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Fünftens — Strukturelle Bedingungen 
individueller Initiative und realer Gemeinschaftlichkeit: 
Gesellschaft als Assoziation von Kommunen

 

520-543

In der Frage der Regulationsform ist die anarchistische Strömung, speziell syndikalistischer Richtung, bisher die einzige, die das Interesse der Individualität und der von ihr aus kontrollierbaren, weil nicht zu großen, autonomen Gruppe nachdrücklich betont. 

Und wenn es ihr auch nicht gelingt, diesen ihren überaus wesentlichen Ansatz ausreichend mit dem Gesichtspunkt des Ensembles der gesell­schaft­lichen Verhältnisse, d. h. mit dem übergreifenden Systemcharakter von Gesellschaft als ganzer zur Deckung zu bringen, so kann sie doch nicht aus dem Felde geschlagen werden, solange alle anderen revolutionären Strömungen für diesen synthetischen Gesichtspunkt in der Staatsperspektive steckenbleiben. 

Man muß jedoch über das Dilemma »genossenschaftlich-egalitäre oder hierarchisch-elitäre Struktur« hinaus, weil es illusorisch die Möglichkeit unterstellt, der Informations- und Entscheidungsfluß könne primär oder gar allein von unten nach oben erfolgen. Bleibt nicht der Syndikalismus in dem Trauma des unmittelbaren Produzenten befangen, der nicht zu hoffen wagt, jemals über seine Subalternität hinauszukommen, und für den Gleichheit deshalb instinktiv bedeutet, daß alle gleich subaltern sein müssen? Man muß sich den strukturellen Gesetzmäßigkeiten der Informationsverarbeitung in komplexen, »organismischen« Systemen stellen. 

Bis zur Entwicklungshöhe der biologischen Organismen erfolgt die Informationsverarbeitung auch auf konstitutionell immer ausgeprägter »hierarchisch-elitäre« Weise, insofern die auf den verschiedenen Ebenen beteiligten Zellen und Zellenverbände durchaus verschiedene Funktionsniveaus und Entscheidungsbefugnisse haben. Jedes komplexere lebendige System bildet ein Gehirn heraus, das über seine Gesamtfunktion wacht. Technisch und informationell sind auch die gesellschaftlichen Arbeitsfunktionen einander notwendig subordiniert. Wenn man nicht wahrhaben will, daß die Struktur der Regulation bei zusammengesetzter Produktion objektiv hierarchisch ist, kann man das ganze Problem der sozialistischen Demokratie nur agitatorisch aufwerfen. Der Sache nach verrennt man sich in die regressive Anregung, die historisch entstandenen Metastrukturen der ursprünglich bloß auf horizontaler Kopplung beruhenden Regulation auflösen zu wollen, um sie, auf dem Wege einer »Zentralisation von unten«, noch einmal zu machen. Kommt es nicht vielmehr darauf an, sie von unten und oben zugleich gesellschaftlich zu durchdringen?

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Das »genossenschaftlich-egalitäre« Konzept hält dagegen den Standpunkt der Subalternität theoretisch fest. Praktisch ist es, in Gestalt der nicht wenigen Versuche mit dem Rätesystem, immer dann auf seine Grenze gestoßen, sobald es darum ging, wirklich »die Nation zu organisieren«.

Meiner Ansicht nach handelt es sich für den Menschen, der an die Schwelle des Sozialismus-Kommunismus gelangt ist, darum, daß sich die für die Regulation des gesellschaftlichen Arbeits- und Lebensprozesses notwendige funktionelle Hierarchie (mit ausgewogenem Informations- und Entscheidungsfluß in beiden Richtungen) nicht mehr in Sozialstruktur umsetzen muß. Weil die Menschheit aus lauter universell veranlagten Individuen besteht, soll nun auf der dafür geschaffenen materiellen Grundlage der soziale Zusammenhang auch aufhören, der des informationsverarbeitenden Systems zu sein, dessen er sich regulatorisch bedient und weiterhin bedienen wird. 

Eben deshalb steht die Aufhebung der alten Arbeitsteilung im Mittelpunkt dieses Buches. Der letzte »Klassenkampf« dreht sich gerade um die Organisation des Informations-, des Erkenntnis- und Entscheidungsprozesses, um seine Subsumtion unter die assoziierten Individuen, nämlich unter ihr gesamtes Ensemble. 

Die Aufgabe besteht darin, die Menschen nicht in ihrer Funktion innerhalb pyramidaler Systeme aufgehen zu lassen, das Planungs- und Leitungssystem selbst zu objektivieren, es als ein solches Reich der Notwendigkeit zu konstituieren, über das sich die Individuen assoziiert erheben, während sie sich in die Unterfunktionen, die auf den verschiedenen Ebenen anfallen, auf gerechte Weise teilen. »Genossenschaftlich«, wie weit man den Gehalt dieses Prinzips auch nach oben hin aufbaut, ist nie völlig mit »gesellschaftlich« zur Deckung zu bringen. Die historische Erfahrung veranlaßt eher zu der Frage, ob sich die Alternative von genossenschaftlicher oder hierarchischer Organisation nicht in Wirklichkeit auf die Entscheidung bezieht, ob der gesellschaftliche Zusammenhang jenseits des Kapitalismus zunächst der Konkurrenz kollektiver Kapitalisten oder dem Diktat eines allgemeinen Kapitalisten anheimgegeben sein soll.

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Vielleicht sollte man begreifen, daß »Genossenschaftssozialismus« bestenfalls eine historische Embryonalform des Sozialismus sein kann, die idealiter dann entsteht, wenn sich die Werktätigen bereits die vom Kapitalismus der freien Konkurrenz vereinzelten Produktionsstätten in dieser Vereinzelung aneignen. Es erscheint mir sehr fraglich, ob die Idee der allgemeinen Assoziation weiter nichts erfordert als die Koordination solcher Produktivgenossenschaften. Wie ist die »Versammlung« der ganzen Gesellschaft, aller Individuen über ihrem Reproduktionsprozeß möglich? Das ist die Kardinalfrage der sozialistischen Demokratie. Es gilt zu begreifen, daß die Frage der Selbstverwaltung in einer hochkomplexen Gesellschaft nicht allein aus der Perspektive der partikularen kommunalen und schon gar nicht der betrieblichen Einheiten aufzuwerfen und zu beantworten ist, sondern immer zugleich angesichts des Gesam/prozesses der Reproduktion.

