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1 BlackRock - Der mächtigste Konzern, den keiner kennt
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Es ist ein Pflicht-Stopp auf der Liste von New-York-Touristen: die Wall Street. Da ist der bereits heisere Reiseleiter, der mit einem Regenschirm fuchtelt und eine Gruppe Chinesen vor die neoklassizistische Fassade der New Yorker Leitbörse dirigiert. Dort sammeln sich kichernde Teenager aus dem Mittleren Westen Amerikas um ihren genervten Lehrer. Man hört spanisch, japanisch und deutsch. Ständig werden Handys und iPads gezückt, Selfies gepostet. Hier, so vermuten die Besucher, hier also ist das Zentrum unseres Finanzsystems, hier ist die mächtigste Institution des Kapitalismus.
Sie irren.
Die mächtigste Institution unseres Finanzsystems befndet sich sechs Kilometer weiter nördlich, fünf Stationen mit der grünen U-Bahn-Linie. Sie verbirgt sich in einem jener verglasten Bürotürme, wie sie längs der Straßenschluchten in New York zu Dutzenden in den Himmel ragen. Wer die Straße in Midtown Manhattan ent langeilt, muss genau hinsehen, um den Namen über den Drehtüren zu entdecken. BlackRock.Der mächtigste Konzern der Welt. Eine Institution, wie es sie nie zuvor gegeben hat.
BlackRock ist ein Vermögensverwalter. Aber das ist so, als wenn man sagen würde, Versailles sei ein Sommerhaus oder die Pyramiden ein Haufen Grabsteine. Keine Großbank, kein Versicherer hat diese Reichweite. Goldman Sachs, die Deutsche Bank, die Allianz – sie alle verblassen dagegen.
Keine Regierung und keine Zentralbank hat diesen Einblick in die Wirtschaft. Aber vor allem: Niemand beherrscht so viel Kapital. BlackRock verwaltet 4,6 Billionen Dollar in seinen Fonds. Das übersteigt das deutsche Bruttoinlandsprodukt um fast eine Billion Dollar. 80 Millionen Deutsche müssen länger als ein Jahr lang arbeiten, um diese Summe zu erwirtschaften. Und das ist längst nicht alles. Über die Analyse- und Handelsplattformen des Unternehmens fließen über 14 Billionen Dollar. Eine Zahl mit 12 Nullen. 14.000.000.000.000 Dollar (siehe Grafk 1). Damit laufen inzwischen über 5 Prozent aller Finanzwerte weltweit – Aktien, Anleihen, Devisen, Kreditbriefe, Derivate und Zertifkate – über die Systeme eines einzigen Unternehmens: BlackRock.
Von dem nichtssagenden Büroturm in Midtown Manhattan spinnt BlackRock seine Fäden über den ganzen Globus. Wie ein Krake hat der Finanzkonzern seine Tentakeln bis fast in den letzten Winkel der Welt ausgestreckt. In 100 Ländern sind die Amerikaner aktiv. Zu BlackRocks Netz gehören Büros in Bogota, in Brisbane, in Bratislava, außerdem Niederlassungen in München, Melbourne und Montreal, in Kapstadt, Kuala Lumpur und Kopenhagen.
BlackRocks Vertreter gehen in Finanzministerien ein und aus. Sie beraten die Fed, die US-Notenbank, genauso wie die Europäische Zentralbank (EZB). Zu den Kunden zählen Kaliforniens Calpers, mit 300 Milliarden Dollar der größte amerikanische Pensionsfonds, genauso wie die Abu Dhabi Investment Authority, der Staatsfonds des glitzernden Öl-Reichs von Dubai, und der Investmentarm von Singapur. BlackRocks Lobbyisten kneten die Regulierer in W ashington, DC, und auch die in Brüssel. BlackRock ist Großaktionär bei JP-Morgan Chase, Citigroup und Bank of America – den größten Banken der Welt. BlackRock ist zudem einer der führenden Aktionäre der Öl-Giganten ExxonMobil und Chevron. Und auch von Apple, McDonald’s und dem Schweizer Nestlé-Konzern. Die New Yorker sind auch längst die größten Eigentümer der Deutschland AG. Sie halten Anteile an jedem Dax-Unternehmen. Sie sind an Deutschlands größtem Baukonzern Hochtief genauso beteiligt wie an dessen kleinerem Rivalen Bilfnger.
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BlackRock hält Anteile am europäischen Luft- und Raumfahrtriesen Airbus und an der Corrections Corporation, dem führenden Betreiber privater Gefängnisse der USA. Am Gentechnikgiganten Monsanto hält BlackRock genauso Anteile wie an den Rüstungsriesen Raytheon, Lockheed Martin und General Dynamics, die alle an der Ausstattung von US-Drohnen und den dazugehörigen Raketen beteiligt sind. (Stand: April 2015)
Die New Yorker haben sich Immobilien von Köln bis München gesichert. Bei Kleinanlegern ist iShares, der Anbieter der beliebten ETF-Fonds, bekannt und beliebt – kaum einer weiß, dass auch iSha-res zum BlackRock-Imperium gehört. 2014 erreichte das in iShares angelegte Kapital über 1 Billion Dollar. »Wir waren die Nummer eins der Branche mit den meisten ETF-Zufüssen in den USA, Europa und global«, verkündete BlackRock bei der Präsentation der Jahresbilanz. In 41 Ländern der Welt verwaltet BlackRock Privatkundengelder von jeweils mehr als 1 Milliarde Dollar.
