2 Suche nach multimodaler Lust - Tourismus, Tabak, Drogen, Alkohol, Sexualität und Angst
Campbell-1973
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Der Lusterwerb unter gleichzeitiger Nutzung von mehr als einer Sinnesmodalität ist bei Tieren selten anzutreffen und beschränkt sich mehr oder weniger auf das Sexualverhalten. Beim Menschen jedoch sind viele Tätigkeiten multimodal; für die Ausübung dieser Tätigkeiten können die höheren Hirnregionen durchaus von erheblicher Bedeutung sein, vor allem wenn man sich überlegt, was und wie etwas ausgeführt werden kann.
Als sehr einfache und einleuchtende Beispiele wären Theater, Kino und Fernsehen anzuführen: Der optische und der akustische Sinnesbereich stellen die wesentlichen Lustquellen dar, doch auch das kreative Denken kann dabei eine beträchtliche Rolle spielen. Tätigkeiten wie das Schwimmen sind ebenfalls multimodal, denn zusätzlich zur propriorezeptiven Lust reizt das Wasser die Haut des gesamten Körpers; Lust durch Beteiligung der höheren Regionen entsteht hierbei im wesentlichen jedoch nicht.
Interessant ist, daß Schwimmen aus bloßem Vergnügen nur bei Säugetieren auf einer ziemlich niedrigen Entwicklungsstufe vorkommt; unsere Verwandten unter den Primaten vermeiden es, so gut sie können. Wenn der Mensch die Blume der sensorischen Lust einfach pflückt, ohne sie irgendwie zu kultivieren, steigt er auf der Stufenleiter der Evolution weit hinab.
Möglicherweise hat diese Suche nach größerer sensorischer Lust, die in Unkenntnis der Funktionsweisen des Körpers abläuft, zu einigen Übeln in unserer Gesellschaft geführt.
In der Psychologie und Neurophysiologie ist das Phänomen des <Reizüberschusses> bekannt. Und man kennt den auf neuralen Grundlagen beruhenden <Reizschutz>, der unbewußt und unwillkürlich als Sicherheitsvorkehrung einspringt, wenn die Reizsituation zu intensiv wird.
Wahrscheinlich wird bei der Suche nach unimodaler sensorischer Lust ein angemessenes Erregungsniveau der Lustareale nur selten überschritten.
Daß eine starke, unnatürliche Reizung in einer einzigen Sinnesmodalität die Hirnmechanismen durcheinanderbringen kann, wurde durch Experimente mit hellen, flackernden Lichtblitzen nachgewiesen. Nur wenigen Menschen gelingt es, solche Lichtblitze auszuhalten; wenn etwa sechs Lichtblitze pro Sekunde in das Auge treffen, dann verlieren die meisten Menschen innerhalb von ein bis zwei Minuten die Orientierung, Muskelzuckungen treten auf, sobald die Überstimulierung auf das motorische System übergreift, und schließlich entzieht man sich dem Reiz durch eine vorübergehende Ohnmacht. Normalerweise jedoch tritt der Reizschutz, wenn auch meist weniger dramatisch, als Folge eines multimodalen Reizüberschusses ein.
Folgende Überlegung ist vielleicht nicht zu weit hergeholt:
Wenn Tausende von Menschen bei einem Fußballspiel mehrere Stunden lang intensiv, multimodale Sinnesreize auf sich einwirken lassen — das Gelaufe der Sportler, das Geschrei der Zuschauer, die Erregung der Proprio-Rezeptoren durch das eigene Gestikulieren und Herumspringen und die vegetativen Erregungsreaktionen —, dann ist die Reizschwelle nach Abschluß des Spiels zumindest teilweise so weit gesenkt, daß nun schon ein sehr schwacher unlusterregender Reiz bei einigen Leuten zu unangenehmen Aggressionen, ja, selbst zu Gewalttätigkeiten führen kann.
Andere Menschen verspüren nach Beendigung des Fußballspiels vielleicht ein Gefühl der inneren Leere, und sie werden auf dem Heimweg eine mehr oder minder ausgeprägte Zerstörungswut an den Tag legen, da die Aktivierung ihrer Lustareale nicht plötzlich nachläßt, sondern allmählich auf das gewöhnliche Alltagsniveau absinkt.
Nach dem unimodalen sensorischen Genuß von klassischen Konzerten zeigen sich selten Zerstörungswut und Gewalttätigkeit.
Obwohl bei Mensch und Tier eine nachweisbare Neigung besteht, abwechslungsreiche und möglichst komplexe Wege zum Ziel einzuschlagen, können wir trotzdem die Wirkungsweise des Reizüberschusses in länger andauernden Situationen beobachten, und zwar vor allem dann, wenn die sensorische Stimulierung vom Individuum nicht beeinflußt werden kann.
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Die Reizschutzmechanismen könnten sogar als neurologische Erklärung für die stürmische Begeisterung herangezogen werden, mit der der Mensch die kurzzeitige Reizunterbrechung während einer Flugreise erlebt. Viele Menschen, die mit den herkömmlichen, zeitraubenden Verkehrsmitteln wie Eisenbahn und Schiff reisen, erreichen ihren Bestimmungsort abgespannt und zerschlagen; dabei haben sie während der Reise nur sehr wenig Energie verbraucht. Dieser Zustand am Ende der Reise entspringt nicht einer Ermüdung der Muskeln, sondern einer Ermüdung der Lustareale, die auf eine ständige Bombardierung mit wahllosen Sinnesreizen zurückgeht — diese Bombardierung kann solche Ausmaße annehmen, daß sich die Reisenden nach einer mehrstündigen sensorischen Deprivation in einem ruhigen Zimmer sehnen.
Die Defizite der Deutschen Bundesbahn und der Schiffahrtsgesellschaften — die den Reisenden ursprünglich bessere Möglichkeiten der sensorischen Stimulierung bieten wollten — lassen sich also auf die elektrischen Vorgänge in unseren Lustarealen zurückführen.
Die ungeheure Zunahme an Personenkraftwagen läßt sich nicht ohne weiteres mit einem gesteigerten Reisebedürfnis erklären, da ja für dessen Befriedigung verschiedene Alternativen vorhanden sind. Die meisten Autofahrer müssen wohl Freude am Autofahren haben; sie setzen sich nicht aus reinen Nützlichkeitserwägungen in ihr Fahrzeug. Auch an diesem Beispiel kann man erkennen, wie das untermenschliche Verlangen nach multimodalen Reizen — in diesem Fall optischer, propriorezeptiver und vegetativer Art — eine gigantische Industrie ins Leben gerufen hat, die nun allerdings eben die Quelle der Lust zu vernichten droht, die sie zunächst geschaffen hatte. Viele Autofahrer sind natürlich beruflich und aus höchst vernünftigen Gründen unterwegs; es ist vor allem der Sonntagsfahrer, der zur Verstopfung der Straßen und zur Luftverschmutzung beiträgt und damit eines der größten ungelösten Probleme unserer Zeit darstellt.
