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1. Fühlen und Transformation 

 

 

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Könnten wir Ihnen nahe sein, Ihre Welt kennenlernen und ein paar Tage mit Ihnen leben, dann könnten wir über Definitionen und Begriffe und Beispiele hinausgehen. Wir könnten direkt, in jedem Augenblick, Ihre Gefühle ansprechen. Wir könnten Ihnen etwas vermitteln, ohne Erklärungen abzugeben, nur durch das Zusammensein. Ohne Worte könnten wir Ihnen zu verstehen geben: "Warte einen Moment, laß' dir Zeit, du verpaßt etwas. Da ist noch mehr, was du reinlassen solltest. Es ist ganz in Ordnung, wenn du aus dir herausgehst. Du kannst wirklich voll da sein."

Natürlich ist eine solche Erfahrung in einem Buch nicht möglich, aber genau darum geht es bei unserer Therapie. In diesem Buch können wir nur über Gefühle und Therapie sprechen. Wenn wir geschickt genug sind, mag es sein, daß das Darüber-Reden Gefühle auslöst. In diesem Kapitel wollen wir versuchen, ein Gespür dafür zu wecken, wer wir sind, und zu erklären, warum die Feeling-Therapie von dem, was und wie wir sind, untrennbar ist. Wir werden auch einige unserer Vorstellungen von Gefühlen vortragen und zu beschreiben beginnen, auf welche Weise Gefühle die Grundlage sein können für die Umwandlung von Verrückt­heit in Gesundheit, von Abwehrhaltung in Offenheit, von Unvollständigkeit in Vollständigkeit.

    Warum noch eine Psychotherapie?   

Es gibt doch schon so viele Psychotherapien. Wer immer eine Therapie sucht, kann alle Spielarten finden, von der behavior­istischen bis zur existenziellen und transpersonalen Therapie.

Die Namen bekannter Therapeuten — Freud, Adler, Jung, Reich, Perls und Rogers — sind vielen Menschen vertraut. Warum also dann noch eine Therapie? Natürlich ist es verlockend, wenn man eine neue Therapie anbietet, zu sagen: "Hier ist sie, wir haben, was den anderen fehlt — hier ist die Lösung, hier ist die Heilung." — Wir behaupten das nicht. Wir wissen ganz sicher, daß die Feeling-Therapie bei uns und bei den meisten unserer Patienten Erfolg hat, weil die Feeling-Therapie nicht bloß eine Theorie oder eine neue Ansammlung von Techniken ist, sondern eine Lebensweise. In diesem Buch berichten wir nicht, was wir für andere Menschen tun, sondern wir beschreiben die Art und Weise, wie wir leben.


Wir leben, indem wir für uns selbst und füreinander Sorge tragen, dasselbe tun wir mit unseren Patienten. Unserer Ansicht nach ist Therapie nicht eine Tätigkeit, die man erledigen und hinter sich bringen muß, sondern eine lebenslange Aktivität. Therapie kommt von griechisch 'therapeia', das eigentlich Dienen oder die Pflege heißt, und es ist widersinnig, daß Menschen je den Wunsch haben sollten, nicht mehr für sich Sorge zu tragen. Was bei der Feeling-Therapie allmählich abnimmt, ist die systematische Anordnung von Sitzungen und Gruppen, aber was bleibt und zunimmt, ist das Fühlen und das Leben aus dem Gefühl heraus.

Wir sehen wie die meisten anderen Kliniker aus und tun das meiste von dem, was von Wissenschaftlern und Fachleuten erwartet wird. Wir schreiben Artikel, betreiben Forschung, führen akademische Titel und haben akademische Stellungen inne, wir halten Vorträge und unterrichten, bilden andere Therapeuten aus und dergleichen mehr. Wir benutzen Wörter wie 'Patient' und 'Therapie' und 'helfen', um einiges von dem, was wir tun, zu beschreiben. Wir haben unsere eigene Fachsprache, mit der wir bestimmte Auffassungen und Methoden beschreiben.

Aber all dieses professionelle Drum-und-Dran ist für unsere Hauptarbeit zweitrangig; es ist nicht unsere entscheidende Wirklichkeit und nicht das Wesentliche unserer Therapie. Wahrscheinlich haben manche Schamanen an Perlen, an Rauch und Rituale geglaubt und manche nicht. Manche Psychotherapeuten glauben an Patienten und an Therapie und Forschung, und manche tun es nicht. Wir tun es nicht.

