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Thomas Campanella —  Der Sonnenstaat 

 

 

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Neunzig Jahre später wurde von einem Mönch, Philosophen, Dichter und Astrologen mit einem fanatischen Glauben an seine eigenen Ideen eine weitere Utopie verfaßt. In Campanellas <Sonnenstaat> findet man nichts von Morus literarischer Eleganz und feiner Ironie, denn anders als er schrieb er nicht im angenehmen Kreis spitzfindiger Humanisten, sondern litt noch an Leib und Seele unter den Qualen der Inquisition. 

Giovan Domenico Campanella wurde 1568 in Stilo in Kalabrien geboren, jener italienischen Provinz, die noch heute selbst Italienern ein Rätsel ist und sich standhaft weigert, an Europa angeglichen zu werden.

Er stammte aus einer armen Familie und sein Vater, als er bei einem der Prozesse seines berühmten Sohnes als Zeuge geladen wurde, sagte mit rührender Einfachheit aus: Ich hatte gehört, daß mein Sohn in Neapel ein Buch geschrieben hatte, und jedermann sagte mir, wie glücklich ich wäre: nun sagen sie mir alle, wie unglücklich ich sei; was mich betrifft, so kann ich weder lesen noch schreiben.

Campanella wurde in ein Kloster geschickt, als er noch ein Kind war; als er vierzehn Jahre alt war, trat er in den Orden der Dominikaner ein und erst dann nahm er den Namen Thomas an. Später sagte er, daß er in das Klosterleben eintrat, um dem Wunsch nach einem Studium nachzukommen, und nicht, weil ihn der Glaube rief. Schon bald zeigte er einen unabhängigen Geist und griff die scholastischen Methoden und Lehren an.

Mit achtzehn Jahren lernte er die Werke von Bernardino Telesio, dem großen Philosophen der Renaissance, kennen und war so begeistert von seinen Ideen, daß er das Kloster verließ, um ihn in Cosenza aufzusuchen, doch er kam kurz nach Telesios Tod dort an. 

Bald darauf, während er im Kloster von Altomonte weilte, begegnete er einem Rabbi, dessen prophetische Gabe und Kenntnisse der Astrologie ihn tief beeindruckten. Wahrscheinlich durch diese Bekanntschaft entwickelte Campanella eine Leidenschaft für Astrologie und Weissagung, die ihn nie verließ. Die merkwürdige Verbindung von rationalistischen und wissenschaftlichen Ideen und der Aberglaube an übernatürliche Erscheinungen, die für viele Denker der Renaissance charakteristisch ist, wird in bemerkenswert scharfer Form in Campanellas Schriften deutlich.

Seine philosophischen Ideen zogen sehr bald die Aufmerksamkeit der Glaubensautoritäten auf sich. Italien erfreute sich Ende des fünfzehnten Jahrhunderts nicht mehr der Toleranz für neue Ideen, die für die frühe Renaissance charakteristisch war. Die Reformation hatte die katholische Kirche in einem großen Teil Westeuropas ihrer Macht beraubt und in den Ländern, die unter ihrer Herrschaft verblieben waren, war ein Belagerungs­zustand erklärt worden. Italien befand sich in den Klauen der Gegen­reformation, und niemand, vom Papst bis zum verstecktesten Mönch, entkam dem wachsamen Auge der Inquisition.

1590 wurde Campanella wegen seiner Verteidigungs­schriften für Telesio vor ein dominikanisches Gericht befohlen. Drei Jahre später, als er sich in einem Dominikaner­kloster in Bologna aufhielt, stahl ihm die Geheimpolizei des Papstes alle Manuskripte. Campanella, der den Vatikan verdächtigte, ersuchte um Rückgabe seiner Manuskripte, doch man leugnete jegliche Kenntnis der Angelegenheit. Er fand sie jedoch dreißig Jahre später in den Archiven des Heiligen Stuhls. 

1594 wurde Campanella wegen seiner Ideen über eine Beseelung des Weltalls der Ketzerei beschuldigt und zu einem Prozeß vor die römische Inquisition geschickt, die die Anklage zwar nicht beweisen konnte, ihm jedoch befahl, unter strenger Bewachung in Rom zu bleiben. 1597 kehrte er nach Neapel zurück, wo er wieder mit den Glaubens­autoritäten zusammenstieß, und er war gezwungen, sich in das Kloster Stilo zurückzuziehen.

Zu jener Zeit herrschte der weitverbreitete Glaube, daß das Ende des Jahrhunderts tiefgreifende Veränderungen und vielleicht sogar den Weltuntergang mit sich bringen würde. Campanella war von diesen Gerüchten stark betroffen, und er sah in den Unruhen in Neapel unter der spanischen Herrschaft, in Ereignissen wie Überschwemmungen, Erdbeben und dem Auftauchen von Kometen eine Bestätigung für kommende gesellschaftliche Umwälzungen.

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Ein seltsamer und mächtiger Traum erwuchs in ihm. Er glaubte, daß die kommenden Veränderungen zu einer vollständigen Reformierung der Gesellschaft führen würden und daß der Augenblick für die Errichtung einer Weltrepublik gekommen wäre. Seine Heimat Kalabrien sollte unter seiner Führung der Ausgangs­punkt für diese Bewegung sein. Bis zu diesem Zeitpunkt hatte Campanella nur in seinen Schriften gegen die alten Vorstellungen angekämpft, doch nun sollte aus dem Philosophen ein Mann der Tat werden.

Campanella war der Ansicht, daß eine dreifache Reformierung stattfinden müßte. Auf der gesellschaft­lichen Ebene sollte die Lage des Volkes verbessert werden; politisch sollte Spanien die Führung einer Einigung der Welt übernehmen; und auf dem Gebiet des Glaubens sollte eine Reformierung der Kirche stattfinden.

Doch Campanella meinte nicht eine Reformation im Sinne von Calvin oder Luther, die sich von der Vorherrschaft der römischen Kirche lösen wollten und damit nationale Bestrebungen förderten. Campanella war überzeugter Katholik und wollte die Welt nach dem Glauben des katholischen Glaubens einigen. Er schrieb die Niederlage der katholischen Kirche ihrem Festhalten an den alten scholastischen Lehren zu und glaubte, daß sie ihre Macht niemals durch Glaubens­verfolgungen erhalten oder vergrößern könnte, sondern nur durch die Übernahme neuer philosophischer Ideen. Er war eher bestrebt, die Kirche zu modernisieren als zu reformieren.

