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3  Zartbitterer Alltag

Arbeit der Kontaktstellen gegen sexuellen Mißbrauch 

 

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Gerichtsmedizinische Fotos belegen den sexuellen Mißbrauch: neun Monate alter Junge mit zahlreichen Bißringen im Bereich der Genitalien; achtzehn Monate alter Junge mit Einrissen in der Afterschleimhaut; sieben Monate altes Mädchen mit Hämatomen an der Innenseite der Oberschenkel und oberhalb der großen Labien. Die körperlichen Befunde der mißbrauchten Kinder sind absolut eindeutig, und man muß sich fragen, warum niemand dies als Mißbrauchsspuren erkannt hat oder erkennen wollte: Blutungen, Zerreißungen, Bißspuren im Bereich der Genitalorgane, Blutungen und Einrisse der Afterschleimhaut, Striemen über der Innenseite des Oberschenkels.

Erst 1985 begann die Ärzteschaft in der Bundesrepublik mit Maßnahmen zum Schutz von Kindern vor sexuellem Mißbrauch. Seitdem gibt es eine Reihe von »Ärztlichen Beratungsstellen gegen Mißbrauch an Kindern«, so auch seit 1988 die »Kinderschutzambulanz« in Düsseldorf. Das Team dieser Einsatzstelle arbeitet eng mit dem Jugendamt, dem Kinderschutzbund und den Sozialdiensten zusammen. Sobald ein Notruf in der »Kinderschutzambulanz« eingeht, nimmt ein dort angestellter Sozialarbeiter mit einem Kollegen vom zuständigen Jugendamt Kontakt auf. Kommt das Kind in die Ambulanz, so wird es zuerst ärztlich untersucht.

Das »Geheimnis« des mißhandelten und sexuell mißbrauchten Kindes wird von den Therapeuten der »Kinder­schutz­ambulanz« im Spieldiagnostikzimmer langsam aufgedeckt. Durch das Spielen mit einem Puppenhaus kann der sexuelle Mißbrauch von Kindern nachvollzogen werden. Die Art und Weise, wie die Kinder mit den anatomisch korrekten Stoffpuppen umgehen, gibt den Therapeuten Aufschluß darüber, was zwischen dem Kind und dem Mißbraucher passiert ist.

Auch Ursula Enders von »Zartbitter« in Köln bestätigt uns, daß zum Beispiel Stoff- oder Plüschtiere den Kindern bei ihrer Schilderung des Mißbrauchsgeschehens helfen. Die Kinder lassen die Tiere erzählen. So nahm ein kleiner Junge die Spinne und sagte immer wieder, jetzt spielen wir »ficken, picken, picken«. Dieser Junge wurde von seiner Mutter mißbraucht. Ein kleines Mädchen war mit achtzehn Monaten mißbraucht worden. Es konnte nicht mehr sprechen, hatte einer Puppe den Mund rundherum schwarz angemalt, die Naht zwischen den Beinen aufgerissen, die Füllung herausgeholt und gesagt: »Baby, aua, aua.« (ZDF-Dokumentation, 24. 9. 1991, 19.30 Uhr)

Die Therapeuten der »Kinderschutzambulanz« in Düsseldorf arbeiten zusätzlich mit einem sogenannten Sceno-Spielbaukasten. Ein typisches Bild für den Therapeuten: Das Kind setzt sich selbst in eine Ecke, isoliert, mit Figuren, die ihm sympathisch sind. Die Mutter weit weg, meist als Kuh, von der es nicht beschützt werden kann. Der Schädiger in der anderen Ecke als Krokodil, das die Bedrohung verkörpert. Zwischen Kind und Krokodil ein Fuchs — die ständig lauernde Gefahr. Das Spieldiagnostikzimmer der Düsseldorfer »Kinderschutzambulanz« ist besonders für sexuell mißbrauchte Kinder eingerichtet. So gibt es keinen Stuhl für Erwachsene in diesem Raum. Es ist wichtig, daß der Therapeut sich mit dem Kind auf einer Augenebene befindet und somit nicht bedrohlich erscheint. Die Puppenstube gibt dem Kind die Möglichkeit, zu spielen, was es zu Hause erlebt.