Eine weitere, verwandte Form der multimodalen Lust erklärt die Millioneninvestitionen der Reiseunternehmen.
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Die Werbebroschüren der Reisegesellschaften sagen sehr wenig über intellektuelle Lustquellen in den verschiedenen Urlaubsorten; die gustatorischen, taktilen und optischen Reize, die auf den Erholungssuchenden warten, werden dagegen recht wortgewaltig und anschaulich beschrieben.
Falls die Behauptung, daß der Tourismus auf der Grundlage der sensorischen Aktivierung der Lustareale beruht, den Eindruck einer Überstrapazierung unserer Theorie erwecken sollte, so möge man bedenken, wie wenig Anklang ein Urlaubsort finden würde, der nur mit einer unimodalen sensorischen Lust für sich werben könnte, etwa mit der überwältigenden Schönheit des Nordlichts oder mit der beständig strahlenden Wüstensonne.
Die gegenwärtig steigende Suche nach multisensorischer Lust kann auch an der zunehmenden Beliebtheit des Wassersports abgelesen werden. Beim Bootsfahren, vor allem wenn es sich um Segelboote handelt, wird der vestibuläre Gleichgewichtssinn durch die Roll- und Schlingerbewegungen stimuliert; die ritualisierte Handhabung der Taue spricht den propriorezeptiven Sinnesbereich an, und eine ganze Reihe optischer und akustischer Reizmöglichkeiten kommen noch dazu. Zusammen mit diesen Empfindungen spielt beim Bootssport die vegetative Reizung eine Rolle, die — wenn man dem Seemannsgarn der Süßwassermatrosen Glauben schenken möchte — für viele Menschen einen wesentlichen Bestandteil des Segelvergnügens ausmacht.
Doch auch mit dem Bootssport übertreibt es der Mensch zu seinem eigenen Nachteil, und er überfüllt im Zuge dieser ausgefallenen Suche nach multimodaler sensorischer Lust seine Seen mit Bootsliegeplätzen und mit Bootsklubs, deren Mitglieder sich dem Bootssport oft gar nicht besonders intensiv widmen. Offensichtlich gibt es Menschen, die ihr Bedürfnis nach untermenschlicher Lust vom Sport leicht auf die vielfältigen anderen sensorischen Möglichkeiten verlagern können, die von einem gut funktionierenden Klub angeboten werden.
Auf diese Weise können kommerzielle Interessen die physiologischen Vorgänge im Gehirn und damit das Verhalten manipulieren, ohne eine einzige Elektrode verwenden zu müssen.
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Wenn man beobachtet, mit welcher Ausdauer und mit welcher Besessenheit sich viele Menschen den multimodalen, sensorischen Verhaltensweisen widmen, und wie frustriert und unausgeglichen sie sind, wenn sie daran gehindert werden, so wird man unweigerlich an Süchte erinnert, und das Drogenproblem rückt in den Brennpunkt der Diskussion.
Das Problem der Drogenabhängigkeit ist äußerst komplex, und eine einzige Ursache als Erklärung reicht mit Sicherheit nicht aus. Dennoch erscheint es als sehr wahrscheinlich, daß wenigstens einer der Faktoren, die zur Drogenabhängigkeit führen, in der untermenschlichen Suche nach multimodaler, sensorischer Lust besteht. Trotz der unterschiedlichen Wirkungsweise verschiedener Stimulierungsdrogen ist ihnen gemeinsam, daß sie die Aufnahmebereitschaft für Reize in allen Sinnesbereichen erhöhen. Durch Aufputschmittel, wie beispielsweise Amphetamine, wird die Empfänglichkeit für natürliche äußere Reize aus der Umgebung gesteigert.
Stimulierende Drogen führen auch zur Erhöhung der Reaktionsquoten bei der intrakraniellen Selbststimulierung, was auf eine herabgesetzte Reaktionsschwelle in den limbischen Lustarealen hindeutet. Diese einfache, neurologisch begründete gesteigerte Aufmerksamkeit gegenüber der Umwelt war der Anlaß für einige Spekulationen, die darauf hinauslaufen, daß die Einnahme derartiger Drogen in gewisser Hinsicht den Intellekt schärfe und dem Gehirn größere Fähigkeiten verleihe. Die Zweifelhaftigkeit einer solchen Argumentation wird sofort klar, wenn man sich des neurologischen Sachverhalts bewußt ist, daß man mit Hilfe der Drogen einfach eine größere sensorische Lust aus normalerweise unbedeutenden Sinnesreizen gewinnt.
Einige Menschen können sich ganz geschickt davon überzeugen, daß das, was sie besonders gern mögen, auch wertvoll für sie sei, und das mag gelegentlich auch durchaus stimmen, hat aber herzlich wenig mit den Fähigkeiten des Gehirns zu tun. Diese — unsere — Meinung müßte natürlich geändert werden, wenn durch die Einnahme von Drogen jemals etwas von dauerndem Wert entstünde, das auf keine andere Weise hervorgebracht werden kann.
Rauschdrogen wie das LSD können enorme Wahrnehmungsstörungen zur Folge haben, so daß die bekannten Dinge in der Umgebung plötzlich außerordentlich interessant erscheinen; sie können auch vollkommen neuartige Sinnesempfindungen in Form von optischen, akustischen und taktilen Halluzinationen im Gehirn entstehen lassen — eine Art Delirium tremens.
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Sie können eine so gewaltige Aktivierung der Lustareale bewirken, daß die Reaktionsquote der intrakraniellen Selbststimulierung bei Tieren auf Null zurückgeht, wenn sie unter dem Einfluß von LSD stehen. Es hat den Anschein, daß auch der Mensch selten einer nützlichen Tätigkeit nachgeht, wenn er »auf einem Trip« ist.
Es kann kaum bezweifelt werden, daß ein Mensch mit einer entsprechenden Entwicklungsgeschichte und einem Lebensstil, der eine ausreichende Stimulierung seiner Lustareale und eine weitgehende Passivität seiner Unlustareale mit sich bringt, höchstwahrscheinlich nicht nach jenen Erlebnissen verlangt, die von Rauschdrogen hervorgerufen werden. Wie auch immer die individuellen und gesellschaftlichen Probleme der Drogenabhängigkeit beschaffen sein mögen, sie lassen sich auf den Tatbestand eines unangemessen niedrigen Erregungsniveaus der Lustareale reduzieren. Lust wird dann auf der untermenschlichen, sensorischen Stufe in einer Weise gesucht, die das Mitwirken anderer Faktoren überflüssig macht.
