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2.6  Fundamentalkritik versus Reformpolitik,
Kampf um die Bestimmung der grünen Partei

 

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Die Wahl vom März 1983 brachte die Grüne Partei in den Bundestag: Sie erhielt 5,6 Prozent.  Zugleich war sie die Bestätigung der am Oktober 1982 konstituierten CDU-CSU-FDP-Koalition unter Führung von Helmut Kohl

Die Mehrheit habe, so Rudolf Bahro, nur danach gefragt, »welche der beiden großen Parteien wohl eher den Zerfall des unter Adenauer und Erhard begründeten, unter der sozialliberalen Koalition renovierten <Modells Deutschland> aufhalten könnte«. Sie habe sich für die CDU/CSU entschieden, weil diese »dem wirtschaftlichen Fundament der Macht traditionell näher steht« (Pfeiler, 61).

Die wichtigste Funktion der GRÜNEN im Bundestag sah Bahro darin, »Multiplikator und Verstärker für das alternative Bewußtsein draußen zu sein und die Öffentlichkeit rechtzeitig mit Informationen über alle Anschläge auf das allgemeine Wohl, über alle Versäumnisse der Gefahrenabwehr zu versorgen«

Die Aufgabe der GRÜNEN sei »eindeutig dahingehend bestimmt worden, die Fundamentalopposition politikfähig zu machen. Es gibt keinen Bedarf an der parlamentsüblichen Realpolitik, an grünem Reformismus und Pragmatismus.« 

Mit der SPD gebe es nichts zu verhandeln, »obwohl wir natürlich von Fall zu Fall unter Hinweis auf die prinzipielle Unzulänglichkeit und Inkonsequenz der Lösungen mit ihr wie auch mit den anderen Parteien stimmen können, wenn wenigstens die Richtung stimmt« (ebd., 63).

Worauf konzentrieren die GRÜNEN ihre Kräfte? 

Diese Frage stand nach der Bundestagswahl im Raum: in Richtung auf ein rotgrünes Bündnis oder auf die Ausbildung eines eigenständigen Elements zwischen den Parteiblöcken, dessen Ziel darin besteht, einen »tiefgreifenden reformatorischen Umbruch« in der Gesellschaft zu begleiten und zu unter­stützen, wie Bahro in seinen Thesen zur Vorbereitung einer Offenen Bundesdelegiertenkonferenz am 4.6.1983 in Hannover forderte? (Ebd., 65) 

 

Für Joschka Fischer, den ersten Parlamentarischen Geschäftsführer der grünen Bundestagsfraktion, war die Sache von Anfang an klar: Die Entscheidung sei bereits »mit der Bildung einer politischen Partei und der Akzeptanz der Parlamente de facto« gefallen. »Die GRÜNEN formulieren mit ihrer ökologischen Kritik zwar eine Systemfrage, aber sie beantworten sie eindeutig reformistisch, indem sie in die Parlamente gegangen sind.« (Fischer 1984, 129) 

Die »offene Schlacht« mit der SPD »um die Führung des Reformlagers« einer »<Neuen Mehrheit> diesseits der Union« habe begonnen, so Fischer in einem Aufsatz aus dem Jahr 1983. Die beiden Kontrahenten seien »zum Kampf bis aufs Messer verurteilt«, aber auch »zur punktuellen Zusammenarbeit gezwungen [...] bis hin zu Tolerierungsbündnissen, da die Interessen des sich überschneidenden Wählerpotentials dies unumgänglich machen« (ebd., 133).

Ganz anders Bahro: 

Die Sozialdemokratie könne nur »systemstabilisierende Reformen anstreben und zählt daher grundsätzlich nicht zu den reformatorischen Kräften, die wir meinen«. Der linksgrüne SPD-Flügel möge zwar subjektiv mit der Öko-Partei sympathisieren, werde aber immer nur »die Rolle des trügerischen Feigenblatts spielen. Wer es in diesem Lager friedenspolitisch und ökologisch ernst meint, muß das alte Haus verlassen.« 

Die Sozialdemokratische Partei, dieser »hundertjährige <Tanker>, auf Gedeih und Verderb für das kapitalistische Industriesystem unterwegs, ist zum Auseinanderbrechen und zum Untergang bestimmt« (Pfeiler, 64) — so Rudolf Bahros zornige Prognose.

