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Ich habe diesen Blick nie vergessen. Nach allen Liebschaften, Scheidungen und Zerwürfnissen sah ich diese überraschten, ungläubigen und entsetzten Augen immer wieder vor mir. Es war ein Staunen darin, ein Ekel und eine Trübsal, an der ich schuld war, ich allein. Aber es kümmerte mich nicht. Ich machte mir nichts daraus. Es war mir gleichgültig. Beim Abschied brannte ich mir eine Zigarette an, blies der einst geliebten Frau den Rauch in die Augen, genauso wie damals, als ich Traudel ins Gesicht spuckte, und ging auf die Suche nach einer neuen Flamme, die mich entzünden und verbrennen sollte.
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Es ist Abend geworden. Die Fledermäuse torkeln am Himmel. Der Vater schwankt durch den leeren Garten. Edith läuft ihm entgegen und zerrt ihn ins Haus. Von ihr erfahrt er, was am Nachmittag geschehen ist. Er wird kreidebleich. Er stinkt nach Bier und putzt sich gründlich die Zähne, bevor er mit mir eine Etage höher geht. Ich sehe die geschwollenen Adern auf seiner Stirn und spüre die schweißnassen Finger um mein Handgelenk. Ich muß an den unbekannten Mieter denken, der in irgendeinem Winter so lange auf die Dielen pochte, bis er starb. Ich verspreche dem Vater, daß ich die Hacken zusammenknallen, mich verbeugen und entschuldigen werde. Er gibt mir keine Antwort, sieht nur starr geradeaus, zieht die Krawatte zurecht und drückt den Klingelknopf. Die Türglocke scheppert. Ich spüre die Gänsehaut an Armen und Beinen. Mein Herz steht still.
Traudels Mutter erscheint auf der Schwelle und fragt: Sie wünschen? Der Vater räuspert sich und sagt mit seiner Bürostimmc: Ich möchte mich lediglich vergewissern, ob es zutrifft, daß mein Sohn Ihre Tochter verunreinigt hat. Gottogott, sind Sie ein Krümelkacker, ruft die Frau, machen Sie deswegen bloß keine Sperenzchen, und gehaben Sie sich wohl, mein Herr! Ich verbeuge mich. Die Tür fällt ins Schloß. Der Vater knirscht mit den Zähnen und läßt mich auf der Treppe vorangehen. Als wir im Korridor stehen, gibt er mir von hinten einen Tritt. Ich rutsche aus auf dem Linoleum und stürze. Du Rotznase, du Dreckskerl, schnauzt er, und eine große dunkle Welle schwappt über mich hinweg.
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Ich sitze in der Klemme. Mir geht es wie Bileam, der segnet, wo er verfluchen muß. Hinderte mich nicht meine Erinnerung, ich hätte keine Bedenken, zwei Ferienreisen an die Ostsee in eine einzige umzuwandeln. Ich würde mir dadurch manches erleichtern, denn der Abstand beträgt nur ein Jahr. Es käme auch meiner Faulheit entgegen. Doch der Unterschied zwischen den beiden Aufenthalten in Binz verlockt mich, ins Fegefeuer der einen wie in den Abgrund der anderen Reise hinabzusteigen. Das sind große Worte, weiter nichts. Ich mache mir selber Mut. Ich flüstere beim Schreiben vor mich hin, als genügte es nicht, die Schrift auf dem Papier zu sehen. Mir wäre es am liebsten, wenn das Telefon klingelte, doch es bleibt still. Ich überlege, ob ich diesem Absatz eine neue Form, eine weniger vertrackte Gestalt geben soll. Aber wozu? Das sind Ausreden. Ich habe Angst vor dem, was in mir lauert.
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Es ist der Tag vor der Abreise. Die Großmutter, die Mutter und ich sitzen in einem Gartenlokal, nicht weit entfernt vom Tor, wo ein Fuhrwerk hält. Wir erwarten Frau Zabel. Sie hat uns zum Kaffee eingeladen, aber der Tisch bleibt leer. Ich langweile mich und ziehe vor Ungeduld die Nase schief. Laß das, sagt Louise und erschießt mich mit ihrem dunklen'Blick. Aber ich kann es nicht lassen. Meine Nase rümpft sich nach rechts, selbst wenn ich es ihr tausendmal verbiete. Wie alt ist Rosi Zabel? erkundige ich mich. Fünf, antwortet die Mutter und schabt mit den Fingernägeln über das Tischtuch. Ich frage, warum der Kellner nichts zu trinken bringt. Wir fangen lieber erst an, wenn Frau Zabel kommt, sagt Edith mit ihrer Samt- und Seiden-Stimme. Du kannst den Kaffee doch auch selber bezahlen, rufe ich über den Tisch. Edith zieht die Stirn glatt, und ich sehe, daß sich ihre Ohren dabei anlegen. Wieder verzieht sich meine Nase. Du sollst nicht dauernd solche Fratzen schneiden, du Peies! faucht die Mutter. Scher dich dahin, wo der Pfeffer wächst! zischt sie mir ins Gesicht und wird knallrot. Wirklich? frage ich und schäme mich, weil ich weinen muß. Verschwinde! faucht die Mutter, und Louise senkt den Kopf, als fürchte sie sich vor meinen Augen.
Ich gehe bis zum Tor und wische mir unterwegs die Tränen ab. Auf dem Kutschbock des Fuhrwerks hockt ein Mann. Er raucht Pfeife, spuckt in hohem Bogen auf den Bürgersteig und treibt die Träger an, sich beim Abladen zu beeilen. Sie lassen die Fässer auf ein Kissen plumpsen und rollen sie ins Lokal. Von den Kummeten der beiden Pferde hängen Ketten aus goldblinkenden kleinen Tellern bis zum Bauch herunter.
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Sie erinnern mich an den Schwanz des Papierdrachens, den ein Nachbar im vorigen Herbst steigen ließ. Zwischen den Hinterbeinen des einen Pferdes erscheint plötzlich eine kohlrabenschwarze Wurst, so lang und so dick wie mein Arm. Aber es ist keine Wurst, beileibe nicht, sondern ein riesiger Schniepel, der auf das Pflaster pinkelt, und vor Angst, daß er mich bespritzt, trete ich einen Schritt zurück. Die Pfütze wird immer größer. Ich überlege, wieviel ich wohl trinken müßte, um so lange pinkeln zu können. Nach einer Weile schrumpft der Schniepel zusammen, und jetzt pinkelt das andere Pferd, obwohl es keinen Schniepel hat. Das Pferd macht es genauso wie die Großmutter; es hat nur keinen Schlitz in der Hose und keinen Bart zwischen den Schenkeln. Der Kutscher läßt die Peitsche knallen, und erst jetzt merke ich, wie verschwitzt meine Hände sind.
Du siehst ja wieder gediegen aus, spottet Edith. Wo hast du dich denn herumgetrieben? fragt sie und schließt, ohne die Antwort abzuwarten, meinen obersten Hemdknopf. Ein Glas Brause und zwei Kännchen Kaffee stehen auf dem Tisch. Louise streitet mit Edith darüber, ob das Badezeug im Koffer oder in der Reisetasche ist. Sie irren sich beide, weil ich meine Strandhose zu Ediths Trikot in den Wäschebeutel gesteckt habe. Soll ich es der Mutter verraten? Nein, das bleibt mein Geheimnis, wie die Sache mit dem Pferd ohne Schniepel.
Warum so spät? ruft Edith, während Frau Zabel und ihre Tochter näher kommen. Sie tragen schöne Kleider, grün und weiß, wie die Engel im Weihnachtsliederbuch. Ich mache einen Diener, und Rosi grinst, weil ich mich auch vor ihr verbeuge. Der Kellner schleppt Kuchen und Kaffee heran. Die Frauen sprechen alle gleichzeitig. Ich wundere mich, wie gut sie sich verstehen, ohne einander zuzuhören. Mir ist, wie wenn tausend Fliegenklatschen auf mein Trommelfell schlügen.
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Ich schiele zu Rosi hin. Sie hat lange Zöpfe, lange Wimpern und dunkle Augenbrauen. Bevor Rosi die Tasse an den Mund hält, kräuselt sie die Lippen, und ich habe das Gefühl, als sitze mir eine Prinzessin gegenüber, so weiß wie Schnee, so rot wie Blut und so schwarz wie Ebenholz. Auch Frau Zabel ist schön weil sie gern lacht und kleine weiße Stoffblumen im Haar trägt. Mit tut es leid, daß Edith so häßlich ist. Ich nehme mir vor, ihr ein Kleid aus lauter weißen Spitzen zu schenken, sobald ich groß bin. Nun habt ihr euch wenigstens kennengelernt, nicht wahr? flüstert mir die Mutter ins Ohr.