Auf den ersten Blick erscheint es seltsam widersprüchlich, daß den jungen Menschen heutzutage eine Fülle an vielfältigen und intensiven sensorischen Lustquellen zur Verfügung steht wie niemals zuvor und daß trotzdem die Zahl der jugendlichen Drogensüchtigen weiterhin beunruhigend rasch steigt. Man könnte sich die Frage stellen, ob dieses Problem entstanden wäre, wenn Technik und Wirtschaft den jungen Menschen in vergleichbarem Umfang Lustquellen nicht-sensorischer Art angeboten hätten, statt aus den untermenschlichen Bedürfnissen der Jugend profitgierig Kapital zu schlagen.
Tranquilizer gehören in einen anderen Wirkungsbereich und sind in gewisser Hinsicht dem Alkohol vergleichbar. Obwohl kleine Mengen Alkohol anregend wirken, was den größten Teil des Alkoholkonsums erklärt, übt Alkohol in größeren Mengen, wie sie etwa von Alkoholsüchtigen getrunken werden, eine betäubende Wirkung auf das Gehirn aus, und in der Unfallchirurgie macht man sich diesen Effekt in Ermangelung geeigneterer Betäubungsmittel sogar zunutze.
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Untersuchungen zur Persönlichkeit der Alkoholiker lassen die neurophysiologische Grundlage ihrer Sucht erkennen. Weit davon entfernt, nach untermenschlicher, sensorischer Lust zu suchen, bemüht sich der Alkoholiker, und oft sogar mit Erfolg, die Reizung seiner Unlustareale — vor allem aus den höheren Himregionen — einzuschränken. Viele äußerst aktive Menschen in leitender Position benutzen Alkohol als eine Art chemischen Reizschutz, der den permanenten Leistungsdruck vorübergehend ausschalten soll.
Die Arbeitsweise der Anonymen Alkoholiker, einer Selbsthilfeorganisation vormals alkoholabhängiger Menschen, läßt ein intuitives Verständnis für das in dieser Situation bestehende Bedürfnis erkennen, vor allem unlustbetonte Stimulierungen auszuschalten, während lustbetonte Sinnesreize gar nicht unbedingt erforderlich sind. Der enge Zusammenhang zwischen dem Alkoholismus und den Lustarealen ist in den USA durch Untersuchungen des Hirnforschungszentrums an der Universität von Syracuse eindeutig nachgewiesen worden.
Alkohollösungen werden gewöhnlich von allen Tieren gemieden; doch wenn bei Ratten der laterale Hypothalamus — der sehr wirkungsvolle Lust- und Unlustareale enthält — elektrisch stimuliert wird, dann trinken die Tiere bis zu einer Dauer von 25 Tagen täglich beträchtliche Mengen Alkohol. Interessanterweise werden sie aber nicht süchtig, denn sie lehnen Alkohol sofort wieder strikt ab, wenn das Gehirn nicht mehr stimuliert wird. Dieser Sachverhalt legt die Vermutung nahe, daß das »zwanghafte Trinken« aufgrund bestimmter Umweltkonstellationen entsteht, die eine Aktivierung der limbischen Hirnregionen bewirken.
Der Genuß von Tabak — einst ausschließlich das Vergnügen primitiver Stämme mit nur wenigen anderen Lustquellen — ist heute ein weitverbreitetes Vergnügen in hochtechnisierten Gesellschaften und bleibt auch keineswegs mehr auf Zeiten der Ruhe und der Entspannung beschränkt.
Es kann nicht bezweifelt werden, daß der Vorgang des Rauchens mehrere Sinnesbereiche stimuliert:
Reizung der Lippen,
der Geschmacksknospen,
der Nasenschleimhaut und zusätzlich
die Reizung der Propriorezeptoren durch die Bewegungen, die mit der Vorbereitung des Rauchens und mit dem Rauchen selbst verbunden sind.
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Wenn sich jemand beiläufig um seine Arbeit Sorgen macht, so können die aus den höheren Regionen in die Unlustareale hinabfließenden Nervenimpulse durch hinauffließende Sinnesimpulse in gewissem Maße gemildert werden; derartige Sinnesimpulse können durch das Rauchen leicht hervorgerufen werden, denn während des Rauchens läßt sich die Arbeit fortsetzen, was bei anderen sensorischen Lustquellen in der Regel nicht möglich ist.
Es wäre beispielsweise für einen werdenden Vater, dessen Frau gerade ein Kind zur Welt bringt und der deshalb unter schweren Angstzuständen leidet, aufgrund gesellschaftlicher Normen undenkbar, ins Kino zu gehen oder Fußball zu spielen, um sich abzulenken; folglich kann ihm auf sensorischer Ebene nur die multimodale Stimulierung durch das Rauchen zu einer Aktivierung der Lustareale verhelfen.
Klar, daß viele, die sich das Rauchen abgewöhnen wollen, indem sie Süßigkeiten naschen, schmählich scheitern, denn die unimodale gustatorische Lust reicht einfach nicht aus, den umfassenderen Genuß des Rauchens auszugleichen.
Es hat offenbar ein Selektionsprozeß stattgefunden, wenn man sich entscheidet, ins Kino zu gehen oder fernzusehen, zu segeln oder zu reisen, zu rauchen oder zu trinken. Die Entscheidung für eine bestimmte Form der multisensorischen Stimulierung wird sicher von sehr vielen Faktoren beeinflußt, doch wir können wohl davon ausgehen, daß die bisher behandelten sensorischen Lustquellen weitgehend von äußerten Faktoren abhängen, etwa von den Eltern und den Freunden.
Das gilt jedoch nicht für die Entscheidungsprozesse, die im Zusammenhang mit den weitverbreiteten, multisensorischen Formen des Sexualverhaltens auftreten.
Obwohl das männliche und das weibliche Sexualverhalten einige Gemeinsamkeiten aufweisen, gibt es doch sehr subtile Filtermechanismen im Hinblick auf die auslösenden Sinnesreize, die beim normalen heterosexuellen Verhalten toleriert werden, und diese Filtermechanismen liegen in der Funktionsweise des Nervensystems begründet. Unter dem Mikroskop oder auf dem Seziertisch läßt sich das Gehirn eines Mannes unmöglich von dem einer Frau unterscheiden; mit anderen Methoden jedoch kann der Unterschied leicht festgestellt werden.
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Bei den meisten Säugetieren läßt sich aufgrund quantitativer Beobachtung deutlich zwischen Männchen und Weibchen unterscheiden, und zwar vor allem im Hinblick auf Hormonspiegel und körperliche Aktivität; beim Weibchen zeigen sich ein periodisches Ansteigen und Absinken des Hormonspiegels im Blut sowie Leistungsschwankungen bei der Bewältigung von Aufgaben, die körperliche Aktivität erfordern. Das Männchen ist in diesen beiden Bereichen relativ beständig.
