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13   Plan B:  Der Aufbau einer neuen Zukunft

 

 

 

349-372

Wenn wir an die Zukunft denken, stellen sich zwei wichtige Fragen: Ist unsere Zivilisation bereits dabei unterzugehen? Und woher können wir das wissen?

Zu den ersten Anzeichen eines möglichen Untergangs gehören ein weit verbreiteter Rückgang der Lebenserwartung, eine Zunahme der Anzahl hungerleidender Menschen und eine immer länger werdende Liste gescheiterter oder im Scheitern begriffener Staaten. Erstmals in der Moderne ist die Lebenserwartung für einen großen Teil der Weltbevölkerung — nämlich die 750 Millionen Menschen in den afrikanischen Ländern südlich der Sahara — deutlich gesunken. Die Lebenserwartung ist hier infolge der Aids/HIV-Epidemie von 61 Jahren auf 48 Jahre zurückgegangen.1

In den letzten 50 Jahren ist die Zahl der hungerleidenden Menschen gesunken, doch vor einigen Jahren hat sich dieser Prozess umgekehrt und die Zahlen sind zwischen 1998 und 2002 von 826 wieder auf 852 Millionen Menschen angestiegen. Wenn wir so weitermachen würden wie bisher, würde die Zahl der hungerleidenden Menschen weltweit sicher weiter ansteigen und damit die Sorgen im Bereich der Lebensmittelsicherung noch verstärken. 

Doch jetzt haben wir einen neuen Unsicherheitsfaktor in Bezug auf die Sicherung der Lebensmittelversorgung — die schnell zunehmende Umwandlung von Lebensmittelrohstoffen, wie Weizen, Mais, Sojabohnen und Zuckerrohr, in Autotreibstoffe, und mit der Zunahme der Ethanoldestillerien und Biodieselraffinerien wird dieses Problem immer größer werden. Könnte sich also die Lebensmittelversorgung ebenso als Schwachstelle unserer Zivilisation erweisen, wie bei den Sumerern, den Maya und den Bewohnern der Osterinsel? 2)

Die vielleicht beunruhigendste Entwicklung der letzten Zeit ist die wachsende Zahl gescheiterter Staaten. In dem in Kapitel 6 bereits erwähnten Artikel in <Foreign Policy> werden etwa 60 Staaten aufgezählt, die bereits als gescheitert gelten, im Scheitern begriffen sind oder die zu scheitern drohen.

1)  Vereinte Nationen, World Population Prospects: The 2004 Revision (New York: 2005).  
2)  Angaben für 1998 aus U.N. Food and Agriculture Organization (FAO), The State of Food hmcurüy in the World 2000 (Rom: 2000); Angaben für 2002 aus FAO, The State of Food Insecurity in the World 2004 (Rom: 2004).


Die Regierungen sind von den demographischen und ökologischen Problemen überfordert. Nach Jahrzehnten des rasanten Bevölkerungswachstums leiden viele Regierungen einfach unter demographischer Ermüdung und wenn die Führer nicht mehr in der Lage sind, mit den stetig steigenden Bevölkerungszahlen fertigzuwerden, brechen die ökologischen Stützsysteme auseinander und die sozialen Dienstleistungen können nicht mehr gewährleistet werden.3)

Wie viele Staaten müssen scheitern, bevor unsere gesamte Zivilisation gescheitert ist bzw. als gescheitert gilt? 

Jeder weitere gescheiterte Staat schwächt die Kapazitäten der internationalen Gemeinschaft zur Erhaltung der Stabilität des Währungssystems, zur Bekämpfung der Verbreitung von Infektionskrankheiten und zur Abwendung lokaler Hungerkatastrophen weiter. 

Wenn immer mehr Staaten scheitern, kommt irgendwann der Punkt, an dem das gesamte globale System zu scheitern beginnt.

Wir wissen, dass die Erhaltung des Fortschritts von einer Umstrukturierung der Weltwirtschaft abhängt, bei der der Übergang von der auf fossilen Brennstoffen basierenden Wegwerfwirtschaft, in deren Zentrum das Auto steht, zu einer auf erneuerbaren Energien basierenden Wirtschaft mit diversifizierten Verkehrssystemen und umfassenden Mehrweg- und Recyclingsystemen vollzogen wird, was größtenteils durch eine Umlagerung von Steuern und Subventionen erreicht werden kann. Doch zur Erhaltung des Fortschritts muss auch die Armut weltweit ausgerottet werden, die Bevölkerungszahlen müssen stabilisiert und die natürlichen Systeme der Erde saniert werden. Um die zusätzlichen öffentlichen Gelder, die dazu benötigt werden, aufbringen zu können, müssen die steuerlichen Prioritäten den neuen Bedrohungen für unsere Sicherheit angepasst werden.

Was wir bei dieser Mobilmachung am wenigsten haben, ist Zeit. Es wäre schön, wenn wir einfach die Zeit zurückdrehen könnten, doch das können wir nicht, denn die Natur selbst ist der Zeitmesser.

3)  Fund rot Peace und Carnegie Endowment for International Peace, "The Failed States Foreign Policy, Juli/August: 2005, S, 56-65.

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    Die Weckrufe   

 

Es kann kaum einen Zweifel daran geben, dass wir dabei sind, eine ganz neue Welt zu betreten. Doch niemand weiß, ob es eine Welt des Niedergangs und des endgültigen Zusammenbruchs sein wird oder eine Welt der ökologischen Sanierung und des wirtschaftlichen Fortschritts. Wird die Welt in der Lage sein, schnell genug mobil zu machen? Wer wird die Weckrufe senden? In welcher Form werden wir sie erhalten? Und werden wir sie hören?

In den Augen vieler Menschen war der Hurrikan Katrina genau so ein Weckruf, eine Warnung. Noch vor einiger Zeit galten der Hurrikan Andrew, der 1992 in Florida wütete, und die Überschwemmung des Jangtsebeckens im Jahr 1998, bei denen jeweils Schäden im Wert von etwa 30 Milliarden Dollar entstanden, als die teuersten wetterbedingten Katastrophen. Als Hurrikan Katrina im Spätsommer 2005 auf die Golfküste der Vereinigten Staaten traf und dort New Orleans verwüstete, wurden die Schäden auf 200 Milliarden Dollar geschätzt — fast siebenmal höher als die bis dahin höchsten Schadenssummen. Höhere Temperaturen des Oberflächenwassers hatten dazu beigetragen, dass Katrina einer der stärksten und zerstörerischsten Stürme wurde, von denen die Vereinigten Staaten je heimgesucht wurden.4)

1995 forderte eine starke Hitzewelle in Chicago mehr als 700 Todesopfer und sorgte damit dafür, dass man sich in den USA endlich mit dem Klimawandel aus­ein­andersetzte, doch diese Hitzewelle war nichts im Vergleich zu der, die im Sommer 2003 in Europa 49.000 Todesopfer forderte. Aus Frankreich wurden 14.800 Tote gemeldet, aus Italien sogar mehr als 18.000. Leider wurde über diese tragischen Verluste an Menschenleben nie entsprechend berichtet, weil sich die Sterbefälle über mehrere Monate verteilten und in den einzelnen Ländern zu unterschiedlichen Zeiten auftraten. Ebenso, wie die durch Hurrikan Katrina verursachten Schäden um ein Vielfaches größer waren als die vorangegangener Katastrophen, war auch die Anzahl der Todesopfer infolge dieser Hitzewelle um ein Vielfaches höher als bei irgendeiner vorangegangenen.5) Könnte der warnende Weckruf auch in Form einer Flut von Umweltflüchtlingen kommen? 

4)  Munich Re, Topics Annual Review: Natural Catastrophes 2001 (München, Deutschland: 2002), S. 16-17; "Katrina May Cost as Much as Four Years of War: Government Cerrain to Pay More than $200 Billion Following Hurricane," Associated Press, 10. September 2005; P. J. Webster et al., "Changes in Tropica! Cyclone Number, Duration, and Intensity in a Warming Environment," Science, Vol. 309 (16. September 2005), S. 1844-46. 
5)  Centers for Disease Control and Prevention (CDC), "Heat-Reiated Deaths - Chicago, Illinois, 1996-2001, and United States, 1979-1999," Morbidity andMortality Weekiy Report, 4. Juli 2003; Schätzungen der Todesopfer in ganz Europa zusammengestellt in Janet Larsen, "Record Heat Wave in Europe Takes 35,000 Lives," Eco-Economy Update (Washington, DC: Earth Policy Institute, 9. Oktober 2003), Update mit Instituto Nazionale di Statistica, Bilan-cio Demografico Nazionale: Anno 2003 (Rom: 15. Juli 2004).

