Bahro.Start  Spiegelgespräch-1995

Sagen Sie mal, Rudolf Bahro ... 

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Gespräch mit dem FOCUS-Redakteur M. Klonovsky

Focus-Magazin, Nr. 20/1996

 

 

1) Focus: Höchstens 100 Jahre wollen Sie dem Industriesystem noch geben. Woher nehmen Sie diese ungedeckte Prämisse?

Bahro: Es ist wohl eine Art Verhältnisschwachsinn, daß wir so tun, als wäre da das Wort noch gar nicht gesprochen. Der Schock, den der <Club of Rome> damals ausgelöst hat, scheint vergessen zu sein.

2) ... Dessen Prophezeiungen lagen ziemlich daneben.

In Zeiten, in denen eine grundsätzlich neue Konstellation für die ganze Zivilisation ins Blickfeld rückt, neigt man dazu, die Frist zu verkürzen, und zwar eher aus Hoffnungsgründen.

3) Je schriller die Alarmierung, desto größer die Hoffnung?

Aber die Richtung hat doch gestimmt! Die Überlastung der Biosphäre scheint mir außer Zweifel zu stehen. Mit der gegebenen Flächenverteilung in den reichen Ländern können wir den biologischen Fundus absolut nicht halten, die Artenvielfalt ist bei dem jetzigen Zustand der Zivilisation unrettbar verloren. Dann haben wir das Ozonloch, die Gefahr, daß die Meere steigen wegen der Erwärmung der Atmosphäre, wir werden über Jahrzehntausende mit dem bisherigen Nachlaß der Atomindustrie zu tun haben – da sind so viele Momente im Spiel, die unterm Strich darauf hinauslaufen, daß das, was wir mit der Erde anstellen, nicht gutgehen kann.

4) Es gibt kein Evolutionsprogramm, das sagt, welche Art existieren muß. Ist Artenvielfalt ein Wert an sich?

Das Sterben der Arten macht doch darauf aufmerksam, daß praktisch die biologischen Bedingungen entfallen, unter denen sie sich reproduzieren und unter denen wir selbst geworden sind. Der Mensch macht die Erdoberfläche immer abiotischer. Wir haben uns, besonders in Europa, auf eine zivilisatorische Reise begeben, die zuerst den Kontakt mit der Großen Natur und dann auch noch den zwischenmenschlichen Kontakt abschneidet, uns sozusagen auf den Egoismus reduziert, was mit dem Überwuchern der Verstandeskultur zusammenhängt. Für ein stimmiges Weltbild brauchen wir außer dem Vorderhirn als Verstandesinstanz erst mal das Rückenmark, das Stammhirn und auch das Kleinhirn. In unserer Einseitigkeit vernachlässigen wir die älteren Organe dieses Kontakts, wobei die Folge des Nichtgebrauchs von Organen tendenziell ihre Atrophie ist.

5) Vielleicht ist das ja eine evolutionäre Chance? Warum sollten wir uns denn nicht rausmendeln können aus diesem vermeintlich natürlichen Kontext?

Bahro: Früher, als man noch nicht in Städten lebte, sprach die umgebende Natur noch unmittelbar zu den Menschen. Die konnten noch - den Tieren ähnlich - auf Gefahren reagieren. Je tiefer das eingelassen war im Volk, desto mehr existierte auch ein Gewarntsein gegenüber den Entwicklungen der Moderne, zum Beispiel, was aus der Eisenbahn hervorgehen könnte. Seinerzeit schien das rational völlig unbegründet – heute nicht mehr. Die Warnung kam nicht aus dem Großhirn, sondern aus der Gesamtwahrnehmung, die sagte: Wir gehen zu weit. Ich meine nicht, daß die Verstandesentwicklung zurückgenommen werden müßte, aber es ist eine Frage der Proportionen. Da bedarf es eines Ausgleichs.

6) Und wenn dieser direkte Naturkontakt nur Ohnmacht war?

Bahro: Sie erinnern an ein Aufklärungsmotiv, dem auch bestimmte Realitäten entsprechen.

7) Zum Beispiel, daß Sie trotz Ihrer Leukämieerkrankung noch leben, weil Sie ein Mensch des 20. Jahrhunderts sind.

Bahro: Die moderne Medizin hilft doch zuweilen, etwa auch in meinem Fall, das stimmt. Aber schon vor 2500 Jahren konnte Sophokles sagen: "Vieles Gewaltige lebt, nichts ist gewaltiger als der Mensch.“ Der Aufstieg der Gattung Mensch zeigt, wie relativ das mit der Ohnmacht ist und daß wir damals schon mächtig waren. Es scheint mir, daß diese technische Machtakkumulation im Begriff ist, sich als Pyrrhussieg zu erweisen.

8) Dafür werden wir 70 Jahre alt, haben saubere Seen, und es gab nie so viele gute Weine wie heute.