Schon seit vielen Jahren weiß man, daß der Hormonspiegel vom Vorderlappen der Hypophyse gesteuert wird, die an der Basis des Gehirns liegt und durch kurze Blutgefäße mit ihm verbunden ist. Untersuchungen von Professor G. Harris und Dora Jacobsohn haben ergeben, daß nicht eigentlich die Hypophyse bestimmt, ob sich das Tier im Hinblick auf Hormonhaushalt und Aktivitätsschwankungen männlich oder weiblich verhält. Diese Forscher transplantierten die männliche Hypophyse in Weibchen und stellten fest, daß die typisch weiblichen Leistungsschwankungen nicht aufhörten; ebensowenig konnten die Männchen durch die Einpflanzung von weiblichen Hypophysen zu diesen Schwankungen veranlaßt werden. Die Experimente wurden mit Ratten durchgeführt, sind jedoch inzwischen mehrfach durch Experimente mit vielen höheren Tierarten bestätigt worden.
Mit weiteren Untersuchungen wurde nachgewiesen, daß die Hypophysen von Männchen und Weibchen gleichartig sind, im Gegensatz zum darüberliegenden Teil des Gehirns, dem Hypothalamus. Chemische Substanzen, die in den Nervenzellen des Hypothalamus gebildet werden, gelangen über die kurzen Blutgefäße in die Hypophyse und üben auf diese einen steuernden Einfluß aus. Auf diese Weise steuert das Gehirn die endokrinen Drüsen im gesamten Körper. Dieser Sachverhalt wurde zum erstenmal von Harris theoretisch formuliert und ist jetzt vielfach empirisch bewiesen.
Harris und ich isolierten den hypothalamischen Wirkstoff, der über die Hypophyse die Funktionen des Ovars einschließlich der Eireifung reguliert. Andere Wissenschaftler haben ähnliche Substanzen erforscht, die andere Drüsen steuern, und die äußerst wertvollen Bemühungen von Professor Andrew Schally von der Tulane-Universität erfuhren in der biochemisehen Analyse und Synthese dieser Wirkstoffe ihren Höhepunkt. Für die Innere Medizin werden diese Substanzen von weitreichender Bedeutung sein.
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Einige amerikanische Wissenschaftler wiesen nach, daß die einmalige Verabreichung von nur einem millionstel Gramm des männlichen Geschlechtshormons an weibliche Tiere kurz nach der Geburt den Hypothalamus derart beeinflußte, daß sie auch nach der Geschlechtsreife fortpflanzungsunfähig blieben, das heißt, es kam weder zu Hormonspiegelschwankungen noch zu regelmäßigen Eireifungen. Harris führte diese Experimente weiter, indem er die Keimdrüsen neugeborener Männchen entfernte und nachwies, daß diese kastrierten Männchen später zyklische Schwankungen in ihrer körperlichen Aktivität zeigten, und daß nach der Implantation eines Ovars periodisch ein Ei heranreifte, wie es bei jedem gesunden Weibchen auch geschieht.
Ich arbeitete zusammen mit Harris einige Jahre lang auf diesem Forschungsgebiet, und meine eigenen veröffentlichten Untersuchungen weisen darauf hin, daß der Hypothalamus der Männchen tatsächlich kurzzeitig Schwankungen unterliegt, die später dann nicht mehr auftreten — und das sogar bei unbehandelten Tieren. Vereinfacht ausgedrückt bedeutet das, daß wir alle im Hinblick auf die Hirnfunktion eine kurze Zeit lang Mädchen sind, und dann wandeln in einigen von uns die männlichen Geschlechtshormone das originär weibliche Gehirn in ein männliches um — wobei wir immer von der allerdings sehr wahrscheinlich richtigen Annahme ausgehen, daß sich die Untersuchungsergebnisse vom Tier auf den Menschen übertragen lassen, denn die Ergebnisse sind bei allen untersuchten Tierarten von der Ratte bis zum Affen gleich ausgefallen.
Es besteht aller Grund zu der Vermutung, daß die Änderungen im Gehirn, die zu einem unterschiedlichen Hormonhaushalt und Aktivierungsniveau führen, auch die Verhaltensmechanismen beeinflussen. Mit anderen Untersuchungen konnte ich tatsächlich nachweisen, daß die Wirkstoffe, die im Hypothalamus entstehen und die Hypophyse steuern, auch einen Einfluß auf die Suche nach Lust ausüben, wie durch die intrakranielle Selbststimulierung festgestellt wurde.
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Alles deutet darauf hin, daß für die überwiegende Mehrzahl von uns die akzeptierte Form der sensorischen Stimulierung beim Sexualverhalten — im Gegensatz zu sehr vielen anderen Quellen der Lust und Unlust — vollständig davon abhängt, was sich mit unserem Gehirn zur Zeit der Geburt chemisch ereignet hat, und diese neurale Entscheidung ist für das Sexualverhalten unendlich viel folgenschwerer als für jede andere Form der Lustsuche.
Zum Beispiel haben viele Umfragen ergeben, daß es für den durchschnittlichen Mann eine vollkommen normale Angelegenheit ist — ob man nun darüber spricht oder nicht —, mit einer Frau den Zungenkuß zu tauschen und sie bei intimer Bekanntschaft durch einen Cunnilingus zu stimulieren. Ebenso genießt die Frau den Zungenkuß mit einem Mann und auch die Fellatio. Andererseits pflegt der durchschnittliche Erwachsene eben diese Form der sensorischen Stimulierung mit einem gleichgeschlechtlichen Partner als widerwärtig zu empfinden.
Die Entwicklung und die Funktionen der Lustareale können aber auch fehlerhaft ablaufen, was unter Umständen Geistesstörungen zur Folge hat.
Obwohl die Entstehung der Homosexualität zweifellos ebenso komplex ist wie jede andere Verhaltensweise des Menschen, läßt sich dennoch die Ansicht vertreten, daß wenigstens in einigen Fällen diese Form des Sexualverhaltens durch eine Fehlentwicklung des Gehirns bedingt ist. Freilich können die beteiligten Personen nicht für etwas zur Verantwortung gezogen werden, was geschah, bevor sie sprechen oder gar atmen konnten. Wenn man die mannigfaltigen Probleme bedenkt, die aus dem Bedürfnis erwachsen, befriedigende heterosexuelle Beziehungen mit den entsprechenden willkürlichen, gesellschaftlichen Forderungen zu verbinden, so kann der Homosexuelle vielleicht sogar um die Einfachheit beneidet werden, mit der er zu seiner besonderen Form der multisensorischen Lust gelangt.
Obwohl die Heterosexualität eine elementare Überlebensnotwendigkeit bei Tieren darstellt, hat sie diese Funktion beim Menschen schon seit langem eingebüßt; die Zeugungstüchtigkeit des Menschen in ihrem gegenwärtigen, unbegrenzten Ausmaß könnte sich sogar als verheerend für die Menschheit herausstellen. Selbst wenn die Homosexualität bei Männern und Frauen ursprünglich aufgrund einer chemischen Störung ihres Gehirns entstand, so suchen doch diese Menschen nach körperlichen Lustquellen auf eine Weise, die der Gesellschaft keinen Schaden zufügt.