Eine Therapeutin erzählt uns, daß der Mißbrauch häufig im Badezimmer oder in der Toilette passiert. Deswegen befinden sich das Badezimmer und die Toilette in dem Puppenhaus an exponierter Stelle. Anatomisch korrekte Puppen geben dem Kind ebenfalls die Möglichkeit, mit seinem Problem in spielerischer Weise umzugehen, darzustellen, was passiert ist. Sehr oft stelle, so erklärt die Therapeutin, ein vier- oder fünfjähriges Kind — Mädchen wie Junge — ganz eindeutig den Geschlechtsakt dar. Die Art und Weise, wie sich das Kind mimisch dabei verhält, und seine verbalen Äußerungen geben Aufschluß darüber, ob es angstbesetzt ist oder nicht. Seine Verhaltensweise bildet die Grundlage für das weitere Vorgehen. Ziel der Arbeit in der Düsseldorfer »Kinderschutzambulanz« ist es, die Familien soweit wie möglich zu erhalten. (ZDF, Mona Lisa, 31.7.1991, 18.10 Uhr).

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   Die Beratung von Mädchen und Jungen   

 

Opfer von sexueller Mißhandlung berichten immer wieder, daß sie versucht hätten, über die Vorfälle zu reden, daß ihnen aber niemand Glauben geschenkt habe. Ihre Aussagen wurden als »Kinderphantasien« abgetan (siehe »Der Fall Gerlinde«). Hilfe finden betroffene Kinder und Erwachsene in Institutionen, die sich aus Selbsthilfegruppen entwickelt haben, wie zum Beispiel »Wildwasser« oder »Zartbitter«.

Mitarbeiterinnen von »Wildwasser« berichten, daß insbesondere die kleinen Kinder meist nicht sagen könnten, was der Täter mit ihnen gemacht habe, und daß die größeren Kinder sich dem Vater (wenn er der Täter ist) gegenüber loyal verhielten (siehe auch »Der Fall Peter« oder »Der Fall Myriam«); sie fühlten sich für sein Verhalten verantwortlich und bewahrten so das Geheimnis.

Durch einfühlsame Gespräche und in einer weiterführenden Spieltherapie wird den Mädchen in einer solchen Anlaufstelle geholfen, mit dem Loyalitätskonflikt und dem Mißbrauch fertig zu werden. Besonders wichtig ist die Bearbeitung der Schuld- und Schamgefühle des Kindes. Die Gefühlswelt des Kindes muß durch die Klärung der Gefühle zur Mutter und zum Täter in Ordnung gebracht werden, und natürlich muß das eigene Selbstwertgefühl des Kindes gestärkt werden. In »Konfliktspielen« lernen die Mädchen, ihren Körper zu achten und damit Grenzen des Erlaubten für die Zukunft zu setzen.

Wie Myriam uns erzählte, hat sie das Geheimnis des sexuellen Mißbrauchs bis zu ihrer Volljährigkeit bewahrt. Für die Selbsthilfeorganisationen ist das ein typischer Fall. Sollte die Mutter mit zur Beratung kommen, so wird ihr eine eigene Beraterin zugewiesen. Dadurch entsteht in dem Mädchen nicht das Gefühl, die Mutter könnte vertraulich Berichtetes wiedererfahren.