Ist diese Intention einmal festgehalten, dann freilich wird die Aneigenbarkeit des allgemeinen Zusammenhangs, und zwar verstanden als massenhafter sozialpsychischer, sozialpädagogischer Prozeß, zum entscheidenden Maßstab für die Wahl der ökonomischen Regulations/orm, und die Garantie für die reale Beeinflußbarkeit der gesellschaftlichen Synthesis, des allgemeinen Plans von unten nach oben wird zur wichtigsten, nun erst praktikabel beantwortbaren Frage. Dabei kann diese Wahl nicht getroffen, diese Antwort nicht gegeben werden unabhängig von dem konkreten historisch-kulturellen Entwicklungsstand der Produzenten und der Produktion. Es macht eben einen Unterschied, ob am Anfang Fabriken zu enteignen sind oder nationale bzw. sogar supranationale Konzerne. 

Die Geschichte hat nachhaltig erwiesen — und man hätte es sich auch ohnedies ausrechnen können —, daß die Individuen sich nicht in einem einzigen Sprung über alle Zwischenstufen der Interessenkonzentration hinweg von der Ebene ihrer subalternen Teilfunktion auf die des gesamtgesellschaftlichen bzw. gesamtwirtschaftlichen Zusammenhangs erheben können. 

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Sofortige Zentralisation der Verfügungsgewalt ist nicht nur nicht identisch mit Vergesellschaftung, sondern stellt unfehlbar einen Riegel gegen sie dar. Und totale Zentralisation ohne organische Abstufung wird immer eine theoretische Vorstellung phantasieloser Zwangscharaktere bleiben. Zentral im Sinne von gesamtgesellschaftlich wird letztlich nur die Entscheidung über das (ethische) Wertkonzept fallen, an dem die Assoziation ihre Entwicklung orientieren will.

Gewiß hat der jugoslawische Kommunismus seinerzeit nicht den »einzig möglichen« Weg des Heranführens an die Vergesellschaftung gefunden (den es ja auch gar nicht gibt); aber der Grundgedanke, zunächst quasi-genossenschaftliche Betriebskollektive relativ autonom wirtschaften zu lassen, ist vom Standpunkt der Erlernbarkeit des Verfügens jedenfalls aussichtsreicher als die Steuerung durch ein »Papsttum der Produktion« (Marx, Grundrisse/73, über die saint-simonistische Bank, die sich in etwa als Einheit von Staatlicher Plankommission und Statistischer Zentralverwaltung darstellt). 

Diesen Punkt hat die trotzkistische Richtung nicht hinreichend zu würdigen gewußt, wie die dogmatische Art ihrer Kritik an den jugoslawischen Zuständen zeigt. Dezentralisierung bleibt selbst in Ländern mit höherem wirtschaftsorganisatorischem und kulturellem Ausgangsniveau lange Zeit Entwicklungsbedingung der Selbstverwaltung. Die Frage ihres genauen Inhalts und der Regulierungsinstrumente hat davon abgeleitete Bedeutung. Speziell in bezug auf die Rolle der Wertkategorien, deren Fortdauern oder Verschwinden in der Ökonomik, nicht im Politischen entschieden wird, kann sie »gewissenlos« vom Standpunkt des optimalen Funktionierens einer auf das Hineinwachsen in die volle Vergesellschaftung orientierten politökonomischen Strategie gestellt werden. 

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Natürlich wäre es Unfug, jetzt mit der DDR- oder CSSR-Wirtschaft, die stets zentralistisch gesteuert wurden, dorthin zurückspringen zu wollen, wo die Jugoslawen 1950 mit ihrer unterentwickelten Ökonomik neu ansetzten, und ihre Fehler zu wiederholen, anstatt aus ihnen zu lernen. Dennoch ist ein bestimmter Typ von Dezentralisierung auch hier hochaktuell, und zwar unter unseren Verhältnissen mehr noch unter dem Aspekt der Entfesselung qualifizierter individueller Initiative und der Kollektivbildung um relativ autonom zu realisierende Planaufgaben als unter dem des Erwerbs von ökonomischem Abstraktions- und Verallgemeinerungsvermögen. 

Es bedarf offenbar einer bestimmten Kombination zwischen — informationstheoretisch unvermeidlich hierarchischer — Systemregulation von oben (wobei Hierarchie keineswegs unter allen Umständen die Gestalt eines unkontrollierbaren herrschaftlichen Apparats haben muß) und ökonomischer Initiative aus relativ autonomen Grundeinheiten der vereinigten Arbeit und des gesellschaftlichen Lebens heraus (die ja nun ihrerseits nicht unter allen Umständen emanzipatorisch funktionieren). 

Das Vermitteln des gesamtgesellschaftlichen Zusammenhangs kann nur dann das gemeinschaftliche Werk der freien Individuen werden, wenn es nicht eine abgesonderte Tätigkeit ist, die aller übrigen Vermittlungsnotwendigkeit abstrakt kommandierend gegenübersteht. Die Individuen hätten sonst den Widerspruch zwischen abstrakter Freiheit im Ganzen und konkreter Unfreiheit in allem Einzelnen, der sich stets wieder in der letzteren Richtung auflösen müßte. 

Deshalb muß der allgemeine Zusammenhang in autonome Kollektiv subjektive verschiedener Stufe untergliedert sein, die ihre Einordnung ins Ganze selbst vermitteln. Ich will eine vielleicht seltsam anmutende, m. E. dennoch anregende Analogie heranziehen: die Beziehungen innerhalb der herrschenden Klasse in der Aufstiegsphase der europäischen Feudalgesellschaft. 

Die Lehnsordnung war hierarchisch, aber es kamen — idealtypisch betrachtet — die Subjekte aller Ebenen zu eigener Geltung. 

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Man setze diese Subjekte als Kollektive assoziierter Individuen statt als patriarchalische Feudalgewalten. Diese Kollektive würden dann kraft ihrer inneren egalitären Struktur natürlich eine ganz andere objektive Autorität von »unten« in den ganzen Vermittlungsprozeß einbringen, so daß im Unterschied zur Lehnspyramide, wo ja immer noch die Delegation von oben nach unten die Legalität (nicht immer die Realität) bestimmte, die Legalität tatsächlich überwiegend von der Basis ausginge, die Delegation also von unten nach oben erfolgte ... In einer entwickelten kommunistischen Gesellschaft sind die Individuen auf allen Ebenen der Interessensubjektivität gleicherweise und zugleich präsent. Es gibt »unten« und es gibt »oben«, aber in einem System, das die Menschen in diesem Punkte nicht mehr bestimmt. Dadurch wird dann jede Eifersucht von und für »unten« sinnlos. 