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Auf der Grundlage dieses experimentellen Befundes können wir verstehen, wie Einstellungen, die wir als ausgesprochen individuell betrachten, in Wirklichkeit eine mehr oder minder zufällige Folge dessen sind, was sich mit unserem Hypothalamus zur Zeit unserer Geburt ereignete; die jeweiligen Äußerungsformen unseres sexuellen Verhaltens mögen dagegen durchaus von Elternhaus und Umwelt bestimmt sein, besonders was Ausmaß und Art der verschiedenen Tabus auf diesem Gebiet betrifft. Trotzdem waren viele Jahre lang die Unterschiede im Sexualverhalten zwischen Mann und Frau festgelegt.
Wie Desmond Morris in seinem Buch <Der nackte Affe> hervorhebt, besitzt der Körper des Menschen im Unterschied zu dem vieler Affenarten praktisch keine eindeutigen geschlechtlichen Erkennungszeichen, so daß der Mensch mit Kleidung, Haartracht, Körperpflege und Schmuck künstliche Geschlechtsmerkmale schuf. Alle derartigen Vorkehrungen sollen gewährleisten, daß das Individuum möglichst zuverlässig die sexuellen sensorischen Reize erhält, die vor allem die Lustareale und nicht so sehr die Unlustareale aktivieren.
Derartige künstliche Auslöser sind offenbar von großem Wert für den unverbildeten Menschen, dessen Bedürfnisse, Einstellungen und Absichten für andere Menschen mit der gleichen dumpfen Geisteshaltung unmißverständlich und auf den ersten Blick klar sein müssen. Die gegenwärtige Tendenz zur Nivellierung der äußeren Erscheinung, die oft als »Unisex« bezeichnet wird, ist ein ausgezeichnetes Beispiel für die enorme Intellektualisierung vieler junger Leute. Es liegen Hinweise darauf vor, daß in der Jugend ein kritischer Intellekt vorhanden ist, der die veralteten Geschlechtersymbole ablehnt und erkennt, daß Männlichkeit und Weiblichkeit nicht durch Kleidung und Frisur ausgedrückt werden kann. Auf diesem wie auf anderen Gebieten zeigt die jüngere Generation deutlich ein besseres Verständnis für einige Aspekte der Realität als viele ihrer älteren Zeitgenossen.
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Vor dem Hintergrund der beschriebenen neurologischen Zielsetzung unserer sexuellen Mechanismen ist es nicht überraschend, daß die Ersatzbefriedigungen in jenen Gesellschaften an Bedeutung gewonnen haben, in denen die entsprechenden »Ersatzhandlungen« zur Verfügung stehen. Wenn man erst einmal erkannt hat, daß der einzige Wert des Sexualverhaltens in der damit zusammenhängenden vielfältigen und intensiven multimodalen Sinnesreizung begründet liegt, dann kann man leicht verstehen, daß jede Tätigkeit, die eine ebenso intensive multimodale Reizung ermöglicht, als Ersatz für die Sexualität hervorragend geeignet ist.
Es wäre jedoch falsch zu glauben, daß jede Suche nach multimodaler Sinneslust als Ersatz für Sexualität angesehen werden müßte; die Aktivierung der Lustareale wird hie und da vielleicht tatsächlich nur um ihrer selbst willen genossen. Es ist nicht ungewöhnlich, daß beispielsweise die Beschäftigung mit Kunst oder Wissenschaft als eine Sublimierung des Geschlechtstriebs betrachtet wird, doch eine ganze Reihe kreativer Persönlichkeiten der Vergangenheit waren sexuell zweifellos aktiv - manchmal sogar überdurchschnittlich aktiv.
Die Meinung ist sicher unvernünftig, daß die Kreativität des Menschen irgendwie eine verfeinerte und höhere Form der Kopulation sei, denn die meisten kreativen Unternehmungen sind weder multi-sensorisch noch besonders intensiv. Andrerseits könnte man sagen, daß viele körperliche Tätigkeiten sexuelle Ersatzhandlungen darstellen; sexuell frustrierten jungen Leuten wird oft empfohlen, lange Spaziergänge zu machen, Sport zu treiben oder sich bei einer anderen multimodalen Beschäftigung abzureagieren.
Viel interessanter als die unhaltbare Sublimierungstheorie ist vielmehr, daß gewisse Formen des Sexualverhaltens überhaupt nichts mit Sexualität zu tun haben, wie sich bei genauerer Analyse herausstellt. Für viele denkende Menschen muß es offenkundig sein, daß ein Großteil der scheinbar sexuellen Beziehungen ihrer Bekannten nur beiläufig mit sexueller Lust zusammenhängen und überwiegend deshalb gepflegt werden, weil bei jedem bzw. jeder das Bedürfnis besteht, sich von seiner außerordentlichen Männlichkeit bzw. ihrer außerordentlichen Weiblichkeit zu überzeugen und diese Wunschvorstellung von anderen bestätigt zu sehen.
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Leider ist das nach unserer Definition eine menschliche Verhaltensweise, denn diese Menschen erhalten ihre Lust nicht durch die sexuellen Sinnesreize, sondern aus den von den höheren Hirnregionen hinabfließenden Nervenimpulsen. In ähnlicher Weise mag ein Mensch, der keine ausreichende Aktivierung seiner limbischen Lustareale aus irgendeiner Quelle erfährt, nach einem Verhalten suchen, das diesen Mangelzustand zu beheben vermag. Also kann gefolgert werden, daß die Masturbation keineswegs immer eine Form einsamer, ichbezogener Sexualität ist.
Es passiert immer wieder, daß die Masturbation erst nach einer fast zufälligen Stimulierung der Geschlechtsorgane erfolgte. So wie manche Menschen bisweilen auf dem Bleistift herumbeißen, mit ihren Ohrläppchen spielen oder an ihrem Schnurrbart zupfen, berühren sie auch hin und wieder unbewußt ihre Genitalien. Nach kurzer Zeit werden sie sich dessen bewußt, und sie haben Lust weiterzumachen, jetzt aber mit aller Aufmerksamkeit. Wenn sie nicht mit ihren Genitalien gespielt hätten, würden sie vielleicht einfach mit ihrer augenblicklichen Beschäftigung aufgehört und den Radio- oder Fernsehapparat eingeschaltet haben.
Obwohl bei vielen Notzuchtdelikten der Mann zweifellos sexuelle Befriedigung sucht, trifft das bei einer ganzen Reihe von Fällen jedoch nicht zu. Häufig ist der Täter nicht einmal sexuell »ausgehungert«, und er sucht wahrscheinlich vor allem nach vegetativer Stimulierung.
