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3  Die bevorstehende Wasserknappheit  

Brown-2006

 

 

69-91

Der Tschadsee in Afrika, einst ein Orientierungspunkt für die Astronauten im All, ist heute für diese kaum mehr auszumachen. An den See grenzen der Tschad, Niger und Nigeria — drei Länder mit den weltweit am schnellsten wachsenden Bevölkerungszahlen — und seit den 60er Jahren ist er um 95 Prozent geschrumpft. Der steigende Bedarf an Wasser zur Bewässerung in dieser Region lässt die Flüsse und Bäche, die den See speisen, austrocknen, so dass der Tschadsee bald völlig verschwunden sein könnte und sein Verbleib für zukünftige Generationen ein Rätsel wäre.1) 

Jeden Tag, so scheint es, lesen wir von verschwundenen Seen, versiegten Quellen oder Flüssen, die das Meer nicht mehr erreichen. Doch in der Regel beschreiben diese Berichte lokal begrenzte Phänomene. Erst eine Zusammenführung der vielen nationalen Studien — wie der 824-seitigen Analyse der Wassersituation in China, der Studie der Weltbank über die Wassersituation im Jemen oder der detaillierten Studie des US-Landwirtschaftsministeriums zu den Zukunftsaussichten der Bewässerung im Westen der Vereinigten Staaten — macht deutlich, welches Ausmaß der weltweite Wassermangel angenommen hat. In diesen Studien werden das Ausmaß der Wasserverschwendung und der daraus resultierende Verfall sichtbar.2

Die Welt steht kurz vor einem riesigen — größtenteils unsichtbaren, geschichtlich noch neuen und schnell wachsenden — Wasserdefizit. Da ein Großteil dieses Wasserdefizits in der Überbeanspruchung unterirdischer Wasserreservoire begründet liegt, tritt es nicht immer offen zu Tage. 

1)  M.T.Coe und J.A. Foley. "Human and Natural Impacts on the Water Resources of the Lake Chad Basin," Journal of Geophysical Research (Atmospheres), Vo\. 106, Nr. D4 (2001), S. 3349-56; Lynn Chandler, "Africa's Lake Chad Shrinks by 20 Times Due to Irrigation Demands. Cliraate Change," Pressemitteilung (Greenbelt, MD: NASA, Goddard Space Flight Center, 27. Februar 2001); Bevölkerungsdaten aus United Nations, World Population Prospects: The 2004 Revision (New York: Februar 2005).  

2)  Weltbank, China: Agenda for Water Sector Strategyfor North China (Washington, DC: April ^2Qüi^-. Christopher Ward, The Political Eeonomy of Irrigation Water Pricing in Yemen (Sana'a, Jemen: Weltbank, November 1998); U.S. Department of Agriculture (USDA), Agricultural Resources and Environmental Indicators 2000 (Washington, DC: Februar 2000).


Im Gegensatz zu brennenden Wäldern oder immer näher rückenden Sanddünen werden sinkende Wasser­spiegel oft erst bemerkt, wenn die Brunnen versiegen. Dieser weltweite Wassermangel ist eine neuere Erscheinung, sie ist das Ergebnis der Verdreifachung der Nachfrage in den letzten 50 Jahren. Die Bohrung von Millionen von Bewässerungsbrunnen hat dazu geführt, dass die Menge an Wasser, die entnommen wurde, in vielen Fällen nicht mehr von den Grundwasserleitern ausgeglichen werden konnte. Da die Regierungen es versäumt haben, die Menge an abgepumpten Wasser auf ein für die Grundwasserleiter verträgliches Maß zu begrenzen, kommt es jetzt in den Ländern, in denen mehr als die Hälfte der Weltbevölkerung lebt, zu einem Absinken der Grundwasserspiegel.3)

Zu den eher sichtbaren Auswirkungen des Wassermangels gehören austrocknende Flüsse und Seen. Es entsteht eine Politik der Wasserknappheit zwischen den Wasserabnehmern flussauf- und flussabwärts, sowohl innerhalb eines Landes als auch zwischen Ländern. Mit dem internationalen Getreidehandel überschreitet auch das Problem der Wasserknappheit die Landesgrenzen. In Ländern, die an die Grenzen ihrer Wasserkapazitäten gelangt sind, wird der wachsende Wasserbedarf der Städte und der Industrie üblicherweise gedeckt, indem Wasser, das für die Bewässerung in der Landwirtschaft gedacht war, abgezweigt wird, und der Verlust in der Produktionsleistung durch Getreideimporte ausgeglichen wird.

Es gibt eine enge Verbindung zwischen Wasser und Lebensmitteln. Jeder Mensch nimmt im Durchschnitt pro Tag vier Liter Wasser in der einen oder anderen Form zu sich, zur Herstellung unseres täglichen Bedarfs an Nahrungsmitteln werden mindestens 2.000 Liter — 500 Mal so viel — benötigt. So erklärt sich auch, warum 70 Prozent des Gesamtverbrauchs von Wasser nur einem Zweck dienen — der Bewässerung. Weitere 20 Prozent werden von der Industrie verbraucht, 10 Prozent in Privathaushalten. Da der Wasserbedarf in allen drei Kategorien steigt, wird der Wettbewerb untereinander immer härter, wobei die Bauern fast immer den Kürzeren ziehen.4) 

 

3)  Verdreifachung des Wasserverbrauchs aus I.A. Shiklomanov, "'Assessment of Warer Resources and Warer Availabiliry in rhe World," Report for the Comprehensive Assessment of the Freshwater Resources of the World (St. Perersburg, Russland: Sraarliches Wasserinstitut, 1998), zitien in Peter H.GIeick, The World's Wetter 2000-2001 (Washingron, DC: Island Press, 2000). S. 52.
4)  Jacob W. Kijne, Unlockingthe Water Potential ofAgriadture (Rom: FAO, 2003), S. 26; Wasserverbrauch aus Shiklomanov, op. cit. Note 3, S. 53.

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Sinkende Wasserspiegel

 

Bei dem Versuch, ihren wachsenden Bedarf an Wasser zu decken, überbeanspruchen sehr viele Länder, unter ihnen auch die drei größten Getreideproduzenten — China, Indien und die Vereinigten Staaten — ihre Grundwasserleiter. In den drei genannten Ländern und einer Reihe weiterer Länder mit sinkenden Wasserspiegeln lebt mehr als die Hälfte der Weltbevölkerung.

Tabelle 3-1. 

Länder, die ihre Grundwasserleiter überpumpen in 2005 5)

Land

Bevölkerung (Mio)

China

1.316

Indien

1.103

Iran

70

Israel

7

Jemen

21

Jordanien

6

Mexiko

107

Marokko

31

Pakistan

158

Saudi-Arabien

25

Südkorea

48

Spanien

43

Syrien

19

Tunesien

10

USA

298

Gesamt

3.262

 

5)  Getreideproduktion aus USDA, Production, Suppfy, & Distribution, elektronische Datenbank, www.tas.usda.gov/psd/psdselecrion.asp, Update vom 13. September 2005; Tabelle 3—1 zusammengestellt vom Barth Poücy Institute unter Hinzuziehung von United Narions, op. cit. Note 1.

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Es gibt zwei Arten von Grundwasserleitern: sich wiederauffüllende und sich nicht wiederauffüllende (oder fossile). Die meisten Grundwasserleiter in Indien und der dicht unter der Oberfläche liegende Grundwasserleiter unter der Nordchinesischen Ebene gehören zur ersten Gruppe. Wenn diese erschöpft sind, wird die Abpumpmenge automatisch auf das zur Wiederauffüllung nötige Maß reduziert.

Wenn dagegen fossile Grundwasserleiter, wie der riesige Ogallala-Aquifer in den USA, der tiefliegende Grundwasserleiter unter der Nordchinesischen Ebene oder der saudische Grundwasserleiter, erschöpft sind, kann überhaupt kein Wasser mehr abgepumpt werden. Wenn es die Niederschlagsmenge zulässt, können Bauern, die auf diese Weise ihren Zugang zu Wasser für die Bewässerung verlieren, auf das weniger ertragreiche Bewirtschaften von Trockenland umsteigen. In wasserärmeren Regionen, wie dem Südwesten der Vereinigten Staaten oder im Nahen Osten, bedeutet der Verlust von Wasser zur Bewässerung das Ende für die Landwirtschaft.