Ich schaue sie an, nicke begeistert und spüre im selben Augenblick einen Schlag gegen das Schienbein. Ich beiße die Zähne zusammen und reibe die schmerzende Stelle. Rosi spielt mit ihrem Strohhalm, tunkt ihn in das Brauseglas und sieht sich um, als suche sie jemand. Ich kann es nicht sein. Meinem Blick weicht sie aus, fängt an zu kichern und schüttelt sich vor Vergnügen. Guck mal, wie sich deine neue Freundin amüsiert, sagt Edith und stimmt in Rosis Gelächter ein. Ob Mutter oder Mädchen, sie halten gegen mich zusammen, fühle ich. Kannst du nicht auch ein bißchen lustig sein? fragt Louise mitleidig. Ich möchte mich in ihren Schoß werfen, fürchte mich aber vor dem Spott der anderen. Mir bricht der Schweiß aus. Mir steigt das Blut zu Kopf. Ich schäume vor Wut. Rosi hat mich unterm Tisch getreten! brülle ich verzweifelt und weiß nicht, wohin mit den Augen. Wird schon nicht so schlimm gewesen sein, sagt Edith und wirft mir einen bitterbösen Blick zu. Ist das wahr? erkundigt sich Frau Zabel bei ihrer Tochter, ohne die Stimme zu heben. Ja, antwortet Rosi und zieht das >A< in die Länge, als wolle sie es bis zum Abend ausdehnen, um nicht verdroschen zu werden. Jetzt ist es soweit, denke ich und erwarte, daß diesem Fratz die Ohrfeigen ins Gesicht prasseln.
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Nichts passiert. Warum hast du ihn denn getreten? fragt Frau Zabel. Es war doch nur Spaß, deswegen braucht er mich nicht gleich zu verpetzen, sagt Rosi. Edith nickt beifällig. Dann entschuldige dich wenigstens, verlangt Frau Zabel, nachdem sie sich vergewissert hat, daß ich keine Schmerzen mehr habe. Ich sehe Rosi herankommen, stehe auf, spüre ihre Finger in meiner Hand und lese ihr jedes Wort von den Lippen ab. Bravo! ruft ein dicker Mann, zieht Rosi an seine Brust und gibt ihr einen Kuß. Das ist Willy Zabel, flüstert mir Edith zu, doch ich laufe schon dem Vater entgegen. Er lächelt. Er bückt sich. Er breitet die Arme aus, und ich schlinge die Hände um seinen Nacken, während er mich zum Tisch trägt. Hier fehlen noch zwei Stühle, Robert, sagt der fremde Onkel. Jawohl, Willy, antwortet der Vater und setzt mich auf Louises Schoß. Ich sehe, wie er zwischen den Tischen verschwindet und nach einer Weile mit zwei Stühlen zurückkommt. Danke, Robert, sagt Herr Zabel, und ich wundere mich darüber, daß der Vater diesem dicken Kerl gehorcht, als sei er sein Knecht. Die Männer bestellen Bier. Die Gesichter der Frauen glänzen. Ich werde müde. Rosi zwinkert mir zu, wirft die langen Zöpfe über die Schulter und ist wieder schön wie die Engel im Weihnachtsliederbuch.
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Seit heute früh, seit der Abfahrt, darf ich zu Herrn Zabel Onkel Willy und zu Frau Zabel Tante Herta sagen. Aber dazu komme ich kaum, denn im Auto ist es heiß geworden, und mir klebt die Zunge am Gaumen. Onkel Willy sitzt am Lenkrad und schwitzt. Neben ihm sitzt der Vater mit der Landkarte und schwitzt.
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Ich schwitze zwischen Edith und dem Koffer. Rosi sitzt am Seitenfenster und schwitzt. Die Mutter sagt in Onkel Willys Nacken, daß alle nur deswegen schwitzen, weil ich die salzige Seeluft brauche; sonst müßte der Doktor die Polypen herausschneiden. Nein, bloß das nicht. Lieber triefe ich vor Schweiß, statt mir mit einem Messer im Rachen herumfuchteln zu lassen.
Ich frage Onkel Willy, warum uns manche Wagen überholen. Er erklärt es mir. Ich beneide die Leute in den offenen Autos. Die Männer tragen Lederkappen und Schutzbrillen, damit ihnen, wie Onkel Willy sagt, nicht der Staub in die Augen fliegt. Die Frauen recken die Arme hoch und schwenken die flatternden Kopftücher. Haltlose Bagage, sagt der Vater, aber mir ist, als hörte ich das Geräusch der schwirrenden Seide. Ich lehne mich an den Koffer. Ein wilder Hauch weht mir ins Gesicht. Ich sitze nicht mehr zwischen Edith und Rosi, sondern steuere ein schnelles Auto voller schöner Frauen mit sausenden Tüchern, die sich im Wind blähen, und ziehe die Schutzbrille über meine Lederkappe. Onkel Willy parkt den Wagen unter einem Baum. Edith, Tante Herta und Rosi schlagen sich in die Büsche. Ich höre ihr Gelächter, das zirpende Pissen und wie ihnen die Gummibänder der Schlüpfer auf die Haut klatschen. Während die beiden Männer eine Decke auf dem Gras ausbreiten, sehe ich mich nach einer Stelle um, wo ich unbeobachtet pinkeln kann. Rosi stört mich. Wohin ich auch gehe, sie folgt mir, pflückt gelben Löwenzahn und windet einen Kranz daraus. Hau endlich ab! fauche ich, doch sie ruft zu den Männern hin: Der Kleine muß mal pinkeln! Ich werde knallrot, sehe den Vater herankommen, spüre, wie er mir den Hosenstall aufknöpft und meinen Schniepel herausfischt.
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Streng dich ein bißchen an, sagt er unwillig. Aber ich kann nicht, und je öfter der Vater meinen Schniepel reibt und schüttelt, um so mehr ekele ich mich vor seiner verschwitzten Hand mit den seitwärts eingekerbten Fingernägeln. Es ist die Hand, die mich geschlagen hat, die Hand mit dem Kleiderbügel. Du bist ein Waldheini, höre ich die Mutter sagen, doch sie sagt es nicht zu mir, und kaum hat sich der Vater weggedreht, pinkele ich einen Riesenstrahl.
Vor dem Picknick ziehen sich alle die Schuhe aus und laufen auf nackten Sohlen durch das Gras. Zum erstenmal, seit wir unterwegs sind, muß ich an die Großmutter denken, wie sie heute morgen in der Pforte stand und weinte, als ich mich von ihr verabschiedete. Doch jetzt bringt Onkel Willy den Freßkorb, und Edith öffnet die Thermosflasche. Tante Herta und Rosi haben keinen Hunger, sie nippen nur an dem kalten Tee und machen danach einen Spaziergang. Ich esse mein Butterbrot und sehe plötzlich, daß Edith ihre Zehen unter Onkel Willys Hand schiebt. Er scheint es gar nicht zu beachten, pafft weiter an seiner Zigarre und fragt den Vater, wie viele Kilometer wir noch vor uns haben. Robert entfaltet die Landkarte, und während er die Entfernung mit einem geknickten Grashalm abmißt, streichelt Onkel Willy Ediths nackte Wade. Der Vater nennt eine unendlich lange Zahl. Drei bis vier Stunden, was? fragt Onkel Willy, und Edith zieht den Fuß zurück, als Tante Herta und Rosi mit einem frischen Löwenzahnkranz herankommen.
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Wir fahren weiter. Ich merke, daß sich Rosi mit mir versöhnen will, denn sie schiebt ihren Kranz durch den Kof-fergriffund erwartet, daß ich ihn aufsetze. Aber ich sehe starr geradeaus und überlege, warum Onkel Willy der Mutter den Fuß gestreichelt hat. Ich weiß es nicht. Ich könnte es verstehen, wenn Edith mit Onkel Willy verheiratet wäre, doch sie ist die Frau des Vaters, und sobald er erführe, was sich hinter seinem Rücken getan hat, würde er die Mutter totschlagen. Dann bleibe ich mit ihm und Louise allein. Sonntags gehen wir zu Edith auf den Friedhof und gießen die Blumen. Wenn mich der Vater künftig verdreschen will, gibt es niemand mehr, der mich in Schutz nimmt. Die Großmutter ist zu alt und zu schwach. Aber vielleicht ist alles ganz anders. Vielleicht sind die Eltern mit Zabels so gut befreundet, daß es dem Vater nichts ausmacht, wenn sich die Mutter von Onkel Willy streicheln läßt. Hat er sie denn überhaupt gestreichelt, oder hat er nur versehentlich die Hand auf ihren Fuß gelegt? Das kann jedem passieren. Wie sollte Onkel Willy ' denn auch Ediths Wade streicheln, wenn er zur gleichen Zeit eine Zigarre raucht und die Landkarte schwenkt? Das ist doch Firlefanz. In Wahrheit hat sich die Mutter die Zehen im Gras abgewischt und ist dabei mit Onkel Willys Hand zusammengestoßen. Weiter ist nichts gewesen, gar nichts.
Warum seid ihr denn so still dahinten? fragt Tante Herta, und ehe jemand antworten kann, ruft Rosi: Er will sich den Kranz nicht aufsetzen lassen! Das würde ich mir an seiner Stelle auch verbitten, sagt Onkel Willy und lacht. Doch Edith knufft mich in die Seite, bis ich mir die laschen Stengel auf den Kopf drücke.