Auch im Devisen- und Rohstoffgeschäft dreht BlackRock mit am Rad. Wenn Bergleute in Brasilien Eisenerz abbauen oder Arbeiter in Malis Goldminen schuften, dann proftieren am Ende BlackRocks Fonds. Evy Hambro, Spross einer einst einfussreichen britischen Bankerfamilie, ist verantwortlich für 20 Milliarden Dollar, die in Fonds wie dem BlackRock World Mining Fund stecken. Wenn Hambro spricht, so berichtete einmal der Sydney Morning Herald, hören die CEOs und Aufsichtsräte der wichtigsten Rohstoffkonzerne der Welt nicht nur aufmerksam zu, sondern sie handeln auch. Hambros Fonds hält große Aktienpakete am australisch-britischen Minenbetreiber BHP Billiton, dem Schweizer Konglomerat Glencore und dem Goldproduzenten Randgold Ressources sowie dem russischen MMC Norilsk Konzern, einem der größten Produzenten von Nickel und Palladium, und Freeport McMoRan, dem größten Kupferproduzenten der Welt. Das sind die Big Mining Companies und Rohstoffhersteller, die Riesen, die praktisch die gesamte Wirtschaft rund um den Globus mit Rohmaterial und Edelmetallen versorgen.
»In einem Land, in dem große Minenbetreiber beschuldigt werden, die Regierung zu kontrollieren, ist es interessant zu sehen, welchen Einfuss Hambro ausübt«, heißt es in einem Porträt des BlackRock-Fondsmanagers im Sydney Morning Herald aus dem Jahr 2013. Und die australischen Zeitungsmacher fragen: Wer zieht die Fäden im Hintergrund?
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Es gibt keinen größeren Konflikt auf der Welt, bei dem nicht auch die Interessen der New Yorker betroffen sind. Etwa Russlands Übergriff auf die Ukraine im Jahr 2014: Da fanden sich BlackRocks Interessen plötzlich eigentümlich auf der Linie Wladimir Putins. Zwar kritisierte Larry Fink den starken Mann von Moskau öffentlich. So erklärte er in einem Interview mit der Londoner Sunday Times im März 2014, Putin könne nicht derart »herumspielen«, wenn er westliches Kapital haben wolle. Fink verwies dabei auf den Einbruch, den die Moskauer Börse erlitt, weil ausländische Investoren ihr Kapital abzogen. »Die Kapitalmärkte haben Russland vernichtet«, sagte er damals. Das konnte man als Drohung verstehen, dass auch BlackRock sich aus Putins Russland zurückziehen würde. BlackRock blieb jedoch trotz der Vorgänge in der Ukraine in dem Land weiter engagiert oder war es zumindest bis Anfang 2015.
Laut einer Beschreibung für den BlackRock Emerging Europe Fund zählten zu dessen zehn größten Investments (zum 31. Januar 2015) unter anderem der führende russische Energiekonzern Gazprom sowie die Nummer zwei Lukoil und die Nummer drei der Branche, der sibirische Öl- und Gasförderer Surgutneftegas, der enge Beziehungen zu Putin haben soll. (Im Mai 2015 fndet sich Surgutnef-tegas dann nicht mehr unter den Top 10 des Fonds.) Auch auf der Liste der Top-Investments: Die Sberbank, die zu 50 Prozent der russischen Zentralbank gehört, und desweiteren – zumindest bis Anfang 2015 – war Luxoft, ein Ableger des Moskauer Software-Unternehmens IBS, im Portfolio. Der Fonds war bis zu dem Zeitpunkt mit über 40 Prozent seines Anlagekapitals in Russland engagiert. BlackRock gehörte auch zu den Investmentpartnern des staatlichen Russian Direct Investment Fund. Von BlackRock gab es zu der Frage, ob das Unternehmen weiter bei Russian Direct engagiert ist, keine Antwort.
Fest steht: Es gibt kaum eine wichtige Transaktion in der Wirtschaft, bei der die New Yorker Herren des Geldes nicht zumindest informiert sind.
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Mit Absicht unter dem Radar
Und doch kennen den Giganten nur sehr aufmerksame Leser der Finanzseiten. Larry Fink, Gründer und CEO von BlackRock, ist nur wenigen außerhalb der Wall Street ein Begriff. Trotz der ungeheuren Größe und des nie dagewesenen Einfusses haben es die New Yorker geschafft, weitgehend unter dem öffentlichen Radar zu bleiben. Das ist Absicht.
Während die Investmentbank Goldman Sachs sich für 2,1 Milliarden Dollar vom Stararchitekten Henry Cobb einen Palast mit Blick auf den Hudson hinklotzen ließ und Bank of America in einem 55 Stockwerke hohen Turm mit allen Rafifnessen moderner Technologie nahe dem Times Square in Manhattan residiert, hat BlackRock auf einen protzigen Repräsentationsbau verzichtet.