Sinkende Wasserspiegel haben in einigen Ländern, darunter mit China auch der weltweit größte Getreide­produzent, bereits negative Auswirkungen auf die Ernten. Eine im August 2001 in Peking veröffentlichte Studie zum Grundwasser zeigte, dass der Wasserspiegel unterhalb der Nordchinesischen Ebene, in der mehr als die Hälfte des Weizens in China sowie ein Drittel des Maises angebaut werden, weitaus schneller sinkt als bisher behauptet. Die Überbeanspruchung hat zur fast vollständigen Erschöpfung des dicht unter der Oberfläche liegenden Grundwasserleiters geführt, so dass die Brunnenbohrer gezwungen waren, den tiefgelegenen fossilen, sich also nicht wieder auffüllenden Leiter anzubohren.6

In der vom Institut für Geologische Umweltüberwachung in Peking durchgeführten Studie hieß es, unter der Provinz Hebei im Herzen der Nordchinesischen Ebene sänke der Grundwasserspiegel des tiefgelegenen Grundwasserleiters im Durchschnitt um fast drei Meter pro Jahr, in der Nähe einiger Städte in der Provinz sogar doppelt so schnell. He Quingcheng, der Leiter des Grundwasserüberwachungsteams des Instituts für Geologische Umweltüberwachung, sagte, wenn der tiefliegende Grundwasserleiter erschöpft ist, verliert die Region ihre letzte Wasserreserve — und damit ihr einziges Sicherheitspolster.7)

 

6)  Michael Ma, "Northern Cities Sinking as Warer Table Falls,'' South China Morning Post, 11. 8. 2001: Anteil der Getreideernte in der Nordchinesischen Ebene an der Gesamternte Chinas: Hong Yang/A. Zehnder, "Chinas Regional Water Scarcity and Implications for Grain Supply and Trade," Environment andPhnning A, Vol. 33 (2001), USDA, op. cit. Note 5. 
7)  Ma, op. cit. Note 6.

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Die gleichen Bedenken finden sich in einem Bericht der Weltbank: Einzelne Berichte deuten darauf hin, dass tiefe Brunnen rund um Peking inzwischen bis zu 1.000 Meter tief gebohrt werden müssen, um Zugang zu Süßwasser zu erhalten, wodurch sich die Kosten für die Wasserversorgung drastisch erhöhen." Außerdem enthält der Bericht eine für einen Bankbericht ungewöhnlich scharf formulierte Prognose über "katastrophale Folgen für zukünftige Generationen", sollten Wasserangebot und Nachfrage nicht schnellstens wieder ins Gleichgewicht gebracht werden.8)

 

Aus der amerikanischen Botschaft in Peking kommen Berichte darüber, dass Weizenbauern in einigen Gegenden das Wasser bereits aus einer Tiefe von 300 Metern pumpen. Ein Abpumpen aus dieser Tiefe lässt die Pumpkosten so stark ansteigen, dass die Bauern oft gezwungen sind, ganz auf die Bewässerung zu verzichten und auf den weniger ertragreichen Trockenland-Ackerbau umzusteigen.9)

Die sinkenden Wasserspiegel, die Überführung von Ackerland in Land zur nicht landwirtschaftlichen Nutzung und der Verlust von Arbeitsplätzen in der Landwirtschaft in den rasch industrialisierten Provinzen tragen gemeinsam dazu bei, dass Chinas Getreideernte immer geringer ausfällt. Der hauptsächlich im halbtrockenen Norden Chinas angebaute Weizen ist besonders anfällig für den Wassermangel. Nachdem sie 1997 mit 123 Millionen Tonnen ihren Höchststand erreicht hatte, ist die Ernte in fünf der letzten acht Jahre gesunken und erreichte 2005 nur noch 95 Millionen Tonnen Rückgang um 23%.10)

Außerdem heißt es aus der US-Botschaft in Peking, der seit neuestem zu verzeichnende Rückgang der Reisproduktion sei teilweise eine Folge der Wasserknappheit. Nach einem Höchststand von 140 Millionen Tonnen 1997 sank die Ernte in vier der folgenden acht Jahre und lag 2005 bei geschätzten 127 Millionen Tonnen. Einzig beim Mais, dem dritten wichtigen Getreide, das in China angebaut wird, gab es bisher keinen Rückgang. Dies dürfte an den guten Preisen für Mais hegen und daran, dass er nicht so stark bewässert werden muss wie Weizen und Reis.11) 

 

8)  Weltbank. op. cit. Note 2, S. vii, xi. 
9)  John Wade, Adam fttm$on\u\dXhx^Q\ng, China Gtaina/idFeedAft?luallkport2002 (Peking: USDA, 21. Februar 2002).
10)  Getreideproduktion aus USDA, op. cit. Note 5. 
11)  Wade, Branson und Xiang, op. cit. Note 9; Getreideproduktion aus USDA, op. cit. Note 5.

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Insgesamt ist Chinas Getreideproduktion von ihrem historischen Höchststand von 392 Millionen Tonnen 1998 auf geschätzte 358 Millionen Tonnen im Jahr 2005 gesunken. Zum Vergleich sei hier angemerkt, dass dieser Rückgang von 34 Millionen Tonnen größer ist als die jährliche Weizenernte Kanadas. Bis 2004 deckte China den Produktionsrückgang größtenteils dadurch ab, dass es seine einst riesigen eingelagerten Vorräte aufbrauchte, danach importierte man 7 Millionen Tonnen Getreide.12) 

 

Laut einer Weltbank-Studie werden im Norden Chinas drei Flusseinzugsgebiete übermäßig beansprucht — der Hai, der durch Peking und Tianjin fließt, der Huangho und der Huai, der nächste Fluss südlich des Huangho. Da 1.000 Tonnen Wasser benötigt werden, um eine Tonne Getreide zu produzieren, bedeutet der Verlust von 40 Milliarden Tonnen Wasser pro Jahr (eine Tonne entspricht einem Kubikmeter) im Hai-Gebiet, dass bei Erschöpfung des Wasserleiters die Getreideernte um 40 Millionen Tonnen sinken wird — genug, um 120 Millionen Chinesen zu ernähren.13 Von den führenden Getreideproduzenten hat nur China bisher einen deutlichen Produktionsrückgang erlebt. Selbst wenn eine weltweite Getreidekrise und steigende Getreidepreise der Produktion einen starken Impuls geben, wird es bei dem großen Verlust von Wasser zur Bewässerung für China schwer werden, das frühere Produktionsniveau wieder zu erreichen.14

Obwohl der sich abzeichnende Wassermangel in China ein ernsthaftes Problem darstellt, ist die Situation in Indien noch schlimmer, weil das Überleben hier viel enger vom tatsächlichen Lebensmittelverbrauch abhängt. Im Zusammenhang mit einer im New Scientist veröffentlichten Untersuchung zur Wassersituation in Indien berichtet Fred Pearce, dass durch die 21 Millionen Brunnen, die in diesem globalen Epizentrum der Brunnenbohrungen neu angelegt wurden, die Wasserspiegel im größten Teil des Landes bereits sinken, im Norden von Gujarat zum Beispiel jährlich um sechs Meter.15

In Tamil Nadu, einem südindischen Bundesstaat mit mehr als 62 Millionen Einwohnern, trocknen fast überall die Brunnen aus. Laut Kuppannan Palanisami von der Landwirtschaftlichen Universität Tamil Nadu sind infolge der sinkenden Wasserspiegel 95 Prozent der Brunnen der Kleinbauern ausgetrocknet, wodurch die bewässerte Fläche in diesem Bundesstaat innerhalb der letzten zehn Jahre um die Hälfte geschrumpft ist.16)

 

12)  Getreideproduktion aus USDA, op. cit. Note 5.  
13)   Weltbank, op. cit. Note 2, S. viii; Kalkulationen vom Barth Policy Institute basieren auf] Kalkulationen der FAO. dass zur Produktion einer Tonne Getreide 1.000 Tonnen Wasser benötigt werden, siehe U.N. Food and Agriculture Organization (FAO), Yield Response to Water (Rom: 1979).  
14)  Bewässerte Fläche aus FAO, FAOSTAT Statistics Database, auf apps.fao.org. Update vom 4. April 2005: Getreideproduktion aus USDA, op. cit. Note 5.  
15)  Fred Pearce, 'Asian Farmers Sucking the Continent Dry," New Seientist, 25. August 2004.

