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6. Über die Gefahren der Idealisierung von Außenseiterpositionen

"Die meisten von Euch leiden an der Gruppe und in der Gruppe."

 

"Die meisten von Euch leiden an der Gruppe, in der Gruppe. Ihr unterdrückt Euch selbst in diesen Organisationen, die damit entschieden des Teufels sind. So sehr Eure Gruppen verloren gegeben werden müssen, so wenig dürft Dir selbst der allgemeinen Sache verloren gehen."

 

 ... Ihr macht Euch bloß selbst kaputt  

Auszug aus dem Offenen Brief Rudolf Bahros an die Bunten, Alternativen, den KB und die KPD 
nach dem Parteitag der Grünen in Karlsruhe - aus "Arbeiterkampf" vom 28.1.1980.

166-185

(...) Nehmen wir eine gesamtgesellschaftliche Verantwortung, jedenfalls eine alles übergreifende Mitverantwortung für uns in Anspruch oder nicht? Ich sage es auf die Gefahr hin, hier von unseren nicht-linken Partnern mißverstanden zu werden: Wir sollten von uns selber fordern, eine hegemoniefähige Konzeption zu haben. Das heißt weiter nichts als: die fassungskräftigste Konzeption den objektiven Problemen der ganzen Gesellschaft gegenüber. 

Das heißt diejenige Konzeption, die die Probleme am besten bewältigt, die also alle wesentlichen Gesichtspunkte und Interessen, die integriert werden müssen, um die Probleme zu lösen, an der richtigen Stelle in dem gedanklichen Gesamtzusammenhang einordnet — und so auch die anderen zu überzeugen vermag. Ich rede von der Hegemonie der besseren Argumente und des adäquaten Verhaltens, der einzigen, die sich ohne Gewalt, ja ohne eigentliche Machtansprüche durchsetzen kann. Ich rede darüber unter der selbstverständlichen Voraussetzung, daß sich unsere Partner in der gemeinsamen Sache dieselbe Durchsetzungsfähigkeit ihrer Argumentation und ihres Auftretens vornehmen. (...)

Ihr hattet auf Eurem Frankfurter Treffen eine falsche Politik beschlossen, nicht nur eine falsche, Euch selbst schädigende Taktik. Die ganze Einstellung, die in Eurer Öffentlichen Erklärung zum grünen Gründungskongreß zum Ausdruck kommt, ist falsch; falsch vom sozialistischen Standpunkt. Es ist eine sektiererische Grundhaltung. 

Jetzt ist es an der Zeit zu erkennen und einzugestehen, daß Ihr sie in Karlsruhe zur Absurdität demonstriert habt, daß es damit nicht weitergeht. Sollten die Grünen wirklich dazu bestimmt sein, ein "ökologisch orientierter bürgerlicher Wahlverein" zu werden, wie Ihr ihnen voraussagt — so werdet Ihr sie nicht davor bewahren, im Gegenteil, Ihr hättet dazu beigetragen. 

Es ist ein Kunststück linker Selbstdisqualifizierung, es ist alles andere als souverän, und es ist gesamtpolitisch verantwortungslos, den Kampf so anzulegen, daß alle die gewohnheitsmäßigen Reflexe bestätigt werden, von denen sich die Partner gerade mühsam freizumachen im Begriff sind. Ihr habt ein Lehrbeispiel dafür geliefert, Ihr, nicht die anderen, wie man den Antikommunismus, die Berührungsangst, den Waschzwang schürt, indem Ihr den Kongreß die vollen zwei Tage lang mit nichts als den Status- und Existenzproblemen Eurer Gruppen beschäftigt und belastet habt. (...)

Keine andere Partei in diesem Land (mit Ausnahme der DKP) ist so sehr Partei wie Eure Parteien. Oder richtiger vielleicht: so sehr Orden. Leninistische Disziplin, das weiß ich nun wirklich, macht den ganzen Menschen der Organisation verantwortlich und tendiert stets dazu, ihr die individuelle Vernunft und das individuelle Gewissen unterzuordnen. Wenn Ihr sie ernst nehmt, könnt Ihr nur so in die Grünen gehen, wie der Jesuit, von seinem Orden ausgesandt, in die Welt geht. Und wer gegen Jesuiten ist, muß halt nicht gegen die Kirche sein, schon gar nicht gegen Christus. (...)

Eure Art "Leninismus" — entschuldigt: eine Identitätskrücke, ausgeborgt aus einer anderen Zeit und vor allem aus einem anderen historischen Raum, eine Farce auf die weltgeschichtliche Leistung Wladimir Iljitsch Lenins — erweist sich als wirkliches Hindernis, inhaltlich alternative Positionen ins grüne Programm einzubringen. Man wird Standpunkte ablehnen, gegen die man vielleicht gar nichts hat, nur weil Ihr sie im "imperativen Mandat" auf Biegen und Brechen durchsetzen wollt. Praktisch stellt Ihr natürlich gar keine positive Gefahr der "Unterwanderung" für die Grünen dar. 

Wieviel gesellschaftliche Perspektive repräsentieren denn Eure Gruppen und was für eine? Ich fürchte, das sind Episoden eher biographischer bzw. gruppen­dynamischer als politischer Dimension. Ich negiere das nicht. Aber diese Gruppen werden einmal genau so viel wert gewesen sein, wie Ihr als einzelne Genossen, die sich eine Zeitlang eine schützende Heimat darin geschaffen hatten, nachher in den Gang der Geschichte einbringt. Nach außen fungieren sie jetzt hauptsächlich als Störquelle für unsere eigene Sache. Die Mauern, die Ihr um Euer Haus gezogen habt, kosten Euch die umfassende Kommunikation. 