Bahro: In meinen Augen eine Frage des Noch. In der Bundesrepublik haben wir jetzt elf Prozent unter Beton, und wir haben alle Aussicht, die ganze Erde in diesem Maße zu zerschneiden, wenn wir unser abendländisches Projekt mit zehn oder zwölf Milliarden Erdenbewohnern durchsetzen. Ich will diese kurzfristigen Errungenschaften gar nicht bestreiten, aber wir stören dadurch genau die Gleichgewichte, die die Voraussetzung unserer Gattungsentwicklung gewesen sind.

9) Wir können ja die Erde gegen UV-Strahlung verglasen oder nur noch elektronisch kommunizieren.

Bahro: Sie treiben mit Entsetzen Scherz. Irgendwie steckt ja in dieser ganzen Computerideologie die Illusion, daß der Mensch als dieser Verstand überleben könnte. Bei allen Vorstellungen über "leichte“ Technologien haben wir bisher nicht die geringsten Anstalten getroffen, den materiellen, ernergetischen Druck auf die Erde zu mindern. Die Perspektive der Autoindustrie sind dreimal so viele Autos. Würde man den Chinesen denselben Anspruch zubilligen, dann brauchen die bald 600 bis 700 Millionen Autos. Wir bauen die Technosphäre um leichtere Strukturen aus, aber im ganzen gesehen nimmt sie selbst in den reichen Ländern noch zu. Wenn wir das ausdehnen auf zehn Milliarden Menschen, kann es nur fürchterlich werden.

10) Im "Faust“, aus dem Sie gern zitieren, spöttelt Mephisto: "Wo so ein Köpfchen keinen Ausgang sieht, stellt es sich gleich das Ende vor.“

Bahro: Die Natur hat den Menschen doch nicht darauf angelegt, seinen lebendigen Geist vornehmlich in so einer toten Techno-sphäre auszudrücken, die das Leben abschnürt.

11) Woher wollen Sie wissen, daß die Evolution aufs Biologische beschränkt sein soll?

Bahro: Die Notwendigkeit von Kultur, was Technik einschließt, ist in der Gattung angelegt – aber nicht, daß wir uns diese Einseitigkeit leisten, daß die Produkte unseres Kopfes das Kommando über den zivilisatorischen Prozeß und dann über die planetare Grundlage gewinnen. Der wissenschaftliche Verstand gelangt nicht zur Wirklichkeit als ganzer, wir sind sozusagen immer dabei, mit der Taschenlampe das Universum zu untersuchen. Wir schaffen eine immer größere Technosphäre auf einer endlichen Erde. Heute kann man über dieses Krisenproblem mit fast allen Repräsentanten reden, insbesondere mit denen aus den Aufsichtsräten – die darunter müssen noch managen und daher weggucken -, und eigentlich sind sich alle über die Gefahrensituation weitgehend einig. Aber es passiert nichts.

12) Haben Sie kein Vertrauen in die Intelligenz der Gattung?

Bahro: Ich hege den Verdacht, daß Sie wieder diesen Verstand meinen.

13) Gentechnik, Kernfusion, Solartechnik, Informationstechnologien...

Bahro: Das ist ja gerade diese technische Intelligenz, dieser Werkzeugverstand, überdies an ein Projekt unendlicher Geld- und Machtvermehrung verkauft. Mephisto warnte Faust: "Glaub unsereinem, dieses Ganze ist nur für einen Gott gemacht.“ Wir übernehmen uns, wenn wir der Intelligenz, die uns da hineingetrieben hat, nun zutrauen, sie werde uns wieder zurückholen.

14) Sie sind nicht zufällig katholisch?

Bahro: Nein. Obwohl ich die Erfahrung gemacht habe, daß ich mich mit Katholiken gut verstehe.

14) Wenn das Ganze nur für einen Gott gemacht ist, warum wollen Sie´s dann zwingen?

Bahro: Ich will doch nur, daß wir maßhalten beim Eingreifen.

15) Sie wollen den Faust zurücknehmen?

Bahro: Er muß seine Praxis begrenzen.

16) Aber das abendländische rationalistische Denken würden Sie schon gern zurücknehmen, etwa bis hinter Platon, wie es auch Heidegger wollte?

Bahro: Nur im Sinne der Erfahrung Buddhas: Identifiziert euch nicht mit der Veränderung der Außenwelt, sondern findet zur Großen Natur zurück. Und Heidegger war ja am Ende gar nicht weit von Buddhas Sicht entfernt.

17) Ist es nicht eine groteske Verkennung der menschlichen Natur, zu glauben, man könne den Menschen buddhistisch domestizieren und die Gesellschaft harmonisieren? Schon den Griechen stand Agon, der Wettkampf, über allen Prinzipien.

