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9. Die Täter und die Therapie

 

 

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Den Sexualstraftäter, der sich von selbst an eine Beratungsstelle wendet, gibt es selten. Dieser Schritt würde einen Reifegrad voraussetzen, über den er eben meist nicht verfügt.

Für eine wirksame Unterstützung des Sexualstraftäters, der sich aus seiner Situation befreien will, sind zwei Dinge Voraussetzung: die Einsicht in die eigene Verantwortung für die begangenen Taten und die Fähigkeit zur Betrachtung des Mißbrauchs aus der Sicht des Opfers. Ohne dieses Bewußtsein gibt es keine Möglichkeit zur Hilfe.

Eine der wenigen Stellen in der Bundesrepublik, die sich mit Sexualstraftätern beschäftigen, ist die der Arbeiterwohlfahrt angeschlossene Beratungsstelle für Haftentlassene in Düsseldorf. Raimund Hompesch betreut hier seit zehn Jahren Täter von sexuellen Gewaltdelikten. Er ist der Meinung, daß sie keine spezielle Therapie, keine »Sexualtherapie«, benötigen. Die »psychotherapeutische Spezialkastration« sei der Wunschtraum von Außenstehenden als Verfahren, mit dem man diesen Menschen helfen könne. Dieses »Zaubermittel« gibt es nicht, aber die Täter sind über dieselben Formen des therapeutischen Angebots erreichbar, das man Delinquenten aus anderen Strafbereichen auch macht. Entscheidend ist die Aufarbeitung der zugrundeliegenden Persönlichkeitsstörung.

»Da der Hintergrund der meisten Sexualstraftaten in psychodynamischen Konfliktstrukturen des Täters zu lokalisieren ist, ist eine Veränderung des devianten Verhaltens auf Dauer nur dann wahrscheinlich, wenn diese persönlichkeits­bezogenen Grundlagen der Tat aufgedeckt, wahrgenommen und zum Beispiel durch einen therapeutischen Prozeß bearbeitet bzw. behandelt werden.« (Hompesch u.a., »Thesen zur Sicher­stellung von Therapieangeboten für inhaftierte Sexualstraftäter«, P. 1)

Die Täter können sich in der Regel nichts unter einer Therapie vorstellen; darunter, was es bedeutet, sein Wahrnehmungsspektrum zu vergrößern, die eigene Empathie — sich in einen anderen einfühlen zu können — zu steigern, Grenzen klarer ziehen zu lernen. Es fehlt ihnen die Fähigkeit, die eigenen Grenzen und die anderer Personen klar zu trennen; so können viele auch das eigene Empfinden von dem anderer nicht unterscheiden, sondern gehen davon aus, daß das Gegenüber dasselbe fühlt wie sie selbst.

Der Ausstieg aus dem Täterdasein fängt erst dann an, wenn der Täter lernt, die Verantwortung für seine Tat zu übernehmen. »Ein Täter, den ich behandelte, beschreibt auf treffende Weise, wie sich seine ganze Persönlichkeit um diese Verleugnung herum gebildet (sogar umgebildet) hat. Er ist damit sozusagen verwachsen, tut nichts anderes, als die Spuren zu verwischen. Niemand darf zum Beispiel entdecken, ob er Kaffee getrunken hat oder nicht. Sein ganzes Verhalten ist darauf gerichtet, fortwährend ein Alibi zu haben. Alles steht im Zeichen des großen Geheimnisses, das heißt: sexueller Mißbrauch soll verborgen bleiben. Für die Behandlung ist darum ein Geständnis oder zumindest ein Teilgeständnis notwendig, um überhaupt in die Phase der Anerkennung der Tatsache und damit in die Anerkennung des Opfers überzugehen.« (R. Bullens, a.a.O., S. 65)

Ruud Bullens sieht sogar im »Zeitgeist« ein Alibi für die »geleugnete Anerkennung«: »Oft geht es hier um Täter mittleren Alters, die auf die sexuelle Revolution der sechziger Jahre hinweisen: >nichts muß, alles darf<, sagte man in Holland. In manchen Fällen wissen die Täter noch haargenau die Artikel zu nennen, in denen beschrieben wurde, wie herrlich die Nichte (acht Jahre alt) es fand, wenn sie vom Onkel (dreißig Jahre alt) betastet wurde. Die Sexualmoral der sechziger Jahre wird oft als Argument für den Mißbrauch genannt.« (R. Bullens, a.a.O., S. 62)

Eine Steigerung der Verleugnung ist dann gegeben, wenn die Täter ihre Tat idealisieren. Der Mißbrauch wird dann als positive Kontaktaufnahme interpretiert. »So beschreibt ein Täter das Verhältnis, das er jahrelang mit seiner Tochter gehabt hat, als >die beste Ehe, die er je innerhalb der Familie hätte schließen können<. Auf romantische Art erzählt er von der Bedeutung, die seine Tochter für ihn habe und die er - selbstverständlich - wohl für seine Tochter haben müsse.