Die Republik Kalabrien, die er errichten wollte, sollte sowohl Vorbild als auch Ausgangspunkt für die Schaffung einer Welt­republik sein. Campanella war kein italienischer Patriot, als der er manchmal bezeichnet wurde. Wenn er sich gegen Spanien verschwor, dann nur, um diese heilige Weltrepublik unter der Führung der katholischen Kirche zu erreichen, und obwohl er gegen die spanische Regierung rebellierte, glaubte er, daß Spanien als einzige Macht in der Lage wäre, die Weltrepublik herbei­zuführen.

In der Klosterkirche Stilo predigte er, daß der Augenblick für einen Aufstand gekommen wäre und überzeugte einige politische Flüchtlinge, die in dem Kloster Zuflucht gesucht hatten, und auch eine Reihe von Mönchen, daß die heilige Weltrepublik noch vor dem Weltuntergang errichtet würde und daß es notwendig wäre, "Propagandisten" und "Männer der Tat" zu finden, um das Ziel zu erreichen. Die Mönche mit ihren Zungen, das Volk mit seinen Waffen wären der Ausgangspunkt einer Bewegung, die neue Gesetze und Institutionen für eine bessere Welt schaffen sollten. Einige der Reformen und Gesetze, für die er zu jener Zeit eintrat, wurden Bestandteil des Sonnenstaat.

Die Verschwörung wurde entdeckt und Campanella und seine Verbündeten verhaftet. Am 8. November 1599 wurden sie nach Neapel verschifft, und einige von Campanellas Begleitern wurden vor den Augen der Einwohner von Neapel, die sich zu ihrer Ankunft im Hafen eingefunden hatten, in die Galeeren gesetzt.

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Zu der Verschwörung gegen Spanien kam noch eine Anklage wegen Ketzerei und von den hundertvierzig Männern, die verhaftet worden waren (darunter 14 Mönche), wurden zehn zum Tode verurteilt. Fünf Monate mußte Campanella angekettet in einer feuchten und dunklen Zelle verbringen. Er war entsetzlichen Qualen ausgesetzt, und schließlich konnte man aus ihm eine Art Geständnis erpressen, was der Inquisition gestattete, die Anklage wegen Ketzerei aufrecht­zuerhalten. Doch einige Wochen, bevor der Prozeß beginnen sollte, legte er in seiner Zelle Feuer und redete und benahm sich, als hätte er den Verstand verloren. Ob er den Wahnsinn vortäuschte, wie die meisten Historiker glauben, oder ob er durch die Foltern tatsächlich geisteskrank geworden war, wird man nie erfahren.

Am 10. Mai 1600 wurde der Prozeß wegen Ketzerei wieder aufgenommen und sein Wahnsinn schützte ihn nicht vor neuen, noch grausameren Foltern, einmal vierundzwanzig Stunden lang ohne Unterbrechung. Der Bericht von Campanellas irrem Gerede und seinen Schreien, die ein Beamter der Inquisition wortgetreu aufgezeichnet hat, ist erhalten und bildet ein wahrhaft erschreckendes Dokument. Dieses Mal verweigerte er die Aussage und verhielt sich weiterhin wie ein Geisteskranker. Die Inquisition vermutete, daß er den Wahnsinn nur vortäuschte, doch sie mußten sich mit ihren eigenen Untersuchungen begnügen, und sie konnten ihn nicht zum Tode verurteilen, denn das hätte die Verdammung seiner Seele bedeutet. Der Prozeß dauerte ein ganzes Jahr; Campanella wurde zu lebenslänglichem Gefängnis verurteilt.

Im Jahre 1602, kurz nach seinem Prozeß, schrieb Campanella seinen Sonnenstaat. Es wird allgemein angenommen, daß dieses Buch zu einem späteren Zeitpunkt in Latein geschrieben wurde, und da die Umstände, unter denen es verfaßt wurde, meist übersehen worden sind, wurde es als ein „exotischer" und „exzentrischer" Traum, vollkommen losgelöst von der Realität, dargestellt. Der Sonnenstaat hat aber in Wirklichkeit einen engen Bezug zu Campanellas gescheitertem Versuch, eine Republik Kalabrien zu errichten. Die Foltern und Prozesse hatten es nicht geschafft, seinen Geist zu brechen.

Den Sonnenstaat mag er aus Protest geschrieben haben, oder einfach nur, um zu erklären, was geschehen wäre, wenn er Erfolg gehabt hätte. Möglicherweise hoffte er auch auf eine Flucht und suchte auf diese Art Unterstützung für einen neuen Anlauf. Er selbst sagte später, daß er durch Zauber­handlungen versuchte, Macht über die Wächter zu gewinnen, was großen Eindruck auf sie gemacht hätte. Sie halfen ihm, seine Manuskripte aus dem Gefängnis zu schmuggeln und hätten ihm möglicherweise auch zur Flucht verholten, wenn er nicht in eine andere Festung gebracht worden wäre. Campanella scheint zu der Zeit eine beträchtliche Anhängerschaft im Volk gehabt zu haben, und die Sonette, die er in seiner Zelle schrieb, wurden in ganz Neapel deklamiert. Die Tatsache, daß er den Sonnenstaat in Italienisch und nicht in Latein schrieb, weist darauf hin, daß er ihn nicht als akademisches Werk betrachtete, sondern daß er möglichst viel gelesen werden sollte.

Es ist oft darauf hingewiesen worden, daß Campanella sich wenig Mühe gegeben hat, seiner Idealstadt ein realistisches Aussehen zu geben, und wir erfahren tatsächlich praktisch nichts darüber, wo sie liegt, und wie der Seemann, der uns die Geschichte erzählt, dorthin gelangte. Das ist verständlich, wenn man berücksichtigt, daß er predigte und agitierte, Verschwörungen anzettelte und Foltern ertrug, um in seiner Heimat Kalabrien eine ideale Republik zu errichten.

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Seine Leser sollten sein Werk nicht als ein Phantasiegebilde betrachten und sich die Idealstadt in einem fernen fremden Land vorstellen, sondern sie sich in ihrer Umgebung und sich selbst als ihre Bürger denken. Daß es Campanella nicht an Vorstellungskraft und dichterischer Begabung mangelte, zeigen die vielen Sonette und Gedichte, die er in seinem Leben schrieb, doch Der Sonnenstaat ist so trocken und begeisterungslos wie ein politisches Programm, was er tatsächlich auch sein sollte.

