Valentin Andreae — Christianopolis
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Andreae's <Christianopolis> wurde 1619 veröffentlicht, nur siebzehn Jahre nach Campanellas <Sonnenstaat>, doch es erinnert viel stärker an die reformistischen Utopien des 19. Jahrhunderts als an die des kalabrischen Mönchs.
Johann Valentin Andreae, ein deutscher Gelehrter und Humanist, hat viel mit dem Baumwollfabrikanten und großen Reformer Robert Owen gemeinsam und aus diesem Grund ist uns seine Idealstadt wahrscheinlich vertrauter als die unrealistischen Träume von Morus und Campanella. Andreae schreibt nicht mit der Vorstellungskraft und Originalität eines Visionärs; er erörtert Fragen, mit denen er eng vertraut gewesen sein muß und für die er unmittelbare Lösungen anbietet. Und wie die meisten Reformer ist er nicht frei von Bekehrungseifer.
Sein Buch ist in der Form eines Briefes geschrieben, gerichtet an diejenigen, die in seiner Idealstadt Zuflucht nehmen wollen, und liest sich eher wie ein Werbetraktat und nicht wie eine Geschichte, die nur zur Erbauung und zur Unterhaltung gedacht ist.
Andreae wurde 1586 geboren; umfassende Bildung und weite Reisen machten ihn gründlich mit den Gedanken und Schriften der Renaissance bekannt. Die Revolution in der Wissenschaft war schon vollzogen; die aristotelische Methode war überwunden, doch die Aufgabe, sie durch eine neue Erziehungsmethode zu ersetzen, wartete noch auf ihre Vollendung. Andreae widmete den größten Teil seines Lebens dieser Arbeit, und schon an der Universität plante er eine Reform des Erziehungssystems und veröffentlichte später mehrere pädagogische Schriften, die auf großes Interesse stießen. Als Lehrer konnte er einige dieser Ideen in die Praxis umsetzen und stellte den ersten Plan für ein wohlgeordnetes Gymnasium auf.
Seine Interessen gingen jedoch über die Erziehung hinaus und richteten sich auf allgemeinere Pläne der Sozialreform, die er wiederum in die Praxis umzusetzen versuchte. Professor Held, dessen (englischer, A.d.Ü.) Übersetzung von Christianopolis eine interessante Studie über Andreaes Schriften und Einfluß vorangestellt ist, berichtet uns, daß Andreae, als er Dekan und Superintendent in Calw an der Nagold wurde, versuchte, ein Gesellschaftssystem zu errichten, wie er es in Christianopolis beschrieben hatte:
Er machte seine eigene Gemeinde zum Ausgangspunkt seiner Tätigkeit und die Kinder zu seinem Material. Von dort aus erweiterte er seine Bemühungen auf die arbeitenden Klassen in der Stadt, ob sie nun in seiner Kirche waren oder nicht. Unter den Arbeitern in den Textilfabriken und Färbereien gründete er eine Gemeinschaft zum gegenseitigen Schutz und unterstützte sie mit freiwilligen Beiträgen von seinen Gemeindegliedern, und Freunden.
Andreae's unmittelbarer Erfahrung mit sozialen Reformen ist es wahrscheinlich zu verdanken, daß seine Utopie eine Konkretheit besitzt, die in den meisten seiner Vorbilder fehlt. Sein Erziehungssystem, das er in Christianopolis ausführlich beschreibt, hatte großen Einfluß auf Comenius, der sich als Schüler Andreae's bekannte, und auf englische Schreiber wie Hartlib, Drury, Milton und andere, die ähnliches Interesse an einer Reform der Erziehung hatten. Er beeinflußte auch Samuel Gott, dessen Utopie Nova Solyma stark an Andreaes erinnert. Das Buch (Solyma? -OD*) gelangte jedoch nicht zu dem Ruhm wie Morus' und Campanellas Schriften; eine deutsche Übersetzung erschien erst 1741, und es wurde erst 1916 ins Englische übersetzt.
Robert Boyle, der 1647 in einem Brief an Samuel Hartlib den Wunsch nach einer englischen Fassung von Christianopolis äußerte, vermutete wohl nicht, daß sie erst dreihundert Jahre später und in New York erscheinen würde.
Die Vernachlässigung dieser Schrift mag zum Teil den unruhigen Zeiten ihres Erscheinens zugeschrieben werden und zum Teil ihrem Stil, doch als weiterer Grund mag dazu beigetragen haben, daß einige Schreiber sie als bloße Kopie von Morus' Utopia und Campanellas Sonnenstaat bezeichneten. Andreae kannte beide und seine Idealstadt enthält viele Ähnlichkeiten mit der Campanellas. Doch diese sind meist oberflächlich, und sein Erziehungssystem, das den größten Teil des Buches einnimmt, ist vollkommen neuartig. Im Gegensatz zu früheren Utopien macht sich der griechische Einfluß bei Andreae kaum bemerkbar. Andererseits ist der Einfluß der mittelalterlichen Stadt sehr stark. Die Konzeption der Bruderschaft, die Achtung vor dem Handwerk, die Einstellung zu Arbeit und Handel, die Bedeutung, die Handwerk und Familie beigemessen wird, all das erinnert uns an die so blühenden Zünfte in den deutschen Städten des Mittelalters.
Es gibt auch einen vollkommen neuen Einfluß in Andreaes idealem Gemeinwesen, ausgehend von der Stadt Genf, die er in seiner Jugend besucht und die sehr starken Eindruck auf ihn gemacht hatte. Er war voller Bewunderung für das hohe moralische Niveau der Bevölkerung von Genf und sagt in seiner Autobiographie: Wenn die Unterschiede der Religion mich nicht abgehalten hätten, die harmonische Einheit ihrer Sitten und Bräuche hätte mich für immer an diesen Ort gebunden.
Andreae erkannte die Lehren Calvins nicht an, doch mit ganzem Herzen billigte er die Sittenstrenge, die er in Genf eingeführt hatte, und er hätte gern eine neue Reformation in der lutherischen Kirche im Geiste des Eisernen Calvin gesehen. Ein weiterer Abschnitt aus seiner Vita zeigt, wie viel er seinem Aufenthalt in Genf verdankte:
Bei meinem Aufenthalte zu Genf bemerkte ich etwas sehr wichtiges, das ich eben so wenig vergesse, als ich mich mein ganzes Leben darnach sehnen werde. Außer der vollkommenen Form eines Freistaats, besitzt die Republik eine besondere Zierde und eine Zuchtanstalt an dem Sittengerichte, das wöchentlich die Sitten der Bürger, auch die kleinsten Ausschweifungen, untersucht, erstlich durch die Aufseher in den Stadtvierteln, dann durch die Ältesten, endlich durch den Senat selbst, wie es das Schreckliche der Sache, oder die Herzenshärte und Halsstarrigkeit des Verbrechers nothwendig machen.
Dadurch werden alle Karten und Würfelspiele, Schwören und Fluchen, Muthwillen, Geilheit, Zank, Haß, Tüke, Betrug, Geldschneiderei, Schmausen, Schwelgerei, Trägheit, unmäßiger Zorn, Grobheit
* OD: Denn Christianopolis ist ja 1619 schon in deutsch erschienen.
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verhütet, noch mehr also größere Verbrechen, die hier fast unerhört und ungewöhnlich sind. Eine solche Sittenreinigkeit ziert die christliche Religion ganz außerordentlich, ist ihr angemessen und eigen, so daß wir ihren Mangel bei uns nicht genug beweinen können, und alle Rechtschaffene an ihrer Wiederherstellung arbeiten sollten.
Später werden wir sehen, wie ein anderer Utopist, Gabriel de Foigny, ein Mönch, der die Kutte ablegen mußte, in der Stadt weilte, die bei Andreae solche Bewunderung hervorgerufen hatte. In diesem freien Gemeinwesen, wo jede Woche die Sitten der Bürger überprüft werden, muß es schon zur Zeit Andreaes Aufenthalt etwas rauh zugegangen sein. Die Mittel, durch die die Reinheit der Sitten in Genf hergestellt wurde, geben uns eine Vorstellung davon, wie Andreae's Utopie wohl ausgesehen hätte, wenn sie nicht nur die Vorstellung ihres Autors geblieben wäre. Ein Historiker berichtet uns, daß 1562 zwölf Männer wegen Hexerei lebendig verbrannt wurden, eine Frau wurde wegen Ehebruchs in der Rhone ertränkt, und ein Bürger von Genf wurde wegen des gleichen Vergehens zum Tode verurteilt. Einem gewissen Jacques Chapellaz, der gestand, er hätte Gott verflucht und den Teufel gefressen, könnte aber seine Hörner nicht hinunterschlucken, und der schon wegen früherer ähnlicher Vergehen bestraft worden war, schnitt man die Zunge heraus.
