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3  Streben nach Lust - Periphere Selbststimulierung

Campbell-1973

 

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Andere Wissenschaftler haben viel genauere Experimente zur intrakraniellen Selbststimulierung angestellt als ich, und ihre Ergebnisse haben vieles erhellt, was auf dem Gebiet der höheren Hirnfunktionen bislang im dunkeln lag. Somit stehe ich der Ansicht ohne jegliche Vorbehalte gegenüber, daß Untersuchungen zur intra­kraniellen Selbststimulierung von unschätzbarem Wert für den Fortschritt in der Neurophysiologie sind. Dennoch stört mich ihre Lebensfremdheit erheblich.

Der Anblick von Tieren mit limbischen Elektroden, die unaufhörlich irgendwelche Hebel drücken und sonst nichts anderes tun wollen, kann einen Physiologen schon entnerven, der sich mit den normalen Funktionen des Körpers unter besonderer Berücksichtigung des Gehirns und des Verhaltens befaßt; und die Situation meiner hebeldrückenden Ratten und Kaninchen ist alles andere als normal. Ich berühre nicht einmal die ethischen Implikationen dieser wertvollen Forschungsarbeit, doch ich stelle ihre Relevanz für die normale, alltägliche Funktionsweise des Gehirns in Frage.

Eine Reihe kompetenter und einfallsreicher Forscher haben versucht, direkt auf den Ergebnissen der intrakraniellen Selbststimulierung Theorien der Motivation, der Antriebe, der Gefühle und der Belohnungs­mechanismen aufzubauen. Ich interessierte mich mehr dafür, das natürliche Gegenstück zu diesem faszinierenden Phänomen zu finden und davon dann Theorien abzuleiten.

Offensichtlich erleben Tiere auch Lustgefühle, ohne daß ein Wissenschaftler erst Elektroden in ihr Gehirn einsetzen müßte. Sie spielen, sie freuen sich auf ihr Fressen, und sie empfinden deutliches Vergnügen bei sexueller Betätigung. Ebenso steht außer Frage, daß auch der Mensch Lusterlebnisse ohne die direkte elektrische Stimulierung des Gehirns erfährt.

Bei den meisten Tieren werden also im normalen Leben die limbischen Lustareale irgendwie aktiviert. Auf irgendeine Weise müssen unsere Lustareale bisweilen dieselbe Art elektrischer Aktivität aufweisen, die auch entstehen würde, wenn wir Elektroden im Gehirn hätten und einen entsprechenden Hebel betätigten. So weit, dachte ich, braucht das alles nicht in Frage gestellt zu werden. Ich wollte aber herausfinden, was im normalen Leben die Lustareale aktiviert.

Da ich vorwiegend Naturwissenschaftler und nur gelegentlich Philosoph bin, stellte ich mir nicht erst lange die Frage, was Lust sei; das sollte später geschehen, wenn ich für ihre Beantwortung eine tragfähigere Grundlage geschaffen haben würde. Zunächst dachte ich einfach darüber nach, auf welche Weise die limbischen Areale durch Ereignisse im alltäglichen Leben aktiviert werden könnten. Diese Vorstellung, daß Lust durch Ereignisse hervorgerufen wird, führte mich zu der Einsicht, daß das auf die einfachste Weise durch unsere Sinnesorgane geschehen könnte; denn in erster Linie registrieren wir die äußeren Ereignisse mit Hilfe unserer Sinnesorgane. Es liegt eine Fülle von Hinweisen darauf vor, daß anatomische Verbindungen, Nerven­verbind­ungen von den bekannten sensorischen Bahnen zu den neuentdeckten Lustarealen bestehen.

Ich entwickelte die These, daß bei normalen Tieren, der Mensch eingeschlossen, die Lustareale tief im Innern des Gehirns aktiviert werden, wenn man die Sinnesorgane an der Peripherie des Körpers reizt. Wenn Licht ins Auge fällt oder eine Berührung die Haut reizt, wandern Nervenimpulse von den peripheren Sinnesrezeptoren entlang den Nervenfasern in die limbischen Areale und erzeugen in dem Tier Lusterlebnisse. Das heißt natürlich nicht, daß jede Art der peripheren Reizung Lust hervorruft. Es ist bekannt, daß alle starken Reize und auch einige schwache unangenehm sind. Meiner Meinung nach aktivieren diese Reize die Unlustareale; doch da die meisten normalen, willensmäßigen Handlungen mit Lusterlebnissen verbunden sind, möchte ich das Hauptaugenmerk auf diese Bahnen lenken.

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Das war also meine hypothetische Antwort auf das Problem des normalen Gegenstücks zur intrakraniellen Selbst­stimulierung. Ich war sicher, daß diese Überlegungen im Laboratorium überprüft werden könnten. Wenn ich recht hatte, sollte ich eine Versuchsanordnung erstellen können, in der die Tiere aus eigenem Antrieb eine Aufgabe erfüllen, für die sie durch zusätzliche Reizung ihrer Sinnesorgane belohnt werden. In ihrem Gehirn würden sich keine Elektroden befinden, und sie würden keine der üblichen Belohnungen wie Futter oder Möglichkeiten der sexuellen Betätigung erhalten, sondern die Rezeptoren des Auges, des Ohrs, der Haut oder der anderen Sinnesorgane eines vollkommen gesunden und normalen Tieres würden einfach auf natürliche Weise gereizt werden. Die Richtigkeit meiner Überlegungen wäre dann nachgewiesen, wenn es mir gelänge, eine periphere Selbststimulierung zu demonstrieren. Und ich machte mich daran, meinen Plan durchzuführen.

Zu Beginn einer neuen wissenschaftlichen Untersuchung muß der Forscher seine intellektuelle Begeisterung und seine Hoffnung, die Gültigkeit einer neuen Theorie nachzuweisen, entschieden hintanstellen und solche widrigen und banalen Probleme wie Geld, Räumlichkeiten, Möglichkeiten der vorhandenen technischen Geräte und den Zeitaufwand für die Konstruktion neuer Apparaturen ernsthaft bedenken. Obwohl der Wissenschaftler seinen gewählten Forschungsansatz frei verfolgen kann, ist er dennoch dem Arbeitgeber gegenüber verpflichtet, seine Zeit so effizient wie möglich zu nutzen und das Geld nicht zum Fenster hinauszuwerfen. Es fällt ziemlich schwer, derartige Angelegenheiten vom persönlichen Standpunkt losgelöst zu betrachten, während man sich sehr leicht vom Wert der neuen Gedanken überzeugen läßt. In diesem Fall hatte ich besonderes Glück; ich besaß selbst acht Aquarien mit tropischen Fischen, mit denen ich erste Experimente anstellte, ohne meine Arbeitszeit oder Forschungsgelder beanspruchen zu müssen.