Hier offenbart sich der tiefe Gehalt des von Marx gewählten Wortes Assoziation, das sich wie kein anderes eignet, das aktive Sich-vereinigen je autonomer Subjekte, das koordinative, das föderale Prinzip ihrer gesellschaftlichen Organisation auszudrücken, das allein den Individuen in ihrem notwendigen Zusammenhang zugleich die Freiheit wahrt. Assoziation der Individuen zu den Verbänden, in denen sie die je spezifischen Zwecke verfolgen, die ihren sozialen Lebensprozeß ausmachen; Assoziation dieser unterfunktionellen Verbände zu den Kommunen als den komplexen territorialen Einheiten, die diesen Lebensprozeß in seiner Allseitigkeit umfassen; schließlich Assoziation der — natürlich an gewissen Punkten im Rahmen planmäßiger Arbeitsteilung spezialisierten — Kommunen zur Gesellschaft: das ist der Kommunismus unter dem Blickwinkel der Organisation des sozialen Zusammenhangs. Das Assoziationsprinzip ersetzt die konstitutiv individualitäts- und initiativefeindliche zentralistische Superorganisation, die die Klassenherrschaft von der asiatischen bis zur kapitalistischen Formation der Menschheit hinterlassen hat. 

Einzig und allein assoziativ kann man sich auch den künftigen Menschheitszusammenhang vorstellen — diametral gegen den Alptraum einer bürokratischen Weltregierung. 

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Mag die moderne Superorganisation das Entstehungsgesetz sein, das den Aufbau der Noosphäre im weltgeschichtlichen Prozeß regiert hat, mag diese entfremdete Totalität ihre Eierschale gewesen sein. Das Reich des Menschen als Bewußtseins-, als Selbstbewußtseinswesen wird, einmal seiner Existenz­grundlagen gewiß, durch jene assoziative Kommunikation gekennzeichnet sein, die dem freien Austausch der Individualitäten ebenso gemäß ist wie dem freien Austausch der Gedanken.

Was wird eine kommunistische Gesellschaft »zentral«, d.h. auf der gesamtgesellschaftlichen Ebene entscheiden? 

In erster Linie muß sie Inhalt und Umfang ihrer Bedürfnisse ratifizieren, eben vom Standpunkt des erwähnten und sicherlich stets in gewissem Grade umstrittenen Wertkonzepts. Auf diese Weise wird die Gebrauchswertstruktur des Plans festgelegt, die dann in Größenordnungen des Bedarfs an bestimmten Gütern und Diensten, entsprechend proportionierten Kapazitäten erscheint. So weit wird wahrscheinlich stets auch zentrale, d.h. vom Gesamtinteresse geleitete Kontrolle reichen müssen. Gerade das Sortiment des Angebots — ganz im Unterschied zu den Produktionsbedingungen — kann und darf für den einzelnen Zweig und Betrieb nicht nach — gleichgültig welchen — internen Nutzenskriterien frei wählbar sein. 

Die Festlegung der Produktionsstruktur und ihrer Veränderungen ist kein Akt der Produktionskollektive, sondern ein gesellschaftlicher Akt. Dieser Punkt wird von den Vertretern der Räteidee meist am wenigsten verstanden. Die assoziierten Individuen bestimmen den Plan nicht in ihrer (immer noch beschränkten!) Eigenschaft als spezifisch interessierte Produzenten, sondern als gesellschaftliche Menschen schlechthin, die auf einem hohen Niveau der Einsicht in die allgemeinen, in vielerlei besondere und in ihre individuellen Interessen nach deren optimaler Vermittlung in den Planzielen streben.

Die Produzenteninteressen sind besondere unter anderen, und deshalb kann aus wie demokratisch auch immer von unten nach oben zusammengefaßten Interessen, die in Produzenten-Genossenschaften ihren Angelpunkt haben, prinzipiell kein gesamtgesellschaftlich befriedigender Plan hervorgehen. 

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Wenn das »genossenschaftlich-egalitäre« Konzept den Subalternitätsaspekt der unterdrückten proletarischen Existenz nicht sprengt, so bleibt der Gedanke der Rätedemokratie auf der Basis von Produzentenselbstverwaltung theoretisch einem Grundbestand der spezifisch kapitalistischen Entfremdung, der Verselbständigung des ökonomischen Prozesses, seiner abstrakten Dominanz über den gesellschaftlichen Gesamtprozeß verhaftet (siehe hierzu Goldmanns Dialektische Untersuchungen, Neuwied und Berlin 1966/71 ff.). 

Hier erweist die Kommuneidee ihre große spezifische Überlegenheit. Wir erinnern uns: »Die Kommunalverfassung würde ... dem gesellschaftlichen Körper alle die Kräfte zurückgegeben haben, die bisher der Schmarotzerauswuchs >Staat<, der von der Gesellschaft sich nährt und ihre freie Bewegung hemmt, aufgezehrt hat«, hieß es in den Marxschen Analysen zur Pariser Kommune (MEW 17/341). 

Ich muß gestehen, daß ich vor vier Jahren, als ich jene großen Texte für das 1. Kapitel dieses Buches referierte, noch nicht so wie jetzt von ihrer uneingeschränkten Aktualität für die ökonomisch-politischen Verfassungsfragen der kulturrevolutionären Praxis überzeugt war. In der Organisationsform der Kommune lassen sich alle Seiten des Reproduktions­prozesses auf das Ziel der reichen Individualität hin integrieren und die entsprechenden Interessen sowohl nach innen als auch nach außen vermitteln und durchsetzen. 

