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9. Die ausreichende Ernährung von 7 Milliarden Menschen 

Brown-2006

 

 

233-258

Im April 2005 haben das <World Food Program> und die chinesische Regierung gemeinsam verkündet, dass die Lebensmittellieferungen nach China nach dem Ende dieses Jahres eingestellt werden könnten. Für ein Land, in dem noch eine Generation zuvor Hunderte Millionen Menschen ständig hungern mussten, ist das eine enorme Leistung. Die Tatsache, dass es China gelungen ist, den Hunger im Land größtenteils auszurotten, steht in engem Zusammen­hang mit dem allgemeinen Rückgang der Armut infolge der Ausdehnung der chinesischen Wirtschaft um das Achtfache seit Einführung der Wirtschaftsreformen 1978 sowie infolge des Anstiegs der Getreideernten um 50 Prozent zwischen 1977 und 1986.1)

Während der Hunger in China nach und nach ausgerottet wird, nimmt er in den afrikanischen Ländern südlich der Sahara und auf dem indischen Subkontinent immer mehr zu. Infolgedessen ist die Zahl der Menschen, die weltweit Hunger leiden, zwischen 2000 und 2002 von einem historischen Tiefststand von 820 Millionen Menschen wieder auf 852 Millionen angestiegen.2)

Ein wichtiger Faktor bei der Verdreifachung der weltweiten Getreideernte seit 1950 bestand darin, dass die Entwicklungsländer die in Japan entwickelten ertragreichen Weizen- und Reisarten und den Hybridmais aus den Vereinigten Staaten so schnell angenommen haben. Zusammen mit einer Verdreifachung der bewässerten Flächen und einer neunfachen Steigerung des weltweiten Düngemittelverbrauchs hat die Verbreitung dieser höchst produktiven Arten dazu beigetragen, dass die weltweite Getreideernte verdreifacht werden konnte. Mit Hilfe der zunehmenden Bewässerung und Verwendung von Düngemitteln konnten dem Boden Feuchtigkeit entzogen und Einschränkungen bei der Nährstoffversorgung der Nutzpflanzen aufgehoben werden.3) 

1)  "Last Food Shipment Signals End of 25-Year WFP Aid to China," Asian Economic News, 8. April 2005; U.S. Department of Agriculture (USDA), Production, Supply, & Distribution, elektronische Datenbank, auf www.fas.usda.gov/psd, Update 13. Juli 2005.
2)  U.N. Food and Agriculture Organization (FAO), The State of Food Insecurity in tbe World 2004 (Rom: 2004), S. 6.  
3)  Thomas R. Sinclair, "Limits to Crop Yield," Abhandlung vorgestellt auf National Academy Colloquium 1999, Plauts and Populations: Is There Time? Irvine, CA, 5.-6. Dezember 1998; FAO, FAOSTAT Statistia Databme, auf apps.fao.org, mit Datenupdate zu Düngemittelverbrauch 4. April 2005


Doch wegen der prognostizierten Bevölkerungszunahme von 70 Millionen Menschen jährlich, wegen des zunehmenden Wunsches von gut fünf Milliarden Menschen nach mehr tierischen Produkten und wegen der Millionen von Autofahrern, die sich möglicherweise auf der Suche nach Ersatz für die immer knapper werdenden Benzin- und Dieselbestände den aus landwirtschaftlichen Produkten hergestellten Brennstoffen zuwenden, sehen sich die Bauern weltweit jetzt mit einem enormen zusätzlichen Bedarf an Lebensmitteln konfrontiert. 

Was die Ressourcen angeht, so haben die Bauern hier mehrere Probleme: Es steht ihnen immer weniger Wasser zur Bewässerung zu Verfügung, sie haben mit steigenden Temperaturen zu kämpfen, es wird immer mehr bisher landwirtschaftlich genutztes Land für nicht-landwirtschaftliche Zwecke bereitgestellt, die Treibstofifpreise steigen und es gibt immer weniger Technologien zur Steigerung des Ertragsüberhangs. Für diejenigen, die Herausforderungen mögen, ist es eine gute Zeit, um Bauer oder Agrarökonom zu sein.4)

 

Neue Denkansätze bei der Erhöhung der Landproduktivität  

 

Bemühungen zur Erhöhung der Produktivität der Kulturflächen werden dadurch verlangsamt, dass immer weniger Überhang durch landwirtschaftliche Technologien entsteht. Und der Schwung bei den Bemühungen zur Erhöhung der Produktivität der Kulturflächen nimmt weltweit ab. Zwischen 1950 und 1990 stieg die Getreideausbeute pro Hektar weltweit um 2,1 Prozent pro Jahr an, doch zwischen 1990 und 2000 waren es jährlich nur noch 1,2 Prozent. Dies ist teilweise darauf zurückzuführen, dass zusätzlich ausgebrachter Dünger inzwischen die Erträge nicht mehr so stark steigen lässt wie es einst der Fall war, aber auch darauf, dass die Vorräte an Wasser zur Bewässerung begrenzt sind. Und es ist möglich, dass die Produktivität des Landes im laufenden Jahrzehnt noch langsamer ansteigt.5) 

Das bedeutet, dass man neue Ansätze zur Steigerung der Produktivität des Bodens finden muss. Eine sehr einfache Möglichkeit dazu bestünde darin, dort, wo die Bodenfeuchte es zulässt, die Flächen, die zur Mehrfachbebauung geeignet sind, auf denen also mehr als eine Kultur pro Jahr angebaut wird, auszudehnen. 

4)  Vereinte Nationen, World Population Prospects: The 2004 Revision (New York: 2005). 
5)  USDA, op. cit. Note 1.

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In Nordamerika und Europa, wo man in der Vergangenheit die bebauten Flächen begrenzt hatte, um so den erwirtschafteten Überschuss zu kontrollieren, gibt es noch ein gewisses, bisher noch nicht voll ausgenutztes Potential zur Mehrfachbebauung oder Wechselfruchtfolge. Tatsächlich ist die Verdreifachung der weltweiten Getreideernte seit 1950 teilweise auf die beeindruckenden Zuwächse bei der Mehrfachbebauung in Asien zurückzuführen. Im Norden Chinas wurden häufig Weizen und Mais kombiniert, im Norden Indiens Weizen und Reis und im Süden Chinas, im Süden Indiens und in fast allen Reisanbauländern in Südostasien wurde pro Jahr zwei bis dreimal in Folge Reis angebaut.6)

Der Anbau von Winterweizen und Mais in Wechselfruchtfolge in der Nordchinesischen Ebene trug dazu bei, dass Chinas Getreideernte vor etwa 20 Jahren auf das Niveau der USA anstieg. Die Erträge für Winterweizen liegen in China bei fast vier Tonnen pro Hektar, bei Mais sind es im Durchschnitt fünf Tonnen. In Wechselfruchtfolge angebaut können diese beiden Getreidekulturen zusammen jährliche Erträge von neun Tonnen pro Hektar erzielen. Bei Flächen in China, auf denen pro Jahr mehrere Reisernten eingeholt werden, liegen die Erträge bei acht Tonnen pro Hektar.7

Vor vierzig Jahren wurde im Norden Indiens ausschließlich Weizen angebaut, doch mit dem Aufkommen der früher reifenden, höchst ertragreichen Weizen- und Reissorten war der Weizen rechtzeitig reif, dass danach noch Reis angebaut werden konnte. Inzwischen ist diese Weizen-Reis-Fruchtfolge in Punjab, Haryana und Teilen von Uttar Pradesh weit verbreitet. Zusammen ergeben der Ertrag von drei Tonnen pro Hektar bei Weizen und zwei Tonnen bei Reis einen Gesamtertrag von fünf Tonnen Getreide pro Hektar, mit denen die 1,1 Milliarden Menschen in Indien ernährt werden können.8

Die Fläche, die zur Wechselfruchtfolge geeignet ist, ist durch die Vorräte an Wasser zur Bewässerung begrenzt und in einigen Gegenden auch dadurch, dass es nicht genügend Arbeitskräfte gibt, um die Ernten schnell genug einzubringen und die nächste Kultur anzupflanzen. Die Tatsache, dass infolge der Industrialisierung immer weniger billige Arbeitskräfte für die Landwirtschaft zur Verfügung stehen, könnte dazu führen, dass der Anbau in Wechsel­fruchtfolge stark abnimmt und damit auch die Ernteflächen. 

6)  Ebenda.
7)   John Wade, Adam Branson und Xiang Qing, China Gram and Feed Annunl Report 2002 (Peking: USDA, 2002); USDA. op. cit. Note 1. 
8)  Erträge bei Doppelanbau aus USDA, India Grain and Feed Annuai Report 2003 (New Delhi: 2003): Bevölkerungszahlen aus Vereinte Nationen, op. cit. Note 4; USDA, op. cit. Note 1.