Wir benutzen ein klinisches Vokabular, weil es den Glauben an uns und an das, was wir tun, erweckt — jemand, der nicht fühlen kann, ist gezwungen zu glauben. Zuerst glaubt jeder, der zu uns kommt, an 'seinen Therapeuten' und daran, 'ein Patient zu sein' und 'Therapie zu bekommen', oder er möchte daran glauben, und es ist nützlich, wenn er daran glaubt. Nach einer Weile glaubt er vielleicht an gar nichts mehr. Und schließlich kann er an seine Gefühle glauben.

Einer unserer auszubildenden Therapeuten beschreibt seine Weiterentwicklung vom Glauben zum Fühlen folgendermaßen:

Als ich zuerst eure Kapitel und Artikel über die Feeling-Therapie las, habe ich die Therapie nur schlecht gemacht. Letztlich hat jede Therapie mit Fühlen zu tun. Als ich dann weiterlas, wurde mir allmählich klar, daß ihr von einer bestimmten Art zu fühlen spracht, vom vollständigen Fühlen, von Gefühlsebenen, die ich selten empfunden hatte. Ich begriff auch, daß ihr nicht bloß von der Verrücktheit der Patienten spracht, sondern daß ihr durch eure eigene Verrücktheit hindurchgegangen ward. Mir wurde plötzlich deutlich, daß ihr mit euren Patienten dasselbe macht, was ihr miteinander macht — als ob ihr versucht, eine neue Kultur zu vermitteln, eine Kultur der Gesundheit anstelle der Verrücktheit.  

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Ich konnte durch das, was ihr schriebt, einsehen, daß ich verrückt war (ein Ausdruck, den ich bisher nie auf mich angewandt hatte, denn ich zog es vor, mich als <ein bißchen neurotisch> zu bezeichnen). Ich begriff auch, daß verrückt sein vor allem bedeutete, daß mir ein Teil meiner selbst verloren gegangen war. Ich begann zu hoffen, daß ich ihn bei euch wiedererlangen könnte. Nachdem ich mir bei einem Vortrag, den ihr in Philadelphia gehalten habt, ein Bild von euch gemacht hatte, meldete ich mich zur Therapie an und wurde als Patient angenommen.

Als ich herkam und die Therapie begann, war ich zuerst einfach froh, hier zu sein; ich hatte es geschafft. Jetzt konnten Gesundheit und Gemeinschaft ans Werk gehen! Nach ein paar Tagen fing ich an, enttäuscht zu sein. Es geschahen keine großen Dinge. Tatsächlich stellte ich fest, daß ich nicht einmal kleine Dinge richtig fühlen konnte. Meine Vorstellungen davon, was Gefühle seien und wie Gesundheit und Nähe aussehen würden, paßten nicht zu der Art und Weise, wie die Menschen waren. Und ich begann mir auch über den Unterschied klar zu werden zwischen dem Wissen, daß ich verrückt war, und dem tatsächlichen Fühlen meiner Verrücktheit und dem Mich-Ändern.

Eine Zeitlang wollte ich das Ganze aufgeben. Ich wartete bloß auf die Therapeuten, daß sie es für mich täten. Es war eine schlimme Zeit für mich. Am härtesten war es, der Tatsache ins Auge zu sehen, daß ich selbst meine Verrücktheit aufrechterhielt. Bisher hatte ich es nie wirklich empfunden, daß ich mich durch meine Abwehr selbst verletzte, statt zu fühlen und meine Gefühle auch zu zeigen. Ich hatte meine Abwehr für einen Schutz gehalten, nicht für selbst­zerstörerisch.

Ich überwand die schlimme Zeit, nicht auf einmal, aber allmählich. Ich brauchte einige Monate, bis ich ganz begriff, daß ich meine eigene Verrücktheit fühlen und mich dafür entscheiden mußte, meine eigenen Gefühle zu empfinden, und daß andere Leute im Center genau dasselbe machten.

Ich begann, mir meiner Gefühle bewußt zu werden. Ich blickte in eine neue Welt, und ich konnte den Unterschied fühlen zwischen dem, was ich innerlich war, und dem, wozu mich meine Eltern, andere Menschen und meine Kultur gemacht hatten. Ich kann euch jetzt sagen, wie schwer es ist, das Ich zu sein, das ich wirklich bin. Es ist wie das Aufwachen aus einem schlechten Traum, der mein ganzes Leben lang gedauert hatte.  