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Jetzt siehst du aus wie ein Pfingstochse, sagt Rosi und quietscht vor Vergnügen. Ich reiße den Kranz herunter und werfe ihn ihr ins Gesicht. Nun aber Ruhe, kommandiert Tante Herta, und Rosi streckt mir die Zunge heraus, als genieße sie meine Wut.
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Der Himmel hat sich bezogen. Im Auto ist es schwül; Wind kommt auf, bläst den Staub in die Felder, und die Chausseebäume neigen sich. Allmählich wird es dunkel. Beim ersten Blitz sagt Onkel Willy, es sei nur ein Wetterleuchten. Ich habe keine Angst vor Gewitter, ich liebe es sogar, weil Louise und ich für dicke Milch schwärmen. Nur die Mutter fürchtet sich und zuckt zusammen, wenn es donnert. Beim nächsten Blitz schaltet Onkel Willy die Scheinwerfer ein, und als es anfängt zu regnen, sehe ich den Scheibenwischer wie einen dünnen Hundeschwanz über das Frontfenster wedeln. Der Vater knipst die Taschenlampe an, sieht auf die Karte und knipst die Lampe wieder aus. Ist es noch weit? fragt Rosi leise. Niemand antwortet. Also muß die Ostsee hinter den Bergen bei den sieben Zwergen liegen. Ich lehne mich zurück, weil ich müde werde. Doch bald merke ich, daß zwei Hände auf mich zukrabbeln. Die eine Hand kommt von links und gehört Edith. Die andere Hand kommt von rechts und gehört Rosi. Was wollen sie von mir? Ediths Hand ist verschwitzt, und Rosis Hand ist eiskalt. Erst jetzt begreife ich den Sinn der Krabbelei, puste Ediths Hand trocken und reibe Rosis Finger zwischen meinen, bis sie ganz warm sind. Du bist aber lieb, flüstern beide wie aus einem Mund.
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Der Regen pladdert auf das Dach, die Reifen plumpsen in die Schlaglöcher, und an den Scheiben klebt der Matsch. Sind wir bald in Binz? frage ich. Gleich, sagt Onkel Willy, biegt nach rechts, fahrt auf die erleuchteten Fenster zu und parkt vor einem Gasthof. Was soll das nun wieder? fragt Tante Herta boshaft. Himmel, Arsch und Zwirn, schimpft Onkel Willy, dort marschieren wir rein, hauen uns ein Kotelett zwischen die Kiemen und warten, bis das Sauwetter vorbei ist, nicht wahr, Robert? Der Vater nickt, dreht sich zu Edith um und will ihr Knie berühren. Sie stößt seine Hand weg und sagt zu Onkel Willy: Bitte nicht solche Ausdrücke vor den Kindern, ja? Die haben schon andere Sachen gehört, das kannst du mir glauben, Edith, sagt Tante Herta und steigt aus dem Wagen.
In der Schankstube sitzen lauter Männer an hellen Holztischen, spielen Karten, rauchen Zigarren und trinken Schnaps aus kleinen Gläsern. Der Wirt zeigt uns den Weg zum Klosett. Als wir zurückkommen, liegt vor jedem Platz ein Bierdeckel. Was gibt's noch zu essen? erkundigt sich Onkel Willy. Der Wirt winkt zu einer Schiefertafel über der Theke hin. Kartoffelsalat mit Speckstippe, weiter nichts? fragt der Vater. Der Wirt schüttelt den Kopf. Dann lassen Sie mal anrollen, brummt Onkel Willy. Jetzt spricht der Wirt zum erstenmal. Wieviel Bier, wieviel Köm? Als er die Bestellung aufgenommen hat, frage ich den Vater, was Köm bedeutet. Schnaps aus Kümmel, erklärt er mir und leckt sich die Lippen, als habe er den Geschmack schon auf der Zunge. Anfangs nippt der Vater nur an seinem Glas. Dann kippt er das zweite, das dritte und spült mit Bier nach. Trink nicht soviel, sagt Edith. Der Vater grinst und erzählt, daß er hier in der Gegend schon mal gewesen sei und beim Richtfest mit den Zimmerleuten getanzt habe. Mit den Männern? frage ich.
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Der Vater nickt, und in seinen blauen Augen stehen blaue Tränen. Er macht doch nur Spaß, zischt mir Edith ins Ohr. Aber das glaube ich nicht. Ich will wissen, ob die Frauen beim Richtfest auch mittanzen dürften. Halt jetzt die Klappe! faucht mich Edith an, und Robert blickt stumm in sein leeres Glas. Warum hat der Vater nur mit Männern getanzt? überlege ich, fische dabei, genau wie Rosi, die Speckstücke aus der Soße und schiebe sie an den Tellerrand. Wir beide trinken Brause, Tante Herta und Edith trinken Kaffee. Onkel Willy trinkt Selterswasser, und der Vater trinkt Bier. Ich kann es noch immer nicht glauben, daß er mit einem Mann getanzt hat, linksrum und rechtsrum, wie Onkel Arnold mit Tante Hilde im Korridor bei meinem Geburtstag.
Rosi gähnt, und ich zähle die Bierdeckel. Wüßte ich nicht, wie der Mann mit dem schmalen Bärtchen auf der Fotografie an der Wand heißt, würde ich denken, ich sei in einem fremden Land. Die Kartenspieler reden nicht wie bei uns zu Hause. Trotzdem klingen mir die Worte allmählich so vertraut in den Ohren, als sei es Louises Stimme, wenn sie mich morgens weckt. Ich weiß nicht, welcher Teufel mich plötzlich reitet. Rieke, upstan, Larken piepen! rufe ich jubelnd und klatsche in die Hände. Für eine Weile herrscht Totenstille. Bist du verrückt geworden? bellt mir die Mutter ins Gesicht. Doch ehe ich mich entschuldigen kann, dröhnt es aus den Kehlen der Kartenspieler: Lat se piepen, lat se papen, ick hev noch nich utjeslopen! Und jetzt lachen alle. Sogar die Mutter hat Mühe, sich ein Schmunzeln zu verkneifen, und glaubt wahrscheinlich, mit Rieke sei sie selber gemeint. Aber der Vater streicht mir zärtlich übers Haar, und nun weiß ich ganz sicher, daß er noch nie mit einem Mann getanzt hat. Den Spruch kennst du wohl von der Großmutter? fragt er lächelnd.
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Ich rieche den Kümmelschnaps und nicke tapfer. Du bist ein Prachtkerl, lobt er mich, zieht das Portemonnaie aus der Hosentasche und zögert einen Augenblick, bevor er den polierten Fingernagel unter die Lasche schiebt. Laß mal stecken, Robert, sagt Onkel Willy, das geht auf meine Rechnung.
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Es ist tiefdunkle Nacht. Der Regen hat nachgelassen. Niemand fragt, wie lange die Reise noch dauert. Von Tante Hertas Schoß bin ich auf Ediths Schoß gewechselt. Der Koffer steht nicht mehr zwischen Rosi und mir, sondern am Fenster. Wenn wir durch ein Dorf fahren, bellen die Hunde. Manchmal muß Onkel Willy bremsen, weil ein Betrunkener auf der Straße steht. Rosis Kopf rutscht von der Rückenlehne auf meine Schulter. Ihre Haare kitzeln mich, und sobald sich der Wagen in die Kurve legt, streifen die Zopfhalter über meine Knie. Edith hat sich ein Tuch vor die Augen gebunden, damit sie von den Autos, die uns entgegenkommen, nicht geblendet wird. Tante Herta schnarcht, Onkel Willy trommelt auf das Lenkrad, und der Vater summt dazu. Ich spüre Rosis Lippen an meiner Wange und will von ihr wegrücken, doch die Mutter hält mich fest. Rosis Hand wandert von meinen Knien bis zum Hosenstall und bleibt dort liegen. Rosis Hand ist so groß wie der Deckel einer Zuckerdose. Bald haben wir's geschafft, sagt Onkel Willy. Rosis Hand bewegt sich. Ihre Finger knöpfen mir den Hosenstall auf und suchen meinen Schniepel. Als ihr Daumen das Gummiband meines Schlüpfers anhebt, überläuft mich eine Gänsehaut. Ich möchte schreien, will Rosi aber nicht verpetzen.
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Sie drückt meinen Schniepel und flüstert mir ins Ohr: Hast du schon mal Onkel Doktor gespielt? Ich weiß nicht, was ich antworten soll. Wenn der Doktor zu uns kommt, spielt er nicht mit mir, sondern horcht mich ab und schreibt ein Rezept. Ich spüre, wie Rosi nach meinem Säckchen greift, und stoße ihre Hand beiseite. Mir wird schlecht, stöhnt die Mutter und reißt sich das Tuch von den Augen. Mußt du dich übergeben? fragt Onkel Willy. Edith nickt. Wir steigen aus. Mir zittern die Beine in der kühlen Luft, während ich den Hosenstall zuknöpfe. Die Männer pinkeln in den Chausseegraben. Edith erbricht sich, und Robert geht mit ihr eine Weile hin und her, bevor alle wieder ins Auto klettern.