Die Zeit sei gekommen für eine »Neugruppierung der Kräfte jenseits des bisherigen Rechts-Links-Schemas, das sich totläuft und uns keine echte Chance bietet« (ebd., 65). In diesem Sinne plädierte Bahro anläßlich der Bundesdelegierten­konferenz im Juni 1983 in Hannover dafür, auch »ins Revier der bayrischen CSU einzudringen [...]. Die Übung, die ich ausdauernd vorschlage, besteht darin, das Problem nicht nur von einem [dem linken], sondern zugleich auch vom anderen Pol aus anzufassen.« (Ebd., 73) 

Dies setze allerdings voraus, den »sektiererischen Anteil in unserer Ideologie und Psychologie« zu überwinden. »Denn der bringt uns immer wieder soviel Ablehnung und Zurückweisung ein, daß das Hinauswachsen über einen Minderheitenstatus undenkbar erscheint.« Und er schwang sich vor den grünen Delegierten zur Prophezeiung auf: 

»Wenn wir die Veränderungen in der Außenwelt erreichen wollen, die uns das Überleben sichern, dann muß es bis zum Jahre 2000 zu unserer Annahme durch die Mehrheit der Gesellschaft, zu ihrer Versöhnung mit uns kommen. Und unsere Versöhnung mit ihr wird der Schlüssel sein.« (Ebd., 69) .

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Nach der Delegiertenkonferenz schrieb Joscha Schmierer in der <Kommune>: »Bei den GRÜNEN kommt eine spannende Diskussion in Gang.« Schmierer war einst ein führender Kopf des Sozialistischen Deutschen Studentenbundes (SDS) in Heidelberg gewesen und wurde später zum Vorsitzenden des maoistisch orientierten Kommunistischen Bundes Westdeutschlands (KBW). Diese Organisation entstand im Sommer 1973 aus annähernd 100 lokalen kommunistischen Zirkeln, wobei die Kerngruppe — wie Joscha Schmierer — aus dem Heidelberger SDS stammte. 

Der KBW stand in harter Konkurrenz zu anderen maoistischen Formationen, beispielsweise der Kommunistischen Partei Deutschlands (KPD), die mit der 1956 verbotenen und dann im Untergrund wirkenden Partei gleichen Namens nichts zu tun hatte. Sie wollte vielmehr die durch »Revisionismus« und »Sozialimperialismus« deformierte kommunistische Bewegung neu begründen. Daneben gab es noch den Kommunistischen Bund (KB — zumeist als KB Nord bezeichnet); bis in unsere Zeit hinübergerettet haben sich die KPD/ML und der Kommunistische Arbeiterbund Deutschlands (KABD).

(Wer mehr über die heute äußerst seltsam wirkenden Blüten des deutschen Maoismus wissen möchte, kann sich an Gerd Koenens Buch <Das rote Jahrzehnt> halten).

 

 

Doch zurück zu Joscha Schmierer und der <Kommune>, die aus dem Nachlaßvermögen des KBW finanziert wurde und deren Chefredakteur Schmierer bis Mai 1999 war. Er wies im bereits zitierten Beitrag darauf hin, daß Bahros Fragestellung, wie die GRÜNEN an die Menschen herankommen, die die Basis für die CDU/CSU/FDP-Regierung bilden, von seinen Gegenspielern in der Partei überhaupt noch nicht begriffen worden sei. 

»Das Gefährliche an Bahros Überlegungen ist, daß sie rein intuitiv sind und fast jeder Analyse entbehren.« Er gehe davon aus, man könne »konservativ« mit »lebenskonservativ«, d.h. lebenserhaltend, gleichsetzen. Die Frage sei jedoch, welche Lebensform erhalten bleiben solle und für wen. »Und was soll das Gerede — mehr ist es vorläufig nicht —, das Links-Rechts-Schema sei überholt?« Solange es Unterdrückte und Unterdrückende gebe, hätten eben auch noch die Kategorien »links« und »rechts« ihre Bedeutung. Bahro habe das Rätsel der Konstellation, aus der die Kohl-Regierung entsprang, nicht gelöst, »sondern das Problem bloß als gordischen Knoten behandelt« (Schmierer 1983 a).