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Es ist grotesk, das heißt, es kennzeichnet die Gesamtsituation, in der so etwas möglich ist, als eine, die Ihr bald sprengen müßt, wenn Eure inneren Organisations­probleme und Zerwürfnisse tatsächlich so beschaffen sind, daß man ihnen mit Leninzitaten aus den Jahren 1905 bis 1912 beikommen kann. Ihr könnt doch nicht im Ernst der Meinung sein, so könnten Kräfte zur Veränderung der hiesigen und heutigen Zustände formiert werden. So könnt Ihr Eure Kräfte nicht einmal mehr länger konservieren — Ihr macht Euch bloß selbst kaputt.

Bis gestern waren Eure politischen Idealvorstellungen exterritorial beheimatet. Ich weiß nicht, wie weit Ihr inzwischen Eure jeweiligen "Vaterländer aller Werktätigen" hinter Euch habt. Laßt doch die DKP allein daran zugrunde gehen, daß sie gehindert ist, sich von der Loyalität zu einem fremden und noch dazu allzu nahe angesiedelten Modell freizumachen; es ist um die stillgelegte Kraft dieser Genossen schade genug. Jetzt müßt Ihr den Organisationsformen den Abschied geben, die nur im Zusammenhang mit diesen fremden Modellen ihre Logik, einen diesbezüglich rationalen Sinn hatten. 

Ihr erpreßt, indem Ihr das Existenzproblem Eurer Gruppen zur Crux der ganzen grünen Sache macht, eine größere Gesamtheit. Ihr erpreßt insbesondere die übrige Linke, die in dem großen Saal konstruktive Politik machen und nicht andauernd Stimmen zählen möchte. Ihr nehmt für Euch jene Art Solidarität in Anspruch, die man halt als nichtautoritärer und "alternativer" Mensch geschädigten Randgruppen und Außenseitern schuldig ist. Ihr habt ein Recht auf diese Solidarität, aber politisch dankt Ihr ab, wenn Ihr sie in Anspruch nehmt. Jedenfalls kann nichts werden aus einer politischen Partei (den Grünen), wenn sie sich auf Dauer mit den Identitätskonflikten von Gruppen belastet, die die sozialen Krankheiten hauptsächlich als Opfer widerspiegeln, sich aber aus dieser Situation heraus als Ärzte empfehlen. Der russische Revolutionär Wladimir Korolenko, den Rosa Luxemburg sehr schätzte, pflegte in solchen Fällen auszurufen: "Heile, Kranker, den Medikus!"

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Ich bin für Mitarbeit möglichst vieler Sozialisten aller Couleur bei den Grünen, ohne fraktionellen Schrägstrich zwischen grün hier und bunt bzw. alternativ dort. Daher bin ich konzeptionell von vornherein gegen Doppelmitgliedschaften als Dauerzustand. Und ich bin dagegen, daß Ihr eine aussichtsreiche politische Perspektive, darunter Eure eigene, an dieser Frage scheitern laßt. Wer die Mitgliedschaft in KB und KPD in absehbarer Zeit nicht aufgeben will, wer einstweilen in diesen Splittergruppen noch eine und seine politische Zukunft sieht, der muß sich eben darauf beschränken, die grüne Bewegung außerhalb der Grünen Partei zu unterstützen. Ich bin auf dem Kongreß dafür eingetreten, er möge keinen Beschluß gegen Doppelmitgliedschaften fassen. Der Kongreß hat durch seine relative Versöhnlichkeit in der Behandlung dieser Frage ein Zeichen gesetzt, das keineswegs auf virulenten Antikommunismus deutet. Das war gut. 

Und ich wollte unterstützen, daß man Euch jetzt, wo Ihr alle mit dem Problem ringt, nicht noch in Eurer Fehlhaltung fixiert. Da ich, wie gesagt, von der Dringlichkeit einer grünen Alternative überzeugt bin, da ich allen Ernstes denke, es ist keine Zeit zu verlieren, habe ich das schweren Herzens getan. Ich habe mich nicht davon abbringen lassen, auch nicht durch wohlgemeinten Rat von anderer rot-grüner Seite, weil ich den Eindruck hatte und habe, daß jeder Einzelne von Euch vernünftiger ist als Ihr es zusammen seid. Die meisten von Euch leiden an der Gruppe, in der Gruppe. Ihr unterdrückt Euch selbst in diesen Organisationen, die damit entschieden des Teufels sind. (...)

Findet nun heraus aus diesem Dilemma! Immer in dem Augenblick, wo Ihr einer den andern wieder vergattern wollt, tut Ihr einander Unrecht und schadet wesentlicheren Zwecken. So sehr Eure Gruppen verlorengegeben werden müssen, so wenig dürft Ihr selbst der allgemeinen Sache verlorengehen und damit vor lauter Frustration morgen oder übermorgen vielleicht auch Euch selbst. Es gibt ja solche Veteranen, die an nichts mehr glauben, weil aus ihrer Sache in einer bestimmten Phase aus ganz bestimmten Gründen nichts geworden ist. Ihr sollt Eure Energie retten, und es steht bei den Grünen ein weites Feld bereit, sie einzusetzen. Ihr werdet gebraucht, und Ihr müßt mit. Das war und ist das Motiv meiner Haltung. (...)