Man mag sich vorstellen, wie sich eine Bevölkerung - gestützt auf von ihr eingesetzte Organe - in die verschiedenen Tätigkeiten von der Planung und Statistik bis zur Raumpflege und Abfallbeseitigung, von der angewandten Forschung bis zum Versand der Erzeugnisse, vom Unterricht verschiedenster Art und Stufe bis zur Reparatur der Maschinerie, von der Errichtung neuer Gebäude bis zur Verteilung der Gebrauchsgegenstände und der Ausführung von Dienstleistungen teilt, während die allgemeinen Künste und Wissenschaften ebenso jedermanns Beschäftigungen sind wie der mehr als bisher in schönes Spiel übergehende Austausch der Geschlechter, der Generationen, überhaupt der individuelle oder gruppenweise Genuß der verschiedensten Partnerschaften.

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Eine solche kommunale Organisation könnte auch der Rahmen sein, um die vereinsamende Dissoziation der Arbeits-, Wohn- und Bildungssphäre abzubauen, ohne dabei alte Beschränktheiten, Abgeschlossenheiten, Zwänge wiederzugebären, wie sie für einseitig introvertierte soziale Milieus, etwa der mittelalterlichen Kommunen, einigermaßen typisch waren. Sozialistische Kommunen könnten beispielsweise das in der antiken Polisarchitektur und in der mittelalterlichen Stadt einmal gewonnene Maß des Menschen in den Bauten auf höherem Niveau wiederherstellen, anstatt Isolierzellen zu ästhetisch formlosen Aggregaten übereinanderzuschichten, vor deren Hintergrund die Menschengestalt auf Ameisengröße schrumpft. Der jetzt praktizierte Wohnungsbau würde es im Verein mit der bürokratischen, das Individuum im wesentlichen als Zufallsgröße behandelnden Wohnungszuweisung selbst dann materiell unmöglich machen, Wohngemeinschaftsformen zu erproben und zu entwickeln, wenn die politische Macht aufhörte, entsprechende Experimente mit Mißtrauen zu verfolgen oder vielmehr bereits im Keim zu verhindern.

Von der formellen Seite betrachtet, müßte die kommunale (territoriale) Organisation, die der zentral gesteuerten industriellen Zweigorganisation und den übrigen durchgängigen Bürokratien jetzt nur verfassungskünstlich die Waage hält, die mittlere planende und leitende Instanz sein, an der vorbei insbesondere keinerlei zentrale Kontrollen einen Weg in die Grundeinheiten der verschiedenen Primäraktivitäten des Reproduktionsprozesses finden dürften. 

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Dieses Prinzip konnte in der Pariser Erfahrung von 1871 noch nicht herausdifferenziert werden, weil es nur Pariser Erfahrung war. Durch Dekret wurden die Produktiv­genossenschaften der Werktätigen zu ihrer Vereinigung im nationalen Maßstab verpflichtet — eine Machtkonzentration, die unweigerlich über die territorialen Kommunen hinweggeht und die Macht über die Gesellschaft zentralisiert, selbst falls der eine Strang demokratisch reguliert werden sollte. Zusammenfassungen auf territorialer Basis haben sich die ganze Geschichte hindurch im Vergleich zu landesweiten Zweignetzen immer als weitaus überschaubarer, menschennäher erwiesen. 

Die Kommune hätte die Eigenschaften des sozialen Mikrokosmos, insbesondere wenn man sich in der ferneren Perspektive die anorganischen Stadtagglomerate, die sich vielerorts bereits selbst ad absurdum führen, aufgelöst vorstellt. Selbstverständlich würde es exterritoriale Gebilde der Energiewirtschaft, des Verkehrs- und Verbindungswesens geben, die die Kommunen queren. Das gleiche beträfe sicherlich einige (nicht viele) Institutionen des Überbaus. Generell würde zweigorientierter fachlicher Informationsfluß erhalten bleiben, für den relativ unabhängige, auch von den Kommunen konsultierbare wissenschaftliche Zweiginstitute sorgen könnten.

Verbindlich bliebe für die Kommunen der Output ihrer Industrie für die Gesellschaft, nach Sortiment und Qualität festgelegt, in Relation zum Input an (mit der erwähnten Reserve gedachten) Ressourcen. Damit wären die Kommunen auch die ökonomischen Einheiten, um die sich die wirtschaftliche Rechnungsführung in ihrer vollen Komplexität kristallisieren könnte. Ihre Räte aus gewählten Delegierten hätten, mit einiger Einschränkung, dieselben Dispositionen zu treffen wie die gleichfalls auf dem Delegiertensystem fußende Regierung des ganzen Landes. Damit könnten die Kommunen ebenso Gegenstände weitestgehenden Interesses werden, wie sie jetzt Gegenstände ausgebreitetsten Desinteresses und besonders politisch völlig belanglos sind (so daß man bei Kommunalwahlen schlechterdings nur über Dachreparaturen und Ladenöffnungszeiten reden kann). 

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Vor allem würde von den Kommunen her über die Frage der Steuerabführung für gesamtgesellschaftliche Zwecke (denn fast nur über die Kommunen wäre der Landeshaushalt zu finanzieren) die Ökonomik des gesamten Gemeinwesens durchsichtig und beeinflußbar werden. Und zugleich hätten die kommunalen Delegierten in der Nationalversammlung infolge des mikrokosmischen Charakters der von ihnen vertretenen Gemeinwesen von vornherein die soziale Potenz und Kompetenz, auch den allgemeinen Plan der assoziierten Kommunen zu entscheiden. Neben den Vereinigungen zu Arbeits- und Bildungszwecken wird die Gliederung der Bevölkerung in Wohngemeinschaften eines der wichtigsten Anliegen kulturrevolutionärer Praxis sein. 

Denn es spricht alles dafür, daß das Aufgehen der jetzigen Kleinfamilie in größeren, keinesfalls aber staatlich zu organisierenden Verbänden der Schlüssel zu den nächsten wesentlichen Fortschritten auf zwei eng miteinander zusammenhängenden Gebieten ist, deren Zurückbleiben den Gesamtprozeß der zivilisatorischen Umwälzung stark behindern müßte: der Befreiung der Frau und der Befreiung der Kinder, genauer gesagt der Sicherung der psychosozialen Bedingungen für einen Erziehungsprozeß, der keine Entwicklungsschranken setzt. 

(Darüber hinaus würden solche Kommunen wahrscheinlich auch dem Ausschluß der alten Menschen aus der sozialen Kommunikation ein Ende machen.) 