Wer das New Yorker Hauptquartier betritt, findet sich in einer Einkaufspassage wieder. Dezente Klaviermusik umfängt die Besucher. Es gibt einen Starbucks Coffeeshop und einen Zeitungsladen, der auch Lotterielose und Kaugummis verkauft. Der italienische Edelschneider Brioni – Anzüge von 3.000 bis 7.000 Dollar und aufwärts – hat ein Geschäft hier. Die Verkäuferin beim Schweizer Chocolatier nebenan schaut verwirrt. BlackRock? Die sind im zweiten Stock. Was das Unternehmen macht? Keine Ahnung, zuckt sie die Schultern. »Am besten googeln Sie es!«, rät sie.
Hinweise auf BlackRocks Bedeutung fnden sich auch im zweiten Stock nicht. Hinter einem langen grauen Beton-Tresen fertigen zwei Empfangsleute Anzugträger ab. Selbst die Schalterhalle der Post macht mehr her. (Im Mai 2015 befand sich die Lobby im Umbau – vielleicht war es Fink dann doch zu bescheiden.)
Die Jungs von BlackRock haben es allerdings auch gar nicht nötig, durch protziges Imponiergehabe zu beeindrucken. Vor ihnen fürchtet sich die Wall Street. Denn Larry Fink und seine Jungs können darüber entscheiden, wer als Investmentbanker Karriere macht und wer sein weiteres Berufsleben als Erbsenzähler irgendwo in den Hinterzimmern der Finanzbranche fristen muss. Denn BlackRock ist nicht nur dank der Aktienanteile, die der Vermögensverwalter hält, Miteigen-
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tümer bei den großen Finanzinstituten, sondern auch der Kunde Nummer eins für die Banker. »Wenn BlackRock aus irgendeinem Grund keine Deals mehr mit Goldman Sachs machen wollte, dann wäre das ein Problem – für Goldman«, sagt ein Veteran der Wall Street, der wie so viele in der Branche nur redet, wenn sein Name nirgendwo auftaucht. Ein anderer Informant zieht plötzlich zurück. Er habe möglicherweise ein Angebot, bei BlackRock anzufangen. Deswegen wäre es ihm gar nicht recht, öfentlich über deren Geschäftsgebaren zu sprechen. Eigentlich will er gar nicht mehr über BlackRock sprechen. Auf die Frage, was denn der in Aussicht gestellte Job bei BlackRock sei, sagt der gestandene Banker: »Egal, was Larry mir bietet, und wenn ich in der Cafeteria den Boden schrubben muss.«
Bei Cocktail-Empfängen antworten Investmentbanker auf Fragen nach BlackRock mit vielsagenden Blicken und dem Spruch, da gäbe es viel zu erzählen, aber man wolle das lieber nicht nach draußen tragen. Was sie nicht sagen, aber wohl denken: Ich habe eine unbezahlte Vorstadtvilla, Kinder auf der Privatschule, eine teure Freundin und eine noch teurere Exfrau. Hunderte Millionen Dollar erhalten die Banken und Brokerhäuser von BlackRock jedes Jahr. Wer will es sich verscherzen mit so einem wichtigen Brötchengeber?
BlackRocks Macht ist nur geliehen – es ist unser Geld
Bei all seiner Macht ist BlackRock ein Emporkömmling. Die Geschichte von JPMorgan Chase, der größten amerikanischen Bank, reicht zurück auf Finanzlegende John Pierpont Morgan und bis ins Jahr 1895. Citigroups Vorläufer wurde 1812 gegründet und fnanzierte später den Panamakanal. Die Bank of New York Mellon, eine der wichtigsten globalen Treuhänderbanken, kann sogar auf Gründervater Alexander Hamilton verweisen, den ersten Finanzminister der damals jungen Nation und Erfnder des amerikanischen Kapitalismus. Fink hat sein Imperium dagegen in etwas mehr als zwei Jahrzehnten zusammengezimmert. Ein Start-up, gegründet buchstäblich im Hinterzimmer der Private-Equity-Gesellschaft Blackstone.
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Von deren Gründern Stephen Schwarzman und Pete Peterson erhielt Larry Fink 1988 eine Kreditlinie von 5 Millionen Dollar und eine Telefonleitung – Kleingeld nach Street-Maßstäben. Aus der Klitsche entstand BlackRock. Ein Erfolg, der Fink selbst bei den abgebrühtesten WallStreet-Bossen den Status eines absoluten Top-Dogs gibt. Er selbst sieht das ofenbar genauso. Von der CNBC-Reporterin Becky Quick 2010 befragt, was sein schlimmster Fehlgrif gewesen sei, gab Fink zur Antwort, nach seinem Abgang bei First Boston »nicht das Selbstvertrauen gehabt zu haben, eine eigene Investmentfrma für Risikomanagement aufzumachen«. Stattdessen habe er sich an Schwarzman und Peterson gewandt. »Die glaubten mehr an mich als ich selbst. Sie trafen die richtige Investmententscheidung, ich nicht.« Genau, so witzelte die Wall-Street-Klatschwebseite Dealbreaker daraufhin, Schwarzman und Peterson trafen die richtige Entscheidung, weil sie das Genie von Fink erkannten. Fink selbst dagegen habe den »goldenen Gott nicht erkannt, der ihm im Spiegel entgegensah«.