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Immerhin: 

Da war einer an der geistigen Auseinandersetzung um den künftigen Weg der GRÜNEN interessiert. Bahro hatte bereits im Mai-Heft 1983 der neuen Zeitschrift seinen Beitrag über <Bedingungen einer sozialistischen Perspektive am Ende des 20. Jahrhunderts> veröffentlichen können, den er zwei Jahre zuvor in Caracas gehalten hatte. Ende Juni 1983 sollte für die <Kommune> eine Debatte zwischen den Hauptkontrahenten des Bundeskongresses, Thomas Ebermann und Rudolf Bahro, stattfinden. Schließlich kam wegen Terminschwierigkeiten lediglich ein Gespräch mit Bahro zustande, das in zwei Teilen abgedruckt wurde. »Wenn wir bei manchen jetzt in den Ruf kommen sollten, uns zu seiner [Bahros] Hauspostille mausern zu wollen, können wir's auch nicht ändern«, schreibt Joscha Schmierer im Vorspann zum abgedruckten Gespräch (Kommune, 1. Jg., Nr. 7, 8. Juli 1983, 39).

Die <Kommune> hatte ein Interesse daran, aus ihrer KBW-Ecke herauszukommen und eine anregende Theorie-Zeitschrift zu werden. Bahro seinerseits konnte es nur recht sein, ein Forum zu erhalten, in dem auch seine anspruchsvollen Texte Anklang fanden. »Damals, 1983, war es für ihn schon nicht mehr so leicht, seine Sachen zu publizieren, zumindest nicht in dieser Ausführlichkeit«, sagt Joscha Schmierer im Gespräch. Beide fanden sich offenbar auf Anhieb sympathisch — »wir haben nicht gefremdelt«, meint Schmierer — und lernten sich durch die Gespräche auch persönlich besser kennen. 

»Wenn er in Frankfurt bei Veranstaltungen gewesen ist, hat er bei uns übernachtet.« Der beide verbindende Bezugspunkt war die Kritik am Industrial­ismus, »aber in den politischen Konsequenzen haben wir uns dann sehr unterschieden«.

 

Auch Joscha Schmierer war an den »Möglichkeiten einer genossenschaftlich-kommunitären Umwälzung der Produktionsweise« interessiert (Pfeiler, 221). »Daß kleine Gruppen mit so etwas anfangen«, sei für ihn zu jener Zeit allerdings nur eine unter mehreren Varianten gewesen, sagt er heute. »Eine Leitfrage unserer Gespräche war damals: Was können wir hier vor Ort tun? Beispielsweise im Saarland, bei der Stahl- und Kohlekrise jener Jahre. Wie können wir durch eigene Formen der Produktion rauskommen aus der Arbeitslosigkeit? Das waren unsere Fragen.« 

Während die Kommune-Perspektive in Schmierers Sicht »ein wichtiges Element einer politischen Konzeption mit verschiedenen Ansatzpunkten« darstellte, glaubt er, daß sie für Bahro zunehmend zum »einzigen Punkt« geworden sei, der ihn interessierte.

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Joscha Schmierer bringt die Unterschiedlichkeit ihrer biographischen Erfahrungen ins Spiel: Im Gegensatz zu Bahro habe ihn das »Menschheits­experiment« einer Kommune-Gründung persönlich »nicht sonderlich gereizt«. So bot für ihn auch Bahros Besuch in Rajneeshpuram kein wichtiges Gesprächsthema. »Mich hat vor allem interessiert, was er politisch macht. Das Charismatische war nie mein Ding.« Und im übrigen sei Bahro »kein Sektierer« gewesen, sondern ein Mensch, »mit dem man gut befreundet sein kann«.

 

Am 15. Oktober 1983 kamen die Wortführer unterschiedlicher Strömungen bei den GRÜNEN zu einer Diskussionsveranstaltung in Frankfurt zusammen. Eingeladen hatten die Redaktionen der Zeitschriften Kommune und links (die dem damaligen Sozialistischen Büro in Offenbach nahestand) sowie Moderne Zeiten (in der sich die grünen Ökosozialisten und -sozialistinnen sammelten). »Grüne Perspektiven« hieß das Thema der Männerrunde — bestehend aus Rudolf Bahro, Thomas Ebermann und Joschka Fischer sowie je einem Vertreter der drei beteiligten Redaktionen. 