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Wichtig für alle Beratungsgespräche ist es, den Kindern zu glauben, doch ist danach jede voreilige Maßnahme zu vermeiden. Auf keinen Fall darf der Täter zu früh Kenntnis davon erhalten, daß sich das Opfer jemandem anvertraut hat. Es würde noch stärker zum Schweigen gezwungen. Wenn die Therapeuten ärztlicher Beratungsstellen von sexuellem Mißbrauch erfahren, gehen sie nach sorgfältiger Planung vor und sprechen sich mit Ärzten, Juristen, Richtern und Sozialarbeitern ab. Das Offenlegen des sexuellen Mißbrauchs löst bei den Tätern eine Krise aus, die aufgrund des Mangels an eindeutigen Handlungs­konzepten oder hilfreichen therapeutischen Programmen nicht aufgefangen werden kann. Noch vor der Offenlegung müssen alle Vorkehrungen getroffen werden, daß das Opfer im Notfall aus der Familie herausgeholt werden kann, um vor Sanktionen von seiten des Täters geschützt zu sein.

 

Kinder haben Angst, offen über den Mißbrauch zu reden. Paradoxerweise stehen gerade schwer mißhandelte Kinder oft besonders loyal zu den Mißbrauchern. Sie wollen, wenn es der eigene Vater ist, diesen nicht verlieren, denn oft ist er der einzige, der so etwas wie »Zuneigung« vermittelt. Die Preisgabe des Geheim­nisses, die Verletzung des Tabus, ist außerdem für das Kind mit einer schweren Straf­androhung verbunden, der Täter hat es ständig zur Geheimhaltung gezwungen. So kann es ohne weiteres vorkommen, daß ein Kind den soeben gestandenen Mißbrauch wieder leugnet. Therapeuten, Ärzte, Lehrer und Kinder­gärtner­innen sollten, wenn sie mit sexuellem Mißbrauch konfrontiert werden, diese Bedrohung offen ansprechen und dem Kind zu verstehen geben, daß sie wissen, warum es nicht über die Mißhandlung reden kann. Hilfreich ist es oft, wenn die Gespräche in Anwesenheit einer Person, der das Kind vertraut, stattfinden. Die Anwesenheit der Mutter kann dabei auch hinderlich sein, dann nämlich, wenn das Kind nonverbale oder verbale Botschaften erhält, das Geheimnis zu bewahren.

Hat sich der Verdacht auf sexuellen Mißbrauch bestätigt, so gilt es, das betroffene Kind vor weiteren Übergriffen zu bewahren. Damit das gelingt, sollte jede Intervention gründlich geplant werden, um die Situation des Kindes nicht zu verschlimmern.

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Vorab muß geklärt werden, wer (Arzt, Sozialarbeiter, Polizei oder Justiz) mit den Eltern reden wird. Vor einer solchen Krisenintervention sollte ein richterlicher Beschluß vorliegen, der es ermöglicht, das Kind aus der Familie zu nehmen und so den Mißbrauch sofort zu stoppen. Polizei und Sozialamt sollten im Interesse des mißbrauchten Kindes genauestens informiert werden. Versucht ein Arzt zum Beispiel im Alleingang, in der Familie die Mißhandlung zur Sprache zu bringen, so kann die Familie nach der ersten Krise den Mißbrauch wieder leugnen und das Kind zum absoluten Schweigen zwingen. Der Mißbrauch könnte dann fortgesetzt werden, ohne daß eine rechtliche Handhabe besteht, dagegen einzugreifen.

Schwierig wird es auch für die betroffenen Kinder, eine körperliche Untersuchung über sich ergehen zu lassen. Gut geschulte Arzte sollten diese Untersuchung vornehmen, und es sollte inzwischen selbst­verständ­lich sein, daß bei kleinen Mädchen nur Ärztinnen und weibliches Personal anwesend sind. Es sollte geklärt werden, wer das Kind ab jetzt ständig betreut, wo es unterkommen kann, wenn eine Fremdunterbringung notwendig wird.