Ich bastelte einen Rahmen aus Plastikstäben in Form zweier Torpfosten, auf die ich je eine Elektrode aus Platindraht setzte.

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Diese Elektroden wurden mit einer Stromquelle, dem »Reizgeber«, verbunden. Ein dünner Lichtstrahl zwischen den Elektroden wurde auf eine Fotozelle ausgerichtet, so daß bei einer Unterbrechung des Lichtstrahls der Reizgeber einen Stromstoß erzeugte. Dieser Stromstoß wurde in das Wasser und auf das Objekt geleitet, das zwischen den Elektroden den Lichtstrahl unterbrach — war es ein Fisch, dann wurden seine Hautrezeptoren durch den Strom gereizt. Eines Abends setzte ich die Anlage in meinem Arbeitszimmer in Verbindung mit einem voll ausgestatteten 90-cm-Aquarium in Betrieb; die Elektroden waren an einem Ende des Behälters eingesetzt, zu dem die Fische nicht schwimmen müssen, wenn sie nicht wollen.

Ich hatte mich auf eine längere Wartezeit eingerichtet, aber innerhalb weniger Minuten begannen die Fische, die bislang die gesamte Länge, Breite und Tiefe des Aquariums gemächlich schwimmend ausgenutzt hatten, pfeilschnell durch den Lichtstrahl hin- und herzuschwimmen, wobei der Reizgeber fortwährend klickte und der Strom zwischen den Elektroden pulsierte. Ein Fisch nach dem anderen reihte sich in die Schar ein, bis sich schließlich jeder Fisch im Behälter um das Prickeln in der Haut drängelte, das durch die Elektrizität hervorgerufen wurde. Diese kleinen tropischen Fische können nicht sprechen, aber sie zeigten mir, daß die periphere Selbststimulierung zweifellos eine Tatsache ist.

Nun waren genauere Experimente gerechtfertigt, die ich im Laboratorium durchführen mußte. Ich ersann raffinierte Apparaturen, die automatisch das Verhalten einzelner Fische registrieren sollten, so daß man die Ergebnisse in Zahlen würde ausdrücken können. Ich benutzte mehrere voll ausgestattete Aquarien und stellte fest, daß ohne den Reizgeber jeder Fisch während der zehnminütigen Testzeit durchschnittlich 2imal den Lichtstrahl durchquerte. Doch stieg die Zahl bei 22 Fischen in mehr als 200 Testzeiten auf durchschnittlich 66mal an, wenn der Reizgeber eingeschaltet war. Es schien kein Grund für die Annahme vorzuliegen, daß die Fische dieses Verhalten nur zeigten, um durch den Lichtstrahl schwimmen zu können; sie taten es vielmehr, um ihre Hautrezeptoren elektrisch zu reizen. Trotzdem überprüfte ich diese Hypothese, indem ich dem Wasser eine geringe Menge eines lokal wirkenden Betäubungsmittels beifügte.

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Uneingeweihte Beobachter stellten fest, daß die Fische wie gewöhnlich umherschwammen, doch die Anzahl der Unterbrechungen des Lichtstrahls fiel auf den Kontrollwert 21 ab. Das lokal wirkende Betäubungsmittel hatte ihre Hautrezeptoren »eingeschläfert«, so daß sie die Elektrizität nicht mehr fühlen und darum bei der Durchquerung des Raums zwischen den Elektroden keine Lust mehr erfahren konnten. Der Physiologe Johan Gabriel Anrep wies im Jahre 1880 nach, daß Kokain wohl die Berührungsrezeptoren bei Fischen betäubt, die Empfindlichkeit der Chemorezeptoren (des Geschmacksinnes) jedoch nicht beeinträchtigt.

So erscheint als gesichert, daß meine Fische durch die Selbststimulierung ihre Berührungsrezeptoren mit Elektrizität reizten und eine Art Kitzeln oder Streicheln als lustvoll erlebten — so wie Fische ab und zu auf Gegenstände im Aquarium zuschnellen, vermutlich weil sie die dabei entstehenden taktilen Reize mögen. Aus ähnlichem Grund wedeln wahrscheinlich manche Südseefische die meiste Zeit zwischen den Fühlern der Seeanemonen umher. Und wer von uns läßt sich nicht gern über den Rücken streichen?

Einige Fische zeigten, wie die Intelligenz bei der Suche nach Lust selbst auf dieser niedrigen Stufe der tierischen Organisationsformen eingesetzt werden kann; sie entwickelten eine Technik, bei der sie ihre Muskeln so wenig wie nur möglich einzusetzen brauchten: Während der Experimente schwebten sie knapp unterhalb des Lichtstrahls und bewegten ihre große Rückenflosse durch den Strahl hin und her, so daß sie bei jeder Bewegung der Flosse elektrisch gestreichelt wurden.

Aus später noch zu erläuternden Gründen muß hier angemerkt werden, daß der Deprivationsfaktor (z.B. Nahrungsentzug) bei diesen Experimenten keine Rolle spielt. Bei praktisch allen anderen Verhaltens­experimenten mit Tieren, in deren Verlauf sie die vom Forscher gestellte Aufgabe lösen sollen — z.B. müssen sie durch ein Labyrinth laufen oder einen bestimmten Hebel drücken —, ist es unmöglich oder äußerst schwierig, die Tiere zur Mitarbeit zu bewegen, wenn sie nicht zunächst in irgendeiner Weise depriviert worden sind.

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So läßt man das Tier etwa eine Zeitlang hungern und reduziert dann die Deprivation, indem man ihm ein Futterkügelchen als Belohnung für »richtiges« Verhalten gibt. Bei den eben beschriebenen Experimenten mit Fischen und bei allen meinen anderen Untersuchungen zur peripheren Selbststimulierung stand den Fischen stets ausreichend Futter und Wasser zur Verfügung; sie wurden in ihrer normalen Umgebung und bei voller Ausprägung der gewohnten Reizkonstellationen gehalten und unter denselben Bedingungen während der Experimente beobachtet. Um Lusterlebnisse zu erfahren, brauchen die Tiere also nicht einen künstlich erzeugten Mangelzustand zu beheben, sondern sie fügten ihrem normalen bisherigen Leben eine neue und positive Komponente hinzu.

Eine ähnliche Apparatur wie die oben beschriebene wurde verwendet, um die periphere Selbststimulierung bei Amphibien und Reptilien zu untersuchen; und es konnten ähnliche Resultate verzeichnet werden. Wassermolche und Sumpfschildkröten zeigten dieselbe Art von »Annäherungsverhalten« den Elektroden gegenüber, die ihre Hautrezeptoren reizten. Doch die eigentliche Bedeutung der Experimente mit diesen niederen Tierarten, die ihrer Entwicklung nach zwischen Fisch und Säugetier stehen, liegt in der Eindringlichkeit, mit der das Krokodil die Stärke der peripheren Selbststimulierung aufdeckte.