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Seine Sehnsucht nach ihrer Liebe wurde auf sie projiziert und danach von ihm in einer idealisierten Form auf sich selbst zurückreflektiert: er wurde zum Gefangenen seiner eigenen Sehnsucht.« (R. Bullens, a.a.O., S. 61 f.)

Die schlimmste Form der Verdrängung bildet das Phänomen der Abspaltung, das heißt der Spaltung zwischen Körper und Geist, wodurch der Realitätssinn gestört wird. So gelingt es den Tätern, den Mißbrauch zu vergessen. »Bestenfalls wird ein Täter die Verantwortung für sein Handeln auf sich nehmen, indem er aus kognitiven Gründen bestätigt, daß es >wohl geschehen ist, wenn das Opfer es so behauptete« (R. Bullens, a.a.O., S. 63)

Die Therapie bietet dem Sexualstraftäter Hilfe dazu an, beziehungsfähig zu werden und selbstverantwortlich zu leben. Häufig lernt er erst, seine Verleugnung aufzugeben, wenn das eigene Trauma verarbeitet wird. Er entwickelt Verständnis für die Bedürfnisse des mißbrauchten Kindes und seiner Mitmenschen allgemein; so lernt er, in anderen Personen nicht länger Objekte zur eigenen Wunscherfüllung zu sehen, sondern sie als eigenständig mit einem Recht auf Abgrenzung zu achten.

 

Ein Behandlungsmodell

 

Der Täter, der aus einer gehobenen Gesellschaftsschicht kommt, wird eher einen Therapieplatz bei einem niedergelassenen Psychologen finden als der Täter, der einer niedrigen sozialen Schicht angehört. Viele Therapeuten geben sich jedoch nicht gern mit einem solchen »Schmuddelkram« ab. Das übliche Arzt-Patienten-Verhältnis scheint es beim sexuellen Mißbrauch nicht zu geben. »Abscheu und Widerstand gegen die Arbeit mit Tätern beherrscht heute noch den größten Teil der Therapeuten. (...) Hilfeleistung wird nur dann gewährt, wenn der Beteiligte selbst solche verlangt. Und da Täter gewöhnlich leugnen, bagatellisieren, unmotiviert sind und die Hilfeleistung deswegen als Verpflichtung stattfinden soll, betrachten die jeweiligen Therapeuten sich als Verlängerungsarm der Justiz, was als ein nicht zulässiger Grenzübertritt im Hinblick auf die eigene Behandlungsethik dargestellt wird.« (R. Bullens, a.a.O., S. 67 f.)

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Die Identifikation des Therapeuten mit Richtern und Staatsanwälten schließt eine Hilfeleistung für Täter fast aus. Der Täter sollte wenigstens zur Mitarbeit bereit sein, von Motivation kann in diesem Fall der Therapie nicht die Rede sein. Ruud Bullens, (s. S. 92) beschäftigt sich seit einigen Jahren mit der Frage nach Bestrafung oder ambulanter Behandlung. Sein Modellprojekt genießt auch in der Bundesrepublik unter Fachleuten große Beachtung. Der Therapeut hat die Erfahrung gemacht, »daß das therapeutische Verhältnis mit dem Täter - sicher am Anfang - ein funktionelles Verhältnis sein wird. Täter haben ja nur etwas zu verlieren, und Behandlung bedeutet für sie oft <weniger Verlust> als Gefängnisstrafe. Man denke hier an bestimmte Nebenfolgen einer Therapie: keine Entlassung, keinen Gesichtsverlust im Hinblick auf die Umgebung (Nachbarschaft, Kirche usw.), aber auch die mögliche Fortsetzung des Familienlebens, sofern die Interessen des Opfers ausreichend garantiert sind. (R. Bullens, a. a. 0„ S. 69)

Für Ruud Bullens sollte der erste Schritt in einer Therapie darin bestehen, die Geschichte des Täters mit seinen — lückenlos — dargestellten Taten zu notieren, damit Klarheit über das besteht, was an Sexualgewalt statt­gefunden hat. Im zweiten Schritt sollte der Täter lernen, Verantwortung für seine Taten zu übernehmen. Ziel sind das eindeutige »Beschuldigen des Täters« und gleichzeitig das »Entschuldigen des Opfers«. Im dritten Schritt müßte der Täter lernen, sich in die Rolle des Opfers, des anderen, hineinzuversetzen. Im vierten Schritt sollte die Mißbrauchssituation aufgeklärt werden, das heißt die Faktoren, die zu dem Miß­brauch führten (im allgemeinen werden genannt: harte Jugend, Alkoholmißbrauch, unzureichende Wohn­ungs­möglichkeiten, Arbeitstätigkeit oder Arbeitslosigkeit, Abwesenheit des Partners).

Beim zentralen Thema Sexualität ist einer der Punkte, die immer wieder behandelt werden, der große Unterschied zwischen Kindererotik/-sexualität und Sexualität der Erwachsenen.