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Warum schreibe ich nicht weiter? Was hindert mich, die letzten Kilometer dieser Reise zu Papier zu bringen? Warum laufe ich stundenlang durch mein Zimmer und zerdrücke einen Zigarettenstummel nach dem anderen? Etwa deswegen, weil ich in den vorigen Kapiteln die Plätze der Mitfahrer oder die Positionen des Koffers verwechselte? Nein, das schert mich wenig. Wo Tante Herta saß oder das Gepäck stand, wird dem Leser gleichgültig sein. Aber was läßt mich zögern? Ich stehe vor einem Rätsel und will versuchen, ihm auf die Sprünge zu kommen. Ich muß herausfinden, was sich hinter der Hemmung verbirgt. Zwei Tage vergehen, leer und heiß. Ich fahre mit dem Finger über die Landkarte von Zerbst nach Binz. Ich addiere die Entfernungen zwischen den einzelnen Teilstrecken und bringe die Orte durcheinander, bis ich glaube, wahnsinnig zu werden. Am dritten Tag halte ich es nicht mehr aus und fahre zum Schwimmen. Gegen Abend, auf dem Rückweg, höre ich plötzlich eine Stimme. Du Schweinigel, sagt sie zu mir über fünfzig Jahre hinweg. Nun kann ich weiterschreiben.
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Im Auto ist es warm geworden. Tante Herta schnarcht. Rosi hat sich zurückgelehnt und die Augen geschlossen. Gleich sind wir auf dem Rügendamm, sagt Onkel Willy zum Vater, und beide beugen sich vor. Ich sehe nur den gelben Widerschein der Lampen im Wasser. Edith ist eingenickt. Ihr Atem bläst gegen meinen Nacken. Die Männer reden über ein Haus, das sie bauen wollen. Rosis Hand kommt ganz unerwartet. Ich zucke zusammen und höre Edith widerwillig knurren. Nach einer Weile stupst Rosis Nase an mein Kinn, und ich spüre, daß sie mir einen ihrer langen Zöpfe in die Hand drückt. Jetzt schlafen alle, jetzt können wir endlich richtig Onkel Doktor spielen, sagt sie leise. Ich klemme mir ihren Zopf unter die Nase, doch er ist zu dick und fallt immer wieder herunter. So nicht, sagt Rosi, rutscht ein bißchen vor, zieht das Kleid hoch und spreizt die Beine. Ich weiß nicht, was ich machen soll. Ich weiß nur, daß ich mich fürchte und daß mir etwas Gräßliches bevorsteht. Rosi schnappt nach meiner Hand und schiebt sie mit dem Zopf zwischen ihre Schenkel. Ich fühle mich wie im Backofen. Irgendwann müssen meine Finger verbrennen. Mach schon, du brauchst bloß mit deinem Piephahn zu wackeln, sagt Rosi. Ich streichele ihren Bauch mit dem Zopfende, und mir ist, als schwenkte ich Roberts Rasierpinsel. Ja, das ist schön, haucht mir Rosi ins Ohr, hör nicht auf, mach weiter!
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Ich ekele mich vor ihr und fühle, wie mir der Schweiß über den Rücken läuft. Bleib noch, flüstert Rosi und biegt meinen Daumen um, als ich mich wegdrehen will. Ich stöhne, obwohl es kaum schmerzt, doch Tante Herta wird wach davon, und im selben Moment brüllt mir Rosi ins Gesicht: Du Schweinigel! Kabbelt ihr euch etwa? erkundigt sich Onkel Willy seelenruhig, und ich merke, wie Rosi den Rocksaum über die Knie streift. Der Vater schweigt. Er dreht sich nicht mal um. Er läßt mich im Stich. Nur Edith fragt prompt, ob ich schon wieder unartig gewesen sei. Rosi antwortet für mich. Er wollte mir den Zopf unters Kleid schieben, sagt sie und zieht die Nase hoch, als ob sie weinen müsse. Hoffentlich hast du dem Jungen dabei nicht den Arm ausgekugelt, sagt Onkel Willy. Ach, der ist so lieb, dem würde ich nie weh tun, beschwichtigt Rosi ihren Vater, und alle lachen. Ich reibe meinen Daumen und bleibe still. Ich bin kein Schweinigel. Ich wollte nicht Onkel Doktor spielen. Rosi ist ein Schweinigel. Ich spüre noch, wie mich jemand ins Bett legt. Mir fallen die Augen zu. Jetzt bin ich in Binz.
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Wo ist die Ostsee? Ich sehe nur Häuser. Der Mutter ist das Meer anscheinend schnuppe. Sie geht mit mir durch die Straßen, bleibt vor den Geschäften stehen und zieht mir jeden Augenblick den Scheitel gerade. Männer in hellen Anzügen und Frauen in weißen Kleidern kommen uns entgegen, manchmal auch Matrosen in blauen Uniformen mit wehenden Mützenbändern. An einer Ecke treffen wir den Vater.
Ich will ihm die Hand geben, weil ich ihn seit dem Frühstück nicht gesehen habe, aber er betrachtet den
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verglasten Stadtplan, und während er der Mutter erklärt, wo unsere Pension liegt, sehe ich die Hosen um seine dünnen Waden flattern.
Robert geht voraus, doch wir verlaufen uns. Nach einer Weile macht er ein Gesicht, als wolle er die Mutter und mich totschlagen. Bei einem Fremdenführer erkundigt sich Edith nach dem Hotel, in das uns Onkel Willy und Tante Herta zum Mittagessen eingeladen haben. Wir stehen in der Empfangshalle herum, und die Eltern machen sich gegenseitig Vorwürfe, weil wir zu früh gekommen sind. Vom langen Laufen in den neuen Schuhen schmerzen mir die Füße. Ich möchte mich in einen der schönen Ledersessel setzen, doch der Vater hebt den Daumen, und ich lehne mich an eine Säule. Von der Decke herab hängt eine Uhr mit vier Zifferblättern und goldenen Zeigern. Die Uhr dreht sich, und mir wird schwindlig. Als ich vor Zabels die Hacken zusammenknalle, fühle ich den Boden unter mir wanken und kann mich nicht verbeugen. Entschuldigt die Verspätung! ruft Onkel Willy. Auf Ediths Gesicht leuchten rote Flecken. Das ist kein gutes Zeichen. Ich weiß nicht, ob sich die Mutter giftet, weil sie vergessen hat, ihre Lippen zu schminken, oder weil Tante Herta beim Friseur gewesen ist. Ich weiß auch nicht, warum der Vater plötzlich wie ein Gepäckträger und Onkel Willy in seinem blauen Jackett mit den goldenen Knöpfen wie ein Kapitän aussieht. Zum erstenmal finde ich Robert schäbig, und Onkel Willy erscheint mir wie der liebe Gott. Er ist es, dem sich sofort die Fahrstuhltür öffnet; er ist es, der den Schalter drückt, und er ist es, der mich auf den Arm nimmt, als mir das Herz in die Hose rutscht.
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Rosi erwartet uns schon an einem gedeckten Tisch. Sie kommt mir entgegen, und während die Erwachsenen in den Speisekarten blättern, führt sie mich zu einem der riesigen Fenster, um mir die Ausflugsdampfer am Ende der hölzernen Mole zu zeigen. Ich habe das Meer gefunden und kann mich nicht satt sehen daran. Ein Schiff löst sich von der Mole. Boote folgen ihm, und der Wind bläht die weißen Segel. Ich möchte eine Möwe sein und weit weg über das Wasser fliegen. Auch beim Essen blicke ich immer wieder aufs Meer hinaus, und Edith mahnt mich, den Damast nicht zu bekleckern. Rosi gibt mir einen Stoß unterm Tisch, aber nicht wie vorgestern in Rephun's Garten, sondern ganz zart. Prima, was? fragt sie. Ich lächele und nicke mit vollem Mund. Onkel Willy lädt uns alle zu einem kleinen Tennisturnier am späten Nachmittag ein, weil es um diese Zeit kühler wird. Im selben Atemzug verspricht er, genügend Racketts und Bälle, notfalls auch passendes Schuhwerk für die Damen zu besorgen. Rosi, Tante Herta und ich sind begeistert. Aber was antwortet der Kümmeltrinker und Schlagetot darauf? Freut er sich? Fragt er wenigstens, ob Edith und ich mitspielen möchten? Nein. Er leide an Rückenschmerzen von der Reise her, außerdem ermüde ihn jede Art Sport viel zu schnell, sagt er, doch je länger er redet, um so deutlicher wird mir und jedem am Tisch, daß der schäbige Robert lügt. Nur Edith und Tante Herta halten das Gespräch noch eine Weile am Leben. Dann unterschreibt Onkel Willy die Rechnung, und Rosi sieht mir beim Abschied traurig in die Augen.
