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Mehr Christoph Brumme 

 

 

 1. Buch 1994

 

Bedingt verteidigungsbereit
Christoph D. Brumme hat einen allzu normalen DDR-Roman geschrieben
tagesspiegel.de  1997   Von Kolja Mensing  

Kian ist ganz normal. Gerade achtzehn Jahre alt geworden, lebt er in einem DDR-Provinznest und ist durch und durch von der realexistierenden sozialistischen Langeweile der späten siebziger Jahre geprägt. Nach der Schule fällt ihm darum auch nichts Besseres ein, als sich für die Unteroffiziers­lauf­bahn bei der NVA zu entscheiden. Leute wie ihn brauche man, meinte der Werber: "Sportlich, gutes Zeugnis. Und denken Sie an die Perspektiven, die wir Ihnen bieten."

Perspektiven? - Christoph D. Brumme schreibt in seinem neuen Roman "Tausend Tage" von der hoffnungslosen Normalität im anderen Deutschland. Dazu veranstaltet er ein Experiment; er testet den braven Jungbürger Kian unter den Extrem­bedingungen des abgeschlossenen Systems "Nationale Volksarmee". Das könnte lustig werden und aufschlußreich: Der reichlich unlockere Kian stolpert durch Kasernengänge und Ideologiegebäude, marschiert blind und zielsicher durch die Fettnäpfchen eines maroden, nur bedingt verteidigungsbereiten Männervereins. Und stochert mit dem Starrsinn des Naiven in der Melange aus verbohrtem Militarismus, Antisemitismus und blanker Stumpfheit.

Nun kann so ein Experiment recht schnell langweilig werden. Brumme weiß das und möchte Kian daher auf seinen tapsigen Wegen mit einer hellsichtigen und gleichzeitig witzigen Sprache begleiten. Das klingt dann so: "Vor Kian lief in der Marschformation einer, dessen Hals von Pickeln übersät war. Die Kassiopeia las Kian in die Pickel hinein und den Großen Wagen. Das waren die einzigen Sternbilder, die er kannte. Alle Übungen galten dem Feind." - Nicht schlecht. Aber auch nicht besonders komisch.

Gewagte Assoziationsketten, ein bißchen Parataxe und ein ironischer Plauderton allein halten keine ganze Erzählung zusammen, und allzu deutlich drängelt sich der Wille zur Pointe in vielen Absätzen in den Vordergrund. Ein kräftiger, kopierter Schuß Karl Valentin entlädt sich so zum Beispiel als stilistischer Rohrkrepierer: "Kian wurde zum Stromversorgungs­aggregatemechaniker ausgebildet. Als Stromversorgungs­aggregatemechaniker hatte er Stromversorgungsaggregate zu warten und zu bedienen." Und?

Brumme war vor drei Jahren mit seinem Debütroman "Nichts als das", dem Bericht von einer traumatischen Kindheit im Ostharz, als sprachbesonnener, kluger Autor hervorgetreten. In "Tausend Tage" zerrt er nun lustlos an den Registern der Stilorgel, will amüsant sein, ermüdet nur. Sein ehrenwerter Versuch, unter den Uniformmänteln der Nationalen Volksarmee die grotesken Kontinuitäten der deutschen Geschichte zu finden - angefangen vom Soldatenjargon, der die Wassertropfen der Mannschaftsdusche nach dem in Auschwitz verwendeten Giftgas "B-Kristalle" nennt - scheitert.

Jeden Inhaltsbrocken läßt Brumme leichtsinnig in seiner trüben Stilsuppe untergehen: Kalauer statt Klarsicht. Und der Leser? Enttäuscht. Er hatte sich wieder einmal von einem sogenannten "DDR-Roman" tiefere Einsicht erhofft als die, daß dieser ganze Staat nichts als ein schlechter Witz war.

 

DIE ZEIT     41 / 1997      Von Hajo Steinert
Das brennende Ei   ---  "Tausend Tage" 
Christoph D. Brumme erzählt vom Alltag in der Nationalen Volksarmee

 

Tausend Tage bei der Nationalen Volksarmee - das kann kein Zuckerschlecken sein. Die Marmelade ist verschimmelt, die Wurst angegammelt, Ratten laufen vor der Kaserne durch den geharkten Sand. Von morgens bis abends Kniebeugen, "Rührt euch", "Stillgestanden", Laufschritt, Sturmgepäck, Stubenkontrolle, Drill und Schikane. Alles ganz gräßlich, aber ein prima Erzählstoff, im wirklichen wie im literarischen Leben.