Die Beratungsgespräche sollten dem mißhandelten Kind helfen, sich verbal über die Mißhandlung zu äußern, es sollte sexuell so aufgeklärt werden, daß es begreift, was »normale Sexualität« bedeutet. Dem Kind muß die Fähigkeit vermittelt werden, nein zu sagen, also selbständig Entscheidungen zu fällen, die auch Erwachsene in ihre Grenzen verweisen. Das Kind sollte das Gefühl der Machtlosigkeit verlieren und ein Empfinden für den eigenen Raum entwickeln.

Es empfiehlt sich auch eine Gruppentherapie mit Kindern. Ähnlich wie bei Erwachsenen kann dadurch eine Isolation verhindert werden. Die therapeutische Behandlung des Kindes allein und ohne eine begleitende Familientherapie ist dagegen nicht sinnvoll.

 

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Der Kontakt zu den Tätern

 

Je besser die jeweilige Institution, die das Opfer betreut, den Mißbrauch dokumentiert und mit Fakten unter­mauert, desto größer ist die Chance, daß der Täter gesteht. Täter leugnen und spielen den Tatbestand Angst immer herunter.

Wenn der Täter sich innerhalb der Familie befindet, sollte die gesamte betroffene Familie, also alle Kinder mit Eltern und Großeltern, mehrere Gespräche mit den betreuenden Therapeuten führen, um die bisherige Geheim­haltung des Mißbrauchs ganz offensichtlich zu durchbrechen. Die Fakten des Mißbrauchs müssen auf den Tisch. Außerdem sollte vorbehaltlos über die unmittelbare Zukunft der Familie, zum Beispiel eventuelle Trennungen, gesprochen werden, und die Vereinbarungen über weitere Kontakte zu den Thera­peuten und Beratungsstellen sollten jedem Familienmitglied bekannt sein. Alle Aussagen, die von den verschiedenen Beteiligten gegenüber Ärzten, Polizei, Sozialarbeitern oder Therapeuten gemacht wurden, sollten in einem Familiengespräch wiederholt werden. Das Opfer sollte also von dem Täter hören, daß der Mißbrauch ein Faktum ist, für das der Täter auch die Verantwortung übernimmt.

Die Umstände der Mißhandlung sind zu klären, es muß ausdrücklich festgehalten werden, wo die Mißhandlung stattgefunden hat und wo sich die übrigen Familienangehörigen währenddessen befanden. Es muß geklärt werden, ob der Täter in der Familie bleibt oder ob er sie verläßt. Es sollte offen über die Trennung in der Familie geredet werden. Niemals sollte ein Opfer nach der Offenlegung des Mißbrauchs mit dem Täter zusammenleben. Denn aller Wahrscheinlichkeit nach wird ein Täter das Opfer erneut unter Druck setzen und zum Schweigen bringen. Therapeuten und Ärzte haben oft erlebt, daß Kinder, Väter und Mütter den Mißbrauch zugegeben haben, ihr Geständnis aber am nächsten Tag zurücknahmen. Die Täter gaben an, sie hätten das Geständnis unter Druck gemacht, Mütter und Kinder behaupteten, sie hätten gelogen. Täter und Opfer sollten so lange getrennt werden, bis die Gefahr des wiederholten Mißbrauchs ausgeschlossen werden kann.

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Die Schwierigkeiten für Erzieher und Pädagogen, Kinder zu schützen

 

Neben den Müttern sind es meist die Erzieherinnen, die von den Kleinkindern geliebt werden. Diesen Vertrauens­personen erzählen sie meist auch, was sie auf dem Herzen haben. Sexuell mißbrauchte Kinder wählen aber meist nicht den direkten Weg, sondern sie senden über ihr gestörtes Verhalten Signale aus, die allerdings von den Erziehern nicht immer verstanden werden.