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In Japan beispielsweise hat die Fläche, auf der Getreide geerntet wurde, im Jahr 1960 mit fast 5 Millionen Hektar ihren Höchststand erreicht, was größtenteils darauf zurückzuführen war, dass die Industriebauern dort zwei Ernten im Jahr einfuhren. Im Jahr 2005 war diese Zahl auf zwei Millionen Hektar gesunken, und das nicht nur, weil ein Teil der Kulturflächen in landwirtschaftlich nicht genutzte Flächen umgewandelt worden war, sondern hauptsächlich, weil die Landwirtschaft infolge der höheren Löhne in der Industrie über Jahrzehnte hinweg Arbeitskräfte eingebüßt hatte, was zu einem stetigen Rückgang des Anbaus in Wechselfruchtfolge führte. Die zur intensiven Bearbeitung kleiner Landstücke benötigten billigen Arbeitskräfte waren einfach nicht mehr vorhanden. Selbst ein Stützpreis für Reis, der viermal höher lag als der Weltmarktpreis, konnte der Landwirtschaft nicht genügend Arbeitskräfte zur Erhaltung der großflächigen Mehrfachbebauung sichern.9

In Südkorea war es ganz ähnlich, hier ist die Fläche, auf der Getreide geerntet wird, seit der Erreichung des Höchststandes im Jahr 1965 um die Hälfte gesunken, wobei der Hauptgrund auch hier im Rückgang des Anbaus in Wechselfruchtfolge bestand. Die beernteten Flächen in Taiwan sind seit 1975 um fast zwei Drittel zurückgegangen. Und mit dem Fortschreiten der Industrialisierung in China und Indien könnte es in den wohlhabenderen Regionen dieser Länder ebenfalls zu einem Rückgang der Mehrfachbebauung kommen. In China, wo sich die Einkommen seit 1980 vervierfacht haben, scheint dieser Prozess bereits zu einem Absinken der Produktion zu führen.10

In den Vereinigten Staaten hat die Aufhebung der Einschränkungen für die Bewirtschaftung von bestimmten Flächen im Jahr 1996 neue Möglichkeiten für den Anbau in Wechselfruchtfolge eröffnet. Die häufigste Kombination dabei ist die aus Winterweizen und Sojabohnen. Sechs Prozent der Gesamtproduktion an Sojabohnen stammt von Flächen, auf denen auch Winterweizen angebaut wird. Da Sojabohnen Stickstoff im Boden binden, führt diese Kombination dazu, dass die Weizenbauern weniger Düngemittel einsetzen müssen.11

 

9)  Getreideanbauflächen aus USDA, op. cit. Note 1; USDA, Japan Grabt and Feed Annual Report 2003 (Tokio: 2003).
10)  USDA, op. cit. Note 1.
11)  Richard Magleby, "Soii Management and Conservation," in USDA, Agricultural Resources andEnvironmentalbidicators 2003 (Washington, DC: Februar 2003). Kapitel 4.2, S. l't.

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In den USA könnten gut abgestimmte Bemühungen zur Anpflanzung früh reifender Sorten einerseits und zur Entwicklung von Kultivierungsmethoden, die den Anbau in Wechselfruchtfolge fördern würden, andererseits zu einer Erhöhung der Ernteerträge führen. Wenn es möglich ist, dass die chinesischen Bauern auf ausgedehnten Flächen Weizen und Mais in Wechselfruchtfolge anbauen, dann sollte dies in Amerika, das sich auf einem ähnlichen Breitengrad befindet und ähnliche klimatische Bedingungen aufweist, auch möglich sein — wenn die landwirtschaftliche Forschung und die Landwirtschaftspolitik so angepasst werden, dass sie dies unterstützen.

Auch Westeuropa mit seinen milden Wintern und dem ertragreichen Winterweizen könnte mit Hilfe von Sommergetreide wie Mais oder mit Ölpflanzen seine in Wechselfruchtfolge bebauten Flächen ausdehnen. Brasilien und Argentinien zum Beispiel verfügen über eine lange frostfreie Vegetationszeit, durch die eine ausgedehnte Mehrfachbebauung erleichtert wird, bei der meist Weizen oder Mais mit Sojabohnen kombiniert wird. Auch die Verfügbarkeit von Düngemitteln erleichtert den Anbau in Wechselfruchtfolge.12

In vielen Ländern, darunter die Vereinigten Staaten, die meisten Länder Westeuropas und Japan, hat der Düngemittelverbrauch ein Niveau erreicht, bei dem ein verstärkter Einsatz praktisch keinen Einfluss mehr auf die Erträge hätte. Doch es gibt nach wie vor Gegenden, zum Beispiel in großen Teilen Afrikas, in denen ein verstärkter Einsatz von Düngemitteln zu einer Steigerung der Erträge führen würde. Leider mangelt es in den Ländern südlich der Sahara an der Infrastruktur, um die Düngemittel wirtschaftlich in die Dörfer zu transportieren, wo sie gebraucht werden. Infolge des sinkenden Nährstoffgehalts der Böden sinken in vielen Ländern südlich der Sahara auch die Erträge.13

Eine ermutigende Antwort auf die Situation in Afrika ist der gleichzeitige Anbau von Getreide und Bäumen, die Hülsenfrüchte tragen. Anfangs wachsen die Bäume nur langsam und ermöglichen es so, dass das Getreide reift und geerntet werden kann. Später wachsen sie sehr schnell auf eine Größe von etwa einem Meter heran und werfen Blätter ab, die dem Boden Stickstoff und organisches Material zuführen — beides Dinge, die der afrikanische Boden dringend braucht. Dann wird das Holz geschlagen und als Brennholz benutzt.

Diese einfache lokal angewendete Methode, die von Wissenschaftlern im International Centre for Research in Agroforestry in Nairobi entwickelt wurde, ermöglicht es den Bauern, innerhalb weniger Jahre und unter Erhöhung der Fruchtbarkeit der Böden ihre Getreideernten zu verdoppeln.14

 

12)  USDA, op. cit. Note 1; Randall D. Schnepf et al, Agrictäture in Brazil and Argentina (Washington, DC: USDA Economic Research Service (ERS), 2001), S. 8-10. 
13)  FAO, op. cit. Note 3; USDA, op. cit. Note 1.

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Trotz der lokalen Erfolge ist nicht zu übersehen, dass die Ausdehnung der Lebensmittelproduktion insgesamt an Schwungkraft verliert. So werden wir gezwungen sein, darüber nachzudenken, einerseits die wachsende Nachfrage nach Lebensmitteln einzudämmen und andererseits die vorhandenen Ernten besser zu nutzen. Was die Nachfrage angeht, so hängt die Schaffung eines möglichen Ausgleichs zwischen den vorhandenen Lebensmitteln und der Anzahl der Menschen weltweit davon ab, die Bevölkerungszahlen so schnell wie möglich zu stabilisieren, den ungesund hohen Verbrauch an tierischen Produkten in den Industrieländern zu senken und die Umwandlung von Lebensmittelrohstoffen in Autokraftstoffe zu beschränken. Außerdem müssen wir uns stärker mit der Landproduktivität auseinandersetzen und dabei nicht nur die Monokulturen in unsere Modelle mit einbeziehen, sondern auch eine mögliche Ausdehnung des Anbaus in Wechselfruchtfolge in Betracht ziehen, sowie über Möglichkeiten nachdenken, wie wir die vorhandenen Ernteerträge besser nutzen können.

 

Die Erhöhung der Wasserproduktivität   

Da 1.000 Tonnen Wasser benötigt werden, um eine Tonne Getreide zu produzieren, ist es nicht überraschend, dass 70 Prozent des weltweiten Wasserverbrauchs auf die Bewässerung entfallen, woraus sich auch die zentrale Rolle der Hebung der Wassereffizienz bei der Bewässerung innerhalb der allgemeinen Erhöhung der Wasserproduktivität ergibt. Trotz der begrenzten Wasservorräte könnten die bewässerten Flächen ausgedehnt werden, wenn die Bauern effizientere Bewässerungstechnologien verwenden und verstärkt Nutzpflanzen anbauen würden, die weniger Wasser benötigen, und durch eine Streichung der Subventionen für Wasser und Energie, die heute geradezu zu einem verschwenderischen Umgang mit Wasser ermutigen, würde der Wasserpreis wieder auf den tatsächlichen Marktpreis ansteigen. Höhere Wasserpreise wiederum fuhren dazu, dass alle Verbraucher von Wasser versuchen, ihr Wasser effizienter zu nutzen. Im Hinblick auf die Institutionalisierung hat sich gezeigt, dass lokale ländliche Interessenverbände der Wasserverbraucher, in denen jene, die das Wasser tatsächlich verbrauchen, direkt an der Verwaltung der Wasservorräte beteiligt sind, in vielen Ländern zu einer Erhöhung der Wasserproduktivität geführt haben.15

 

14)  Pedro Sanchei, "The Climate Change-Soil Fertility-Food Security Nexus," Kurzdarstellung, (Bonn: International Food Policy Research Institute, 4. September 2001),

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Jetzt muss die Welt eine Initiative zur Erhöhung der Wassereffizienz starten, ähnlich der, infolge derer in der letzten Hälfte des 20. Jahrhunderts die Produktivität der Getreideanbauflächen fast verdreifacht werden konnte. Die Bodenproduktivität wird üblicherweise in Tonnen Getreide pro Hektar oder Scheffel pro Acre angegeben. Ein vergleichbares Maß für die Wasserproduktivität wäre die Menge an Getreide, die mit einer Tonne Wasser produziert werden können, in Kilogramm. Weltweit liegt der Durchschnitt hierbei momentan bei etwa einen Kilogramm Getreide pro Tonne Wasser.16