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Wie bereits erwähnt reden die politischen Führer der Länder südlich der Sahara davon, einen fünf Kilometer breiten und 7.000 Kilometer langen Baumgürtel quer über den Kontinent zu pflanzen, um die weitere Ausdehnung der Wüste zu verhindern. Ob es den afrikanischen Ländern gelingen wird, diese Große Grüne Mauer anzupflanzen und ob es ihnen vor allem rechtzeitig gelingen wird, um die Ausdehnung der Wüste zu stoppen, bleibt abzuwarten. Wenn sie aber scheitern, so wird sich immer mehr produktives Land in Wüste verwandeln und die Welt wird sich mit Millionen von Flüchtlingen konfrontiert sehen.6)

Im September 2005 berichteten Wissenschaftler, die Eisschmelze in der Arktis könnte einen "kritischen Punkt" erreicht haben. Es könnte sein, dass wir eine der Grenzen der Natur überschritten haben. In einem Artikel dazu heißt es, die Wissenschaftler "glauben, dass das Eis in der Arktis infolge der globalen Erwärmung so schnell schmilzt, dass die Region immer mehr Hitzestrahlung von der Sonne zu absorbieren beginnt, wodurch das Eis noch schneller schmilzt und der Teufelskreis aus Eisschmelze und Erwärmung noch verstärkt wird." 

Wenn das Eis der Arktis schmilzt und das Klima der Region sich weiter erwärmt, wird das Eisschild über Grönland, das an einigen Stellen fast zweieinhalb Kilometer dick ist, letztlich verschwinden. Dadurch würde der Meeresspiegel um etwa sieben Meter steigen und viele Küstenstädte weltweit und viele Flußauen, in denen Reis angebaut wird, würden überflutet.7 Wenn nun klar ist, dass wir da einen Prozess, den Anstieg der Meeresspiegel, ausgelöst haben, den wir weder aufhalten noch umkehren können, stellt sich die Frage, wie das unser Denken über uns selbst als Individuen und als Gesellschaft beeinflusst. Wird es jetzt einen gesellschaftlichen Bruch zwischen den Generationen geben, zwischen denen, die den Anstieg der Meeresspiegel verursacht haben, und denen, die die Folgen tragen müssen?

Der Klimawandel, egal, ob er nun natürlich ist oder durch den Menschen verursacht wurde, stellt eine Belastung für die Gesellschaft dar. Jared Diamond schreibt, dass Dürreperioden beim Zusammenbruch und dem anschließenden Verschwinden der 600 Jahre alten Anasazi-Zivilisation im Südwesten der Vereinigten Staaten kurz nach 1150 eine große Rolle gespielt haben.

6)  Silvia Aloisi, "Senegal Mulls "Green Wall' to Scop Desert Advance," Reuters, 1. August 2005.  
7)  Richard Black, "Arctic lce 'Disappearing Quickly,"' BBC Neun, 28. September 2005^ National Snow and lce Data Center/Universiry of Washington, "Sea lce Dechne Intensifies, Pressemitteilung (Bouldet, CO: 28. September 2005): Steve Connor, "Global Warming 'Past ihe Point of No Return,'" lndependent (London), 16. September 2005: R. Warrick et al., "Changes in Sea-Level," in J. T. Houghton et al., Hrsg., Climcte Change, 1995: The Science of Climate Change (Cambridge, GB: Cambridge University Press, 1995), S. 359-405, zitiert in Dorthc Dahl-Jenscn, "The Greenland lce Sheet Reacts," Science, 21. Juli 2000. S. 404-05.

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Sinkende Lebensmittelvorräte führten im Falle dieser frühen Zivilisation in der "Neuen Welt" zu Konflikten und zu Kannibalismus. Drei Jahrhunderte später brach infolge einer extremen Kälteperiode die Zivilisation der Nordmänner in Grönland zusammen und verschwand schließlich. Die Belastungen für unsere moderne Zivilisation, die in Form von Hitzewellen, die die Ernten sinken lassen, Eisschmelze, steigenden Meeresspiegeln und immer zerstörerischeren Stürmen auftreten, werden durch die steigenden Temperaturen verursacht.8

War der Rekordpreis für Öl Ende 2005 eine Anomalie oder spiegelt sich hier etwas Grundlegenderes wider — fehlende Vorausplanung für die Zeit, wenn die Erdölvorkommen der Welt erschöpft sein werden? Handelt es sich um die Folge eines Systemausfalls und wenn ja, wird die internationale Gemeinschaft in der Lage sein, sich zusammenzunehmen, um die Ölpreise zu stabilisieren, damit verhindert werden kann, dass es zu einer weltweiten wirtschaftlichen Depression aufgrund des Erdöls und zu einer Ausweitung der Streitigkeiten über den Zugang zu den verbleibenden Ölreserven kommt? 9)

Sind all das Weckrufe, die uns aufrütteln sollen? Wenn das so ist, dann haben sie es bisher nicht getan. Haben wir etwa die Schlummertaste gedrückt, damit wir noch ein bisschen länger schlafen können? Oder sind diese Probleme einfach zu komplex, als dass wir sie verstehen könnten? Sind wir, wie Joseph Tainter in seinem Buch The Collapse of Complex Societies behauptet, von dieser Komplexität ebenso überfordert wie es frühere Zivilisationen waren? 10)

Dieses Kapitel zu schreiben ist so anstrengend, dass es schon etwas frustrierend ist, weil es hier nicht darum geht, was wir tun müssen oder wie, sondern vielmehr darum, wie wir die Menschen dazu mobilisieren können, dies zu unterstützen. Wie kann man die Menschen davon überzeugen, dass die Situation, mit der wir es zu tun haben, sehr ernst ist und dass wir sehr dringend handeln müssen? Zum Teil ist es eine Frage der Überwindung alter Interessen und gesellschaftlicher Trägheit, teilweise muss man den Menschen aber auch klarmachen, dass unsere Zivilisation bedroht ist und wodurch. Wenn man es mit mehreren Bedrohungen gleichzeitig zu hat, kommt es darauf an, Prioritäten zu setzen.

 

8)  Jared Diamond. Collapse: How Societies Choose to Fail or Succeed (New York: Penguin Group, 2005).  
9)  Rekordpreise für Ol aus U.S. Department of Energy (DOE), Energy Information Administration, "This Week in Petroleum'' Pressemitteilung, (Washington, DC: 28. September 2005). 
10)  Joseph Tainter, The Collapse ofComplex Societies (Cambridge, GB: Cambridge Universiry Press, 1988).

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Zweifellos ist der Terrorismus eine Bedrohung, mit der unsere Zivilisation sich zu Beginn des 21. Jahr­hunderts auseinandersetzen muss, doch es ist nicht einmal annähernd die größte. Die wichtigsten Probleme sind das Bevölkerungswachstum, der Klimawandel, die Armut weltweit, der zunehmende Wassermangel, die steigenden Ölpreise und der mögliche Anstieg der Lebensmittelpreise, der zu einer politischen Instabilität von bisher unbekanntem Ausmaß führen könnte.

Wenn neue Bedrohungen auftauchen, müssen die Prioritäten neu gesetzt und neue Ansätze zur Lösung der Probleme gefunden werden. Die in der Vergangenheit gesetzten Prioritäten sind hoffnungslos überholt. So sind massive Investitionen in militärische Macht und ausgeklügelte Waffensysteme schon im Kampf gegen den Terrorismus nicht sehr hilfreich, doch noch viel weniger beim Versuch, den Klimawandel oder die Erschöpfung der Grundwasserleiter zu stoppen. Historisch gesehen haben sich stets die Aggressoren unter den Nationen eine militärische Macht aufgebaut, mit der sie den Rest der Welt bedrohten. Im Gegensatz dazu werden der zukünftige Fortschritt und die Stabilität heute durch gescheiterte Staaten bedroht, die sich innerlich auflösen.