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 »Ohne Übertreibung bin ich der Meinung, daß das Lernen dieses Unterschiedes den Erfolg oder Mißerfolg verschiedener Behandlungen mitbestimmt hat: Täter, die sich dieses Unterschiedes bewußt werden, können erst erkennen, wie sehr sie ihre jugendlichen Opfer mit der Befriedigung der eigenen erwachsenen sexuellen Bedürfnisse belastet haben.« (R. Bullens, a.a.O., S. 72 f.) Hier muß geklärt werden, welcher Reiz zu welchem Verhalten und welche Verhaltensmuster letzten Endes zum sexuellen Mißbrauch führten, um einer Wiederholung vorzubeugen. »Ein letzter Schritt könnte sein, daß man zum Beispiel mit Gruppentherapie anfängt, oder man wählt eine Partner- bzw. Familientherapie.« (R. Bullens, a.a.O., S. 73) Der Therapeut hat die Aufgabe, die Rollenstrukturen wiederherzustellen, damit die Rollen von Eltern und Kindern wieder klarwerden und die Generationsgrenze wieder eindeutig.

»Wenn man Inzest als Symptom eines gestörten Familiensystems betrachtet, wie es Familien­system­theoretiker tun, und sein Auftreten als Zeichen für Grenzprobleme innerhalb der Familienstruktur, ist die Aufgabe des Therapeuten, strukturelle Veränderungen zu bewirken, die die Grenzprobleme verringern und Veränderungen im gegenseitigen Verhalten der Familienmitglieder ermöglichen.« (Noel Ruth Larson, »Familientherapie in Inzestfamilien«, S. 109) Inzestfamilien errichten in der Regel starre Grenzen zwischen sich und der Umwelt, um so ihr Geheimnis innerhalb der Familie zu bewahren. Persönliche Kontakte zu Außenstehenden gibt es fast nicht. Die soziale Isolierung fördert das Abhängigkeitsverhältnis innerhalb der Familie, bestimmt die Rollen der einzelnen Familienmitglieder.

Der Therapeut muß dafür sorgen, daß die Realität wahrgenommen wird; bei Verleugnung bleibt das alte Rollenverhalten weiterbestehen. Eine weitere Aufgabe des Therapeuten ist es, die starren Grenzen zwischen der Familie und ihrer Umwelt wieder flexibler werden zu lassen, damit Bedürfnisse auch außerhalb der Familie befriedigt werden können. 

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Dazu kommen noch andere wichtige Aufgaben: Die Selbstbestimmung über die eigene Sexualität bei allen Familienmitgliedern gilt es zu stärken, das »Familiengeheimnis« muß bis ins kleinste Detail im Familiengespräch abgehandelt und den Familienmitgliedern vermittelt werden. Alle Beteiligten sind dahingehend zu unterweisen, daß Zuneigung nur in altersangemessener Form auszudrücken ist, und mit den Ehepartnern sollte über eine für die ganze Familie befriedigende Sexualität nachgedacht werden. (Vgl. N. R. Larson, a.a.O., S. 109)

Behandlung oder Strafe - diese Frage haben sich schon viele Therapeuten gestellt. Selbsthilfe­organi­sationen wie »Zartbitter« halten nicht sehr viel von Tätertherapien, die »Hilfe statt Strafe« versprechen. Sie gehen davon aus, daß der Mißbrauch während der Therapiezeit zu Hause weitergeht, da die Täter das Nein des Kindes nicht hören wollen.

Der Psychologe Carl Marquit sieht im Behandlungsmodell eine Möglichkeit, aktuellen oder zukünftigen Mißbrauch zu verhindern. Für ihn gibt es allerdings nur einen wirksamen Weg, dieses Ziel zu erreichen: »Der Täter muß aus der Familie entfernt werden. Dieser Schritt ist notwendig, da der Täter durch seine Handlungen gezeigt hat, daß er sein Verhalten nicht unter Kontrolle hat. Dabei spielt es keine Rolle, welche Konsequenzen dieser Schritt für den Täter oder seine Familie hat. Eine Entfernung des Opfers aus der Familie kommt nicht in Frage, es sei denn, es gäbe keine andere Möglichkeit, es zu schützen.« (C. Marquit, a.a.O., S. 129)

Nach Marquit dauert die erste Behandlungsphase etwa zwei Monate. Durch eine Reihe von Gesprächen und psychologischen Tests wird ein möglichst genaues Bild der Familiendynamik und der Rolle des Täters erarbeitet. Dazu gehört die sexuelle Entwicklung des Täters bis hin zum aktuellen Sexualverhalten. In einer zweiten Behandlungsphase, die drei bis sechs Monate dauern kann, geht es darum, dem Täter und seiner Familie neue Verhaltensmuster zu vermitteln, ihm zu helfen, die Ursachen seiner sexuellen Probleme zu erkennen. Dazu kommt eine Ehetherapie, die weitere eheliche Probleme deutlich macht. Gleichzeitig wird dem Opfer und anderen Familienangehörigen als wesentliche Bedingung für den gesamten Behandlungs­erfolg eine Familien- oder Gruppentherapie angeboten. In dieser Phase sollte der Täter eine Selbstbiographie schreiben, über die in der Gruppe gesprochen wird.