Und doch: BlackRocks Macht ist eine geliehene Macht: Sie speist sich aus unserem Geld, dem Geld von Kleinsparern, Pensionären, den Finanzabteilungen von Unternehmen, den Prämien von Versicherungsnehmern und den Beiträgen privater Rentenversicherter, aus den Spenden für wohltätige Zwecke und den Abgaben von Steuerzahlern. OPM – damit spielt die Wall Street am liebsten. Im Klartext: OPM oder Other People’s Money. Dieses Geld fießt in immer größere Pools. Nicht nur BlackRock proftiert davon. Innerhalb der nächsten fünf Jahre, so eine Studie der Wirtschaftsprüfer von Price water houseCoopers, werden Vermögensverwalter weltweit über 100 Billionen Dollar in ihren Konten angesammelt haben. Das ist 25-mal so viel wie das deutsche Bruttoinlandsprodukt (3,8 Billionen Dollar 2014 laut IWF). Geld, das vor allem aus den USA und Europa kommen wird, aber zunehmend auch aus Asien, Afrika und dem Mittleren Osten.
Larry Fink und seine Geldeinsammler wollen sicherstellen, dass das meiste davon in ihren Konzern fießt. Finks erklärtes ehrgeiziges Ziel: BlackRock soll jedes Jahr um weitere 5 Prozent wachsen. Dabei ist sein Laden mit seinen 4 Billionen Dollar jetzt schon mit Abstand der Branchenprimus, die Allianz mit immerhin mehr als 2 Billionen Dollar praktisch eine abgeschlagene Nummer zwei.
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Es ist unser Geld, und doch wissen nur Eingeweihte, wohin es fießt, was es bewegt, wen es bezahlt. Die Wall Street, zynisch und abgebrüht wie die Jungs dort sind, unterscheidet »smart money« und »dumb money« – letzteres sind allzu oft die normalen Anleger. Es gibt einen Grund, warum sich die Bezeichnungen so eingebürgert haben. Wir geben unser Erspartes BlackRock und Co. gegen das Versprechen von Rendite und Sicherheit. Ohne wirklich nachzufragen, was damit geschieht. Abgeschreckt von einem Finanzsystem, das zu kompliziert und vielleicht auch zu langweilig erscheint, um sich als Normalbürger zu bemühen, die Vorgänge wirklich zu verstehen. Und bei den Machern besteht keine Veranlassung, uns zu informieren.
Und so weiß kaum jemand, was genau mit den Geldströmen passiert. Noch brisanter ist, dass niemand weiß, welche Risiken ein solcher Berg an Kapital birgt. Weder Finanzexperten an den Universitäten noch Regulierungsbeamte in ihren Amtsstuben. Politiker schon gar nicht. Finks Argument lautet deswegen auch: Wenn man es nicht erkennen kann, dann gibt es eben auch kein Risiko. Doch in der Geschichte hat sich gezeigt: Die wirklich gefährlichen Risiken sind die, die man nicht absehen kann. Gefahren, die man sich nicht einmal vorstellen kann. »T. B. D.« im Jargon der Risikomanager, das steht für »There Be Dragons« – jenseits der normalen Wahrscheinlichkeiten lauern Drachen.
Die Geschichte BlackRocks ist die Geschichte eines Machtwechsels an der Wall Street. Es ist die Geschichte eines brillanten Puzzle-Spielers. Es ist die Geschichte eines Mannes, den eine Demütigung dazu treibt, den größten Koloss der Finanzgeschichte zu bauen.
Es ist eine Geschichte, in der wir die unwissentlichen Mitspieler waren. Bis jetzt.
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2 GESTATTEN, DER NEUE GROßEIGNER DER DEUTSCHLAND AG
Das Landschloss im Hessischen teilt das Schicksal vieler alter Adelssitze, es ist heute, wie es so schön heißt, ein Hotel und Tagungszentrum. In den holzgetäfelten Galerien haben sich Gruppen von Anzugträgern zusammengefunden. Sie nippen an Espressos und »net-worken«, was das Zeug hält. Schilder weisen auf die Veranstaltungen des Tages hin. Es geht um Themen wie »Europa, mehr als die Summe seiner Teile« oder »Investieren im Niedrigzinsumfeld«.
Im Publikum sind in der Mehrheit Vertreter von kleineren und mittleren Banken und Sparkassen, die aus ganz Deutschland angereist sind. Referate von Professoren sorgen für die nötige Gravitas. Für Fondsanbieter sind solche Veranstaltungen das, was Verbrauchermessen für die Verkäufer von Gemüsehobeln sind. Dort gilt es, Werbung zu machen für sich und seine Produkte. Der Vertreter von BlackRock ist Brite und er lässt wenig Zweifel daran, dass er sich in der Provinz wähnt. »Als Erstes werden Sie ja feststellen, dass ich englisch rede«, begrüßt er einen verdatterten Teilnehmer. »Es gibt keine sichere Rendite«, schärft der BlackRock-Vertreter seinen Zuhörern ein. Umso wichtiger, so lässt er durchblicken, dass man einen weltläufgen starken Partner hat. BlackRock sei ja bekanntermaßen der größte Vermögensverwalter. Der Mann aus London klärt die Runde über die Überlegenheit von »Multi-Asset-Managern« auf, Fondsmanagern, die nicht auf Aktien oder Anleihen festgelegt sind, sondern das Geld ihrer Anleger in verschiedene Werte stecken – je nachdem, was ihnen attraktiv er scheint.