Die Kleinfamilie war die Folge des Schrumpfens der Familienfunktion auf die Reproduktion der Arbeitskraft (unter weitgehender Ausklammerung des materialen Bildungsprozesses). Der Frau fällt in dieser nun endgültig nicht mehr mikrokosmischen Einheit, die also von vornherein einen sehr begrenzten Horizont erschließt, mit viel Wahrscheinlichkeit die Leitungsfunktion, die Hauptverantwortung für das Funktionieren zu. 

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Diese Wahrscheinlichkeit ist nur teilweise sittentraditionell bedingt. In einer Arbeits-Leistungs-Gesellschaft, die überdies mit materiellem Anreiz arbeitet, ist der Mann wichtiger in der gesellschaftlichen Produktion (selbst wenn mehr Frauen als Männer berufstätig sind), wichtiger für den Standard der familiären Reproduktion (insofern ist die Egalisierung der Einkommen eine überaus wichtige Bedingung der Frauenemanzipation). 

Und in der Familie hat die Frau von dorther, wo deren reproduktive Funktion ansetzt, in dem vorgeburtlichen und frühkindlichen Entwicklungsabschnitt des Menschen, naturbedingt einen Vorlauf in der Übernahme von Aufgaben: sie ist das natürliche Zentrum der Kleinfamilie (wie sie einst in den ursprünglichen Gemeinwesen das natürliche Zentrum des gesamten sozialen Lebensprozesses war). 

Daraus ergibt sich ein Maß der Absorption durch notwendige Arbeit (aus der die Hausarbeit ja nur vom allgegenwärtigen »kapitalistischen« Standpunkt herausfällt) und ständiger Sorge, das selbst bei absolut gleichem sichtlichem Zeitaufwand aller Familienmitglieder weitaus größer wäre: Die Frau »kommt nicht zur Ruhe«. Sie erlebt die Rolle des familiären Wirtschaftsleiters und -planers etwa ebenso wie, vergleichsweise, ein Schlosser, der nach absolviertem Ingenieurstudium die Funktion des technischen Leiters übernimmt und nun die Erfahrung macht, daß er den Betrieb, sei er noch so klein, ganz im Gegensatz zu früher allabendlich »mit nach Hause nimmt«. 

Da das gesamte Versorgungs- und Dienstleistungswesen im real existierenden Sozialismus durch seine Unterentwicklung, sein indirekt vorprogrammiertes Nachhinken hinter den Erfordernissen objektiv die familiäre Reproduktion erschwert, lastet die herrschende Ökonomik auf niemandem drückender als auf den Frauen, deren berufliche und immer noch weitgehend damit identische gesellschaftliche Entwicklungsmöglichkeiten sie geradezu radikal beschneidet: Sie läßt die Konzentration der menschlichen Wesenskräfte auf etwas anderes als auf die Familienfunktion bei Müttern mit mehreren Kindern nur im Ausnahmefall zu. 

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Soweit das offizielle gesellschaftliche Bewußtsein die quantitative Belastung der Frauen und die Folgen für ihre Gesundheit und ihre Kinder zur Kenntnis nimmt, neigt es zu typisch kompensatorischen Regelungen. Durch Sozialmaßnahmen wie weitgehend bezahlte Freistellungen bei mehrmaliger Mutterschaft wird das Problem auf eine unmittelbar für die Frauen vorteilhafte, aber gesellschaftspolitisch restaurative Weise gelöst, die die Unabänderlichkeit der sozialen Subalternität der Frau suggeriert und ihre Emanzipation völlig dahinstellt. Bei den von der gesunden Frau »gesellschaftlich erwarteten« zwei bis drei Kindern bedeutet diese »Lösung« einen durchschnittlich fünfjährigen Entwicklungsverlust gerade zu dem entscheidenden Zeitpunkt des Beginns der beruflichen Tätigkeit, oft schon des Ausbildungsabschlusses. Damit wird bereits über die Tendenz der nachfolgenden zehn bis fünfzehn Jahre bis zum Schulabschluß der Kinder entschieden. Für die vierzig- bis fünfundvierzigjährige Frau kommen die äußeren Bedingungen der Emanzipation zu spät. 

Genau dies ist die Stelle im sozialen Zusammenhang, an der der Prozeß der Frauenemanzipation seit Herstellung der formalen politischen und juristischen Gleichberechtigung prinzipiell stagniert und die Subalternität der Hälfte der Gesellschaft festgeschrieben ist. Sie kann nur überwunden werden, wenn die Entfunktionalisierung der Familie bewußt vollendet, die Kleinfamilie als Reproduktionseinheit des »menschlichen Faktors« aufgegeben wird. Der millionenfache Einzelkampf um eine Lastenteilung in der bestehenden Familienform kann von den Frauen zwar durch politische Vereinigung und mit Unterstützung durch den Kommunistischen Bund zu gewissen Teilerfolgen geführt werden, insgesamt gewonnen werden kann er nicht. 

Die Kommuneorganisation der Wohnbevölkerung bietet ihnen demgegenüber drei entscheidende Vorteile

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In dem zweiten der genannten Vorteile liegt zugleich die wesentlichste Voraussetzung für eine tiefgreifende Sicherung voller Bildungsfähigkeit und Lernmotivation der Kinder, deren psychologische Problematik ich im 10. Kapitel gestreift habe. Die Kleinfamilie ist seit fünfzig Jahren als »psychologische Strukturfabrik« der Gesellschaft, als der Ort erkannt, an dem die Herrschaftsverhältnisse psychisch reproduziert werden. Wegen der Unausweichlichkeit der Beziehung zu allzu wenigen anderen Personen, die überdies in offenem oder latentem Streit miteinander liegen und sich dabei auf die Kinder beziehen, erfolgt hier zudem jene primäre Neurotisierung, der der Einzelne nur zufällig entgehen kann und die dafür verantwortlich ist, daß Individualisierung in modernen Gesellschaften viel eher zum bizarren als zum harmonischen Charakter treibt. Ich will auf diesen Punkt nicht ausführlicher eingehen, da mir scheint, daß die diesbezüglichen Vorzüge von Großfamilien gleich welcher einzelnen Form ausreichend durch ethnographisches und historisches Material belegt sind.

Nun muß ich, vor dem entwickelten Hintergrund der Kommuneidee, noch einmal darauf zurückkommen, daß diese gesamte assoziative Struktur, die ihre Zielübereinstimmung auf der Basis allseitig eingesehener Solidarität erreicht, evolutionär gesehen nicht an der hierarchischen Organisation vorbei, sondern auf dem Wege durch sie hindurch und darüber hinaus zustande kommt.