 

In unserer neuen Welt braucht es politische Führer, die das große Ganze sehen und denen der Zusammenhang zwischen der Wirtschaft und ihren ökologischen Stützsystemen bewusst ist. Und da die wichtigsten Regierungsberater aus dem Wirtschaftsbereich stammen, brauchen wir in Zukunft Wirtschaftsexperten, die gleichzeitig in der Lage sind, wie Umweltexperten zu denken. Leider gibt es davon nur sehr wenige. Ray Anderson, Gründer und Geschäftsführer der Firma Interface, die ihren Hauptsitz in Atlanta hat und einer der führenden Produzenten von Industrieteppichen ist, äußert sich besonders kritisch darüber, wie Wirtschaftswissenschaften an vielen Universitäten gelehrt werden. Er sagt: 

"Obwohl die <unsichtbare Hand> des Marktes ganz offensichtlich die externen Effekte nicht mit in Betracht zieht und so tut, als seien massive Förderungen, wie ein Krieg zur Sicherung des Öls für die Erdölfirmen, verdient, bringen wir den Studenten der Wirtschaftswissenschaften immer noch bei, dieser unsichtbaren Hand des Marktes zu vertrauen. Aber können wir bei einer unsichtbaren Hand, die so blind ist, wirklich darauf vertrauen, dass sie die Ressourcen sinnvoll verteilt?" 11)

 

11)  World Business Academy, "Interfaces Ray Anderson: Mid-Course Correction," Global Reconstructiov, Vol. 19, Ausgabe 5 (2. Juni 2005); Ray Anderson, "A Call for Systemic (..-hange/' Rede auf der National Conference on Science. Policy, & thc Environment: Education for a Secure and Susrainabk Furure, Washington, DO 31. Januar 2003.

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Es wird immer wieder darauf hingewiesen, dass in der neoklassischen Wirtschaftswissenschaft die externen Kosten als etwas angesehen werden, das vermieden werden sollte. Das ist wahr. Aber haben die Dozenten für Wirtschaftswissenschaften jemals diese Kosten aufgeführt und ihre Auswirkungen auf das Ökosystem der Erde und dessen Kapazitäten zur Erhaltung der Wirtschaft berechnet? In wie vielen Kursen wird beispielsweise gelehrt, dass unsere auf fossilen Brennstoffen basierende und rund um das Auto aufgebaute Wegwerfwirtschaft als Wirtschaftsmodell für diese Welt einfach nicht tragbar ist und dass die größte Herausforderung, vor der die Welt derzeit steht, der Aufbau einer neuen Wirtschaft ist, durch die der wirtschaftliche Fortschritt erhalten werden kann?

 

    Eine Mobilisierung in Blitzgeschwindigkeit    

 

Bei dieser Mobilmachung zur Rettung unseres überlasteten Planeten und unserer in Schwierigkeiten geratenen Zivilisation gibt es sowohl Ähnlichkeiten als auch Unterschiede zur Mobilmachung der USA für den Zweiten Weltkrieg. Damals gab es auch eine wirtschaftliche Umstrukturierung, doch sie war nur temporär. Die Mobilmachung zur Rettung einer ganzen Zivilisation dagegen erfordert eine dauerhafte Umstrukturierung der Wirtschaft.

Der Eintritt der Vereinigten Staaten in den Zweiten Weltkrieg ist eine faszinierende Fallstudie für eine rasante Mobilmachung. Zunächst wollten sich die USA nicht am Zweiten Weltkrieg beteiligen und haben auch erst reagiert, nachdem sie am 7. Dezember 1941 bei Pearl Harbor direkt angegriffen wurden. Doch dann haben sie reagiert. Nachdem sie eine uneingeschränkte Zusage gemacht hatten, haben die Vereinigten Staaten zu einer Trendwende in diesem Krieg und zum Sieg der Alliierten in nur dreieinhalb Jahren beigetragen.12 Nur einen Monat nach dem Angriff auf Pearl Harbor, am 6. Januar 1942, verkündete Präsident Roosevelt in seiner Rede zur Lage der Nation die Produktionsziele der Nation für den Waffenbereich. Er sagte, die Vereinigten Staaten planten den Bau von 45.000 Panzern, 60.000 Flugzeugen, 20.000 Flugabwehrgeschützen sowie die Produktion von neuen Schiffen für die Handelsschifffahrt mit einem Volumen von sechs Millionen, und fügte hinzu: "Und niemand soll wagen zu sagen, das sei nicht möglich."13)

12) Weitere Informationen zur Mobilisierung siehe Francis Walton, Miracle of World War II: How American Industry Made Victory Possible (rviacmillan: New York, 1956). 

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Niemand hatte je zuvor so große Produktionszahlen für Waffen gesehen. Doch Roosevelt und seinen Kollegen war klar, dass die weltweit größte Konzentration industrieller Macht zu dieser Zeit in der amerikanischen Automobilindustrie zu finden war. Selbst während der Depression produzierten die USA jährlich mindestens drei Millionen Autos. Nach seiner Rede zur Lage der Nation traf sich Roosevelt mit den Vertretern der Automobilindustrie und sagte ihnen, das ganze Land würde sich bei der Erreichung der Produktionsziele stark auf sie verlassen. Zunächst wollten sie die Produktion von Autos fortsetzen und nur nebenbei auch Waffen produzieren. Zu dem Zeitpunkt wussten sie allerdings noch nicht, dass der Verkauf privater Automobile bald verboten werden würde. Von Anfang April 1942 an bis zum Ende des Jahres 1944, also fast drei Jahre lang, wurden in den Vereinigten Staaten praktisch keine Autos hergestellt.14

Neben dem Verbot der Produktion und des Verkaufs von Automobilen zur privaten Nutzung wurde auch der Bau von Wohnhäusern und Highways gestoppt und das Autofahren zum privaten Vergnügen verboten. Strategische Güter — darunter auch Reifen, Benzin, Heizöl und Zucker — wurden ab 1942 rationiert. Durch die Einschränkung des Verbrauchs dieser Güter wurden materielle Ressourcen freigesetzt, die zur Unterstützung der Kriegsvorbereitungen benötigt wurden.15

Im Jahr 1942 war die größte Erhöhung der Industrieproduktion in der Geschichte der Vereinigten Staaten zu verzeichnen — und alles zu militärischen Zwecken. Es gab einen enormen Bedarf an Flugzeugen während des Krieges. Dazu gehörten nicht nur Kampf-, Bomben- und Aufklärungsflugzeuge, sondern auch die Flugzeuge zum Transport der Truppen und der Fracht, die für den Krieg an zwei weit von einander entfernt liegenden Fronten benötigt wurden. Von Anfang 1942 bis Ende 1944 haben die Vereinigten Staaten ihr ursprüngliches Ziel von 60.000 Flugzeugen mehr als übererfüllt. Tatsächlich wurden 229.600 Flugzeuge produziert — eine Flotte, die so riesig ist, dass man es sich kaum vorstellen kann. Ebenso beeindruckend ist die Zahl von mehr als 5.000 Schiffen, die zu den ungefähr 1.000 Schiffen hinzukamen, aus denen die Handelsflotte der Vereinigten Staaten 1939 bestand.16

 

13)  Franklin Roosevelt, "State of rhe Union Address," 6. Januar 1942, auf www.ibibIio.orra pha/7-2-188/188-35.html.  
14)  Harold G. Vatter, The US Economy in World War II (New York: Columbia University Press, 1985), S. 13. 
15)  Doris Kearns Goodwin, No Oräinary Time.....
Franklin and Eleanor Roosevelt: The Home Front in World War II (New York: Simon & Schuster, 1994), S. 316; "Point Rationing Comes of Age," Business Week, 19. Februar 1944.