Campanella blieb Gefangener in Neapel bis September 1626. Dann wurde er aufgrund der Intervention des italienischen Konzils in Madrid entlassen. Nach einem Monat Freiheit wurde er wieder verhaftet, dieses Mal auf Befehl des Papstes, und drei Jahre lang im Vatikan gefangengehalten. Nach seiner Entlassung hatte er bis 1633 eine verhältnismäßig ruhige Zeit, bis die Spanier ihn erneut verfolgten, weil sie ihn für die pro-französische Politik von Papst Urban VIII. verantwortlich machten. Dieser Verdacht war wahrscheinlich berechtigt, denn Campanella hatte die Hoffnung, daß Spanien die Welt vereinen würde, wie er es erträumt hatte, aufgegeben und glaubte nun, Frankreich würde an seine Stelle treten. 1636 mußte er nach Paris fliehen, wo er unter dem Schutz von Richelieu und Ludwig XIII. lebte und wo er trotz der Proteste vom Vatikan seine Werke veröffentlichen und Vorlesungen an der Sorbonne halten konnte. Er starb am 21. Mai 1639 in einem Kloster.

Campanella ist eher durch sein tragisches Leben und seinen Sonnenstaat berühmt geworden als durch seine philosophischen Werke, die jedoch einen wichtigen, wenn nicht einen vordersten Rang in der Philosophie der späten Renaissance einnehmen. In seiner Heimat Kalabrien lebt sein Andenken noch im Volk, und man sagt, daß er in Träumen erscheint und verborgene Schätze offenbart, eine Legende, die dem Philosophen nicht unangenehm gewesen wäre, denn gelegentlich liebte er es, für einen Zauberer und Propheten gehalten zu werden.

Campanella verfaßte die meisten seiner Schriften im Gefängnis, manchmal unter wahrhaft unmenschlichen Bedingungen; später sagte er, daß er mit der Arbeit gegen den Tod angekämpft hätte. Viele seiner Manuskripte wurden beschlagnahmt und einige von den Gefängniswärtern vernichtet; das erklärt teilweise, warum es von den meisten seiner Werke so viele Fassungen gibt. Einige wurden nicht weniger als fünfmal geschrieben. Der Sonnenstaat wurde 1611 ein zweites Mal in Italienisch verfaßt und 1613-14 zum ersten Mal in Latein. 1630-31 schrieb er ihn zum vierten Mal in einer revidierten Fassung in Latein.

Die lateinischen Fassungen unterscheiden sich beträchtlich von den italienischen. Die späteren Fassungen sind nicht nur stilistisch geschliffener. Viele von Campanellas Ideen haben sich auch während der Gefangenschaft verändert. Im Laufe der Jahre wird seine Idealstadt immer autoritärer und geht mehr und mehr mit den Vorstellungen der Kirche einher. Die Güter- und Frauengemeinschaft wird zwar nicht abgeschafft, doch die Kirchenväter müssen sie rechtfertigen, und die Sexualität wird streng reglementiert. Astrologie nimmt in den späteren Fassungen einen weniger wichtigen Platz ein, wahrscheinlich angesichts des Kampfes, den der Vatikan gegen die Astrologen führte.

Campanella war nie ein Revolutionär; er war ein Reformer mit rebellischem Geist und als der Geist der Rebellion ihn verließ, wurde er Konformist.

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In seiner Jugend und den ersten Jahren der Gefangenschaft hatte er für die neuen philosophischen Ideen und ein besseres Gesellschaftssystem gekämpft, doch im Laufe der Jahre im Gefängnis versuchte er, seine Freiheit wiederzuerlangen, indem er seine Ideen für die Autoritäten annehmbar machte, und gegen Ende seines Lebens wollte er Kardinal in eben der Kirche werden, die ihn verfolgt hatte, und er schrieb einschmeichelnde Gedichte an den König von Frankreich und Richelieu. 

Die erste Fassung des Sonnenstaat schrieb er in seiner Jugend, als sein Körper in Fesseln, aber sein Geist noch frei war, und sie ist deshalb wahrhaft utopischer als die anderen. Später umwölkte sich Campanellas Vorstellungskraft durch die Furcht vor ständiger Gefangenschaft und die Notwendigkeit von Kompromissen.

Durch die lateinischen Fassungen wurde der Sonnenstaat hauptsächlich bekannt. Er muß Deutschland schon vor 1619 erreicht haben, denn Andreaes Christianopolis, das in jenem Jahr erschien, ist deutlich davon beeinflußt. Er mag von Scioppio dorthin gebracht worden sein, einem deutschen Gelehrten, der zum Katholizismus konvertierte und später Führer der Gegenreformation in Deutschland wurde. Er bemühte sich sehr, Campanellas Entlassung zu erreichen, reiste von Italien nach Deutschland, um den Kaiser aufzusuchen und ihn für Campanellas Sache zu gewinnen, und nahm einige seiner Manuskripte mit.

Der Sonnenstaat wurde zum ersten Mal 1623 in Frankfurt von Tobias Adani, einem deutschen Juristen, veröffentlicht, der von 1617 bis 1629 die meisten Werke Campanellas herausgab. Eine englische Übersetzung (von T.W. Halliday) erschien erst 1886 in Henry Morleys Ideal Commonwealths. Es gibt keinen Hinweis, von welcher lateinischen Fassung die Übersetzung gemacht wurde, doch sie enthält mehrere offensichtlich falsche Übersetzungen, die den Text in einigen Fällen bedeutungslos machen. Einige weggefallene Passagen beschreibt Morley als eine oder zwei Auslassungen von Einzelheiten, auf die man gut verzichten kann. Diese Beschneidung scheint aber eher auf die viktorianische Schicklichkeit als die Rücksicht auf den Umfang zurückzuführen zu sein.

Die folgenden Passagen sind von der ersten italienischen Fassung übersetzt, die 1905 in Italien veröffentlicht wurde und in Fußnoten die Abweichungen von den lateinischen Ausgaben von 1623 und 1637 enthält. Abweichungen von besonderem Interesse sind angemerkt worden.

Der vollständige Titel der ersten Fassung zeigt deutlich die Identität von Der Sonnenstaat und Campanellas Traum von einer christlichen Republik:

Der Sonnenstaat von
Bruder Tommaso Campanella 
oder
Dialog über die Republik
in welchem die Idee einer Reform der Christlichen Republik
dargestellt wird nach dem Versprechen,
das Gott der Heiligen Katharina und der Heiligen Brigitte gegeben hat.