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Das Zentrum für Feeling-Therapie wurde 1971 von einer Gruppe von neun Psychotherapeuten gegründet. Seit jener Zeit hat sich die Therapie in ihrem Aufbau und in ihren Vorstellungen weiter­entwickelt. Unser Schwerpunkt ist indes derselbe geblieben: Wir machen mit den Patienten, was wir für uns selbst tun. Wir haben das Center in erster Linie gegründet als einen Ort, an dem wir Zusammensein konnten, um die Hilfe zu erhalten, die wir brauchten. Alle Gründer waren Fachleute, die als Therapeuten mit anderen therapeutischen Methoden eng vertraut gewesen waren, ehe sie sich zusammentaten, um die Verfahren und die Vorstellungen der Feeling-Therapie auszuarbeiten. Bei jenen Therapien handelte es sich um Klienten­zentrierte Gesprächs­therapie, Gestalt-Therapie, Encounter-Therapie, Bioenergetik und Primärtherapie.

Als wir das Center ins Leben riefen, wußten wir nur zwei Dinge ganz genau: Wir brauchten die gegenseitige Hilfe, und wir konnten uns gegenseitig helfen. Das Wie und Warum und die Sprache, um zu beschreiben, was wir taten, kamen später. Die allerersten Schritte, die wir unternahmen, bestanden darin, das aufzugeben, was wir hatten. Es bedeutete, daß wir uns nicht mehr auf traditionelle Therapiemodelle verließen. Wir gaben unseren "Therapeutenstatus" auf und vertieften uns in die Entwicklung unserer unbekannten Therapie. Für die ersten neun Therapeuten bedeutete das, langsam die eigenen Abwehr­haltungen, auf die wir uns früher verließen, damit sie uns "durchs tägliche Leben brächten", zuzulassen und zu fühlen. Jetzt wollten wir gar nicht mehr "durch" einen weiteren Tag gebracht werden. Wir wollten jeden Tag vollständig leben.

Ein Therapeut beschreibt, wie es ihm in dieser Zeit ging:

Zu Anfang bezweifelte ich wirklich oft, ob wir neun zusammenbleiben würden. Einige in der Gruppe gingen in der Therapie nicht so vor wie ich. Ich fand sie überspannt — ich ging methodisch vor. Ich wollte das, was ich gelernt hatte, nicht ganz aufgeben, und auch mich, wie ich zu sein glaubte, nicht. Ich war nicht wirklich so lebendig, wie ich innerlich fühlte, daß ich es eigentlich war. Ich hatte das Gefühl, daß ich derjenige, der ich innerlich war, nie auch nach außen hin sein würde. Ich empfand mich als lebendig und hatte warme Gefühle für mich und andere, aber wenn ich mit ihnen zusammen war, blieb ich immer ein kleines bißchen zurückhaltend.

Für den Fall, daß dieses Experiment nicht funktionierte, wollte ich imstande sein, mich zusammen­zusammeln und auszusteigen. So ging es etwa sechs Monate. Und dann begann der Druck meines Inneren, das nach außen drängte, zu stark zu werden. Ich ging zu einer Mitarbeiter­besprechung. Ich war offensichtlich reserviert und aufgeregt. Ein anderer Therapeut, Dominic, fing an, mit mir über meine Zurückhaltung zu sprechen. Ich wußte, daß ich gegen das, was er sagte, ankämpfte, aber ich wollte es. Ich wollte nicht nachgeben. Alles, was er gesagt hatte, wehrte ich sehr sorgfältig und methodisch ab.

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Und dann war es, als redete er nicht mit mir, sondern direkt aus meinem Innern! Ich konnte es nicht glauben. Er redete, als wüßte er alles über mich. Da war nichts geheim. Während er sprach, stiegen mir die Tränen in die Augen. Mir war, als hätte mir jemand meine Persönlichkeit genommen. Ich kam mir entblößt vor und hatte Angst. Und er redete einfach weiter mit mir und brachte mich tiefer hinein in mein Inneres, zu Gefühlen und in meine Abwehr, die ich vermied.  