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In ihrem Buch No Ordinary Times beschreibt Doris Kearns Goodwin, wie verschiedene Firmen ihre Produktion umstellten. Eine Zündkerzenfabrik gehörte zu den ersten, die auf die Produktion von Maschinen­gewehren umstellten. Schon bald produzierte ein ehemaliger Ofenhersteller Rettungsboote, eine Karussellfabrik stellte plötzlich Lafetten her, eine Spielzeugfabrik produzierte Kompasse, ein Hersteller von Korsetts Granatengürtel und eine Fabrik zur Herstellung von Flippern begann, Panzersprenggranaten zu produzieren.17

Rückblickend betrachtet ist die Geschwindigkeit, mit der diese Friedenswirtschaft in eine Kriegswirtschaft umgewandelt wurde, absolut erstaunlich. Die Nutzbarmachung der industriellen Kraft in den Vereinigten Staaten ließ die Waage ganz entschieden zugunsten der Alliierten ausschlagen und führte zu einer Trendwende im Kriegsverlauf. Deutschland und Japan, die ihre Kapazitäten bereits voll ausnutzten, konnten dem nichts mehr entgegensetzen. Winston Churchill zitierte oft seinen Außenminister Sir Edward Grey, der gesagt hatte: "Die Vereinigten Staaten sind wie ein riesiger Dampfkessel. Wenn das Feuer darunter erst einmal entfacht ist, ist die Leistung, die er erzeugen kann, praktisch unbegrenzt."18

Diese Mobilisierung von Ressourcen innerhalb nur weniger Monate zeigt, dass ein Land, und im Grunde auch die ganze Welt, in der Lage ist, seine Wirtschaft sehr schnell umzustrukturieren, wenn es von der Notwendigkeit dieser Maßnahme überzeugt ist. Viele Menschen — wenn auch noch nicht die Mehrheit — sind bereits von der Notwendigkeit zu einer umfassenden wirtschaftlichen Neuorientierung überzeugt. Das Ziel dieses Buches besteht darin, noch mehr Menschen von dieser Notwendigkeit zu überzeugen, damit die Waage bald zugunsten der Kräfte der Veränderung und der Hoffnung ausschlägt.

 

   Mobilmachung zur Rettung der Zivilisation  

 

Eine Mobilmachung zur Rettung unserer Zivilisation bedeutet Umstrukturierung der Wirtschaft, Sanierung der ökologischen Stützsysteme der Wirtschaft, Ausrottung der Armut und Stabilisierung der Bevölkerungszahlen — und wir verfügen über die Technologien, die wirtschaftlichen Instrumentarien und die finanziellen Ressourcen dazu.

16)  "War Production - The Job "Thai Couldn't Be Done,'" Business Week, 5. Mai 1945; Donald M. Nelsen, Arsenal ofDemocracy: The Story of American War Production (New York: Harcourt, Brace and Co., 1946), S. 243.  
17)  Goodwin, op. cir. Note 15.  
18)  Sir Edward Grey zitiert in Walton, op. cit. Note 12.  

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Die Vereinigten Staaten, die reichste Gesellschaft, die es je gegeben hat, verfügen über die Ressourcen, um diese Bemühungen anzuführen. Jeffrey Sachs vom Earth Institute der Columbia Universität fasst es sehr treffend zusammen, wenn er sagt: "Die tragische Ironie dieses Moments besteht darin, dass die reichen Länder so reich und die armen Länder so arm sind, dass ein paar mehr Zehntel eines Prozents des Bruttosozialprodukts der reichen Länder, in den nächsten Jahrzehnten immer wieder aufgestockt, etwas ermöglichen könnten, das nie zuvor in der Geschichte der Menschheit möglich war: sie könnten sicherstellen, dass die grundlegenden Bedürfnisse an Gesundheitsfürsorge und Bildung für alle armen Kinder dieser Welt befriedigt werden könnten. Wie viele Tragödien werden wir in diesem Land noch erleben müssen, bevor wir aufwachen und unsere Kapazitäten nutzen, um dazu beizutragen, dass unsere Welt nicht nur durch den Einsatz militärischer Macht, sondern durch das Geschenk des Lebens selbst ein sichererer und blühenderer Ort wird?"19

Niemand kann genau sagen, wie viel die Veränderungen kosten würden, die nötig sind, um unsere Zivilisation des 21. Jahrhunderts von dem Weg abzubringen, der zu einer Überbeanspruchung und letztlich zum Zusammenbruch führt, und sie wieder auf einen Weg zu bringen, bei dem der wirtschaftliche Fortschritt erhalten werden kann. Doch wir können ungefähr einschätzen, welches Ausmaß diese Bemühungen haben müssten.

Wie bereits in Kapitel 7 dargelegt, liegen die konservativen Schätzungen der Weltbank bezüglich der zusätzlichen externen Mittel, die benötigt würden, um in den mehr als 80 hilfsbedürftigen Entwicklungsländern eine grundlegende Schulbildung für alle zu garantieren, bei etwa zwölf Milliarden Dollar jährlich. Die Mittel für ein Programm zur Bekämpfung des Analphabetentums bei Erwachsenen, das hauptsächlich auf der Arbeit Freiwilliger basiert, würden weitere vier Milliarden Dollar jährlich ausmachen. Die Bereitstellung der grundlegendsten Gesundheitsfürsorge in Entwicklungsländern würde laut Schätzungen der Weltgesundheitsorganisation etwa 33 Milliarden Dollar kosten. Die zusätzlichen Mittel für ein Angebot an Fortpflanzungsmedizin und die Bereitstellung von Möglichkeiten zur Familienplanung für alle Frauen in Entwicklungsländern lägen bei nicht einmal sieben Milliarden Dollar pro Jahr.20)

19)  Jeffrey Sachs, "One Tenth of 1 Percent to Make the World Safer," Washington Post, 21. November 2001,

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Die Schließung der Kondomkluft durch die Bereitstellung der zusätzlichen 9,5 Milliarden Kondome, die zur Bekämpfung der Ausbreitung von HIV in den Entwicklungsländern und in Osteuropa benötigt werden, würde zwei Mrd. $ kosten, davon 285 Millionen Dollar für die Kondome selbst und 1,7 Milliarden Dollar für Aufklärungsprogramme über AIDS und für die Verteilung der Kondome. Die Kosten für die Ausdehnung der Schulspeisungsprogramme auf die 44 ärmsten Länder der Welt lägen bei sechs Milliarden Dollar. Geschätzte vier Milliarden Dollar pro Jahr würden ausreichen, um die Kosten für eine Betreuung von Vorschulkindern und schwangeren Frauen in diesen Ländern zu decken. Insgesamt wären zur Erreichung der grundlegenden sozialen Ziele 68 Mrd. $ jährlich nötig.21)

Wie bereits in Kapitel 8 angemerkt, ist ein Programm zur Bekämpfung der Armut zum Scheitern verurteilt, wenn es nicht mit einem Programm zur Sanierung der Erde einhergeht. Der Schutz des Oberbodens, die Sanierung der Meeresfischbestände und andere notwendige Maßnahmen würden jährlich geschätzte 93 Mrd. Dollar an zusätzlichen Ausgaben ausmachen. Mehr als die Hälfte der jährlichen Ausgaben zur Sanierung der Erde entfallen auf den Schutz der Artenvielfalt und die Erhaltung der Böden auf Anbauflächen, die mit jeweils 31 bzw. 24 Mrd. Dollar am kostenintensivsten sind. Wenn man die Kosten für die Erreichung grundlegender sozialer Ziele und für die Sanierung der Erde in einem einzigen Haushalt, dem Plan B-Haushalt, zusammenfasst, so ergeben sich insgesamt jährliche Mehrausgaben von 161 Milliarden Dollar — etwa ein Drittel des derzeitigen Militärhaushalts der Vereinigten Staaten oder ein Sechstel der Militärhaushalte weltweit. (Tabelle 13-1) 22)

Leider konzentrieren sich die USA nach wie vor auf den Aufbau eines immer stärkeren Militärs und ignorieren dabei größtenteils die Bedrohungen, die aus einer fortschreitenden Umweltzerstörung, wachsender Armut und steigenden Bevölkerungszahlen erwachsen. Das geplante Militärbudget für 2006, einschließlich der 50 Mrd. $ für die Militäreinsätze in Afghanistan und im Irak, beziffert die voraussichtlichen Ausgaben der Vereinigten Staaten für ihr Militär auf 492 Milliarden Dollar. (Tabelle 13-2) Andere NATO-Mitglieder geben jährlich 209 Milliarden Dollar für ihr Militär aus, Russland etwa 65 Mrd. Dollar und China 56 Milliarden Dollar.

20)  Weitere Informationen, siebe Tabelle 7 — 1 und dazugehörige Erklärungen in Kapitel 7. 
21)  Ebenda.  
22)  Weitere Informationen zw grundlegenden sozialen Zielen, siehe Tabelle 7—1 sowie dazugehörige Erklärungen in Kapitel 7 und zu Zielen zur Sanierung der Erde Tabelle 8-1 sowie dazugehörige Erklärungen in Kapitel 8.