Fischer warf Bahro vor, »revolutionäre Sonntagsreden« zu halten, die mit der »empirischen Befindlichkeit der grünen Partei« (Kommune 1983, Spalte 29) sehr wenig zu tun hätten. Die Entscheidung für eine »reformerische Praxis« sei bereits gefallen. Dort, wo grüne Politik gemacht werde, gebe es »keine Vorstellung, daß man wirklich die Machtfrage in einem revolutionären Sinne zu stellen versucht« (ebd., Spalte 30). 

Den »alten Kampf via Spartakusaufstand« gewinnen zu wollen — da gab Bahro Joschka Fischer recht — »das ist hoffnungslos« (ebd., Spalte 42). Doch die vor dem Ersten Weltkrieg geprägte marxistische Formel »Sozialismus oder Barbarei« sei noch nicht gestorben, sondern stehe »radikaler als je vor uns«»nur daß die Begriffe nicht mehr funktionieren, mit denen das damals ausgesprochen wurde«. 

 

Mit der Entwicklung des Kapitalismus zum Exterminismus verhalte sich die Sache »dramatischer als damals« (ebd., Spalte 40). Es gehe jetzt darum, daß die grüne Partei den »Auszugsprozeß aus dem Industriesystem positiv deckt«. Das wurde mit dem Zwischenruf quittiert: »Aber es gibt doch kein Ägypten für deinen Auszug.« (Ebd., Spalte 43) Wenn die Partei allerdings vollständig auf die »Linie des grünen Reformismus und der grünen Realpolitik« zurückfalle, sei das nicht mehr »das Projekt, an dem ich beteiligt sein will« (ebd., Spalte 49).

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Über die Begegnung zwischen Joschka Fischer (der als Bundesaußenminister keine Zeit für ein Gespräch mit den Autoren dieses Buches fand)7 und Rudolf Bahro urteilt Joscha Schmierer aus heutiger Sicht: 

»Es ging um die politische Führung der GRÜNEN. Und da waren beide in ihren Richtungen schon weitgehend festgelegt. Außerdem sind die zwei ganz verschiedene Lebenswege gegangen: Joschka kam aus einer gesellschaftsfernen Gruppe, die Revolution machen wollte. Bahro war bis zu seiner Haft weitgehend gesellschaftlich integriert. Wir hatten unsere Revolutionsträume hinter uns. Er glaubte noch daran.«

Die Jahre zwischen 1980 und 1983 waren eine Zeit der »Selbstbehauptungskämpfe« (Krise, 48) innerhalb der GRÜNEN. Die Formelkompromisse grüner Parteitage, die auf die Stärke der jeweiligen Strömungen Rücksicht nahmen, dienten dem Überleben der politischen Formation, waren aber kein Ersatz für eine gründliche Perspektiv- und Programmdiskussion. 

In einem Ende 1984 erschienenen Taschenbuch schreibt Joschka Fischer: Ein Problem der GRÜNEN seien ihre »mangelnden theoretischen und ideologischen Grundlagen«. Bei der Frage nach den grünen Perspektiven stoße man — 

»abgesehen von wenigen Ausnahmen, wie etwa Rudi Bahro, dessen Auffassungen ich zwar nicht teile, der aber oft schlüssig, konsequent und bisweilen auch originell denkt — auf ein eigentümliches Gebräu, bestehend aus einer protestantisch klingenden Ergriffen­heitsethik, gesellschaftlichen Gegenmodellen der spontaneistischen Neuen Linken und einem zunehmenden Rückgriff auf den altlinken Antikapitalismus, den man allerdings, vor allem in der Wirtschaftspolitik, getrost als vormarxistisch bezeichnen kann« (Fischer 1984, 9).

Bahro bemühte sich um eine Strategiedebatte, die diesen Namen verdient. Joscha Schmierer arbeitete mit der <Kommune> auch an einem solchen Vorhaben. In einem <Weichenstellungen> betitelten Beitrag im Dezember-Heft des ersten Jahrgangs warnte Schmierer, »der eigene ursprünglich radikale Ansatz« der GRÜNEN werde »in seinen Konsequenzen kaum reflektiert«. Dies laufe beispielsweise darauf hinaus, daß die Frankfurter Ex-Spontis um Joschka Fischer und Daniel Cohn-Bendit meinten, man könne »Radikalreformismus« betreiben — obwohl klar sei, daß »Radikalismus und Reformismus sich nicht so leicht unter einen Hut bringen lassen«. 