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Wer jetzt von Radikalenerlaß, Gesinnungsschnüffelei, Berufsverbotspraxis bei den Grünen spricht, spielt genau das falsche Spiel. Der nimmt nur zu willig jene Rolle an, die uns ganz andere, viel umfassendere Mächte als die vergleichsweise überaus geduldigen Partner bei den Grünen gerne zukommen lassen möchten. Der trainiert die Ökologen anderer politischer Herkunft in Antikommunismus. Und der darf getrost schon jetzt verzweifeln, denn seine eigene Mentalität zieht das Verhängnis der Ausgrenzung und Diskriminierung an, das er mit weit aufgerissenen Augen beschwört. 

Ich glaube, Ihr seht nicht recht, was für eine Möglichkeit Ihr aufs Spiel setzt. Rudi Dutschke sprach zuletzt von der "Chance, die verkrustete Parteien­struktur der Bundesrepublik von innen her aufzubrechen". Wir würden "historische Idioten", wenn wir sie nicht nutzten, fügte er hinzu. Gewiß! Wobei "wir" in diesem Fall die Grünen insgesamt sind. Für "uns" im engeren Sinne, für die Grünen linker Herkunft und besonders für Euch, geht es um noch viel mehr. Unsere, Eure Chance ist noch viel größer. Wenn Ihr sie verpaßt, wird das Euer politischer Tod sein. Wenn Ihr die Larve abwerft, werdet Ihr leben. Sonst verpaßt Ihr die Möglichkeit, einmal eine wirkliche Erfahrung mit der übrigen Gesellschaft zu machen, deren Spektrum ziemlich vollständig bei den Grünen vertreten ist. Nur nach außen könnt Ihr die volle Identität gewinnen. Mit den Grünen werdet Ihr nicht ausgegrenzt werden, wenn Ihr Euch nicht selbst ausgrenzt bei den Grünen. 

Suchen wir doch offene neue Formen unserer theoretischen und praktischen Arbeit gegen die ökologische Krise, gegen den Kapitalismus, für die allgemeine Emanzipation des Menschen. Und stärken wir das Netzwerk unserer Verbindungen, unserer Kommunikation sowohl "nach außen", mit der ganzen übrigen Gesellschaft, als auch "nach innen" — das letztere aber im größeren Rahmen des gesamten sozialistischen Potentials, das es in diesem Lande gibt: über die Partei- und Gruppengrenzen hinweg!

 

*

Auszug aus dem Offenen Brief Rudolf Bahros an die Bunten, Alternativen, den KB und die KPD nach dem Parteitag der Grünen in Karlsruhe aus Arbeiterkampf Vom 28.1.1980.

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  Ökologie und Klassenkampf  

 

"Klassenkampf — von oben wie von unten — lehnen wir ab. Wir kämpfen für die Überwindung der Ursachen des Klassenkampfes durch Bewusstseins­bildung für wahrhaft soziale Verhaltensweisen und durch eine Politik des konsequenten Abbaus jeglicher Privilegien in wirtschaftlicher, sozialer und kultureller Hinsicht."
Wilfried Heidt

"Nicht der Klassenkampf ist durch die Zuspitzung der ökologischen Krise zum historischen Irrtum geworden, sondern die ökologische Bewegung kann zu einem solchen werden, wenn sie ihre Dynamik vor Erkenntnis und Schlußfolgerung dieser Tatsache schreckensbleich stoppt." 
Jürgen Reents

 

Das Problem, das wir klären müssen, liegt für mich ganz und gar in dem zweiten Zitat. Jürgen Reents hat da zwar nicht seinen nächsten Irrtum vorbereitet, wie er mit Hilfe einer Keunergeschichte anzeigt, sondern — mir scheint — einige ältere Irrtümer abgedeckt. Den Satz selber, für sich genommen, kann ich so lesen, daß ich ihn völlig richtig finde. Das Problem liegt in seinem Zweck und Zusammenhang. Von dorther scheint er mir falsch. Dagegen an dem Satz von Wilfried Heidt scheint mir vom Ansatz her alles falsch, bis auf den Zweck — dem der Satz in seiner Eigenschaft als Provokation nun wiederum schadet. Wilfried Heidt formuliert seine These so, daß sich selbst der gutwilligste Mensch, falls er jemals Marx etwas näher gelesen hat, daran ärgert. Was rede ich überhaupt von Marx — der schrieb ja am 5. März 1852, an seinen Freund Weydemeyer, absolut wahrheitsgemäß: 

"Was mich nun betrifft, so gebührt mir nicht das Verdienst, weder die Existenz der Klassen in der modernen Gesellschaft noch ihren Kampf unter sich entdeckt zu haben. Bürgerliche Geschichtsschreiber hatten längst vor mir die historische Entwicklung dieses Kampfes der Klassen und bürgerliche Ökonomen die ökonomische Anatomie derselben dargestellt." 

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Der Satz im Kommunistischen Manifest, daß die (geschriebene) Geschichte eine von Klassenkämpfen — oder allgemeiner von ökonomisch bedingten oder mitbedingten Interessenkämpfen — ist, stellt eben einfach etwas fest. 

Ich bin sicher, Wilfried Heidt stimmt da zu. Aber warum dann eine Formulierung, die zur Wiederholung des Gemeinplatzes zwingt? Indem der Achberger Kreis, für den er spricht, die Ausbeutung abgeschafft sehen will, erkennt er doch an, daß die bestehende bürgerliche Gesellschaft ihrer ganzen Herkunft wie ihrer immer noch aktuellen Struktur nach ökonomisch auf dem Gegensatz von Lohnarbeit und Kapital basiert. Da kann der Satz doch nur bedeuten: Wir (Achberger) lehnen die bürgerliche Gesellschaft ab. "Natürlich", wird Wilfried Heidt rufen. Solange wir aber nicht über diese bürgerliche Gesellschaft hinaus sind — und unseren Gegenentwurf in der Hand, einige alternative Unternehmungen in Arbeit, sind wir doch noch nicht darüber hinaus —, kann man den Klassenkampf in genau demselben Sinne "ablehnen" wie Voltaire das Naturgesetz, als er gegen des Erdbeben von Lissabon protestierte. Voltaire, vermutlich, tat's bei allem Ernst nicht ohne Ironie.