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Da die Wasserspiegel immer weiter absinken, nutzen Brunnenbohrer inzwischen modifizierte Technologien aus dem Bereich der Ölbohrungen, mit denen in einigen Fällen bis zu 1.000 Meter tief gebohrt werden muss, um auf Wasser zu stoßen. In Gegenden, in denen die unterirdischen Wasserquellen vollständig ausgetrocknet sind, werden die Ackerflächen nur noch durch Regen bewässert, Trinkwasser wird mit Lastwagen gebracht. Tushaar Shah, Leiter der Grundwasserstation des International Water Management Institute in Gujarat, sagt über die Wassersituation in Indien: „Wenn die Seifenblase platzt, wird der Großteil der ländlichen Gegenden Indiens in absoluter Anarchie versinken."17 Momentan steigen die Ernten für Weizen und Reis, Indiens wichtigstem Getreide zur Lebensmittelversorgung, noch an, doch innerhalb der nächsten Jahre könnte der Verlust von Wasser zur Bewässerung den technologischen Fortschritt außer Kraft setzen, ähnlich wie in China könnten die Ernten in einigen Gegenden beginnen zu sinken.18

 

In den Vereinigten Staaten berichtet die USDA (das US-Landwirtschaftsministerium), dass der Grundwasserspiegel in Teilen von Texas, Oklahoma und Kansas — drei der führenden Bundesstaaten in der Getreideproduktion — um mehr als 30 Meter gesunken ist. Als Folge dessen sind auf Tausenden von Farmen im Süden der Great Plains die Brunnen ausgetrocknet. Dieses Abpumpen der unterirdischen Wasserreserven fordert zwar seinen Tribut in Form von Einbußen bei der Getreideernte, doch im Gegensatz zu Indien und China, wo fast drei bzw. vier Fünftel der Getreideernte auf bewässertem Gebiet produziert wird, ist es im Falle der USA nur etwa ein Fünftel.19

Auch Pakistan, ein Land mit einer Einwohnerzahl von 158 Millionen, die jährlich um etwa drei Millionen wächst, greift seine unterirdischen Wasserreserven an. Im pakistanischen Teil der fruchtbaren 1 unjabebene scheint der Wasserspiegel ähnlich stark zu sinken wie in Indien. Grundwassermessstellen in der Nähe der Zwillingsstädte Islamabad und Rawalpindi verzeichneten zwischen 1982 und 2000 sinkende Wasserspiegel von einem bis fast zwei Metern pro Jahr.20)

 

16)  Ebenda.;Bevölkerungszahl in Taniilm Strlaur Volkszählimgvon 2001, "Tamil Naduata Glance: Area and Population" aui www.rn.gov.in.  
17)  Pearce, op. cir. Note 15.  
18)  Thushaar Shahetal., The Global Groundwater Situation: Overview of Opportunities and Challenges (Colombo, Sri Lanka: International Water Management Insrirute. 2000).  
19)  USDA ,op. cit. Note2, Kapitel 2.1, S. 6; Anteil der bewässerten Flächen berechnet nach FAO, op. C|t- Note 14; Erntedaten aus USDA, op. cit. Note 5-

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In der Provinz Belutschistan sinken die Wasserspiegel rund um die Hauptstadt Quetta jährlich um 3,5 Meter. Richard Garstang, ein Wasserexperte des World Wildlife Fund21 und Mitarbeiter an einer Studie über die Wassersituation in Pakistan, sagte 2001: „Sollte der derzeitige Verbrauch beibehalten werden, wird es in Quetta innerhalb von 15 Jahren kein Wasser mehr geben."22 Der Wassermangel in Belutschistan betrifft die gesamte Provinz. Sardar Riaz A. Khan, der ehemalige Direktor des pakistanischen Arid Zone Research Institute in Quetta, berichtet, in sechs Stromgebieten wären die unterirdischen Wasserreserven bereits aufgebraucht, und die durch sie bewässerten Nutzflächen seien nun unfruchtbar. Khan ist der Ansicht, dass in 10 bis 15 Jahren praktisch alle Stromgebiete außerhalb der durch Kanalsysteme bewässerten Gebiete ihre unterirdischen Wasserreserven aufgebraucht haben werden, wodurch die Provinz einen großen Teil ihrer Getreideernte einbüßen wird.

 

Wenn in Zukunft das Wasser aufgrund der Erschöpfung der Grundwasserleiter knapper wird, wird auch die Getreideernte Pakistans zweifellos geringer ausfallen. Momentan steigt die Weizenernte — Weizen ist das wichtigste Grundnahrungsmittel — landesweit noch an, doch weitaus weniger stark als bisher.24

Der Iran, ein Land mit 70 Millionen Einwohnern, verzeichnet eine Überbelastung seiner Grundwasserleiter um etwa fünf Milliarden Tonnen Wasser jährlich; das entspricht der Wassermenge, die nötig ist, um ein Drittel der gesamten iranischen Getreideernte zu produzieren. Unter der kleinen, aber landwirtschaftlich bedeutsamen Chenaranebene im Nordosten des Iran sank der Wasserspiegel in den späten 90er Jahren jährlich um 2,8 Meter. Der Grund dafür waren neugebohrte Bewässerungsbrunnen sowie Brunnen zur Versorgung der nahegelegenen Stadt Maschad. Wegen der austrocknenden Brunnen verlassen immer mehr Menschen die Dörfer im Osten des Iran und bilden so einen Strom von "Wasserflüchtlingen".25)  

 

20)  Bevölkerung aus United Nations, op. cit. Note 1; Sinken der Wasserstände aus "Pakistan: Focus on Water Crisis," U.N. Integrated Regional Information Networks, 17. Mai 2002.  
21)  Anm. d. Übersetzers: Die Organisation heißt inzwischen überall aufder Welt—außer in Kanada und den USA — World Wide Fundfor Natitre, die Abkürzung WWF ist geblieben.  
22)  "Pakistan: Focus on Water Crisis," op. cit. Note 20; Garstang zitiert in "Water CrisisThreatens Pakistan: Experts," Agence France-Presse. 26. Januar 2001.  
23)  Sardar Riaz A. Khan, "Declining Land Resource Base," Daum (Pakistan), 27. September 2004.  
24)  USDA, op. cit. Note 5.  

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Saudi-Arabien mit seinen 25 Millionen Einwohnern ist ebenso arm an Wasser, wie es reich an Öl ist. Mit Hilfe massiver Subventionen hat man eine bewässerungsintensive Landwirtschaft aufgebaut, die größtenteils von dem tief gelegenen fossilen Grundwasserleiter des Landes abhängig ist. Nachdem man mehrere Jahre lang das Geld aus den Ölverkäufen dazu benutzt hatte, den Weizenpreis auf einem Niveau zu halten, das fünfmal höher lag als der Weltmarktpreis, musste sich die Regierung schließlich der finanzwirtschaftlichen Realität stellen und die Subventionen streichen. Daraufhin sank die Weizenernte zwischen 1992 und 2005 um 71 Prozent und ging von 4,1 Millionen Tonnen auf 1,2 Millionen Tonnen zurück.26 Craig Smith schreibt in der New York Times:

"Aus der Luft sehen die runden Weizenfelder ... dieses dürren Landes aus wie grüne Pokerchips, die man über die braune Wüste verstreut hat. Doch sind sie zahlenmäßig den geisterhaften Silhouetten der Felder unterlegen, die man sich selbst überlassen hat, damit sie wieder im Sand versinken — Orte, an denen das Glückspiel des Königreichs mit der Landwirtschaft dazu geführt hat, dass wertvolle Grundwasserleiter völlig ausgesaugt wurden."

Einige saudische Bauern pumpen inzwischen ihr Wasser aus Brunnen, die bis zu 1.200 Meter tief sind.27 In einer saudischen Studie aus dem Jahr 1984 heißt es, die fossilen Wasserreserven des Landes beliefen sich auf 462 Milliarden Tonnen. Die Hälfte davon ist inzwischen höchstwahrscheinlich nicht mehr vorhanden, so Smith. Dies lässt vermuten, dass die Landwirtschaft mit Hilfe von Bewässerung hier noch etwa zehn Jahre Bestand haben könnte, danach aber größtenteils verschwinden und sich auf die Gebiete beschränken wird, die aus den dicht unter der Erdoberfläche gelegenen Wasserleitern, die durch die mageren Regenfälle im Königreich aufgefüllt werden, bewässert werden können. Dies ist ein klassisches Beispiel für eine Nahrungsmittelwirtschaft im „Overshoot-and-Collapse"-Modus.28

 

25)  BevölkerungausUniredNations,op.cic.Nocel;Überbcatispruchungau.sChenarajiAgricultural Center, iViinistryor Agriculture, Angaben von HamidTaravati, Herausgeber, Iran, E-Mail an den Autor, 25. Juni 2002. 
26)  Craig S. Smith, "Saudis Worry asThey WasteTheir Scarce Water," New York Times, 26. Januar 2003; Gerreidcproduktion aus USDA, op. cit. Note 5. f ~ 
27)  Smith, op. cit. Note 25. 
28)  Ebenda,

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Im benachbarten Jemen mit seinen 21 Millionen Einwohnern sinkt der Wasserspiegel im größten Teil des Landes jährlich um etwa zwei Meter, weil der Wasserverbrauch die für die Grundwasserleiter verträgliche Menge übersteigt. Im Sana'a-Becken im Westen des Jemen übersteigt die geschätzte jährliche Entnahmemenge von 224 Millionen Tonnen die jährliche Auffüllmenge von 42 Millionen Tonnen um das Fünffache, wodurch der Wasserspiegel jährlich um sechs Meter sinkt. Prognosen der Weltbank deuten darauf hin, dass das Sana'a-Becken — in dem auch die Landeshauptstadt Sana'a liegt und in dem zwei Millionen Menschen leben — bis 2010 leergepumpt sein wird.29)