Auch den Rückgriff der hessischen »Radikalökologen« um Jutta Ditfurth und Manfred Zieran auf die antiparlamentarischen Positionen der 68er-Bewegung hielt Schmierer für verfehlt. Diese seien »eher Ausdruck der Unfähigkeit zur Mehrheitsbildung denn gründlicher Überlegung« (Schmierer 1983 b, 6).

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So recht Bahro mit seiner Befürchtung habe, bei den GRÜNEN könne der radikalökologische Ansatz »verlorengehen«: durch »Enthaltsamkeit« im politischen Geschäft lasse er sich nicht retten. Die Angst, von der SPD aufgesogen zu werden, zeuge lediglich davon, »daß große Teile der GRÜNEN ideologisch noch angenabelt sind«. 

Schmierer plädierte für eine »Doppelstrategie«, auch wenn dieses Wort durch die Politik der Jusos »in ziemlichen Mißkredit gebracht worden« sei. Mit einer solchen Doppelstrategie meinte Schmierer, sowohl auf der parlamentarischen als auch auf der außer­parlament­arischen Ebene tätig zu werden — ohne daß alle alles machen müssen. So lasse er sich zum Beispiel gerne von der grünen Landtagsgruppe in den Verhandlungen mit dem damaligen hessischen SPD-Ministerpräsidenten Holger Börner vertreten — und lasse sich auch von den »verschiedensten Sitzblockadegruppen« vertreten, nachdem er »aufgrund einschlägiger Erfahrungen« bei Straßenbahnblockaden des Heidelberger SDS (und anschließender Haftstrafe) zum Entschluß gekommen sei, »mich niemals mehr vor einer Polizeikohorte auf den Boden zu setzen und abzuwarten, wie sie wohl mit mir umspringen wird. Deshalb höre ich nicht auf, mich an der politischen Bewegung zu beteiligen.« Diese müsse sich »mehrgleisig entfalten« können und brauche dazu »im übrigen auch unterschiedliche Organe mit einer teils unterschiedlichen Politik« (ebd., 7).

 

Nachdem für Bahro immer deutlicher wurde, daß ihn die »Realos« in der Partei auf die Rolle des »Sonntagsredners« festlegen und beschränken wollten,8) suchte er ein Bündnis mit den »Ökosozialisten«. Sie hätten »den Schlüssel zum Schicksal der GRÜNEN in der Hand« (Krise, 47), schreibt er in einem Papier, das bei der grünen Bundes­delegierten­versammlung im März 1984 in Karlsruhe verteilt wurde. Es gehe jetzt nicht darum, durch »Mitflicken« verdecken zu helfen, »daß die allein entscheidende Wurzelbehandlung nicht stattfindet«. (ebd., 48)

An die Adresse der Realos gerichtet, schlug Bahro vor, die SPD in ihrem Dilemma, keine Mehrheit gegen die CDU/CSU/FDP zu finden, erst einmal »schmoren« zu lassen, »bis wir auch aus einer minoritären Position, die aber historisch stärker als die ihre ist, die notwendige Richtungs­veränderung verbürgen können«. Wer es eilig habe, sich als Koalitionspartner anzudienen, der könne gleich nach Hause gehen, denn bei der »jetzigen Mentalität der GRÜNEN« werde man »nichts aufhalten und keine andere Partei verändern« können.

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Vielmehr komme es darauf an, »bei jedem Menschen, den wir in den Institutionen antreffen, die Mentalität des Bühnenkaisers Romulus Augustus zu nähren«. Bahro erinnert an Friedrich Dürrenmatts Parabelstück: Der Kaiser sitzt inmitten einer Hühnerschar. Die Beamten des Hofes drängen ihn, sich den Regierungsgeschäften — vor allem den militärischen — zu widmen. Die Germanen sind schon ante portas! »Am Ende stellt sich heraus, er hat das Amt von vornherein nur übernommen, damit dort kein anderer an seiner Statt Schaden anrichten kann, indem er etwas tut! Denn Rom, mit dieser Einsicht war er an die Macht gekommen, ist's nicht mehr wert, verteidigt zu werden.« 

Wer als Grüner »einen allerneuesten Plan für die Gesamtreparatur aushecken möchte, das heißt ganz automatisch für eine Lösung großen Stils von oben, die einen gut geölten Staat voraussetzt, der hat überhaupt noch nicht mitbekommen, daß eine Welt zerfällt und daß dieser Zerfall das beste an ihr ist, daß wir Ja! dazu sagen und nach Möglichkeit dabei assistieren müssen.«  

Anstelle einer »sauertöpfischen Mithilfe bei der Restaurierung der Konkurs­massen in der anachronistischen Industrie« sollten die GRÜNEN ihre Kräfte darauf konzentrieren, Gemeinschaften zu schaffen, »in denen wir zuerst uns selbst transformieren müssen« (ebd., 49).