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Der Dialog findet zwischen einem Großmeister der Hospitaliter und einem genuesischen Seemann statt, der die Idealstadt beschreibt, die er auf einer seiner Reisen gesehen hat. Die Stadt liegt in der Nähe von Taprobana auf einer großen Ebene unmittelbar unter dem Äquator:

DER GENUESE: In einer weiten Ebene erhebt sich ein gewaltiger Hügel, über den hin der größere Teil der Stadt erbaut ist. Ihre vielfachen Ringe aber erstrecken sich bis in eine beträchtliche Entfernung vom Fuße des Berges. Dessen Ausdehnung ist so groß, daß der Umfang der Stadt, während ihr Durchmesser etwa zwei Meilen beträgt, sieben Meilen mißt. Denn infolge der Wölbung des Hügels umfaßt sie mehr, als wenn sie in der Ebene läge.

Sie ist in sieben riesige Kreise oder Ringe eingeteilt, die nach den sieben Planeten benannt sind. Von einem zum anderen gelangt man auf vier gepflasterten Straßen sowie durch vier Tore, die nach den vier Himmelsrichtungen weisen. Wahrscheinlich ist sie so angelegt, damit ein Gegner, falls er den ersten Ring erobern sollte, mit doppelter Anstrengung den zweiten erkämpfen, mit noch größerer den dritten und so seine Bemühungen und Kräfte jeweils steigern müßte. Deshalb muß, wer die Stadt unterwerfen will, sie siebenmal erobern. Ich glaube jedoch, daß man nicht einmal den ersten Ring einnehmen könnte, so mächtig ist er: mit Erdwällen, Schutzwehren, Türmen, Gräben und Schleudermaschinen bewehrt und befestigt.

Als ich nun durch das nördliche Tor eingetreten war, das mit Eisen beschlagen und so gearbeitet ist, daß es gehoben und gesenkt und leicht und fest verschlossen werden kann, da seine Angeln infolge eines wunderbaren Kunstgriffes in den Ringen starker Pfosten laufen, sah ich einen ebenen Zwischenraum von siebzig Schritten zwischen der ersten und der zweiten Mauer. Dort erblickt man mächtige Paläste, alle durch die Mauer des zweiten Ringes verbunden, so daß man sie alle für einen einzigen ansehen könnte. In der halben Höhe der Paläste erstrecken sich den ganzen Ring entlang zusammenhängende Bogen, über denen Rundgänge laufen; sie werden von schönen, am Fuße breiteren Säulen getragen, die Innenhöfe gleich Peristylen oder Kreuzgängen der Mönche umsäumen. Von unten haben sie aber keinen Zugang, nur von der inneren, einwärts gewölbten Wand aus; man tritt also ebenen Fußes in die unteren Gemächer. In die oberen dagegen gelangt man über marmorne Stufen, die zu ähnlichen inneren Rundgängen führen, von diesen sodann in die oberen Stockwerke, die prächtig ausgestattet sind, an der einwärts sowie an der auswärts gewölbten Wand Fenster haben und sich durch feines Mauerwerk auszeichnen.

Die konvexe, also die nach außen gewölbte Mauer hat eine Dicke von acht Spannen, die nach innen gewölbte dagegen nur von drei, die Zwischenmauern nur eine solche von einer Spanne oder vielleicht noch von einer halben.

Von hier gelangt man zu einer zweiten Ebene, die nur etwa drei Schritte schmaler als die erste ist. Hier nun erblickt man die erste Mauer des zweiten Ringes, die oben und unten mit ähnlichen Wandelgängen geschmückt ist. Weiter nach innen ist eine zweite Mauer, die Paläste umschließt. Die zweite Ebene weist unten ganz ähnliche von Säulen getragene Innenhöfe und Rundgänge auf, oben aber, wo die Zugänge zu den höher gelegenen Gemächern sind, hervorragende Gemälde.

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So kommt man weiter durch ähnliche Ringe und doppelte, Paläste einschließende Mauern, die mit von Säulen getragenen Wandelgängen nach außen hin geschmückt sind, bis zum letzten Ring, immerfort auf ebenem Boden. Nur wenn man die Tore durchschreitet, die doppelt sind, das heißt, jeweils an der äußeren und inneren Mauer liegen, steigt man über Treppen, die jedoch so angelegt sind, daß man den Anstieg kaum merkt, da sie schräg ansteigen und die Stufen durch fast unmerkliche Erhöhungen voneinander abgehoben sind.

Auf dem Gipfel des Berges ist eine recht geräumige ebene Fläche. In ihrer Mitte erhebt sich ein Tempel, der mit wunderbarer Kunstfertigkeit errichtet ist.

Nachdem der Genuese den Tempel beschrieben hat, äußert der Großmeister der Hospitaliter den Wunsch, etwas über die Regierung der Stadt zu erfahren:

DER GENUESE: Der oberste Herr bei ihnen ist ein Priester, den sie in ihrer Sprache HÖH nennen; in unserer würden wir sagen: Metaphysikus. Dieser ist das Oberhaupt aller in weltlichen und geistlichen Dingen, und alle Geschäfte und Streitigkeiten werden letztlich durch sein Urteil entschieden.

Drei Würdenträger stehen ihm zur Seite: Fön, Sin und Mor, in unserer Sprache: Macht, Weisheit und Liebe.

Die Geschäfte des 'Macht' betreffen die Angelegenheiten des Krieges und des Friedens, das gesamte Kriegswesen; er ist der oberste Befehlshaber im Kriege, jedoch steht er nicht über dem Sol. Er beaufsichtigt die militärischen Behörden und das Heer; ihm obliegt die Sorge für die Bewaffnung und Befestigung, für die Belagerungen, die Kriegsmaschinen, die Waffenschmieden und für die Handwerker, die derartige Sachen herstellen.

Zum Aufgabenbereich des 'Weisheit' aber gehören die freien und die mechanischen Künste, sowie alle Wissenschaften, die zuständigen Behörden, die Gelehrten und die erschiedenen Schulen. Ihm unterstehen so viele Beamte, wie man Wissenschaften zählt. So gibt es also einen Beamten, der Astrologe genannt wird, ebenso einen Kosmographen, einen Arithmetiker, Geometer, Historiographen, Poeten, Logiker, Rhetor, Grammatiker, Arzt, Physiologen, Politiker und Moralisten.