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In der dritten Behandlungsphase, die bis zu einem weiteren Jahr dauern kann, wird an der Reorganisation der Familie sowie der Rolle des Täters gearbeitet. Es muß eine Persönlichkeitsentwicklung des Täters dahingehend stattfinden, daß er seine Schuld akzeptieren lernt, nichts mehr verleugnet und Zuneigung von Sexualität zu unterscheiden weiß. Bei den therapeutischen Gesprächen sollte jetzt auch das Opfer mit einbezogen werden. In einer vierten Phase wird dem Täter erlaubt, wieder nach Hause zurückzukehren. Ziel ist es, die theoretischen Erkenntnisse in der Praxis zu leben. Ehe- und Familientherapie werden fortgesetzt, um eventuell auftretende Probleme gemeinsam zu bewältigen. (Vgl. C. Marquit, a.a.O., S. 130 f.)

Die größte Gefahr sehen die Therapeuten im vorzeitigen Abbruch der Behandlung. Marquit hat die Erfahrung gemacht, daß bei vierzig Prozent aller Täter, die freiwillig zur Behandlung kommen, das Risiko eines vorzeitigen Abbruchs besteht. »Deshalb sollten Täter nicht auf einer freiwilligen Basis behandelt werden. Hat der Täter keinerlei Gerichtsauflagen erhalten, sollten andere Lösungen erwogen werden, z.B. eine Weigerung der Fürsorgeämter, das Kind zu Hause zu lassen, wenn der Täter nicht auszieht und sich in eine Behandlung begibt.« (C. Marquit, a.a.O., S. 133)

Täter wissen es, wie Alkoholabhängige auch: Sie sind rückfall-gefährdet, ein Leben lang. Strafe allein wird deshalb ihr Leben nicht verändern. Doch auch wenn Täter dies erkannt haben - es mangelt an Therapieplätzen, sowohl für sie als auch für ihre Familien. Für Therapeuten gibt es genügend Argumente, sich nicht mit einem Sexualstraftäter beschäftigen zu müssen. Warum strebt man dann überhaupt die Behandlung von Tätern an? Ruud Bullens sieht darin eine Form der Vorbeugung, auch wenn die Therapie sich besonders schwierig gestaltet. »Vor allem das Zusammenwirken von Therapie und Justiz ist für viele Therapeuten eine schlechte Zweierbeziehung. Wenn man sich aber doch für eine Behandlung der Täter entscheidet, dann ist eine andere Einstellung Voraussetzung. Hier wird dann nicht die Motivation des Patienten, sondern die Frage, ob er überhaupt zu motivieren ist, als Ausgangspunkt der Behandlung genommen.« (R. Bullens, a.a.O., S. 69)

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Zwischen Haft und Therapie

 

Was macht der psychisch weniger differenzierte Täter, der in Haft ist und einen guten Therapeuten nicht bezahlen kann. Er braucht Strukturen; er muß unter Druck gesetzt werden, damit er wenigstens den Versuch wagt, eine Therapie zu beginnen.

Die Therapeuten der Beratungsstelle für Haftentlassene in Düsseldorf führen auch Kontaktgespräche in Justizvollzugsanstalten. Doch diese JVAs sind nicht in der Lage, wenigstens einen Raum zur Verfügung zu stellen, in dem ein Therapeut in Ruhe fünfzig Minuten lang ein Gespräch führen kann. Da wird die Arbeit dieser Therapeuten schon recht schwierig, von einem Mindestmaß an fördernder Atmosphäre ganz zu schweigen. »Ein hallfreier Raum, wo nicht jeden Moment einer reinkommt, wäre schon ein großer Schritt nach vorn«, meint Raimund Hompesch von der Arbeiterwohlfahrt in Düsseldorf. Wenn der ungestörte und weder akustisch noch visuell überwachte Kontakt mit den Klienten innerhalb der Justiz­voll­zugs­anstalten nicht möglich ist, dann könnten die Straftäter doch auch ausgeführt werden; aber das erfordert Beamte. Die Justizverwaltung könnte hier ein bißchen Entgegenkommen zeigen.

Die Verurteilung eines Straftäters wirkt sich verstärkend auf die Tabuisierung des sexuellen Mißbrauchs aus: Er wird aus dem Bewußtsein verdrängt. Gefängnisstrafe - ohne Therapie - als Hilflosigkeitsreaktion, weil weder Therapeuten noch Richter noch Staatsanwälte sich damit auseinandersetzen wollen. Die amerikanischen Autoren P. Gebhard, T. Gagnon, W. Pomeroy und C. Christensen berichten, »daß neunundsechzig Prozent aller wegen Inzests an Kindern Verurteilten mindestens einmal zuvor wegen desselben Delikts vor Gericht standen. (...) Auffallenderweise wählten sich die meisten Täter bei Rückfällen immer ähnliche Objekte aus. Es besteht kein Zweifel, daß Gefängnisstrafe allein nicht ausreicht, um sexuellen Mißbrauch an Kindern zu verhindern.« (Vgl. T. Gebhard u.a., »Sex offenders: An analysis of types«, in: Backe u.a., a.a.O., S. 128)

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Da eine Gefängnisstrafe im Grunde von der Eigenverantwortlichkeit entlastet, wirkt sich auf den Reifeprozeß des Inhaftierten sogar hemmend aus.