In diesem Sinne hatte Bahro beispielsweise bei einer Veranstaltung von Linken und GRÜNEN in Frankfurt geäußert, von den 3000 Leuten, die in Bremen durch eine Werftenschließung arbeitslos werden, könnten sich wenigstens 300 entschließen, etwas ganz anderes zu machen, im Sinne von Kommune. Die Antwort sei großes Gelächter gewesen, teilte Bahro in einem Gespräch mit Johan Galtung mit. Der meinte, viele Menschen hätten noch nicht erkannt, »daß jetzt eine bestimmte Phase vorbei ist« und diese Entwicklung »irreversibel« sei. 

»Nur, wer hat den Mut, das zu sagen unter den Politikern? Die Politiker sagen, wir haben eine Krise, und wenn wir nur ein wenig mehr warten können, nur ein wenig mehr Geduld haben, dann kommen noch mal die guten alten Zeiten, und da wäre es Wahnsinn, wenn dann alles schon umgestellt wäre. Also geht es eigentlich darum, was man für ein Geschichtsgefühl hat. Das finde ich das Hauptproblem.« (Kommune, Nr. 3, 2.3.1984, 29)

Bahro glaubte, die Zeit sei gekommen, an den geordneten Ausstieg aus der Megamaschine zu denken und diesen Rückzug politisch und ökonomisch durch die grüne Bewegung decken zu lassen. Die vor allem aus dem Kommunistischen Bund (KB) heraus entstandenen Ökosozialisten sowie Jutta Ditfurths Radikalökologen konnten mit einem solchen Programm nichts anfangen.

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Dazu Joscha Schmierers Einschätzung: 

»Die Ökosozialisten, das waren Restbestände der radikalen Linken, die nicht darüber hinausgekommen sind. Und den Radikal­ökologen war das <Radikal> wichtiger als die Ökologie — Ökologie stellte für sie einfach die weitestgehende Form dar, radikal aufzutreten. Da bestand ein wesentlicher Unterschied zu Bahro: 
Er vertrat keinen politischen Extremismus — extrem in dem Sinne, einen Ort weit außerhalb der bestehenden gesellschaftlichen Verhältnisse zu suchen, weil man glaubt, dort sei der Hebel zur Veränderung. Insofern hatte er mit den Ökosozialisten und Radikal­ökologen politisch wenig zu tun.«

 

Bahros Abgesang auf die »realpolitisch« wie auf die »radikal« gestimmten Grünen erfolgte anläßlich der siebenten Bundesversammlung der GRÜNEN vom Dezember 1984 in Hamburg. Auf einer vorbereitenden Sitzung kündigte Rudolf Bahro eine »große Rede« an, erinnert sich Lukas Beckmann. Er habe damals allerdings den Eindruck gewonnen, Bahro könne »seine emotionalen Eindrücke intellektuell nicht mehr sortieren«

Die Rede ging — so Beckmann — »daneben«. Etwas von seiner »Unberechenbarkeit« sei in Hamburg spürbar geworden. Bahro war angriffig und ging aufs Ganze: Er fühle sich »wie vor sieben Jahren — dort, in der Position des äußersten Widerstands«. Gemeint war die Zeit seiner Haft im Zuchthaus von Bautzen. »Ich werde kenntlich sein wie damals. Ich werde in den eigenen Reihen Freund und Gegner so klar unterscheiden wie damals.« Und: Gegner gab es viele — auch einige Gegnerinnen.

 

Rudolf Bahro benutzte in seiner Rede das Bild vom Grenzbahnhof und den zwei Zügen, die auf unterschiedlichen Gleisen stehen, in entgegengesetzter Fahrtrichtung. Der Zug der Realos — oder wie Bahro sie nannte: der »Reformisten« — ist bereits in Bewegung, »zurück in die Metropolis und hinauf ins Machtzentrum der alten Welt«. Der andere Zug — jener der »Fundamentalisten« — steht, die Lokomotive ist noch nicht unter Dampf gesetzt. Jetzt komme es darauf an, »alle die wieder herauszuholen aus dem anderen Zug, denen schon mal das kleinste Licht aufgegangen war, es müßte eigentlich was anderes her« (Hinein oder hinaus?, 40). 