Das vegetative, autonome System ist der Teil des Nervensystems, der die automatisch ablaufenden Körpervorgänge steuert wie etwa Herzschlag, Atmung, Darmtätigkeit, Pupillendurchmesser, Blutdruck sowie Urin- und Kotentleerung. Einige dieser Funktionen lassen sich teilweise willentlich beherrschen, doch laufen sie alle weitgehend ohne größeren Aufwand an Denktätigkeit ab. Seit 1929 wissen die Physiologen, daß das vegetative Nervensystem mit »Kampf oder Flucht« zusammenhängt, denn die vegetativ gesteuerten Veränderungen im Körper werden von derartigen Verhaltensweisen maßgeblich beeinflußt.
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Jeder weiß, daß bei Angst unser Pulsschlag steigt, die Atmung sich beschleunigt und eine ganze Reihe anderer Reaktionen eintreten; diese vegetativen Erregungszustände werden treffend beschrieben, wenn man sagt, »mir liegt etwas im Magen«.
Ein Großteil der vegetativen Reaktionen geht auf das Adrenalin zurück, das durch das vegetative Nervensystem aus der Nebennierenrinde freigesetzt wird. Teleologisch gesehen haben sich derartige Reaktionen entwickelt, um den Körper auf bevorstehende schwierige Angriffs- oder Verteidigungsanstrengungen vorzubereiten
Bei dem relativ friedlichen Leben in hochentwickelten Staaten haben sie eine ganz andere, zusätzliche Aufgabe zu erfüllen. Bestimmte Regionen des limbischen Systems, die dicht bei den Lustarealen liegen, sind für die Steuerung von Wutreaktionen verantwortlich, und es ist anzunehmen, daß durch vegetative Reaktionen Nervenimpulse aus verschiedenen inneren Organen in das Gehirn geleitet werden und dort zu einer Aktivierung der Lustareale führen. Mit anderen Worten: Die Verhaltensweisen, die vom Standpunkt der Vernunft aus als unlustbetont betrachtet werden müssen, rufen in Wirklichkeit Lust hervor.
Im pathologischen Bereich können wir derartige Extremsituationen bei Masochisten und Sadisten beobachten, doch auch viele normale Verhaltensweisen gehören in dieselbe Kategorie. Der Durchschnittsbürger gerät nur selten in eine Situation, in der er kämpfen oder fliehen muß, doch wenn das im Krieg geschieht, gibt es unendlich viele Beispiele für Gewalt und Gefahr, die Lust hervorrufen. Die enthusiastischen Erlebnisberichte von Piloten der britischen Air Force und der deutschen Luftwaffe sind bestens dokumentiert; doch ist das vielleicht nicht einmal ein außergewöhnliches Beispiel dafür, wie Konfliktsituationen vom Menschen als lustbetont erlebt werden, das heißt, Situationen, in denen das vegetative Nervensystem das Gehirn mit Nervenimpulsen bombardiert.
Es ist eine weitverbreitete Ansicht, daß einige junge Leute - unabhängig davon, was sie auf ihre Fahnen schreiben — sich Protestaktionen anschließen, weil sie am Zusammenstoß mit der staatlichen Autorität Gefallen finden.
Wie mehrfach festgestellt wurde, ist es vielleicht kein Zufall, daß die gegenwärtige Zunahme krimineller Gewalttätigkeit etwa in die Zeit fällt, in der ein dritter Weltkrieg in den Bereich des Möglichen gerückt ist.
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Von Gewalttätigkeiten abgesehen, hat der Mensch viele andere Wege gefunden, vegetative Lust hervorzurufen; er begibt sich beispielsweise einfach in angsterregende Situationen. Man denke nur an die Achterbahnen und Geisterbahnen auf Rummelplätzen: technische Anlagen, die gegen Bezahlung Angst und Furcht erzeugen. Im wesentlichen sind diese Jahrmarktsbelustigungen natürlich für unreife Persönlichkeiten bestimmt, denn wie es die Professoren Eliot Slater und Martin Roth in ihrer <Clinical Psychiatry> formulierten, »können Kinder aus Angsterlebnissen ausgesprochene Lust herleiten . . ., die körperlichen Begleiterscheinungen der Angst, die Anspannung des Nervensystems, das Prickeln der Haut, der Schauer, der den Rücken hinunterläuft, ja, selbst das Gefühl des Fallens wirken in der Magengrube sowohl anziehend als auch abstoßend«. Die abstoßende Komponente ist bei vielen dieser »Hör auf, ich mag es«-Verhaltensweisen offensichtlich, aber nur von recht geringer Bedeutung.
Das Suchen nach Furcht als Quelle der Lust ist jedoch keineswegs auf den Rummelplatz und das Schlachtfeld beschränkt; dieselbe Art der unreifen Suche nach Lust kann bei einer Reihe von Tätigkeiten festgestellt werden, die auf den ersten Blick, ähnlich dem Sport, den fälschlichen Eindruck erwecken, als seien sie der Reife des Erwadisenen angemessen. Professor David Klein von der Michigan-Universität hat kürzlich die Aufmerksamkeit auf die Tatsache gelenkt, daß die Fahrer von 1 400 000 Motorschlitten in den Vereinigten Staaten freiwillig die Gefahr suchen, um damit Schwung in ihr eintöniges Alltags- und Berufsleben zu bringen.
Er glaubt, und ich stimme ihm da voll und ganz zu, daß diese umweltschädigende Freizeitbeschäftigung dadurch unterbunden oder wenigstens reduziert werden könnte, indem man sie einfach vollkommen sicher gestaltet und so ihrer prickelnden Gefährlichikeit beraubt.
Das Bergsteigen fällt ebenfalls in diese Kategorie der unreifen Suche nach vegetativer Lust, denn alles in allem ist mit der erfolgreichen Besteigung eines hohen Felsens nicht der geringste praktische Nutzen verbunden; die meisten von uns haben ihr Leben seit der Bezwingung des Mount Everest nicht verändert.
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Wenn auch die Reize des Bergsteigens recht vielfältig sein müssen — man bedenke den teils herrlichen Ausblick vom Gipfel eines Berges, die reinen, verschiedenartigen Gerüche und die propriorezeptive Stimulierung —, so sind doch die damit verbundenen Schwierigkeiten und Gefahren das eigentlich Verlockende an diesen total unnützen Anstrengungen, und trotz seiner offenkundigen Männlichkeit steht das Bergsteigen dem Geist des Rummelplatzes sehr nahe.
Ziemlich selten nur ist die Suche nach vegetativen, multimodalen Empfindungen von wirklichem Nutzen für die Menschheit, wie etwa die Entwicklung der Fliegerei; die ersten »tollkühnen« Männer in ihren »fliegenden Kisten« haben zweifellos die Gefahren, in die sie sich begaben, ebenfalls als lustvoll erlebt. Wenn man diesen Maßstab der allgemeinen Nützlichkeit an andere körperliche Betätigungen legt, so schneiden sie größtenteils sehr schlecht ab, denn das Ski- und Fallschirmspringen etwa wird aus reinem Spaß an der Freud ausgeübt. Wenn ein Skifahrer steile Hänge hinabrast und über breite Gletscherspalten fährt, so mag das eindrucksvoll aussehen; der einzige - zweifelhafte - Wert dieser Tätigkeit ist jedoch nur in der Erzeugung von vegetativer Lust beim Skifahrer und bei den Zuschauern zu sehen.