Erzählt ein kleines Mädchen im Kindergarten von seinem »Geheimnis mit dem Onkel«, so muß eine Erzieherin mit Ruhe darauf reagieren, denn sonst könnte dem Kind der »Verrat« bewußt werden. Kontakt­personen wie Erziehern, Lehrern oder Ärzten ist größte Behutsamkeit anzuraten. Sobald die Täter Wind bekommen, ist das Opfer in einer doppelt schlimmen Lage. Helferinnen und Erzieherinnen fehlt oft der Mut, dieses heiße Eisen anzupacken. Wie sollen sie auch in einem betriebseigenen Kindergarten (in diesem Fall einer großen deutschen Fernsehanstalt angeschlossen) vorgehen, wenn sie sexuellen Mißbrauch an einem vierjährigen Mädchen vermuten und die Eltern angesehene Mitarbeiter sind, das Jugendamt aber zur Antwort gibt, es brauche Beweise, bevor ein Einschreiten möglich sei?

Wie diese Beweise gesichert werden können, das lernen die Erzieherinnen während ihrer Ausbildung leider nicht. Selbsthilfeorganisationen wie »Wildwasser« in Wiesbaden veranstalten aus diesem Grund spezielle Seminare für Erzieherinnen, in denen die Wahrnehmungsfähigkeit geschult wird, damit die verbalen und nonverbalen Äußerungen mißbrauchter Kinder — zum Beispiel in Spielsituationen und Zeichnungen — verstanden werden.

Äußern Pädagogen gegenüber einer Selbsthilfeorganisation den Verdacht, daß Schüler sexuell mißbraucht werden, so erarbeiten Beraterinnen mit ihnen die Möglichkeiten der Beweisfindung. Pädagogen lernen die Gesprächsführung mit betroffenen Eltern, und die Konsequenzen ihres Eingreifens werden ihnen verdeutlicht, das heißt, sie sollten nach der Offenlegung in der Familie für den Schutz des Kindes sorgen.

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Der sexuelle Mißbrauch gehört nicht zu den Ausbildungsthemen des Pädagogikstudiums. Wer sollte auch ein Interesse daran haben, bei zukünftigen Pädagogen ein Problembewußtsein zu schaffen?

Die Lehrerin, Psychologin und engagierte Kinderschützerin in Großbritannien, Michele Elliott, hat sich der Themen sexueller Mißbrauch, Drogen und Alkohol in ihrem Buch »So schütze ich mein Kind vor sexuellem Mißbrauch, Gewalt und Drogen« angenommen. Der praktische Ratgeber für Eltern und Erzieher führt Möglich­keiten der Kinder auf, sich vor sexuellem Mißbrauch zu schützen, und leitet die Erwachsenen zum richtigen Verhalten im Falle einer solchen Mißhandlung an.

 

Die Weiterbildung von Erziehern, Pädagogen,
Therapeuten, Ärzten, Juristen und Sozialarbeitern

 

Eine Aus- und Weiterbildung auf breiterer Basis gibt es nicht. Institutionen wie »Zartbitter« oder »Wildwasser« versuchen zumindest, das an Erfahrungen weiterzugeben, was für die Erzieher, Pädagogen, Juristen, Polizisten und Sozialarbeiter wichtig und notwendig ist, denn die Angst, die Familie auseinander­zureißen, das Kind in ein Heim geben zu müssen, jemanden eventuell zu Unrecht zu beschuldigen, verhindert häufig entschlossenes Handeln.

»Wildwasser« Wiesbaden bietet neben Supervisionen für Mitarbeiter im Sozialdienst, die einen Verdacht auf sexuellen Mißbrauch klären sollen, auch eintägige Seminare für Fachfrauen an. Ziel ist es, über die Problematik umfassend zu informieren und dafür zu sensibilisieren. Anzeichen, Dynamik und Folgen sexueller Gewalt sollen erkannt sowie Interventionsschritte zur Beendigung sexueller Gewalt geplant werden können.

Im Grundlagenseminar sollen die eigene Wahrnehmung geschärft, eigene Unsicherheiten bearbeitet, der eigene Handlungsspielraum verdeutlicht sowie die praktischen Handlungsschritte im Umgang mit Mißbrauchten erarbeitet werden.