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Wie die Kommune selbst eine spezielle Überbaustruktur ist, speziell nämlich neben den anderen speziellen Funktionen, deren zusammenfassendes Element sie darstellt, so ist auch die Gesellschaft mehr als ein Netz etwa bloß horizontal gekoppelter Kommunen. Das ist schon allein informationell undenkbar; man stelle sich das Gewirr der alle Kommunen mit allen Kommunen verbindenden Kanäle und das ständige Auseinander- und Wiederzusammensteuern der einzelnen Informationsstränge vor, die die Mannigfaltigkeit des Reproduktionsprozesses repräsentieren. Die Assoziation entwickelt notwendig eine verbindliche vertikale Dimension. 

Die Kommunen einer modernen Gesellschaft werden gewiß nie so selbstversorgerisch (»selfsustaining«, wie Marx das vorkoloniale asiatische — indische — Dorf nannte) sein, daß auch nur z.B. ihre Lebensmittelproduktion strukturell und zeitlich exakt mit dem eigenen Bedarf bilanzierte. Der regelmäßige Bezug wird in seinen konkreten Modalitäten zwischen den kommunalen Organen bzw. den verbrauchenden Arbeitsorganisationen und den Herstellern direktvertraglich geregelt sein. Aber die Versorgung insgesamt muß gesamtgesellschaftlich vorausschauend gesichert sein. Das erfordert zum einen zentrale materielle Bilanzen und deren Deckung durch Planvorgaben entsprechend dem Produktionsprofil der verschiedenen Kommunen nach Maßgabe der Durchschnittsproduktivität, und zum anderen die Anlage eines Assekuranzfonds, wie er nur bei zentralisierter Verfügung ökonomisch ist. Weiterhin werden große Investitionen, sofern sie nämlich Auswirkungen auf das Produktionsziel und die Produktionsbedingungen im überkommunalen Rahmen haben, gesamtgesellschaftlich zu verfügen und den Kommunen zuzuordnen sein, denen die Mittel voll überschrieben werden. 

(Gegen hypothetische Erpressung durch bestimmte lokale Interessen, die z.B. eine ihnen zugeordnete Schwerpunktproduktion usurpatorisch ausnutzen könnten, würde sich die Gesellschaft, gestützt auf die beinahe universelle wechselseitige Abhängigkeit aller ihrer Glieder, diese eigentliche ökonomische Grundlage der Solidarität, wohl zu schützen wissen.)

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Damit soll nur angedeutet sein, inwiefern der Assoziation zentrale Funktionen entstehen, zu deren Handhabung die Delegierten der einzelnen Kommunen über ihre Rolle als deren Interessenvertreter hinausgehen müssen. Schlicht zusammenfallen können die kommunalen (lokalen) Interessen mit denen der ganzen Assoziation nie, sonst wären sie keine autonomen, damit dem Gesetz ungleichmäßiger Entwicklung unterliegenden Subjekte mehr, die insofern auch um die Qualität des in ihnen ablaufenden Lebensprozesses und um die Proportionalität der materiellen Voraussetzungen dafür konkurrieren. 

Das gleiche gilt für die Grundeinheiten der vereinigten Arbeit und für die sonstigen unterfunktionellen Interessengruppen innerhalb der Kommunen, die ihre Bedingungen natürlich sowohl untereinander als auch mit denen analoger Verbände in anderen Kommunen vergleichen werden. In einem bestimmten Sinne sind die Interessen jedes sozialen Verbandes, der nicht die Gesamtgesellschaft ist, ihr gegenüber beschränkter als die Interessen der einzelnen Individuen. Das hängt mit der abstrahierend auf je spezifische Funktionen und Zwecke gerichteten Organisationsstruktur jeder solchen Vereinigung zusammen. Allein der Bund der Kommunisten kann und muß sich über alle diese partikularen Beschränktheiten erheben, und nicht zuletzt sogar über die zeitliche Partikularität, d.h. über die puren Gegenwartsinteressen der Assoziation. Der Bund der Kommunisten ist gerade jene Organisation, die mit der universalen Tendenz der individuellen Interessen korrespondiert.

 

Die Kontrolle über die Nationalversammlung, über den Rat der allgemeinen Assoziation, wird dann zu einer Frage der faktischen allgemeinen Kompetenz aller Individuen, die ihr Medium in einer sowohl hinsichtlich ihres Inhalts wie auch der Verfügbarkeit der technischen Mittel absolut freien, ungehinderten öffentlichen Meinung findet. 

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Der Modus der Delegiertenwahl- bzw. -abberufung wird danach zu einer Angelegenheit zweiten Ranges, so wichtig er für eine Übergangsperiode ist, die ihrer Regeln noch nicht sicher sein kann. Die Kontrolle über den Apparat, über die Verwaltung wird derart zum gemeinsamen Geschäft der Delegierten und ihrer allgemein kompetenten Wähler, daß die speziell kompetenten Fachleute selbst in ihrer allgemeinen Eigenschaft als gesellschaftliche Menschen daran mitwirken werden. Sie können dies um so eher tun, als ihr Lebensprozeß gar nicht mehr einseitig dadurch bestimmt sein kann, daß sie zu einem gegebenen Zeitpunkt unter anderem auch Verwaltungsfunktionen bis hin zur nationalen und internationalen Ebene wahrnehmen. 

Am schwierigsten bleibt die Kontrolle über die lokalen und partikularen Sonderinteressen, also über die der Kommunen und der um die verschiedenen Unterfunktionen assoziierten Verbände innerhalb der Kommunen — wenn diese Kontrolle gesellschaftlichen Charakters und wirksam genug sein soll, damit ihr Versagen nicht die Wiedergeburt repressiver staatlicher Instanzen mit dem ganzen Rattenschwanz zugehöriger bürokratischer Planungs-, Abrechnungs- und Berichterstattungsaufwände heraufbeschwört. Das Prinzip der Solidarität erfordert ganz entschieden, daß jede Kommune, jedes organisierte Interesse ein normales Maß eigener Anstrengungen nachweist, und dies nicht nur in etwaigen kritischen Situationen. Andernfalls wäre nicht auszuschließen, daß insbesondere der Weg zum Kommunismus tendenziell in einen kulturellen Abbauprozeß umschlagen könnte.