Das Tier, mit dem ich arbeite, ist eigentlich ein Kaiman; doch wir wollen keine terminologische Haarspalterei betreiben, denn jeder Laie hält es für ein Krokodil. Wie bei den meisten seiner Artgenossen ist die Lebensweise dieses Krokodils als »vorwiegend träge« zu bezeichnen. Ich habe schon oft geglaubt, es sei tot, wenn ich es am Morgen in genau derselben Stellung wiederfand wie am Abend zuvor. Nur bei zwei Anlässen zeigt es ein zielgerichtetes Verhalten. Einmal, wenn ihm meine Assistentin dreimal wöchentlich seine Futterration, ein saftiges Steak, verabreicht; zum anderen, wenn es die Möglichkeit hat, elektrisch gestreichelt zu werden.

Der Boden des Käfigs, in dem das Krokodil lebt, ist mit einigen Zentimetern Wasser bedeckt, und ab und zu werden die Torpfostenelektroden an einem Ende des Käfigs ins Wasser getaucht. Wenn das geschieht, plumpst es von der Steinfliese herunter, auf der es sich stundenlang in der Wärme einer Lampe aalt.

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Das Tier wälzt sich langsam durch den Raum zwischen den Elektroden hindurch, dreht sich schwerfällig um und kehrt denselben Weg wieder zurück. An guten Tagen macht es das 5omal innerhalb von 15 Minuten, was für ein Krokodil eine ungeheure körperliche Aktivität bedeutet, nur vergleichbar mit seinem Energieaufwand bei der Jagd nach Beute. An schlechten Tagen schleppt es sich nur etwa 6mal durch den Lichtstrahl, ergaunert jedoch ähnlich wie der intelligente Fisch eine Menge »Liebkosungen«, indem es den Schwanz langsam durch den Lichtstrahl hindurchzieht oder sich in eine bequeme Lage bringt, bei der seine Kehle sich gerade oberhalb des Lichtstrahls befindet, so daß durch seine Atembewegungen der Reizgeber mehrere hundert Male während einer experimentellen Einheit betätigt wird. Die Bezeichnung »gute Tage« und »schlechte Tage« gilt für mich, nicht für das Krokodil, denn seine hintergründige Schlauheit, die an schlechten Tagen zum Zug kommt, bringt meine Statistik gründlich durcheinander. Ich habe das Krokodil jetzt überlistet, indem ich infrarotes Licht verwende, daß es nicht sehen kann, so daß es schon den ganzen Körper in Bewegung setzen muß, wenn es »geküßt« werden will!

Da das Krokodil meist in stundenlanger Unbeweglichkeit verharrt, ist es unnötig, Experimente mit lokalen Betäubungsmitteln durchzuführen. Während es auf seiner Steinfliese in der Wärme badet, siedeln sich mikroskopische, einzellige Pflanzen auf seinen Hautschuppen an und vermehren sich, so daß es nach wenigen Wochen mit einer sichtbaren, isolierenden Schicht dieser grünen Algen bedeckt ist. Unter diesen Bedingungen zeigt das Krokodil keinerlei Interesse an den elektrischen Liebkosungen, die ihm die Anlage bietet; doch sobald diese Algenschicht wieder gründlich abgeschrubbt ist, erwacht sein Interesse an der Apparatur sofort von neuem, und es wälzt sich gierig hin und her.

In den Augen vieler Biologen stellt der vergleichsweise enorme Bewegungsaufwand, den das Krokodil zur Reizung seiner Hautrezeptoren betreibt, einen der stärksten Beweise für die Realität der peripheren Selbststimulierung dar und für ihre Vergleichbarkeit — wenn auch auf keinen Fall für ihre Identität mit der intrakraniellen Selbststimulierung.

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Trotzdem bringen die meisten von uns der allgemeinen Bedeutung eines Phänomens mehr Vertrauen entgegen, wenn es bei höheren Tieren als Fischen, Wassermolchen, Sumpfschildkröten und Krokodilen nachgewiesen werden kann. Doch das Auftreten der peripheren Selbststimulierung bei diesen niederen Tieren hat eine ganz besondere Bedeutung.

Als erstes Tier nahm ich meinen Freund, das Kaninchen her, mit dem ich so viele Experimente zur intra­kraniellen Selbststimulierung angestellt hatte. Hierfür entwickelte ich eine neue Methode. Ich benutzte eine Art kapazitiver Kontaktsonde, die auf Berührung anspricht. Sie kann mit jeder Schaltapparatur verbunden werden, so daß sich das Gerät einschaltet, wenn die Sonde nur leicht berührt wird. Die Sonde sieht wie ein Metallstäbchen aus und zeigt bei einer Berührung mit der Hand keine besonderen Eigenheiten. Sie besitzt keine beweglichen Teile, so daß nur sehr wenig Muskelkraft erforderlich ist, um den entsprechenden Effekt herbeizuführen; vor allem weist die Sonde keine Abnutzungserscheinungen auf, wie sie bei den Hebeln auftreten, die viele tausend Male täglich gedrückt werden. Um mit dieser Kontaktsonde zu arbeiten, bastelte ich einen neuen Reizgeber, der im wesentlichen aus einem recht komplizierten Schaltmechanismus besteht; dieses Gerät kann einen oder mehrere Reize von zuvor festgelegter Dauer und Stärke erzeugen und gleichzeitig alle diese Vorgänge fortlaufend registrieren. Wenn die Sonde berührt wird, entsteht ein Reiz von, sagen wir, fünf Sekunden Dauer, der nach dem Ablauf dieser Zeit wieder erlisdit. Um einen weiteren Reiz zu erhalten, muß die Sonde losgelassen und von neuem berührt werden.

Die Entscheidung, welcher Reiz für Experimente mit Säugetieren am geeignetsten ist, erfordert einige Überlegungen. Ich mußte feststellen, welche Rezeptoren des Tieres gereizt werden sollten, und mir genau überlegen, wie man das am besten anstellt. Der Reiz mußte »sauber« sein, ohne jede bestimmte Bedeutung für das Tier. Andere Forscher haben beschrieben, daß Affen zum Beispiel manche Diapositive lieber betrachten als andere, wenn sie mit einem Dia-Projektor spielen dürfen — zum Beispiel ziehen sie Landschaftsbilder den Abbildungen von Laternenpfählen vor.