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Darauf aufbauend werden weitere Seminare zu folgenden Themen angeboten:

Arbeit mit betroffenen weiblichen Jugendlichen im Heim
Anhand konkreter Situationen sollen Zugänge zum Verständnis der psychodynamischen und psycho­sozialen Situation der Jugendlichen sowie Möglichkeiten des pädagogischen Handelns erarbeitet werden. Dabei geht es insbesondere um schwer verstehbare Verhaltensweisen der Jugendlichen, etwa Lügen, Sexualisierung von Beziehungen, Weglaufen. Außerdem werden Fragen der Zusammenarbeit mit Jugendämtern, den Eltern bzw. der Mutter sowie mit Therapeutinnen besprochen.

Umgang mit Verdacht auf sexuellen Mißbrauch im Kindergarten
In diesem Seminar sollen speziell Erzieherinnen dafür sensibilisiert werden, die Signale ihrer Schützlinge zu verstehen, die auf sexuellen Mißbrauch deuten. Erwünscht ist, daß die Teilnehmerinnen eigene Fälle aus der Praxis vorstellen, an denen Möglichkeiten erarbeitet werden, einen Verdacht zu erhärten und den Mißbrauch abzustellen.

Präventationsarbeit in Schulen
Lehrer begegnen in jeder Klasse Kindern und Jugendlichen, die sexuell mißbraucht werden oder wurden. Die Pädagogen werden auf ihre Aufgabe vorbereitet, Schülerinnen und Schüler über sexuelle Gewalt aufzuklären. Besteht ein Verdacht auf sexuellen Mißbrauch einer Schülerin oder eines Schülers, so ist eine Lehrkraft, die dieses Kind unterstützen will, meist mit einer großen Anzahl emotionaler, psychologischer, organisatorischer und juristischer Fragen konfrontiert, auf die sie nicht vorbereitet ist.

 

Eines der Ziele dieses Seminars ist es, die emotionale Betroffenheit des Lehrers oder der Lehrerin verarbeiten zu helfen. Die Pädagogen werden sich der komplexen Konflikte, die bei der Unterstützung eines Schülers oder einer Schülerin auftreten können, bewußt. Es werden Handlungsschritte und Lösungsansätze gemeinsam erarbeitet und Informations­materialien für den Umgang mit der Entdeckung von sexueller Gewalt in der Schule erstellt.

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Weitere Themen der »Wildwasser«-Seminare sind »Besonderheiten und Probleme in der therapeutischen Arbeit mit betroffenen Frauen«, die »Mütter-Arbeit«, die »Therapeutische Arbeit mit kleinen Mädchen« und eine sehr viel detailliertere »Interventionsplanung bei Vorliegen von sexuellem Mißbrauch«, als sie im Grundlagenseminar vermittelt wird; Vertreter der Polizei, der Staatsanwaltschaft und des Jugendamtes werden hier einbezogen.

Einschränkend ist zu diesem Seminarangebot zu sagen, daß sich in den Räumen von »Wildwasser« nur Frauen treffen können. Die Mitarbeiterinnen dieser Selbsthilfeorganisation sind aber bereit, außerhalb ihrer eigenen Räume Interessierte zu informieren. (Die Adresse finden Sie im Anhang.)

Bei »Zartbitter« in Köln standen bisher alle Veranstaltungen Frauen und Männern offen. Das galt für 1991. Für 1992 kann leider gar nichts mehr an Fortbildung angeboten werden, da weder Gelder noch die dazu­gehörigen Stellen bewilligt wurden. Diese Beratungsstelle hat in den letzten Jahren durch ihre Auswertung exemplarischer Einzelfälle und über die Weitergabe ihrer Arbeitsergebnisse im Rahmen von Fortbildungen einen wesentlichen Beitrag zur Entwicklung von Konzepten der Hilfe für Opfer sexueller Gewalt geleistet. Es stellt sich die Frage, warum diese Kontaktstelle finanziell und personell nicht unter­stützt werden soll, warum die Arbeit von »Zartbitter« nicht erwünscht ist.