Auf der Suche nach Wasser hat die jemenitische Regierung im Becken Testbohrungen vornehmen lassen, die bis zu zwei km tief gehen — das sind Tiefen, die man normalerweise eher im Zusammenhang mit Ölbohrungen kennt — und trotzdem ist man nicht auf Wasser gestoßen. Im Jemen muss man sich nun sehr bald entscheiden, Sana'a möglicherweise, wenn man es sich leisten kann, über eine Pipeline von den Entsalzungsanlagen an der Küste aus mit Wasser zu versorgen oder aber die Hauptstadt zu verlegen. Jede der beiden Alternativen wäre kostspielig und hätte potenziell traumatische Folgen.30)

Bei landesweit sinkenden Grundwasserspiegeln und einem jährlichen Bevölkerungszuwachs von drei Prozent wird der Jemen sehr schnell zu einem hydrologischen Pflegefall. Neben den Auswirkungen der übermäßigen Beanspruchung der Wasserreserven auf die Hauptstadt bemerkte Christopher Word von der Weltbank außerdem: „Das Grundwasser wird in einem so hohen Tempo abgepumpt, dass Teile der ländlichen Wirtschaft innerhalb einer Generation verschwunden sein könnten."31)  

Obwohl Israel ein Vorreiter bei der Effizienzerhöhung in der Bewässerung ist, beansprucht es doch seine beiden wichtigsten Grundwasserleiter über — den an der Küste und den in den Bergen, den man sich mit den Palästinensern teilt. Die Bevölkerung Israels, die sowohl durch ein natürliches Wachstum als auch durch Immigration weiter zunimmt, ist dabei, über die Wasservorräte des Landes hinauszuwachsen. Auch die Konflikte zwischen den Israelis und den Palästinensern wegen der Aufteilung des Wassers im bereits erwähnten Bergland dauern an. Inzwischen hat Israel wegen der Wasserknappheit die Bewässerung von Weizen verboten.32)

 

29)  Bevölkerung aus United Nations, op. cit. Note 1; Wassersituation im Jemen aus Christopher Ward, "Yemen's Water Crisis," basierend auf Vortrag bei der British Yemeni Society im September 2000, Juli 2001; Ward, op. cit. Note 2.
30)  Marcus Moench, ''Groundwater: Potential and Constraints." in Ruth S. Meinzen-Dick und Mark W. Rosegrant, Hrsg.. Overcoming Warer Scarcity and Quality Constraints (Washington, DC: International Food Policy Research Institute, Oktober 2001).  
31)  Bevölkerung aus United Nations, op. cit. Note 1; Wassersituation im Jemen aus Ward, op. cit. Note 2.

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Auch in Mexiko, einem Land mit 107 Millionen Einwohnern, von dem man annimmt, es würden bis 2050 140 Millionen sein, übersteigt der Bedarf an Wasser die vorhandenen Reserven. Die Wasserprobleme von Mexiko City sind allgemein bekannt, doch auch die ländlichen Gegenden leiden darunter. Im landwirtschaftlich wichtigen Bundesstaat Guanjuato sinkt der Wasserspiegel jährlich um zwei Meter oder mehr. Wenn man das gesamte Land betrachtet, so stammen 51 Prozent des aus unterirdischen Reservoiren gepumpten Wassers aus überbeanspruchten Grundwasserleitern.33

Da die Überbeanspruchung der Grundwasserleiter in vielen Ländern praktisch gleichzeitig stattfindet, könnten auch die Erschöpfung derselben und die daraus resultierende Abnahme der Ernten ungefähr zur gleichen Zeit eintreten. Und die Tatsache, dass die Entleerung der Grundwasserleiter immer schneller fortschreitet, bedeutet, dass dieser Tag sehr bald kommen und einen möglicherweise nicht mehr zu beherrschenden Lebensmittelmangel mit sich bringen wird.

 

Austrocknende Flüsse

 

Während sinkende Grundwasserspiegel uns größtenteils verborgen bleiben, sind Flüsse, die vor dem Erreichen des Meeres austrocknen, deutlich sichtbar. Zwei der Flüsse, bei denen dieses Phänomen zu beobachten ist, sind der Colorado, der größte Fluss im Südwesten der Vereinigten Staaten, und der Huangho, der größte Fluss in Nordchina. Zu den großen Flüssen, die entweder austrocknen oder in der Trockenzeit kaum mehr als ein Rinnsal sind, gehören auch der Nil, die Lebensader Ägyptens; der Indus, der den größten Teil des Wassers für die pakistanischen Bewässerungssysteme liefert, und der Ganges in Indiens dicht bevölkertem Gangesbecken. Viele kleinere Flüsse sind vollständig ausgetrocknet.34

 

32)  Dcborah Camiel, "Israel, Palestinian Water Resources Down die Drain," Reuters, 1 2. Juli 2000.
33)  Bevölkerung aus United Nations, op. cit. Note 1; Sinkende Wasserstände aus Shah et al., op. cit. Note 18; prozentualer Anteil an aus unterirdischen Quellen abgepumptem Wasser aus Karin Kemper, "Groundwater Management in Mexico: Legal andl nstitutional Issues," in Salman M.A. Salman, Hrsg., Groundwater: Legaland Policy Perspectives, Berichte eines Weltbank-Seminars (Washington, DC: Weltbank, 1999). S. 117. 
34)  Angaben zu Colorado, Ganges, Indus und Nil aus Sandra Postel, Pillar of'Sand (New York: W.W. Norton & Company, 1999), S. 59, 71-73, 94, 261-62: zum Huangho aus Lester R. Brown und Brian Haiweil, "Chinas Water Shortages Could Shake Wbrld Food Securit}',"WorldWatch,Juli/ August 1998, S. 11.

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Da sich der weltweite Wasserbedarf in den letzten 50 Jahren verdreifacht hat und der Bedarf an Wasserkraft noch schneller gestiegen ist, haben Dämme und Umleitungen dazu geführt, dass viele Flüsse ausgetrocknet sind. Aufgrund der gesunkenen Wasserspiegel sind die Quellen, die normalerweise die Flüsse speisen, ausgetrocknet, wodurch die von den Flüssen geführte Wassermenge abgenommen hat.35

Seit 1950 ist die Zahl der großen Dämme, also derer, die über 15 Meter hoch sind, von 5.000 auf 45.000 angewachsen. Jeder Damm entzieht dem jeweiligen Fluss einen Teil seines Wassers. Ingenieure behaupten gern, die zur Gewinnung von Elektrizität gebauten Dämme würden dem Fluss kein Wasser entziehen, sondern lediglich seine Energie, doch das ist nicht ganz richtig, da die Reservoire zu einer erhöhten Verdunstung führen. In ariden oder semi-ariden Regionen, in denen die Verdunstungsraten sehr hoch sind, verliert ein Reservoir jährlich üblicherweise eine Wassermenge, die etwa zehn Prozent seiner Speicherkapazität entspricht.36

Der Colorado River erreicht heute nur noch selten das Meer. Da die Bundesstaaten Colorado, Utah, Arizona, Nevada und vor allem Kalifornien auf das "Wasser des Colorado angewiesen sind, wird dem Fluss einfach alles Wasser entzogen, noch bevor er den Golf von Kalifornien erreicht. Durch diesen unglaublich hohen Wasserbedarf wird das Ökosystem des Flusses einschließlich der Fischbestände zerstört.37

In Zentralasien ist die Situation ganz ähnlich. Dem Amu-Darja — der zusammen mit dem Syr-Darja den Aralsee speist — wird von den usbekischen und turkmenischen Baumwollbauern flussaufwärts bereits das Wasser entzogen. Ohne den Zufluss des Amu-Darja verhindert nur der Syr-Darja, dass der Aralsee völlig austrocknet.38 Der chinesische Huangho, der etwa 4.000 km weit durch fünf Provinzen fließt, bevor er das Gelbe Meer erreicht, ist schon seit Jahrzehnten einem zunehmenden Druck ausgesetzt. 1972 trocknete er zum ersten Mal aus, und seit 1985 hat er das Meer schon oft nicht erreicht.39

 

35)  Gleick, op. cit. Note 3, S. 52.
36)  Sandra Postel. Last Oasis (New Yotk: W.W. Norton & Company, 1997), S. 38-39: World Commission on Dams, Dams and Development: A New Framework for Decision-Making (London: Island Press, 2000), S. 8.
37  Postel,op.cit.Note33,S.261—62;JimCarrier,"TheColorado:ARiverUzainedDty"NationM
Geographie, Juni 1991, S. 4-32. 
38)  U.N. Environment Programme (UNEP), Afghanistan: Post-Conflict Environmental Assessmenr (Genf: 2003), S. 60. 
39)  Brown and Haiweil, op. cit. Note 33.