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Die Eltern machen mit mir einen Verdauungsspaziergang und sprechen kein Wort dabei. Ich trotte neben ihnen und habe nur den einen Wunsch, daß die Großmutter plötzlich hinter einem Busch hervortritt, mich bei der Hand nimmt und mit mir nach Hause fährt. Aber ich erkenne schon die Pension, und als wir die Treppe zum ersten Stock hinaufsteigen, ruft uns der Portier nach: Bitte nicht die Schuhe vor die Tür stellen, meine Herrschaften, sondern selber putzen!
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Noch heute habe ich diese scharfe, krächzende Stimme im Ohr, und es wundert mich, warum ich in so vielen Gasthöfen, Absteigen und Hotels übernachtete, ohne mich jemals an den Portier der Binzer Pension zu erinnern. Er war ein kleiner gedrungener Mann mit einem weißen Schnauzbart, stand tagsüber vor der Tür, setzte sich gegen Abend in einen Korbstuhl und spuckte den Kautabaksaft auf das Pflaster. Warum erwähne ich ihn überhaupt? Weil er nichts von mir wollte. Weil er mich weder beachtete noch schikanierte.
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Unser Zimmer ist winzig. An der einen Wand steht mein Kinderbett, an der anderen die Betten der Eltern, und neben dem Waschtisch steht der Schrank. Die Mutter, noch gerötet vom Verdauungsspaziergang, hilft mir aus Hemd und Hose und packt mich ins Bett. Der Vater klappt die Schranktüren auf, damit ich ihn nicht beobachten kann, solange er sich auszieht und das Nachthemd über den Kopf stülpt. Edith hängt ihr Kleid auf den Bügel und schlüpft zu Robert ins Bett.
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Jetzt wird aber geschlafen, und zwar sofort, sagt sie. Ich hätte meinen Teddy mit auf die Reise nehmen sollen, fällt mir ein. Es wäre schön, wenn ich ihm jetzt in sein altes und in sein neues Glasauge sehen könnte. Ich bin nicht müde. Ich habe keine Lust zu schlafen, wenn die Sonne durch die Ritzen der Jalousie scheint. Ich überlege, warum wir in einer häßlichen Pension wohnen und Zabels in einem wunderschönen Hotel mit Blick auf das Meer, die Boote und die Dampfer. Haben wir kein Geld? Ist der Vater vielleicht gar nicht schäbig, sondern nur arm? Hat uns Onkel Willy deswegen das Mittagessen spendiert? Jetzt knarrt das Bett, in dem die Eltern liegen. Laß mich gefälligst in Ruhe, und heb's dir für heute abend auf, höre ich Edith flüstern, und Robert grunzt. Ich denke an die Uhr im Hotel, die sich unentwegt dreht. Die vier Zifferblätter kreisen mir vor den Augen. Die Möwen torkeln über den Segelbooten. Dann tauchen sie ins Meer und nehmen meinen Kummer mit.
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Die Eltern sind fertig angezogen und beugen sich über mein Bett. Edith trägt ein grünes, fast durchsichtiges Kleid, und Roberts Beine stecken in braunen Knickerbok-kers. Hast du Lust, einen Strandmarsch mit mir zu machen? fragt er. Am liebsten würde ich ihm vor Freude um den Hals fallen, doch die Mutter stiert mich an, als wolle sie sagen >Wehe, du läßt mich allein!<, und ich schüttele den Kopf. Na, dann eben nicht, brummt Robert. Ich höre ihn die Treppe hinuntergehen, und plötzlich kommen mir die Tränen. Was heulst du denn? fragt die Mutter und verspricht mir, daß ich statt der neuen Schuhe die alten Sandalen tragen darf, wenn ich aufhöre zu weinen.
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Laß doch den Vater durch den Sand latschen, das ist seine Sache, spöttelt sie, wir kaufen uns nachher Eiswaffeln. Mit Himbeereis? frage ich und klatsche jubelnd in die Hände, als Edith nickt.
Aus dem Pavillon an der Strandpromenade erklingt Musik. Ich würde gern eine Weile stehenbleiben, weil mir das Lied bekannt vorkommt, doch die Mutter ist in Eile, und ich folge ihr. An jeder Ecke wird Eis verkauft, aber Edith zerrt mich von einem Friseurladen zum anderen und besichtigt die Preislisten, bis sie den richtigen Salon gefunden hat. Vor dem Geschäft steht eine hohe Waage, in die jeder, der sich wiegen will, eine Münze stecken muß. Dort kannst du dich draufsetzen, bis ich fertig bin, sagt die Mutter. Und wann gibt's das Himbeereis? frage ich. Ediths Augen werden klein und giftig. Sie stürzt sich auf den nächsten Eismann und kommt mit einer großen Waffel zurück. Danke, sage ich. Rühre dich nicht von der Stelle, schärft sie mir ein und verschwindet im Laden.
Es ist kein Himbeereis, sondern Vanille. Ich setze mich auf die Gummimatte der Waage, schiebe die Zunge zwischen die krümeligen Waffeln und schlecke ganz langsam, damit ich nicht zu früh fertig werde. Kein Mensch will sich wiegen lassen. Alle gehen an mir vorbei, die Frauen in seidenen Strümpfen und hochhackigen Schuhen, die Männer in hellen Socken und breiten Sandalen. Jetzt müßte Rosi kommen und mich hier sitzen sehen. Vielleicht würde sie mich fragen, ob sie sich auch mal auf die Waage stellen darf. Vielleicht hätte Rosi sogar Lust, eine Münze in den Schlitz zu stecken, und wenn sie nicht bis an den Schlitz heranreicht, würde ich einen Buckel machen, damit sie auf meinen Rücken klettern kann. Aber Rosi kommt nicht. Alle gehen an mir vorbei. Keiner will wissen, wieviel er wiegt.
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Ich lecke das geschmolzene Vanilleeis ab, zerbreche die Waffeln und werfe den Spatzen die Krümel hin. Aber sie trauen sich nicht heran, als hätten sie Angst vor mir. Ich trampele mit den Sandalen auf den Bürgersteig, und alle schwirren weg. Nicht sehr weit, nur bis zu den Blumenkästen an der Promenade, aber trotzdem: Ich habe ihnen gezeigt, wer der Stärkere ist. Ich lasse mich nicht unterkriegen. Ich will groß werden, größer noch als der Vater, und so reich wie Onkel Willy.
Edith kommt aus dem Laden. Ich erkenne sie kaum wieder. Du bist wirklich brav gewesen, dafür darfst du dir auch etwas wünschen, sagt sie, und als sie mir einen Kuß gibt, spüre ich die dunkelroten Ponyfransen über meine Stirn wischen. Was möchtest du gern? fragt die Mutter, und plötzlich begreife ich, daß sie sich das Haar nur deswegen hat färben lassen, weil Tante Herta gestern beim Friseur gewesen ist. Stell dich mal auf die Waage und stecke Geld in den Schlitz, bitte ich. Wenn's weiter nichts ist, sagt die Mutter, tritt auf die Gummimatte, langt Münzen aus dem Portemonnaie und schiebt eine davon in den Schlitz. Ich sehe den Zeiger nach unten kippen. Er wippt eine Weile hin und her, bis er bei irgendeiner Zahl stehenbleibt. Willst du auch mit rauf? fragt die Mutter. Ich stelle mich neben sie und halte mich an ihr fest. Wir lachen beide, als das Kippen und Wippen des Zeigers von neuem beginnt. So, nun ist Schluß, sagt Edith streng. Ich bitte und bettele darum, daß wir noch eine Weile auf der Waage stehenbleiben. Nein, sagt die Mutter, alles hat sein Ende. Aber im selben Atemzug verspricht sie, daß ich mir heute abend das Feuerwerk ansehen darf, wenn ich sie jetzt zum Tennisplatz begleite.
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Edith und ich starren durch den Maschendraht. Wir beobachten, wie sich Onkel Willy und ein anderer Mann die Bälle zuschlagen. Ich muß immerzu den Kopf hin und her drehen. Tennis ist ein blödes Spiel. Der Vater wußte schon, warum er Onkel Willy gestern beschwindelte. Dauert's noch sehr lange? frage ich, weil mir die Füße schmerzen. Edith schweigt. Sie hat nur Augen für das Spiel. Aber was tut's denn, ob ein Ball im Netz oder zwischen den Strichen landet? Wenn alle Bälle verschossen sind, saust ein Junge in weißen Hosen über den Platz und sammelt sie auf. Ich würde ihm gern helfen, doch der Zaun trennt uns. Wann sind die beiden endlich fertig? frage ich die Mutter. Du bist ein unausstehliches Ekel, scher dich da drüben hin, zischelt sie leise, um Onkel Willy und den anderen Mann nicht zu stören. Wird's bald! faucht sie. Ich gehe ein paar Schritte beiseite und setze mich auf eine umgekippte Schubkarre. Ich wünsche mir nur eines: Weg von hier. Na, mein Kleiner? höre ich Onkel Willy rufen und will mich hochstemmen. Bleib ruhig noch ein Weilchen sitzen, sagt die Mutter verlegen, und als sie an den Zaun tritt, wird ihr Nacken so rot wie ihr gefärbtes Haar. Er flüstert mit Edith durch den Maschendraht und fummelt an seiner Gürtelschnalle. Der andere Mann hat sich längst verdrückt. Der Junge in der weißen Hose rollt das Netz ein. Onkel Willy bringt uns mit seinem Wagen in die Stadt, ruft Edith und glüht vor Freude.
