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"Da wurden ihre Augen geöffnet und sie erkannten ihn."  (Lutherübersetzung) 
"Da gingen ihnen die Augen auf und sie erkannten ihn."  (Einheitsüb.)
"Da wurden ihre Augen erschlossen, und sie erkannten ihn."  (Übersetzung von F. Stier nach H. Halbfas) 

 Das Emmausmahl von Caravaggio 1601 und Lukas 24,31  
Personen von rechts:  Kleopas, Jesus, Emmauser Gastwirt, 2. Jünger (Name unbekannt) 
Ort: Das Dorf Emmaus, 60 Stadien von Jerusalem (2 Wegstunden zu Fuß) 


 

Der Auferstandene erscheint zwei Jüngern auf dem Weg nach Emmaus

 

13  Und da! Zwei von ihnen waren am selben Tag auf Wanderung nach einem sechzig Stadien von Jerusalem entfernten Dorf namens Emmaus.

14  Auch die unterhielten sich miteinander über all diese Ereignisse.

15  Da geschah es: Während sie sich unterhielten und stritten, war Jesus selbst genaht und wanderte mit ihnen.

16 Aber ihre Augen waren gehalten, daß sie ihn nicht erkannten.

17 Er sprach zu ihnen: Was sind das für Reden, die ihr da im Gehen miteinander wechselt? Da blieben sie stehen, verdrossen dreinblickend.

18  Hob der eine namens Kleopas an und sprach zu ihm: Du bist der einzige, der sich in Jerusalem aufhält und nicht erfahren hat, was in diesen Tagen darin geschehen ist.

19 Und er sprach zu ihnen: Was denn? Sie sprachen zu ihm: Das mit Jesus, dem Nazarener, der ein Prophet war, kraftvoll in Tat und Wort vor Gott und allem Volk.

 20 Und wie ihn unsere Hohenpriester und Anführer dem Richtspruch zum Tode ausgeliefert haben und ihn kreuzigten.

21 Wir aber hatten gehofft, er sei es, der Israel erlösen werde. Zu alldem hin aber läßt er diesen dritten Tag hingehen, seitdem das geschah.

22 Jedoch einige Frauen von den unseren haben uns dazu gebracht, daß wir außer uns gerieten. Sie waren frühmorgens am Grab

23 und als sie seinen Leib nicht gefunden, kamen sie und sagten: Sogar eine Erscheinung von Engeln hätten sie gesehen - die sagen, er lebe.

24 Und da gingen einige von denen, die mit uns sind, zum Grab und fanden es so, wie die Frauen gesagt hatten. Ihn selbst aber sahen sie nicht.

25 Da sprach er zu ihnen: O ihr - zu unverständig und trägherzig, um alles zu glauben, was die Propheten geredet!

26 Mußte nicht eben das der Messias leiden, um in seine Herrlichkeit zu kommen?

27 Und angefangen von Mose und allen Propheten erklärte er ihnen, was in allen Schriften über ihn steht.

28 Und so nahten sie sich dem Dorf, wohin sie wanderten. Und da tat er, als wolle er noch weiter wandern.

29 Sie aber drängten ihn und sagten: Bleib mit uns! Es geht ja gegen Abend, und schon geneigt hat sich der Tag. Und er ging hinein, um mit ihnen zusammenzubleiben.

30 Und es geschah: Als er sich mit ihnen zu Tisch gelagert, nahm er das Brot und sprach die Preisung, brach es und gab es ihnen.

31 Da wurden ihre Augen erschlossen, und sie erkannten ihn. Und er - hinweg schwand er ihnen.

32 Und sie sprachen zueinander: Brannte nicht unser Herz in uns, als er auf dem Weg mit uns redete, als er uns die Schriften erschloß?

33 Und auf standen sie - noch zur selben Stunde, und kehrten nach Jerusalem zurück. Und dort fanden sie die Elf und jene, die mit ihnen waren.