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Für meine Theorie aber benötigte ich einen Reiz, der keinerlei psychologische Reaktion hervorrufen könnte; einen Reiz, der nicht etwa Vorstellungen von der Freiheit im Urwald heraufbeschwören würde, sondern der einfach einige periphere Sinnesrezeptoren in einer an und für sich bedeutungslosen Weise erregt und trotzdem die Lustareale aktiviert.

Ich entschied mich also für weißes Licht. Die Kontaktsonde und der Reizgeber wurden mit einer starken Glühlampe verbunden und diese einige Zentimeter vor den Tierkäfigen angebracht. Wieder wurden die Experimente ohne jeglichen Entzug an Nahrung, Wasser oder anderen notwendigen Lebensbedingungen durchgeführt. Die Tiere tummelten sich in ihrem gewohnten Käfig unter den üblichen Bedingungen; von Zeit zu Zeit wurde ihnen die Anlage vorgesetzt. Sofort kamen die Kaninchen und drückten ihre Nase oder ihr Kinn sehr viel häufiger gegen die Sonde, wenn als Erfolg die Lampe aufleuchtete, als wenn das — zwischendurch zur Kontrolle — nicht der Fall war. Die Reaktionsquote lag bei diesen Tieren nicht annähernd so hoch wie bei der intrakraniellen Selbststimulierung; obwohl die Lichtblitze als Belohnung wirkten, wurden sie offenbar nicht als derart lustbetont erlebt wie die direkte Stimulierung des Gehirns. Wir werden später noch sehen, wie diese Beobachtung zur Erklärung unseres Verhaltens herangezogen werden kann.

Das positive Ergebnis der Experimente mit einfachem weißen Licht freute mich sehr; denn im Gegensatz zum Prickeln auf der Haut der Fische, das der Laie ohne weiteres verstehen kann — denn er hat es ja auch gern, wenn sein Rücken gestreichelt wird —, kann von dem Lusterlebnis, das durch bloßes Licht entsteht, nicht so leicht eine Parallele zur allgemeinen Erfahrung gezogen werden. Um das Verhalten der Kaninchen verstehen zu können, müssen wir dem Postulat zustimmen, das mich bei der Planung des Experiments beschäftigte — daß nämlich die Reizung der peripheren Rezeptoren eine elektrische Aktivierung der Lustareale bewirkt, und zwar unabhängig davon, ob der Reiz zuvor mit irgendwelchen Lusterlebnissen in Verbindung gebracht worden ist. Der Mensch benutzt viele Reize auf diese »unwissentliche« Weise.

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Als nächster Schritt sollte die periphere Selbststimulierung bei Primaten nachgewiesen werden. Affen sind gesellige Tiere, die in Gruppen leben, und ich wollte sie nicht unter den teilweise isolierten Bedingungen halten, wie sie in Tiergehegen üblich sind. Ich wollte sie lieber im Laboratorium haben, wo sie in dauernder Gesellschaft mit anderen Primaten (meine Assistenten und ich) leben und viele allgemeine Stimulierungen erfahren könnten, wo Leute kommen und gehen, sich unterhalten, Gegenstände bewegen usw.

Diese Ansprüche beschränkten die Auswahl der Affenart, die ich verwenden konnte. Ich erwog mehrere Arten und entschied mich schließlich für das peruanische Kapuzineräffchen, ein niedliches Tier von freundlicher und verständig ruhiger Wesensart. Es hat im Vergleich zu den Rhesusaffen, die häufig in der Verhaltensforschung verwendet werden, weder deren verrücktes, aufgeregtes und vollkommen überflüssiges Geschrei noch deren aggressives Gebaren an sich. Unsere Kapuzineraffen leben auf einem Arbeitstisch im Laboratorium in ausreichend großen Käfigen, in denen sie sich von Ast zu Ast schwingen können; sie pfeifen und zwitschern den ganzen Tag, sie versuchen mit uns zu spielen, wann immer es geht, und haben niemals versucht zu beißen oder auch nur ein annähernd aggressives Verhalten gezeigt. Sie leisten uns auf nette Weise Gesellschaft und stellen für Besucher ein zusätzliches Vergnügen dar.

Wenn die Kontaktsonde zum erstenmal durch die Käfigstäbe gesteckt wird, springen die Kapuzineraffen sofort herbei, um sie zu untersuchen. Sie gehen mit der Sonde ebenso unsystematisch um wie mit jedem anderen neuen Gegenstand in ihrer Reichweite auch. Wenn der neue Gegenstand sich als nicht-eßbar herausstellt oder als Liebesobjekt nicht geeignet erscheint, interessieren sie sich schon bald nicht mehr dafür. Doch unsere Kapuzineraffen verlieren ihr Interesse an der Kontaktsonde nicht so rasch. Während der ersten experimentellen Sitzung berühren sie sie nur gelegentlich und eher zufällig etwa 30mal, nachdem sie festgestellt haben, daß die Sonde weder Futter noch Sexualpartner sein kann. Während sie im Käfig umherspringen, berühren sie mit ihren Extremitäten unabsichtlich die Sonde und starren auf die 500-Watt-Lampe, die an- und ausgeht, ohne daß sie die Ursache dafür erkennen könnten.

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Bei einer Testzeit von 15 Minuten täglich benötigt der Kapuzineraffe etwa 3 Tage, um Sicherheit darüber zu erlangen, daß das Licht von der Sonde geregelt wird, und um zu lernen, daß er sie berühren und wieder loslassen muß, um einen Reiz von längerer Dauer als nur fünf Sekunden zu erhalten. Am vierten Tag berühren die Affen die Sonde in 15 Minuten etwa 20omal, und nach einer Woche greifen sie durch die Käfigstäbe hinaus und reißen die Sonde an sich, bevor sie hindurch gesteckt werden kann. Danach berühren sie die Sonde ziemlich konstant etwa 300- bis 50omal während einer experimentellen Sitzung, in deren Verlauf die Lampe etwa 13 Minuten lang leuchtet. Das heißt, sie lernen die Sonde in durchschnittlich einer Zehntelsekunde loszulassen und wieder zu berühren. Ein derartiges Ergebnis ist bei acht Kapuzineraffen beiderlei Geschlechts im statistischen Sinne gleich ausgefallen.