Wenn sich der Geist der Renaissance in Andreaes Ansichten bezüglich Erziehung stark bemerkbar macht, so ist es die Mentalität der religiösen Reformer, die seine moralische Anschauung leitet. Die Freiheit der Einwohner von Christianopolis wie der Einwohner von Genf schließt nicht das Recht ein, Gott zu leugnen. Nach Calvins Verordnung aus den Jahren 1609 und 1617 sind alle Einwohner von Genf gezwungen, regelmäßig zu den Predigten zu gehen, und den gleichen Zwang finden wir in Andreaes Idealstadt. Auch die Buchzensur gibt es dort, sowie die Hausinspektoren; Ehebruch wird streng bestraft; und obwohl der deutsche Reformer sehr human über die Todesstrafe denkt und über die Verderbtheit der Menschen, die lieber strafen als bessern, klingt seine Ansicht, daß Verbrechen gegen Gott strenger bestraft werden sollen als andere, verhängnisvoll.
Christianopolis wäre verlockender, wenn Andreaes religiöse Prinzipien mehr Verständnis für menschliche Gefühle zugelassen hätten und wenn die menschliche Natur sich hätte ausdrücken dürfen, ohne jeden Augenblick verdächtigt zu werden, sie könne in die Fallstricke des Satans geraten. Doch in jeder Zeile werden wir an die Verderbtheit des Menschen erinnert. Ein jeder, warnt uns Andreae, trägt in sich die Übel seines Hauses, seines Landes oder sogar väterliche und ererbte Übel und Verderbtheit und überträgt sie auf seine Brüder mit einer so giftigen Ansteckung, daß sie nicht einmal jene verschont, die vollkommen Gott geweiht sein sollten, sondern nimmt ihren Weg mit der verschiedensten Verderbtheit, Betrug und Grobheit und nimmt so vollständig von ihnen Besitz, daß sie sie ihr Leben lang nicht abwerfen können, selbst in den ehrenwertesten Stellungen...
Um Satan fernzuhalten, sind Andreaes Beschreibungen der Sitten und Gebräuche der Einwohner von Christianopolis von langen Predigten begleitet, von denen man wirklich sagen kann, kennt man eine, kennt man sie alle.
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Es gibt wenige Themen, die ihm nicht die Möglichkeit zu predigen bieten, und in seiner göttlichen Stadt sind sogar die Mahlzeiten von frommen Gedanken begleitet. Diese Ermahnungen nehmen in dem Buch so viel Raum ein, daß man ein weiteres Zitat über Andreaes Lieblingsthema, das Licht, verzeihen mag. Die Straßenbeleuchtung bietet ihm einen guten Vorwand, und nachdem er kurz dargestellt hat, daß die Einwohner von Christianopolis die Nacht nicht so finster bleiben lassen, sondern erhellen die Stadt mit hin und wieder angezündeten Laternen, von welchen sie diesen Vorteil haben, daß es nicht nur dadurch sicherer ist in der Stadt und das Nachtschwärmen dadurch verhindert wird, sondern die Wachen auch mit wenigem Grauen versehen werden, fährt er fort mit einer langen Tirade über die symbolische Bedeutung des Lichts:
Sie suchen hiermit dem finsteren Reich des Satans und dessen Gaukeleien zu begegnen und sich hiermit untereinander des ewigen Lichtes zu erinnern. Was der Anti-Christ mit seiner Menge Wachskerzen wolle, mag er zusehen. Es entleidet uns deswegen diese Anstalt mitnichten, indem es das im Finstern entstehende Grauen mildert und diejenige Decke gleichsam verdünnt, unter welcher sich das böse Fleisch zur Ausübung so vieler Ausschweifungen und Bosheiten zu verhüllen pflegt... O! so wir mehr auf das Licht verwendeten, so würde die Nacht nicht zu vielen Bubenstücken so bequem mißbraucht werden können, so wäre der lichtscheuen Nachteulen eine kleinere Anzahl. O! daß wir unsere Herzenslampe brennend erhielten, so würden wir uns weniger erkühnen, die alles beleuchtenden Augen Gottes zu blenden. Jetzt, da die Finsternis der Welt zur Entschuldigung dient und ihr zu den greulichsten Sachen Anlaß gibt, indem sie die Dinge, deren sie sich schämt, mit Blindheit bemäntelt, so sage mir, wie wird es wohl ergehen, wenn bei Wiedererscheinen der Sonne, Christo, alles Dunkle in die Flucht gejagt, und alle Schande, die man so sehr zu verhüllen gesucht, wird ans Licht gesetzt werden, da die geile Brunst des Herzens, die Heuchelei des Mundes, die Diebesgriffe der Hände und andere dergleichen schändliche Nachtstücklein denen, die sie ausgeübt, zu ihrer eigenen Beschämung, den Frommen zur Verhöhnung werden dienen müssen.
Die ganze Persönlichkeit Andreaes scheint sich in diesem Abschnitt auszudrücken. Seine Güte und Nachsicht für seine Mitmenschen sowie sein praktischer Sinn forderten, die Stadt zu erleuchten, um die Sicherheit zu gewährleisten und damit die Wachen nicht so schnell ermüdeten, doch seine Moral und Religiosität ließen ihn über diese praktischen Überlegungen hinausgehen. Durch seine gesamte Utopie spürt man, daß seine Liebe zur Menschheit ihn geneigt machte, sie für vernünftige Wesen zu halten, die in der Lage sind, auf vernünftige und ehrliche Weise durchs Leben zu gehen, doch seine Religion sagte ihm, daß der Mensch verderbt ist und sorgfältig geleitet werden muß, daß man ihm predigen und wenn nötig drohen muß, sich von der Sünde fernzuhalten. Deshalb ist seine Idealstadt eine seltsame Mischung aus freien Zünften und religiöser Tyrannei, persönlicher Verantwortlichkeit und vollkommener Unterwerfung unter die Religion.
Christianopolis bezeichnete man vielleicht genauer als ideale Gemeinschaft und nicht als ideales Gemeinwesen. Obwohl die Insel, auf der sie liegt, als eine Welt en miniature beschrieben wird und alle Elemente eines Staates enthält, beabsichtigte Andreae nicht, daß sie von Leuten bewohnt werden sollte, die dort zufällig waren, sondern von solchen, die durch gemeinsame Ideale und Prinzipien zusammengekommen waren.
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In Andreaes Einführung zu Christianopolis scheint es, daß er versucht hatte, eine Geheimgesellschaft zur Durchführung der Religionsreform zu gründen, die ihm so sehr am Herzen lag. Diese Bruderschaft (im allgemeinen als Bruderschaft der Rosen-kreuzer bezeichnet) war für eine kleine Elite gedacht und nahm keine Rücksicht auf die Wünsche des Volkes, das nach einem Hafen der Ruhe und Sicherheit mitten in den Schrecken und Wirrungen der Zeiten suchte. Um diesem Wunsch nachzukommen, wurde die größere Gemeinschaft von Christianopolis beschrieben.
Ob diese Bruderschaft der Rosenkreuzer eine rein mythische Organisation war, oder ob wir Andreaes Argumenten glauben müssen, warum er uns das Modell einer Idealstadt präsentiert, bleibt Spekulation. Wenn wir Andreae wörtlich nehmen, war Christianopolis als Vorbild für eine Gemeinschaft gedacht, die entstehen könnte, sobald sich eine ausreichende Anzahl von Leuten zu diesem Zweck zusammengefunden hätte. Genauso planten zweihundert Jahre später Owen und Fourier die Gründung ihrer idealen Gemeinschaften. Doch Andreae beginnt seine Erzählung mit einem rein allegorischen Kapitel, das viele zu dem Glauben verleitete, sein Buch wäre nur eine Fabel. Es folgt der Abschnitt, dem es nicht an poetischer Schönheit mangelt:
Indem ich als ein Fremdling, der bisher unter der Oberherrschaft in dem Reiche der Tyrannei, der falsch berühmten Kunst und der Heuchelei, so vieles über sich hatte müssen ergehen lassen, irrend umherwandere, ohne denjenigen gefunden zu haben, den ich so ängstlich suchte; so entschloß ich mich aufs neue, mich noch einmal auf das Märe Academicum zu wagen, obwohl ich dessen Tücke bisher vielfältig inne geworden. Indem ich also auf diesen Entschluß das Schiff der Phantasie bestieg, und bei vielen so bekannten als unbekannten Gestaden vorüber segelte, gab ich so Leib als Leben tausenderlei Gefahren, die einen unzeitigen Vorwitz zu begleiten pflegen, gänzlich bloß. Das Wetter war uns eine geringe Zeit günstig; dann erregten die Sturmwinde des Neides und der Verleumdung die Aethiopische See mit einer so großen Heftigkeit wider uns, daß wir alle Hoffnung, ruhiges Wetter zu bekommen, gänzlich sinken ließen. Sowohl der Schiffer und Steuermann, nebst den Matrosen, versuchten zwar ihr äußerstes, jeder griff in der Arbeit, sein Leben zu fristen und der Gefahr hartnäckigst entgegenzukämpfen ritterlichst zu, das Schiff sträubte 'sich mit Gewalt wider die Klippen; nichts destoweniger überwog die Heftigkeit des Sturms alle unsere Bemühung, so daß, da wir nunmehr unsern Untergang vor Augen sahen und mehr aus äußerster Not als aus Großmütigkeit zu sterben bereit stunden, wir uns endlich darein gaben und mit geborstenem Schiffe in die Tiefe sanken. Teils wurden die einen von den Wellen verschlungen, andere in eine ungeheuere Feme weggespült, andere, die schwimmen konnten oder ein Brett zu ihrer Rettung erwischt, wurden an unterschiedliche in dem Meer hin und her zerstreut liegende Inseln geworfen, daß also die wenigsten ihren Tod aufschieben konnten. Ich allein, ohne einen Gefährten, wurde endlich an einen gleichsam nur geringen Rasen angeworfen.