34 Die sagten: Wirklich - auferweckt ward der Herr, und er hat sich dem Simon sehen lassen!

 35 Auch sie berichteten, was auf dem Weg geschehen, und wie er ihnen beim Brechen des Brotes kenntlich geworden.

*

Lk 24,13-35

 


 

Während das Markusevangelium mit 16,8 endete (die Verse 9-20 sind spätere Ergänzung aus zweiter Hand; => S. 413), also keine weiteren österlichen Erscheinungsgeschichten kannte, erzählen die übrigen - später entstandenen - Evangelien eindrücklich entfaltete Geschichten von Erscheinungen des auferstandenen Jesus im Kreis der Jünger (=> S. 458 ff; 525 ff.). Diese Geschichten bestimmen mehr als die älteste christliche Osterverkündigung (=> S. 560 ff.) das Denken heutiger Christen.

Gemeinsam ist diesen Ostererzählungen ein realistisches Verständnis der Tradition vom leeren Grab. Lukas ordnet auch die Osterdarstellung in sein Geschichtskonzept ein. Während Matthäus die Jünger nach Galiläa kommen läßt, wo Jesus auf »dem Berg« von ihnen scheidet (=> S. 458), bindet Lukas die Erscheinungen Jesu ausschließlich an Jerusalem. Für ihn ist Jerusalem sowohl der Ort seiner Himmelfahrt als auch der Ausgangspunkt des christlichen Zeugnisses »bis an die Grenzen der Erde« (24,47; Apg 1,8). Die Erscheinungen des Auferstandenen vor den Jüngern mit ihren sehr deftigen Demonstrationen realer Leiblichkeit - »betastet mich und seht: Ein Geist hat nicht Fleisch und Knochen, wie ihr es an mir seht!« (24,39) - dienen ihm als Beweise für die Realität des Auferstandenen.

In Bearbeitung von Mk 16,1-8 verstärkt Lukas das Nichtauffinden des Leichnams. In der Emmaus-Erzählung aber, seiner ausführlichsten Erscheinungsgeschichte, greift er ein Motiv auf, das auch in der Tradition anderer Völker zahlreiche Parallelen hat: Gott kommt in Menschengestalt als Wanderer inkognito auf die Erde, gesellt sich zu Menschen, um sich ihnen zu offenbaren, und entschwindet, sobald er erkannt ist. Bereits Gen 18 ist diese Thematik erkennbar (=> S. 83 ff.) und noch in Grimms Märchen »Der Arme und der Reiche« (KHM Nr. 87) lebendig.

Darüber hinaus kann man in der Emmaus-Erzählung »eine symbolhafte Zusammenfassung der ersten Jahre christlichen Lebens und Denkens lesen. Die Begegnung auf dem Weg nach Emmaus hat niemals stattgefunden. Aber sie kann immer und überall stattfinden« (John Dominic Crossan). 

Dem Leser einer späteren Generation will Lukas durch seine Legende anschaulich zeigen, wo er in seiner Zeit dem Auferstandenen zu begegnen vermag: Im Schriftgespräch und im gemeinsamen Mahl soll er Jesus als den unbekannten Weggenossen, der zugleich Gastgeber ist, erkennen und seine Gegenwart erfahren, wenngleich diese sich ihm stets wieder entzieht.

(Hubertus Halbfas, 2001, S. 487)

 

 

Arcabas (Jean-Marie Pirot, geb. 1926),
Emmaus - Die Rückkehr der Jünger nach Jerusalem
1994

 

Das Bild Christi ist niemals eine fixierte Gestalt gewesen; er erscheint in vielen, voneinander abweichenden Gestalten. »Dieser mein geringster Bruder« (Mt 25,40), in dem er begegnet, hat notwendig heute ein anderes Gesicht als gestern. Die theologisch begründete Anonymität Christi hat, gerade für die Neuzeit, ästhetische Folgen. Der unerkannte Wanderer auf dem Wege nach Emmaus erscheint literarisch in unterschiedlichen Gestalten: der Bettler, der Idiot, der verfolgte Jude, die dicke Frau, der sterbende Revolutionär - um nur einige zu nennen.

Dorothee Sölle

 

 

 

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