Es ist wohl klar, daß man über den Klassenkampf "von oben wie von unten" nur synchron hinauskommen kann. Fängt man unten an, damit aufzuhören, so kann, etwa gegenwärtig, nur herauskommen, daß jene, die jedenfalls ohnehin kürzer kommen, regelmäßig die Einbuße in Kauf nehmen müssen, die sich schon automatisch aus der Inflationsrate ergibt. "Das ist doch gar nicht gemeint", wird Wilfried Heidt einwerfen. Aber in diesem Punkte ist das Mißverständnis bei seiner Formulierung nun wirklich schon unvermeidlich. Und der Einwurf, daß die Inflationsrate eines der ersten Übel ist, die mitsamt jeglichen Privilegien konsequent abgebaut werden sollen, wenn es nämlich so weit sein wird — der höbe uns über diese Stelle nicht hinweg. Und vollends ungewaschen bleibt das Fell des Bären, wenn die Grundfesten der bürgerlichen Gesellschaft durch Bewußtseinsbildung aus der Welt geschaffen werden sollen.

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Selbstverständlich, auch für Marx; "Alles, was die Menschen in Bewegung setzt, muß durch ihren Kopf hindurch." Und: "Die Theorie wird zur materiellen Gewalt, wenn sie die Massen ergreift." Aber warum nicht zugeben, daß "eine Politik des konsequenten Abbaus jeglicher Privilegien", und gar zuerst "in wirtschaftlicher Hinsicht" vorhandene (vorhandene!) Klasseninteressen gegen sich auf den Plan rufen muß, daß sich also mindestens Teile der bisher privilegierten Kapitalistenklasse nicht einfach unseren Argumenten ergeben werden. Zugegeben auch das? Jene Unbelehrbaren sollen sich am Ende dem Konsens einer ihnen gegenüberstehenden überwältigenden Mehrheit beugen? Der müßte dann aber einen machtpolitischen Ausdruck haben, damit sie ihn auch wahrnehmen. 

Dieser glücklichste Ausgang, den auch der revolutionäre Marxismus nie aus den Augen verlor, wie auch den Gedanken des "Auskaufens" der Bourgeoisie nicht — dieser glücklichste Ausgang ist aber einer von Klassenkampf. Wenn das bestritten wird — nun, dann handelt es sich einfach um verschiedene Begriffe von Klassenkampf. Bei Wilfried Heidt ist es ein unpraktischerweise um die fürs nächste interessantesten Formen verkürzter. Vielleicht ist sein Klassenkampfbegriff wirklich auf jene Phänomene eingeschränkt, auf die der Mensch ja nun durchaus normalerweise schreckensbleich reagiert? Kurzum: "Klassenkampf lehnen wir ab" ist einfach keine dem Problem und dem Diskussionszweck angemessene Auskunft. Das Gemeinte, das ich nun im Streit mit Jürgen Reents zu retten versuchen will, ist da präsentiert in der Form des — bitte um Verzeihung und um Aufmerksamkeit auch für die Häkchen — "mittelklassenmäßigen" Vorurteils. 

Festhalten will ich zunächst: mit den verschiedenen Klasseninteressen, mit den Differenzen selbst zwischen den Interessen verschiedener Schichten des Gesamtarbeiters ist auch der Klassen- und Interessenkampf gegeben. Wir müssen uns in seinen Formen zurechtfinden und dürfen besonders dann, wenn der Widerstand gegen unsere Bewegung von materiellen und politischen Machtpositionen ausgeht, über den falschen Begriffen, an die sich die Reaktion klammert, nicht die handfesten Interessen vergessen, die das Verhalten bestimmen.

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Wissen wir doch, daß sich die alten Mächte, zumal in Spätzeiten, gern von Zynikern repräsentieren lassen, denen es an richtigen Begriffen nicht gebräche, wenn sie nur wollten, wenn sie sie nur zweckmäßiger fänden als die demagogischen, die sie benutzen.

Die Herrschaft der alten Begriffe ist eben doch ziemlich armiert, mit Beton und Stahl (ich rede gar nicht so sehr von dem Material der Bunker und Gewehre), mit Computern und Papier, auf dem ja auch die Kredite stehen. Wir werden die guten Begriffe einfach nicht durchbringen, falls wir das alles nicht unserer genauen Betrachtung würdigen. Wenn man sich nur auf den Menschen, dem man gegenübersitzt, konzentriert, in einer freien Diskussion, bei der die Zwänge fortbleiben, die das Verhalten desselben Menschen beherrschen würden, wenn er in seiner Eigenschaft als Funktionär irgendeiner Großorganisation mit uns zu tun hätte, dann vergißt man leicht einen überaus wichtigen Satz, den die alten Römer wußten: Die Senatoren sind gute Leute, aber der Senat ist eine schlimme Bestie.