Selbst der Ein-Mann-Weltumsegler muß dieser Kategorie zugeordnet werden, denn sehr wahrscheinlich würde er eine solche Reise auf einem vollkommen ruhigen Wasser nicht unternehmen wollen. Seine Auffassung von Leistung, und mag diese auch noch so zeitraubend und schwierig sein, unterscheidet sich kaum von der des Mädchens, das fortwährend Achterbahn fährt und um keinen Preis aufhören will.
Den vielen Gesprächen, die ich in Bars von Jachtklubs anhörte, entnehme ich, daß die mannigfaltigen Vergnügungen des Seemanns vor allem auf die Gefahren der See zurückzuführen sind; die Freude am Überleben und die Berichte über gefährliche Situationen sind oft von längerer Dauer als die Seereise selbst. Diese Liebe zur Gefahr ist seltsam, wenn man bedenkt, daß der Fortschritt von Kultur und Technik den Menschen eigentlich vor den Widrigkeiten der Natur schützen sollte. Einige Menschen wollen offenbar das Rad der Evolution zurückgedreht wissen.
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Es ist sicher zu bedauern, daß wir nicht noch weitere unreife Minoritäten erwähnen können, die ihre Lust über Rezeptoren in den Eingeweiden suchen; doch wir wollen jetzt auf eine Angelegenheit zu sprechen kommen, die wohl fast jeden von uns betrifft.
Es gibt bestimmt viele Menschen, die an ihre sexuell naive Jugend zurückdenken und sich erinnern können, daß die ersten körperlichen Begegnungen mit dem anderen Geschlecht zu weitgehend vegetativen Emotionen mit nur schwachen sexuellen Anklängen führten. Das ist nicht weiter überraschend, denn der Jugendliche kennt sexuelle Gefühle nur theoretisch; er hat von ihnen gehört und gelesen, sie aber noch nicht am eigenen Leibe gespürt.
Das prickelnde Vergnügen der ersten sexuellen Beziehungen besteht weitgehend aus physiologischen Reaktionen auf die Furcht, entdeckt zu werden, und auf die Furcht davor, was der Partner wohl tun oder sagen wird, wenn man eine bestimmte Grenze überschreitet. Der scharfe und intensive Reiz solcher Begegnungen läßt mit jedem weiteren sexuellen Erlebnis zwangsläufig nach, und das erklärt vielleicht, weshalb die meisten länger andauernden sexuellen Beziehungen so unbefriedigend sind.
Man ist sich nicht bewußt, daß das anfängliche, in höchstem Maße reizvolle Vergnügen vorwiegend eher vegetativer als sexueller Art war, und man versucht ständig, die einst erlebte Lustintensität wiederzuerlangen; dabei wird aber übersehen, daß das neurophysiologisch gänzlich unmöglich ist, weil die angsterregende Situation nicht mehr besteht.
In dieser Unwissenheit um elementare neurophysiologische Sachverhalte beschuldigen sich verständlicherweise die Partner gegenseitig einer »Abkühlung« ihrer Gefühle, und sie versuchen, den jugendlichen Begeisterungstaumel mit einem bzw. einer anderen von neuem herbeizuführen — was zunächst mit Erfolg gekrönt ist, denn die angstauslösenden Bedingungen sind wieder vorhanden; binnen kurzem jedoch scheitert die Affäre, weil dieselben Hirnmechanismen unerbittlich mit ihrer Arbeit beginnen. Auf diese Weise läßt sich das Phänomen Partnertausch und Gruppensex, das erheblich dazu beigetragen hat, die Vereinigten Staaten von Amerika dem Gelächter der Welt preiszugeben, materialistisch erklären.
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Und auf eben diese Weise können in unserer Zeit, die zu technisiert ist, um die Biologie als Wissenschaft vom Leben zu akzeptieren, elektrische Zustände in bestimmten Hirnregionen eine Nation zum Gespött werden lassen, von der das zukünftige Wohlergehen der gesamten Welt abhängt.
Die glücklicherweise nicht gar zu seltenen länger andauernden sexuellen Beziehungen, die immer wieder von neuem sexuelle Lust hervorrufen, durch die sich die Partner gegen mancherlei unerwünschte Wechselfälle des Lebens schützen und stärken können - solche Beziehungen zeichnen sich dadurch aus, daß keiner der Partner bei sexuellen Verhaltensweisen nach unreifen, vegetativen sensorischen Stimulierungen verlangt. Man fürchtet sich nicht vor den Reaktionen des anderen. Man fühlt sich einfach deshalb einander verbunden, weil man der Gemeinsamkeit mehr Vergnügen abgewinnt als der Einsamkeit. Ohne Moral, Religion oder Philosophie treffen solche Menschen die einzig vernünftige, rationale Unterscheidung zwischen Liebe und bloßer Lust.
Derartige Überlegungen lassen es als wahrscheinlich erscheinen, daß ein Großteil der sexuellen Freizügigkeit, die allenthalten als Kennzeichen der heutigen Jugend angesehen wird, gar nicht einmal so sehr auf Sexualität ausgerichtet ist, sondern vielmehr ein Verhalten darstellt, das sich mit den Federn der Sexualität schmückt, um vegetative Lust hervorzurufen, wie ja auch andere Verhaltensweisen zu demselben Zweck ideologisch motivierte Gewalt und Kriminalität gleichsam als Alibi vorschieben.
Das Problem besteht darin, daß der radikale Demonstrant oder der Delinquent im Gegensatz zu dem, der sich sexuell betätigt, den vegetativen Ursprung seiner Aktionen durchaus zu erkennen vermag. Es sind zahlreiche Wiederholungen von Gewalt und Verbrechen notwendig, um die vegetative Stimulierung abzuschwächen, während nur relativ wenige sexuelle Begegnungen mit demselben Partner erforderlich sind, um die vegetativen Empfindungen drastisch zu reduzieren. Die fortwährende Suche nach erneuter vegetativer Lust ist eine der Ursachen für Promiskuität.
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Da die Bereitwilligkeit der Frauen, sexuelle Beziehungen einzugehen, ohne daß das für den Mann mit größeren Schwierigkeiten oder Geldausgaben verbunden wäre, ziemlich groß ist, scheint das häufige Auftreten von Notzuchtdelikten zunächst schwer verständlich. Diese Diskrepanz löst sich jedoch sofort auf, wenn man berücksichtigt, daß eine Vergewaltigung im wesentlichen nicht-sexuell motiviert ist. Es erscheint logisch, daß ein Mann, der nach vegetativer Lust verlangt und diese mit sexueller Betätigung statt beispielsweise mit Segeln gleichsetzt, und dem seine gewöhnliche multimodale Lustquelle aus verschiedenen Gründen vielleicht nicht gerade zugänglich ist, die offene, leicht verfügbare und deshalb reizlose Sexualität meidet und statt dessen eine Frau vergewaltigt.