In mancher Hinsicht sind diese Resultate ebenso beeindruckend wie jene mit dem Krokodil, ganz abgesehen davon, daß sie hier mit Primaten erzielt wurden. Im Gegensatz zum Krokodil sind Affen, wenn sie gesund sind und nicht frieren, gewöhnlich stets in Bewegung. Unsere Kapuzineraffen springen und schwingen im Käfig unaufhörlich umher, ergreifen ein Stück Futter, kauen darauf herum, lassen es fallen, laufen wieder umher, blicken flink in alle Richtungen, bemerken jedes Geräusch und jede Bewegung in ihrer Umgebung. Doch das alles geschieht nicht, wenn sich die Sonde in ihrer Reichweite befindet. Dann setzen sie sich auf den nächstgelegenen Ast, rollen den Schwanz um ihren Hals, und arbeiten sich an der Sonde mit Berühren und Loslassen ab, wobei sie ständig die Lampe anstarren. Ab und zu greifen sie nach unten, heben eine Nuß auf und essen sie, ohne ihre Beschäftigung mit der Sonde zu unterbrechen. Manchmal huschen sie auf einen Schluck zum Wassernapf hinüber und kehren dann sofort zur Sonde zurück. Wenn also der helle Lichtreiz zur Verfügung steht, schränkt der Kapuzineraffe seine übliche Herumspringerei weitgehend ein, setzt sich nieder und widmet sich dem ernsthaften Geschäft der Sinneslust. Eine vergleichbare Ausschließlichkeit der Aktivität wird nur beobachtet, wenn die Affen frisches Futter erhalten oder mit dem Paarungsakt beschäftigt sind. Es kann somit kein begründeter Zweifel daran bestehen bleiben, daß die periphere Selbststimulierung bei der Gruppe der Primaten nachgewiesen worden ist.

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In den nächsten Jahren werden viele Untersuchungen zur peripheren Selbststimulierung durchgeführt und eine Menge neuer Erkenntnisse über ihre Eigenschaften und Kennzeichen im einzelnen gewonnen werden; doch bereits jetzt kann man die wesentlichen Besonderheiten dieses weitverbreiteten Phänomens umreißen. Eines der Merkmale besteht darin, daß die Reaktionsquote mit der Verringerung der Lichtstärke abnimmt; die Reizintensität bestimmt eindeutig das Ausmaß der Anstrengungen, den Reiz zu erhalten. Diese Beobachtung läßt sich mit den ansteigenden Reaktionsquoten bei der intrakraniellen Selbststimulierung vergleichen, wenn die Stromstärke allmählich auf das Optimum eingestellt wird (vgl. S. 69). Wird die Reizintensität auf Null gesenkt — mit anderen Worten, wenn alles gleich bleibt und nur die Lampe nicht aufleuchtet —, berühren die Affen die Sonde 30- bis 35mal im Laufe einer experimentellen Sitzung. Einige dieser Berührungen sind wahrscheinlich eher zufällig; andere mögen hoffnungsvolle Versuche darstellen, die Lampe doch noch zum Aufleuchten zu bringen; die Sonde selbst erweckt eindeutig nur geringes Interesse.

Eine 500-Watt-Glühbirne strömt eine beträchtliche Wärmemenge aus, selbst wenn sie nicht ununterbrochen leuchtet, und es müßte erwogen werden, ob die Affen nicht so sehr an dem eigentlich bedeutungslosen Licht, sondern viel mehr an dem homöostatischen Wärmereiz interessiert waren, wenn sie die Kontaktsonde berührten; damit könnte man auch erklären, weshalb sie bei einer schwachen Lampe kaum reagierten: 45 Berührungen bei 40 Watt, 105 bei 100 Watt. Doch als ich eine fast einen Zentimeter starke Glasscheibe zwischen die Lampe und den Affen plazierte — hinter dieser Glasscheibe konnte die Wärme der Glühbirne weder von einem Thermometer noch von meinem Handrücken registriert werden —, hatte das keinerlei Änderung der Reaktionsquoten zur Folge. Ich bezweifle nicht, daß Affen unter bestimmten Bedingungen Aufgaben erfüllen können, um Wärme zu erhalten.

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Experimente dieser Art wurden mit Mäusen ohne Fell und sogar mit Schweinen durchgeführt; sie mußten dabei auf einen Schalter treten, um eine Infrarotlampe über sich anzuschalten. Doch der wesentliche Unterschied besteht darin, daß die Tiere bei diesen anderen Experimenten froren; sie suchten nicht bloße Lust, nicht nur Sinnesreize, sondern erfüllten eine bestimmte Aufgabe, um ihre Körpertemperatur wieder auf den normalen Stand zu bringen. Wenn die Schweine sich in einer genügend warmen Umgebung aufhielten, kümmerten sie sich nicht um den Schalter. Dieses Verhalten der Schweine war zu erwarten, da sie natürlich vor allem Wärme suchten — mein Affe hat das aber nicht nötig, denn das Laboratorium ist ausreichend geheizt.

Ein weiterer Hinweis dafür, daß die Suche des Affen nach sensorischer Reizung wenig mit den Umwelt­bedingungen zu tun hat, ist den Experimenten zu entnehmen, die wir bei verschiedenen Helligkeitsgraden im Laboratorium durchgeführt haben. Die Tiere wurden nachts beobachtet, wenn alle anderen Lampen ausgeschaltet waren, zu verschiedenen Tageszeiten im Winter, bei trübem, bei bewölktem Himmel, bei hellem Sonnenschein, und selbst bei starkem Scheinwerferlicht, das eine Gruppe Fernsehleute für Aufnahmen benutzte. Unter allen diesen verschiedenen Bedingungen reagierten die Affen in derselben Weise auf das helle Licht, das sie selbst steuern konnten. Diese Beobachtungen sind von Bedeutung, denn es ist seit langem bekannt, daß Affen in einem verdunkelten Raum einen Hebel drücken, um ein kleines Fenster in der Wand zu öffnen oder eine Lampe einzuschalten. Das ist offensichtlich eine gänzlich andere Angelegenheit als bei meinen Kapuzineraffen, die nicht wie bei den Wärmeexperimenten versuchen, einen Deprivationszustand in den Normalzustand zurückzuführen, sondern die sich einfach an dem zusätzlichen Lichtreiz aus vollem Herzen erfreuen.

In ähnlicher Weise sind die Kapuzineraffen sowohl vor als auch nach ihrer allmorgendlichen Fütterung beobachtet worden; und auch hier zeigten sich keine bedeutenden Änderungen der Reaktionsquote. Ebensowenig zeigt sich eine Änderung, wenn sie nach einer Erholungspause von Wochen oder Monaten von neuem getestet werden; sobald sie die Sonde wieder erhalten haben, berühren sie sie in ihrem üblichen Tempo.

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Also tritt diese Reaktion um ihrer selbst willen auf und entsteht im Gegensatz zu vielen Reaktionen bei anderen Verhaltensexperimenten mit Affen nicht durch eine besondere Konstellation von Umwelt­bedingungen. Doch ist die Reaktionsquote keinesfalls unabhängig von allen anderen Faktoren; sie kann leicht — etwa durch Hormone — geändert werden.