Auch die Mitarbeiter der Selbsthilfeorganisation »Wendepunkt« in Freiburg, die bisher Fortbildungs­veran­staltungen anboten, sind schlicht überfordert. Eine halbe Sozialpädagogenstelle wird von der Stadt finanziert, und pro Jahr gibt es eine Unterstützung in Höhe von fünftausend Mark. Daß die Zahl derer, die hier um Hilfe nachsuchen, in den letzten Monaten um einhundert Prozent gestiegen ist, interessiert niemanden bei den entsprechenden Ministerien und Behörden.

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Fazit: Die finanzielle und personelle Ausstattung der wenigen Beratungs- und Anlaufstellen bei sexuellem Mißbrauch entspricht nicht den Erfordernissen. Was wollen Politiker mit den Streichungsmaßnahmen erreichen? Daß man nicht mehr über sexuellen Mißbrauch diskutiert, geschweige den Opfern und Tätern geholfen wird? Sind die deutschen Abgeordneten nur noch in der Lage — ob in den Ländern oder im Bund —, ihre eigenen Diäten zu erhöhen? Warum verschließen die sogenannten »Entscheidungsträger« ihre Augen vor der Realität?

Es sind dringend ganz konkrete Beratungs- und Unterstützungsangebote erforderlich, und zwar flächen­deckend für die Bundesrepublik, um im einzelnen Fall ganz konkret Hilfe leisten zu können. Darüber hinaus brauchen wir eine Erziehungsanleitung für Eltern und ein Unterstützungsprogramm speziell für Mädchen, das sie in der Entfaltung ihrer Persönlichkeiten und in der Wahrnehmung persönlicher Rechte stärkt, ein Programm, durch das das weibliche Kind lernen kann, sich selbst als schützenswert anzusehen.

Und wir brauchen ein entsprechendes Angebot für Jungen, das sogar die Funktion der Täterprävention haben könnte, wenn es gelänge, die Jungen nicht nur in der Wahrnehmung ihrer persönlichen Rechte und Pflichten zu ihrem eigenen Schutz zu stärken, sondern sie außerdem zu einer Einstellung zu führen, die von der Achtung vor dem Mitmenschen und seinen Grenzen geprägt ist.

Wir brauchen dringend eine bessere Ausbildung für Sozialarbeiter, Erzieherinnen und Pädagogen. Daß Ärzte, Juristen und Polizisten sich ebenfalls anders mit dem Thema »Gewalt« auseinandersetzen müßten als bisher, ist ihnen weitgehend selbst klar. Die Initiative, etwas zu verändern, kann aber nur aus den jeweiligen Berufsgruppen kommen. Der Staat oder die im Moment an verantwortlicher Stelle Tätigen sind nicht ausreichend dazu in der Lage, das Thema Gewalt oder sexuelle Gewalt adäquat anzugehen oder auch nur das Ausmaß wahrzunehmen.

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Erkennungsmerkmale der Täter

Ursual Enders, Mitarbeiterin von »Zartbitter« in Köln, ärgert es mittlerweile, daß immer nur auf die Kinder gesehen und gefragt würde, woran der Mißbrauch bei ihnen zu erkennen sei, denn damit ruhe die gesamte Beweislast auf den Schultern der Opfer. Es wird Zeit, daß wir uns mit den Tätern beschäftigen. Ursula Enders trifft sich mit ihnen, um zu erfahren, wie sie aussehen, wie sie wirken, wie sie sich verraten. »Täter geben Hinweise. Sie sind dummdreist. Sie wiegen sich so in Sicherheit, daß wir ihnen nur auf die Finger schauen müßten. Täter machen <Geschenke>.« 