Indem ich mich nun Jürgen Reents zuwende: 
Klar, der Klassenkampf kann nicht zum historischen Irrtum werden; er existiert oder er existiert (eines wirklich schönen Tages) nicht mehr. Was zum Irrtum werden kann, schon geworden sein kann, das ist die bisherige Vorstellung von der Funktion des Klassenkampfes im Hinblick auf die Perspektive des Ausgangs der Menschheit aus dem Kapitalismus. Es geht schlicht um die Frage, ob er die Lösung bringen wird, die wir davon erwarten, nein, die die Menschheit nötig hat. Und daran wieder hängt die eigentliche Entscheidung: Nach unserem Verständnis von revolutionärer Dialektik ist das Austragen, ja die Zuspitzung der Klassenwidersprüche, wozu wir drum nach Kräften beizutragen haben, der Weg, der über den Kapitalismus hinausführt. Und das ist es in Wirklichkeit, was Wilfried Heidt ablehnt, und woran ich — jenseits aller Emphase von Ablehnung und Zustimmung — nicht mehr glaube. Ich rede von dem Klassenkampf, so wie er ist und nicht wie wir ihn uns wünschen mögen, damit wir den Formeln treu bleiben können, an die wir einmal unsere Identität, d.h. das Empfinden der Treue zu uns selbst gehängt haben.

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Es gab in der römischen Geschichte, die jetzt überhaupt eine hilfreiche Analogie darstellen kann, eine Phase, die — obwohl auch erst einsetzend auf dem Hintergrund der Punierkriege, also der Kolonialrolle — weitgehend bestimmt war durch die Entfaltung der inneren Klassenkämpfe. Hätte es, etwa für einen revolutionären Ideologen aus der Generation Cäsars, nicht nahegelegen, aus dem Gang der Dinge seit der Zeit der Gracchen, worauf dann Bürgerkrieg und Spartakusaufstand folgten, auf einen Ausgang der römischen Geschichte durch eine endgültige Revolution zu hoffen? Die alten Klassen sind in der Kaiserzeit nicht etwa einfach verschwunden, aber ihre Perspektiven, ihre Lebensbedingungen relativ zu denen der konkurrierenden Klassen, vor allem aber zu denen der kolonialisierten Völker, waren gründlich verschoben. Die alten Klassen hatten, kurz gesagt, als solche keine politische Zukunft mehr. Die inneren Widersprüche spielten nur noch im Fortgang des Zersetzungsprozesses der antiken Zivilisation eine Rolle.

Die ganze Analogie soll nur eines zeigen: daß es Epochen gibt, in denen man nicht positiv auf das Austragen innerer Klassenkämpfe setzen kann. Das heißt auch: es gibt Epochen, in denen andere Komplexe materieller Interessen geschichtsmächtiger wirken als die Interessen einzelner Klassen, mochten die sogar in der Metropole der Welt ansetzen und von Fall zu Fall das Schicksal eines Kaisers entscheiden können. Wenn davon die Rede ist, daß heute der Ost-West- und der Nord-Süd-Widerspruch sowie die ökologische Krise schwerer wiegen und dynamischer sind als die sozialen Widersprüche innerhalb der entwickelten spätkapitalistischen Länder, dann bedeutet das nicht zuletzt, daß an diesen Konfliktlinien das größere Gefälle materieller Interessenlagen zu finden ist. In dem inneren Klassenkampf geht es um vergleichsweise kleinere Beträge. Und er wird von Fall zu Fall dadurch überspielt, daß die Gesamtsumme des zu Verteilenden nicht unwesentlich davon abhängt, wie die Lage an den Fronten ist. 

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Deshalb weisen die Interessen der arbeitenden Klassen hier in den reichen Ländern Europas — sofern sie vornehmlich in bezug auf die Auseinander­setzung mit der eigenen Ausbeuterklasse um den Anteil am Kuchen geführt werden — weder eine Perspektive nationaler Rettung noch eine Perspektive internationaler Solidarität auf. In der Verlängerung dieser Interessen hat das Dilemma unserer kapitalistisch durchprogrammierten Zivilisation keinen Ausgang.

Für mich folgt hieraus einfach die Frage, wie wir den Klassenkampf nun unter diesen neuen Voraussetzungen, daß er nicht die Lösung bringt, in unser politisches Konzept einordnen und praktisch behandeln sollen. Wenn die Dialektik des Klassenkampfes nicht aus dem Feld der gegebenen Zustände hinausführt, dann hat er keine Priorität mehr für eben die Leute, die darüber hinaus wollen. Dann hat er, wenn es um Perspektiven geht, überhaupt keine Priorität mehr, nicht nur im Hinblick auf die ökologische Krise, sondern auf die Krise unserer kapitalistisch verfaßten Zivilisation schlechthin. In der ökologischen Krise erscheint ja nur die tiefste, sozusagen "materiellste" Schicht dieser allgemeinen Krise, die infolge der Dominanz des. kapitalistischen Industrialismus im Weltmaßstab zugleich die endgültige Krise der Menschheit ist. 

Was ich nun in dieser Kürze nicht mit Jürgen Reents ausdiskutieren kann, läuft also darauf hinaus, ob seine oder meine Einschätzung der Perspektive des Klassenkampfes stimmt, in Wirklichkeit natürlich die Perspektive "unserer Seite", d.h. des bisher von uns favorisierten Klassensubjekts Proletariat. Denn weniger auf der Seite der Bourgeoisie als auf dieser "unserer Seite" scheint mir unsere alte Rechnung nicht zu stimmen. Marx fuhr in jenem Brief an Weydemeyer fort: 

"Was ich neu tat, war 1. nachzuweisen, daß die Existenz der Klassen bloß an bestimmte historische Entwicklungsphasen der Produktion gebunden ist; 2. daß der Klassenkampf notwendig zur Diktatur des Proletariats führt; 3. daß diese Diktatur selbst nur den Übergang zur Aufhebung aller Klassen und zu einer klassenlosen Gesellschaft bildet ..."