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Der Nil, Heimat einer anderen alten Zivilisation, schafft es inzwischen kaum noch bis zum Meer. Die Wasserexpertin Sandra Postel stellt in Pillar of Sand fest, dass vor dem Bau des Assuan-Staudamms jährlich etwa 32 Milliarden Kubikmeter Wasser ins Mittelmeer gelangten. Nach Fertigstellung des Staudamms haben der zunehmende Wasserbedarf zur Bewässerung, die Verdunstung und andere Beanspruchungen dazu geführt, dass diese Zahl auf unter zwei Milliarden Kubikmeter sank.40

Die zivilisatorische Grundlage Pakistans bildet, ebenso wie im Falle Ägyptens, ein Fluss, und das Land ist stark vom Indus abhängig. Dieser Fluss, der im Himalaja entspringt und gen Westen in den Indischen Ozean abfließt, liefert nicht nur überirdisch Wasser, sondern füllt auch die Grundwasserleiter auf, die die Bewässerungsbrunnen überall in Pakistan speisen. Angesichts des steigenden Wasserbedarfs beginnt auch dieser Fluss an seinem Unterlauf bereits auszutrocknen. Das heißt, dass Pakistan, von dem man annimmt, dass die Bevölkerungszahl bis 2050 auf 305 Millionen ansteigen wird, vor einem ernsten Problem steht.41

 

In Südostasien nimmt die Wassermenge des Mekong durch die Dämme, die die Chinesen an seinem Oberlauf bauen, stetig ab. Die stromabwärts gelegenen Länder wie Kambodscha, Laos, Thailand und Vietnam — Länder mit insgesamt 168 Millionen Einwohnern — beklagen sich über die verminderte Wassermenge des Mekong, doch bislang hatte dies kaum einen Einfluss auf Chinas Bestrebungen, das Wasser und die Wasserkraft des Flusses auszunutzen.42 An Euphrat und Tigris, die in der Türkei entspringen und über Syrien und den Irak in den Persischen Golf fließen, besteht das gleiche Problem. Dieses Flusssystem, einst Siedlungsort der sumerischen und anderer früher Zivilisationen, wird ebenfalls überbeansprucht. Durch die großen Dämme in der Türkei und im Irak nimmt die Wassermenge ab, die in das Gebiet des einstigen „fruchtbaren Halbmondes" fließt. Dadurch wurden mehr als 90 Prozent der einst riesigen Feuchtgebiete zerstört, die dem Deltagebiet Reichtum brachten.43 In den eben erwähnten Flusssystemen wird buchstäblich das gesamte Wasser des Beckens genutzt. Wenn die Menschen flussaufwärts mehr Wasser entnehmen, so ist es unausweichlich, dass diejenigen flussabwärts weniger bekommen.

 

40)  Postd. op. dt. Note 33, S. 71, 146. 
41)  Ebenda., S. 56-58; Bevölkerung aus United Narions, op. cit. Note 1.  
42)  Moench, op. cit. Note 29; Bevölkrung aus United Nations, op. cit. Note 1.  
43)  UNEP, "'Garden of Eden' in Southern Iraq Likely to Disappear Completely in Five Years Unless UfgentActionTaken."Pressenotiz(Nairobi:22.März2003);HassanPartow, TheMesopotamian Marshlands: Demise ofan Ecosystem, Early Wartung and Assessment Technical Report (Nairobi: Division of Early Warning and Assessment, UNEP, 2001).

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Die verschwundenen Seen  

 

Wenn den Flüssen das Wasser entzogen wird oder sie sogar ganz austrocknen und die Wasserspiegel wegen Überbeanspruchung sinken, schrumpfen auch die Seen und in einigen Fällen verschwinden sie ganz. Wie meine Kollegin Janet Larsen feststellte, handelt es sich bei den Seen, die dabei sind auszutrocknen, um einige der bekanntesten Seen der Welt — darunter der Tschadsee in Zentralafrika, der Aralsee in Zentralasien und der See Genezareth.44) Auch vielen Seen in den USA ist es nicht besser ergangen. Der Owens Lake in Kalifornien, der am Anfang des vergangenen Jahrhunderts noch über 500 km2 groß war, ist ganz verschwunden. Nachdem der Owens River 1913 zur Versorgung des „durstigen" Los Angeles umgeleitet wurde, überlebte der See nur noch etwas mehr als zehn Jahre.45 Der Mono Lake in Kalifornien, geologisch der älteste See Nordamerikas und ein bekannter Rastplatz für Wasserzugvögel, ist eines der jüngsten Opfer von Los Angeles' scheinbar unstillbarem Durst. Seit 1941, als man begann, Wasser aus seinen Zuflüssen nach Los Angeles umzuleiten, ist der Wasserspiegel des Mono Lake um etwa zehn Meter gesunken.46

Megan Goldin, Reporterin bei Reuters, schreibt, aufgrund zurückweichender Ufer könne inzwischen „jeder einfache Sterbliche das Kunststück vollbringen, über den See Genezareth zu gehen ". Als ich das erste Mal sah, wie der Jordan aus Syrien nach Israel fließt, offenbarte sich mir, wie schwach der Fluss ist; in vielen Ländern hätte man ihn wohl höchstens als Flüsschen oder Bach bezeichnet. Und doch ist es der Hauptzufluss j des Sees Genezareth, in den er am Nordende einmündet und ihn am Südende wieder verlässt, bevor er nach weiteren 105 Kilometern in südlicher Richtung ins Tote Meer mündet.47

Da die vom Jordan geführte Wassermenge auf seinem Weg durch Israel weiter abnimmt, schrumpft das Tote Meer noch weitaus schneller als der See Genezareth. In den vergangenen 40 Jahren ist sein Wasserspiegel um etwa 25 Meter gesunken. Infolge der Umleitungen des Jordan auf seiner Reise in südlicher Richtung durch Israel und der schnell sinkenden Wasserspiegel auf jordanischem Gebiet könnte das Tote Meer bis 2050 gänzlich verschwunden sein.48

 

44)  Janet Larsen, "Disappearing Lakes, Shrinking Seas," Eco-Economy Update (Washington, DC: Earth Policy Institute, 7. April 2005).
45)  David Maisei, "Lake and Bake: Photos of the Once-Mighty, Now-Drained Owens Lake," Grist 1
Magazine, 19. Januar 2005.
46)  Larsen, op. cit. Note 43; "Statistics: The Measurements of the Mono Basin," Mono Lakef Webseite, www.monolake.org, Update vom 4. Januar 2005.  
47)  Megan Goldin, "Israels Shrinking Sea of Galilee Needs Miracle," Renters, 14. August 2001; Zusammenschrumpfen des Jordans aus Annette Young, "MiddleEastConflictKillmg the Holy Water," The Scotsman, 12. September 2004.

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Von allen schrumpfenden Seen und Binnenmeeren hat wohl keiner bzw. keines so viel Aufmerksamkeit erhalten wie der Aralsee. Seine Häfen, einst die Handelszentren der Region, liegen jetzt verlassen da und sehen aus wie die Geisterstädte der Goldgräber im amerikanischen Westen. Der Aralsee, einst einer der größten Süßwasserseen der Welt, hat seit 1960 vier Fünftel seiner Größe eingebüßt. Die Schiffe, die einst auf seinen Wasserrouten unterwegs waren, stecken jetzt im Sand des alten Seebodens fest — und kein Wasser in Sicht.49 Der Untergang des Aralsees wurde schon 1960 eingeleitet, als die sowjetischen Zentralplaner in Moskau entschieden, die Region um Syr-Darja und Amu-Darja sollte als riesiges Baumwollanbaugebiet zur Versorgung der Textilindustrie des Landes dienen. Mit der Ausweitung des Baumwollanbaus wurde auch immer mehr Wasser aus den beiden Zuflüssen des Aralsees umgeleitet. Als der Aralsee zu schrumpfen begann, stieg die Salzkonzentration so stark an, dass die Fische starben. Die einst blühende Fischindustrie, die jährlich 50.000 Tonnen Fisch produzierte, verschwand, ebenso wie die Arbeitsplätze auf den Fischereischiffen und in den fischverarbeitenden Betrieben.50

Nachdem dem See aus den beiden Flüssen statt vorher 65 Milliarden Kubikmeter jährlich nur noch 1,5 Milliarden Kubikmeter Wasser zufließen, stehen die Chancen für eine Umkehrung des Schrumpfungs­prozesses nicht gut. Die Küstenlinie verläuft inzwischen 250 Kilometer von den alten Hafenstädten entfernt, wodurch ein riesiges Areal des alten Seebodens frei liegt. Jeden Tag nimmt der Wind Tausende Tonnen an Sand und Salz vom trockenen Seeboden auf und verteilt die Partikel durch die Luft über das umliegende Weide- und Ackerland, das somit geschädigt wird.51 

 

48)  Caroline Hawley, "Dead Sea 'to Dßappear by 2050,'" BBC, 3. August 2001; Gidon Bromberg, "Water and Peace," World Watch, Juli/August 2004, S. 24-30. 
49)  Quirin Schiermeier, "Ecologisrs Hot to Turn the Tide for Shrinking Lake," Nature. Vol. 412 (23, August 2001), S. 756.
50)  "SeatoDisappeatwithinl5Years,"jV<wj2^,22.Juli2003;"Ka/.akh Dam Condemns Mostoftbe Shrunken AraJ Sea to Oblivion," Guardian (London), 29. Oktober 2003; Nikolai Mikhalchuk, The Dying Aral Sea," The Green Gross Optimist, Frühjahr 2004, S. 37-39; Fred Pearce, "PoisonedWaters,"Afav5c^^,OktorKrI995,S.29-33;C^otineWilliams,''LongTimeNo Sea," New Scientist, 4. Januar 2003, S. 34-37.
51)  Larsen, op. cit. Note 43; NASA, Earth Observatory, "Aral Sea," auf earthobservatory.nasa.gov  Newsroom/NewImages/images.php3?img_id= 16277, angesehen 25. Januar 2005; Alex Kirby, "Kazakhs 'to Save North Aral Sea.'" BBC, 29. Oktober 2003.