Der Reisende landet auf der Insel Caphar Salama und sah das lustigste Baufeld und herrliche Weiden, frische Ströme und Wassergräben, die dieselbe durchflossen und wässerten; mit Wäldern und Weinbergen war sie gleichsam gekrönt, und allenthalben wimmelte es von Tieren. Man sollte glauben, hier habe sich Himmel und Erde zu einer beständig friedsamen Beiwohnung zusammen getraut.
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Bevor der Reisende sich auf der Insel aufhalten darf, wird er von drei Prüfern befragt. Andreae ist der erste, der den Zugang zu seiner Utopie von einer Prüfung abhängig macht, und wir können froh sein, daß die Einwanderungsbeamten heutzutage nicht so gründlich sind wie in Christianopolis. Der erste Prüfer überzeugt sich, daß der Reisende kein Quacksalber, Bettler oder Schausteller ist. Der zweite untersucht seinen sittlichen Charakter und sein Temperament und der dritte will unter anderem wissen, wie weit ich gekommen sei in Betrachtung des Himmels und der Erden, in Erforschung der Natur, den Werkzeugen der Künste, in der Grundherleitung jeder Sprache, Ur- und Hauptnamen; wieviel ich Wissenschaft von der Zusammenstimmung und Vereinigung dieses ganzen Weltgebäudes hätte... Der Reisende ist nicht sehr gut auf diese Fragen vorbereitet, doch da er eine noch unbefleckte und gleichsam durch die Meereswellen abgewaschene Tafel seines Herzens mitbringt, darf er die Stadt betreten.
Die Stadt ist klein, aber kompakt, gebaut als eine Einheit, in der jeder Teil einer besonderen Funküon dient. Sie verrät jene Liebe zu vollkommener Symmetrie, die für die Architektur der Renaissance charakteristisch ist:
Ihre Gestalt ist viereckig, deren jede Seite 700 Schuh beträgt, mit vier starken Bollwerken und einem Wall sattsam befestigt, sie liegt gerade nach den vier Winden der Welt... Der Gebäude hat es 2 und so man die Kanzleien oder Regimentshäuser dazuzählt, 4 Reihen; eine einzige öffentliche Straße, und einen einzigen, aber sehr weiten und prächtigen Markt. So man die Gebäude ausmißt, so wird man wahrnehmen, daß von der innersten 20 Schuh breiten Gasse das Maß ihrer Aufteilung allezeit durch die fünfte Zahl aufsteige, bis zu dem Mittelpunkt der Stadt, wo ein in die Runde gebauter Tempel steht, der 100 Schuh im Durchschnitt hat... Alle Gebäude sind drei Stock hoch, zu welchem man durch einen offenen Vorschopf oder Erker hinaufsteigt... alle diese Gebäude sind von gebrannten Steinen gebaut mit dazwischen aufgeführten Feuermauern, damit eine Brunst nicht allzu großen Schaden tun könne... Es sieht durchgängig an einem Ort aus wie an dem ändern, nicht zu prächtig, aber auch nicht liederlich und unflätig, besonders ist es allenthalben so eingerichtet, daß man freier und durchstreichender Luft genießen kann. Es wohnen hierin ungefähr 400 Bürger in großer Gottesfurcht und Einigkeit, von denen beinahe einem jeden insbesondere etwas zu sagen sein wird. Außerhalb der Stadtmauern ist ein 50 Schuh breiter Wassergraben mit Fischen besetzt, damit er bei Friedenszeit nicht ohne Nutzen sei. In den Zwingern werden wilde Tiere gehalten, aber nicht zum Mutwillen, sondern zum Gebrauch. Die ganze Stadt ist in drei Teile eingeteilt, nämlich der Ernährung, der Übung, und der Betrachtung; das übrige ist dem Feldbau und den Werkstätten gewidmet.
Die Organisation von Christianopolis basiert nicht auf der patriarchalischen Familie wie in Amaurot oder auf der Klostergemeinschaft wie im Sonnenstaat. Die Stadt teilt sich in Abschnitte entsprechend der Arbeit, die dort verrichtet wird. In den Randzonen finden wir die der Produktion und Aufbewahrung von Lebensmitteln gewidmeten Gebiete sowie die Schwerindustrie.
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Der gegen Osten liegende Teil der Stadtgemeinde ist das Bauernviertel; es teilt sich in zwei Gebiete, einerseits reiner Ackerbau, andererseits Viehzucht. Im gegen Süden liegenden Teil befinden sich Mühlen und Bäckereien, im Norden Metzgereien und Vorratshäuser, der westliche Teil ist der Schmiede vorbehalten.
Die Handwerker innerhalb der Stadt sind ebenfalls in vier Gebiete aufgeteilt: Denn wie die Stadt viereckig ist, arbeitet man auch in unterschiedlichen Materien, Metall, Steinen, Holz, und was zur Weberei gehört, doch mit diesem Unterschied, daß welche mehr Kunst, und nach seinen Gebräuchen, zu dem innern, die leichter waren, zu dem äußeren Viereck gehörten.
Dieser funktionalen Stadtplanung folgen unsere modernen Architekten und sie erregte die Bewunderung einer Autorität auf dem Gebiet der Städte, Lewis Mumford: ... Bei der Planung der Industriezonen von Christianopolis antizipierten diese Utopisten des siebzehnten Jahrhunderts die beste Praxis, die heute, nach einem Jahrhundert ungeordneten Bauens, erarbeitet wurde. Die Teilung der Stadt in Zonen, die Unterscheidung von Schwerindustrie und Leichtindustrie, die Gruppierung ähnlicher Industrieansiedlungen, die Planung einer an die Stadt angrenzenden landwirtschaftlichen Zone, in all dem sind unsere Gartenstädte nur verspätete Reproduktionen von Christianopolis.
Trotz all ihrer Modernität basierte Christianopolis jedoch in gewissem Maße auf der mittelalterlichen Stadt, wie sie Kropotkin beschreibt: Die Stadt war gewöhnlich in vier Viertel geteilt oder in fünf bis sieben Sektionen, die von einem Zentrum ausstrahlten, wobei jedes Stadtviertel oder jede Sektion ungefähr einem bestimmten Gewerbe oder Beruf entsprach, die darin vorherrschten, obwohl sie Einwohner von verschiedener sozialer Stellung und Beschäftigung hatten.
Die Verwaltung der Stadt gründet sich auf dieser Teilung nach Berufen. Im östlichen Teil, dem Bauernviertel, überragt ein Turm die Gebäude, unter dessen Kuppel so oft es die Gesetze erfordern, die auf selbiger Seite wohnenden Bürger zusammenkommen, der bürgerlichen Sachen sowohl, als dem Gottesdienst, abzuwarten. Wir sehen also, daß die ,, Zunft" sich auf der verrichteten Arbeit und dem Wohnort des Arbeiters gründet.
Die Regierung obliegt einem Triumvirat, denn obwohl eine Monarchie viel Bequemlichkeit hat, so wollen sie diese Ehre allein ihrem Könige Christo gönnen, zumals sie in die menschliche Bescheidenheit einen nicht unbilligen Zweifel setzen. Der mittlere Teil des Staates wird von acht Männern regiert, von denen jeder in einem der hohen Türme wohnt und acht weitere Untergebene unter sich hat, die sich auf die niedrigeren Türme verteilen. Weiterhin gibt es vierundzwanzig Ratsherren, die von den Bürgern gewählt werden. Die Mitglieder des Triumvirats, die Beamten und die Stadträte verdanken ihre Stellung nicht Geburt oder Reichtum, sondern ihrer höheren Tugend, ihrer Erfahrung in öffentlichen Angelegenheiten und der Liebe und Achtung, die sie genießen.
Der Staat wird von der Religion regiert, und eine doppelte Tafel, mit goldenen Lettern beschrieben, legt ihr Glaubensbekenntnis und die Ziele und
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Regeln ihres täglichen Lebens fest, denn sie sind eine Herde Christi, als deren Glauben und Religion mit den Aposteln, die Einrichtung ihrer Polizei mit dem Gesetz Gottes übereinkomme.
In der christlichen Republik gibt es kein Privateigentum. Jeder erhält von der Gemeinschaft, was er braucht: Hier ist kein Geld etwas nutz, obwohl das Gemeinwesen seine Schatzkammer hat. Und darum sind die Einwohner für glückselig zu achten, daß keiner dem ändern an Reichtum überlegen ist, oder deswegen einiger Vorzug gilt, indem allein Fleiß und Verstand in Betrachtung gezogen, und die Gottesfurcht, nebst einer erbaulichen Aufführung, allhier in größtem Wert gehalten werden.