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Tabelle 13-1
Plan B-Budget: Zusätzliche jährliche Ausgaben zur Erreichung sozialer Ziele und zur Sanierung der Erde

Ziel

Benötigte Mittel (Milliarden Dollar)

Grundlegende soziale Ziele

 

Allgemeine grundlegende Schulbildung

12

Ausmerzung des Analphabetentums bei Erwachsenen

4

Programme für Schulspeisung in den 44 ärmsten Ländern

6

Unterstützung für Vorschulkinder und Schwangere in den 44 ärmsten Ländern

4

Fortpflanzungsmedizin und Familienplanung

7

Allgemeine grundlegende Gesundheitsfürsorge

33

Schließen der Kondom-Kluft

2

Gesamt

68

Ziele bei Sanierung der Erde

 

Wiederaufforstung weltweit

6

Schutz des Oberbodens auf Kulturflächen

24

Sanierung der Weideflächen

9

Stabilisierung der Wasserstände

10

Sanierung der Fischbestände

13

Schutz der Artenvielfalt

31

Gesamt

93

Beides Gesamt

161

360


Die Militärausgaben der Vereinigten Staaten sind inzwischen etwa so hoch wie die aller anderen Länder zusammen. Wie der verstorbene Eugene Carroll, Jr., General im Ruhestand, sehr treffend bemerkte: "In den 45 Jahren des Kalten Krieges befanden wir uns stets im Rüstungswettlauf mit der Sowjetunion. Jetzt sieht es so aus, dass wir uns im Rüstungswettlauf mit uns selbst befinden."23) Es ist an der Zeit sich zu entscheiden. Wie frühere Zivilisationen, die sich plötzlich mit Umweltproblemen konfrontiert sahen, können auch wir uns entscheiden, weiterzumachen wie bisher und dann zuzusehen, wie unsere moderne Wirtschaft verfällt und schließlich zusammenbricht, oder uns bewusst für einen neuen Weg entscheiden, durch den der wirtschaftliche Fortschritte erhalten werden kann. Wenn wir gar nichts täten, so wäre das in der derzeitigen Situation eine Entscheidung für den Weg hin zu Verfall und Zusammenbruch.

 

Es ist schwer, die richtigen Worte zu finden, um zu beschreiben, wie ernst unsere Lage ist und wie wichtig die Entscheidung ist, die wir treffen müssen. Wie kann man beschreiben, wie dringlich das Ganze im historischen Kontext ist? Könnte es morgen schon zu spät sein? Sind ausreichend viele von uns besorgt genug, als dass wir jetzt eine Trendwende herbeiführen könnten?

Wird irgendjemand eines Tages irgendwo einen Grabstein für unsere Zivilisation aufstellen und wenn ja, was wird darauf stehen? Es kann jedenfalls nicht daraufstehen, wir hätten es nicht besser gewusst, denn wir wissen es ja. Und es kann auch nicht darauf stehen, wir hätten nicht die Ressourcen dafür gehabt, denn die haben wir. Es könnte einzig darauf stehen, wir hätten zu langsam auf die Kräfte reagiert, die unsere Zivilisation gefährdeten und die Zeit wäre uns davongelaufen.

 

23)  Tabelle 13-2 zusammengestellt vom Enrth Policy Institute aus Angaben aus Center for Arms Control and Non-Proliferation, "Highlights of Senate Armee! Services Committee Action on the Fiscal Year 2006 Defense Authorization Bill (S. 1042)," Datenblatt, auf www.armscontrolcenter.org/archives/001919.php, 22. Juli 2005; Christopher Hellman, "U.S. Military Budget is die World's Largest, and Still Growing," Center for Arms Control and Non-Proliferation, aufwww.armscontrolcenter.org/archives/001221.php, 7. Februar 2005, basierend aus Daten des International Institute for Strategie Studies und des US-Verteidigungsministeriums; Elisabeth Sköns et al., "Military Expendirure," in Stockholm International Peace Research Institute, SIPRl Yearhook 2005: Armamcnts, Disarmament and-International Security (Oxford: Oxford University Press, 2005); U.S. Department of Defense, Office of the Under Secretary of Defense (Comptroller), National Defense Budget Estimates for FY2006 (Washington, DC: 2005); Eugene Carroll from Christopher Hellman, "Last of the Big Time Spenders: U.S. Military Budget Still the World's Largest and Growing," Center for Defense Information, auf www.cdi.org/issues/wme/spenders-FY03.html, 4. Februar 2002.

361


Tabelle 13-2.: Vergleich der Militärbudgets je Land und weltweit in Milliarden

Land

Budget (Milliarden Dollar)

USA

492

Russland

65

China

56

Großbritannien

49

Japan

45

Frankreich

40

Deutschland

30

Saudi-Arabien

19

Indien

19

Italien

18

Alle anderen

142

Militärausgaben weltweit

975

Plan B Budget

161

Hinweis: Bei den Angaben über den Haushalt der USA handelt es sich um Schätzungen für das Steuerjahr 2006 (einschließlich der 50 Milliarden $ für die Militäroperationen im Irak und in Afghanistan). Die Angaben für Russland und China stammen aus dem Jahr 2003. Quelle: Siehe Fußnote 23.

 

Niemand kann heute behaupten, wir hätten nicht die Ressourcen zur Ausrottung der Armut, zur Stabilisierung der Bevölkerungszahlen und zum Schutz der Ressourcenbasis der Erde. Wir wären durchaus in der Lage, Armut, Hunger, Krankheiten und Analphabetentum auszumerzen und gleichzeitig die Böden, Wälder und Fischbestände der Erde zu sanieren. Die Umlagerung von nur einem Sechstel der weltweiten Militärhaushalte auf den Plan B-Haushalt wäre mehr als ausreichend, um die Welt auf einen Weg zu führen, mit dem der wirtschaftliche Fortschritt erhalten werden könnte. Wir könnten eine Weltgemeinschaft aufbauen, in der die Grundbedürfnisse aller Menschen auf der Welt befriedigt werden — eine Welt, in der wir uns als wirklich zivilisiert bezeichnen könnten.

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Für wirtschaftliche Umstrukturierung braucht es eine Neuordnung der Besteuerung, der Markt muss gezwungen werden, in ökologischer Hinsicht ehrlich zu sein. In allen Ländern wird man die politische Führung daran messen, ob es ihnen gelingt, das Steuersystem so umzustrukturieren, wie es Deutschland und Schweden bereits getan haben, oder nicht. Dies ist der Schlüssel zur Neuordnung der Energiewirtschaft — um sowohl das Klima zu stabilisieren als auch den Übergang in eine Welt nach dem Erdöl zu vollziehen.24

Es ist leicht, Hunderte Milliarden Dollar für die Bekämpfung des Terrorismus auszugeben, doch in Wirklichkeit braucht es nur sehr wenig an Ressourcen, um eine moderne Wirtschaft zu schädigen, und der Schutz, den ein U.S. Department for Homeland Security vor Selbstmordattentätern bieten kann, ist minimal — egal, wie gut es finanziell ausgestattet ist. Die Herausforderung besteht nicht darin, mit militärischem Hightech auf den Terrorismus zu reagieren, sondern eine Weltgemeinschaft zu schaffen, die ökologisch verträglich und gleichzeitig gerecht ist — eine Gemeinschaft, die allen Menschen die Hoffnung wiedergibt. Derartige Bemühungen würden dem Terrorismus weitaus effektiver die Grundlage entziehen als jede Erhöhung der Militärausgaben und jedes noch so fortschrittliche neue Waffensystem.

Wenn wir einmal die ökologisch zerstörerischen Trends betrachten, die unsere Zukunft gefährden, so sehen wir, dass unsere Welt dringend klare Beweise dafür braucht, dass wir in der Lage sind, die Dinge auf globaler Ebene zu ändern. Glücklicherweise verstärken sich die Maßnahmen zur Umkehrung zerstörerischer Trends oder zur Initiierung neuer Trends oft gegenseitig oder führen zu Situationen, in denen es nur Gewinner gibt. Hier ein paar Beispiele: Die Zugewinne bei der Effizienz, die zu einer Senkung des Erdölverbrauchs führen, tragen gleichzeitig zu einer Senkung der Kohlenstoffemissionen und zu einer Verringerung der Luftverschmutzung bei. Maßnahmen zur Ausrottung der Armut helfen gleichzeitig bei der Bekämpfung des Hungers und der Stabilisierung der Bevölkerungszahlen. Durch eine Wiederaufforstung wird Stickstoff gebunden, die Wiederauffüllung der Grundwasserleiter gefördert und die Bodenerosion verringert. Wenn wir erst einmal genug Trends gesetzt haben, die in die richtige Richtung gehen, werden sie sich oft gegenseitig verstärken.