Eines der Probleme der Sexualstraftäter besteht ohnehin darin, daß sie nicht zur Verantwortungsübernahme fähig sind. Nun kommen sie in eine Umgebung, in der ihnen sogar die Verantwortung für die Organisation ihres eigenen Lebens abgenommen wird. Hinzu kommt, daß es eine eingeschränkte Umgebung ist, in der drastisch Rechte beschnitten werden — allen voran die Bewegungsfreiheit. Das erlaubt den Tätern jetzt, sich selbst als Opfer zu fühlen. Sie möchten bedauert werden. Sie kommen nicht zu den Beratungsstellen mit dem Wunsch, sich zu verändern, sondern sie haben jetzt genug durchgemacht, nun möchten sie Hilfe. Die mühevolle Aufgabe der Beratungsstellen besteht darin, die Motivation der Täter für neue Ziele, neue Lebens­inhalte zu wecken.

Therapie im Strafvollzug ist eine Verfahrensweise, auf die man lange Zeit gesetzt hat, ohne daß sie je richtig probiert wurde. Die internationale Forschung tendiert eher zur Ablehnung dieser Kombination. Eine Haft­anstalt ist nun einmal eine Einrichtung für den Strafvollzug und damit kein günstiger Ausgangspunkt für Therapie im eigentlichen Sinne.

Dennoch gibt es auch für den Inhaftierten Möglichkeiten, wie sie Raimund Hompesch von der Arbeiter­wohlfahrt in Düsseldorf zusammen mit Therapeuten aus sechs anderen Beratungsstellen in seinen »Thesen zur Sicherstellung von Therapieangeboten für inhaftierte Sexualstraftäter« entwickelte. Das Papier liegt den verantwortlichen Politikern und den Präsidenten der Justizvollzugsämter vor. Darin heißt es: »Sexualstraftäter sollten in der Regel therapeutisch betreut werden.« Die Abweichung von üblichen Verhaltensnormen in der Sexualität sei ein Hinweis auf eine schwere Persönlichkeitsstörung. »Daher ist die bisher stattfindende Sanktionierung von Sexualstraftätern mit dem Mittel des Strafrechts nicht ausreichend.«

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Die verdeckten Probleme des Täters könnten so nicht aufgearbeitet und verändert und einer erneuten Straffälligkeit nach der Haft nicht vorgebeugt werden. Um Rückfälle zu vermeiden, müßten soziale Strategien entwickelt werden, die erfolgreicher und stabiler zu einer Verhaltensänderung beim Täter führen könnten, als dies über die bloße Strafe möglich sei. (Vgl. R. Hompesch, Thesenpapier AWO, a.a.O., P.1)

Je länger die Strafe, um so wirksamer? Empirische Untersuchungen ergaben, daß diese Behauptung nicht haltbar ist. Den Täter beeindruckt es nicht stärker, wenn er fünf statt drei Jahre im Gefängnis ist, nur der Außenwelt erscheint es plausibler. Die Meinung, wer mit hoher Strafe bedroht sei, schreibe sich das eher hinter die Ohren, deckt sich leider nicht mit der Realität. Der Sexualstraftäter ist damit nicht zu beeindrucken. Im Gegenteil verstärkt sich seine Opferhaltung eher durch seine Vorstellung, hinreichend gebüßt zu haben.

Weder ein Verdammen der Gefängnisstrafe noch das Setzen auf Alternativen bringt uns dem Ziel näher. Unser Strafrecht müßte — auch unter Berücksichtigung international festgesetzter Strafmaße — überprüft werden. Bezüglich der Sexualstraftäter wäre denkbar, daß stärker von der Möglichkeit der »Auflagen und Weisung« Gebrauch gemacht würde, in die Therapie zu gehen, wodurch Strafen auf Bewährung auszusetzen, das heißt unter Vorbehalt auszusprechen wären. Aber dieser Maßnahme entspricht leider kein Angebot. Ein therapeutisches Angebot dem juristischen gegenüberzustellen wäre einen Versuch wert. Aufschlußreich sind hier die Erfahrungen, die in den Niederlanden gemacht wurden (s. »Vorbildtherapie der Niederlande«).

Therapeuten und Inhaftierte müßten ohne große Schwierigkeiten zusammenkommen können. Da bei Sexual­straftätern mit einer Therapie die Erwartung verbunden ist, daß die konflikthaften Strukturen und die Dynamik, die dem sexuellen Mißbrauch zugrunde liegt, bearbeitet und verändert werden können, sollte dieser Prozeß nicht erst zum Zeitpunkt der Entlassung beginnen. »Veränderungen dieser Art sind langwierige Prozesse, die Zeit und Kontinuität erfordern.