Die Arbeit nimmt einen Ehrenplatz in Christianopolis ein, und obwohl Andreae genau wie Campanella die Sklaverei abschafft und die Ungerechtigkeit verurteilt, daß die arbeitenden Menschen die Müßigen unterhalten, geht er weiter und zeigt, wie sogar unangenehme Arbeit keine Last mehr sein muß, wenn sie in einer Atmosphäre der Gleichheit und Freiheit durchgeführt wird:
Sie arbeiten gar wenig Stunden, in welchen dennoch viel verrichtet wird, indem es für unanständig und schändlich gehalten wird, über die erlaubte Zeit seiner Ruhe zu pflegen, da anderer Orts zehn Fleißige kaum einen Faulenzer ernähren, so wird man sich leicht vorstellen können, daß allen diesen Arbeitern auch etwas zu ihrer Ruhe übrig gelassen ist: Wiewohl sie ihre Arbeit durchgängig so verrichten, daß man öffentlich wahrnehmen kann, daß es mitnichten dem Leib zu Schaden, sondern zu großem Nutzen gereicht. Wo kein knechtischer Zwang ist, da zeigt sich auch in dem menschlichen Leib kein Widerwillen, der ihn beschwerte oder entkräftete.
Und an anderer Stelle greift er das Vorurteil gegen die Handarbeit an:
Es gibt auch allgemeine Leistungen und Arbeiten, zu welchen auch die Bürger verpflichtet sind, wie Wachen, Warten, Ernte, Weinlese, Pflasterung der Wege, Erbauung der Häuser, Abführung des Wassers: so gibt es auch noch zur Beihilfe bei den Werkstätten ein oder andere Verrichtungen, welche wechselweise allen und jedem nach Beschaffenheit des Geschlechts und des Alters obliegen, die aber nicht allzu oft, auch nicht täglich vorkommen: denn wiewohl alle Verrichtungen gewissen und geschickten Personen anvertraut sind, so man Leute nötig hat, wird niemand dem Gemeinwesen, wo es nötig ist, seinen Gehorsam und seine Handreichung entziehen. Denn was wir in unseren eigenen Häusern sind, das sind sie in ihrer Stadt, welche sie nicht unbillig für einen einzigen Haushalt halten, daher halten sie es für keine Schande, eine jegliche (nur nicht unflätige) gemeine Arbeit mit zu verrichten; hier werden auch die mühsamst scheinenden Geschäfte in kurzer Zeit und ohne besondere Beschwerde vollendet, indem die Menge der Arbeiter durch ihre Fertigkeit gar leichtlich den größten Haufen entweder zusammen oder auseinander trägt. Wer sollte also nicht glauben, daß, da wir alle der Freiheiten und Gerechtsame eines Gemeinwesens zu genießen begehren, man mit höchstem Unrecht die Mühe und Arbeit etlichen wenigen allein aufbürdet, den meisten aber einen beständigen Müßiggang und Schwelgerei gestattet.
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Im Gegenteil, wer sollte zweifeln, daß ein jeder Bürger schuldig sei, an seinem Ort und seiner Ordnung dem Gemeinwesen nicht nur mit seiner Zunge, sondern auch mit seinen Lenden und Schultern zu dienen. Aber solchen Weichlingen ekelt es auf verkehrte Weise, Erde, Wasser, Stein, Holz oder dergleichen anzurühren; hingegen ist es sehr herrlich bei ihnen, an Pferden, Hunden und Huren seine Ergötzung zu haben.
Während Morus meinte, daß einige Gewerbe diejenigen, die sie verrichteten, erniedrigten, sagt Andreae für Christianopolis:
Die der Arbeit gewohnten Menschen verwildern hier mitnichten, sondern sind über die Maßen leutselig. Die öffentlichen Wachen werden keinen stinkenden Schwenkgurgeln, sondern mäßigen und reinlichen Leuten anvertraut... Gegen die Nordseite sind vierzehn Gebäude dem Schlachten... angewiesen. Hierinnen sieht man nichts Tierisches oder Wildes, wie ich sonst wahrgenommmen, daß die Menschen, die viel mit Abschlachten, Blut, Leder, Fetten und dergleichen umgehen, einigermaßen verwildern.
Er zeigt auch, daß Arbeit keine Strafe ist, wenn genügend Freizeit zur Verfügung steht: Denn während wir sonst mit anhaltender Arbeit unsere Kräfte zermalmen, so wird hier der Leib durch das Gleichgewicht der Arbeit und der Kräfte in seinem Vermögen erhalten und bestätigt, daß sie niemals anders als mit Munterkeit und Hurtigkeit ihre Arbeit wieder angreifen.
Anders als Plato hält er nichts von der Trennung von Hand- und Kopfarbeit, sondern meint, daß jeder sich mit beidem beschäftigen sollte:
...daß die meisten Handwerker Künstler und Gelehrte sind; denn was sonst wenigen kann beigelegt werden und man doch nach der angewohnten und gleichsam ausgemästeten Unerfahrenheit allzuvielen Leuten zuschreibt, ein solches halten die Christianstädter für einem jeden wohlanständig; indem die Subtilität der Studien nicht so groß, noch der Künste und Handwerke Schwierigkeiten so unüberwindlich, daß ein Mensch mit der Zeit und den Jahren nicht beide sollte lernen können.
Interessant sind seine Ansichten über die Anwendung der Wissenschaft auf die Industrie. Die Wissenschaft kommt nicht nur der Produktion zugute; sie gestattet auch den Arbeitern zu verstehen, was sie tun, wodurch ihr Interesse an der Arbeit wächst:
Es ist noch übrig, daß wir der Westseite der Stadt, die denen, die im Feuer arbeiten, aufgehoben, etwas gedenken; hier sieht man einerseits sieben Werkstätten, die zum Schmelzen, Gießen, Schlagen und Formen der Erze angelegt sind; ebenso viele andererseits, für diejenigen Handwerker, die ein beständiges Feuer erfordern, wie Salz, Glas, Ziegel- und Hafneröfen. Hier eröffnet sich eine rechte Probierschule der Natur, worin auch der großen Mutter Eingeweide unter die Musterung genommen werden, und zwar nicht von Leuten, die wie Ochsen am Joch zu einer ihnen selbst unbekannten Arbeit angestrengt werden, sondern die der Natur unter den Schleier gesehen und in Untersuchung deren innerster Geheimnisse ihre größte Ergötzlichkeit finden:
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Sie glauben einem nichts gesagt und gezeigt zu haben, wenn sie nicht die bündigsten Beweisgründe, in Zergliederung der ganzen Natur, zugleich mit vorhalten. Wenn du hier nicht mit reifer Erfahrung sie überzeugst oder nicht mit besonderen Erfindungen, die die gewohnte Arbeit erleichtern, dich hervortust, wirst du schlecht angesehen werden: glaube mir, wenn die Sophisterei ihren Kram hier auslegen wollte, daß sie jedermanns Spott sein würde;
so ganz sehen sie mehr auf die Tat als auf die Worte. Hier läßt sich die echte Chemie in ihrer unverfälschten Schönheit küssen, die mit ihrer Aufrichtigkeit und Fleiß sich jedermann beliebt macht, da sonst die unechte unter vielen Verstellungen und Betrügereien so viele hinters Licht führt. Denn sie pflegt gleichsam selbst über die Arbeit die Aufsicht zu haben, in vielem Nachforschen fortzuhelfen und durch viele Versuche geübt zu machen. Hier hat, mit einem Wort, die Physica prac-tica ihre Heimat.
Und so wird in Christianopolis für den Gebrauch und nicht für den Profit produziert:
Die Arbeiten, oder wie sie es lieber nennen, die Handübungen, werden nach gegebener Vorschrift verrichtet, hernach in gewisse öffentlich hierzu gewidmete Orte gebracht, hieraus nimmt auch ein jeder Künstler von dem vorhanden liegenden Vorrat so viel nötigen Zeugs, als er dieselbe Woche zu verarbeiten hat, denn die ganze Stadt ist gleichsam nur eine einzige Werkstatt, aber von ganz unterschiedlichen Künsten. Die diesen Geschäften vorgesetzten, und auf den kleinen Ecktürmen bestellten Aufseher, wissen schon, was, wie viel an der Zahl, und in welcher Form alle Dinge auszuarbeiten für gut befunden worden, und geben davon den Künstlern Mitteilung; so sie genug gearbeitet, soviel öffentlichen Ortes erforderlich ist, ist es erlaubt, ihren Einfällen nachzuhängen und auf allerlei Erfindungen zu sinnen.
Da die Einwohner von Christianopolis so weise sind, nicht mehr zu produzieren als sie verbrauchen können, hüten sie sich auch vor unnötigen Bedürfnissen. Die Familien sind klein und brauchen deshalb keine großen Häuser, sondern leben in kleinen Wohnungen; sie brauchen keine Diener außer bei seltenen Gelegenheiten, und da sie alle gleich sind, wollen sie einander nicht durch unnötigen Luxus beeindrucken:
Die Häuser sind alle auf eine Art gebaut, säuberlich, und worauf sie sonderlich dringen, von aller Unfläterei ganz rein. Die Gemeinsten haben drei Gemächer, eine Stube, eine Schlafkammer und Küche, und diese zwei meistens nur durch eine bretterne Wand voneinander gesondert. In der Mitte zwischen den Türmen hat es eine kleine Tenne mit einem weiten Fenster, wodurch das Holz und andere schwere Sachen durch eine Spindel emporgezogen werden... Sie werden aus den gemeinsamen Unkosten im Bau erhalten, und durch besondere Aufseher dahin Sorge getragen, daß nichts freventlich verdorben oder verändert wird.