Wenn meine Meinung stimmt, daß die periphere Stimulierung das natürliche Gegenstück zur intrakraniellen Selbststimulierung darstellt, dann kann erwartet werden, daß die peripheren Reaktionen durch Hormone in genau der gleichen Weise beeinflußt werden wie die intrakraniellen Reaktionen auch. Diese Fragestellung wird im Augenblick noch intensiv verfolgt, und die Ergebnisse, die bislang vorliegen, sind noch nicht so zahlreich wie jene aus den Kaninchen-Experimenten. Dennoch kann mit einiger Sicherheit gesagt werden, daß bei Verabreichung des männlichen Geschlechtshormons die Reaktionsquote bei Fischen und Affen erheblich ansteigt und bei der Gabe von weiblichen Geschlechtshormonen und Antiandrogenen beträchtlich absinkt. Diese hormonalen Effekte sind ja auch bei der intrakraniellen Selbststimulierung beobachtet worden. So wird dadurch die Hypothese gestützt, daß analog zur peripheren Selbststimulierung Tiere unter nicht-experimentellen Bedingungen ihre limbischen Lustareale elektrisch aktivieren können.

Der Erfolg der Experimente mit weißem Licht legt nahe, die Affen auch mit farbigem Licht zu testen. Obwohl über die Farbtüchtigkeit der Kapuzineraffen noch keine letzte Sicherheit besteht, sind sehr viele Zoologen der Ansicht, daß sie recht gut zwischen den meisten Farben unterscheiden können und nur mit roten Farbtönen leichte Schwierigkeiten haben. Ich untersuchte meine Affen mit gelben, grünen, blauen und roten Lampen. Bei farbigen 40-Watt-Birnen lagen die Reaktionen in derselben Größenordnung wie bei weißem Licht in dieser Stärke; die Affen waren nur mäßig interessiert und reagierten offenbar auf alle vier Farben gleich. Wenn farbige Lampen mit einer Stärke von 250 Watt verwendet wurden, reagierten die Tiere ebenso eifrig — nicht stärker und nicht schwächer — wie auf weißes Licht desselben Helligkeitsgrades.

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Diese Ergebnisse könnten vermuten lassen, daß es dem Kapuzineraffen vollkommen gleichgültig sei, ob der Lichtreiz weiß oder irgendwie farbig ist; der ganze Spaß entstehe durch die Helligkeit. Weitere Experimente wiesen nach, daß das jedoch nicht der Fall ist. Sie deuteten ebenfalls darauf hin, daß die periphere Selbststimulierung den Reizen des alltäglichen Lebens in einer weiteren Hinsicht entspricht.

In einer Phase der Experimente blieben die Sonde und eine helle Lampe, die entweder weiß oder farbig war, statt der üblichen 15 Minuten fortwährend an den Reizgeber angeschlossen. Unter dieser Bedingung fiel die Reaktionsquote innerhalb von 2 Stunden sehr rasch auf den Stand der Kontrollexperimente — bei denen der Reizgeber ausgeschaltet war — ab, welche Farbe auch immer während einer Testsitzung verwendet wurde. Dieser »Sättigungseffekt« ist ein weiterer Aspekt von großer Bedeutung. Die bisher beschriebenen Experimente erlauben keine Schlußfolgerung im Hinblick darauf, ob Affen auf verschiedene Farben auch unterschiedlich reagieren. Daß sie zwischen verschiedenen Farben unterscheiden können, wurde mit einer Versuchsanordnung nachgewiesen, bei der die Sonde fortwährend eingeschaltet war, die Farbe der Lampe jedoch nach jeweils 15 Minuten geändert wurde. Bei diesem Experiment zeigten alle Affen bis zu 4 Stunden lang eine hohe Reaktionsquote. Obwohl sie an einer beliebigen einzelnen Reizart rasch das Interesse verloren, genügte bereits die Änderung der Farbe, um ein erneutes Interesse an dem hellen Licht zu wecken. Fabrikanten wissen sehr genau, warum sie »denselben Artikel in aufregend neuer Verpackung« auf den Markt bringen!

Mit dem nächsten Schritt versuchte ich, den Einfluß von Tönen auf die periphere Selbststimulierung zu untersuchen; dabei stellte sich, wie erwartet, heraus, daß es mit dieser Sinnesmodalität schwieriger ist, intensive Lusterlebnisse hervorzurufen, als mit Licht. Weißes Licht besteht natürlich aus vielen Frequenzen und ist ziemlich häufig in unserem Alltagsleben anzutreffen. Das intensive weiße Licht, von dem sich die Affen so gern anstrahlen lassen, ist nichts weiter als eine besonders interessante Variante dessen, was uns stets ohne jede »tiefere Bedeutung« umgibt.

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Andererseits existiert in unserer All tags weit kein »weißes« Rauschen, das aus vielen gleichzeitig auftretenden Tonhöhen besteht. Es kann nur mit Hilfe von ziemlich aufwendigen elektronischen Geräten erzeugt werden und ist ein höchst unangenehmes Geräusch. Es schien mir nicht sehr ergiebig, die Affen mit einem derart störenden Geräusch zu beschallen und aufzuschrecken. Ebensowenig wollte ich aus Gründen, die ich weiter oben bei der Wahl des optischen Reizes angeführt habe, bedeutungsträchtige Töne benutzen.

Es wäre sicher nicht sehr beeindruckend und würde meine Hypothese auch nicht weiter stützen, wenn die Affen die Kontaktsonde berührten, um zum Beispiel Affengeschrei erschallen zu hören. Um sicherzugehen, daß die Tonreize tatsächlich psychologisch bedeutungslos sind, müßten vollständig künstliche Töne verwendet werden — dann träten aber Probleme wie Gehörschärfe und akustische Differenzierbarkeit auf. Die Augen aller Säugetiere sprechen auf weißes Licht etwa gleich empfindlich an, doch ihr Gehör ist sehr unterschiedlich, und über die Fähigkeiten des Kapuzineraffens auf diesem Gebiet weiß man so gut wie nichts. Ich war sicher, daß sie innerhalb eines breiten Frequenzbereichs hören können, denn ihr Gequieke nach Gesellschaft besteht aus sehr hohen Tönen, und manches freundschaftliche Zwitschern klingt ziemlich tief. Im Hinblick auf die noch annehmbare Lautstärke unterscheiden sich nicht nur die einzelnen Tierarten, sondern auch verschiedene Vertreter derselben Art. Mit allen diesen Einschränkungen mußte ich durch Versuch und Irrtum eine Lösung finden.