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Des weiteren sollte der therapeutische Prozeß zu einer Zeit beginnen, wo sich Veränderungen im Verhalten bzw. in der dem Problem zugrundeliegenden Persönlichkeitsstrukturen bereits auf die Zeit unmittelbar nach der Entlassung auswirken können. Es ist daher wünschenswert, daß zirka zwanzig Sitzungen vor dem möglichen Entlassungstermin während der Haftzeit angesetzt werden können.« (Thesenpapier AWO, Punkt 9)

Weiter heißt es, der therapeutische Prozeß müsse nach der Haftentlassung unter allen Umständen weitergeführt werden können, was bedeute, daß die Haftstrafe möglichst nahe am Wohnort verbüßt werden solle, um die Kontinuität, auch die personelle, in der Therapie zu gewährleisten. Diese Problembearbeitung sollte verschiedene Ebenen umfassen: »Neben der Bearbeitung der inneren Realität des Klienten ist auch die Hilfe bei der Bewältigung und der Stabilisierung der äußeren Lebenssituation im Lichte der jeweiligen Psychodynamik entscheidend. Manche Klienten sind nur auf der Ebene der Bewältigung konkreter und aktueller Alltagsprobleme erreichbar.« (Thesenpapier AWO, Punkt 12) Die Finanzierung der Therapie bei Sexualstraftätern müsse - soweit erforderlich - durch die Justiz sichergestellt werden. »Dies gilt um so mehr dann, wenn Therapie vom Richter als Auflage im Urteil verankert worden ist« (Thesenpapier AWO, Punkt 12), zumal der Inhaftierte häufig — zumindest während der Haftzeit — gar keine Möglichkeit habe, die Kosten mitzutragen.

Die im Gefängnis tätigen Therapeuten sollten, unabhängig von ihrer Berufsausbildung als Psychologen, Pädagogen, Ärzte oder Sozialwissenschaftler, eine Therapieausbildung absolviert haben. Zusätzlich müßten sich diese Therapeuten einer speziellen Fortbildung zum Thema des therapeutischen Umgangs mit Sexual­straftätern unterzogen haben. »Ein entsprechendes Modell berufsbegleitender Weiterqualifikation sowie die ihm zugrundeliegende Konzeption befindet sich derzeit in der Ausarbeitung.« (Thesenpapier AWO, Punkt 13)

An den deutschen Universitäten gibt es keine einheitlichen Richtlinien für die Ausbildung. Das Psychologie­studium ist über weite Strecken an den theoretischen Forschungsmethoden orientiert. Was fehlt, ist das Wissen über Problemfelder. Eine gründliche therapeutische Ausbildung ist auch für das Studium zu fordern.

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»Für alle mit Sexualstraftätern arbeitenden Therapeuten muß, unabhängig davon, ob diese Therapie innerhalb oder außerhalb der Strafanstalten stattfindet, ein ausreichendes Supervisionsangebot sichergestellt sein. Die als Supervisoren tätigen Kollegen müssen unabhängig sein, d.h., sie dürfen in keinem Dienstverhältnis zu den Supervisanden stehen und keine Weisungsbefugnis ihnen gegenüber haben. Dies ist deswegen unabdingbar, damit der Supervisand vorbehaltlos, offen und in einer vertrauensvoll geschützten Atmosphäre die Schwierigkeiten und ggf. eigenen Problematiken, die in der therapeutischen Arbeit mit Sexualstraftätern nur allzu leicht auftauchen können, bearbeiten kann. (...) Supervision muß als kontinuierlicher Prozeß angelegt sein, und es ist nicht ausreichend, lediglich für begrenzte Zeiträume ein Supervisionsangebot zu erstellen.« (Thesenpapier AWO, Punkt 14)

Für die Zeit nach dem Strafvollzug planen die Beratungsstellen als »stationäres Angebot« eine Therapie­wohngruppe, die es insbesondere dem Sexualstraftäter ermöglichen soll, sich dort einem Therapieprogramm zu unterziehen. So könnte auch das Kind bei der Mutter bleiben. Um dieses Projekt in die Tat umzusetzen, fehlen noch entsprechende Wohnungen und das nötige Geld zur Finanzierung des Objekts.

 

   Möglichkeiten der Prävention  

 

Die Frage, ob es Möglichkeiten der Prävention gebe, verneint Raimund Hompesch, der seit zehn Jahren mit Sexualstraftätern arbeitet. Über die Rückfallquote in der Bundesrepublik lasse sich nichts sagen, und Prävention setze voraus, daß die gesellschaftliche Haltung eine andere werden müsse. Wenn man von der frühen Störung als Ursache für die sexuelle Abweichung ausgehe, dann müsse diese auch behandelt werden, bevor der so Geschädigte überhaupt zum Täter werden könne. Allein durch diese frühe Bearbeitung des Traumas ließe sich der sexuelle Mißbrauch verhindern.