Je tiefer in meinem Innern ich mich fühlte, um so mehr weinte ich. Ich weinte, weil ich unaufrichtig hatte sein müssen, weil ich ein Opfer meiner Eltern und meiner Familie war, weil ich einen kleinen geheimen Bereich in mir für mich hatte abschließen müssen, weil ich glaubte, ich würde immer allein sein. Ich weinte darüber, daß ich mich mit meinen ungesagten kleinen Gedanken und Urteilen selbst verletzte. Und ich weinte, weil Dominic mich so kannte, wie ich war, und weil er sich um mich sorgte, und ich wußte, daß er es tat. Alle Geheimnisse waren in meinem Kopf. Er kannte mich.  

Ich weinte, weil es weh tat, mich zurückzuhalten, weil ich erkannte, daß mein Vater sich nicht auf diese weise um mich gesorgt hatte wie er es tat. Das Weinen machte mich offen und ließ mich die anderen sehen. Sie warteten auf mich, halfen mir, rückten meiner Abwehr zu Leibe, riefen dabei aber immer meine Gefühle wach, verwandelten mich von dem, zu dem ich gemacht worden war, in den, der ich war, wenn ich ganz fühlte. Ich begann zu erkennen, daß alles, worauf ich tief in meinem Innern gehofft hatte, mit meinen Freunden verwirklicht werden konnte.  

*

Dieses Beispiel vermittelt eine allgemeine Vorstellung davon, wie sich die Therapie für die Therapeuten entwickelte. Um vollständig zu sein, muß eine Therapie — so glauben wir — zuallererst und auch weiterhin für die Therapeuten wirksam sein. Die von uns geschaffene Therapie ist so mannigfaltig und zu ihrer Entwicklung haben so viele Menschen beigetragen, daß niemandes Verrücktheit ihre Weiter­entwicklung aufhalten und verzögern könnte.

Im ganzen Buch nehmen wir kein Blatt vor den Mund, wenn wir schreiben, wie Menschen sind und wie sie sein könnten. Wir sprechen von "Verrücktheit" und "Gesundheit", von "Irresein" und "Umwandlung", von "Totsein" und "Wirklichkeit". Wir gebrauchen diese Wörter anstelle von neutraleren und unverfänglicheren klinischen Ausdrücken, weil sie unsere eigenen Erfahrungen schildern. Wir wissen, daß wirkliche Gesundheit möglich ist, denn wir erleben sie. Wir wissen auch, daß Verrückt­sein der normale Zustand im Leben der meisten Menschen ist. Weil jeder von uns Therapeuten spürt, wie seiner eigenen Verrücktheit der Durchbruch zur Gesundheit gelingt, verniedlichen wir die Verrücktheit, die wir in anderen Menschen sehen, nicht.

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Wir wissen auch, daß das Leben aus dem Gefühl heraus die Grundlage für ein gesundes Leben ist, und wir kennen den Unterschied zwischen partiellen, verwirrten Gefühlen und vollständigen, umwandelnden Gefühlen. Wir wissen, daß Gesundheit, um aufrechterhalten zu werden, der Gemeinschaft bedarf. Wir verlassen uns aufeinander, um unsere wirklichen Gefühle mitzuteilen und uns gegenseitig zu helfen, immer wieder aus, der Verrücktheit und Leblosigkeit aufzutauchen, in der wir aufwuchsen.

 

Eine unserer Therapeutinnen, Carole, beschreibt, wie sehr sie auf die Gemeinschaft der Therapeuten angewiesen ist.

"Als Kind mußte ich stark sein und alles allein machen, weil ich so wenig von meinen Eltern bekam. Schließlich begann ich mich in Situationen, in denen ich nicht auf andere Menschen angewiesen war, am besten zu "fühlen". Jetzt weiß ich, daß ich überhaupt nicht viel fühlte, als ich versuchte, stark zu sein. Ich mußte mich meinen wirklichen Gefühlen gegenüber verschließen und mich wie eine Erwachsene verhalten. Aber hinter dieser Fassade des alles Könnens und Wissens war jemand, der Angst hatte, sich auf andere Menschen zu verlassen. 