Niemand aber verwundere sich über dessen geringes und eingeschränktes Ansehen, in Betrachtung, daß, da diese Gebäude wenig Leute beherbergen müssen, dieselbigen fast keines Hausrates bedürfen; andere, die die Pracht und Eitelkeit, und was mit unter diese sauberen Hausgenossen gehört, nebst anderem dergleichen schänd-
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chen Plunder, gerne in ihren Hütten beherbergen, die wohnen niemals geräumig und weitläufig genug, denen ist alles zu eng und zu knapp in ihren Wohnungen; solche Leute aber sind sich und anderen eine Last. Denn es scheint, sie halten nichts für nötiger und bequemer, sich unerträgliche und nicht aufzuräumende Last selbst aufzubürden.
Man kann aus dem bisherigen leicht urteilen, wie ihr Hausrat beschaffen sein muß; er ist gar gering, denn sie besitzen nur das, was nötig ist... Tischgerät und Küchengeschirr soviel sich's geziemt und genug ist. Denn was sollten sie eine große Anzahl solcher Sachen begehren, da ihnen von dem gemeinsamen Vorrat nichts verweigert wird, was sie mit gültigen Ursachen fordern können. Keines hat mehr als zwei Kleider, eines zur Arbeit, das andere zur Feier; alle sind durchgängig auf eine Art gemacht, und unterscheiden die Form, das Geschlecht und das Alter; das Zeug ist wollen oder leinen, die sie sommers und winters abwechseln; der Farbe nach sind sie weiß oder aschgrau. Von den Pariser Modeschneidereien weiß hier niemand etwas.
Eine Familie besteht aus 4, 5, höchstens sechs Köpfen, Vater, Mutter und andere kleine Kinder, denn Knechte und Mägde sind hier etwas seltenes, und werden deren keine als zur Wartung der Kranken, Kinder und Kindbetterin wahrgenommen. Mann und Weib helfen einander in den nötigen Geschäften; was weiter erforderlich, wird in den öffentlichen Werkstätten verrichtet; was wegen der mannbaren Söhne und Töchter verordnet, werden wir anderswo vernehmen.
Im Gegensatz zu den meisten Utopien gibt es in Christianopolis keine gemeinsamen Mahlzeiten, doch dies führt nicht zu Ungerechtigkeiten, da ein umfassendes Rationierungssystem angewendet wird:
Sie essen alle gesondert, die Speisen aber werden ihnen aus dem allgemeinen Vorrat gereicht: denn, da bei einer Menge zusammen Speisender Unordnung und Tumult schwerlich können vermieden werden, so beliebt ihnen, gesondert in ihren Zimmern alleine zu speisen. Die Speisen, wie sie nach den Jahreszeiten eingeteilt sind, werden nach der Zahl der Familien wöchentlich ausgeteilt; der Wein aber wird auf ein halb Jahr oder nach Beschaffenheit der Umstände auf weiter hinaus dargereicht. Das frische Fleisch holen sie aus der Fleischbank und nehmen hinweg, was ihnen angewiesen wird. Frisches Wildbret und allerlei Geflügel wird je nach Zeit und Alter ausgeteilt. Sie haben ordentlich 4 Gerichte, die von den Weibern niedlich gekocht und mit dem Gewürz frommer und vertraulicher Reden von ihnen genossen werden. So jemand einen zu Gast haben will, ist es erlaubt, oder tragen sie ihre Gerichte zusammen, oder, so es ein fremder, so holen sie aus dem gemeinsamen Vorrat, was sich geziemt.
In früheren Utopien war einer der Gründe, die privaten Mahlzeiten abzuschaffen, offenbar der, die Frauen für als wertvoller erachtete Beschäftigungen freizusetzen, wie zum Beispiel militärische Übungen. Von Plato bis Campanella war die utopische Frau eine Amazone. Andreae gibt ihr eine rein weibliche Rolle, doch er ist nicht ganz und gar viktorianisch.
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Frauen sollten auf ihrem Platz bleiben und er verweigert ihnen das „Stimmrecht", doch er sieht für Mädchen die gleiche Universitätsausbildung vor wie für Jungen:
Diejenigen Weibsbilder, die verehelicht sind, üben dann ihre Kunst, die sie im Kollegium erlernt haben; denn was man aus Seide, Leinen und Wolle verfertigt, das ist dem weiblichen Fleiß zugeteilt. Denn sie lernen spinnen, nähen, sticken und weben und tun sich auf alle Art in ihren Künsten hervor. Die Verfertigung der Tapeten ist ihr Kunstwerk, die Kleider ihr Handwerk und das Waschen ihr Amtswerk. Überdies müssen sie auch ihr Haus und ihre Küche besorgen und reinlich halten. Was sie für Gelehrsamkeit erlangen, wie sie denn sehr fähigen Verstandes sind, das pflegen sie fleißig, und zwar eben nicht daruni, daß sie etwas wissen, sondern damit sie mit der Zeit auch andere lehren mögen. In der Kirche und im Rat müssen sie schweigen, nichts destoweniger üben sie sich in der Gottseligkeit und guten Sitten, und die göttlichen Gaben leuchten an ihnen nichts destoweniger herrlich hervor. Es ist diesem Geschlecht von Gott nichts versagt, so sie fromm sind, wie dies das Exempel der ewig gebenedeiten Gottesgebärerin auf das vortrefflichste beweist. So wir die Geschichte zu Rate ziehen, so ist keine Tugend den Frauen entzogen: es gibt keine, worin sie sich nicht hervorgetan hätten. Das eine merkt man an, daß sehr wenige das Schweigen recht gelernt haben... Die Frauen haben keinen Schmuck als den, den Petrus C.3. V.5. anpreist, keine Herrschaft als die über ihren Hausrat. Sie dürfen auch, was zu verwundern ist, keine Magddienste tun, es sei denn bei Krankheiten oder ähnlichen Fällen Es schämt sich keine der weiblichen Verrichtungen oder ihrem Manne zu dienen. Ebenso wird sich kein Mann ehrlicher Arbeit entziehen, in welchem Amt er auch stehe. Denn es sind keine gegensätzlichen Dinge, gescheit zu sein und zu arbeiten.
Auch seine Ansichten über die Ehe sind konservativer als die früherer Utopisten. Sie wird nicht nach eugenischen Grundsätzen, sondern nach der Neigung geschlossen, falls sie nicht auf die Mißbilligung der Familie oder des Staates stößt:
Doch ist nirgends sicherer zu heiraten als hier. Denn da das Heiratsgut hier etwas ungewöhnliches ist und die Nahrungssorgen hier ausgebaut sind, so bleibt nichts übrig, als daß hier die Tugend, bisweilen auch die Schönheit in Betracht gezogen wird. Den Junggesellen wird im vierundzwanzigsten, den Jungfrauen im achtzehnten Jahr zu heiraten erlaubt, doch nicht ohne Einwilligung der Eltern, Beratschlagung mit den nächsten Verwandten und unter Anrufung göttlichen Segens. Sie hüten sich sorgfältigst, in nahe Blutsverwandtschaften zu heiraten. Sie verheiraten diejenigen im allgemeinen zusammen, die an den Gemütern und in der Artigkeit der Sitten einander gleich sind, aber auch vornehmlich, was anderen Orts so selten ist, wo sie die gleiche Gottesfurcht wahrnehmen. Die Unzucht ist hier ein großes Verbrechen und die Gesetze darüber sind sehr streng, aber da ihnen alle Gelegenheit abgenommen ist, so werden Übertretungen leicht vermieden. Bei den Hochzeiten nimmt man gar keine Verschwendung oder Tumult wahr, umso weniger darf man auch die sonstigen weltlichen Tor- und Üppigkeiten hier vermuten ...
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Und so beschließen sie ihre Heiraten ohne ein Saufgelage, welches sonst bei allen heiligen Handlungen anderswo den Anfang und das Ende machen muß, allein mit Beten, Singen und christlichen Glückwünschen. Sie geben kein Heiratsgut, für dies halten sie den göttlichen Segen, der Eltern Exempel, beiderseits erlernte Künste und Wissenschaften und das Vergnügen, das sie aus der Einigkeit schöpfen. Der Hausrat wird ihnen aus dem allgemeinen Vorrat angewiesen; und auf diese eingeschränkte Weise machen sie sich unser Kreuz, Strafe, Folter, Fegefeuer, und wie wir sonst die übelgeratenen Ehen zu nennen pflegen, sicher und leicht.