Neben der vom Gesamtplan ausgehenden und dann über die Kommunen vermittelten Kontrolle der bedarfs- und qualitätsgerechten Produktion muß es ein gesamtgesellschaftlich anerkanntes, aber von jedermann handhabbares System kommunizierender Kennzahlen geben, um die Effektivität, also das Verhältnis zwischen Aufwand und Ergebnis zu messen, und zwar auf der Basis der Arbeitszeitrechnung. Dieses System wird zwei Schwerpunkte haben. Der erste betrifft die Eigenleistung, d.h. die verausgabte lebendige Arbeit.

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Die derzeit übliche volkswirtschaftliche Produktivitätsrechnung bezieht bekanntlich alles weiterverkaufte Material und Halbfertigprodukt mehr als einmal ein. Auf diese Weise kann man sogar innerhalb ein und desselben Kombinats die ausgewiesene Warenproduktion steigern. Jede Vertiefung der Arbeitsteilung längs der zu einem Finalprodukt hinführenden Kette kann in der Statistik als Anstieg der Produktivität erscheinen. Der zweite betrifft den Umgang mit den Ressourcen, also die verausgabte vergangene Arbeit, bei der ergänzend auch die finanzielle Seite zu berücksichtigen sein wird. Diese Kennzahlen müssen nicht, ja sollen nicht den Charakter von Planauflagen tragen, sondern Meßinstrumente für die eigene Wirtschaftstätigkeit der jeweiligen Einheit sowie für die Abschätzung gesamtwirtschaftlicher Entwicklungen sein. Die Ergebnisse sind nicht nur für die kommunale und zentrale Statistik bestimmt, sondern müssen generell veröffentlicht werden, mit Trenddarstellung für einen aufschlußreichen Zeitraum und mit Vergleichsbasis in Gestalt von Best- und Durchschnittswerten.

Sicher wird eine komplexe Überschreitung gewisser Toleranzgrenzen — sollte es so weit kommen — Anlaß zur Ursachenabfrage, und -analyse sowie zu entsprechender Abhilfe geben. Aber das wird die Ausnahme bleiben. Einengende Planvorgaben für die Kennzahlen sind schon dadurch verhängnisvoll, daß sie zur Manipulation der Primärdaten verführen, häufig sogar zwingen. Zusammen mit dem Ausplanen der letzten Kapazitätsreserven tragen sie die Verantwortung für die beträchtliche Grauzone im betrieblichen Zahlenwerk der realsozialistischen Länder. Da die Betriebe eine doppelte Buchführung weder aufwandsseitig noch nach oben »aushalten« können, sieht eigentlich außer den direkt an der Manipulation beteiligten Leuten betriebswirtschaftlich »niemand durch«, und selbst diese Wenigen verlieren leicht den Gesamtüberblick. Man hat damit zu tun, die Schwindelzahlen konsistent zu halten.

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Dieser ausgesprochen schädliche Zustand kann nur ein Ende finden, wenn das Planungs- und Leitungssystem die Motivation dafür nicht mehr erzeugt. Die Assoziation ist im höchsten Grade daran interessiert, ihren Planungen gültige Daten zugrunde zu legen. Die Kommunen und Betriebe brauchen diese gültigen Daten ebenso nötig, um vernünftig wirtschaften und — hinreichender Ersatz für den vielen künstlichen Wettbewerb — ihre Leistungen vergleichen zu können. Gegenwärtig wird jede Bestleistung sofort verdächtigt, sei es unter Vorzugsbedingungen, sei es mit verdeckten Reserven, sei es »mit dem Bleistift« vollbracht worden zu sein. Es ist dies eine der schlimmsten und teuersten Disfunktionen bürokratischer Kontrolle, die auf dem Wege zur kommunistischen Assoziation unbedingt eliminiert werden muß, auch aus politisch-moralischen Gründen, weil sie überall eine desolidarisierende Rolle spielt.

Faßt man diese Überlegungen zur ökonomischen Regulation im Hinblick auf die Betriebe zusammen, so ergibt sich folgendes Schema: Die ökonomischen Subjekte haben von der Assoziation als ganzer bzw. von der Kommune bestätigte Produktionsaufträge, die den Planaufwand an Arbeitszeit für ein bestimmtes Sortiment Gebrauchswerte angeben. Sie selbst spezifizieren diesen Aufwand verbindlich mit den Bedarfsträgern aus. Von der anderen Seite, als Bedarfsträger, erhalten die Betriebe Bilanzlimits der benötigten Arbeitskräfte, Maschinen, Leistungen, die sie ihrerseits vertraglich binden müssen. Man wird sagen, dies sei genau das gegenwärtige System in der DDR. Bis hierher stimmt das, abgesehen von der Rolle der Kommunen und von der Planungsbasis Arbeitszeit statt Warenproduktion in Mark. Es wäre eine optische Täuschung, anzunehmen, daß hierin und speziell in der materiellen Bilanzierung die vielbeklagte Reglementierung wurzele. Nach seiner technischen Seite ist das System gar nicht schlecht. 

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Wenn die Bilanzierung nicht fortwährend auf Rationierung hinausliefe, weil der Partei- und Staatsapparat die Wirtschaft darauf programmiert, jede Produktivitätssteigerung in Produktionswachstum umzusetzen, könnte es auch sozial befriedigen, soweit dies in dieser Sphäre entschieden wird. Der zentrale Produktionsplan, gerade er muß aufhören, die normale Fondsreproduktion und -pflege, die Erzeugnisqualität und den Arbeitsrhythmus, die Verbesserung der materiellen und psychologischen Arbeitsbedingungen sowie den ganzen Sektor der Kleinproduktion und Dienstleistung zu stören. 

Wenn man auf die Wachstumsrate als Planungspriorität verzichtete und die inzwischen nachgerade komische staatliche (nicht gesellschaftliche) Eifersucht gegen genossenschaftliche und private Initiative fallenließe, die sich in den Poren der zentralisierten Großproduktion — dort, wo sie die »Marktlücken« läßt — festsetzen möchte, würden in der DDR von der wirtschaftsregulatorischen Seite her die Bedingungen für eine harmonische Prosperität gegeben sein. (Die ärgerlichen »Extraprofite« der Handwerker etc. werden von selbst verschwinden, wenn die Nachfrage nach ihren Leistungen gedeckt wird.)