Auf internationaler Ebene sind im Zusammenhang mit Oberflächenwasserprojekten — also Dämmen, durch die die Bauern über ein Kanalnetz mit Wasser versorgt werden — einige Daten zur Wassereffizienz bei der Bewässerung zusammengetragen worden. Bewässerte Pflanzen können nie 100 Prozent des Wassers nutzen, weil ein Teil davon an der Oberfläche verdunstet, ein Teil versickert und ein Teil einfach abfließt.17)

Sandra Postel und Amy Vickers, beide Analystinnen für Wasserpolitik, haben herausgefunden, dass "die Effizienz bei der Bewässerung mit Oberflächenwasser in Indien, Mexiko, Pakistan, auf den Philippinen und in Thailand zwischen 25 und 40 Prozent schwankt, in Malaysia und Marokko zwischen 40 und 45 Prozent und in Israel, Japan und Taiwan zwischen 50 und 60 Prozent." Die Wassereffizienz bei der Bewässerung hängt nicht nur von der Art und dem Zustand des Bewässerungssystems ab, sondern auch von der Bodenart, den herrschenden Temperaturen und der allgemeinen Feuchtigkeit. In ariden Gebieten mit hohen Temperaturen verdunstet weitaus mehr des zur Bewässerung gedachten Wassers als in feuchteren Gebieten mit niedrigen Temperaturen.18

Bei einem Treffen im Mai 2004 erklärte mir der für die Wasserreserven zuständige chinesische Minister Wang Shucheng die Pläne zur Steigerung der Effizienz bei der Bewässerung in China von 43 Prozent im Jahr 2000 auf 51 Prozent 2010 und bis 2030 sogar auf 55 Prozent etwas genauer. 

 

15)  Wasserbedarf zur Getreideproduktion aus FAO, Yield Response to Water (Rom: 1979); Wasserverbrauch aus I.A. Shiklomanov, "Assessment of Water Resources and Water Availabilky in the World," Report for the Comprehensive Assessment of tbe Fresbwater Resourees ofthe World (St. Petersburg, Russland: Staatliches Hydrologisches Institut, 1998), zitiert in Peter H. Gleick, The WorUs Water 2000-2001 (Washington, DC: Island Press, 2000), S. 53. 
16)  Wasserbedarf zur Getreideproduktion aus FAO, op. cit. Note 15.
17)  Sandra Postel und Amy Vickers, "Boostitig Water Productivity," in Worldwatch Institute, State ofthe World2004 (NewYork: W.W. Norton & Company, 2004), S. 51-52. 
18)  Ebenda.

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Zu den von ihm beschriebenen Maßnahmen gehören die Anhebung des Wasserpreises, die Schaffung von wirtschaftlichen Anreizen für den Einsatz effizienterer Technologien und die Entwicklung lokaler Institutionen zur Lenkung dieses Prozesses. Er ist der Ansicht, dass Chinas Lebensmittelversorgung für die Zukunft gesichert wäre, wenn diese Ziele erreicht würden.19)

Die Erhöhung der Wassereffizienz bei der Bewässerung bedeutet normalerweise einen Übergang von den weniger effizienten Flutungs- und Furchensystemen zu Sprenkleranlagen oder zur Berieselung, die im Hinblick auf die Effizienz bei der Bewässerung am günstigsten ist. Durch den Übergang zu Sprenkleranlagen mit geringem Druck kann der Wasserverbrauch um geschätzte 30 Prozent gesenkt werden, während der Übergang zur Berieselung den Wasserverbrauch in der Regel um die Hälfte sinken lässt.20

Als Alternative zur Furchenbewässerung führt die Berieselung auch deshalb zu höheren Erträgen, weil sie eine stetige Wasserversorgung ermöglicht, bei der nur minimale Wassermengen verdunsten. Da Berieselungs­anlagen nicht nur eine hohe Wassereffizienz bieten, sondern auch der Arbeitsaufwand sehr hoch ist, eignen sie sich besonders gut für Länder mit hoher Arbeitslosenquote und geringen Wasservorkommen, da sie es den Bauern ermöglichen, die Wasserproduktivität zu erhöhen, indem sie auf Arbeitskräfte zurückgreifen, die in ländlichen Gegenden oft im Überfluss vorhanden sind.21

Einige kleinere Länder — wie Zypern, Israel und Jordanien — bauen sehr stark auf die Berieselung. Was die drei großen Produzenten landwirtschaftlicher Produkte angeht, so findet diese wassereffiziente Technologie auf weniger als einem Prozent der bewässerten Flächen in Indien und China und auf etwa vier Prozent der bewässerten Flächen in den Vereinigten Staaten Anwendung.22)

In den letzten Jahren sind kleinste Berieselungssysteme — im Grunde ein Wasserbehälter mit flexiblen Plastikschläuchen — entwickelt worden, mit denen ein kleiner Gemüsegarten mit etwa 100 Pflanzen (und einer Fläche von etwa 25 Quadratmetern) bewässert werden kann. Mit etwas größeren Systemen mit Tonnen als Behälter lassen sich bereits 125 Quadratmeter bewässern. In beiden Fällen sind die Behälter leicht erhöht angebracht, so dass das Wasser durch die Anziehungskraft verteilt wird.

 

19)  Wang Shucheng, privates Treffen mit dem Autor, Peking, Mai 2004.
20)  FAO, Crops and Drops (Rom: 2002), S. 17; Alain Vidal, Aline Comeau und Herve Piusqueliec, C/tse Studies on Water Cojiservation in the Aiedherravean Region (Rom: FAO, 2001). S. vü.
21 - FAO, op. cit. Note 20; Vidal, Comeau und Piusqueliec, op. cit. Note 20.
22 - Postel und Vickers, op. cit. Note 17, S. 53.

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Auch größere Berieselungssysteme mit leicht beweglichen Plastikschläuchen werden immer beliebter. Diese einfachen Systeme haben sich innerhalb eines Jahres amortisiert. Dadurch, dass mit ihrer Hilfe gleichzeitig die Wasserkosten gesenkt und die Erträge gesteigert werden können, können sie auch dazu beitragen, die Einkommen von Bauern mit nur kleinen Bearbeitungsflächen drastisch zu steigern.23

Sandra Postel ist der Ansicht, dass die Kombination dieser Berieselungstechnologien auf verschiedenen Ebenen das Potential zur profitablen Bewässerung von zehn Millionen Hektar Anbauflächen in Indien, und damit fast einem Zehntel der Gesamtanbauflächen in Indien, birgt. Ein ähnliches Potential sieht sie für China, wo derzeit die durch Berieselung bewässerten Flächen ausgedehnt werden, um die knappen Wasservorräte zu schonen.24

Institutionelle Veränderungen — besonders die Übergabe der Verantwortung für die Verwaltung der Bewässerungssysteme von Regierungsbehörden an lokale Interessenverbände der Wasserverbraucher — könnten eine effizientere Wassernutzung fördern. In vielen Ländern organisieren sich die Bauern in lokalen Verbänden, um so diese Verantwortung übernehmen zu können. Da die Menschen vor Ort ein wirtschaftliches Interesse an einer effizienten Verwaltung des Wassers haben, ist die Aufgabe bei ihnen oft in besseren Händen als bei einer weit entfernten Regierungsbehörde.25

Führend in dieser Hinsicht ist Mexiko. Im Jahr 2002 wurden mehr als 80 Prozent der öffentlich bewässerten Flächen Mexikos von Bauernverbänden verwaltet. Für die Regierung hat dies den Vorteil, dass die Kosten für die Erhaltung des Bewässerungssystems vor Ort aufgebracht werden, so dass der Staatshaushalt entlastet wird. Und obwohl die Verbände häufig höhere Kosten für Wasser zur Bewässerung erheben, überwiegen für die Bauern im Vergleich zu diesen zusätzlichen Ausgaben die Zugewinne in der Produktion durch die Eigenverwaltung ihrer Wasservorräte.26

In Tunesien, wo Interessenverbände von Wasserverbrauchern sowohl das Wasser für die Haushalte als auch für die Bewässerung verwalten, ist die Zahl dieser Verbände zwischen 1987 und 1999 von 340 auf 2.575 gestiegen. Und auch in vielen anderen Ländern verwalten derartige verbände inzwischen die Wasserressourcen des Landes. 

 

23)  Sandra Postel et al., "Drip Irrigation fbr Smatl Farmers: A New Initiative to Alleviate Hunger and Poverty," Water International, März 2001, S. 3-13. 24 - 
24)  Ebenda. 
25)  Weitere Infromationen zu Verbänden von Wasserverbrauchern siehe R. Maria Saleth und Arial Dinar, Water Challenge and Imtitutional Response: A Cross-Country Perspective (Washington, DC: Weltbank, 1999), S. 26.