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Auf einer Konferenz der sowjetischen Akademie der Wissenschaften im Jahr 1990 zur Zukunft des Aralsees gab es für ausländische Teilnehmer die Möglichkeit, an einem Rundflug teilzunehmen. Als wir in einem altmodischen einmotorigen Doppeldeckerflugzeug, das aussah, als stamme es noch aus dem Zweiten Weltkrieg, in geringer Höhe über den trockenen, salzbedeckten Boden des Sees flogen, fand ich, dass es aussah wie die Oberfläche des Mondes. Es gab keine Vegetation, kein Anzeichen für irgendwelches Leben, nur absolute Einöde.52

In China ist das Verschwinden von Seen wohl am auffälligsten. In der Provinz Qinghai im Westen Chinas, durch die auch der Hauptarm des Huangho fließt, gab es einst 4.077 Seen. Doch in den letzten 20 Jahren sind mehr als 2.000 davon verschwunden. In der Provinz Hebei, in der auch Peking liegt, ist die Situation noch weitaus schlimmer. Da in der gesamten Region die Wasserspiegel rasend schnell sinken, hat die Provinz inzwischen 969 ihrer einst 1.052 Seen eingebüßt.53 

Auch in anderen asiatischen Ländern, darunter Indien, Pakistan und Iran, verschwinden Seen von der Landkarte. So sind beispielsweise zahlreiche Seen im indischen Kaschmirtal einfach verschwunden. Der Dalsee, einst 75 km2 groß, ist auf 12 km2 zusammengeschrumpft. Bei den schnell fallenden Wasserspiegeln in großen Teilen Indiens schrumpfen viele Seen sehr schnell, andere verschwinden ganz.54

Auch in Mexiko wächst die Bevölkerung so stark, dass die Wasserversorgung bald nicht mehr gewährleistet sein könnte. Der Chapalasee, der größte See des Landes, ist die Hauptwasserquelle für Guadalajara, eine Stadt mit 5 Millionen Einwohnern. Die Ausweitung der Bewässerung in der Region hat dazu geführt, dass die Wassermenge des Sees um 80 Prozent gesunken ist.55

Auf allen Kontinenten verschwinden Seen von den Landkarten. Die Gründe sind überall dieselben: exzessive Umleitungen des Wassers aus den Flüssen und eine Überbeanspruchung der Grundwasserleiter. Niemand kann genau sagen, wie viele Seen in den letzten 50 Jahren verschwunden sind, doch wir wissen, dass viele Seen heute nur noch auf alten Landkarten zu finden sind.

 

52)  "Kazakh Dam Condemns Most of the Shrunken Aral Sea to Oblivion," op. cit. Note 49. I  
53)  Lester R. Brown, "WorseningWatef Shortages Threaten Chinas FoodSecurity," Eco-Economy 1
Update (Washington, DC: Barth Policy Institute,4. Oktober2001); Li Heng, "'20 Natural Lakes I Disappcar Each Year in China," People's Daily, 21.10.2002; Xinhua, "Glaciers Reccding, Wetlands Shrinking in River Fountainhead Area," China Daily, 7.01.2004
54)  PrakriitiGupta,"LastSOStorDalLake,"People&thePlanet.8.Juni2004;HilalBhat,"Silenced ; Springs," Down to Earth, Vol. 13, Nr. 18 (5. Februar 2005). 
55)  Jim Carlton, "Shrinking Lake in Mexico Threatens Future ot Region," Wall Street Journal, 3. September 2003; Bevölkerung aus United Nations. op. cit. Note 1.

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Die Bauern verlieren gegen die Städte

 

Die Schlagzeilen werden heute beherrscht von den Wasserkonflikten zwischen einzelnen Ländern. Doch auch innerhalb der Länder müssen sich die Politiker mit dem Kampf um das Wasser zwischen den Städten und den Bauern auseinandersetzen. Unter dem Gesichtspunkt der Wirtschaftlichkeit des Wasserverbrauchs stehen die Chancen für die Bauern in diesem Wettbewerb nicht gut, weil für die Lebensmittelproduktion einfach sehr viel Wasser verbraucht wird. Während man zur Herstellung einer Tonne Stahl im Wert von 550 Dollar nur 14 Tonnen Wasser benötigt, braucht man 1.000 Tonnen Wasser, um eine Tonne Weizen zu produzieren, die nur 150 Dollar wert ist. In Ländern, die in erster Linie damit beschäftigt sind, ihre Wirtschaft auszubauen und neue Arbeitsplätze zu schaffen, überrascht es kaum, wenn sich die Politik dafür entscheidet, die Bedürfnisse der Landwirtschaft hinten anzustellen.56)

Viele der größten Städte der Welt liegen an Einzugsgebieten von Flüssen, wo bereits das gesamte verfügbare Wasser verbraucht wird. Solche Städte, wie Mexiko City, Kairo und Peking, können einen erhöhten Wasserverbrauch nur über den Import von Wasser aus anderen Stromgebieten decken oder indem sie es von der Landwirtschaft abzweigen. Buchstäblich Hunderte Städte in der Welt befriedigen heute ihren zunehmenden Wasserbedarf, indem sie den Bauern das Wasser für die Bewässerung streitig machen. In den USA gilt das unter anderem für die Städte San Diego, Los Angeles, Las Vegas, Denver und El Paso. Eine USDA-Studie in elf der westlichen Bundesstaaten zeigt, dass zwischen 1996 und 1997 im Durchschnitt Wasserrechte für 1,65 Milliarden Tonnen Wasser verkauft wurden — genug, um damit 1,65 Millionen Tonnen Getreide zu produzieren.57

 

56)  Zur Stahlherstellung benöcigte Wissermenge aus Postel, op. cit. Note 35, S. 137; Stahlpreis vom Juni 2005 aus Michael Femon, Experte im Bereich Eisen&Siahl, U.S. Geologcal Survey, E-Mail an Erin Greenfield, Earth Policy Institute. 21. Juli 2005; Angaben, Oass zur Herstellung einer Tonne Getreide 1.000 Tonnen Wasser benötigt werden aus t'AO, Yield Response ro Water (Rom: 1979); Weizenpreis vom Internationalen Währungsfond, International Financial Statistin, http://ifs.apdi.net., Juli 2005.  
57)  Noel Gollehon und William Quinby, "Irrigation in the American West: Area, Water and Economic Activity," Water Resources Development, Vol. 16, Nr. 2 (2000), S. 187-95; p"5tel, op. cit. Note 35. S. 137.

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Berechnungen der Weltbank für das dicht besiedelte und relativ gut mit Wasser versorgte Südkorea deuten darauf hin, dass der zunehmende Wasserverbrauch der Haushalte und der Industrie dazu führen könnte, dass der Landwirtschaft statt bisher 13 Milliarden Tonnen bis 2025 nur noch sieben Milliarden Tonnen Wasser zur Verfügung stehen könnten. Weiter geht die Weltbank davon aus, dass sich der Wasserverbrauch der chinesischen Städte zwischen 2000 und 2010 von 50 auf 80 Milliarden Tonnen erhöhen wird, eine Zunahme von 60 Prozent.« Der Wasserverbrauch der Industrie wird sich unterdessen um 62 Pro-Ä zent, von 127 auf 206 Milliarden Tonnen erhöhen. Inzwischen planen 1 mehrere Hundert Städte, ihre Nachfrage nach Wasser in Zukunft auf j Kosten der ländlichen Gegenden zu befriedigen. In der Region um 1 Peking ist dieser Wandel seit 1994 im Gange, als man den Bauern ver-j bot, sich aus den Reservoirs zu bedienen, die die Stadt versorgten.58