Wie bereits angedeutet wurde, weisen neue sexuelle Beziehungen selbst bei Einwilligung des Partners einige Gemeinsamkeiten mit einer Vergewaltigung auf. Häufig läßt auch die Frau gewisse Vorstöße des Mannes geschehen, um vegetative Reaktionen zu erleben, und sie beginnt erst dann Widerstand zu leisten, wenn sein Verhalten eine eindeutig sexuelle Tönung annimmt. In zahllosen Fällen ist der Mann aufs höchste überrascht, wenn die Frau plötzlich ein Liebesspiel abbricht, das aufgrund ihrer bisherigen Reaktionen seiner Ansicht nach hätte planmäßig ablaufen müssen. Wenn andrerseits der Mann ebenfalls auf vegetative Lust erpicht ist, dann fängt der Spaß erst richtig an, sobald sich die Frau verweigert, und ein widerwärtiger Vergewaltigungsakt kann beginnen.
Die Suche nach vegetativer Lust tritt bereits in einem sehr frühen Alter auf und kann bei einigen Kindern durchaus zu einer der vorherrschenden Formen der Lustsuche werden. Das kleine Kind, das in die Speisekammer einbricht und etwas zu essen stiehlt, ist selten hungrig und sucht meist auch nicht nach gustatorischer Lust. Es erfreut sich an der Angst vor Entdeckung und einer eventuellen Bestrafung. Wenn man Professor Kleins Beispiel mit den Motorschlitten folgen will, könnte man ein derartiges Verhalten etwa dadurch abstellen, indem man den Einbruch in die Speisekammer und ähnliche Ungezogenheiten vegetativ uninteressant gestaltet und mit emotionaler Gleichgültigkeit behandelt, sie aber gleichzeitig durch die Hervorhebung von nicht-emotionalen Lustquellen negativ bekräftigt.
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Dieses neuartige Verständnis für Verhaltensweisen, die auf vegetative sensorische Lust abzielen, ermöglicht uns eine klare Vorstellung von der Anatomie und Physiologie des Mutes. Mut ist nun nicht mehr ein Ideal oder ein bestimmtes Persönlichkeitsmerkmal; Mut ist ein Verhalten, das von Hirnfunktionen gesteuert wird. Im allgemeinen spricht man dann von Mut, wenn sich jemand freiwillig in gefahrvolle Situationen begibt und dabei keine Angst zeigt, wie etwa der Ein-Mann-Segler oder der Soldat im Gefecht.
Wir können jetzt verstehen, daß solche Leute einfach nach Lust suchen, daß man sie darum gar nicht als mutig bezeichnen darf. Mut kann man, wenn ihm überhaupt ein menschlicher Wert zukommen soll, bei jenen Menschen antreffen, deren Unlustareale durch die vegetative Stimulierung in angsterregenden Situationen aktiviert werden, die aber trotzdem aufgrund ihrer Moral, ihrer Reife und ihres Verantwortungsgefühls, das heißt, aufgrund der menschenwürdigen Ausnutzung ihrer höheren Hirnregionen das natürliche Fluchtverhalten unterdrücken. Bei solchen Menschen entsteht die Lust aus der Aktivierung der höheren Regionen und hängt mit dem Bewußtsein zusammen, daß sie das Risiko um einer guten, sinnvollen Sache willen eingehen. Mut findet man niemals bei Leuten, die keine Angst haben, denn diese Menschen verhalten sich untermenschlich.
Einigen würde das Leben sicher langweilig vorkommen, wenn es eines Tages diese auf vegetative Lust abzielenden Tätigkeiten nicht mehr gäbe. Der Reiz des Abenteuers, so würden sie sagen, und die sportliche »Gesinnung« fehlten dann ja. Wenn man nun diese Art von Abenteuer und Gesinnung hoch bewertet, ist dieses Argument allerdings stichhaltig. Doch wenn die Bevölkerung der Erde nicht länger nach vegetativer Lust suchte, dann würde es gewiß sehr unwahrscheinlich sein, daß sehr viele Menschen einmütig die Waffen gegen ein Volk erheben, von dem sie eigentlich gar nichts wissen. Wenn das Streben nach Angst als eine Form der Lust im Menschen nicht existierte, dann würden die Massen, die sich an Tumulten beteiligen, vielleicht kleiner oder überhaupt nicht vorhanden sein. Sozialarbeiter sind sich im allgemeinen ohne weiteres darüber im klaren, welche Bedeutung dem Reiz des Abenteuerlichen — als andere Bezeichnung für angstvolle Lust — bei der Entstehung der Jugendkriminalität zukommt.
Viele weitere Beispiele weisen deutlich darauf hin, daß das Leben ohne jenen verwegenen Tatendurst friedlicher, menschenwürdiger und reifer wäre, auch wenn es für einige weniger aufregend und abwechslungsreich sein würde.
Obwohl man die Prognose stellen kann, daß durch die unerbittlichen Kräfte der Evolution die infantilen Formen der vegetativen Lustsuche schließlich verschwinden werden, besteht doch aller Grund zu der Annahme, daß es weiterhin angsterregende Situationen geben wird. Zu allen Zeiten wird man ausreichend Gelegenheit haben, seinen Mut unter Beweis zu stellen, nur wird man nicht einen solchen Spektakel deshalb veranstalten. Der Durchschnittsbürger kann sich nur schwer die enormen Ängste und die sorgenvollen Überlegungen vorstellen, die ein Chirurg in jedem Stadium einer Operation erlebt, oder den ungeheuren Mut und die Entschlußkraft, die für die Amputation eines Beines erforderlich sind.
Nur die Menschen, die unlustbetonte Ängste mit Hilfe der höheren Hirnregionen unter Kontrolle zu bringen vermögen, statt sie zu genießen, können Operationen ausführen, denen es viele Menschen zu verdanken haben, daß sie heute noch am Leben sind.
Es wäre interessant zu untersuchen, wie viele von den Ein-Mann-Seglern, Bergsteigern, Fallschirmspringern und ähnlichen vegetativen Fanatikern sich dazu durchringen könnten, einem Menschen ein Bein abzutrennen oder ihm seinen Magen herauszuschneiden. Ich bin sicher, daß einige das tun könnten. Doch selbst dann würde ich mich fragen, ob sie Vergnügen dabei empfinden und ob sie dieses »Abenteuer« später in ihren Unterhaltungen großartig aufbauschen. Wenn vegetative Lust das tragende Element im Leben eines Menschen ist, dann bleibt für wirklich menschliches Verhalten wenig Raum übrig.
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