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Während die ersten derartigen Gruppierungen gegründet wurden, um die großen öffentlich finanzierten Bewässerungssysteme zu verwalten, haben neuere Verbände es sich auch zur Aufgabe gemacht, vor Ort die Menge an Grundwasser zur Bewässerung zu verwalten. Sie übernehmen die Verantwortung für die Stabilisierung der Wasserspiegel und haben es sich zum Ziel gesetzt, eine vollständige Erschöpfung der Grundwasserleiter und die damit verbundenen wirtschaftlichen Probleme für die Gesellschaft zu verhindern.27

Häufig sind niedrige Wasserpreise der Grund für eine geringe Wasserproduktivität. In den meisten Ländern stammen die Preise noch aus einer Zeit, als Wasser noch eine reichlich vorhandene Ressource war, und sind deshalb unnatürlich niedrig. Da die Wasservorräte immer mehr abnehmen, müssen die Preise entsprechend angepasst werden. Die Provinzregierungen im Norden Chinas erhöhen die Wasserpreise in kleinen Schritten, um so die Wasserverschwendung einzudämmen. Da höhere Wasserpreise alle Wasserverbraucher betreffen, werden so Investitionen in Bewässerungssysteme, industrielle Prozesse und Haushaltsgeräte gefördert, die weniger Wasser verbrauchen.28

Jetzt braucht es ein neues Denken, eine ganz neue Einstellung, im Hinblick auf den Wasserverbrauch. Wenn zum Beispiel dort, wo es möglich ist, Nutzpflanzen angebaut werden, die weniger Wasser benötigen, so würde dies auch zu einer Erhöhung der Wasserproduktivität beitragen. Rund um Peking wird inzwischen kaum noch Reis angebaut, weil Reis einfach zu viel Wasser benötigt und in Ägypten wurde der Anbau von Reis zugunsten des Weizenanbaus eingeschränkt.29

Jede Maßnahme zur Steigerung der Erträge auf bewässerten Flächen führt immer auch zu einer Steigerung der Produktivität des zur Bewässerung genutzten Wassers — ebenso wie alles, was die Effizienz bei der Umwandlung von Getreide in tierische Proteine steigert, im Grunde auch zu einer Steigerung der Wasserproduktivität führt.

Wenn die Menschen, die derzeit ohnehin eine ungesunde Menge tierischer Produkte zu sich nehmen, sich bei ihrer Ernährung auf der Nahrungskette abwärts orientieren würden, so würden sie sich nicht nur gesünder ernähren und zu einer Senkung der Kosten für die Gesundheitsfürsorge beitragen, sondern auch zu einer Senkung des Wasserverbrauchs.

 

26)  Saleth und Dinar, op. dt. Note 25, S, 6.
27)  Weltbank und Direktion für Entwicklung und Zusammenarbeit der Schweiz, Zusammenfassender Bericht, Middle East and North Africa Regional Water Initiative Workshop on Sustainable Groundwater Management, Sana'a, Yemen, 25-28. Juni 2000, S. 19.
28)  Peter Wonacott, "Tb Save Water, China Lifts Price," Wall Street Journal, 14. Juni 2004.
29)  USDA, op. ca.. Note 1.

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In den Vereinigten Staaten, wo der jährliche Verbrauch an Getreide für Lebensmittel oder als Futter im Durchschnitt bei 800 Kilogramm (vier Fünftel einer Tonne) pro Person liegt, könnte bereits eine geringfügige Senkung des Verbrauchs an Fleisch, Milch und Eiern zu einer Senkung des Pro-Kopf-Verbrauchs an Getreide um 100 Kilogramm führen. Wenn man bedenkt, dass es derzeit 300 Millionen Amerikaner gibt, würde dies dazu führen, dass der Gesamtverbrauch an Getreide um 30 Millionen Tonnen und der Verbrauch an Wasser zur Bewässerung um 30 Milliarden Tonnen sinken würde.30

Um den Wasserverbrauch weltweit auf ein Maß zu senken, das von den Grundwasserleitern und den Flüssen getragen werden kann, bedarf es einer ganzen Reihe von Maßnahmen, nicht nur in der Landwirtschaft, sondern in der gesamten Wirtschaft. Zu den offensichtlichsten Maßnahmen gehören neben der Einführung effizienterer Bewässerungstechnologien und dem Anbau von weniger wasserbedürftigen Nutzpflanzen auch die Einführung von weniger wasserintensiven Industrieprozessen und Haushaltsgeräten. Ein etwas unkonventionellerer Schritt — und einer, der wegen der Klimaveränderungen ohnehin längst überfällig ist — ist der Übergang von den überholten Kohlekraftwerken, bei denen riesige Mengen Wasser zur Kühlung benötigt werden, zu Windkraftwerken. In Ländern, die vor dem Problem einer akuten Wasserknappheit stehen, wäre die Wiederaufbereitung des in den Städten verbrauchten Wassers ein weiterer Schritt, den zu überdenken sich lohnt.

 

Eine effizientere Proteinproduktion  

Ein weiterer Weg zur Erhöhung sowohl der Wasser- als auch der Bodenproduktivität bestünde in einer effizienteren Produktion tierischer Eiweiße. Da derzeit fast 38 Prozent (etwa 730 Millionen Tonnen) der weltweiten Getreideernte zur Produktion tierischer Eiweiße verwendet werden, ist das Potential für eine effizientere Verwendung des Getreides in diesem Bereich sehr groß.31

Der weltweite Fleischverbrauch ist zwischen 1950 und 2005 von 47 Millionen Tonnen auf 260 Millionen Tonnen pro Jahr angestiegen, wobei sich der Pro-Kopf-Verbrauch mit einem Anstieg von 17 Kilogramm auf 40 Kilogramm mehr als verdoppelt hat. 

 

30)  Bevölkerungszahlen aus Vereinte Nationen, op. cit. Note 4; Getreideverbrauch aus USDA, op. cit. Note 1; Wasserberechnungen basieren auf Angaben aus FAO, op. cit. Note 15, dass zur Produktion eine Tonne Getreide 1.000 Tonnen Wasser benötigt werden.
31)  USDA, op. cit. Note 1.

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Auch der Verbrauch von Milch und Eiern ist gestiegen. In jeder Gesellschaft, in der die Einkommen gestiegen sind, ist auch der Fleischverbrauch gestiegen, was vermutlich einen Geschmack widerspiegelt, der sich über vier Millionen Jahre des Jagens und Sammelns herausgebildet hat.32) 

Da sowohl der Hochseefischfang als auch die Rindfleischproduktion auf den Weideflächen zurückgegangen ist, ist man zur Erhöhung der Produktionsmenge tierischer Eiweiße zu Methoden übergegangen, bei denen tierische Eiweiße auf Getreidebasis produziert werden. Und da die Nachfrage nach tierischen Eiweißen steigt, verschiebt sich das Verhältnis bei den Kombinationen verschiedener proteinhaltiger Produkte zugunsten der Produkte, die am effizientesten bei der Umwandlung von Getreide in Eiweiße sind — und auch noch weniger kosten. Auch gesundheitliche Fragen haben eine Rolle beim Wechsel von Rind- und Schweinefleisch zu Geflügel und Fisch gespielt.

Der Grad der Umwandlung von Getreide in Eiweiße schwankt bei den verschiedenen Tieren sehr stark. Rinder in Massenhaltung brauchen etwa sieben Kilogramm Getreide, um ein Kilogramm an Lebendmasse auszubilden. Bei Schweinen liegt der Wert bei etwa vier Kilogramm Getreide pro Kilogramm Gewichtszunahme, bei Geflügel sind es nur zwei Kilogramm und bei pflanzenfressenden Fischarten in Fischfarmen (wie Karpfen, Buntbarschen und Welsen) sind es weniger als zwei Kilogramm. Wenn der Markt die Verlagerung der Produktion hin zu den Produkten fördert, bei denen Getreide effizienter umgesetzt wird, so steigt damit auch die Wasser- und Bodenproduktivität.33) 

Die weltweite Rindfleischproduktion, bei der der größte Teil von offenen Weideflächen kommt, ist zwischen 1990 und 2005 um weniger als einen Prozent pro Jahr angestiegen und auch die Anzahl der industriellen Mastanlagen ist nur minimal gestiegen — die Produktion von Schweinefleisch dagegen um 2,5 Prozent jährlich, die von Geflügel sogar um fast fünf Prozent. Durch den rapiden Anstieg der Geflügelproduktion, die zwischen 1990 und 2005 von 41 Tonnen auf 80 Millionen Tonnen angewachsen ist, hat Geflügel Rindfleisch im Jahr 1995 in der Produktionsmenge überholt und liegt jetzt an zweiter Stelle hinter Schweinefleisch.

 

32)  FAO, op. cit. Note 3, Update zu Angaben übet Viehbestände 14. Juli 2005; Schätzungen zur Produktion im Jahr 2005 aus FAO, Global Information and Eaiiy Warning System on Food andAgriatlture (GIEWS), Food Outlook, Nr. I (Rom: April 2005).  
33)  Verhältnis Umwandlung Futter in Lebendgewicht bei Geflügel abgeleitet aus Angaben in Robert V. Bishop et al., The World Poultry Market - Government Intervention and Multilateral Policy Reform (Washington, DG USDA, 1990); Verhältnis Umwandlung Futter in Lebendgewicht bei Rindern basierend auf Allen Baker, Feed Situation and Outlook staft". ERS, USDA. Gespräch mit dem Autor, 27. April 1992; Angaben zu Schweinefleisch aus Leland Southard, Livestock and Poultry Situation and Outlook staft. ERS, USDA, Gespräch mit dem Autor, 27. April 1992; Angaben zu Fisch aus Rosamond L. Naylor et al., "Effect of Aquaculture on World Fish Supplies," Namre, Vol. 405 (29. Jim' 2000), S. 1,017-24.

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Abbildung 9-1.