Und sie besitzen auch nur ein einziges Buch, das sie ,Die Weisheit' nennen, in dem alle Wissenschaften bewunderns­wert leicht und faßlich dargestellt sind; dieses lesen sie dem Volke nach der Art der Pythagoreer vor.

Der 'Weisheit' hat die Mauern der ganzen Stadt von innen und außen, unten und oben mit herrlichen Gemälden schmücken und auf ihnen so alle Wissenschaften in fabelhafter Anordnung wiedergeben lassen.

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Auf die äußeren Wände des Tempels und auf die Vorhänge, die herabgelassen werden, wenn der Priester spricht, damit seine Stimme nicht verhallt und den Zuhörern entgeht, sind die Sterne gemalt und ihre Größen, Kräfte und Bewegungen in je drei Versen gekennzeichnet.

Auf der Innenseite der Mauer des ersten Ringes erblickt man alle mathematischen Figuren, und zwar bei weitem mehr, als Archimedes und Euklid erfanden, im richtigen Verhältnis zu der Größe der Wand sauber gezeichnet mit je einer kurzen Erklärung in Versform. Es gibt da auch Definitionen, Lehrsätze usw.

Auf der nach außen gewölbten Außenseite dieser Mauer steht zunächst die genaue und vollständige Beschreibung der ganzen Erde. Darauf folgen besondere Darstellungen jeder einzelnen Gegend. Dabei sind auch die Sitten und Gebräuche, die Gesetze, der Ursprung und die Machtmittel der Einwohner in kurzen Worten auseinandergesetzt; ebenso sieht man die Alphabete aller Völker über dem Alphabet des Sonnenstaates.

Auf der Innenseite der Mauer des zweiten Ringes, also der zweiten Reihe von Wohnhäusern, erblickt man alle Arten von edlen und gewöhnlichen Steinen, Mineralien und Metallen gemalt, ebenso wirkliche Bruchstücke davon als Proben, jedesmal mit einer Erklärung in zwei Versen.

Auf der Außenseite der Mauer sind alle Meere und Flüsse, Seen und Quellen, die es auf der Welt gibt, verzeichnet, sowie auch Weine und öle und überhaupt alle Flüssigkeiten mit Angabe ihres Herkommens, ihrer Eigenschaften und Kräfte. Dabei stehen in Mauernischen Gefäße mit teilweise hundert bis dreihundert Jahre alten Flüssigkeiten zur Heilung der verschiedenen Krankheiten. In gleicher Weise sind Hagel, Schnee, Donnerschläge, und was sonst alles in der Luft vor sich geht, in Bildern und Versen dargestellt. Sie kennen sogar die Kunst, innerhalb eines geschlossenen Raumes alle meteorologischen Erscheinungen wie Wind, Regen, Donner, Regenbogen usw. hervorzubringen.

An der Innenseite des dritten Ringes sind alle Arten von Bäumen und Kräutern abgebildet, einige aber stehen lebend in Töpfen auf den Bogen der äußeren Mauer mit Erklärungen, wo sie hauptsächlich zu finden sind und welches ihre Kräfte und Eigenschaften, sowie ihre Beziehungen zu den Himmelserscheinungen, den Metallen, den Teilen des menschlichen Körpers und zu den Meereserzeugnissen sind, ferner über ihren Gebrauch in der Heilkunde usw.

Auf der Außenseite finden sich alle Gattungen der Fische, der Flüsse, Seen und Meere, ihre Lebensgewohnheiten und Eigenschaften, die Art und Weise ihrer Fortpflanzung, ihres Lebens und ihrer Entwicklung sowie des Nutzens, den sie für die Welt und für uns haben; ferner auch ihre Beziehungen zu den natürlichen und künstlichen Erscheinungen am Himmel und auf der Erde...

Auf der Innenwand des vierten Ringes sieht man alle Arten von Vögeln dargestellt, ihre Eigenschaften, Größen, Farben, ihr Leben, ihre Gewohnheiten usw. Auch der Phönix gilt ihnen für durchaus wirklich.

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Auf der Außenseite sind alle Gattungen der Kriechtiere erklärt: Schlangen, Drachen und Würmer, ebenso die Insekten, wie Fliegen, Mücken, Bremsen, Käfer usw. nebst ihren Lebensgewohnheiten, Fähigkeiten, Giften, nützlichen Eigenschaften usw. Und es sind bei weitem mehr, als man glauben möchte.

Auf der fünften Innenmauer findet man die hochentwickelten Landtiere in solcher Anzahl, daß man nur so staunt. Wir. kennen nicht den tausendsten Teil davon. Da sie so zahlreich sind und von so gewaltiger Größe, sind sie auch an die Außenseite des Rundgangs gemalt. Meine Güte! wie viele Arten von Pferden gibt es da allein schon! welch prachtvolle Bilder sieht man da, und wie kunstreich wiedergegeben!

Auf der sechsten Innenwand sind alle mechanischen Künste dargestellt, die dazu nötigen Werkzeuge und ihre Handhabung bei den verschiedenen Völkern der Bedeutung entsprechend geordnet und erklärt nebst Angabe ihres Erfinders.

Auf der Außenseite aber sieht man die Bildnisse aller Entdecker und Erfinder wissenschaftlicher und technischer Dinge, ebenso die der Gesetzgeber, unter denen ich Moses sah, Osiris, Jupiter, Merkur, Lykurg, Pompilius, Pythagoras, Zamoixis, Solon, Charondas, Phoroneus und viele andere; sogar Mohammed ist abgebildet... Am würdigsten Platze jedoch sah ich das Bildnis Jesu Christi und die der zwölf Apostel, die sie für besonders ehrwürdig... halten. Ich sah ferner Cäsar, Alexander, Pyrrhus und Hannibal und andere in Krieg und Frieden berühmte Helden, vor allem Römer, auf die unteren Wände unterhalb der Säulengänge gemalt. Und als ich voll Staunen fragte, woher sie sogar unsere Geschichte kennten, erklärten sie mir, daß bei ihnen alle Sprachen bekannt seien und daß sie mit Fleiß dauernd Forscher und Sendlinge über den ganzen Erdball hin ausschickten, um die Sitten und Gebräuche, die Verfassung und die Geschichte der Völker kennenzulernen, das Gute und das Schlechte von allen, und darüber ihrem Staate Bericht zu erstatten...

Sie haben Lehrer, die all diese Bilder erklären, und die Kinder pflegen noch vor dem zehnten Lebensjahre ohne große Mühe, gleichsam spielend und dennoch auf historische Weise alle Wissenschaften zu lernen.