Wo seid ihr mit Robert verabredet? erkundigt sich Onkel Willy unterwegs, ruckelt an einem Hebel und streift der Mutter dabei das Kleid hoch. Edith nennt den Namen des Lokals, tippt gegen das Fenster und sagt zu mir: Siehst du dort den kleinen Hund, der ist doch niedlich, was? Ich
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sehe keinen Hund. Aber dafür sehe ich, wie Onkel Willy die Hand zwischen Ediths Beine schiebt, und mir steigt das Blut zu Kopf. Ich möchte dem Kerl die Finger einzeln herausreißen, ich möchte sie ihm zerquetschen, abhacken und durch den Fleischwolf drehen. Was habt ihr eigentlich morgen vor? fragt Onkel Willy seelenruhig. Edith räuspert sich. Robert fährt mit dem Kutter nach Hiddensee, sagt sie. Und du? will Onkel Willy wissen. Ach, meint Edith gleichgültig, ich bleibe im Bett und schlafe mich mal richtig aus. Den ganzen Tag? fragt Onkel Willy erstaunt. Wieso nicht? sagt die Mutter, wenn's zu traurig wird, fällt mir bestimmt was ein. Onkel Willy lacht und zieht die Hand zwischen den Strümpfen hervor, weil er kurz vor dem Lokal noch mal einen Hebel bewegen muß. Der Vater erwartet uns schon. Großer Gott, warum hast du bloß deine Haare so ruiniert, murmelt er und blickt dabei auf seine braunen Knickerbocker, als müsse er sie mit Ediths grünem Kleid und ihrer roten Frisur vergleichen. Das geht dich einen feuchten Kehricht an, was ich mit meinem eigenen Geld mache! keift die Mutter. Schimpf nicht vor dem Jungen, bittet Onkel Willy, und ich müßte ihm dankbar sein, weil er mich in Schutz nimmt. Aber mir wird schlecht, als ich sehe, wie er dem Vater zum Abschied die Hand schüttelt.
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Nach dem Abendessen drehen wir zu dritt eine große Runde. Robert hat im Lokal kein Bier getrunken, auch keinen Schnaps, weil Edith hartnäckig darauf bestand, daß er heute nüchtern bleiben müsse. Deswegen läßt der Vater ein bißchen den Kopf hängen, aber er verhält sich anders als sonst, freundlicher und gesprächiger.
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Ich frage ihn, wie ein Feuerwerk funktioniert. Er redet ziemlich lange, macht oft Pausen und gebraucht schwierige fremd klingende Wörter, die ich nicht immer verstehe. Aber das ist mir egal. Ich höre ihm trotzdem zu, weil er jetzt, in der Dämmerung, eine schöne Stimme hat. Edith hängt sich bei ihm ein und fragt, wo er am Nachmittag gewesen sei. Der Vater erzählt, daß er am Strand eine Stelle gefunden habe, wo das Wasser flach genug zum Baden sei, auch für Nichtschwimmer. Gehen wir dort morgen hin? frage ich. Nein, morgen noch nicht, weil ich nach Hiddensee fahre, sagt er. Nimm mich mit, bitte ich und umklammere seine Hand. Nein, da wirst du seekrank, ruft er lachend, aber wenn wir nächstes Jahr wieder nach Binz fahren, darfst du mit auf den Kutter. Versprichst du mir das? Ehrenwort, sagt er. Du oller Dicker, du denkst auch an alles, sagt Edith, fängt an zu weinen und wischt sich die Tränen aus dem Gesicht. Nu, nu, brummt der Vater, legt ihr den Arm um die Hüfte und sagt: Eigentlich finde ich deine Frisur gar nicht so schlecht. Meinst du das wirklich? fragt sie schüchtern. Robert nickt stumm, aber ich fühle, daß er die Wahrheit sagt. Ich habe noch eine Überraschung für dich, flüstert Edith, läßt Robert in ihre Handtasche blicken und klappt sie gleich wieder zu. Ich weiß, was in Ediths Handtasche steckt. Ich habe gesehen, wie sie vorhin in dem Lokal eine kleine Schnapsflasche kaufte, während der Vater auf dem Klo saß. Gehen wir jetzt zum Feuerwerk? frage ich. Das kannst du dir auch vom Zimmer aus ansehen, sagt Robert, und wir machen uns auf den Heimweg. Es ist dunkel geworden. Mir brennen die Füße. Ich bin müde und schlurfe über das Pflaster. Kannst du nicht mehr? höre ich den Vater fragen. Er hebt mich an und setzt mich auf seine Schultern. Ich falte die Hände über seiner Stirn.
Ich spüre seine Bartstoppeln an meinen Schenkeln. Ich bin so glücklich wie noch nie zuvor. Ich umarme seinen Kopf und lege mein Gesicht aufsein schwarzes Haar.
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Es ist Nacht. Aber es ist auch hell und laut. Es pfeift und donnert und kracht. Ich ziehe die Bettdecke über die Ohren, doch meine Neugier ist stärker. Schießpulver, hat der Vater gesagt, Schießpulver, Goldregen und Silberregen braucht man zu einem richtigen Feuerwerk. Und er hat noch ein Wort gesagt, das so ähnlich klang, als rede Onkel Willy von seinem Tennisschläger. Wenn das grelle Licht durch die Ritzen der Jalousie hereinfällt, wirkt das ganze Zimmer gestreift und vergittert, sogar der Vater in seinem kurzen Turnhemd und die Mutter mit ihren gespreizten Beinen. Edith ist splitternackt und strampelt wie ein gefangener Vogel. Robert stößt seinen riesigen weißen Schniepel in sie hinein. Ja! kreischt die Mutter und knabbert an ihrem Daumen. Sind wir nicht zu laut? fragt sie. Ach, woher denn, sagt Robert, und was er jetzt macht, sieht fast so aus, als schiebe er eine Münze in Ediths Schlitz. Nun fehlt mir noch die Waage vor dem Friseurgeschäft und der Zeiger, der nach unten kippt. Aber plötzlich erlischt das Licht. Erst jetzt, in der Finsternis, wird mir angst und bange. Ich halte mich an meinem Schniepel fest und reibe ihn, bis das Wippen in den Betten der Eltern von neuem beginnt. Mach schon, drängt die Mutter, streng dich mal ein bißchen an, oder hast du keine Puste mehr? Doch, doch, gleich kommt's, stöhnt der Vater. Aber wehe, du bleibst drin, flüstert Edith. Keine Bange, sagt Robert und ächzt, als habe ihn jemand getreten.
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Jetzt ist alles zu Ende, spüre ich, der Schnaps, das Feuerwerk, die Raketen, der Goldregen und das Schießpulver. Alles ist vorbei. Nur meine Angst vor morgen bleibt, meine Angst vor den nächsten Tagen, ehe wir nach Hause fahren und ich Louise in die Arme sinke.
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Mir knurrt der Magen. Es wird schon bald Mittag. Ich habe mir das Hemd und die Hosen von gestern angezogen. Der Vater muß längst auf Hiddensee sein. Die Mutter liegt immer noch im Bett und schläft mit offenem Mund. Ich weiß nicht, ob ich sie wecken soll, und warte. Als das Zimmermädchen anklopft, ist Edith sofort hellwach. Heute mache ich die Betten selber, ruft sie durch die Tür, und das Zimmermädchen trollt sich. Dreh dich mal um, sagt Edith. Ich höre sie pinkeln. Hast du schon? fragt sie und hält mir den Nachttopf hin. Ich ekele mich vor der gelben Brühe und schüttele den Kopf. Na, dann los, sagt die Mutter, knöpft mir den Hosenstall auf und langt meinen Schniepel heraus. Ich muß unbedingt pinkeln, kann aber nicht, weil eine durchsichtige Blase an einem weißen Gummiring in der Pisse schwimmt. Vorwärts, kommandiert Edith, nimmt den Nachttopf zum Waschbecken mit und läßt kaltes Wasser über meine ausgestreckte Hand laufen. Jetzt geht's dir wieder besser, was? fragt sie lachend. Ich schäme mich, weil ich noch nicht groß genug bin, selber auf den Stuhl zu klettern und ins Waschbecken zu pinkeln.
Die Mutter zieht ein Laken ab, hält es gegen das Licht und tauscht es gegen das andere Laken aus. Kann ich ein bißchen auf die Straße? frage ich.