Die nächste Station des Zuges Richtung Metropolis heißt: Bündnis mit der SPD. Das kann auch erst einmal »Tolerierung« bedeuten, doch für Bahro ist der Unterschied unbedeutend: eine Wahl zwischen »offener und verschämter Kollaboration mit der Macht« (ebd., 41).

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Das Kernstück der Hamburger Rede stellte der »Faschismus-Vergleich« dar. Bahro wird später schreiben, er sei »begreiflicherweise nicht besonders gut verstanden worden, als ich [...] in einer insgesamt ziemlich aufgeregten Rede sagte, die GRÜNEN stiegen nach einem formell ähnlichen Muster wie einst die Nazis auf« (Logik, 387). 

Strukturell gesehen, stünden sich »Bewegung, Staat und Gesellschaft heute ganz ähnlich gegenüber wie in der Republik von Weimar« (ebd., 389). Die Kräfte, die damals aus dem »System« aussteigen wollten, gingen an den »braunen« Pol und zogen auch die meisten »grünen« Elemente der Jugend- und Lebens­reform­bewegung mit sich. 

Der »rote« Pol fiel weitgehend aus, weil eine in erster Linie auf technischen Fortschritt und Rationalismus setzende Linke nicht wußte, was sie mit dem im Gewand völkischer Mythologie daherkommenden Widerstand gegen die entfremdende kapitalistische Entwicklung anfangen sollte. 

Ein einsamer Rufer in der Wüste jener Zeit war Ernst Bloch. Er kritisierte 1937: Die Nazis hätten nur deshalb so ungestört mit dem »Mystizismus« betrügen können, »weil eine allzu abstrakte (nämlich zurückgebliebene) Linke die Massenphantasie unterernährt hat« (Bloch 1977, 149).

Nach Bahros Auffassung stand die Ökopax-Bewegung vor einem analogen Problem: Komme die nächste Welle der kapitalistischen Krise in Gestalt einer ökologischen »Totalkatastrophe« auf uns zu, müsse es diesmal allerdings anders ausgehen — nicht »macht-materialistisch nach außen [...], expansiv und aggressiv« wie bei der Nazi-Bewegung (Hinein oder hinaus?, 45). Damit die zu erwartende »Volkserhebung« gewaltfrei wird, dürften die GRÜNEN jetzt »nicht verlorengehen«, so Bahro im Dezember 1984. 

»Lassen sie sich kooptieren und werden sie kooptiert, sind sie nachher, wenn der Sturm seine größte Stärke, die Welle ihre volle Höhe erreicht, schon eine Systempartei mehr — besser könnt ihr den Bürgerkrieg und die anschließende Diktatur nicht vorbereiten«, schleuderte er den grünen Delegierten entgegen (ebd., 43; auch abgedruckt in Logik, 389f.).

Bahro griff in seiner Rede einige Politiker und Politikerinnen vom »realpolitischen« Flügel namentlich an und kritisierte in aller Schärfe, »daß sich jetzt bei den GRÜNEN dieser alternative Machtwahn abheben kann. Lest ruhig mal nach, nicht zufällig genau darin, in dieser Gier, sich durch Aufstieg zur politischen Macht zu verwirklichen, gibt es formale Ähnlichkeiten zu den Vorgängen in der aufsteigenden Nazipartei und -bewegung.« (Hinein oder hinaus?, 46; Logik, 395). Vor allem diese Passage löste heftige Reaktionen aus. 

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Der ansonsten nicht gerade zimperliche Joschka Fischer in seiner Stellungnahme auf dem Parteitag: »daß jetzt dieser Vorwurf schon in der eigenen Partei kommt, das ist kein Tiefschlag mehr, sondern das geht an die Wurzel dessen, was ich als grünes Selbstverständnis begreife«. Die Dokumentation der Parteitags­debatte vermerkt an dieser Stelle: »<Bravo>-Rufe, starker Beifall« (grüner basisdienst, Heft 1/85, 74).