24)  Weitere Informationen zur Steuerumlagerung siehe Kapitel 12.

363


Um die Hoffnung auf die Zukunft zu stärken, braucht die Welt jetzt vor allem eine große Erfolgsgeschichte bei der Senkung der Kohlenstoffemissionen und der Verringerung der Abhängigkeit vom Erdöl. Wenn sich beispielsweise die Vereinigten Staaten entschließen würden, ihre Flotte an ineffizienten, benzinbetriebenen Autos innerhalb der nächsten zehn Jahre durch höchst effiziente Fahrzeuge mit Benzin-Elektro-Hybridantrieb zu ersetzen, könnte der Benzinverbrauch dadurch problemlos halbiert werden. Darüber hinaus würden Fahrzeuge mit Benzin-Elektro-Hybridantrieb und zusätzlicher Speicherbatterie und der Möglichkeit zur Aufladung über das Stromnetz den Weg ebnen für die Nutzung von Strom als Treibstoff für Kurzstrecken, wie die täglichen Fahrten zur Arbeit oder zum Einkaufen. Wenn wir dann noch, wie in Kapitel 10 beschrieben, in den Aufbau Tausender Windfarmen investieren würden, könnten die Bürger Amerikas den größten Teil ihrer Kurzstreckenfahrten mit Hilfe von Windenergie absolvieren, wodurch die weltweiten Erdölreserven deutlich entlastet würden.25)

Da ein Großteil der Fließbänder in der amerikanischen Automobilindustrie inzwischen stillstehen, könnte man sie ganz einfach auf den Bau von Windturbinen umrüsten, wodurch das Land seine riesigen Potentiale an Windenergie schneller nutzen könnte. Im Vergleich zur Umrüstung der Wirtschaft bei der Mobilmachung im Zweiten Weltkrieg wäre diese eine bescheidene Initiative, doch sie würde der Welt beweisen, dass die Umstrukturierung der Wirtschaft im Grunde machbar ist und dass sie schnell und profitabel sein kann und so durchgeführt werden kann, dass durch die Verringerung der Abhängigkeit von den störanfälligen Erdöllieferungen die nationale Sicherheit gefördert wird. Im globalen Maßstab würde diese Umstrukturierung dazu beitragen, den für die Wirtschaft schädlichen potentiellen Anstieg der Erdölpreise zu verlangsamen und außerdem auch zur Senkung der Kohlenstoffemissionen, wodurch die Stabilisierung des Klimas unterstützt würde. Doch am wichtigsten von allem ist, dass sie das Vertrauen der Öffentlichkeit in die Fähigkeiten der Regierung wiederherstellen würde.

 

25)  Weitere Informationen zur Energieeffizienz siehe Kapitel 10.

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   Ein Aufruf zu wahrer Größe   

 

Die Geschichte bewertet politische Führer immer danach, wie sie auf die großen Probleme ihrer Zeit reagiert haben. Für die Führer heute besteht die große Herausforderung darin, die Weltwirtschaft auf einen ökologisch verträglichen Weg zu bringen. Wir brauchen einen politischen Führer, der es angeht, einen Churchill des Umweltbereichs, der die Welt bei dieser Mobilmachung führt.

Nach den Terrorangriffen auf das World Trade Center am 11. September 2001 haben mehrere politische Führer aus der ganzen Welt eine Art modernen Marshallplan zur Bekämpfung der Armut und ihrer Auswirkungen vorgeschlagen und dabei dahingehend argumentiert, dass bittere Armut und großer Reichtum in einer immer stärker interdependenten Welt nicht nebeneinander existieren können. Gordon Brown, der britische Finanzminister, bemerkte dazu: "Der Wohlstand war, ebenso wie der Frieden, an sich unteilbar, und um ihn zu erhalten, musste man andere daran teilhaben lassen." Nach Browns Ansicht wäre eine Initiative ähnlich dem Marshallplan keine Entwicklungshilfe im herkömmlichen Sinne, sondern eher eine Investition in die Zukunft.26

Der französische Präsident Jacques Chirac, in politischer Hinsicht ein Konservativer, sagte auf dem Earth Summit im September 2002 in Johannesburg, "die Welt brauchte eine weltweite Steuer zur Bekämpfung der Armut in der Welt." Er schlug eine Besteuerung von Flugtickets, Kohlenstoffemissionen oder internationalem Handel mit Devisen vor. Um sein Engagement unter Beweis zu stellen, verkündete Chirac, Frankreich werde innerhalb der nächsten fünf Jahre seine Entwicklungshilfe verdoppeln, wodurch das Land das international vereinbarte Ziel erreichen würde, nach dem 0,7 Prozent des Bruttosozialprodukts in die Entwicklungshilfe fließen sollten. Über die wirtschaftlichen Maßnahmen hinaus schlug er vor, eine internationale Umweltschutzorganisation zur Koordinierung der Bemühungen zum Aufbau einer ökologisch verträglichen Wirtschaft ins Leben zu rufen.27

Unsere derzeitige Lage ist so ernst, dass einzelne Länder einfach Initiativen in Bereichen wie der Senkung der Kohlenstoffemissionen einleiten müssen, ohne darauf zu warten, dass es darüber internationale Abkommen gibt. Es hat mehr als die Hälfte eines Jahrzehnts gedauert, das absolut unzureichende Kyotoprotokoll auszuhandeln, und jetzt haben wir keine Zeit mehr für langwierige Verhandlungen.28

26 - Gordon Brown, "Marshall Plan for thc Next 50 Years," Washington Post, 17. Dezember 2001.  
27 - Gerard Bon, "France's Chirac Backs Tax ro Fight World Poverty," Reuters, 4. Seprember 2002.  
28 - "A Long Decade of Negotiations: The Difficult Birrh of die Kyoro Protocol," European
Affairs, Sommer 2002.

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Als die deutsche Regierung sich 1999 zu einer Umstrukturierung der Besteuerung entschloss, bei der die Steuern auf den Energieverbrauch angehoben und die auf das Einkommen gesenkt wurden — ein Schritt, der sowohl zur Senkung der Kohlenstoffemissionen als auch zur Erhöhung der Beschäftigtenzahlen beitragen sollte — hat sie nicht gefordert, dass der Rest der Welt oder auch nur die anderen europäischen Länder es Deutschland gleichtun. Die deutsche Regierung hat sich zu diesem Schritt entschlossen, weil sie der Ansicht war, es sei das Beste für Deutschland. Wenn einzelne Länder sich dafür entscheiden, entschlossen zu handeln, um die Trends, die unsere Zukunft gefährden, umzukehren, dann ist es sehr wahrscheinlich, dass andere Länder ihrem Beispiel folgen. Zu diesem Zeitpunkt in der Geschichte kann man sich am besten als Anführer etablierten, wenn man mit gutem Beispiel vorangeht.29 Ähnlich war es, als Schweden sich zu einer noch grundlegenderen Neuordnung seines Steuersystems unter ökologischen Gesichtspunkten entschloss. Auch die Schweden haben nicht gefordert, dass andere ihrem Beispiel folgen. Schweden hat allein und entschlossen gehandelt und ist dadurch zum guten Beispiel für andere Länder geworden.30

 

In den Vereinigten Staaten hat die Entscheidung Washingtons, das Kyoto-Protokoll zu missachten, die Bürgermeister von mehr als 180 Städten dazu veranlasst, sich zusammenzutun und gemeinsam an der Erreichung des im Kyoto-Protokoll vereinbarten Zieles einer Senkung der Kohlenstoffemissionen um sieben Prozent im Vergleich zum Niveau von 1990 innerhalb der nächsten zehn Jahre zu arbeiten. Anfang Juni 2005 schrieb Fred Pearce im New Scientist. "Im vergangenen Monat hat eine Gruppe von Bürgermeistern amerikanischer Städte in der bisher mutigsten Zurückweisung einer Entscheidung einer nationalen Regierung die Weigerung der Bush-Administration zur Senkung der Kohlenstoffemissionen vom Tisch gefegt." Zu dieser Gruppe gehörten unter anderem die Bürgermeister einiger der größten Städte der Vereinigten Staaten: Los Angeles, Denver und New York. Es gibt zahlreiche Initiativen zur Erreichung des Ziels bei der Senkung der Kohlenstoffemissionen und sie unterscheiden sich von Stadt zu Stadt. 