Da China plant, die wirtschaftliche Entwicklung des oberen Beckens des Huangho voranzutreiben, hat die am oberen Flusslauf entstehende Industrie in Fragen des Wasserverbrauchs Priorität. Da stromaufwärts immer mehr Wasser verbraucht wird, kommt immer weniger bei den Bauern flussabwärts an. In ungewöhnlich heißen Jahren erreicht derj Huangho nicht einmal mehr die Provinz Shandong, die letzte auf dem Weg zum Meer.59 Den Bauern von Shandong, die traditionell etwa die j Hälfte ihres Wasserbedarfs zur Bewässerung aus dem Huangho und die andere Hälfte aus Brunnen gedeckt haben, fehlt jetzt aus beiden Quellen Wasser. Die Verluste an Wasser zur Bewässerung in einer Provinz,! die ein Fünftel von Chinas Maisernte und ein Siebtel seiner Weizenernte abdeckt, bieten eine gute Erklärung für das Sinken von Chinas Getreideernte.60 

Auch in anderen Ländern decken Hunderte Städte ihren wachsenden Wasserbedarf, indem sie einen Teil des Wassers buchstäblich von den Bauern abzweigen. Die Stadt Izmir im Westen der Türkei beispielsweise ist stark von den Brunnenfeldern des angrenzenden Landwirtschaftsgebiets Manisa abhängig.61 Im Süden der Great Plains und im Südwesten der USA, wo inzwischen praktisch alles Wasser fest verplant ist, kann der wachsende Wasserbedarf der Städte und tausender kleinerer Orte nur dadurch gedeckt werden, dass man der Landwirtschaft Wasser entzieht. The Water Strategist, eine monatlich erscheinende Zeitschrift in Kalifornien, listet in jeder Ausgabe einige Seiten lang die Verkäufe von Wasserrechten im Westen der VereinH gten Staaten im Vormonat auf. Es vergeht praktisch kein Tag ohne j einen solchen Verkauf. In acht von zehn Fällen verkaufen Bauern oder die Bewässerungsbezirke ihre Rechte an Städte oder Gemeinden.62)

 

58)  Gershon Feder und Andrew Keck, Ivcreashig Competition for Land and Water Resources:A Global Perspective (Washington, DC: Weltbank, März 1995), S. 28-29; Bevölkerungsprognosen aus I UnitedNations, op.cit. Note 1; Wasserbedarf in China aus Weltbank.op.cit. NoteS: Brown un dS Haiweil, op. cit. Note 33.  
59)  Postel, op. cit. Note 33, S. 65-66.  
60)  Brown und Haiweil, op. cit. Note 33.  
61)  Shah et al, op. cit. Note 18.

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In Colorado mit seiner sehr schnell anwachsenden Bevölkerung gibt es inen der aktivsten Wassermärkte der Welt. Die in diesem Bundesstaat mit hoher Zuwanderungsrate immer weiter wachsenden Städte aller Größenordnungen kaufen den Bauern ihre Wasserrechte ab. Colorado Springs und Aurora (ein Vorort von Denver), beide im oberen Becken des Arkansas gelegen, das den südöstlichen Teil des Bundesstaates einnimmt, haben bereits die Wasserrechte für ein Drittel des Ackerlandes im Becken aufgekauft. Aurora hat die Rechte an Wasser erworben, das einst dazu benutzt wurde, 9.600 Hektar Ackerland im Tal des Arkansas zu bewässern.63)

Doch die Städte in Kalifornien tätigen noch weit größere Käufe. 2003 kaufte San Diego von Bauern im nahegelegenen Imperial Valley die Jahresrechte für 247 Millionen Tonnen Wasser auf. Das war der größte Wassertransfer zwischen Stadt und Land in der US-Geschichte, und das Abkommen gilt für die nächsten 75 Jahre. 2004 hat der Metropolitan Water District, der 18 Millionen Menschen in Südkalifornien mit Wasser versorgt, mit Farmern über den Verkauf von jährlich 137 Millionen m3 Wasser für die nächsten 35 Jahre verhandelt. Ohne das Wasser zur Bewässerung ist das fruchtbare Land dieser Bauern nur noch Ödland. Die Bauern, die ihre Wasserrechte verkaufen, würden gern weiterhin Landwirtschaft betreiben, doch die Vertreter der Städte bieten ihnen für das Wasser weitaus mehr, als sie je verdienen könnten, wenn sie es zur Bewässerung ihrer Felder nutzen würden.64

In vielen Ländern werden die Bauern jedoch für ihren Wasserverlust gar nicht entschädigt. 2004 haben chinesische Bauern am Fluss Juma südlich von Peking festgestellt, dass der Fluss plötzlich nicht mehr da war. Nahe der Hauptstadt hatte man einen Damm gebaut, um für Yanshan Petrochemical, ein staatliches Unternehmen, einen Teil des Flusswassers umzuleiten. Die Bauern protestierten heftig dagegen, doch es war ein aussichtsloser Kampf. Der Damm und der daraus resultierende Wasserverlust könnten für die 120.000 Bewohner von Dörfern flussabwärts bedeuten, dass sie nicht mehr in der Lage wären, mit der Landwirtschaft ihren Lebensunterhalt zu verdienen.65

 

62)  Gollehon und Quinby, op. cit. Note 56, $. 187—95; The WaterStrategist, verschiedene Ausgaben auf www.waterstrategist.com 
63)  Angaben zum Arkansasbecken aus Joey Bunch, "Water Projects Forecast to Fall Short ofNeeds: Study Predicts 10% Deficit in State," Denver Post, 22. Juli 2004.  
64)  Dean Murphy, "Pact in West Will Send Farms' Water to Cities," New York Times, 17. Oktober ^«03; 1 im Molloy, "California Water District Approves Plan ro Pay Farmers for Irrigation ^ter'" Aisoc'«ted Press. 13. Mai 2004 
65)  China Politics: Growing Tensions Over Scarce Water," The Economist, 21. Juni 2004.

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Die Bauern weltweit verlieren den Kampf um das Wasser: ob durch eine offene Enteignung durch den Staat, durch die Niederlage gegenüber den Städten im Wettbewerb um das Wasser oder dadurch, dass Städte einfach tiefere Brunnen bohren, als die Bauern es sich leisten können. In vielen Fällen sehen sie sich nicht nur mit sinkenden Wasserreserven konfrontiert, sondern auch noch mit dem Zusammenschrumpfen ihres Anteils an diesen sinkenden Reserven. Langsam aber sicher graben die Städte den Bauern weltweit das Wasser ab, obwohl diese versuchen, jährlich etwa 70 Millionen Menschen mehr mit Nahrung zu versorgen.66)  

 

Der Mangel überschreitet die Landesgrenzen

 

Historisch gesehen war Wassermangel immer ein lokales Problem, und es war die Aufgabe der jeweiligen Regierung, Wasserangebot und -nachfrage im Gleichgewicht zu halten. Jetzt, da die Knappheit infolge des internationalen Getreidehandels die Landesgrenzen überschreitet, ändert sich das. Da man, wie bereits erwähnt, zur Produktion von einer Tonne Getreide 1.000 Tonnen (1.000 m3) Wasser benötigt, ist der Import von Getreide der effizienteste Weg, Wasser zu importieren. Tatsächlich benutzen einige Länder Getreide, um ihre Wasserbilanzen auszugleichen. So ist im Grunde genommen der Handel mit Termingeschäften für Getreide ein Handel mit Termingeschäften für Wasser.67

Hinter China und Indien rangieren weitere Länder mit großen Wasserdefiziten — Algerien, Ägypten, der Iran, Mexiko und Pakistan. Drei von ihnen — Algerien, Ägypten und Mexiko — importieren bereits einen Großteil ihres Getreides. Gleichzeitig mit China hat auch das ' wasserarme Pakistan 2004 abrupt begonnen, auf dem Weltmarkt 1,5 Millionen Tonnen Weizen für den Import zu kaufen. Der Bedarf wird in den nächsten Jahren aller Wahrscheinlichkeit nach noch steigen.68

Der Nahe Osten und Nordafrika — von Marokko im Westen bis zum Iran im Osten — hat sich zum weltweit am schnellsten wachsenden Importmarkt für Getreide entwickelt. Die Nachfrage nach Getreide I steigt einerseits durch die schnell anwachsende Bevölkerung und durch I den wachsenden Wohlstand, der größtenteils auf den Erdölexporten basiert. Da praktisch jedes Land in dieser Region im Bezug auf die Wasserversorgung bereits an seine Grenzen stößt, kann die wachsende Wassernachfrage aus den Städten nur dadurch befriedigt werden, dass die Landwirtschaft weniger Wasser zur Bewässerung erhält.69

 

66)  Bevölkerimg aus Unired Nations. op. cit. Note 1.
67)  FAO. op. cit. Note 13. 
68)  Getreideproduktion aus USDA, op. cit. Note 5.; Jonathan Watts, "No Longer Self-Suffi cient in Food, che Country Today Has ro Buy Abroad. Raising Global Prices: Chinas Fortsetzung Farmers Cannot Feed Hungry Cities," Guardian, 26. August 2004; Peter Goodman, "A New Use for Good Earth: Chinese Farmers Pay Price in Drive to Build Golf Centers," Washington Post. 13. April 2004; Jim Yardley, "China Races to Reverse Falling Grain Ptoduction, " Netv York Times, 2. Mai 2004; Bevölkerung aus United Nations, op. cit. Note 1.