Es erstaunt mich immer wieder, daß ich mich jetzt auf meine Freunde verlassen will. Und was ich an Wirklichkeit von ihnen bekomme, macht es mir möglich, zu fühlen, wie verrückt es ist, mich abzusondern. Vorher hatte ich geglaubt, so wie ich war, müsse man eben sein. Es verwundert mich, daß das worauf ich am meisten vertraute, nämlich unabhängig und stark zu sein, am verrücktesten ist, und daß das, gegenüber dem ich am mißtrauischsten war, nämlich mich auf andere zu verlassen und bloß ich zu sein, das Wirkliche ist.

Es ist schön für mich, die Welt in mich aufzunehmen, meine Freunde wirklich zu sehen und sie zu hören und von ihnen berührt zu werden. Ich kann es jetzt fühlen, wenn jemand zu mir sagt: <Ich mag dich.> oder <Ich arbeite gern mit dir zusammen.> Jahrelang wollte ich anerkannt werden und gesagt bekommen: <Du bist tüchtig, du bist wirklich tüchtig>, aber ich konnte es nicht glauben, auch wenn es zu mir gesagt wurde. Jetzt kann ich fühlen, was die Leute sagen."  

*

Es wird das Schicklichkeitsgefühl einiger Kollegen verletzen, daß wir Therapeuten als Patienten zitieren. Es gibt einen Berufsmythos, der Psychotherapeuten als irgendwie oberhalb und jenseits der Therapie, die sie praktizieren, ansiedelt. Selbst wenn unwillig zugegeben wird, daß Therapeuten Therapie brauchen, bevor sie praktisch arbeiten können, wird niemals eingestanden, daß sie auch weiterhin Hilfe brauchen; Therapien hat man daran gehindert, all das zu sein, was sie hätten sein können, weil die Therapeuten aufgehört haben, weiterhin Patienten innerhalb ihrer eigenen Therapie zu sein.

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An einigen Stellen dieses Buches werden wir weitere Beispiele zu dem bringen, was wir von unserer eigenen Therapie berichten können. In den meisten Büchern über Klinische Psychologie werden Hinweise auf die Therapie des Therapeuten verschleiert. Psychologen schreiben über Fallgeschichten und geben selten zu, daß ihre Schriften ganz persönlicher Art sind. Das erweckt den Eindruck, als ob es nur kranke Patienten und nur gesunde Doktoren gäbe. Die Doktoren haben anscheinend alles durchgemacht, was es zu fühlen und zu wissen gibt.

Wir haben nie einen dieser Helden kennengelernt. Wir jedenfalls sind keine Helden. Wir sind bereit, die Masken der Objektivität und des Professionalismus abzunehmen, selbst auf die Gefahr hin, damit auf Kritik bei unseren Kollegen zu stoßen; denn wir sehen, daß die Psychotherapie immer mehr von falschen Leitbildern bestimmt wird. Psychotherapie muß wissenschaftlich untersucht werden, und wir führen viele Forschungsarbeiten durch, aber Psycho­therapie-Erfahrung ist im wesentlichen Innenforschung1), und die Wahrheit ist für jedes Individuum sein eigenes, wahrhaftig gelebtes Leben.

 

Falsche Vorstellungen von Gefühlen  

Die meisten Psychotherapien arbeiten auf die eine oder andere Weise an Gefühlen. Manchmal bemühen sie sich, unbewußte Gefühle bewußt zu machen, oder sie bemühen, sich um das Freiwerden von blockierten Gefühlen aus der Vergangenheit des Betreffenden, oder sie konzentrieren sich auf das wachsende Bewußt­werden der Gefühle in der Gegenwart.

Manche Therapeuten versuchen, bestimmte Arten von Gefühlsäußerungen wie Selbstsicherheit oder Sinnlich­keit zu befreien. Alle diese therapeutischen Unterfangen können hilfreiche Ergebnisse bringen, aber in einer wichtigen Hinsicht sind sie begrenzt — die Patienten bekommen kein Gespür dafür, was vollständige Gefühle sind und wie man aus ihnen heraus lebt.

Einer unserer Therapeuten, der früher Leiter einer Encounter-Gruppe war, erläuterte die Unterschiede zwischen dem, was er damals tat, und dem, was er jetzt tut:

Ich verstand es wirklich gut, die Leute in Gefühle hineinzubringen. Ich kannte all die Encounter-Spielchen und konnte ihre Art der Abwehr rasch herausfinden. Die Leute verließen meine Workshops begeistert und sagten, wie anders sie sich fühlten. Der Haken war nur, daß sich keiner von ihnen sehr veränderte. Erst Jahre später konnte ich rückblickend erkennen, daß ich die Leute bloß in Gefühlsexplosionen hineingestoßen hatte. Weil sie und die Gruppe sahen, daß etwas geschah, glaubten wir es alle. Ich weiß, daß ich den Leuten etwas Besseres gab, an das sie glauben konnten, ich machte sie aufgeschlossen für eine Art des Fühlens — aber es reichte nur für eine teilweise Befreiung. Mehr wußte ich nicht.  