Dem ,Liebe' obliegt vor allem die Sorge für die Fortpflanzung, damit Männer und Frauen so miteinander verbunden werden, daß sie den besten Nachwuchs hervorbringen. Sie spotten über uns, weil wir der Fortpflanzung der Hunde und Pferde unsere eifrige Sorge widmen, die der Menschen aber vernachlässigen. Ferner untersteht seiner Leitung die Säuglingspflege, die Heilkunde, die Heilmittelzubereitung, die Aussaat und die Ernte der Feldfrüchte und des Obstes, der Ackerbau, die Viehzucht, die Herrichtung der Tische und die Zubereitung der Speisen sowie alles, was zur Ernährung, zur Bekleidung und zur Begattung gehört. Eine Menge männlicher und weiblicher Beamte, die für diese Gebiete zuständig sind, stehen ihm zu Gebote.

Der Metaphysikus aber tut alles im Einvernehmen mit diesen drei Würdenträgern; ohne ihn geschieht nichts; alle Staatsgeschäfte werden von diesen vier gemeinsam durchgeführt. Was dem Metaphysikus gut dünkt, dem stimmen alle einträchtig zu.

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Im folgenden Absatz werden wir sehen, daß Campanella, obwohl er von Plato und Plutarch stark beeinflußt war, weiter geht als sie, denn er schafft das Eigentum nicht nur für eine Klasse ab, sondern für die gesamte Gemeinschaft:

Alles ist bei ihnen Gemeinbesitz. Die Verteilung aber liegt in den Händen der Behörden. Die Wissenschaften jedoch, die Ehrungen und Vergnügungen sind so Gemeinbesitz, daß sich keiner etwas davon vorbehalten kann.

Sie behaupten, daß der Eigentumsbegriff daher komme, daß wir unsere eigenen Wohnungen und eigene Kinder und Frauen haben. Daraus entsteht die Selbstsucht. Denn um den Sohn zu Reichtum und Würden zu bringen und als Erben eines großen Vermögens zu hinterlassen, werden wir alle zu Räubern an dem Gemeinwesen, insofern wir, infolge unserer Herkunft und durch Reichtum mächtig, jegliche Rücksicht und Scheu ablegen oder aber, gering an Kräften, Vermögen und Herkommen, geizig, hinterhältig und heuchlerisch werden. Wenn wir aber die Selbstsucht aufgeben, so bleibt bloß noch die Liebe zur Gemeinschaft übrig.

Hier unterbricht der Großmeister mit dem üblichen Einwand: Dann will also niemand arbeiten. Jeder erwartet, daß die anderen arbeiten, damit er selbst leben kann. Das bringt bereits Aristoteles gegen Platons Staatsidee vor und der Genuese antwortet:

DER GENUESE: Ich habe das Disputieren nicht gelernt. Indessen sage ich dir, daß sie von einer kaum glaublichen Vaterlands­liebe beseelt sind; und genauso, wie es die Geschichte von den Römern erzählt, die freiwillig für ihr Vaterland starben, werfen diese ihr Eigentum von sich. Ich glaube übrigens, daß auch unsere Brüder, Mönche und Kleriker, wenn sie nicht aus Liebe zu ihren Verwandten und Freunden oder aus Eifer, zu höheren Würden aufzusteigen, zu Fall kämen, bei weitem heiligmäßiger, weniger eigensüchtig und mehr von Liebe zu ihren Nächsten beseelt sein könnten...

...die Behörden achten streng darauf, daß keiner mehr erhält, als er verdient, jedoch auch keinem etwas Notwendiges vorenthalten wird. Aber die Freundschaft tritt unter ihnen zu Tage im Krieg, in Krankheitsfällen oder auch beim Wettstreit in den Wissenschaften, wo sie sich gegenseitig mit Rat und Belehrung unterstützen. Mitunter erweisen sie sich auch gegenseitig Lob, Ehre, Dienstleistungen und Geschenke aus ihrer eigenen Zuteilung.

Alle Gleichaltrigen nennen sich einander Brüder; die aber älter als 22 Jahre sind, werden von den Jüngeren Väter, die jünger als 22 Jahre sind, von den Älteren Söhne genannt. Und dabei sind die Behörden auch sehr darauf bedacht, daß keiner innerhalb der Bruderschaft dem anderen ein Unrecht tut.

DER GROSSMEISTER: Auf welche Weise?

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DER GENUESE: Soviele Namen wir für die Tugenden haben, soviele Behörden gibt es bei ihnen; also Großmut, Tapferkeit, Keuschheit, Freigebigkeit, richterliche und bürgerliche Gerechtigkeit, Gewissenhaftigkeit, Wahrheit, Wohltätigkeit, Dankbarkeit, Heiterkeit, Fleiß, Nüchternheit usw. Und zu diesen Ämtern wird jeweils derjenige erwählt, der in der Schule von Kindheit auf zu der entsprechenden Tugend am meisten geneigt erfunden worden ist.

Wenn man daher unter ihnen weder Raub noch Meuchelmord, weder Schändung noch Blutschande, noch Ehebruch oder andere Vergehen bemerkt, derentwegen wir uns gegenseitig anklagen, so beschuldigen sie sich des Undanks und der Böswilligkeit, ...der Faulheit, der Traurigkeit, des Jähzorns, der Leichtfertigkeit, der Verleumdung und der Lüge, die sie mehr als die Pest verabscheuen. Zur Strafe werden die Angeklagten von der gemeinsamen Mahlzeit, von dem Umgang mit Frauen oder von anderen Ehren ausgeschlossen zu einem Zeitpunkt und für eine Zeitspanne, die dem Richter zur Besserung angemessen erscheinen.

Das Studium der Wissenschaften nimmt im Sonnenstaat einen wichtigen Platz ein, gleichzeitig wird die Handarbeit hoch geachtet:

Alle werden gemeinsam in sämtlichen Künsten und Fertigkeiten ausgebildet. Nach Vollendung des ersten und noch vor dem dritten Lebensjahre lernen die Kinder die Sprache und, umherspazierend, das Alphabet an den Mauerwänden, wobei sie vier Abteilungen bilden und die vierbewährtesten von allen alten gelehrten Männern ihre Führer sind... Dabei sind sie aber stets barfüßig und barhäuptig bis zum siebten Jahre. Zur gleichen Zeit führt man sie auch in die Werkstätten der Handwerker: in die Schusterei, in die Küche, in die Schmiede, in die Schreinerei, zu den Malern usw., damit sich ihre Begabung für ein bestimmtes Handwerk frühzeitig kundtut.