Der Zweck der Ehe ist die Fortpflanzung und anders als Campanella läßt Andreae keine sexuellen Beziehungen einzig zum Vergnügen zu:
Der ehelichen Keuschheit befleißigen sie sich gar sehr und halten sie in großem Wert, damit sie nicht durch die Wollust ihre Kräfte schwächen und verzehren. Die Erzeugung der Kinder bleibt in ihrer Würde, geiler Brunst aber nachhängen, ist etwas höchst Schändliches. Sie leben nicht wie andere, wie dummes Vieh zusammen, wiewohl auch das Vieh etwas an sich hat, das diejenigen beschämt, denen es anständiger wäre mit gleicher Liebe und Gegenliebe, mit gleicher Hilfe fürs erste für den Himmel zu sorgen, danach für die Erde. Daher glauben sie auch, daß man auch in der Ehe sich mit Hurerei beflecken könnte. O! der fleischlichen Leute, die sich nicht schämen, nicht nur in unerlaubten, sondern auch in erlaubten Dingen zu sündigen.
Religion ist sowohl der Schlüssel zur Ehe wie auch zur Erziehung. Kinder werden nicht aufgezogen, damit sie Soldaten für den Staat, sondern gute Christen werden. Da die Familie und der Staat eins sind in der Religion, brauchen sie die Kinder nicht von ihren Eltern zu trennen; da alle Bürger gleich sind, ist das Erziehungssystem für alle Kinder, Jungen und Mädchen, dasselbe.
Die Ideen über Erziehung hatten in der Renaissance enorme Fortschritte gemacht und vor allem in Italien gab es viele Akademien und Universitäten, wo die Söhne und Töchter der Aristokratie und der Wohlhabenden eine gründliche und liberale Erziehung erhielten. Andreae beschäftigte sich jedoch nicht mit der Erziehung einer kleinen, privilegierten Minderheit, den Söhnen von Fürsten und reichen Kaufleuten, die sich Hauslehrer oder Privatschulen leisten konnten. Aus diesem Grund hat seine Erziehung nicht den Glanz wie die der glücklichen Thelemiten, doch sie hat den Vorteil, allen zugänglich zu sein.
Die große Mehrheit der Schulen seiner Zeit war keineswegs von den Ideen der Renaissance beeinflußt, und es waren radikale Veränderungen notwendig, nicht nur in den Erziehungsmethoden, sondern auch in den Schulen selbst und im Lehrerberuf. Die Bedingungen zu Andreaes Zeit waren noch die gleichen, die Erasmus mit solcher Heftigkeit in seinem Lob der Torheit beklagte:
Da treten uns zuerst die Grammatiker entgegen... stets laufen sie hungrig und schmutzig in ihren Schulen herum — in ihren Schulen, sage ich? Nein, in ihren Folterkammern, ihren Peinigungsstätten, ihren Marterhöhlen! Umgeben von einer zahlreichen Kinderherde, bringen sie ihr Leben in ewiger Arbeit hin, werden durch ihr eigenes Schreien schließlich taub und gehen vor Gestank und Unreinlichkeit zugrunde.
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Dennoch halten sie sich, kraft meiner Wohltat, für die bedeutendsten Menschen auf Erden. So sehr schmeicheln sie sich, wenn sie ihren furchtsamen Untergebenen durch drohende Blicke und donnernde Worte Schrecken einjagen, mit Stöcken, Ruten und Peitschen die Ärmsten durchprügeln und erbarmungslos nach eigenem Ermessen wüten, ganz wie jener Esel von Kumae.
In Christianopolis sind die Schulen geräumig und schön,
hier ist alles geräumig, hell und lustig; indem die anmutigen Gemälde die Kinder anlocken, die Knaben unterrichten, die Jünglinge erinnern. Hier verbraten sie im Sommer nicht vor Hitze und erfrieren des Winters nicht vor Kälte. Hier werden sie durch keinen Tumult und Getös beunruhigt, aber auch ihre Einsamkeit ist ohne Grauen und Ekel. Was sonst der Eitelkeit und dem Müßiggang des Hofes zugeeignet wird, das ist allhier mit weit glückseligeren und mehr Gewinn tragenden Unkosten einer ehrlichen Ergötzung und Bemühung gewidmet.
Neben der äußeren Erscheinung der Schule muß die größte Sorgfalt auf die Auswahl der Lehrer verwandt werden:
Zu ihren Lehrmeistern nehmen sie keine Leute aus dem niedersten Pöbel, die etwa sonst nirgends hin taugen, sondern die auserlesensten Bürger, deren Verdienste in dem Gemeinwesen bekannt sind, welche auch zu den höchsten Regiments-Eh-renstellen einen offenen Zutritt haben. Denn gewiß ist, daß die Jugend niemand besser besorgt, als welcher dem Gemeinwesen wohl vorzustehen weiß; und wer bei der Jugend nützlich erfunden worden, hat sich schon dem Gemeinwesen genug bewährt gemacht. Sie sind von einem ansehnlichen Alter und sonderlich wegen dieser vielen Tugenden berühmt, daß sie auf ihr Ansehen halten, aufrichtig, fleißig, edelmütig sind. Wo sie bei ihren Schülern und Zuhörern nichts gelten noch in öffentlichem Wert und Hochachtung stehen, wo sie nicht mit Frömmigkeit gegen Gott, Ehrlichkeit gegen den Nächsten, Tapferkeit und Mäßigkeit gegen sich selbst anderen vorgehen und in den Tugenden vorleuchten, wo sie in ihrer Unterweisung und Erziehung nicht alle Geschicklichkeit, Scharfsinnigkeit und den höchsten Verstand anwenden, wo sie die ihrigen als freie Geschöpfe nicht mit Leutseligkeit, Freundlich- und Holdseligkeit antreiben und ermuntern wollen, dünken sie mir nicht wert zu sein, daß sie eine solche kleine Republik, die doch eine Nachfolgerin der großen ist und einmal an deren Stelle tritt, zu bilden erwählt oder ihnen das Hauptstück künftiger Wohlfahrt anvertraut werden soll.
Alle Kinder beiderlei Geschlechts erhalten eine Ausbildung. Nach Vollendung des sechsten Lebensjahres übergeben die Eltern sie dem Staat. Sie essen und schlafen in der Schule, doch die Eltern können ihre Kinder, auch wenn diese sie nicht sehen, besuchen, so oft sie Freizeit haben. Die Aufenthaltsräume sind mit derselben Sorgfalt eingerichtet wie die Schule selbst, um »hygienische" Bedingungen zu schaffen.
Daß die Speisen schmackhaft und gesund, die Betten reinlich, die Kleider und der ganze Leibesanzug sauber sind, das wird sorgfältig in Acht genommen, sie werden öfters mit Wasser gebadet und mit Leinwand wieder abgetrocknet, sie
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werden auch fleißig gekämmt, daß sie keine Kostgänger bekommen. So einige Krankheiten das Haupt oder den Leib angreifen, werden sie abseits verpflegt und, damit sie nicht andere anstecken, abgesondert.
Die Erziehung in Christianopolis richtet sich auf drei Ziele, und das erste ist natürlich, Gott mit einer reinen und andächtigen Seele zu verehren, zweitens, nach der besten und keuschesten Moral zu streben; drittens, die geistigen Kräfte zu entwickeln. Es wird deutlich, daß Andreae Erziehung nicht als Aneignung von Wissen in unserem heutigen engen Sinn versteht. Er beschäftigt sich mehr mit der Bildung von Charakter und Persönlichkeit des Kindes und der Entwicklung seiner Fähigkeiten als mit der Vermehrung des Wissensumfangs.
Jungen und Mädchen haben den gleichen Lehrplan, allerdings nicht zur gleichen Zeit; die Jungen werden morgens, die Mädchen nachmittags unterrichtet. Die übrige Zeit ist der handwerklichen Ausbildung, der Hauswirtschaft und Wissenschaft gewidmet. Matronen sowie Gelehrte sind die Lehrer.
Die Schule ist in acht Säle unterteilt entsprechend den acht Abteilungen der Ausbildung. Der erste ist die Schule der schönen Künste, die, dem Alter der Schüler entsprechend, in drei Abschnitte geteilt ist. Die jüngsten Studenten beginnen mit Grammatik und Sprachen und lernen in den drei Sprachen, der Lateinischen, Griechischen und Hebräischen, die Sachen zu nennen, doch Andreae versichert uns, daß man sorgfältig darauf achtet, die zarten und zerbrechlichen Geschöpfe nicht zu überlasten, und daß reichlich Freizeit gestattet ist.
Die fortgeschritteneren Studenten werden in der Redekunst unterrichtet, das heißt, jeglichen Argumenten in Übereinstimmung mit den Regeln der Kunst zu begegnen. Obwohl sie lernen, ihre Redenmit zierlichen Blumen der Redekunst auszuschmücken, ' wird mehr Nachdruck auf die natürliche Kraft als auf die künstliche Form gelegt. Diejenigen, die alt genug sind, lernen auch moderne Sprachen,
nicht als ob sie glauben, dadurch gescheiter zu werden, sondern daß sie auch mit mehreren Einwohnern der Welt. und zwar nicht sowohl mit Lebenden als Toten ihren Umgang haben können, mithin nicht nötig haben, einem oder dem anderen Betrüger so leicht zu glauben. Doch das Studium der Sprachen sollte nicht über seinen Nutzen bewertet werden; das wichtigste ist das, was man zu sagen hat, und das kann ebensogut in der Muttersprache ausgedrückt werden: „Wo Frömmigkeit und Aufrichtigkeit vorhanden sind, liegt nichts daran, in welcher Sprache man redet, wo aber die fehlen, so ist es ein Ding, Griechisch oder Lateinisch über die Schnur zu hauen."