Während wir über Diktatur hier nicht zu reden brauchen, weil wir, unter uns, immer noch wissen, was Marx damit gemeint hat und was er nicht gemeint hat, steht heute die Hypothese von der Notwendigkeit, mit der die Arbeiter durch die Eroberung der Macht den Weg zur klassenlosen Gesellschaft eröffnen, sichtlich in Frage. 

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Das Proletariat in dem Gedankengebäude von Marx und Engels und das Proletariat in der Wirklichkeit der bürgerlichen Gesellschaft sind anscheinend doch verschiedene Dinge. Dort liegt unser Problem. Daß die Arbeiter nach wie vor nicht der Ausbeutung entrinnen, daß die Zivilisationskrise in allen ihren Erscheinungsformen durch die kapitalistischen Produktions- und Herrschaftsverhältnisse (zum Teil auch durch noch ältere) verursacht ist, darin liegt es nicht. Man muß diese Feststellungen nicht negieren, um denjenigen Klassenkampf, der hier tatsächlich massenhaft auftritt, als totes Rennen zu sehen. Als Arbeiter, d.h. in der "ökonomischen Charaktermaske" (Marx) derer, die den Unternehmern ihre Ware Arbeitskraft verkaufen müssen, werden sich die werktätigen Menschen anscheinend doch nicht selbst befreien, wie die Voraussetzung war.

Das heißt aber nur, die Arbeiter als Menschen — auch sie, aber nicht sie allein — müssen in einer anderen Eigenschaft oder in anderen Eigenschaften als denen des — vielleicht eben inzwischen doch! — "Sozialpartners" der Unternehmer angesprochen werden. Ich meine jetzt: angesprochen von der Theorie und angesprochen im Hinblick auf ihre Fähigkeit zur Selbstbefreiung. Wir müssen für unsere Praxis die Matrix sprengen, auf die wir uns bisher bezogen. Wir haben immer auf die unmittelbaren Interessen der Arbeiter als Arbeiter gebaut, haben unsere Strategie abgeleitet primär aus dem Faktum der Ausbeutung: Kapital, I. Band oder die einfacheren frühen Schriften Lohnarbeit und Kapital, Lohn, Preis und Profit. Es war so sonnenklar, was die Proletarier "zu tun gezwungen" sein werden, ob sie es schon wissen und wollen oder nicht.

Was die Menschen jetzt vor allem herausfordert (und nicht nur jene, die auch heute noch bevorzugt gemeint sind, wenn von Arbeitern die Rede ist), das sind Probleme gewissermaßen aus dem II. und III. Band des Kapitals: Konsequenzen des Gesamtprozesses der kapitalistischen Reproduktion, viel vermitteltere und bisher noch kaum zum Ausgangspunkt der Organisation von Gegenmacht erklärte, geschweige denn gemachte. Die ökologische Krise ist die Quintessenz dieser Auswirkungen, zumal Jürgen Reents Recht hat, daß es mehr als die Sorge um die grünen Bäume das Unbehagen an Gesellschaft und Staat ist, das die Grünen motiviert. Klar doch, der Kapitalismus muß weg. Aber wenn der Kampf, in dem das erreicht werden soll, immer noch auch ein Klassenkampf ist, d.h. wenn wir diesen Aspekt der Sache weiter hervorheben wollen, dann müssen wir jedenfalls wissen und sagen, daß es sich hauptsächlich um einen anderen handelt als bisher. Das wird dann auch wesentlich andere methodische (strategische und taktische) Konsequenzen haben. Und umzuwälzen ist in diesem Kampf jedenfalls noch mehr, als wir bisher schon dachten, einschließlich unserer eigenen Subjektivität, damit sie uns nicht etwa im Wege ist.

177-178

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Aus: Materialien zur Sozialistischen Konferenz.


 

  Die Grünen und die "scene"   

 

 

Taz: Was hälst Du von den Leuten, die sich nicht auf der geistigen Ebene, also auf der Ebene der Intelligenz, zusammenfassen lassen wollen, sondern auf der Ebene der direkten Aktion Widerstand gegen die kapitalistische Industriegesellschaft leisten?

Rudolf Bahro:
Die lassen doch nicht ihre Köpfe zu Hause. Ich meine einfach, man muß sich um eine gemeinsame Zielrichtung bemühen. Direkte Aktionen treffen doch die Zustände immer an einer bestimmten Stelle. Wenn das System eine Kugel mit Zentrum ist, dann treffen sie zunächst nur die Peripherie.

Natürlich wären sehr viele direkte Aktionen eine neue Qualität. Aber dann müssen wir uns fragen, wie wir mehr erreichen als nur eine Verstärkung der Panzerung des Apparates.* Wenn eine Aktion isoliert von der Bevölkerung durchgeführt wird, dann heißt das nur, daß aus einem Polizisten zehn Polizisten werden.

Der Weg, den wir finden müssen, der führt zum Aufbau einer anderen Kultur, das ist sehr lang und geht dahin, den gesamten Lebensprozeß in anderer als der bisherigen Form zu gestalten.

Randgruppen können von den Abfällen der Verschwendungsgesellschaft leben, aber die ganze Gesellschaft muß doch ihre Lebensmittel, Kleidung, Bildung und ärztliche Versorgung organisieren. Wir müssen an den Aufbau von Kommunen denken, die auch selbstverwaltet produzieren. Wir brauchen andere, herrschaftsfreiere Produktionsformen, eine andere Technologie. Unsere Großtechnologie mit ihren entsprechenden hierarchischen Leitungsfunktionen kann nur unterdrückte Individuen hervorbringen. Sie kann aber nicht ersatzlos gestrichen werden. Ein Umbau des gesamten Industriesystems steht an.