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Bei dir piept's wohl, sagt sie, öffnet ihr Necessaire und fängt an, sich die Fingernägel zu lackieren. Sobald Edith einen Nagel bepinselt hat, darf ich ihn trockenpusten. Der Lack stinkt, doch ich habe wenigstens eine Beschäftigung und muß nicht die Wände anstarren wie vorhin, als ich wach wurde. Während Edith die Finger in die zerdrückte Frisur stupst, merke ich, daß sich die Farbe ihrer Haare mit der Farbe des Nagellacks beißt. Aber das bleibt mein Geheimnis. Soll sie doch aussehen, wie sie will. Als die Betten aufgeschüttelt sind, hängt sich Edith die Handtasche über den Arm und sagt: So, dann können wir. Willst du heute kein Kleid anziehen? frage ich. Die Mutter wird knallrot, schlüpft in das Grüne von gestern, und wir gehen die Treppe hinunter.
Das Frühstückszimmer duftet noch nach Kaffee, doch die Kanne ist kalt, und die Brötchen sind hart geworden. Edith beschwert sich nicht, sie bleibt ganz ruhig und entschuldigt sich sogar bei der Mamsell für die Verspätung. Hauptsache, Sie haben gut geschlafen, sagt die dicke Bedienerin mürrisch, blickt mich aber plötzlich an, als spüre sie den Hunger in meinen Augen, und verschwindet in der Küche. Weißt du nun, wie man das macht? fragt die Mutter leise. Ich verstehe kein Wort und schüttele den Kopf. Du bist eben dumm wie alle Männer, sagt sie, legt mir den Arm um die Schulter und feixt. Am liebsten würde ich ihr unterm Tisch einen Fußtritt geben, doch jetzt kommt die Mamsell mit einem großen Tablett, und während Edith ihr beim Absetzen hilft, sagt die dicke Bedienerin: So eine feine Dame wie Sie war schon lange nicht bei uns. Danke, sagt die Mutter und will noch etwas hinzufügen, aber die Mamsell hat sich schon verdrückt und schließt die Durchreiche.
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Jetzt sind wir allein, essen und trinken nach Herzenslust, bis wir satt sind. Die Mutter wischt sich den Mund ab und bittet mich, ihr die Zeitung zu holen. Wollen wir nicht zum Strand gehen? frage ich. Edith sieht auf die Uhr, runzelt die Stirn und zischt: Die Zeitung! Ich bringe sie und setze mich der Mutter gegenüber an den Tisch, um die Bilder auf der Rückseite zu besichtigen. Wackele nicht dauernd, höre ich Edith hinter der Zeitung sagen und schlage die Beine übereinander. Als Edith das letzte Blatt endlich umdreht, merke ich, daß sie während der ganzen Zeit keine Zeile gelesen, sondern sich die Lippen geschminkt hat. Plötzlich leuchtet mir ein, warum und auf wen wir hier warten. Edith wickelt die Zeitung um den Klemmstab, steht auf und tritt ans Fenster. Bleib sitzen, faucht sie, als ich ihr folgen will, und trommelt mit den lackierten Fingernägeln gegen die Scheibe. Ich möchte weit, weit weglaufen, zu Louise, zu Tante Gretchen, zu Onkel Arnold oder zu Tante Martha, die an meinem Geburtstag so schön das >Gebet einer Jungfrau< gespielt hat. Aber es ist zu spät. Der Portier mit dem weißen Schnauzbart steht in der Tür und krächzt: Ein Herr Zabel möchte Sie sprechen, Madame. Bitten Sie ihn herein, antwortet Edith, wird leichenblaß und legt ihre Handtasche auf einen Stuhl.
Ich wollte mit Robert einen Spaziergang machen, sagt Onkel Willy, fuchsrot im Gesicht, tritt zum Tisch, schnappt sich die Zeitung und fuchtelt mit ihr, als wolle er sie jemandem um die Ohren hauen. Dann weiß er nichts mehr mit der Zeitung anzufangen und wirft sie über Ediths Handtasche. Aber Robert ist doch nach Hiddensee gefahren, ruft Edith so laut, daß die Scheiben klirren. Der Portier verschwindet. Die Durchreiche wird geöffnet und wieder geschlossen, nachdem die Mamsell die Mutter erkannt hat. Ja, dann nimm wenigstens ein Weilchen Platz, bittet Edith.
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Danke sehr, sagt Onkel Willy und will sich setzen. Vorsicht! zischt die Mutter. Im letzten Moment begreift er seinen Fehler, reicht Edith die Handtasche und wendet sich mir zu. Hast du heute nacht das Feuerwerk gesehen? fragt er scheißfreundlich, bleckt die Zähne und setzt sich auf den Stuhl neben Edith. Ja, sage ich, Rosi auch? Er vergißt, mir zu antworten. Das war doch fantastisch, sagt er, diese Farben am Himmel, dieses Blitzen und Glühen und Prasseln, na, ihr wißt schon, was ich meine, ich kann mich nicht so richtig ausdrücken. Im Gegenteil, widerspricht die Mutter, und während Onkel Willy weiterschwärmt, schiebt sie ihm unseren Zimmerschlüssel unter der Zeitung zu. Er stutzt einen Moment, und seine Ohren werden blutrot, als er mich fragt: Würdest du mir einen Gefallen tun, mein Junge? Ja, gern, antworte ich, nachdem die Mutter zugestimmt hat. Du traust dich sicher schon allein zum Briefkasten, was? Ich nicke, nehme ihm die Ansichtskarte mit dem Foto seines Hotels aus der Hand, und er steckt mir noch ein paar Groschen in die Hosentasche. Kauf dir ein Eis davon, sagt Onkel Willy, und Edith ruft mir nach: Aber immer schön auf dem Bürgersteig bleiben!
Es ist weit zum Briefkasten. Doch deswegen weine ich nicht. Die Tränen laufen mir einfach aus den Augen. Ich kann es nicht ändern. Ich frage mich nur: Wie kommen so viele Tränen überhaupt in meinen Kopf hinein? Ich weiß keine Antwort. Ich stelle mich auf die Zehen, kann die Klappe des Briefkastens aber nicht erreichen und bin froh, als mir jemand hilft. Jetzt könnte ich in die Pension zurückgehen. Aber wer hat mir denn gesagt, wann ich wieder zu Hause sein muß? Niemand. Soll ich mich vielleicht ins Frühstückszimmer setzen und warten, bis Edith und Onkel Willy fertig sind?
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Oder soll ich die Treppe hochgehen, die Tür aufreißen und den beiden sagen, daß ich alles dem Vater erzähle? Nein. Was ist denn in dich gefahren! würde mich die Mutter anbrüllen und irgendeinen Schwindel erfinden, warum Onkel Willys Hose am Bettpfosten hängt.
Ich gehe nicht zurück. Ich treibe mich lieber herum, kaufe mir ein Eis und weiche den Hunden aus. Auf der Strandpromenade entdecke ich Rosi und folge ihr mit großem Abstand, ohne daß sie mich bemerkt. Ein blonder Junge spricht sie an. Er ist älter als ich. Rosi wirft die Zöpfe über die Schultern und kichert. Ich bleibe stehen und beobachte die beiden. Mir bricht der Schweiß aus. Ich möchte Rosi mit ihren eigenen Zöpfen erwürgen, weil sie mit diesem blonden Jungen redet und lacht. Für eine Weile wird mir schwarz vor Augen. Als ich wieder sehen kann, ist Rosi verschwunden. Ich lehne mich gegen einen Fahnenmast und blicke auf das Meer. Mir ist noch schwindelig. Die Boote hüpfen über das Wasser, und die Segel flattern wie Laken an der Wäscheleine. Eine alte Frau mit einem riesigen Hut und einer langen Perlenkette beugt sich zu mir herunter. Ohne Hut und Kette würde ich sie für die Großmutter halten. Hast du dich etwa verlaufen? fragt sie freundlich, zupft an dem hellen Spitzenbesatz des schwarzen Kleides, und plötzlich sehe ich eine behaarte Warze an ihrem Kinn. Nein, flüstere ich und renne weg. Ich bin allein, hämmert es in meinen Ohren, ich bin allein. Aber zugleich weiß ich, daß ich nicht allein bin zwischen den vielen Leuten und den Rückweg in die Pension genau kenne. Die Großmutter hält die Hand über mich. In Louises Schutz darf ich tapfer und feige sein, dreist und scheu. Sie verläßt mich nie, auch nicht in Binz. Es ist ein Spiel, das ich mit mir selber spiele und immer gewinne. Ich fürchte mich, ohne Angst zu haben, und ich habe Angst, ohne mich zu fürchten.
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Als mir Rosi noch einmal begegnet, frage ich sie, ob wir gemeinsam auf die Mole klettern wollen. Ach, lieber nicht, du bist mir zu klein, sagt sie hochnäsig, winkt dem blonden Jungen zu, der ihr nachgeschlichen ist, und geht mit ihm davon. Ich bin allein. Das ist ein schönes Spiel. Ich habe es schon wieder gewonnen. Ich weiß nur nicht, warum ich weine.