Ursula Enders fragt inzwischen, wenn Betroffene zu »Zartbitter« kommen, wer ihnen die erste Dauerwelle geschenkt, wer die ersten Liebesbriefe geschrieben habe. Aber die Täter machen auch Geldgeschenke. Und Täter geben ganz gezielt Kontaktanzeigen auf, wie zum Beispiel »Frau mit Kind angenehm«. Täter geben sich Frauen gegenüber unverfroren, machen Bemerkungen wie »in unserer Familie bin ich der Hengst, da soll mal jemand an meine Tochter packen« oder »meine Kinder gehören mir«. Ursula Enders wünscht sich, daß Frauen mutig genug wären, dem Täter endlich offen ins Gesicht. zu sehen und zu sagen: »Dein Verhalten macht deutlich — du bist ein Täter.« (ZDF-Reportage, 24.9.1991, 19.30 Uhr)

Das Verhalten, das Motiv eines Täters, ob männlich oder weiblich, ist letztlich eindeutig: Es geht schlicht um die Ausübung von Macht. Und auch wenn sie ihre Spuren gut verwischen, kann man Täter aufgrund ihres Verhaltens erkennen.

Ray Wyre und Anthony Swift berichten in ihrem Buch »Und, bist du nicht willig... Die Täter«: Ein Magazin für Pädophilie in England weise darauf hin, daß sich der Kontakt zu Kindern am leichtesten an Orten oder bei Aktivitäten herstellen lasse, die

»euch beide interessieren, zum Beispiel in Spielhallen; Kinder merken, ob du dort herumläufst, weil du Sex suchst oder weil du spielst. Das gleiche gilt für Sport und Sportveranstaltungen. Kinder lernst du überall dort kennen, wo du gerne hingehst, und vor allen Dingen hast du dann auch das Recht, dort zu sein. Deine Nachbarschaft zum Beispiel: Du hast das Recht, dort herumzulaufen, mit den Leuten zu sprechen und herauszufinden, wer sie sind. (...) Es ist auch immer gut, die Eltern kennenzulernen. Vielleicht kannst du babysitten oder mit den Kindern irgendwo hingehen, wo sie gerne hinmöchten.«

Weiter heißt es:

»Wenn ein Mann über ein Kind den Kontakt zu einer Familie herstellt, sollte uns das mißtrauisch machen. Das gleiche gilt für jeden, der seine Zeit mit Kindern verbringt und bestrebt ist, mit ihnen allein zu sein, ohne einen sehr guten Grund dafür zu haben, oder der sich ungewöhnlich für Kinder interessiert.«

Wyre und Swift warnen vor Männern, die Kinder — auch in Gruppen — nach Hause zu sich einladen. Und ohne »paranoid« zu werden, sollte man auch auf Verwandte, Freunde, Bekannte achten, die regelmäßig versuchen, mit Kindern allein zu sein.

Doch noch wichtiger sei es, darauf zu achten, wie die Kinder sich diesen Menschen gegenüber verhielten. »Wie sehen sie einem Besuch dieses Menschen entgegen? Wie verhalten sie sich in seiner Gegenwart und wie, wenn er gegangen ist? Vielleicht graut dem Kind vor Onkel Georgs Besuch, aber es hat niemanden, mit dem es darüber reden könnte.« (Wyre / Swift, »Und bist du nicht willig... Die Täter«, S. 83 f.)

Wir alle müssen lernen, die Gewalt zu sehen und konsequent zu handeln, auch wenn es unsere eigene Lebenssituation drastisch verändern sollte. Warum genießen die Täter immer noch einen solchen Schutz? Aus Angst vor Schande oder vor wirtschaftlichen Folgen? Aus Furcht, selbst angegriffen zu werden? Warum verschließen wir uns vor den Tatsachen? Wie lange noch wollen wir Gewalt in unserer Umgebung ignorieren?

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