 

Die weltweite Schweinefleischproduktion, von der die Hälfte in China entsteht, hat 1979 die Rindfleisch­produktion überholt und der Vorsprung ist seither stetig angewachsen. Die weltweite Rindfleischproduktion, die sowohl durch die nur begrenzt vorhandenen Weideflächen und die wenig effiziente Umwandlung von Getreide in Eiweiße bei Rindern in Mastanlagen eingeschränkt wird, nimmt weiter zu, doch sehr langsam. Tatsächlich könnte sie sogar innerhalb der nächsten zehn Jahre durch die Produktion der schnell wachsenden Aquakulturen, die sehr effizient bei der Umwandlung von Getreide in Eiweiße sind, überholt werden.34)

Der große Gewinner in diesem Proteinwettbewerb sind die Aquakulturen, und das hauptsächlich aus dem Grund, dass pflanzenfressende Fische ihre Nahrung so effektiv in Eiweiße umwandeln. Die Produkten in Aquakulturen ist zwischen 1990 und 2003 von 13 Millionen Tonnen auf 42 Millionen Tonnen gestiegen, was einen Anstieg von mehr als zehn Prozent pro Jahr bedeutet. 

 

34)  Abbildung 9-1: FAO, op. cit. Note 3, Update zu Angaben über Viehbestände 14. Juli 2005; FAO. GIEWS, op. cit. Note 32; Angaben zu Fisch aus FAO, FISHSTAT Plus. elektronische Datenbank, aufwww.fao.org/fi/statist/FISOFT/ FISHPLUS.asp, Update März 2005.
35)  FAO, op. cit. Note 34.

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Auf China, den führenden Produzenten in diesem Bereich, entfallen erstaunliche zwei Drittel der weltweiten Produktion. Den Großteil der Produktion in Aquakulturen in China machen Flossenfische (hauptsächlich Karpfen) aus, die im Inland in Süßwasserteichen, Seen, Reservoiren und in Reisfeldern gezüchtet werden, aber auch Schalentiere (vor allem Austern und Muscheln), die hauptsächlich aus den Küstengebieten kommen.35

In China wird die Aufzucht in Aquakulturen oft mit der Landwirtschaft verbunden, so dass die Bauern die Abfälle der Landwirtschaft, wie Schweinemist oder Entendung, zur Düngung der Teiche nutzen können, wodurch das Wachstum des Planktons angeregt wird, von dem sich die Fische ernähren. Sowohl in Indien als auch in China wird häufig mit Fischpolykulturen gearbeitet, da diese im Allgemeinen dazu beitragen, dass die Produktivität der Teiche im Vergleich zu Monokulturen um mindestens die Hälfte steigt.36

Da sowohl der Boden als auch das Wasser zur Anlegung von Teichen immer knapper wird, füttern die chinesischen Bauern ihre Fische zunehmend mit Getreidekonzentraten, unter anderem mit Sojabohnenschrot, um so die Produktivität der Teiche zu erhöhen. Mit dieser Methode haben die chinesischen Bauern die jährlichen Erträge zwischen 1990 und 1996 von 2,4 Tonnen Fisch pro Hektar Teichfläche auf 4,1 Tonnen erhöht.37

In den Vereinigten Staaten stellen Welse, die weniger als zwei Kilogramm Futter benötigen, um ein Kilogramm Lebendgewicht zuzulegen, das wichtigste Produkt aus Aquakultur dar. Die jährliche Welsproduktion in den USA liegt bei rund 270 Mio kg (etwa ein kg pro Person)und kommt hauptsächlich aus vier Bundesstaaten: Mississippi, Louisiana, Alabama und Arkansas, wobei Mississippi mit etwa 60 Prozent der US-Welsproduktion weltweit führend in der Welsproduktion ist.38

 

36)  Naylor et al., op. cit. Note 33; Polykulturen in Indien aus W. C. Nandeesha et al., "Breeding of Carp with Oviprim," in Indian Branch, Asian Fisheries Soden', hidia, Special Publication No. 4 (Mangalore, India: 1990). S. 1.
37)  Ktishen Rana, "Changing Scenarios in Aquaculture Development in China,'' FAO
Aquaatlture Newsletter, August 1999, S. 18. ,
38)  Angaben zu Weisen aus Naylor et al., op. cit. Note 33; Angaben zur Weisproduktion in den USA aus US DA, National Agricukural Statistics Service, Catfisb Production (Washington, DC: Februar 2003), S. 5.

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Die Öffentlichkeit hat sich bislang vorrangig auf die Möglichkeiten der Aufzucht von Aquakulturen konzentriert, die ökologisch ineffizient oder zerstörerisch sind, wie die Aufzucht von fleischfressenden Lachsen in Farmen oder die von Garnelen. Diese machen mit 3,6 Millionen Tonnen weniger als neun Prozent des gesamten weltweit in Fischfarmen gezogenen Fisches aus, doch der Anteil wächst rasant. Lachse sind deswegen ineffizient, weil sie sich von anderen Fischen ernähren, normalerweise in Form von Fischschrot, der entweder aus dem Abfall von fischverarbeitenden Betrieben hergestellt wird oder aus Fischen, die nur einen geringen Wert haben und eigens dafür gefangen werden. Und zur Zucht von Garnelen müssen oft küstennahe Mangrovenwälder zerstört werden, um Platz für die Garnelen zu schaffen.39)

 

Doch den Hauptteil der weltweit gezüchteten Aquakulturen bilden Fische, die sich von Pflanzen ernähren — in China und Indien hauptsächlich Karpfen, in den Vereinigten Staaten Wels, und in einigen anderen Ländern Buntbarsche — sowie Schalentiere. Und hier liegt auch das größte Potential für eine Erhöhung der effizienten Produktion tierischer Eiweiße.40)

Wenn wir an Sojabohnen in unserer täglichen Ernährung denken, so denken wir häufig an Tofu, "Veggie Burger" und anderen Fleischersatz. Doch einen Großteil der rasch zunehmenden Sojabohnenernte der Welt nehmen wir indirekt über Rind- und Schweinefleisch, Geflügel, Milch und Eier sowie Fisch aus Fischfarmen zu uns. Obwohl Sojabohnen kein sichtbarer Bestandteil unserer Ernährung sind, hat die Beigabe von Sojabohnenschrot zu Tierfutter die weltweite Futtermittelindustrie revolutioniert und zu einer starken Erhöhung der Effizienz, mit der Getreide in tierisches Eiweiß umgewandelt wird, geführt.41 Im Jahr 2005 haben die Bauern weltweit 220 Millionen Tonnen Sojabohnen produziert — eine Tonne pro neun Tonnen Getreide. Davon wurden 15 Millionen Tonnen direkt in Form von Tofu und anderen Fleischersatzstoffen konsumiert. Nachdem ein Teil zur Neuaussaat zurückbehalten wurde, wurde der Großteil der verbliebenen 205 Millionen Tonnen zerkleinert, um daraus 33 Millionen Tonnen Sojaöl zu extrahieren, wodurch dieses von dem hochwertigen proteinreichen Schrot getrennt wurde. Bis 2006 werden vermutlich bereits zwei dieser 33 Millionen Tonnen (sieben Prozent) in Form von Biodiesel an Tankstellen geliefert werden.42)

 

39)  FAO, op. cit. Note 34; Naylor et al., op. cit. Note 33; Taija-Riitta Tuominen und Maren Esmark, Food For Thonght: The Use of Marine Resources in Fish Feed (Oslo: WWF-Nor wegen, 2003); Rebecca Goldburg und Rosamond Naylor, "Future Seascapes, Fishing, and Fish Farming," Frontiers in Ecology and the Environment, Vol. 3, Nr. 1 (Februar 2005), S. 21-28.
40)  FAO. op. cir. Note 34; FAO, The State of World Fisheries and Aquaculture 2004 (Rom: 2004). 
41)  USDA, op. cit. Note 1; Suzi Fräser Dominy, "Soy's Growing Importance," World Gram, 13. April 2004.

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Die nach der Extraktion des Öls zurückbleibenden 144 Millionen Tonnen Sojabohnenschrot werden dann an Rinder, Schweine, Hühner und Fisch verfüttert, wodurch deren Ernährung mit qualitativ hochwertigen Proteinen bereichert wird. Wenn man Sojabohnenschrot und Getreide im Verhältnis eins zu vier mischt, so steigt dadurch die Effizienz bei der Umwandlung von Getreide in tierische Eiweiße drastisch an, gelegentlich wird sie sogar fast verdoppelt.43

Die drei größten Fleischproduzenten — China, die Vereinigten Staaten und Brasilien — nutzen bereits in hohem Maße Sojabohnenschrot als Proteinergänzung in Futtermitteln. In den Vereinigten Staaten, wo man bereits seit langem Sojabohnenschrot als qualitative Ergänzung zu den Futtermitteln für Vieh und Geflügel nutzt, ist der Anteil von Sojabohnenschrot in den Futterrationen von 8 Prozent im Jahr 1964 auf etwa 18 Prozent in den letzten Jahren gestiegen.44

In Brasilien, wo der Übergang in den späten 80er Jahren begann, macht Sojabohnenschrot inzwischen 21 Prozent der Futtermischungen aus. In China kam die Erkenntnis, dass die Beimischung von Sojabohnenschrot die Futtermitteleffizienz deutlich steigern könnte, erst mehrere Jahre später. Zwischen 1991 und 2002 stieg der Anteil von Sojabohnenschrot in Futtermitteln dort von zwei auf 20 Prozent. Bei Fisch, der einen besonders hohen Proteinbedarf hat, wurden den 16 Millionen Tonnen Futter auf Getreidebasis im Jahr 2003 fünf Millionen Tonnen Sojabohnenschrot beigemischt.45

Mit diesem phänomenalen Wachstum hat Sojabohnenschrot nicht nur teilweise das Getreide in Futtermitteln ersetzt, sondern auch die Effizienz erhöht, mit der das verbliebene Getreide in den Futtermitteln in tierische Produkte umgewandelt wurde. Dies erklärt auch teilweise, warum der Anteil des als Futtermittel verwendeten Getreides an der weltweiten Getreideernte in den letzten 20 Jahren trotz des Produktionsanstiegs bei Fleisch, Milch, Eiern und Fisch aus Fischfarmen nicht gestiegen ist; und auch, warum die weltweite Sojabohnenproduktion

 

42)  Sojaverbrauch Berechnungen des Autors auf Grundlage von USDA, op. cit. Note I und USDA, Foreign Agriculmral Service (FAS), verschiedene landwirtschaftliche Berichte (Washington, DC: mehrere Jahre); Zuwachs bei Biodiesel detaillierter in Kapitel 2 behandelt.
43)  USDA, op. cit. Note 1.
44)  Ebenda.
45)  Ebenda.; David McKee, "Crushing Competition," World Gmin, 13. April 2004; USDA, FAS, China Oilseeds and Products Annual Report 2004'(Peking: März 2004); Dominy, op. cit. Note 41.