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Hompesch verweist auf amerikanische Studien, aus denen hervorgehe, daß Personen, die später einmal zu Tätern wurden, als Kind selbst sexuell, psychisch, körperlich mißhandelt worden waren oder dies als Beobachter miterlebt hätten, worüber eine Identifizierung entstanden sei. In einer Therapie für männliche Opfer sieht er derzeit die einzige Möglichkeit der Prävention. Mißbrauch und anderes Fehlverhalten werden durch die mangelnde Eigenverantwortlichkeit begünstigt. Diese Haltung wird in hohem Maße durch unsere Schadens­regulierungsgesellschaft gefördert, die uns die Möglichkeit gibt, die Verantwortung für selbst verursachte Schäden auf anonyme Institutionen abzuschieben.

Menschliche Werte fehlen, und es fehlen kompensierende Angebote für nicht gelingende familiäre Sozial­isationsprozesse. Es gibt sehr wenige Auffangmöglichkeiten für ratsuchende Mitglieder aus gestörten Familien. Auch Erziehungsberatungsstellen, deren Aufgabe in der Lösung geringerer Schwierigkeiten als denen der Mißbrauchsproblematik besteht, können nur bedingt helfen, indem sie auf Psychotherapeuten verweisen.

Damit Familien funktionieren können, müßte der Staat - die Gesellschaft - alles daransetzen, familien­freundliche Maßnahmen zu fördern, wie einen kindergerechten Wohnungsbau, ausreichende Kinderkrippen- und Kindergartenplätze, Ganztagsschulen, die ihrer Idee nach früher einmal einen Versuch von Chancen­gleichheit darstellten. Doch alles, was familienentlastend wirken könnte, wird bereits in der Entwicklung eher behindert und bekämpft. Es gibt keine gezielte Maßnahme, die sexuellen Mißbrauch verhindert. Die Persön­lich­keitsprobleme, die die Grundlage von sexuellem Fehlverhalten darstellen, sind dieselben, die auch andere Persön­lichkeitsstörungen verursachen und unreife, nicht abgegrenzte Persönlich­keiten entstehen lassen. Kindern beizubringen, nein zu sagen, wäre eine Präventivmaßnahme.

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Diplompädagoge Dirk Bange, der sich an der Universität Dortmund mit »Männergewalt« beschäftigt, sieht für die Prävention einen wichtigen Ansatzpunkt darin, daß Männer sich mit ihren Verletzungen auseinandersetzen. Er glaubt, daß sie ihre Verletzungen durch aggressives Verhalten bearbeiten und verarbeiten. Wenn sie aber lernen würden, zu diesen Verletzungen zu stehen, hätten sie Gewalt gegen Frauen und gegen Kinder vielleicht nicht mehr nötig. Bange hält es für sinnvoll, hier anzusetzen. Außerdem müßte Tätern mehr Hilfe angeboten werden, meint er, da eine Gefängnisstrafe allein das Problem nicht löse. (Vgl. ZDF-Dokumentation, 24.9.1991, 19.30 Uhr)

 

   Vorbildtherapie der Niederlande  

 

Bestrafen oder ambulant behandeln — das beschäftigt auch unsere Nachbarn in den Niederlanden. Dort ist in den letzten Jahren für Sexualstraftäter ein behandlungsfreundlicheres Klima entstanden. Im Regierungs­bericht zur Bekämpfung der sexuellen Gewalt gegen Frauen und Mädchen (1990) heißt es: »Bestrafung mit einer Freiheitsstrafe führt wohl zu einer zeitlichen Entfernung des Täters aus seiner gesellschaftlichen Umgebung, doch dahin kehrt er im allgemeinen nach Ablauf seiner Strafzeit zurück. Das Auferlegen von Strafe für den Täter von sexuellen Gewaltdelikten führt oft nicht zu einer Beeinflussung des Verhaltens und hat dann auch wenig präventiven Effekt. Vor allem wenn Täter und Opfer aus derselben gesellschaftlichen Umgebung kommen, sind die ursprünglichen Probleme keineswegs gelöst.«

Auch sei es naiv, anzunehmen, daß sich Täter auf nur ein Opfer beschränkten. Aus Untersuchungen gehe hervor, daß ungefähr siebzig Prozent der Täter von sexuellen Gewaltdelikten sich an mehreren Opfern vergingen, sowohl innerhalb wie außerhalb der Familie. (Vgl. T.B. Ballard/G.D. Blair, »A comparative profile of the incest perpetrator«; K. Coulborn Faller, »Sexual abuse of paternal caretakers«) Auswertungen einer großen Anzahl amerikanischer Behandlungsprojekte hätten gezeigt, daß Tätertherapie die Rückfallquote erheblich verringert habe. (R. Haveman, J. Staffleu, »Plegers van seksueel geweld«)

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Es wurde aufgezeigt, daß der Täter durch eine Gefängnisstrafe ohne Behandlung nur weiter in die Verleugnung getrieben werde. (Vgl. R. Bullens, De ontkenming vorloij, over daders en mamelijke slachthoffers, in: H. Baertman, Incest en hulpverlening)

Nicht für alle Täter kommt in den Niederlanden eine ambulante Behandlung in Betracht. Es bleibt der richterlichen Entscheidung vorbehalten, ob ein Täter ins Gefängnis muß, ob für ihn eine ambulante Behandlung oder eine Kombination aus beidem in Frage kommt, also eine stationäre Behandlung ratsam ist. Ambulante Hilfe ist nur dann angesagt, wenn eine Reihe von Kriterien erfüllt sind. Von vornherein ausgeschlossen vom Projekt Inzest-Täter-Behandlung in Rotterdam (ITBR), einem Modellversuch, der von Ruud Bullens betreut wird, sind Personen, die unzureichend Holländisch sprechen, deren IQ unter achtzig liegt, bei denen Alkohol-, Drogenabhängigkeit oder derartige psychotische Störungen vorliegen.