Nach dem siebten Lebensjahre kommen sie nach entsprechender Einweihung in die mathematischen Grundbegriffe mittels der Wandzeichnungen zum Unterricht in allen Naturwissenschaften...

Später beschäftigen sie sich mit der höheren Mathematik, der Medizin und den anderen Wissenschaften. Dauernd findet unter ihnen gelehrte Unterhaltung und Disputation statt. Und diejenigen, die sich in jenen Wissenschaften oder mechanischen Künsten besonders hervortun, werden später Beamte des betreffenden Gebietes, und alle anderen folgen ihnen als ihrem Vorbild und Richter.

Sie gehen auch auf das Land hinaus zur Feldarbeit und zur Besichtigung der Viehzucht, um dabei zu lernen.

Jenen aber halten sie für besonders vorzüglich und edel, der mehrere Handwerke erlernt hat und sie verständig auszuüben weiß. Deshalb verlachen sie uns auch, weil wir die Handwerker für niedrig erachten und diejenigen edel nennen, die kein Handwerk erlernen, untätig daherleben und eine Menge Sklaven zu ihrer Muße und zu ihrem Vergnügen halten; daraus gehen dann auch wie aus einer Schule des Lasters Scharen von Taugenichtsen und Übeltätern zum Verderben des Staatswesens hervor.

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Die Stellung des HOH, oder Metaphysikus, ist oft mit der des Papstes verglichen worden, doch der folgende Absatz zeigt, daß, wenn Campanella den Papst zum Vorbild nahm, es ein idealer Papst war und eher an einen Philosophen (d.h. Campanella selbst) erinnerte, als an die Päpste seiner Zeit:

Niemand aber gelangt zur Würde des Sol, der nicht die Geschichte aller Völker kennt, ihre Sitten und Gebräuche, ihre Religionen und ihre Gesetze, die republikanischen und die monarchischen Einrichtungen, ferner die Gesetzgeber und Erfinder der Künste und Gewerbe, die Ursachen und Gründe der Erd- und Himmelserscheinungen. Ebenso verlangen sie von ihm die Kenntnis aller Handwerke — innerhalb von zwei Tagen lernen sie fast eins, wenn auch nicht bis zur vollkommenen Beherrschung; jedoch wird es ihnen durch Übung sowie durch die Wandbilder erleichtert —, außerdem auch der Physik, Mathematik und Astrologie. Nicht so groß dagegen ist ihre Sorge um die Kenntnis der Sprachen, da sie ja viele Dolmetscher haben, die in ihrem Staate Grammatiker heißen. Vor allem aber muß jener Metaphysik und Theologie beherrschen, den Ursprung, die Grundlagen und die Beweise aller Künste und Wissenschaften kennen, die Übereinstimmungen und Verschiedenheiten der Dinge, die Notwendigkeit, das Schicksal und die Harmonie der Welt, die Macht, die Weisheit und die Liebe Gottes und seiner Werke, die Stufenfolge des Seienden, seine Zusammenhänge mit den Erscheinungen des Himmels, der Erde und des Meeres und mit den Gedanken Gottes, soweit dies sterblichen Menschen zu wissen vergönnt ist. Schließlich muß er sich auch mit den Propheten und der Astrologie beschäftigt haben.

Daher wissen sie schon lange voraus, wer der künftige Sol sein wird. Keiner aber wird zu dieser Würde erhoben, wenn er nicht das 35. Lebensjahr erreicht hat.

Das Amt ist lebenslänglich, sofern sich nicht einer findet, der weiser als jener und zur Herrschaft geeigneter ist.

DER GROSSMEISTER: Wer aber kann so viel wissen? Scheint nicht überhaupt, wer sich auf die Wissenschaften verlegt, ungeeignet zum Herrschen zu sein?

DER GENUESE: Gerade das hielt auch ich ihnen entgegen. Sie antworteten darauf: „Tatsächlich sind wir gewisser, daß in einem so gebildeten Menschen die Weisheit zum Herrschen steckt, als ihr, die ihr ungebildete Männer zu Herrschern macht, die ihr lediglich deswegen für geeignet haltet, weil sie von Fürsten abstammen oder von der gerade herrschenden Partei gewählt wurden. Unser Sol jedoch, wenn er auch noch so unerfahren in der Herrschaft ist, wird niemals grausam oder verbrecherisch oder tyrannisch sein, weil er so viel weiß. Indessen kann es auch Abendrein nicht verborgen sein, daß dieser selbe Beweisgrund bei euch genauso gilt, da ihr doch auch glaubt, daß der der Gelehrteste ist, der am meisten von der Grammatik oder Logik des Aristoteles oder eines anderen Philosophen weiß. Deshalb aber wird bei euch als Weisheit nur sklavisches Gedächtnis und ebensolche

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Bemühung angesehen; dadurch aber wird der Mensch träge, da er ja nicht die Dinge selbst betrachtet, sondern die Worte der Bücher und in toten Zeichen das unklare Wesen der Dinge nachbildet. Demnach begreift er auch nicht, auf welche Weise Gott die Welt regiert, ebensowenig die Gesetze und Werte der Natur und der Völker.

...Wir sind uns auch durchaus klar darüber, daß einer, der nur eine Wissenschaft kennt, weder diese wahrhaft versteht noch andere, und daß der, der nur geeignet ist für eine einzige Wissenschaft, die er aus Büchern schöpft, träge ist und ungebildet bleibt.

Dies aber betrifft solche Geister nicht, die in jeder Art von Wissenschaft bewandert und erfahren sind und eine natürliche Anlage besitzen, das Wesen der Dinge zu erfassen. Ein solcher aber muß notwendig unser Sol sein.

Außerdem werden in unserem Staate die Wissenschaften mit solcher Leichtigkeit erlernt, wie du siehst, daß die Schüler hier in einem Jahr mehr Fortschritte machen als bei euch in zehn oder fünfzehn Jahren...

 

Die Gesetze des Sonnenstaates bezüglich sexueller Beziehungen werden einzig von der Sorge um einen gesunden Nachwuchs diktiert. Campanella ist in seinen eugenischen Theorien sorgfältiger als Plato und meint, daß die Beamten von Ärzten und Astrologen unterstützt werden sollten. Eine besondere Vorsichtsmaßnahme sind Gebete, in denen Gott um die Gewährung eines gesunden Nachwuchses gebeten wird. 