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zwischen 1950 und 2005 um das 13-fache — von 16 auf 220 Millionen Tonnen — gestiegen ist. Während das Potential zur Erhöhung der Futtermitteleffizienz durch Sojabohnenschrot in den wichtigsten lebensmittelproduzierenden Ländern bereits größtenteils ausgenutzt wird, haben viele Entwicklungsländer ihr Potential in diesem Bereich noch nicht vollkommen ausgeschöpft.46

 

Neue Möglichkeiten zur Produktion von Proteinen

Der zunehmende Druck auf die Boden- und Wasserressourcen der Erde bei der Produktion von Futtermitteln für Vieh, Geflügel und Fisch hat dazu geführt, dass einige neue vielversprechende Modelle zur Produktion von tierischen Eiweißen entwickelt wurden. Eines davon ist das Modell der Milchproduktion in Indien. Seit 1970 hat sich die Milchproduktion in Indien mehr als vervierfacht und ist von 21 Millionen Tonnen auf 95 Millionen Tonnen jährlich angestiegen. 1998 überholte Indien die Vereinigten Staaten und wurde zum führenden Produzenten von Milch und Milcherzeugnissen. (Siehe Abbildung 9-2)47)

Der Zündfunke für diese explosionsartige Entwicklung kam 1965, als ein unternehmerisch begabter junger Inder, Dr. Verghese Kurien, das National Dairy Development Board ins Leben rief, eine Dachorganisation für Milchkooperativen. Die Hauptaufgabe der Milchkooperativen bestand darin, die Milch von winzigen Herden, die meist nur aus zwei oder drei Kühen bestanden, zu verkaufen und damit die Verbindung zwischen der steigenden Nachfrage nach Milcherzeugnissen und den Millionen von Familien in den Dörfern herzustellen, die nur einen kleinen Überschuss erwirtschafteten, den sie dann verkaufen konnten.48

 

46)  Historische Statistiken in Worldwatch Institute, Signposts 2002, CD-Rom (Washington, DG 2002); USDA, op. cit. Note 1.
47)  Abbildung 9-2 from FAO, op. cit. Note 3, Update 14. Juli 2005: vorläufige Schätzungen der Produktion für 2005 aus FAO, GIEWS, Food Outlook, No. 2 (Rom: Juni 2005).
48)  S. C. Dhall und Meena Dhall. "Dairy Industry—India's Strength in Its Livestock," Business Litte, Internet Edition ofFinancial'Daily of The Hindu group oi publications, 7. November 1997; siehe auch Surinder Sud, "India Is Now World's Largest Milk Producer," India Perspectives, Mai 1999, S. 25-26; A. Banerjee, "Dahving Systems in India," World Aninuil Review, Vol. 79, Nr. 2 (1994).

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Abbildung 9-1.

 

Die Schaffung einer Verkaufsmöglichkeit für diese Milch führte zu einer Vervierfachung der Produktion. In einem Land, in dem Proteinmangel das Wachstum so vieler Kinder behindert, stellte die Erhöhung der Milchversorgung von weniger als einer halben Tasse pro Person und Tag noch vor 30 Jahren auf mehr als eine Tasse einen riesigen Fortschritt dar.49

Wirklich bemerkenswert daran ist, dass Indien die weltweit größte Milchgüterwirtschaft größtenteils auf Rauhfutter aufgebaut hat — Weizenstroh, Reisstroh, Maisstengel und Gras von den Straßenrändern — j und trotzdem liegt der Wert der jährlich produzierten Milch inzwischen höher als der der Reisernte.50

Ein weiteres neues Modell zur Produktion von Proteinen, das ebenfalls auf dem Einsatz von Wiederkäuern basiert, hat sich in vier Provinzen im Osten Chinas entwickelt: in Hebei, Shangdong, Henan und Anhui, wo häufig Winterweizen und Mais in Wechselfruchtfolge angebaut werden. Wenn im Frühsommer der Winterweizen reif ist, wird er schnellstmöglich geerntet, damit die Aussaat des Maises vorbereitet werden kann; und wenn dann im Herbst der Mais geerntet ist, wird das Saatbett schnell wieder für die Aussaat des Weizens vorbereitet. Obwohl das Weizenstroh und die Maisstengel oft als Brennmaterial zum Kochen verwendet werden, suchen sich die Dorfbewohner zuneh-

 

49)  Milchversorgung pro Person aus FAO, op. cit. Note 3, Update 27. August 2004; Vereinte Nationen, op. cit. Note 4.
50)  Banerjee, op. cit. Note 48; Dhall und Dhall, op. cit. Note 48.

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mend Alternativen dazu, damit sie das Stroh und die Maisstängel an das Vieh verfüttern können. Wenn man das Rauhfutter mit geringen Jvlengen Stickstoff in Form von Harnstoff versetzt, kann die Mikroflora in den komplexen Magensystemen der Rinder mit ihren vier Mägen das Rauhfutter effizient in tierisches Eiweiß umwandeln.51

In diesen vier Anbauprovinzen in China, die von offiziellen Vertretern gern als "Rindfleischgürtel" des Landes bezeichnet werden, wird durch die Nutzung der Erntereste — Weizenstroh, Reisstroh und Maisstengel — als Futter mehr Rindfleisch produziert als auf den riesigen Weideflächen im Nordwesten des Landes. Der Einsatz von Ernteresten zur Milchproduktion in Indien und zur Rindfleischproduktion in China führt dazu, dass die Bauern, statt nur die normale Getreideernte einfahren zu können, noch eine Art "zweiter Ernte" haben, wodurch sowohl die Boden- als auch die Arbeitsproduktivität gesteigert werden.52

Mit der Zeit hat China auch eine bemerkenswerte Effizienz bei den Polykulturen von Fischen erreicht: Dabei werden vier verschiedene Arten von Karpfen benutzt, die sich von ganz unterschiedlichen Teilen der Nahrungskette ernähren, wodurch praktisch ein natürliches Ökosystem im Wasser nachgestellt wird. Silberkarpfen und Marmorkarpfen sind sogenannte Filtrierer,53 die sich von Phytoplankton bzw. Zooplankton ernähren. Der Graskarpfen dagegen, wie der Name schon sagt, ernährt sich eher von Pflanzen, während der gemeine Karpfen ein Gründler54 ist, der von Detritus lebt. Diese vier Arten bilden somit ein kleines Ökosystem, in dem jede Art eine spezielle Nische besetzt. Dieses aus mehreren Arten bestehende System, in dem Futter höchst effizient in qualitativ hochwertige Proteine umgewandelt wird, hat im Jahr 2002 zu einer Karpfenausbeute von etwa 13 Mio t geführt.55

Auch wenn die Geflügelproduktion sowohl in China als auch in anderen Entwicklungsländern rasant angewachsen ist, so war dies doch kein Vergleich zu den phänomenalen Wachstumsraten bei Aquakulturen. 

 

51)  Wade, Branson und Xiang, op. dt. Note 7; Produktionsmenge an Ernteresten und Verwendung derselben für China aus Gao Tengyun, "Treatment and Utilization of Crop Straw and Stover in China," Livestock Research for Rtiral Development, Februar 2000. 
52)   USDA, ERS, ''Chinas Beet Economy: Production, Marketing, Consumption, and Foreign Trade," International Agriculture and Trade Reports: China (Washington, DC: Juli 1998), S. 28.  
53)  Anm. d. Übers.: Tiere, die ihre Nahrung aus vorbeiströmendem Wasser filtern 
54)  Anm. d. Übers.: Fische, die vom Grund fressen  
55)  S. F. Li, "Aquaculture Research and Its Relation to Development in China," in World Fish Center, Agriculniral Development and the Opportunities for Aquatic Resources Research in China (Penang, Malaysia: 2001), S. 26: FAO, op. cit. Note 34.