TAZ: 
Die Leute, die sich von der Großtechnologie unterdrückt fühlen, kämpfen doch um herrschaftsfreiere Produktionsformen, in denen sie sich selbst verwirklichen können, sie versuchen, eine alternative Kultur aufzubauen, wie zum Beispiel die, die den Bremer Schlachthof verteidigt haben...

 

* (u2009:)  Ein paar Jahre später, 1987 in LdR, formulierte Bahro dann 'größer': "Es trainiert nur die Megamaschine" (sinngemäß).

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Rudolf Bahro:  Die Besetzung in Gorleben, die Verteidigung des Schlachthofs, die "Fabrik" in Berlin, die Wohnungsbesetzungen in Freiburg, das alles sind überaus wichtige Ereignisse. Manches daran dürfte die Embryonalform einer neuen Gesellschaft andeuten. Aber nicht alles im Alternativbereich scheint mir so zu laufen. Bei den Formen, die wir wählen, müssen wir uns fragen, ob das, was wir machen, mehr ist als bloßes Symptom des Zerfalls. 

Aggressionen z.B. trainieren oft nur den Gegner. Wenn man Gewalt mit Gegengewalt begegnet, heißt das, im Rahmen der Voraussetzungen des Systems zu reagieren. Das ist nur in Situationen gerechtfertigt, in denen es einem wirklich von der Macht aufgezwungen wird. Gerade Gewaltlosigkeit bedeutet den ideologischen Angriff auf die andere Seite. Sie höhlt die Bereitschaft zum Zuschlagen bei den anständigen Leuten aus, die es auch im Machtsystem gibt. Es müßte soviel Bewußtsein bei den Alternativen geben, daß sie immer rechtzeitig merken, wenn ihre Reaktion nur die Kehrseite der herrschenden Verhältnisse ist. Dann reicht sie nicht aus. Wir wollen z.B. herrschaftsfrei sein, und wenn wir die von außen eingreifende Gewalt los sind, freuen wir uns. Dann stellt sich aber unter Umständen heraus, daß die starken Charaktere wie in einer Gang ganz archaisch neue Herrschaft ausüben. Und damit fängt nicht die neue Gesellschaft an, damit hat die alte angefangen. Wirkliche Revolutionäre hatten gegenüber dem System den höheren Standpunkt, sie haben sich auf die Höhe der Gesamtkultur erhoben, die es zu bewältigen galt. Und sie haben ihre Außenseiterposition so wenig wie möglich idealisiert.

TAZ: Wie stellst Du Dich zu dem Vorwurf, daß die Grünen die außerparlamentarische Opposition an das Parlament binden und so das System stabilisieren?

Bahro:  Es gibt keine politische Bewegung, die sich wirklich auf den Kampf mit den bestehenden Verhältnissen einläßt, ohne daß es zugleich eine Gefahr gibt, gefressen zu werden. Die Frage lautet also, ob man den Kampf auf der Basis einer minoritären Außenseiterposition gegen das System führen soll, dem man die Chance gibt, die große Mehrheit der Gesellschaft hinter sich zu bringen. Nach meiner Meinung kann eine grundsätzliche Veränderung der Gesellschaft in einem Land wie diesem nur erreicht werden, wenn wir eine andere große Koalition dafür zustande bringen. Politische Aktivität ist nur ein Mittel dazu, denn die Aufgabe selbst ist ideologisch-psychologischer Natur. Es werden sehr viele Leute, darunter auch ich selbst - und wir selbst -, mehr als bloß unsere Meinung ändern müssen.

180-181

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Auszug aus einem Interview mit der taz vom 18.9.80.


 

  ... es geht um eine neue Identität   

 

Konkret:  Rudolf, als Du aus der DDR rüberkamst, sprachst Du davon, daß Du an der Überwindung der Zersplitterung der bundesdeutschen Linken mitwirken möchtest. Was hast Du bisher erreicht?

Bahro: Die Tendenz zur Einigung war doch offenbar schon da, zunächst in Gestalt der Bereitschaft, mehr und ruhiger miteinander zu reden, über die Grenzen der Gruppierungen hinweg. Es ist klar, daß es keine Vereinigung zwischen den bisherigen Positionen geben wird, sondern höchstens eine Vereinigung in Richtung auf neue Positionen hin. Und nun leuchtet wohl ein, daß es aussichtsreicher ist, die linke Zersplitterung bei der Lösung einer Aufgabe zu überwinden, und gerade angesichts einer solchen Herausforderung, wie es die ökologische Krise ist.

K: Man hat aber den Eindruck, daß die grüne Bewegung zu einer weiteren Polarisierung innerhalb der Linken beiträgt.

B: Jedenfalls ist es jetzt eine fruchtbare Kollision. Sie ist ausgelöst nicht von der Krise in den eigenen Reihen, sondern durch die gesellschaftliche Entwicklung — die Abnutzung der sozialliberalen Koalition, die Gefahr Strauß und vor allem durch den Aufbruch der grünen Bewegung. Das zwingt uns nun zur Entscheidung. Es geht um eine Verhaltensänderung, um eine Veränderung auch der eigenen Identität, praktisch wie theoretisch. Da ist wohl eine Polarisierung zunächst unvermeidlich.

K: Du kennst inzwischen Gruhl, Haußleiter und eine Reihe anderer Grüner. Wie schätzt Du die Chancen der Linken in der grünen Bewegung ein?