Die Täter, die an diesem Projekt teilnehmen, müssen sich zumindest teilweise zu ihren Taten bekennen, die zu erwartende Gefängnisstrafe darf maximal fünfzehn Monate betragen, und die zu Behandelnden müssen selbst am Projekt mitarbeiten wollen. Wenn diese Bedingungen erfüllt sind, wird untersucht, welche der drei Behandlungsarten — individuelle, Gruppen- oder Familienbehandlung — den größten Erfolg verspricht. Momentan wird die Individualbehandlung in Holland am häufigsten durchgeführt, wie dem Manuskript von Ruud Bullens »Ambulante Behandlung von sexuellen Delinquenten innerhalb eines verpflichtend gericht­lichen Rahmens« zu entnehmen ist. Für Bullens hat der richterliche Rahmen eine besondere Bedeutung, da der Täter ohne ihn kein großes Interesse an einer Behandlung zeige. Die Tat zuzugeben, die sorgfältig aufgebaute Fassade, das Doppelleben aufzugeben verheißt eine eventuelle Gefängnisstrafe, den Verlust der Familie, der Arbeit, des gesellschaftlichen Ansehens. Also warum ohne äußeren Zwang etwas zugeben? Im Leugnen wird die Rettung gesehen — Verleugnung als Überlebens­strategie der Täter.

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Aus der Praxis der ambulanten Behandlung, der sich der Täter freiwillig unterzieht, seien sehr viele Beispiele bekannt, in denen ihm seine Macht freie Hand gab, den sexuellen Mißbrauch fortzuführen. »Es stand ihm einfach keine >Macht< gegenüber, die ihn stoppen konnte. Daraus kann gefolgert werden, daß als Faustregel gelten sollte, daß der Behandlung von Tätern von sexuellen Gewaltdelikten innerhalb eines verpflichtenden Rahmens bei weitem der Vorzug gegeben werden sollte gegenüber einer Behandlung mit freiwilligem Charakter.« (R. Bullens, a.a.O., S. 7)

Nach holländischem Strafrecht kommen dabei zwei Verfahrensweisen in Betracht: das Staatsanwaltmodell und das Richtermodell. Beim Staatsanwaltmodell ist eine Behandlung bereits vor einem Gerichtsurteil möglich. Der Täter wird durch den Staatsanwalt vor die Wahl gestellt, eine weitere staatsanwaltliche Verfolgung zu riskieren oder mit einer ambulanten Behandlung zu beginnen. Wählt der Täter die Behandlung, so wird die Strafsache aufgeschoben. Nach einem Jahr wird entschieden, ob die Angelegen­heit definitiv zu den Akten gelegt werden kann. Voraussetzung für dieses Modell ist allerdings, daß keine Gewalt vorliegt, der Mißbrauch also weniger schwerwiegend gewesen und daß der Täter nicht vorbestraft ist.

Innerhalb des ITBR-Projektes wurde zunächst das Richtermodell vorgezogen. Der Richter entscheidet allein, ob der Täter für eine ambulante Behandlung in Frage kommt oder nicht. Bevor ein Beschluß fällt, hat eine ausführliche gerichtspsychologische Untersuchung stattgefunden, die einen Bericht über die Eignung des Täters gibt, am Projekt teilzunehmen. Drei Monate nach der Verhaftung hält das Gericht die erste Sitzung ab. Wenn alle Bedingungen erfüllt sind, kann es beschließen, allerdings muß der Täter schon teilweise gestanden haben. Nach weiteren zehn Wochen findet eine zweite Sitzung statt, in der über den bisherigen Erfolg der Behandlung berichtet wird. Nach etwa eineinhalb Jahren findet eine letzte Verhandlung des Strafgerichtes statt, in der eine unbedingte Gefängnisstrafe in der Höhe der bereits abgesessenen Untersuchungshaft, eventuell kombiniert mit einer bedingten Strafe mit Bewährung, ausgesprochen wird.

Während der Therapiedauer ist das Gericht also ständig über den Stand der Dinge informiert. Bricht ein Täter die Behandlung ab, so kann er jederzeit zu einer Gefängnisstrafe verurteilt werden. »Es ist jedoch noch zu früh, ein Urteil darüber auszusprechen, welches Modell den Vorzug verdient bei der Einführung der ambulanten Behandlung innerhalb eines verpflichtenden Rahmens. Man könnte sagen, daß noch eine Anzahl von Jahren nötig sind, um genügend Erfahrung mit diesen Modellen zu sammeln.« (R. Bullens, a.a.O., S. 8)

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