"Nehmen Sie die Hände vom Sack. Wichsen können Sie später!" brüllt der Leutnant, um des Soldaten Gefühlsregung schon im Keim zu ersticken. Jede Privatheit wird einem hier ausgetrieben. Und im Politunterricht Parolen über Parolen, man kann sie sich denken. Da muß einer doch die Krise kriegen.

Kriegt er nicht. Zumindest nicht der Held dieses Romans. Dem achtzehnjährigen Kian bietet das Militär einen Ausweg aus der Krise, die einen anderen Namen hat als NVA: Familie. Endgültig leid war er die gehäkelten Tischdeckchen, Vaters Pantoffeln im Flur, erst recht dessen Gebrüll. Im Traum hatte er seinem Vater schon den Kopf abgeschnitten, seiner Mutter die Finger, sich selbst den Penis. Warum der junge Mann allerdings auch noch von Hitler träumt, bleibt das psychoanalytische Geheimnis des Autors. Wäre noch Kathrin, die Miederwarenverkäuferin. Sie backt zwar den besten Kuchen, das erhoffte andere Leben indes bietet sie dem Helden nicht. Außer Küßchen auf die Wange und einem läppischen Petting auf dem Wohnzimmersofa ist nichts drin.

"Er wollte etwas erreichen, was niemand außer ihm erreichen konnte. Er wollte verblüffen, aber er wußte noch nicht, womit." Freiwillig und für drei Jahre geht Kian zur Nationalen Volksarmee und macht dort Karriere. Keine Opfergeschichte also, kein Dokument permanenter Unterdrückung wie Jürgen Fuchs' autobiographischer Roman aus dem DDR-Soldatenmilieu, "Fassonschnitt" (1984) Brumme bürstet die Erwartungen des Lesers gegen den Strich. Kian wird erst Unteroffizier, dann Sekretär, schließlich bietet ihm - wegen guter Führung - der Geheimdienst einen Job an. Der Pakt mit dem Teufel wird in letzter Minute eher zufällig vereitelt. Das Happy-End findet eine andere teuflische Pointe.

Christoph D. Brummes detailfreudige, sehr atmosphärische, bisweilen etwas kabarettistische Innenschau einer NVA-Kaserne der achtziger Jahre hätte zu großen Teilen auch in einer Bundeswehrkaserne entstehen können. 

An Politik ist der Autor genauso wenig interessiert wie seine Hauptfigur. Der Erzähler erwähnt zwar die Gewerkschaftsstreiks 1980 in Polen, doch für das Buch spielen die Ereignisse, welche auch die NVA in Alarmbereitschaft versetzten, keine besondere Rolle. Nach Jens Sparschuh ("Der Zimmerspringbrunnen") und Thomas Brussig ("Helden wie wir") ist Christoph D. Brumme (Jahrgang 1962) ein weiterer jener jüngeren Autoren mit DDR-Biographie, die in ihren Texten zweierlei vermeiden wollen: Bierernst und Larmoyanz.

Allerdings: Brummes schnittiger Roman schlägt eine Kapriole nach der anderen von dem Moment an, da seine Briefgeliebte Kian abblitzen läßt. Sie interpretiert - tragisch für ihn - mehr in seine Kontakte zum Geheimdienst hinein, als tatsächlich dahintersteckt. Um den wahren Grund seiner Trauer vor den Kameraden zu verbergen, versteigt er sich in eine aberwitzige Lüge. Seine Freundin sei an Krebs erkrankt, deshalb bekomme er keine Liebesbriefe mehr von ihr. Mit dieser Lüge - auch aus Sicht des Autors eher ein erzählerischer Noteinfall - setzt sich der Erzähler unter Druck und treibt seine Geschichte in die Schnurre.

Christoph D. Brumme ist nicht nur Opfer der Versuchung geworden, vor trostloser Kulisse eine auf Teufelkommraus abwechslungsreiche Geschichte zu bieten, sondern auch Opfer seiner Erzählkonstruktion. Einerseits wollte er aus der Perspektive seines Simplizissimus schreiben, andererseits — der Roman ist nicht in der Ich-Form gehalten — hat er noch eine Erzählerfigur vorgeschaltet, die die Irrungen und Wirrungen des Glücksritters unglücklich kommentiert.