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Ägypten mit seinen etwa 74 Millionen Einwohnern ist in den letzten Jahren zu einem der größten Importeure von Weizen geworden und konkurriert inzwischen mit Japan — einst der führende Weizenimporteur — um den ersten Platz. Das Land importiert inzwischen 40 Prozent seines Gesamtbedarfs an Getreide und diese Zahl steigt stetig, da der Bedarf der weiter anwachsenden Bevölkerung durch die Getreideernte an den Wassern des Nil nicht mehr gedeckt werden kann.70

Algerien mit seinen 33 Millionen Einwohnern importiert die Hälfte seines Getreidebedarfs, was bedeutet, dass die für die Produktion des importierten Getreides eingesetzte Menge Wasser größer ist als die für alle anderen Zwecke aufgewendete Wassermenge aus heimischen Quellen. Wegen seiner starken Abhängigkeit von Importen ist Algerien besonders anfällig für Lieferunterbrechungen, wie Embargos auf Getreideexporte.71 Insgesamt entsprach die Wassermenge, die zur Produktion des Getreides und anderer im vergangenen Jahr in den Nahen Osten und Nordafrika importierter landwirtschaftlicher Produkte benötigt wurde, der jährlichen Wassermenge, die dem Nil jährlich bei Assuan entzogen wird. Im Grunde kann man sich das Wasserdefizit der Region als einen zweiten Nil vorstellen, der in Form von importiertem Getreide in die Region fließt.72

Es wird oft behauptet, in Zukunft würden die Kriege im Nahen Osten eher um Wasser als um Erdöl geführt werden, doch der Wettbewerb um das Wasser findet auf dem Weltmarkt für Getreide statt. Und in diesem Wettbewerb werden nicht notwendigerweise die militärisch stärksten Länder die besten Chancen haben, sondern die finanziell stärksten. Um zu wissen, wo der Bedarf für Getreideimporte in Zukunft am höchsten sein wird, muss man sich anschauen, wo sich heute schon Wasserdefizite entwickeln. Bisher waren es die eher kleineren Länder, die einen Großteil ihres Getreides importieren mussten. Doch jetzt sehen wir die rasant anwachsenden Wasserdefizite in China und Indien, Länder mit jeweils mehr als einer Milliarde Einwohnern.73) 

 

69)  Getreideaus USDA, Foreign Agricultural Service, Grain:WorktMarietsandTrade(Wa$h'itigton, DC: unterschiedliche Jahrgänge).
70)  Bevölkerung aus United Nations, op. cit. Note 1; Gctreideprod. aus USDA, op. cit. Note 5.
71)  Bevölkerung aus United Nations, op. cit. Note 1; Getreideprod. aus USDA, op. cit. Note 5. 
72)  Angaben zum Nil aus Postel, op. cit. Note 33, S. 77; Getreideimporte aus USDA, op. cit. Note 5; Berechnungen basieren auf Angaben, dass zur Produktion einer Tonne Getreide 1.000 tonnen Wasser benötigt werden aus FAO, op. cit. Note 13.

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Jedes Jahr wird die Kluft zwischen dem weltweiten Wasserverbrauch und den Möglichkeiten zur umweltverträglichen Deckung dieses Bedarfs immer größer. Jedes Jahr sinken die Wasserspiegel stärker als noch im Vorjahr. Sowohl die Erschöpfung von Grundwasserleitern als auch die Umleitung von Wasser in die Städte wird dazu beitragen, dass das Wasserdefizit im Bereich der Bewässerung immer größer wird und damit auch das Getreidedefizit in vielen wasserarmen Ländern.

 

Seifenblasen der Lebensmittelwirtschaft

 

Wie bereits angemerkt, ist die Überbeanspruchung der Grundwasserleiter ein Weg zur Befriedigung des wachsenden Nahrungsmittelbedarfs, bei dem nach Erschöpfung derselben ein Rückgang der Lebensmittelproduktion praktisch garantiert ist. Viele Länder schaffen momentan im Grunde eine „Seifenblasenwirtschaft im Lebensmittelbereich" — eine Wirtschaft, in der die Lebensmittelproduktion durch das ökologisch nicht mehr verträgliche Abpumpen des Grundwassers künstlich aufgeblasen wird.

Als die Bauern vor einigen Jahrzehnten begannen, im großen Maßstab Wasser zu pumpen, waren die Folgen einer Überbeanspruchung der Reserven noch nicht offensichtlich. Das Abpumpen von Grundwasser ist im Vergleich zum Abpumpen großer Mengen aus Wassersystemen an der Oberfläche so attraktiv, weil die Bauern das Wasser auf diese Weise genau dann zur Bewässerung einsetzen können, wenn sie es brauchen, wodurch die Effektivität der Wassernutzung steigt. 

Grundwasser steht auch in der Trockenzeit zur Verfügung, so dass die Bauern in Regionen mit mildem Klima zweimal ernten können. Um dies einmal anschaulicher zu machen, folgendes Beispiel: Im Punjab lag der Ertrag für Getreide, dessen Anbauflächen über Brunnen bewässert wurden, bei 5,5 Tonnen pro Hektar, während er für Getreide, dessen Anbaufläche über Kanalsysteme bewässert wurde, im Durchschnitt nur bei 3,2 Tonnen pro Hektar lag. Aus ähnlichen Daten für den südlichen Bundesstaat Andhra Pradesh ließen sich ebenfalls deutliche Vorteile der Bewässerung aus Brunnen ableiten, wobei hier die Erträge bei 5,7 Tonnen pro Hektar lagen im Vergleich zu 3,4 Tonnen Hektar für Flächen, die mit Kanalwasser bewässert wurden.74

 

73)  Bevölkerung aus United Nations, op. cit. Note 1; Getreideprod. aus USDA, op. cit. Note 5.
74)  Andrew Keller. R. Sakthivadivel und David Seckler, Water Scarcity and the Role ofStornge in Development, Forschungsbereich 39 (Colombo, Sri Lanka: International Water Management! Institute, 2000), S. 5.

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In den Vereinigten Staaten liefern unterirdische Wasserquellen 37 Prozent des Wassers für die Bewässerung, die restlichen 63 Prozent stammen aus oberirdischen Quellen. Doch drei der wichtigsten Bundesstaaten in der Getreideproduktion — Texas, Kansas und Nebraska — erhalten jeweils 70 bis 90 Prozent des Wassers zur Bewässerung aus dem Ogallala-Aquifer, im Wesentlichen ein fossiler Grundwasser­leiter mit geringer Wiederauffüllung. Die hohen Erträge bei mit Grundwasser bewässerten Flächen bedeuten, dass die Verluste in der Lebensmittelproduktion unverhältnismäßig hoch sein werden, wenn das Grundwasser aufgebraucht ist.75)

David Seckler und seine Kollegen vom International Water Management Institute, der weltweit führenden Forschungsgruppe im Bereich Wasser, hat dieses Problem sehr gut zusammengefasst: "Viele der bevölkerungsreichsten Länder der Welt — China, Indien, Pakistan, Mexiko und fast alle Länder des Nahen Ostens und Nordafrikas — sind in den vergangenen 20 oder 30 Jahren durch das Leerpumpen ihrer Grundwasserreservoire quasi <schwarz gefahren>. Die Strafe für den falschen Umgang mit dieser wertvollen Ressource wird nun fällig, und es ist nicht übertrieben zu sagen, dass die Folgen für diese Länder — und angesichts ihrer Bedeutung — für die ganze Welt katastrophal sein könnten."76)

Da sich die weltweite Getreideernte zwischen 1950 und 2000 dank der Ausweitung der Bewässerung verdrei­facht hat, ist es nicht überraschend, dass die Wasserverluste nun zu einem Absinken der Ernten führen können. Beim Wasser zur Bewässerung befinden sich viele Länder im klassischen Modus der Über­beanspruchung und des anschließenden Rückgangs. Wenn die Länder, die ihre Reserven überbeanspruchen, nicht schnellstmöglich beginnen, ihren Wasserverbrauch zu reduzieren und ihre Grund­wasser­spiegel zu stabilisieren, ist ein Rückgang der Lebensmittelproduktion letztlich fast unausweichlich.77)

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75)  Usda, op. cit. Note 2, S. 7; USDA, National Agricultural Statistics Service. Agricultural Statistics 2003 (Washington, DC: U.S. Government Printing Office, 2003). S. 1-6 - 1-42.  
76)  David Seckler, David Molden und Randolph Barker, "Water Scarcity in the Twenrv-First Century, Water Brief 1 (Colombo. Sri Lanka: International Water Management Institute, U99), S. 2; United Nations, op. cit. Note 1.  
77)  USDA, op. cit, Note 5; FAO, op. cit. Note 13.

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