Der größte Teil der reglementierend wirkenden Kontrolle gegen die Betriebe (ihre Leitungen) kann entfallen, wenn die Ressourcen so weit sicher sind, daß man anfangen kann, rationell damit zu wirtschaften. Welches Kriterium dann den unvermeidlichen Rest an Kontrolle regiert, ist für den ökonomischen Ehrgeiz gar nicht entscheidend; man kann das Hauptgewicht ebensogut aufs Haushalten legen wie auf den Gewinn, wenn nur gewährleistet ist, daß es einen echten Spielraum gibt, um den Betrieb zu gestalten, zu verbessern, zu verschönern, und bei Auftreten ungünstiger Entwicklungsbedingungen Hilfe aus den gesellschaftlichen Reserven in Anspruch zu nehmen. Dann kann man ein Kollektiv zusammenschweißen — falls die Grundeinheit nicht so groß und über verschiedene Territorien verstreut ist, daß die Menschen einander nicht mehr persönlich kennen. 

540/541


Auf keinen Fall darf die Kontrolle »vorlaufen« und auf diese Weise unkenntlich machen, für wen die betrieblichen Funktionäre eigentlich da sind, für das Betriebskollektiv oder für die zahlreichen anonymen übergeordneten Instanzen und gesetzlichen Restriktionen, die alle echte Handlungsfreiheit beschneiden können. Das ökonomische System muß so gestaltet werden, daß das Abgreifen von Informationen zu Kontrollzwecken auf die Ein- und Ausgänge des betrieblichen Systems beschränkt bleibt. Anders geht die funktionelle Autonomie und mit ihr das kollektive und individuelle Interesse verloren. Großbetriebe sollten in teilautonome Funktionaleinheiten gegliedert werden, um auch hier Kollektivsubjekte zu schaffen, die sich assoziativ statt subordinativ verhalten und einordnen können. 

Die ökonomische und soziale Qualität des innerbetrieblichen Funktionierens muß die Gesellschaft nicht durch irgendwelche äußeren Instanzen, sondern durch die dazu assoziierten Individuen selbst sichern. Neben der Zelle des Kommunistischen Bundes wird hier die gewerkschaftliche Vereinigung, als Organ der Gesamtbelegschaft gegenüber dem Leitungssystem, eine weitaus eigenständigere Rolle als bisher zu spielen haben. In ihrem Rahmen können auch Frauen-, Jugend- und Veteranenausschüsse tätig sein. Das Streikrecht muß allerdings, obgleich transitorisch herzustellen, im Verlauf der Kulturrevolution alle Bedeutung verlieren. Es setzt ja voraus, daß sich Leitungsorgane gegenüber dem Kollektiv verselbständigen können, das sie bestellt und — zweckmäßigerweise — die einzelnen Funktionäre durch Wahl hineindelegiert hat. Die Macht der organisierten öffentlichen Meinung, erforderlichenfalls durch geheime Abstimmung zu bekräftigen, muß dann genügen, um Konflikte befriedigend zum Austrag zu bringen.

Es ist im Grunde unnötig, sich allzu sehr über Einzelheiten der kommunistischen Ökonomik zu verbreiten, obwohl ich denke, daß es sich dabei nicht um Musik einer ferneren Zukunft handelt. Denn wenn ihre Prinzipien einmal herrschend sind, wird eine kurze Praxis klüger machen als die ausgedehnteste Spekulation. 

Vielleicht bin ich darin schon zu weit gegangen, allerdings in der Überzeugung, daß die kommunistische Propaganda heute mehr denn je mit konkreten Denkbarkeiten werben muß. Was hauptsächlich gegeben werden sollte, war eine Skizze des ökonomischen Systemzusammenhangs, den die Kulturrevolution begründen soll, und zwar unter der Voraussetzung, daß die Bedingungen dafür bereits in das Stadium der Reife treten.

In diesem Sinne habe ich das kommunistische Produktionsziel (seit Marx unbestritten die reiche Individualität) auf seine Konsequenzen für die Struktur der materiellen Bedürfnisse, also für den Planbedarf der Gesellschaft, sowie für den Typus von Proportionalität befragt, der planmäßig in dem gesamten Reproduktionsprozeß durchdringen muß. 

Als der gemeinsame Nenner, der das ökonomische Grundgesetz und das Proportionalitätsgesetz der kommunistischen Formation zusammenfaßt, erweist sich eine neue Ökonomie der Zeit, die ihren Maßstab in den Entwicklungserfordernissen zur sozialen Universalität bestimmter Menschen, in ihren »Zeitplänen« für die umfassende Aneignung der Kultur sowie ihr Instrument in einer auf Zeiteinheiten basierenden Wirtschaftsrechnung besitzt. Und schließlich habe ich das Problem verfolgt, wie die kommunistischen Individuen ihren gesellschaftlichen Gesamtprozeß rationell regeln können, um sich über das Reich der Notwendigkeit zu erheben, in ihrer Gemeinschaftlichkeit zugleich ihre Freiheit, ein unbegrenztes Feld ihrer Selbstverwirklichung im Handeln, im Denken, im Genuß ihrer persönlichen Beziehungen zu finden.

Die Antwort liegt in der Aufdeckung des föderativen Prinzips, das der Idee der freien Assoziation eingeschrieben ist: Unterordnung des hierarchisch geordneten informationellen Zusammenhangs; Assoziation statt Subordination der Individuen zu ihren verschiedenen subjektiven und objektiven Zwecken; Assoziation ihrer Verbände (nicht zuletzt natürlich der Grundeinheiten ihres Arbeitsprozesses) zu wesentlich territorial gruppierten Kommunen als den entscheidenden vermittelnden Gliedern des Ganzen; Assoziation der Kommunen zur nationalen Gesellschaft; Assoziation der Nationen in einer befriedet kooperierenden Welt; Vermittlung zur jeweils höheren Einheit durch von der Basis gewählte Delegierte. 

So kann man sich die Ordnung vorstellen, in der die Bedingungen realer Freiheit zusammenfallen mit denen realer Gleichheit und Brüderlichkeit. Der Kommunismus ist nicht nur notwendig, er ist auch möglich. Ob er wirklich wird, das muß im Kampf um seine Bedingungen entschieden werden.

542-543

(1973-1976)

 

 Ende

 

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Rudolf Bahro -1977- Die Alternative - Zur Kritik des real existierenden Sozialismus