nicht belegt, was an der Handlungsweise der Betroffenen nach damaligem Recht der DDR hätte ungesetzlich sein können. Denn die Betroffenen haben lediglich zutreffende Aussagen über vergebliche Ausreisebemühungen gemacht, die nach keinem Gesetz unter Geheimnisschutz gestellt gewesen sind.
Ebensowenig ist ein Verbot erkennbar oder in dem Urteil des Kreisgerichtes dargelegt worden, wonach die Weitergabe zutreffender Informationen, die nicht unter Geheimnisschutz gestellt waren, an in- oder ausländische Medien gesetzlich unerlaubt hätte sein können. Wieso wahre Informationen über Ausreisebeschränkungen »den Interessen der DDR zu schaden« geeignet gewesen sein sollen, ist unerfindlich. Denn die Wahrheit an sich kann nicht schädlich sein, solange nicht Tatsachen dargetan sind, aus denen zu entnehmen wäre, daß die Verbreitung der Wahrheit bestimmten staatlichen Interessen, die näher zu belegen gewesen wären, zu schaden geeignet gewesen wäre. Dann allerdings wäre noch immer zu belegen gewesen, mit welchen gesetzlichen Bestimmungen der damalige Staat DDR in Übereinstimmung mit seiner damaligen Verfassung die Verbreitung wahrer Vorgänge, die keine Staatsgeheimnisse darstellten, verbieten durfte. Das Urteil des Kreisgerichtes hat sich mit diesen — für ein Gericht naheliegenden — Fragen nicht auseinandergesetzt, was nur mit den besonderen Abhängigkeiten damaliger Rechtsprechung der DDR zu erklären ist.«
In Lahnstein am Rhein hat Familie Schwarz eine neue Heimat, interessante Arbeit und viele neue Freunde gefunden. Doch sie können es nicht fassen, daß es »ihren« Denunzianten Michael Lange, Gerhard Mahnhardt und Werner Siemers, den Vernehmern, dem Staatsanwalt Kock und dem Richter Baudach von damals »heute wesentlich besser zu gehen scheint als zu DDR-Zeiten«.
Die Spitzel aus dem Kollegenkreis sind von der Behörde des Bundesbeauftragten für die Stasi-Unterlagen amtlich mit Klarnamen festgestellt worden — dennoch dürfen sie teilweise in hohen Positionen im Staatsdienst bleiben. Ermittlungen der Staatsanwaltschaft verlaufen im Sande oder scheiterten an bereits abgelaufenen Verjährungsfristen.
»Wer interessiert sich eigentlich noch für eine gerechte und konsequente Aufarbeitung der jüngeren deutschen Geschichte?« fragt Peter Schwarz resigniert.
118-119
#