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Er selbst ist auch einer dieser Tausendsassas der Finanzwelt. Der BlackRock-Mann ist routiniert. Dass keine einzige Frage von den Banken- und Sparkassenvertretern kommt, scheint ihn nicht zu stören. Er hat eine klare Botschaft: Die Welt da draußen ist komplex, voller Risiken. BlackRock ist groß und efzient. Als er fertig ist, bedanken sich alle Teilnehmer artig.
Später am Abend bei Grauburgunder und Seehecht-Häppchen – man ist unter sich – macht einer der deutschen Anlageberater seinem Unmut Luft. BlackRock habe Deutschland ja quasi übernommen. »Schauen Sie, der Dax, der MDax – wenn BlackRock da mal aussteigt, dann pfft«, sagt er und zeichnet mit der Hand eine steile Abwärtskurve in die Luft. Wohin man schaue im Land, überall stecke mittlerweile BlackRock drin.
Weitgehend unbemerkt von der Öffentlichkeit haben Deutschlands wichtigste Unternehmen einen neuen Großeigentümer bekommen. Längst sind die Dax-Unternehmen fest in ausländischer Hand. Der Anteil der ausländischen Investoren liegt inzwischen bei über 85 Prozent des Streubesitzes, wie der Deutsche Investor-Relations-Verband DIRK in einer Studie vom Sommer 2015 errechnete, gemeinsam mit Ipreo, einem auf Aktionärsinformationen spezialisierten Daten-dienstleister. Über ein Drittel des Streubesitzes halten dabei nordamerikanische Fonds. Deutschen Anlegern – privaten und institutionellen – gehören gerade noch 15 Prozent. An sich freue man sich über das Interesse der ausländischen Investoren an den deutschen Schwergewichten, versichert Norbert Kuhn vom Deutschen Aktieninstitut, dem Interessenverband kapitalmarktorientierter Unternehmen, aber er bedauert: »Der ganze Erfolg unserer Dax-Unternehmen in den vergangenen Jahren ist weitgehend an den deutschen Anlegern vorbeigegangen.«
BlackRock ist der größte Investor im Dax, dem Aktienindex der 30 größten börsennotierten deutschen Unternehmen. Über verschiedene Fonds sind die New Yorker der genannten Studie zufolge mit knapp 57 Milliarden Dollar an den Dax-Unternehmen beteiligt. Damit ist BlackRock klar die Nummer eins.
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Stiller Teilhaber am deutschen Alltag
Nehmen wir einen Tag bei der Familie Normalverbraucher. Am Frühstückstisch fragt sie ihn: »Magst du noch etwas Jacobs Kaffee?«, und weiß vermutlich nicht, dass die Traditionsmarke der Bremer Kaffeerösterei zu Mondelez International gehört. Mondelez war einst als Snack- und Genussmittelsparte Teil des US-Lebensmittelriesen Kraft Foods (auch bei Kraft ist BlackRock einer der Top-Ten-Aktionäre, allerdings kündigte Kraft im März 2015 an, mit Ketchuphersteller Heinz fusionieren zu wollen). Zu den größten institutionellen Anlegern von Mondelez gehört BlackRock. Der Sohn nippt an seinem Nesquik, dem Schokotrunk von Nestlé. 3,7 Prozent betrug der Anteil der BlackRock-Fonds an dem Schweizer Konzern laut einer Meldung im Sommer 2014 und damit ist BlackRock der größte Einzelaktionär über der Meldegrenze von 3 Prozent. Die Rama Margarine, die sich der Vater aufs Brot schmiert, kommt aus dem Hause des niederländischen Unilever-Konzerns, bei dem BlackRock 2013 laut einer Reutersmeldung 3,13 Prozent gekauft hat. Die Tochter streicht ihre mithilfe von Wellafex frisch frisierten Haare aus dem Gesicht und unter dem Tisch kaut die Katze an Iam-Trockenfutter – beides Produkte von Procter & Gamble.
Auch bei dem Konsumgütermulti ist BlackRock auf den vorderen Plätzen der Großaktionäre. Das Spielchen lässt sich beliebig fortsetzen: Nivea-Creme und Tempo-Taschentücher? Am Hersteller Beiersdorf hält Aktionär BlackRock nicht ganz 3 Prozent. Der Boss-Anzug des Vaters? Laut einer Meldung aus dem Oktober 2014 ist BlackRock mit knapp über 3 Prozent an den schwäbischen Modemachern beteiligt. Der 3er-BMW, mit dem er zur Arbeit spurtet: 3,44 Prozent BlackRock-Beteiligung an den Bayern, so gemeldet im September 2014. Die rote Ampel, die ihn ausbremst, ist von Siemens, auch da steckt BlackRock mit knapp über 6 Prozent drin. Der Smart, den seine Frau fährt, stammt aus dem Hause Daimler, auch bei den Stuttgartern gehört BlackRock mit knapp unter 6 Prozent zu den großen Einzelaktionären. Die Fußballtreter des Sohnes von Adidas – BlackRock ist mit 5,2 Prozent an Bord bei den Herzogenaurachern. Sitzt der Sohn nach den Hausaufgaben (oder statt der Hausaufgaben) vor dem Fernseher und schaut die Simpsons oder Schlag den Raab auf ProSieben, dann ist, zumindest als Aktionär, BlackRock im Hintergrund dabei.