 

29)  J. Andrew Hoerner und Bcnoit Bosquet, Environmental Tax Reform: The European Experience (Washington, DC: Center for a Sustainable Economy, 2001), S. 17-18. 
30)  Finanzministerium, Schweden, "The Budget for 2005: A Commitmem to More Jobs and lncreased Weifare," Pressemitteilung (Stockholm: 20. September 2004); Finanzministerium, Schweden, "Taxation and the Environment," Pressemitteilung (Stockholm: 25. Mai 2005)-

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In Salt Lake City kauft die Stadt beispielsweise Strom, der mit Windenergie erzeugt wurde und in New York City wird die Flotte der städtischen Fahrzeuge auf Benzin-Elektro-Hybridantriebe umgestellt.31 Auch auf bundesstaatlicher Ebene ist eine Revolution im Gange. Neun Bundesstaaten im Nordosten der Vereinigten Staaten verhandeln einen Pakt zur Senkung der Kohlenstoffemissionen bei Kraftwerken und die Regierungen in anderen Bundesstaaten, darunter Kalifornien, Colorado, Iowa, Minnesota, New York, Pennsylvania, Texas und Wisconsin, führen Richtwerte für den Anteil erneuerbarer Energien an der Gesamtenergieerzeugung ein, durch die jeweils die Menge an Strom festgelegt wird, die zukünftig aus erneuerbaren Energiequellen stammen muss.32

Neben der Notwendigkeit zu echter politischer Führung besteht ein ebensolcher Führungsbedarf im Medienbereich. Angesichts der dringenden Notwendigkeit zu schnellem Handeln und zur Mobilisierung der Unterstützung für die genannten Maßnahmen steht die Welt vor einer bisher nicht gekannten Herausforderung im Bereich der Aufklärung der Öffentlichkeit. Die Trendwende hängt entscheidend davon ab, ob es den Kommunikationsmedien gelingt, das Bewusstsein der Öffentlichkeit für den Ernst der Lage und die Dringlichkeit zu einem entschlossenen Handeln zu schärfen. Nur die Kommunikationsmedien sind in der Lage, in so kurzer Zeit die Informationen im notwendigen Maßstab zu verbreiten. Keine andere Institution verfügt über diese Kapazitäten.

Diese Position der Medienindustrie ähnelt auf bemerkenswerte Weise der Situation der amerikanischen Autoindustrie im Zweiten Weltkrieg. Wie die Autoindustrie vor etwa 60 Jahren haben auch die Redakteure und Herausgeber nicht um diese Verantwortung gebeten und es ist auch nicht notwendigerweise so, dass sie sie übernehmen wollen, es gibt nur einfach keine Alternative. Wenn die weltweiten Kommunikationsmedien die Führung bei der Schärfung des öffentlichen Bewusstseins für die Umweltproblematik nicht übernehmen, wird die derzeitige Mobilmachung aller Wahrscheinlichkeit nach scheitern. Wir stehen vor einer Situation, die sich von allen vorangegangenen unterscheidet und die eine völlig neue Herangehensweise erfordert. 

 

31)  Fred Pearce, "Cities Lead the Way to a Greener World," New Scientist, 4. Juni 2005; Office of the Mayor, Greg Nickeis, Seattle, "U.S. Mayors' Ciimate Protection Agreement," auf www.seattle.gov/mayor/climate, Update 3. Oktober 2005. 
32)  John Richardson, "States Poised to Set Limits on Emissions," Portland Press Herald, 21. September 2005; Kathy Belyeu, "States of Motion: Not Content to Wait for Federal Action, More U.S. States Act to Develop Renewable Energy," Solar Today, Mai/Juni 2005.

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Am 1. Januar 2005 machte die New York Times einen Schritt in diese Richtung, indem sie einem Artikel von Jared Diamond, der auf seinem Buch Kollaps. Warum Gesellschaften überleben oder untergehen basierte, vier Fünftel ihrer "Op-Ed"-Seite33) einräumte. Darin reflektierte er darüber, was wir von früheren Zivilisationen lernen könnten, die, ähnlich wie wir, einen wirtschaftlichen Weg beschritten hatten, der ökologisch nicht verträglich war.34 Diamond hatte bei den Recherchen zu seinem Buch herausgefunden, dass es nicht immer leicht ist, die Wirtschaft von dem Weg, der in den wirtschaftlichen Niedergang und schließlich zum Kollaps führt, auf einen ökologisch verträglichen Weg zurückzuführen. Einige Zivilisationen sind in der Lage, die Warnsignale zu erkennen und entsprechend schnell zu reagieren, während andere dies nicht tun und schließlich untergehen.35

Daraus wird klar, dass eine ökologische Misswirtschaft, wenn sie lange genug andauert, zum Untergang einer Zivilisation führt. Diamonds Artikel trug dazu bei, dass ein öffentlicher Dialog über die ökologischen Parallelen zwischen unserer modernen Zivilisation und den in Diamonds Buch beschriebenen frühen Zivilisationen entstand.

Auch Umwelt-NGOs fühlen sich angesprochen. Durch die Verleihung des Friedensnobelpreises an Wangari Maathai im Jahr 2004 hat das Nobelpreiskomitee anerkannt, dass sie eine der führenden Umweltschützerinnen ist und mit ihrer Basisorganisation einen wichtigen Beitrag zum Umweltschutz leistet. Vor fast 30 Jahren gründete Maathai eine Umweltgruppe namens Green Belt Movement, die Menschen vor Ort dazu mobilisierte, etwa 30 Millionen Bäume zu pflanzen. Wie Geoffrey Dabelko in Grist schrieb, mobilisierte die Bewegung Tausende Frauen, indem sie ihnen Verantwortung übertrug und ihr Selbstwertgefühl stärkte, und ihnen eine Ausbildung und sogar Möglichkeiten der Familienplanung anbot. Im Jahr 2002 wurde Maathai ins Parlament gewählt und kurze Zeit später von der neuen Regierung zur Stellvertretenden Umweltministerin ernannt.36

Auch Firmenchefs beteiligen sich an dem Prozess. Ted Turner, der Gründer von CNN, beschritt in der Philanthropie neue Wege, als er 1997 verkündete, er wolle den Vereinten Nationen eine Milliarde Dollar schenken, um ihre Bemühungen zur Stabilisierung der Bevölkerungszahlen, zum Umweltschutz und zur Bereitstellung von Gesundheitsfürsorgemöglichkeiten zu unterstützen. 

 

33)  Anm. d. Übers.: kurz für Opposite Edilorial, besonders in den USA gepflegte Tradition, enthält Kommentare und Kolumnisten, die zum Teil von der Linie der Redaktio abweichen  
34)  Jared Diamond, "The Ends of die World as We Know Them," New York Times, 1. janu 2005; Diamond, op. cit. Note 8. 
35)  Diamond, op. cit. Note 8.

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Zum Transfer dieser Ressourcen rief er die UN-Stiftung ins Leben. Turner hätte bis zu seinem Tod warten können, bevor er der Welt diese Schenkung macht, doch angesichts der Dringlichkeit und des Ernstes der Lage, in der die Welt sich befindet, war er der Ansicht, die Milliardäre der Welt sollten jetzt reagieren, bevor die Probleme nicht mehr zu lösen wären.37

Zweifellos hat Turners Vorgehen auch Bill Gates, den Gründer von Microsoft, aber auch andere Neumilliardäre inspiriert. Gates trägt dadurch, dass er, als reichster Mensch der Welt, seinen Reichtum in eine Stiftung fließen lässt und es so für Initiativen zur Verbesserung der Gesundheitsfürsorge in Entwicklungsländern, von Impfprogrammen für Kinder bis zu Maßnahmen zur Eindämmung der HIV-Epidemie, zur Verfügung stellt, zur Rettung von Millionen Menschenleben bei.38

Unter den umsichtigeren der politischen Führer wächst die Einsicht, dass es ökologisch nicht länger tragbar ist, einfach so weiterzumachen wie bisher, und dass wir große Probleme bekommen, wenn wir nicht sehr bald auf die ökologischen Bedrohungen für unsere moderne Zivilisation reagieren. Da große Gefahren wie die HIV-Epidemie, der Wassermangel und der Landhunger drohen, die Länder auf den unteren Stufen der Leiter der Weltwirtschaft zu überrollen, nimmt auch die Gefahr weiterer gescheiterter Staaten zu.