Bahro: Diese technische Kultur hat in der Tat mit dem Wettstreit patriarchaler Männer und vor diesem Hintergrund verstandesspezialisierter Menschen zu tun. Doch die Fakultät des agonistisch angetriebenen Verstandes ist zum Glück nicht die einzige der menschlichen Psyche. Die Frage ist, ob wir von der Noosphäre her – abgeleitet von nous, dem Geistbegriff des Anaxagoras* – nicht die Möglichkeit haben, damit anders umzugehen. Der Mensch ist herausgefordert, die geistige Dimension seiner Existenz biologisch einzuordnen.

18) Wie soll sich der agonistische Mensch so zurückschrauben? Wohin soll er mit seinen Energien?

Bahro: Wenn wir Menschen uns denn agonistisch verhalten, dann mag es ja sein, daß wir das sublimieren können, etwa auf das Niveau so einer Freundfeindschaft wie zwischen Goethe und Schiller, auf die intellektuelle Ebene. Man konkurriert mit Werken des Geistes, schlägt sich jedenfalls nicht gegenseitig tot.

19) Aischylos mag den einen oder anderen Perser erschlagen haben, Ernst Jünger hat den einen oder anderen Engländer erschossen. Davon abgesehen taugen die wenigsten zum Intellektuellen.

Bahro: Die Dimension, um die es letztlich geht, ist nicht die intellektuelle, sondern die spirituelle.

20) Sie sprechen gar von einer "spirituellen Mutation“. Wie hat man sich die Welt der mutierten Intelligenz vorzustellen: Gruppen meditierender Vegetarier?

Bahro: Meditiation ist nichts anderes als eine vergleichsweise Stärkung der älteren Teile des menschlichen Wahrnehmungsorgans. Sie will die Resonanzfähigkeit mit dem übrigen Leben wiederherstellen, indem sie das Fixiertsein auf die Verstandesbegriffe zeitweilig lockert. Was der Buddha als Technik empfohlen hat, ist bereits ein Versuch der Wiederversöhnung mit dem ganzen Naturzusammenhang. Die erfordert eine bewußtseinsmäßige Konversion.

21) Einerseits scheint für Sie Platon der Anfang aller Übel zu sein, andererseits gefällt Ihnen wohl sein Konzept des autoritären Philosophen-Herrschers...

Bahro: Unzutreffend!

22) Sei´s drum, was würden Sie als Öko-Diktator denn tun?

Bahro: Diese Rolle wäre schon deshalb unannehmbar, weil die Maßnahmen, die ich für notwendig halte, diktatorisch durchgeführt, bloß einen Aufstand hervorrufen würden, der die Sache verzögert.

23) Nur theoretisch: Was für Maßnahmen?

Bahro: Notwendig wären Produktionsverbote und Rationierungen, also Beschränkungen im Zubiß auf die Ressourcen und vor allem bei den Belastungen. Aber das sind Notstandsmaßnahmen, die dann auch nichts mehr retten werden. Was wir uns rechtzeitig einrichten müssen, ist eine Ordnung der Selbstbegrenzung.

24) Sie möchten die Autos abschaffen?

Bahro: Sie kürzen zu sehr ab. Ich will darauf hinaus, daß wir eine Art Oberhaus für unser Naturverhältnis bräuchten. Ohne eine Instanz, die den neuen Konsens verbürgt, greifen keine Maßnahmen. Während es offenkundig ist, daß unser Privatauto für jeden zweiten Kopf kein Standard für die Welt sein kann. Es wäre vernünftig, das zurückzudrehen, und warum sollen nicht die damit anfangen, die es auf die Spitze getrieben haben? Die Leute zu Goethes Zeiten hatten fast ohne alle Errungenschaften der hochgerühmten Moderne auch ihr Pläsierchen, das heißt also, diese Bedürfnisse, die jetzt möglicherweise frustriert werden, sind sehr relativ. Der Mensch braucht kein Auto.

25) Würden Sie bitte zu folgenden Personen jeweils einen Satz sagen: Ernst Jünger.

Bahro: Sein Essay über den ,Arbeiter´ ist geradezu ein Schlüssel zu der Situation, in der wir uns befinden; leider ist er mit der Katastrophe identifiziert, die er darin beschreibt.

26) Jutta Ditfurth.

Bahro: Ein Opfer ihrer Ängste vor den tieferen Schichten des menschlichen Bewußtseins.

27) Kurt Biedenkopf.

Bahro: Er riskiert mit der Seele einen ungeheuren Spagat zwischen der Einsicht in die ökologische Krise, die Notwendigkeit einer Begrenzungsordnung und der täglichen Praxis eines Ministerpräsidenten.

28) Irenäus Eibl-Eibesfeldt.

Bahro: Er weiß zuviel von dem, was den Menschen animalisch bindet.

29) Wenn nun aber der Mensch doch eine Bestie ist, wie Hobbes sagt, und niemals, wie der Prophet träumt, die Löwen neben den Kälbern weiden werden?

Bahro: Die Conditio humana reduziert sich nicht auf diese Schranken. Es hätte Leute wie Buddha, Christus oder Franz von Assisi nicht gegeben, wenn das nicht auch anthropologisch drin wäre.

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