Es ist überraschend, daß Campanella kaum mit der orthodoxen christlichen Moral einhergeht, die jegliche sexuelle Vereinigung, deren Ziel nicht die Fortpflanzung ist, verdammt, und die Vorstellung, daß sexuelle Unterdrückung für junge Leute schädlich ist und vermieden werden muß, erscheint uns sehr modern.

 

Keine Frau wird mit einem Manne verbunden, ehe sie das neunzehnte Lebensjahr erreicht hat. Und kein Mann darf zeugen, bevor er das einundzwanzigste Jahr überschritten hat... Vor dieser Zeit ist es... erlaubt, mit Frauen umzugehen, jedoch nur mit unfruchtbaren oder Schwangeren, damit sie nicht gezwungen werden, unnatürliche Auswege zu suchen (ital. Ausg.: um körperliche Bedürfnisse zu erleichtern statt... damit sie nicht gezwungen werden..., A.d.Ü.). Ältere Frauen und Beamte sorgen für den Liebesgenuß derer, die zu stürmisch sind und allzu sehr bedrängt werden, je nachdem sie es, insgeheim von ihnen angegangen, erfahren haben oder auf den Turnplätzen merken. Jedoch wird die Erlaubnis von dem obersten Beamten der Fortpflanzungsangelegenheiten erteilt, dem Oberarzt...

Wer bei Sodomie ertappt wird, wird gerügt und muß zur Strafe zwei Tage lang die Schuhe um den Hals gebunden tragen zum Zeichen, daß er die Ordnung verkehrt und den Fuß auf den Kopf gestellt hat. (Ed. 1623 - 1637: Wenn er aber rückfällig wird, so wird die Strafe verschärft, bis sie zuletzt zur Todesstrafe wird.)

Die aber, die sich bis zum einundzwanzigsten Lebensjahr des Beischlaf s enthalten... werden in den öffentlichen Versammlungen durch Ehren und Lieder gefeiert.

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Da nach Art der alten Spartaner bei den Übungen auf den Sportplätzen alle, Männer und Frauen, völlig nackt sind, erkennen die Beamten, die die Aufsicht führen, wer zeugungsfähig und wer ungeeignet zum Beischlaf ist und welche Männer und Frauen ihrer körperlichen Veranlagung nach am besten zusammenpassen.

Dann erst weihen sie sich, nach einem Bade, dem Liebeswerk (ital. Ausgabe: jeden dritten Tag, A.d.Ü.). Große und schöne Frauen werden nur mit großen und tüchtigen Männern verbunden, dicke Frauen mit mageren Männern und schlanke Frauen mit starkleibigen Männern, damit sie sich in erfolgreicher Weise ausgleichen.

...Dann gehen sie selbst nach Anordnung des Aufsehers und der Aufseherin zu Bette. Aber nicht eher schreiten sie zu geschlechtlicher Vereinigung, als bis sie die Speise verdaut und zu Gott gebetet haben.

Im Schlafgemach stehen schöne Bildwerke berühmter Männer, die die Frauen anschauen. Darauf richten sie die Blicke durch das Fenster zum Himmel und bitten Gott, er möge ihnen einen tüchtigen Nachkommen schenken.

Sie schlafen in zwei getrennten Kammern bis zur Stunde des Beilagers. Dann aber erhebt sich die Aufseherin und öffnet beide Türen von außen. Diese Stunden bestimmt der Astrologe...

Wenn eine von diesen Frauen von einem Manne nicht empfängt, verbinden sie sie mit einem anderen; wenn sie auch dann unfruchtbar bleibt, wird sie zum Gemeinbesitz (ital. Ausgabe: statt... wird sie zum Gemeinbesitz: ...kann sie gehen, mit wem sie will, A.d.Ü.). Es werden ihr dann jedoch weder in der Versammlung noch im Tempel noch bei Tische die Mutterehren erwiesen. Dies tun sie deshalb, damit keine Frau sich um des Vergnügens willen unfruchtbar macht.

Die Frauen im Sonnenstaat nehmen an der Arbeit der Männer teil, obwohl man ihnen leichtere Aufgaben gibt. Unter ihren eigenen Beamtinnen und Aufseherinnen werden sie in den Waffen geübt, so daß sie im Notfall in der Lage sind, ihre Männer in Schlachten nahe der Stadt zu unterstützen. Militärische Übungen spielen eine wichtige Rolle im Leben der Einwohner des Sonnenstaates, doch sie führen keine Eroberungskriege. Sie beginnen nur Kriege (aus denen sie immer als Sieger hervorgehen), wenn sie beleidigt worden sind oder ihr Land überfallen wurde.

Sie kommen auch anderen Nationen zu Hilfe, wenn sie von anderen, tyrannisch unterjochten Städten gleichsam als Befreier angerufen werden. Anders als die Bürger in Platos Staat verachten sie die weniger aufgeklärten Nationen nicht, sondern glauben, der ganze Erdkreis müsse dahingebracht werden, nach ihrer Art und Weise zu leben; darum durchforschen sie ihn, ob es etwa ein anderes Volk gebe, das besser und trefflicher lebe.

Landwirtschaft ist hoch geachtet und wird wissenschaftlich betrieben. Obwohl es einige „schwachsinnige" Individuen gibt, die ausschließlich in der Landwirtschaft beschäftigt sind, wird von allen Bürgern der Stadt Feldarbeit geleistet. Sie ziehen bewaffnet zur Arbeit, mit Hörnern und Trommeln und Fahnen. Kein Fleckchen Erde bleibt unbearbeitet, und sie benutzen mit einem Segeltuch überspannte Wagen, die mittels eines erstaunlichen Räderwerks sogar von Gegenwind getrieben werden.

Es gibt viele andere interessante „Erfindungen" im Sonnenstaat, und Campanellas Utopie ist die erste, die den Natur­wissen­schaften eine führende Rolle einräumt. Sie ist auch die erste Utopie, die Sklavenarbeit abschafft und jegliche Handarbeit, wie gering sie auch immer erscheinen mag, als eine ehrenvolle Pflicht ansieht.

Wie in anderen Utopien gibt es im Sonnenstaat jedoch wenig Freiheit. Frauen können zum Tode verurteilt werden, wenn sie sich schminken oder hohe Absätze tragen, und Vergehen gegen die Freiheit der Republik, Gott oder den obersten Beamten werden mit dem Tode bestraft. Doch nicht zufällig verbannt Campanella aus seiner Idealstadt Gefängnis und Foltern.

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