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Ob Medien, Chemie, Energie, Banken oder Versicherungen – es gibt nur wenige Branchen in Deutschland, in denen sich BlackRocks Netz der Beteiligungen nicht fnden lässt. Mal laufen diese über Töchter wie die BlackRock Holdco 2, mit Sitz im amerikanischen Briefkastenfrmen-Paradies Wilmington im Bundesstaat Delaware, oder über die BR Jersey International Holding LP mit Sitz in St. Helier, auf der als Steueroase bekannten Kanalinsel Jersey.
BlackRock wollte sich zu der Beteiligungsstruktur nicht äußern, aber solche Konstrukte, von ausgebuften Steueranwälten ersonnen, sind in der internationalen Finanzwelt gang und gäbe und keineswegs geheim. Sie gehören inzwischen so zur normalen Geschäftspraxis, dass BlackRocks Kunden geradezu entsetzt wären, wenn der Vermögensverwalter auf diese Schachtelei verzichten würde.
Um die Eigentumsverhältnisse transparenter zu machen, schreibt die deutsche Finanzaufsicht Bafn vor, dass Großinvestoren, deren Anteil an den Stimmrechten gewisse Schwellen überschreitet, dieses öfentlich melden müssen. Diese Pfichtmeldun-gen sind aber nur eine Momentaufnahme – unter Insidern ist es ein ofenes Geheimnis, dass Investoren oft weit höhere Anteile halten. »Gemeldet wird zum Beispiel das Überschreiten der Fünf-ProzentSchwelle, danach kann der Investor bis zu 10 Prozent noch weiter zukaufen«, berichtet ein Fachmann eines Dienstleisters, der solche Daten analysiert. Erst beim Überschreiten der Zehn-Prozent-Grenze muss der Investor dieses wieder an die Bafn melden.
Allerdings geriet BlackRock mit der Bafn wegen der Pfichtmel-dungen aneinander. Die Vorschriften sind sogar für Profs schwierig zu verstehen. Viele Investoren, auch namhafte, scheiterten am Stimmrechtsregime, räumt selbst ein Bafn-Mitarbeiter ein. Jedoch sei BlackRock in »quantitativer Hinsicht bisher ziemlich einzigartig«. Das erklärt sicher auch, warum der Prüfungsprozess der Behörde sich über ein Jahr hinzog und im Frühjahr 2015 mit einem Bußgeld in Höhe von 3,25 Millionen Euro endete – die »höchste bislang verhängte Geldbuße«, wie es in der Pressemitteilung der Bafn heißt. Im Herbst
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2014 erklärte BlackRock öfentlich, in Abstimmung mit der Bafn, die Pfichtmeldungen bei 48 Unternehmen zu korrigieren. Aus diesen Meldungen ergibt sich ein Schnappschuss des BlackRock-Engagements in der deutschen Wirtschaft. Neben den bereits genannten Unternehmen sind da Beteiligungen an den Energieversorgern RWE und E.on, an der Lufthansa, der Deutschen Telekom, der Deutschen Post. An Bayer und BASF. Am niedersächsischen Reifenhersteller Continental. Am Waldor-fer Software-Riesen SAP. An der Deutschen Bank, der Allianz und der Münchner Rück – dem verbliebenen Kern der deutschen Finanzindustrie. (BlackRock war trotz mehrfacher Anfragen nicht bereit, einen aktualisierten Stand seiner Beteiligungen an deutschen Unternehmen zum Zeitpunkt der Drucklegung des Buches zur Verfügung zu stellen.)
Auch im Nachbarland Schweiz ist BlackRock der Großaktionär Nummer eins. Neben Nestlé halten die New Yorker Anteile – meist sind es um die 3 Prozent – am Pharmariesen Novartis, am Winter-thurer Industriekonzern Sulzer, dem Versicherer Swiss Life und den Großbanken UBS und Credit Suisse. BlackRock sei der »schwarze Fels« in der Brandung des Schweizer Aktienindex SMI, formuliert es blumig die Neue Zürcher Zeitung.
Die Höhe der Anteile, die BlackRock jeweils hält, schwankt allerdings – das kann sich täglich ändern und tut es manchmal auch. Allein am 11. Februar 2015 etwa meldeten gleich drei Unternehmen – Siemens, Hugo Boss und Bayer – eine Änderung bei der Zahl der Stimmrechtsanteile von BlackRock. In dem Fall war es bei Siemens eine Überschreitung der Fünf-Prozent-Schwelle, bei Bayer eine Unterschreitung. (Quelle DGAP.de) Dahinter steckt in den seltensten Fällen eine Strategie. Denn BlackRock agiert als Mittelsmann – als Vermögensverwalter sammelt das Unternehmen Geld von Anlegern ein und legt es für sie an. Bei einem kleineren Teil entscheiden »aktive« Fondsmanager, in welche Aktien sie das ihnen anvertraute Geld stecken wollen. Doch der größte Teil der Anlagegelder bei BlackRock fießt in Fonds, die Aktienindizes nachbilden, wie etwa den Dax. Ein solcher »passiver« Dax-Fonds enthält dann gezwungenermaßen Aktien aller 30 Unternehmen im Deutschen Aktienindex. Es gibt in dem Fall keinen Fondsmanager, der sich für oder gegen eine Aktie entscheidet. Und wenn BlackRocks Kunden ihre
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Fondsanteile verkaufen, dann reduzieren sich auch die Dax-Aktien, die BlackRock hält. Umgekehrt steigt das BlackRock-Engagement, wenn die Anleger frisches Geld in die Indexfonds fießen lassen. Bei den meisten großen Aktienindexfonds, wie etwa dem Dax, bleiben die Anteile recht stabil. Aber beispielsweise im Jahr 2014 fossen rund 15 Milliarden Dollar aus BlackRock-Dax-Fonds ab. Trotzdem blieb BlackRock als Gruppe auch 2014 größter Investor im Dax (siehe Grafk 2).