B: Die Chancen hängen von unserem Verhalten ab. Wenn wir uns auf einen Diskussionspfozeß einstellen anstatt auf ersatzweises Austragen des Klassenkampfs innerhalb der grünen Bewegung und Partei, dann können wir viel dazu beitragen, die objektiv antikapitalistische Stoßrichtung des grünen Gesamtkonzepts voll ins Bewußtsein zu heben und politisch umzusetzen. Entscheidend wird sein, wie weit wir Linke zugleich wirkliche Grüne werden.

182


K: Setzt das nicht voraus, daß die Grünen bereit sind, von den Linken zu lernen?

B: Die Grünen artikulieren ein neues Problem — genauer: alle Probleme — unter einem neuen Gesichtspunkt. Kommt es wirklich darauf an, daß sie nun zuerst unsere alten Lektionen, möglichst noch in irgendeiner alten Fassung — denn über eine neue sind wir uns ja noch nicht einig — nachholen? Wenn man daran denkt, daß Arbeiter Kinder und Enkel haben, und daß sie trotz ihrer Klassenlage im kapitalistischen System zunächst einmal Menschen sind, dann ist eine Wende in unserer Zivilisation auch ihr langfristig wichtigstes Interesse. Außerdem geht der Programmentwurf für den Parteitag in Saarbrücken positiv auf wesentliche gewerkschaftliche Belange ein. Das übrige kann nicht durch einen Appell entschieden werden. Die ökologische Krise ist natürlich unlösbar, wenn man die Tatsache leugnet, daß es Klassenkampf gibt.

K: Wenn nun außer Baldur Springmann auch andere Wortführer der Grünen weiterhin diese Zusammenhänge nicht sehen wollen?

B: Die Menschen, von denen Du sprichst, sind doch nicht blind. Sicher haben sie es aus ihrer Vergangenheit heraus schwerer, sich den "Mechanismus" dieser Zusammenhänge zu vergegenwärtigen. Daß solche Zusammenhänge existieren, werden sie indessen kaum bestreiten. Aber sie lehnen ab, zu akzeptieren, wie diese Zusammenhänge funktionieren. Wo sind unsere überzeugenden Argumente, daß es trotz mancher entgegenstehender Erfahrung durch die Überwindung der Klassengegensätze eine erträgliche Lösung des historischen Dilemmas geben wird? 

Wir sollten genauer die Motive der Abwehrhaltung gegen den Klassenkampf zu verstehen suchen. Es wirkt nicht aufbauend, wenn wir unser Wissen über die Zuordnung von Klassenkampf und Ökologie der anderen Seite immer nur abstrakt entgegenstellen. Damit ignorieren wir, was wir über die Bedeutung der soziologischen Unterschiede innerhalb der Grünen wissen. Kurz: immanente Kritik an unserem Partner! Bei Überprüfung unseres eigenen Verständnisses vom Stellenwert des Klassenkampfes in dem anstehenden historischen Prozeß.

183


Konkret: Demnächst wird auf Deine Initiative hin eine Sozialistische Konferenz in Kassel stattfinden. Was soll dabei herauskommen?

Bahro: Dort wollen wir unsere Einstellung als Sozialisten zu den Problemen der 80er Jahre, darunter auch unsere Position zu den Grünen beraten und das eigene Kommunikationsnetz für die Kontinuität unserer theoretischen und politischen Arbeit weiterentwickeln.

Konkret: Kannst Du Dir vorstellen, daß die Grünen eine ganz bürgerliche Partei werden, und die Linken, inzwischen der ökologischen Problematik bewußt, sich aus dieser Bewegung zurückziehen und eine konsequent sozialistische Partei gründen, die ökologische Belange voll integriert?

Bahro: Wie weit stimmten hier die Begriffe? "Bürgerlich" ist ein schillernder Begriff im konkreten Bezug. Die Grünen werden jedenfalls keine Partei für Kapitalinteressen sein. Und "konsequent sozialistisch" schillert auch. Wenn diese Partei, nachdem sie sich so lange nicht gegründet hat, jetzt ausgerechnet aus einem Rückzug von den Grünen hervorginge, läge es nahe, eine ziemlich überholte Art von Konsequenz zu vermuten. Was Du befürchtest, kann geschehen, falls auf beiden Seiten die traditionellen Vorurteile und die spezifischen' Verhaltensweisen zunächst den Sieg über das Erfordernis des Zusammengehens erringen sollten. Das wäre eine vergleichsweise unproduktive Konstellation, weil die Chance des unbedingt nötigen gemeinsamen Lernprozesses dadurch verspielt würde. Zum Schaden dessen, was es objektiv anzustreben gilt.

Konkret: Trotzdem: Auf welcher Seite würdest Du dann stehen?

Bahro: Könnte es nicht sein, daß Deine Perspektive von vornherein die Chance preisgibt? Und daß sie nicht nur auf der "anderen", sondern auch auf "unserer" Seite eine Partei bedeuten dürfte, die sowohl der ökologischen als auch der sozialistischen Sache — gerade auch ihr — eher im Wege wäre?

Ich werde mich einem Auseinanderfallen mit Ausdauer entgegenstellen und rechne fest damit, daß selbst im ungünstigsten Fall ein Teil des sozialistischen Potentials den Versuch mit den Grünen nicht aufgibt, und daß dieser Teil die Brücke bleiben würde für die Diskussion mit den Genossen, die sich einstweilen anders entschieden.

184-185

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Auszüge aus einem Interview in Konkret 4/80.

 

 

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