Zunächst testete ich die Affen mit einer Reihe reiner Töne aus einem elektronischen Tongenerator, der von der Kontaktsonde eingeschaltet wurde. Damit meine Gegenwart nicht störte, beobachtete ich die Tiere über eine Fernsehanlage. Frequenz und Stärke des Tonreizes, der von einem 30-cm-Lautsprecher ausging, wurden systematisch variiert. Man merkte sofort, daß den Affen die Töne nicht so gut gefielen wie das Licht, obwohl sie sich ihnen gegenüber keineswegs gleichgültig verhielten. Sehr dunkle Töne im Bereich von 40 bis 400 Hertz schienen den Tieren keinen rechten Spaß zu machen, obwohl sie weder ärgerlich noch ängstlich reagierten. Ähnliche Reaktionen wurden bei schrillen Tönen von über 2000 Hertz beobachtet.

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Im Hinblick auf die Reizintensität schien es, daß weder (für mein Ohr) sehr hohe Töne noch sehr geringe Lautstärken die Affen sichtlich erfreuten. Ich drücke mich bei der Beschreibung des Erlebens der Tiere so vorsichtig aus, weil es auf dieser Stufe der Forschung vor allem darauf ankommt, ihr Verhalten zu beobachten und es in einen einsichtigen Gesamtzusammenhang zu stellen. Das war das Beste, was ich tun konnte, wenn ich nicht Jahre mit ziemlich langweiligen und wenig fruchtbaren Untersuchungen verbringen wollte, nämlich eine Frequenz nach der anderen durchzuprobieren und quantitativ auszuwerten. Also entschied ich mich ziemlich willkürlich für einen mittelhohen Ton in einer bestimmten Stärke, der meine Mitarbeiter und mich erleichtert aufatmen ließ, wenn eine Testsitzung beendet war. Dieser Ton wurde auf ein Magnetband aufgenommen, um eine gleichbleibende Reizdarbietung bei verschiedenen Testsitzungen zu gewährleisten.

Ich stellte fest, daß die Affen beim Tonreiz die Sonde nur ein Drittel so häufig berührten wie beim Licht — was natürlich immer noch weit über den Kontrollwerten liegt; wenn ich auch sicher nicht den günstigsten Tonreiz für die Kapuzineraffen gewählt habe — falls es überhaupt einen solchen gibt —, so weisen diese Experimente doch deutlich nach, daß eine periphere Selbststimulierung des Ohres wie auch des Auges bei Primaten vorkommt.

Mein nächster experimenteller Schritt beruhte auf der Annahme, daß Affen Musik mögen. Ich hatte unrecht; nur einige Affen mögen Musik. Wenn der Reiz in hellem Licht oder in einem reinen Ton besteht, zeigen sich keine signifikanten Unterschiede bei den Reaktionsquoten verschiedener Affen. Wenn auch ein Affe gelegentlich einen schlechten Tag hat und seine übliche Reaktionsquote um ein Drittel verringert oder aber an anderen Tagen um ein Drittel über sein Ziel hinausschießt, so ist doch der Durchschnittswert über einen längeren Zeitraum hinweg bei allen Tieren gleich. Einfaches Licht oder ein einfacher Ton bedeutet für alle Affen denselben Lustgewinn. Aber wenn die Kontaktsonde eine Tonbandaufnahme der 6. Sinfonie von Beethoven, der Pastorale, ablaufen läßt, berührt nur einer von zwei derart getesteten Affen die Sonde häufiger.

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Der andere Affe berührt die Sonde ein- oder zweimal, hört sich einige Takte an und kommt ihr dann während der restlichen Zeit nicht mehr zu nahe. Der Affe mit dem musikalischen Ohr kann sich zwar für einfaches Licht mehr begeistern als für Beethoven, doch die Sinfonie scheint ihm wenigstens etwas Vergnügen zu bereiten. Die Ergebnisse dieser Experimente bestätigen eigentlich Erfahrungen unseres Alltagslebens: Es gibt einige Vergnügungsarten, die nahezu allgemeine Wertschätzung genießen, während über andere die Meinungen weit auseinandergehen. Experimente mit peripherer Selbststimulierung bei Tieren mit unterschiedlicher Lebensgeschichte könnten durchaus Hinweise erbringen, warum einige von uns Wein mögen, andere dagegen Bier den Vorzug geben; warum einige Menschen von van Gogh und andere von Gainsborough angesprochen werden; warum einige Demokratie fordern und andere nach dem Kommunismus schreien.

Es gibt einige Merkmale, die der peripheren und der intrakraniellen Selbststimulierung gemeinsam sind, und wenn auch eigentlich nur den Unterschieden Bedeutung zukommt, sollten doch die Gemeinsamkeiten nicht übersehen werden. Eine dieser Gemeinsamkeiten, und das darf man eigentlich nie vergessen, besteht darin, daß die Aufgabe — Drücken des Hebels, Berühren der Sonde — bereitwillig und gern ausgeführt wird. Als weitere Ähnlichkeit ist zu verzeichnen, daß weder die periphere noch die intrakranielle Selbststimulierung einen eventuell notwendigen Gleichgewichtszustand im Organismus wiederherstellt. Was das Kaninchen sucht — Elektrizität, Licht, einen Ton —, ist in keiner Weise für das Überleben der Art notwendig oder für das tägliche Leben wesentlich. Wenn das Tier während des Fressens unter natürlichen Bedingungen eine periphere Reizung der Geschmacksknospen erfährt, nimmt es tatsächlich nebenbei Nahrung zu sich; die Belohnung wirkt wirklich homöostatisch. Das Tier aber (es sei denn, es verfügt über menschliche Eigenschaften) weiß das nicht. Im Hinblick auf die Wünsche und die Lust des Tieres ist es vollkommen gleichgültig, ob das Ohr, das Auge oder die Geschmacksknospen gereizt werden, denn jede dieser peripheren Rezeptorarten aktiviert die Lustareale des limbischen Systems.

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Mit den darin implantierten Elektroden werden einfach die sensorischen Bahnen übersprungen und die Lustzellen direkt stimuliert. Das oft zitierte »homöostatische Verhalten« des Tieres ist nichts als eine semantische Unterscheidung; das Tier sucht Reizungen der Sinnesorgane, und einige wirken zufällig, wenn auch segensreich homöostatisch. Wir werden später noch sehen, daß diese Sachverhalte die Vorgänge bei der Evolution, beim Aussterben und Überleben der Arten wesentlich mitbeeinflussen.