In einer <Persönlichen Erklärung> hielt Bahro fest: »Der Wunsch zu kränken hat mich nicht geleitet, der Wunsch zu treffen ja.« Und weiter: 

»Als Joschka mich um Zurücknahme [der erwähnten Passage] bat, habe ich an seiner Stimme gefühlt, wie tief er darin betroffen war. Sagt es dir nicht, daß da auch etwas ist? Zuerst bin ich hier auch immer an die Decke gegangen, wenn ich hörte, ich sei ein Leninist. Es ist das Gran Wahrheit, das einen an die Decke treibt. Ich habe nicht gesagt, daß du ein Nazi bist. Ich habe nicht gesagt, daß die GRÜNEN Nazis sind.« 

Doch: »Wer immer aber in Deutschland eine Volkserhebung will, der muß sich der Erfahrung der zwanziger Jahre stellen.« (Kommune, Nr.1, 18.1.1985,46)

 

Bahros Rede war geprägt von einer religiösen Sprache: »Der Wettlauf mit der Apokalypse kann nur gewonnen werden, wenn dies eine große Glaubenszeit wird, eine Pfingstzeit mit dem lebendigen Geist, möglichst gleichermaßen ausgegossen über alle.« 

Den Realos schrieb er ins Stammbuch: »das ist nicht Reformisten-, das ist Reformationszeit, die jetzt angehoben hat« (<Hinein oder hinaus?>, 43) — und zwar eine Reformation a la Thomas Müntzer, den Ernst Bloch so enthusiastisch als »Theologen der Revolution« gepriesen hatte. 

Der Theologin Antje Vollmer stieß diese Rede sauer auf. Sie erklärte in der Debatte: »Du hast dich auf viele Leute bezogen, die mir auch besonders wichtig sind, auf Thomas Müntzer und auf die Reformation. Mir ist immer nur eins dabei eingefallen, nämlich die Inquisition.« 

Bahro habe »eines wirklich vergessen: Man macht sich nicht selbst zum Propheten, sondern dazu wird man gemacht, indem Leute einem folgen und Vertrauen haben in das, was man sagt. [...] Rudolf sollte lernen, daß in der Religion wirklich auch Opium steckt und daß er im Augenblick in dieser Art von Rausch ist, und er sollte anfangen mit seiner Lebenspraxis.« (grüner basisdienst, 61)

»Traurig und unerträglich« fand der Bremer Jo Müller Bahros Haltung, daß die Fundamentalisten mit ihm zusammen aus der Partei herausgehen sollten. »Ich weiß nicht: Nur dieses Gemisch macht uns doch wirklich attraktiv!« hielt er ihm entgegen (ebd., 48).

Diese Sicht wird in der Rückschau auch von Joscha Schmierer bestätigt: 

»Zwischen 1983 und 1985 gab es eine Situation, in der mir schien, man könne radikale Kritik und Reformpolitik miteinander verknüpfen. Ein Teil dieser Verknüpfung bestand in der Vorstellung, daß bestimmte Personen und Positionen beieinander bleiben können. Das war später vorbei. Danach ist die Fundamentalkritik marginal geworden.« 

Und weiter: 

»Auf der anderen Seite hat sich die Realpolitik völlig <emanzipiert> von fundamentaler Kritik, so daß die Konstellation eine ganz andere wurde. Das Spannungsverhältnis zwischen den beiden Seiten, das die GRÜNEN interessant gemacht hat, ist auseinander­gegangen und damit hat auch jede Seite für sich die Spannung verloren. Als diskursives Kraftfeld kann man die GRÜNEN nicht mehr betrachten. Das elektrisierende Moment ist weg.«

Noch einmal zurück nach Hamburg im Dezember 1984. 

Den mit Bahro im Bündnis befindlichen Ökosozialisten sei dessen Auftritt »peinlich« gewesen, »belastete er sie doch mit dem Ruch einer Radikalität, die sie nun wirklich nicht haben«, bemerkte der <Ökolibertäre> Thomas SchmidZwischen dem Ökosozialismus und Bahros Visionen lägen Welten: »Die Zertrümmerung der <Großen Maschine> und ihre radikal­gewerkschaftliche Exploitation gehen nun wirklich nicht zusammen.« (Kommune, 62)   

Das sah schließlich auch Bahro ein, wenn er in seiner <Logik der Rettung> postulierte: <Ökosozialismus bleibt Exter­minismus.>. (S.401)

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  Von Kurt Seifert 2002