Dass BlackRock die Zufüsse nicht steuern kann, heißt jedoch nicht, dass BlackRock keinen Einfuss auf die Unternehmen hätte. Im Gegenteil. Gerade, weil BlackRock durch die Bindung an den Index gezwungen ist, Anteile am Unternehmen zu halten, gehören die New Yorker zu den langfristig engagierten Aktionären. Aktionäre, deren Interessen der Vorstand besser berücksichtigt und die er besser nicht gegen sich aufbringt.
Auf den ersten Blick wirken Anteile von 3 oder 5 Prozent, die BlackRock typischerweise hält, nicht hoch. Was sind schon 61 365 875 Stimmrechte von 1 069 837 447 stimmberechtigten Aktien insgesamt? (Das war der von BlackRock gemeldete Anteil von 5,74 Prozent an Daimler an jenem Bafn-Vergleichsstichtag.) Eine ganze Menge, wenn der Großteil der anderen Aktionäre weit weniger Stimmen auf sich vereinigen kann. Erfnden wir ein Start-up, das Gummi-Entchen herstellt. Das Eigentum ist in 20 Anteilscheine aufgeteilt. Sie gehören 17 Anteilseignern. 16 haben jeweils nur einen Anteil, die restlichen 4 gehören einem gewissen BR. Auch wenn BR mit 4 Anteilscheinen keineswegs die Mehrheit hat, ja nicht einmal ein Viertel, hat er doch mehr Scheine als jeder andere der restlichen Eigentümer. Angenommen BR möchte gerne, dass die Entchen schwarz gefärbt werden statt quietschgelb. Es steht zu vermuten, dass der Gummi-Entchen-Gründer zumindest über den Farbwechsel nachdenken wird.
Dick im deutschen Wohnungsmarkt …
BlackRock hat nicht nur in deutsche Aktien und Firmenanteile investiert. Zum Portfolio gehören auch Immobilien. Wenn man so will, ist BlackRock inzwischen, wenn auch indirekt, einer der größten Vermieter Deutschlands.
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Der größte Teil der 24 Millionen Mietwohnungen, die das Statistische Bundesamt 2013 in Deutschland zählte, gehören nach wie vor kleineren und lokalen privaten Hausbesitzern. Das hat es lange für Großinvestoren schwierig gemacht, in deutsche Immobilien zu investieren – zu kleinteilig und aufwendig wäre das Engagement ausgefallen. Doch Anfang der 2000er Jahre begannen Kommunen, Länder und Konzerne ihre bis dahin gemeinnützigen Wohnungsbestände abzustoßen. Amerikanische und britische Private-Equity-Firmen, in Deutschland seit einer Bemerkung des damaligen SPD-Vorsitzenden Franz Müntefering besser als »Heuschrecken« bekannt, waren nur zu gerne bereit, diese im großen Stil aufzukaufen.
Die Bestände aus der einstigen skandalverstrickten Gewerkschaftsgruppe Neue Heimat – später Baubecon – und die städtische GSW in Berlin wurden von der Beteiligungsgesellschaft Blackstone unter dem Dach der Deutsche Wohnen AG zusammengeführt. Die Deutsche Annington baute die Londoner »Heuschrecke« Terra Firma unter anderem aus ehemaligen Eisenbahner-Wohnungen und einstigen Werkswohnungen der Energieversorger E.on und RWE zusammen. Fortress, die Konkurrenz aus New York, bediente sich derweil bei den Beständen der Bundesversicherungsanstalt für Angestellte, der kommunalen Wohnbaugesellschaft Nileg in Hannover und der Woba in Dresden, die sie zur Gagfah zusammenführte. Ende 2014 fusionierten Gagfah und Deutsche Annington zu einem Koloss: 350 000 Wohnungen besitzt die neue Gesellschaft in über 600 Städten, mehr als eine Million Mieter leben unter ihren Dächern. Einen Vermieter dieser Größenordnung hat es in Deutschland nie gegeben.