Ein allgemeines Merkmal, das sowohl bei der peripheren wie bei der intrakraniellen Selbststimulierung auftritt, deutet auf die Ähnlichkeit der Prozesse im Gehirn hin. Dieses Merkmal besteht in der »schnellen Auslöschung der Reaktion«. Bei den meisten Lernexperimenten mit Tieren, in denen sie zum Beispiel einen Hebel drücken müssen, um ein Futterkügelchen zu bekommen, wird das Tier schließlich das mühsame Drücken des Hebels unterlassen, wenn es dafür keinerlei Belohnung mehr erhält. Man sagt dann, die gelernte Reaktion ist erloschen, weil das Tier keine Bekräftigung der Reaktion in Form von Futter mehr erfahren hat. Doch das dauert geraume Zeit. Das Tier wird den Hebel noch sehr viele Male drücken, ehe es die Hoffnung aufgibt. Ein neutraler Beobachter, der nicht weiß, daß in einer Serie von etwa zehn Reaktionen nach der fünften Reaktion keine Bekräftigung mehr gegeben wird, kann aus dem Verhalten des Tieres nicht ableiten, von welchem Zeitpunkt an die Testbedingungen sich geändert haben.

Beim Verhalten während der peripheren Selbststimulierung ist die Situation eine ganz andere. Wenn der Reiz abgeschaltet wird, sinkt die Reaktionsquote des Tieres fast sofort auf Null; es drückt den Hebel vielleicht noch ein- oder zweimal, beachtet ihn dann aber nicht mehr und kehrt nur in großen Abständen zurück, um ihn dann nur noch ein einziges Mal zu drücken. Auch ein uneingeweihter Beobachter kann innerhalb von Sekunden feststellen, wann der Reiz abgeschaltet wird. Eine plausible Erklärung mag darin liegen, daß bei den Experimenten mit den üblichen Bekräftigungen das Tier zuvor hungrig oder durstig gemacht worden ist und nun von diesem Mangelzustand angetrieben wird, eine vergebliche Aktivität zu entfalten, in der Hoffnung - wie es früher ja auch geschah -, ein Futterkügelchen zu erhalten.

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Bei meinen Experimenten zur Selbststimulierung besteht so ein innerer Zwang nicht; die Tiere können sich Lust verschaffen, wenn sie wollen, oder die Gelegenheit ungenutzt verstreichen lassen; und sie geben ihre Anstrengungen auf, sobald der lustvolle Reiz nicht mehr eintritt.

Diese Gemeinsamkeiten zwischen den zwei Arten der Selbststimulierung unterstützen die Ansicht, daß beide Verhaltensweisen die Lustareale im Gehirn aktivieren. Jedoch bestand der Anstoß, der mich überhaupt mit dieser Forschung beginnen ließ, in der Unmöglichkeit, die intrakranielle Selbststimulierung als normal zu akzeptieren, und in dem Bestreben, die periphere Selbststimulierung als physiologische Realität nachzuweisen. Der deutliche Unterschied besteht darin, daß die einzelnen neuralen Elemente, die bei der peripheren Selbststimulierung aktiviert werden, in der klassischen Neurophysiologie gut bekannt sind -es sind Rezeptoren, sensorische Bahnen und die sensorischen Zentren im Gehirn. Wenn die Tiere etwas unternehmen, das ihre peripheren Rezeptoren reizt - wodurch Nervenimpulse entstehen, die in verschiedene Teile des Gehirns weitergeleitet werden-, so ist das nichts Besonderes oder Bemerkenswertes. Das würde es im Gegenteil eher dann sein, wenn die Tiere es nicht täten. Bei der intrakraniellen Selbststimulierung jedoch wird auf außergewöhnliche Weise ein Teil des Gehirns aktiviert, ohne daß zuvor andere Teile des Nervensystems durch Umweltreize erregt worden wären.

Der eigentlich bedeutsame Unterschied — der die Grundlage für die neue Theorie des Verhaltens schafft — ist jedoch darin zu sehen, daß das Phänomen der Sättigung wohl für die periphere, nicht aber für die intrakranielle Selbststimulierung charakteristisch ist. Ob man nun an die Fische oder an das Krokodil denkt, die beide den Lichtstrahl fortwährend »durchschwimmen«, oder an die Kaninchen oder an die Affen, die ständig ihre Sonde berühren — alle diese Tiere erreichen ziemlich schnell einen Zustand, in dem sie diesen besonderen Reiz nicht mehr begehren. Sie kehren der Reizquelle freiwillig den Rücken zu und beschäftigen sich mit etwas anderem.

Nach einer Weile kommen sie zwar zurück und suchen den Reiz von neuem, erreichen den Sättigungszustand jedoch bereits nach kurzer Zeit wieder. Wir alle wissen, daß uns jetzt etwas erfreut, was uns ein wenig später schon langweilen kann. Wie appetitlich ein Korb mit Erdbeeren auch immer aussehen mag, wenn wir ein bestimmtes Quantum davon gegessen haben, verlieren wir nach und nach das Interesse an ihnen. 

Dieses »Quantum« kann natürlich von Person zu Person und bei derselben Person zu verschiedenen Zeiten innerhalb gewisser Grenzen schwanken, wir würden aber die gesunde Geistesverfassung eines Menschen anzweifeln, der einen ganzen Korb voll Erdbeeren auf einen Sitz verputzen würde. Auch besuchen wir ein Konzert voll hochgespannter Erwartungen auf den bevorstehenden Ohrenschmaus, und wir genießen die Musik nach Herzenslust; doch wenn wir nach zweieinhalb Stunden des Musikgenusses gezwungen wären, uns noch weitere zwei Stunden lang Zugaben anzuhören, dann würde das für uns eine erhebliche Qual bedeuten. Und es ist kein Zufall, daß die außergewöhnlichen Lusterlebnisse während des Orgasmus nur von so kurzer Dauer sind. Die experimentell angeregte Suche nach sinnlicher Lust zeigt also den gleichen Sättigungseffekt, der auch im Alltagsleben zu beobachten ist.

Die periphere Selbststimulierung ist somit bei Fischen, Amphibien, Reptilien und Primaten überzeugend nachgewiesen worden. Auch beim Menschen kommt sie in deutlich erkennbaren Formen vor: beim Fernsehen, in der Kunst, beim Essen, bei sexuellen Handlungen sowie auch bei vielen »feinsinnigeren« Betätigungen. 

Es wurde zu Anfang erwähnt, daß die limbischen Regionen phylogenetisch gesehen sehr alt sind; wir können jetzt verstehen, daß die darin angelegten Verhaltensmuster schon deshalb so alt sein müssen, weil die neurologischen Vorgänge bei der Suche nach sensorischer Lust bereits beim Fisch — versehen mit dem primitivsten Gehirn unter den Wirbeltieren — nachzuweisen sind. Da der Mensch über dieselbe neurologische Ausrüstung und dieselben Verhaltensmuster verfügt, kann nun vernünftigerweise nicht bezweifelt werden, daß auch die wesentlichen Mechanismen bei der Suche nach sensorischer Lust bei Mensch und Fisch dieselben sind.

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