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Derzeit liegt die Aquakulturenproduktion in China mit 29 Mio t doppelt so hoch wie die Geflügelproduktion, womit China das erste größere Land ist, in dem mehr Aquakulturen gezüchtet werden als Geflügel. Die hohe wirtschaftliche und ökologische Attraktivität dieses Systems liegt in der Effizienz der Produktion tierischer Eiweiße.56

Obwohl sich diese drei neuen Modelle zur Proteinproduktion in China und Indien entwickelt haben, beides stark bevölkerte Länder, können ähnliche Systeme auch in anderen Ländern eingeführt werden, wenn der Druck durch das Bevölkerungswachstum wächst, die Nachfrage nach Fleisch und Milch steigt und die Bauern nach neuen Wegen suchen, pflanzliche Produkte in tierische Eiweiße umzuwandeln.

Die Welt braucht dringend noch mehr neue derartige Möglichkeiten zur Proteinproduktion. Vor etwa 50 Jahren, als es weltweit nur etwa 2,5 Milliarden Menschen gab, wollte praktisch jeder sich bei seiner Ernährung in der Nahrungskette nach oben bewegen. Inzwischen könnte sich die Anzahl praktisch verdoppelt haben. Der Fleischverbrauch steigt fast doppelt so schnell wie die Bevölkerungszahlen, der Eierverbrauch dreimal so schnell und auch die Nachfrage nach Fisch — sowohl aus den Ozeanen als auch aus Fischfarmen — wächst stärker als die Bevölkerungszahlen. Vor diesem Hintergrund einer steigenden weltweiten Nachfrage ist der Einfallsreichtum der Menschheit gefragt, um immer mehr tierische Eiweiße zu produzieren und das auf immer effizientere Weise.57

Die Welt hat zwar einige Erfahrung darin, jedes Jahr 70 oder mehr Millionen Menschen zusätzlich zu ernähren, doch darin, gleichzeitig den Bedarf von 5 Milliarden Menschen, die sich alle bei ihrer Ernährung in der Nahrungskette nach oben orientieren wollen, hat sie keine. Um zu sehen, was das bedeutet, muss man sich nur ansehen, was seit den Wirtschaftsreformen 1978 in China passiert ist. Als die am schnellsten wachsende Wirtschaft weltweit bietet China gewissermaßen eine geschichtliche Teleskopansicht. An seinem Beispiel lässt sich ablesen, wie sich die Ernährung der Menschen im Falle rasant steigender Einkommen verändert.58

Noch 1978 war der Fleischverbrauch in China sehr niedrig und bestand größtenteils aus bescheidenen Mengen an Schweinefleisch. Seither ist der Verbrauch an Schweinefleisch, Rindfleisch, Geflügel und Hammelfleisch um ein Vielfaches angewachsen, so dass der Fleischverbrauch in China inzwischen deutlich über dem der Vereinigten Staaten liegt, und wenn die Einkommen in anderen Ländern ebenfalls steigen, werden die Menschen dort auch mehr tierisches Eiweiß fordern. 

 

56)  FAO, op. cit. Note 34; FAO, op. cit. Note 3, Update 14. Juli 2005.  
57)  Vereinte Nationen, op. cit. Note 4; FAO, op. cit. Note 3, Update 14. Juli 2005.  
58)  Wirtschaftswachstum Chinas aus Internationaler Währungsfond, World EconotniCA
Outlook Database. auf www.imf.org/external/pubs/ft/weo, Update 13. April 2005.

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Wenn man nun bedenkt, welche Auswirkungen dieser steigende Bedarf auf die weltweiten Land- und Wasserressourcen hat und welche Nachfrage schon durch das ganz normale Bevölkerungswachstum besteht, so erhält man eine ziemlich gute Vorstellung davon, welcher Druck zukünftig auf der Erde lasten wird. Wenn in den nächsten Jahren die weltweiten Getreidevorräte immer knapper werden, wird der Kampf um das Getreide zwischen denen, die mehr Biodiesel fordern; denen, die in Bezug auf ihre Ernährung am oberen Ende der Nahrungskette, und denen, die auf den untersten Sprossen der Wirtschaftsleiter stehen, nicht nur immer augenfälliger werden — er wird sich auch zur Quelle für mögliche Spannungen innerhalb der Gesellschaften und unter den einzelnen Gesellschaften entwickeln.59

 

Abwärts in der Nahrungskette

Eine der Fragen, die ich am häufigsten höre, ist: "Wie viele Menschen ist die Erde in der Lage zu ernähren?" Ich antworte darauf stets mit einer Gegenfrage: "Bei welchem Verbrauchsniveau an Lebensmitteln?" 

Wenn man das derzeitige Verbrauchsniveau der USA von 800 Kilogramm an Lebens- und Futtermitteln pro Kopf und Jahr zugrundelegt, so würde die weltweite Getreideernte von zwei Milliarden Tonnen pro Jahr ausreichen, um 2,5 Milliarden Menschen zu ernähren. Würde man das italienische Verbrauchsniveau von etwa 400 Kilogramm pro Kopf und Jahr zugrunde legen, würde die derzeitige Ernte für die Erhaltung von fünf Milliarden Menschen ausreichen, und bei den 200 Kilo gramm Getreide, die jeder Inder durchschnittlich pro Jahr verbraucht, könnte mit der derzeitigen Ernte eine Weltbevölkerung von zehn Milliarden Menschen ernährt werden.60

In jeder Gesellschaft, in der die Einkommen steigen, verändern sich die Ernährungsgewohnheiten zugunsten von Produkten im oberen Bereich der Nahrungskette, die Menschen nehmen mehr tierische Eiweiße in Form von Rind- und Schweinefleisch, Geflügel, Milch, Eiern und Meeresfrüchten zu sich. Die Kombination der unterschiedlichen tierischen Proteine ist je nach geographischer Lage und Kultur verschieden, doch es scheint allgemein so zu sein, dass sich die Ernährungsgewohnheiten mit steigenden Einkommen hin zu tierischen Proteinen verschieben.

 

59)  Fleischverbrauch aus FAO, op. eil. Note 3, Update 14. Juli 2005.  
60)  Berechnungen des Autors nach USDA, op. cit. Note 1; Vereinte Nationen, op. dt. Note 4.

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Wenn der Verbrauch an Viehprodukten, Geflügel und Fisch aus Fischfarmen steigt, steigt auch der Pro-Kopf-Verbrauch an Getreide. Von den rund 800 Kilogramm Getreide, die pro Kopf und Jahr in den USA verbraucht werden, werden nur etwa 100 Kilogramm direkt in Form von Brot, Pasta und Frühstückszerealien aufgenommen. Der Großteil des Getreides gelangt indirekt über Rind- und Schweinefleisch, Geflügel und Fisch aus Fischfarmen in den Körper. Im Gegensatz dazu verbrauchen die Menschen in Indien, die pro Kopf und Jahr nur knapp 200 Kilogramm oder pro Tag etwa ein Pfund Getreide konsumieren, fast das gesamte Getreide direkt, um so ihren grundlegenden Bedarf an Lebensmittelenergie zu decken. Nur ein geringer Teil ist für die Umwandlung in tierische Produkte verfügbar.61

Von den drei vorher erwähnten Ländern ist die Lebenserwartung in Italien am höchsten, obwohl in den Vereinigten Staaten viel mehr für die Gesundheitsvorsorge ausgegeben wird. Sowohl diejenigen, die sich von Produkten am untersten Ende der Nahrungsmittelkette als auch jene, die sich von Produkten am oberen Ende der Nahrungsmittelkette ernähren, leben kürzer als diejenigen, die einen Mittelweg gehen. Zur Ernährung in den Mittelmeerländern gehören natürlich auch Fleisch, Käse und Meeresfrüchte, jedoch in bescheidenen Mengen. Vom Standpunkt der Nahrhaftigkeit ist dies die gesündeste Art, sich zu ernähren.62

Das bedeutet, dass diejenigen, die sich mit ihrer Ernährung sehr weit oben in der Nahrungsmittelkette befinden, wie der Durchschnittsamerikaner oder Kanadier, weniger Getreide zu sich nehmen und damit gleichzeitig ihre Gesundheit verbessern könnten. Für die Menschen in den Ländern mit geringem Einkommen, wie Indien, in denen die Ernährung durch ein stärkehaltiges Grundnahrungsmittel wie Reis dominiert wird, das manchmal 60 Prozent oder mehr der gesamten aufgenommenen Kalorienmenge ausmacht, könnte die vermehrte Aufnahme tierischer Produkte gleichzeitig zu einer Verbesserung der Gesundheit und zu einer Erhöhung der Lebenserwartung führen.63

 

61 -USDA, op. cit. Note 1; Vereinte Nationen, op. cit. Note 4.  
62 - USDA, op. cit. Note 1; Vereinte Nationen, op. cit. Note 4; Organisation für wirtschaftliche Zusammenarbeit und Entwicklung, "Total Heaith Expenditure Per Capita, USS PPP,!! tabie, OECD Health Data, www.oecd.org, Juni 2005.  
63 - FAO, op. cit. Note 3, Update 14. Juli 2005.