Die weiter fortgeschrittenen Studenten kommen in die zweite Abteilung, wo sie Vorlesungen über Logik, Metaphysik und Theosophie besuchen. Logik sollte als ein Mittel und nicht als Zweck an sich betrachtet werden: Kein Künstler rühmt sich nur seines Richtscheids oder seiner Waage, wenn er nicht auch etwas von seiner Arbeit aufweisen kann.
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Beim Studium der Metaphysik und Theosophie wird jegliche Beschäftigung mit konkreten Dingen, Forschung und Erfindungen beiseite gelassen, und um zum Wissen zu gelangen, darf man die göttliche Sonne um Rat fragen und zu dem bekannten Gott aufsteigen.
Im dritten Saal kommen wir zurück zu den weniger esoterischen Wissenschaften der Arithmetik, Geometrie und Algebra, die die geistigen Fähigkeiten entwickeln und dazu beitragen, praktische Probleme mit bemerkenswerter Sorgfalt zu lösen. Hier wird auch die Wissenschaft von den geheimen Zahlen gelehrt, die in der Philosophie der Renaissance eine bedeutende Rolle spielten. Für die Planer der Renaissance schien es unmöglich, daß Gott, der Erzplaner, die Welt nicht nach harmonischen Regeln und Maßen geordnet haben sollte. Denn, sagt Andreae, der allerhöchste Baumeister hat dieses Gebäude mitnichten nur aufs Geradewohl hin gemacht, sondern nach Zahl, Gewicht und Maß auf das allerweiseste eingeordnet, zu welchen er die durch bewunderungswürdige Übereinstimmung eingeteilte Zeit hinzugetan hat. Dieser wunderbare Plan wird durch keine Kunst, sondern durch seine Offenbarung erlernt, die nicht immer leicht zu entdecken ist. Dieselbe Vorsicht muß bei der Weissagung der Zukunft walten; Andreae bestreitet nicht den Wert von Prophezeiungen, warnt jedoch, daß Gott sich auch das Künftige allein vorbehalten, ein solches den allerwenigsten, und zwar mit den größten Zwischenschritten, zu offenbaren.
Um in den vierten Hörsaal der Musik zu gelangen, muß man Kenntnisse der Arithmetik und Geometrie haben. Die Musik in Christianopolis, sagt er, eifert dem Himmel nach und fördert nicht das unsinnige Tanzen, die leichtfertigen Lieder und der Spielleute Gottlosigkeit, Dinge, welche schon längstens aus dieser Republik verbannt und jetzt ganz unerhört worden sind. Ihre Instrumente, groß an Zahl und Vielfalt, die praktisch jeder geschickt zu spielen weiß, sind nach den Instrumenten Gottes gestimmt, und ihr Chor, der ebenfalls nur der geistlichen Musik gewidmet ist, schreitet einmal die Woche durch die Stadt, zusätzlich zu den Feiertagen.
Der fünfte Hörsaal ist der Astronomie und Astrologie gewidmet, die sich nicht weniger als andere um das menschliche Geschlecht verdient gemacht haben. Es ist des Menschen unwürdig, den Himmel (nicht) ebenso vernünftig wie jedes Tier anzusehen, und wer den Wert der Astrologie für die Dinge der Menschen nicht kennt oder ihn töricht leugnet, sollte dazu verurteilt werden, die Erde umzugraben und die Felder zu bearbeiten und zu bestellen so lange wie möglich bei ungünstigem Wetter! Doch die Astrologie spielt hier bei weitem nicht die Hauptrolle wie im Sonnenstaat. Die Einwohner von Christianopolis halten es für eine unsichere Sache, alles von den Sternen abhängig zu machen, daß sie vom-ersten Punkt ihres etwas Werdens, oder der Minute ihrer Geburt sollten abhängen, und daß sie von eben demselben gleichsam das Urteil des Lebens oder des Todes erhalten. Daher sehen sie mehr darauf, daß sie über die Gestirne herrschen und durch den Glauben das Joch, so ihnen etwa eines aufliegt, abschütteln mögen.
Im sechsten Saal werden Naturphilosophie, Welt- und Kirchengeschichte gelehrt. Die Kenntnis der Welten und ihrer Geschöpfe muß begleitet sein von dem Wissen um die Ereignisse der menschlichen Tragödie.
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Andreae betont die Notwendigkeit historischer Wahrheit, warnt jedoch auch vor jenen, die nur auf die Verderbtheit der Menschheit sehen, auf die ungeheuren Taten, die Greuel der Kriege, die Schrecken der Massaker und die Keime der Tugend leugnen, die Würde der menschlichen Seele, den Überfluß an Frieden und erholsamer Stille. Und doch gibt es Gelehrte, die so verwegen sind, hiervon nicht zu wissen oder es pur unter die Fabeln zu rechnen. Die sind ja wohl wert, daß sie selbst unter der alten Weiber Geschwätz kommen.
Wir haben gesehen, daß Andreaes gesamtes Erziehungssystem mehr auf eine moralische Erziehung als auf eine Erweiterung des Wissens bedacht ist. Trotzdem ist der siebte Hörsaal der Ethik vorbehalten, einschließlich dem Studium aller menschlichen Tugenden, nicht nur in der Theorie, sondern auch in der Praxis, sowie der Regierungskunst und der christlichen Nächstenliebe. Die drei höchst bewerteten Eigenschaften des Menschen sind: Gleichheit, Friedensliebe und die Verachtung von Reichtümern.
Die letzte Schule ist der Theologie gewidmet, die Nachdruck, Schönheit, Kraft und Tiefe der Heiligen Schrift lehrt, und der praktischen Theologie, die sie im Beten und Meditieren unterweist. Sie haben auch eine Schule der Prophezeiung; sie gibt keinen Unterricht im Weissagen, sondern prüft jene, diemit der Gabe der Prophezeiung begnadet sind, und beobachtet die Harmonie und Wahrheit des prophetischen Geistes.
Neben den acht bereits beschriebenen Hörsälen sind zwei Räume dem Studium der Medizin und der Rechtsgelehrsamkeit gewidmet. Letztere ist eine rein akademische Wissenschaft, denn man braucht in Christianopolis keine Anwälte. Aus irgendeinem Grunde jedoch sind Anwälte und Notare nicht verschwunden, und Andreae berichtet uns, daß ihnen, damit sie nicht müßig sind, die Anfertigung von Kopien anvertraut wird.
Die Bedeutung, die Andreae Chemie, Naturwissenschaften, Anatomie, Mathematik und Astronomie beimißt, ist nicht überraschend; es waren Wissenschaften, die der Mensch der Renaissance in seiner Ausbildung keineswegs vernachlässigt hätte, ebenso wenig wie ein Grieche Musik oder Gymnastik. Überraschend ist jedoch die moderne und rationale Haltung, die sich in der Unterrichtsmethode offenbart. Seine Laboratorien waren nicht großen Gelehrten vorbehalten wie das Haus Salomon bei Bacon; sie waren den Studenten zugänglich, und wenn sie so anziehend wie möglich gestaltet wurden, dann nicht nur fürs Auge, sondern die Wissenschaften gehen durch das Sehen leichter ein als durch das Hören, und weit lieblicher in ihrer auserlesenen Schönheit als unter dem gewöhnlichen Wust mit Unlust. Die betrügen sich, die sich einbilden, man könne nirgends lernen als in Höhlen, mit gerunzelter Stirn und sauer sehendem Gesicht.
Andreae ist auch der erste, der die bildende Kunst in sein utopisches Erziehungssystem mit aufnimmt. Die Stadt hat ihr Atelier, eine weitläufige Werkstatt der Malerkunst, und Malerei, Zeichnungen und Bildhauerei werden nicht nur dazu benutzt, die Stadt mit schönen und nützlichen Gemälden und Statuen zu schmücken, sondern der Kunstunterricht wird gefördert, denn mit wie weit größerem Glück üben sich jene in dem Pinsel, so daß sie, wo sie eingelassen werden, mit ihren alles ausspähenden Augen gleichsam allen Dingen nachstellen, bringen zu allem geschickte Hände und, was das meiste, ein mit der Sache selbst übereinkommendes, nicht aber ein unfruchtbares und niederträchtiges Urteil mit.
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Jedoch auch wenn man einen Pinsel benutzt, kann man in die Fallstricke des Satans geraten, und bei den Künstlern von Christianopolis wird allenthalben die Zucht und Ehrbarkeit ernstlich gehalten, so daß sie nicht mit unkeuschen Gemälden unschuldige Augen vergiften.