Doch das Konzept der privaten Wohnungskonzerne bekam schnell einen schlechten Ruf. Die neuen Eigentümer wie Fortress, Terra und die Beteiligungsgesellschaft Blackstone »pfegten die Bilanzen und ließen die Häuser verkommen«, wie es die Wirtschaftswoche in einem Bericht bissig zusammenfasste. Nach dem Eigentümerwechsel stiegen die Beschwerden der Mieter an. 2012 übergaben Gagfah-Bewohner aus dem Hamburger Stadtteil Wilhelmsburg der damaligen Stadtentwicklungssenatorin Jutta Blankau eine lange Mängelliste, in der sie über undichte Fenster, Wände und Dächer, verrottete Treppenhäuser,23
kaputte Fahrstühle, marode Balkone und heruntergekommene Außenanlagen klagten. Keine Ausnahme ofenbar. »Treppenhäuser vergammeln, Reparaturen werden verschlampt«, klagt ein Mieter aus einer einst für Postbeamte errichteten Anlage in der Frankfurter Siedlung Goldstein im Mai 2011 dem Reporter der Rhein-Main-Zeitung. Ein anderer Anwohner berichtet, die Heizung funktioniere nicht richtig und der Aufzug falle wochenlang aus. Die derben Flüche eines Imbiss-Be-sitzers auf die Annington seien nicht zitierfähig gewesen, schreibt der Zeitungsmann. Das Unternehmen wies die Kritik zurück. Mit einem Aufwand von 14 Euro je Quadratmeter Wohnfäche, die allein 2011 in die Instandsetzung investiert würden, liege man über dem deutschen Durchschnitt, heißt es in dem Artikel. In einem WDR-Bericht über eine Annington-Siedlung in Bonn geht es um Schimmelbefall, undurchsichtige Betriebskostenabrechnungen und Mieterhöhungen. Die rot-grüne Landesregierung in Nordrhein-Westfalen erhob sogar den Vorwurf, dass gezielt Wohnungen von Hartz-IV-Empfängern vernachlässigt würden – denn die Jobcenter würden zahlen, egal wie die Wohnung aussehe. Ein Vorgehen, das die Landesregierung als »Geschäftsmodell Hartz-IV« geißelte. Auf Nachfrage des WDR hieß es jedoch bei der Deutschen Annington, »das Unternehmen stehe für eine nachhaltige, langfristige Strategie, die die Pfege der Kunden und der Bestände in den Vordergrund rückt.« Seine Aufgabe sei es, »die Fehler der Vergangenheit Schritt für Schritt zu beseitigen«, erklärte Anningtons Vorstandschef Rolf Buch selbstkritisch in einem Interview. Auch die Gagfah gelobte Besserung und kündigte Investitionen und Sanierungen an.
Nicht ganz freiwillig vielleicht. Die »Miet-Hai AG« titelte der Stern eine Geschichte über die Annington und berief sich auf interne Dokumente aus dem November 2013, aus denen angeblich hervorgehe, dass das Unternehmen einen »reputationsrelevanten Instandhaltungsstau« mit 161 Millionen Euro angesetzt habe. So viel wäre nötig, um die rufschädigenden Fälle von Schimmel zu bekämpfen, Dächer zu ficken und Heizungsanlagen zu reparieren. Mit Sorge habe der Vorstand der Annington – so der Stern – den »Übergang von der lokalen zur überregionalen Berichterstattung« beobachtet. Im Klartext: Es
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gab für den Geschmack der Manager zu viele negative Schlagzeilen. In einer Stellungnahme gegenüber den Stern-Reportern erklärte das Unternehmen, der »Vorstand habe das Instandhaltungsbudget selbst und ohne Zustimmung des Aufsichtsrats erhöht«.
Dass die Manager der Wohnbauriesen sich um ihren Ruf sorgen und öfentlich Besserung geloben, ist kein Zufall. Es hat sich nämlich etwas geändert: Die »Heuschrecken« haben Kasse gemacht und sind ausgestiegen. Terra Firma hat die Deutsche Annington 2013 an die Börse gebracht, die Beteiligungsgesellschaft Blackstone im gleichen Jahr die Deutsche Wohnen AG. Fortress holte sich den Einsatz schon viel früher an der Börse wieder: Die Gagfah war vor ihrer Übernahme durch die Annington bereits seit 2006 gelistet. Während die »Heuschrecken« sich verabschiedeten, stieg eine Handvoll internationaler Großinvestoren in die frisch gebackenen Börsengesellschaften ein. Neben dem kanadischen Lebensversicherer Sun Life Financial sind das der norwegische Pensionsfonds Norges Bank Investment Management, die US-Investmentgesellschaft The Capital Group und – last but not least – BlackRock. An der Deutschen Annington hielt BlackRock zum Stichtag der Bafn-Korrekturmeldung 6,79 Prozent. An der Deutsche Wohnen waren es 7,29 Prozent und an der LEG, in der die Wohnungen aus der Landesentwicklungsgesellschaft Nordrhein-Westfalen privatisiert wurden, war BlackRock zu dem Zeitpunkt sogar mit 12,70 Prozent beteiligt.
Die neuen Eigentümer sind nicht an schneller Abzocke interessiert. Für sie lohnt sich das Investment bloß, wenn Kurs und Dividende nachhaltig steigen. Das heißt keinesfalls, dass sie nicht auf die Rendite schauen. Die Fusionen in der Branche haben zu kräftigen Streichungen bei Personal und Organisation geführt. Die Deutsche Wohnen etwa übernahm Anfang 2014 die Berliner GSW, die zu diesem Zeitpunkt 60 000 Wohnungen in ihrem Portfolio hatte, in denen rund 120 000 Menschen wohnten. Nach der Übernahme baute der neue Eigentümer fast die Hälfte der 320 Arbeitsplätze ab. Die Übernahme zahle sich für den Wohnimmobilienkonzern aus, befand das Handelsblatt im Mai 2014. Der für Immobiliengesellschaften maßgebliche operative Gewinn aus der Vermietung hatte sich im ersten Geschäftsquartal auf 59,1 Millionen Euro nahezu verdoppelt. Geholfen bei dem satten Gewinnsprung
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