 

   Du und ich  

 

Eine der Fragen, die ich bei meinen Vorträgen in den verschiedenen Ländern am häufigsten höre, lautet: Können wir es angesichts der Umweltprobleme, vor denen die Welt steht, überhaupt schaffen? Können wir den wirtschaftlichen Niedergang und den Untergang unserer Zivilisation noch verhindern?  

Meine Antwort ist immer dieselbe: 

Das hängt ganz von ihnen und von mir ab, davon, was sie und ich dafür tun, diese Trends umzukehren. Das heißt, dass wir politisch aktiv werden müssen. Die Rettung unserer Zivilisation ist nichts für Zuschauer. Wir haben diese neue Welt so schnell betreten, dass wir die Bedeutung dessen, was da passiert ist, noch gar nicht voll realisiert haben. Traditionsgemäß hat unsere Sorge um unsere Kinder stets dazu geführt, dass wir dafür gesorgt haben, dass sie die beste Ausbildung und die bestmögliche Gesundheits­fürsorge erhalten.

 

36)  Geoffrey Dabelko, "Nobel of the Ball: Kenyaa Eco-Activist Wangati Maathai Witts Nobel Peace Prize," Grist Magazine, 8. Oktober 2004.  
37)  Weitere Information zur United Nacions Foundation siehe www.unfoundarion.org.  
38)  Weitere Information zur Bill & Melinda Gates Foundation www.gatesfoundation.oig

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Doch wenn wir nicht schnellstens etwas gegen die Zerstörung der ökologischen Systeme der Erde unternehmen und dafür sorgen, dass die Armut ausgerottet und die Bevölkerungszahlen stabilisiert werden, wird die Welt unserer Kinder wirtschaftlich dem Untergang geweiht sein und politisch auseinanderfallen. Heute bedeutet die Sicherung der Zukunft unserer Kinder nicht mehr nur die Investition in ihre Ausbildung und gesundheitliche Versorgung, sondern auch die Investition in Programme zur Umkehrung der Trends, die ihre Zukunft gefährden.

Als Individuen sollten wir unsere Mitgliedschaft in Umweltschutzgruppen und in Organisationen fortsetzen, die sich mit dem Problem des Bevölkerungs­wachstums auseinandersetzen. Wir müssen die lokalen Recyclingprogramme verbessern und unser Wahlrecht mit unseren Brieftaschen ausüben. Der Kauf von Strom aus erneuerbaren Energiequellen trägt beispielsweise dazu bei, Investitionen in erneuerbare Energiequellen zu fördern. Wir müssen auch weiterhin alles tun, was wir bisher schon getan haben, um die Umwelt zu schützen. Doch das allein ist nicht genug. Wir tun all diese Dinge bereits seit 35 Jahren und wir haben eine ganze Reihe kleiner Schlachten gewonnen, doch wir sind dabei, den Krieg zu verlieren.

 

Die beiden allergrößten Herausforderungen bestehen in der Neuordnung der Besteuerung und der Neufestlegung der finanziellen Prioritäten. Zur Rettung unserer Zivilisation muss die Wirtschaft umstrukturiert werden — und zwar in der gleichen Geschwindigkeit, als ginge es um eine Mobilmachung zum Krieg.

Es bedeutet auch, dass wir die Steuern so umlagern müssen, dass der Markt in ökologischer Hinsicht ehrlich ist. Und es bedeutet, die finanziellen Prioritäten so zu setzen, dass die Ressourcen freiwerden, die wir zur Sanierung unserer Erde, zur Ausrottung der Armut und zur Stabilisierung der Bevölkerungszahlen benötigen. Wenden Sie sich mit Briefen oder E-Mails an Ihren gewählten Volksvertreter und machen Sie ihm klar, dass das Steuersystem umstrukturiert werden muss, um einen ehrlichen Markt zu schaffen. Erinnern Sie ihn daran, dass die Firmen, die bestimmte Kosten in ihren Büchern nicht aufgeführt hatten und kurzfristig zu florieren schienen, langfristig untergegangen sind.

Oder noch besser: Treffen Sie sich mit Ihren gewählten Volksvertretern und reden Sie mit ihnen darüber, warum die Ökosteuern erhöht und die Einkommensteuern gesenkt werden müssen. Arbeiten Sie mit gleichgesinnten Freunden und Bekannten daran, dieses Ziel zu erreichen. 

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Stellen Sie eine Delegation zusammen, die sich dann mit Ihrem gewählten Volksvertreter trifft. Sie können auch gern die Informationen über die im vorangegangenen Kapitel beschriebenen Umstrukturierungen im Steuerbereich auf unserer Website downloaden und sie bei ihren Bemühungen benutzen.

Wenn es uns nicht gelingt, das Steuersystem so zu verändern, dass der Markt in ökologischer Hinsicht ehrlich wird, werden wir es mit einiger Sicherheit nicht schaffen, unsere Zivilisation zu retten.

Wir sollten unsere politischen Vertreter wissen lassen, dass eine Welt, die jedes Jahr fast eine Billion Dollar für militärische Zwecke ausgibt, völlig den Kontakt zur Realität verloren hat, und das zu einer Zeit, da die Zukunft unserer Zivilisation auf dem Spiel steht. 

Fragen Sie sie, ob es unangemessen ist, 161 Milliarden Dollar pro Jahr zur Rettung unserer Zivilisation auszugeben. Fragen Sie sie, ob es zu kostspielig wäre, ein Sechstel der weltweiten Militärhaushalte für die Rettung unserer Zivilisation zur Verfügung zu stellen.

 

Wenn sie gut im Schreiben sind, versuchen Sie sich an einem Artikel für ihre Lokalzeitung über die Notwendigkeit zur Erhöhung der Steuern auf ökologisch zerstörerische Aktivitäten und zum Ausgleich dieser Steuererhöhung durch eine Senkung der Einkommensteuern. Schreiben Sie einen Leserbrief. Organisieren Sie eine Briefkampagne und rufen Sie die Leute auf, sich zu diesem Thema an ihre gewählten Volksvertreter und die lokalen Medien zu wenden.

Setzen Sie sich dafür ein, dass die Ausrottung der Armut, die Bereitstellung von Möglichkeiten der Familienplanung und Bemühungen zur Wiederaufforstung in die internationalen Hilfsprogramme mit aufgenommen werden. Bemühen Sie sich darum, dass diese Fördermittel erhöht und die Ausgaben für militärische Zwecke gesenkt werden und weisen Sie darauf hin, dass fortschrittliche Waffensysteme im Umgang mit den neuen Bedrohungen für unsere Zivilisation nutzlos sind. Irgend jemand muss sich für unsere Kinder und Enkelkinder einsetzen, denn es sind ihre Welt und ihre Zukunft, die auf dem Spiel stehen.

Und denken Sie immer daran: 

Auch wenn diese Situation eine große Herausforderung darstellt — es gibt überall auf der Welt schon Anzeichen für die neue Wirtschaft. Wir sehen sie in den Windfarmen in Europa, der schnell wachsenden Flotte von Fahrzeugen mit Benzin-Elektro-Hybridantrieb in den Vereinigten Staaten, den wieder bewaldeten Hügeln in Südkorea, den Familienplanungs­programmen im Iran, den massiven Bemühungen zur Bekämpfung der Armut in China und den Solardächern in Japan.

Sie und ich — wir haben die Wahl. Wir können weitermachen wie bisher und einer Wirtschaft vorstehen, die ihre natürlichen Stützsysteme solange weiter zerstört, bis sie sich am Ende selbst zerstört, oder wir können Plan B umsetzen und die Generation sein, die den Richtungswechsel einleitet, der die Welt zurückführt auf einen Weg, bei dem der wirtschaftliche Fortschritt erhalten werden kann. Unsere Generation wird diejenige sein, die die Wahl trifft, doch unsere Entscheidung wird das Leben aller Generation nach uns auf dieser Erde beeinflussen. 

371-372

 

 E n d e

 

39) Diamond, op. cit. Note 8; Ronald Wright, A Short History of Progress (New York: Carroll and Graf Publishers, 2005);
Jeffrey Sachs. "Can Extreme Poverty Be Eliminated?" Scientific American, September 2005. S, 56-65; 
Amory Lovins, "More Profit with Less Carbon,' Scientific American, September 2005, S. 74-82.

 

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