Sicher, der Autor wird für sich das Stilmittel der Ironie reklamieren. Wenn Ironie, so ist sie in dieser Tragikomödie allerdings von allzu durchsichtiger Art. Die Unsicherheit des Autors beim Wechsel der Erzählperspektive führt zu sprachlicher Unentschiedenheit. Mal stößt der Leser auf steifleinene Sätze ("Die Bandbreite der Schikanen, die vor allem Entlassungskandidaten sich für Soldaten des ersten Diensthalbjahres ausdachten, waren unendlich weitgefächert"), mal auf schiefen Expressionismus ("Die Sonne hing als brennendes Ei am Himmel, bereit, herunterzufallen"). Schade, Christoph D.

Brummes zweiter Roman konnte nicht halten, was sein Debüt ("Nichts als das") vor drei Jahren versprach. Sein erzählerisches Talent hat er dieses Mal an eine krause Geschichte verschwendet — "Er wollte verblüffen, aber er wußte noch nicht, womit". 

 


Klappentext 3. Roman  Süchtig nach Lügen 

Zwei Mittdreißiger im Labyrinth einer leidenschaftlichen Beziehung - eine mitreißende Geschichte von Liebe, Hass, Unterwerfung und Machtphantasien. Mit bitterer Komik führt Christoph D. Brumme ein Liebesverhältnis vor, das zum Verhängnis wird. Bei ihrer ersten Begegnung ist klar, dass etwas noch nie Dagewesenes beginnt. Hannah zieht ihre Ringe von den Fingern und erzählt zu jedem eine Geschichte. Alle handeln von Fluchten, und sie ziehen ihr Gegenüber unwiderstehlich in ihren Bann. Folgerichtig endet der erste Abend im Bett. Hannah und der namenlose Erzähler werden ein Paar, obwohl sie sich weigert, ihre Kleider abzulegen. Überhaupt bleibt ihr Verhalten rätselhaft ...

Rezensionen - Neue Zürcher Zeitung vom 06.03.2003

Um die Liebe geht es in Christoph Brummes neuem Roman, vielmehr um das Reden über die Liebe, um hinlänglich bekannte "Wort- und Scheingefechte", wie Rezensentin Claudia Kramatschek es nennt, Dialoge, die die Liebe häufig schon verraten, bevor sie richtig beginnt und die nicht selten, wie auch im vorliegenden Roman, in körperliche Gewalt umschlagen. Kramatschek findet, dass Brumme die Gestaltung dieses altbekannten Phänomens wunderbar gelungen sei. Besonders lobt sie seinen schwarzen Humor und den Sinn für das groteske Detail und bemerkt abschließend, dass Brumme nach seinem strahlenden Debüt "Nichts als das" von 1994 und dem darauf folgenden Totalverriss seines 1997 erschienenen zweiten Buches nun eine "unterhaltsame Rückkehr gelungen" sei.

Rezensionen - Die Zeit vom 02.10.2002

Der Titel ist irreführend und verharmlosend, warnt Katharina Döbler, er werde dem explosiven Inhalt des Romans keineswegs gerecht. Auch die ersten Seiten des Romans wirkten noch harmlos, wie eine dieser hyperrealistischen Liebesgeschichten mit viel Sex, die zumindest Döbler nicht mehr aufgetischt bekommen möchte. Doch schon im vierten Kapitel landet der Leser dort, wo andere Liebesromane längst zu Ende sind: in der Ehehölle. Szenen einer Ehe, die Döbler in Kraft und Bösartigkeit ihrer Dialoge teilweise an Edward Albees "Wer hat Angst vor Virginia Woolf?" erinnern. Überhaupt findet sie mehr dramatische als epische Elemente in diesem Roman, der ein ganzes Feuerwerk an Wortgefechten, Beleidigungen, Anschuldigungen abbrennt, um dann wieder in banalste Alltäglichkeit von schneidender Kälte zu fallen. Es ist wie beim Fechten, meint Döbler, gewinnen kann keiner, Verletzungen tragen beide davon. Brummes Blick bleibe mitleidlos. Einziges Manko scheint Döbler, dass die Rollenverteilung - männlich, weiblich, stark, schwach - ziemlich lange eindeutig bleibt, doch auch dieses "Gleichgewicht des Schreckens" komme am Ende ins Wanken. Die Kampfmethoden werden zusehends unkonventioneller, versichert Döbler.

 

 

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