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Neben der Tatsache, dass sich der wohlhabende Teil der "Welt in der Nahrungsmittelkette abwärts orientiert und weniger tierische Produkte zu sich nimmt, wendet sich die Welt auch zunehmend den Formen tierischer Proteine zu, bei denen das Getreide am effizientesten genutzt wird. Zusammen haben diese beiden Schritte dazu beigetragen, dass der Teil der weltweiten Getreideernte, der als Futtermittel verwendet wird, in den letzten zwanzig Jahren konstant bei etwa 38 Prozent gehalten werden konnte.64

Es wird allgemein angenommen, dass der Übergang von tierischen Proteinen zu qualitativ hochwertigen Proteinen aus pflanzlichen Quellen, wie Bohnen oder Tofu aus Sojabohnen, zu einer effizienteren Landnutzung führt. Doch dies ist nicht immer der Fall. Wie bereits erwähnt braucht es beispielsweise bei Geflügel etwas mehr als zwei Kilogramm Getreide, um ein Kilogramm zusätzliches Lebendgewicht zu produzieren, bei Wels sind es weniger als zwei Kilogramm pro Kilogramm Gewichtszunahme. Ein Acre Land in Iowa kann 140 Scheffel Mais oder 35 Scheffel der weitaus weniger ertragsreichen Sojabohnen hervorbringen. Wenn der Mais an Hühner oder Welse verfüttert wird, so kann dadurch mehr qualitativ hochwertiges Protein produziert werden als durch den Anbau von Sojabohnen, die dann direkt, zum Beispiel als Tofu, konsumiert werden.65

Man braucht eine ganze Menge Land, um Sojabohnenprotein zu produzieren, vor allem, weil die Pflanzen mehr metabolische Energie zur Produktion qualitativ hochwertigen Pflanzenproteins brauchen als zur Produktion von Stärke. Und da Geflügel und Wels Getreide so effizient in tierische Proteine umwandeln, ist die Land- und Wassereffizienz bei ihrem Verzehr höher als beim direkten Verzehr von Sojabohnen.66

In einigen Ländern orientiert man sich in der Nahrungsmittelkette abwärts, indem sich die Menschen Proteinquellen zuwenden, die Getreide effizienter nutzen, wie zum Beispiel Aquakulturen. China mit seiner hohen Produktion an Aquakulturen könnte das erste Land sein, in dem die Menge des Fisches aus Fischfarmen höher liegt als die frei gefangene Menge.67

 

64)  M-USDA;op.cit. Note 1.
65)  -Angaben zu Geflügel abgeleitet aus Daten in Bishop et al., op. cit. Note 33; Wels und Karpfen aus Naylor et al., op. cit. Note 33. 
66)  Naylor et al., op. cit. Note 33; Verhältais Umwandlung Futter in Lebendgewicht bei Geflügel abgeleitet aus Daten in Bishop et al., op. cit. Note 33. 
67)  Aquaculture Output from FAQ, op. cit. Note }4.

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Inzwischen steigen die Einkommen auch in anderen Teilen des dicht bevölkerten Asiens, so dass auch andere Länder, darunter Indien, Thailand und Vietnam, dem Beispiel Chinas folgen. In Vietnam beispielsweise wurde im Jahr 2001 ein Plan zur Erschließung von 700.000 Hektar Land im Mekongdelta für die Aufzucht von Aquakulturen aufgelegt, durch den bis 2005 1,7 Millionen Tonnen Fisch und Garnelen produziert werden sollten. Derzeit sieht es so aus, als könne dieses Ziel übertroffen werden.68

 

Kampf an mehreren Fronten  

Historisch gesehen trug das Landwirtschaftsministerium den größten Teil der Verantwortung für die Sicherung der Lebensmittelversorgung. In der letzten Hälfte des vergangenen Jahrhunderts war die Sicherung ausreichender Mengen an Getreide vom Weltmarkt noch vergleichsweise leicht. Wann immer die weltweite Getreideernte sank und die Preise anfingen zu steigen, hat das amerikanische Landwirtschaftsministerium einfach einen Teil der Nutzflächen, die im Rahmen der Programme zur Kontrolle der Versorgung brachlagen, reaktiviert und so die Erträge erhöht und die Preise stabilisiert. Als die Vereinigten Staaten 1996 ihr Programm zur jährlichen Stilliegung bestimmter Nutzflächen beendeten, endete auch diese Ära.69)

Die Landwirtschaftsministerien tragen die Hauptverantwortung für die Ausdehnung der Lebensmittelproduktion, um den scheinbar unstillbaren Appetit der Weltbevölkerung zu stillen. Der Bedarf, der durch zusätzliche 70 Millionen hungriger Münder jedes Jahr, durch fünf Milliarden Menschen, die sich in ihrer Ernährung auf der Nahrungsmittelkette nach oben orientieren wollen, und erstmals durch die unersättliche Nachfrage nach landwirtschaftlichen Ressourcen zur Herstellung von Autokraftstoffen rasant steigt, wird für die Landwirtschaftsministerien zu einer bisher nicht gekannten Herausforderung werden. Gleichzeitig stehen sie vor dem Problem, dass es immer weniger neue Technologien zur Ertragssteigerung gibt und dass die Wasservorräte zur Bewässerung sinken sowie vor der Aussicht auf Hitzewellen, die die Ernten verdorren lassen. Der steigende Bedarf und die Einschränkungen bei der Versorgung werden zusammen die wohl größte Herausforderung aller Zeiten für die Landwirtschaftsexperten bilden.

 

68)  Ebenda.; "Mekong Delta to Become Biggest Aquatic Producer in Vietnam," Vietnam News Agency, 3 August 2004.
69)  USDA, ERS, Natural Resources and Environment Division, Agricuitural Resources and Environmental Indicators, 1996-1997, Agricuitural Handbook No. 712 (Washington. DC: 1997).

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In diesem Kapitel sind einige der neueren Möglichkeiten zur Erhöhung der Boden- und Wassereffizienz vorgestellt worden. Ihre Anwendung sowie einige andere Maßnahmen sind offensichtlich wichtig, doch in der neuen Welt, die wir betreten haben, wirkt sich die Politik anderer Ministerien ebenfalls auf die Möglichkeiten zur Sicherstellung der Lebensmittelversorgung aus.

Da unser Planet nicht unendlich ist und bereits an seine Grenzen stößt, sie zum Teil sogar schon überschritten hat, werden die Kapazitäten der Ministerien für Gesundheit und Familienplanung zur Aufklärung der Bevölkerung über die Folgen eines weiteren Anstiegs der Weltbevölkerung und zur Befriedigung der Nachfrage nach Möglichkeiten zur Familienplanung zu einem Problem der Sicherung der Lebensmittelversorgung. Wenn einzelne Paare sich entscheiden, ein, zwei oder drei Kinder zu bekommen, so hat das direkten Einfluss auf die Sicherung der weltweiten Lebensmittelversorgung.

In der Welt von heute könnten die in den Energieministerien getroffenen Entscheidungen darüber, ob man weiter auf fossile Brennstoffe setzen und damit die Temperaturen weltweit weiterhin in die Höhe treiben oder statt dessen zu erneuerbaren Energiequellen übergehen und die Temperaturen stabilisieren soll, größere Auswirkungen auf die langfristige Sicherung der Lebensmittelversorgung haben als jede Maßnahme der Landwirtschaftsministerien.

In großen Teilen der Welt ist der Wassermangel ein größeres Hindernis für die Lebensmittelproduktion als das nur begrenzt zur Verfügung stehende Land. Der Erfolg oder Misserfolg der Wasserministerien bei der Erhöhung der Wasserproduktivität wird sich direkt auf die Sicherung der Lebensmittelversorgung in der Zukunft und auf die zukünftigen Lebensmittelpreise auswirken.

Außerdem werden in einer Welt, in der es immer weniger Kulturflächen gibt, die Entscheidungen der Verkehrsministerien darüber, ob man Transportsysteme entwickelt, in deren Mittelpunkt das Auto steht, oder diversifizierte Systeme, die verstärkt auf weniger landintensive Verkehrsmittel wie Stadtbahnen, Busse und Fahrräder bauen, ebenfalls Einfluss auf die Sicherung der Lebensmittelversorgung haben. So würden sich die Entscheidungen der Verkehrsministerien in Ländern, in denen der Boden schon sehr knapp ist, wie China und Indien, direkt auf die Sicherung der weltweiten Lebensmittelversorgung auswirken.

Und wenn man es etwas weiter fasst, so werden unsere Bemühungen zur Ausrottung des Hungers auch dadurch beeinflusst, inwieweit die Regierungen die Umwandlung knapper landwirtschaftlicher Rohstoffe in Autokraftstoffe fördern. Die Frage ist, wie erfolgreich die Regierungen bei der Lösung dieses neuen Problems des Wettbewerbs zwischen Menschen und Autos um Lebensmittelrohstoffe sein werden.

In unserer immer stärker bevölkerten Welt geht die Verantwortung für die Sicherung der Lebensmittel­versorgung weit über die Landwirtschaftsministerien hinaus, denn es braucht die Bemühungen aller Ministerien, um das Potential der Erde zur ökologisch verträglichen Produktion von Lebensmitteln voll zu realisieren. Gleichzeitig gab es im landwirtschaftlichen Bereich viele Erfolge; und Länder, die noch darum kämpfen, ihre Nahrungsmittelversorgung zu sichern, können davon profitieren.

Es ist ermutigend zu wissen, dass die beiden großen bahnbrechenden Möglichkeiten zur Ausdehnung der Produktion von tierischen Eiweißen — die enormen Zugewinne bei der Milchproduktion in Indien und die Fischzucht in Fischfarmen in China — von vielen anderen Entwicklungs­ländern problemlos kopiert werden können.

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