Neben der Erziehungsreform war Andreae auf die Bildung eines Kollegiums oder einer Gesellschaft bedacht, die alle Gelehrten vereinigte und ihnen die notwendigen Mittel zur Durchführung ihrer Forschungen zur Verfügung stellte. Schon in Fama, das 1614 erschien und schon seit 1610 in Manuskriptform zirkulierte, umriß er einen Plan für wissenschaftliche Forschung und stellte ein Modell für ein Kollegium oder eine Bruderschaft auf, das eine „allgemeine Reformation" der gesamten zivilisierten Welt darstellen sollte. Professor Held hat in seiner Einführung zu Christianopolis dargelegt, wie Andreaes Ideen jene Schriftsteller und Philosophen beeinflußten, die die Grundlagen für die Royal Societyin London legten. Auch ist es wahrscheinlich, daß Bacon mit Andreaes Schriften vertraut war und daß sie seine Erfindung des Hauses Salomon beeinflußten.
In Christianopolis wird das Kollegium ziemlich kurz beschrieben, und es wird nicht deutlich, ob es sich aus all jenen zusammensetzt, die Studien oder Forschungen durchführen wollen, oder ob es auf wenige Erwählte begrenzt ist:
Es ist aber Zeit, daß wir in das Innerste der Stadt hineingehen, welches gleichsam die Seele der Stadt ist und derselben ihr Leben und Bewegung mitteilt... Hier hat die Religion, Gerechtigkeit und Gelehrsamkeit ihre Wohnung, denen die Wohlredenheit als eine Dolmetscherin zugegeben. Niemals habe ich etwas dergleichen gesehen, wo so viele menschliche Vollkommenheiten zusammengehäuft werden...
Wenn wir auch über die genauen Eigenschaften des Kollegiums ziemlich im Unklaren gelassen werden, erhalten wir andererseits eine ausführliche und konkrete Beschreibung der zugehörigen Bibliothek, des Zeughauses, der Laboratorien und botanischen Gärten. Im chemischen Laboratorium werden zum menschlichen Gebrauch und zur Beförderung der Gesundheit alle Kräfte der Metalle und Mineralien oder Gewächse, auch der Tiere, untersucht, gereinigt, vermehrt, vereinigt... Hier lernt man das Feuer regieren, die Luft gebrauchen, das Wasser schätzen und die Erde erkennen.
Es gibt eine Apotheke, wo man eine sorgfältig ausgewählte Sammlung aller Naturschätze finden kann, nicht nur zur Erhaltung der Gesundheit, sondern auch zum Unterricht des Gemüts. Ein Ort ist auch für die Anatomie vorgesehen, wo Tiere seziert werden, dennjene zeigen der Jugend aus den Gliedmaßen der Tiere die Wirkungen der Seele und deren mancherlei Werkzeuge und zeigen ihnen die bewunderungswürdige Zusammenfügung der Gebeine; daher sie nicht wenige und von unterschiedlicher Gattung Skelette haben. Manchmal zeigen sie auch die Zergliederung menschlicher Körper, aber gar selten, da unsere Weichherzigkeit sich über dem Anschauen menschlichen Elends erschüttert.
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Die größte Sorgfalt ist dem naturwissenschaftlichen Laboratorium gewidmet. Hier finden wir, wie im Sonnenstaat, die Naturgeschichte in allen Einzelheiten und mit großem Geschick an die Wände gemalt. Die Erscheinungen des Himmels, die Gestalt der Erde in ihren verschiedenen Gegenden, der Unterschied der Menschen, die Bilder der Tiere, die Gestalten der Pflanzen, die verschiedenen Arten edler und unedler Steine sind nicht nur alle hier und benannt, sondern sie unterweisen auch zugleich die Zuschauer und entdecken ihre innersten Eigenschaften. Doch das Laboratorium enthält nicht nur bildliche Darstellungen; es ist auch ein wohlgeordnetes Museum, wo jede Spezies der Natur, die dem menschlichen Körper wohltuend oder schädlich sein kann, aufbewahrt wird, und ein kompetenter Führer erklärt ihren Nutzen und ihre Eigenschaften. Die Bürger von Christ'anopolis verurteilen jene, die ihr Wissen nur aus Büchern beziehen und bei einem ungefähr ihnen vorkommenden Kräutlern im Zweifel hangen bleiben.
Mathematik spielt selbstverständlich eine wichtige Rolle, und in einem Gewölbe gibt es eine Werkstatt für astronomische Instrumente und einen Saal der Mathematik, welcher mit lauter himmlischen Bildern und Figuren, gleichwie das Theatrum Physi-kum mit irdischen, ausgezieret war.
Während Krieg oder Kriegsvorbereitungen in früher betrachteten Utopien eine so wichtige Rolle spielen, werden sie in Christianopolis äußerst kurz erwähnt:
Von dem ... Zeughaus haben sie eine noch härtere Meinung. Denn da die Welt mit ihrem Geschütz, Kanonen, Mörsern und dergleichen Kriegswaffen zu prangen pflegt, so sehen diese hingegen alle diese ungeheuren und in Haufen zusammengebrachten Mordinstrumente mit Entsetzen an und zeigen sie auch den Anschauenden mit äußerster Verwünschung menschlicher Blutgierigkeit... Dennoch ergreifen sie, wiewohl mit Unwillen, die Waffen zur Abwendung einer unbilligen Gewalt, und teilen dieselben besonders den Bürgern aus, um solche für den Notfall in ihren Häusern aufzubewahren.
Bevor wir Christianopolis verlassen, wollen wir noch die folgenden Abschnitte zitieren, die sehr gut den idealistischen Charakter von Andreaes Gemeinschaft ausdrücken:
Ich halte wohl dafür, ihr werdet erwarten, was es denn für eine Belohnung bringe, wenn man in dieser Stadt sich mit seiner guten Aufführung und herrlichem Verstand hervortut. Aber ein Christianstädter wird auf diesen Vorwurf leichtlich antworten, ihm sei es Gewinn und Ehre genug, Gott zu gefallen... Aber die Zufriedenheit, sich nur Gutes bewußt zu sein, die Hoheit des aufgeklärten Verstandes, die Herrlichkeit des Sieges über die Begierden, und über allem die unaussprechlich selige Mitbürgerschaft des Himmels, nehmen eine geläuterte Seele weit höher ein, als daß sie die Ausschließung von irdischer Glückseligkeit nur ein weniges achten sollte.
Von den Strafen können wir gleichfalls sagen, daß, wo ein Heiligtum Gottes und eine auserwählte Stadt ist, dieselben nicht in Gebrauch sind: daher die christliche Freiheit nicht einmal einige Zwangsgebote, viel weniger einige Drohungen leiden kann, indem dieselbe einen freiwilligen Zug zu Christo hat.
Doch muß man auch dieses bekennen, daß das Fleisch sich nirgendwo ganz ausrotten läßt; daher, wenn dasselbe fleißige Erinnerungen und, wo es nötig, schärfere Bestrafungen nicht achtet, muß man es mit härteren Peitschen zurückhalten: wozu allezeit, jedoch nicht für jeden gleich, sondern je nach Beschaffenheit der Gemüter, klug anzuwendende tüchtige Mittel in Vorrat sind.
Gewiß, wenn du deinem Fleische die Mästung entziehst und auf seine Reizungen selbst die Peitsche fühlen läßt, so wirst du dasselbe gewaltig ändern. Das ist die größte Kunst sich also zu hüten, daß man seine Geneigtheit zu sündigen bändige. Wie es im Gegenteil eine unverantwortliche Unbilligkeit wäre, anderer Leute Schuld und Ruin noch dazu mit seinem zu überhäufen. Dies nehmen die Richter zu Christianstadt hauptsächlich in Acht, daß die Sünden, wodurch Gott schnurstracks angegriffen wird, härter bestraft werden als diejenigen, welche die Menschen beleidigen; diese werden leichter, die übrigen am geringsten bestraft; anders als es die Welt macht, welche einen leichten drei Heller Dieb unverzüglich härter zu strafen pflegt als einen Gotteslästerer oder Ehebrecher. Jene machen allzeit großes Bedenken, Blut zu vergießen, daher sie auch nicht leichtlich in die Todesstrafe einwilligen.
Die Welt geht im Gegenteil mit Vergießung unschuldigen Bruderbluts verschwenderisch und gleichsam spielend um und diktiert so gleich die erste Todesstrafe an, die ihr in den Mund kommt, und glaubt dabei, mit dieser Ausflucht sicher zu sein, daß sie nicht selber Schwert, Strick, Rad und Feuer gebraucht, sondern durch einen Diener verrichten läßt. Das ist, so wahr mich Christus liebt, eine saubere Beschaffenheit in einer christlichen Republik, aus liederlichen Gesellen Diebe, aus Wollüstigen Ehebrecher, aus Landstreichern Mörder, aus Huren Hexen zu machen, damit man Leute habe, deren Blut man gleichsam der göttlichen Rache aufopfern könne. Es ist weit menschlicher, die ersten Sprosse und Wurzeln der Laster auszurotten als die erwachsenen Stämme behauen; denn einen Menschen verderben kann ein jeder, aber einen auf bessere Wege führen nur ein rechtschaffener Christ.
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