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In der Pension wird es still gegen Abend. Die meisten Gäste sind ausgegangen. Edith hat belegte Brote gekauft, weil das Essen in den Lokalen zu teuer ist. Wo bleibt er denn bloß? fragt sie, und ich trete wieder ans Fenster, um die Rückkehr des Vaters nicht zu verpassen. Aus Hiddensee hat er mir bestimmt etwas mitgebracht, eine Muschel, einen Bernstein oder irgendein anderes Geschenk. Wir sollten ihm vielleicht ein Stück entgegengehen, sagt Edith, blickt lange über mich hinweg auf die schummerige Straße, und plötzlich spüre ich ein Zittern, als sie die Hände von meinen Schultern nimmt. Das habe ich geahnt! faucht sie und reißt beide Fensterflügel auf. Siehst du ihn? Ja, sage ich. Der Vater hat den Hut in den Nacken geschoben, hält sich am Zaun fest und winkt uns mit der freien Hand fröhlich zu. Du rührst dich keinen Schritt von der Stelle, zischt mir Edith ins Ohr und rast die Treppe hinunter. Ich sehe sie aus dem Haus treten und auf den Vater zulaufen. Er lacht wie ein kleiner Junge und schüttelt den Kopf, als sich Edith bei ihm einhakt. Guten Morgen, guten Morgen! ruft er immer wieder und will die Mutter von sich wegschieben, doch sie zwingt ihn Schritt um Schritt in die Pension.
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Ich muß eine Ewigkeit warten, ehe die Treppenstufen knarren. Die Mutter stößt Robert über die Schwelle und stellt ein großes Kaffeetablett auf das Waschbecken. Trink, zischt sie. Der Vater grinst und zwinkert mir zu, als sei ihm Staub in die Augen geflogen. Er hockt sich auf die Bettkante und macht Miene, sich auszustrecken, aber Edith hält ihm den Kaffee an den Mund, und Robert schluckt gehorsam. Danke, sagt er und will die Tasse zurückgeben, doch die Mutter keift: Bis zum letzten Schluck, du Saufsack! Er nickt und trinkt. Edith stopft dem Vater ein belegtes Brot zwischen die Zähne. Während er kaut, zieht sie ihm die Schuhe aus und hebt die Beine auf das Bett. Ich sehe, wie er das Gesicht verzieht, als ihm Edith zwei Kissen unter den Kopf schiebt, damit er nicht gleich einschläft. So, sagt sie, nun kannst du erzählen, wo du gewesen bist. Auf Hiddensee, lallt Robert und wackelt mit den Fingern wie ein Klavierspieler. Ja, auf Hiddensee, wiederholt er mit schwerer Zunge und macht eine lange Pause nach jedem Wort, als müsse er sich das nächste gründlich überlegen. Du warst nicht auf Hiddensee! zischt die Mutter. Das muß ich wohl besser wissen, blubbert er und verteilt dabei den Sabber auf seinen Lippen. Ich ekele mich vor der blasigen Spucke. Ich wünsche mir, der Vater wäre in der Ostsee ersoffen und mausetot. Edith hält ihm zwei Billetts unter die Augen und fragt: Was ist denn das hier? Was hattest du denn in Arkona und Stubbenkammer zu suchen? Nie im Leben bist du auf Hiddensee gewesen! schnauzt sie. Und wo warst du? erkundigt sich Robert feixend. Frag den Jungen, frag dein eigen Fleisch und Blut! brüllt Edith. Doch der Vater hat sich schon umgedreht, und nach einer Weile fängt er an zu schnarchen. Laß dir's. schmecken, mein Kleiner, sagt die Mutter sanft, und wir essen die belegten Brote, bevor ich ins Bett muß. Lieber Gott, sagt Edith, und ich spreche ihr nach: Mach mich fromm, daß ich in den Himmel komm, amen.
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Der Schreibtisch, an dem ich sitze, ist mit Dutzenden von Zetteln übersät. Ich ordne sie, um den Ablauf der noch verbleibenden Ferienzeit (vier Tage) nicht aus den Augen zu verlieren. Daß Onkel Willy, der Unternehmer mit dem Faible für die Mutter und der untrüglichen Neigung zum Vater, bereits am ersten der vier Tage Binz verließ und mit seinem Auto nach Zerbst zurückfuhr, steht außer Frage. Aber welchen Unterschied macht es schon, ob ich den Bau der Strandburg und die Begegnung mit einer furchterregenden Eisbärattrappe auf den zweiten und die zahllosen, meist verwackelten Schnappschüsse auf die beiden restlichen Tage verteile? Rosi und ich im Badezeug mit winzigen Sonnenschirmen auf den nassen Bezügen des Strandkorbs. Ich lächele, obwohl mir diese langzöpfige Bestie gerade einen schartigen Stein in die Hose geschoben hat. Oder: Ich sitze zwischen Tante Herta und Edith beim Kurkonzert und zupfe den Schorf von der verbrannten Unterlippe: Oder: Nichtschwimmer am Baltischen Meer. Rosi, die Eltern und ich tauchen die weißen Rümpfe ins kalte Wasser und grinsen vor Entsetzen. Oder: Ein Gruppenbild à la Heilige Familie. Der Vater lehnt sich gegen die Strandburg, die Mutter sitzt in seinem Schoß, und ich lasse den heißen Sand durch die Finger rieseln. Gut. Und weiter? Ich weiß nicht weiter. Es gibt keine Erinnerung an die Heimreise. Wir fuhren mit dem Zug. Das ist alles, was ich weiß. Mein Herz stolpert.
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Mir ist, als müsse ich sterben. Mein Gedächtnis hat mich verlassen. Es ist ausgelöscht. Ich spüre einen schabenden Druck in den Schläfen, als würde mein Gehirn von Korkenziehern durchbohrt. Wir starren uns an, das Papier und ich, der Aschenbecher und ich, die Leere und ich, die Schlaftabletten und ich. Warum muß ich sterben, ohne gelebt zu haben? Fließt in meinen Adern kein Blut? Sieht niemand die Tränen in meinen Augen? Kenne ich weder Liebe noch Schmerz? Törichte Frage. Ohne Ergriffenheit, ohne Leidenschaft und Mut, ohne Begeisterung und Freude hätte ich keine Romane schreiben können. Aber wie weit liegt das zurück? Wo sind sie geblieben, die Bücher und die Gefühle? Verweht, wie Spreu im Wind? Ich denke oft an ein Gedicht, das vor fast dreißig Jahren entstand, und schon damals, bei der Niederschrift, war mir zumute, als polterten die Schollen auf meinen Sarg. Ich bin ein lebender Leichnam. Wer hat mich dazu verdammt?
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Ach Mutter, liebe Mutter mein,
Wo ist der Mann, der Vögel fängt?
Hier sind nur Menschensteller.Ach Mutter, liebe Mutter mein,
Ohrfeigen und Kaninchenbein,
Teerpappenduft im Sonnenschein
waren doch viel süßer
als Protokoll und Einlaßschein,
als Ordensband und Menschenklein,
waren doch viel süßer.
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Die Milch, der gelbe Löwenzahn, der Hund, der Hof, der bunte Hahn sind hinter deinen Bergen.
Ach Mutter, liebe Mutter mein,
durch meine Nächte knallt Nagan,
Soldaten, Puppen bringet man in weißen Kindersärgen. Der kleine runde Silberring, der Tontrog, der das Wasser fing, sind jetzt zerbrochen, weil ich die Nacht im Boden hing, die Welt aus meinen Fugen ging, aus unseren leeren Wochen.Ach Mutter, liebe Mutter mein,
wo ist der Mann, der Vögel fängt?
Ich sah nur Menschensteller.49
Louise ist kühl zu mir. Irgend etwas hat sich geändert. Ich spüre es sofort an dem laschen Begrüßungskuß. Ich darf wieder in ihrem Zimmer schlafen, aber am nächsten Tag untersucht der Doktor meinen Rachen, und weil die Wucherungen trotz der salzigen Seeluft noch immer nicht abgeschwollen sind, verbietet er der Großmutter strengstens, im selben Bett mit mir zu nächtigen. Sie verspricht es ihm, und zu meiner Überraschung hält sie sich daran. Du bleibst, wo du bist, faucht Louise, wenn ich die Hand zwischen die Gitterstäbe schiebe. Sie läßt sich nicht erweichen, sondern flößt mir Tropfen ein, damit ich auch durch die Nase, nicht nur durch den Mund atmen kann.
Sag was, bitte ich sie jeden Abend vorm Einschlafen. Die Großmutter schweigt. Singst du noch ein Liedchen? frage ich. Louise bindet stumm die Zöpfe hoch und dreht sich auf die Seite. Warum redest du nicht mit mir? brülle ich wütend. Weil du mich vergessen hast in eurem Binz, sagt Louise und sieht mir so tief in die Augen, als gebe es für sie keine Geheimnisse auf der Welt. Wenn du ein lieber Junge wärst, hättest du mir ein kleines Andenken mitgebracht, wenigstens eine Muschel oder einen hübschen Stein, flüstert sie. Da war überall nur Sand, sage ich und spüre, wie mir die Tränen kommen. Ach, du Schwindler, ruft die Großmutter lachend und hebt mich in ihr Bett.
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