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In der Feeling-Therapie geht es einzig und allein darum, den Patienten behilflich zu sein, zu erkennen, wann sie aus vollständigen Gefühlen heraus leben und wann aus partiellen.

Eine der ersten Schwierigkeiten, auf die wir stoßen, wenn wir mit Leuten über unsere Therapie auch nur reden, ist, daß sie viele falsche Vorstellungen davon haben, was Gefühle sind:

Erstes Mißverständnis: Gefühle sind Privatsache. "Niemand anderes kann wissen, was ich fühle. Wenn ich es fühle, dann reicht das." Manche Leute benutzen dieses Mißverständnis, um ihre Gefühle nicht zu zeigen, und um zu rechtfertigen, daß sie ihre Gefühle niemals überprüfen. In Wirklichkeit sind vollständige Gefühle offen und keine Privatangelegenheit — jemand ist nur im Einklang mit sich, wenn das, was er von sich in der Öffentlichkeit zeigt, dem entspricht, was er innerlich fühlt.

Zweites Mißverständnis: "Gefühle sind Emotionen. Nur große Gefühle oder Gefühlsausbrüche sind therapeutisch wirksam." — Menschen, die in die Therapie kommen und glauben, sie müßten emotional sein, verleiten sich lediglich zu einer anderen Form des Versuchens — sie versuchen zu schreien, zu brüllen, zu weinen, zu heulen und "alles herauszulassen". Aber in der Feeling-Therapie zählen große Gefühle nicht mehr als kleine. Es kommt allein darauf an, daß jedes Gefühl, ob klein oder groß, vollständig ist. Nur vollständige Gefühle sind sinnvoll, denn jemand, der aus seinen vollständigen Gefühlen heraus lebt, ist in jedem Augenblick alles, was er ist.

Drittes Mißverständnis: Gefühle sind Empfindungen. Was die Menschen tun sollten, ist, aufzuhören zu denken. "Stell' deinen Kopf ab und sei dein Körper." Ein Mißverständnis dieser Art führt schnell dazu, daß Leute sich die Feeling-Therapie als eine gefühlige Streicheltherapie vorstellen. In Wirklichkeit haben wir es in unserer Therapie sehr mit Bedeutungen und Gedanken zu tun. Ein vollständiger Gefühlsausdruck enthält beides: eine innere Empfindung und eine Bedeutung. In der Therapie erkennen die Teilnehmer in der Tat ihr wahres Bedürfnis nach Kontakt und bringen es zum Ausdruck, aber dabei handelt es sich um einen ganz persönlichen Ausdruck mit individuellen Bedeutungen und nicht um Sinnlichkeitsübungen.

Viertes Mißverständnis: Gefühle sind gefährlich und müssen kontrolliert werden. Bei diesem Mißver­ständnis werden Gefühle als irgendwie gefährlich animalisch angesehen. Wer so über Gefühle denkt, sagt: "Sie können die Leute doch nicht auffordern, aus ihren Gefühlen heraus zu handeln. Das würde zu einem Chaos führen. Es würde Mord und Vergewaltigung auf den Straßen geben. Sie stellen den Menschen einen Freibrief aus, so selbstsüchtig und unmenschlich zu sein, wie sie wollen." — Aber wir fordern die Menschen keineswegs auf, einfach das "zu tun, wonach ihnen der Sinn steht".

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Die Gefühle der meisten Menschen sind so verworren, daß sie weder wahrhaftig fühlen noch aus ihren Gefühlen heraus handeln können. Sie glauben ganz zu Recht, daß sie diese zerstörerischen Impulse kontrollieren müssen, die hervorbrechen und ihnen selbst und anderen Schaden zufügen könnten.

Monatelange Therapie ist erforderlich, ehe ein Patient vollständige Gefühle wirklich empfinden kann und zu unterscheiden vermag zwischen dem Ausagieren von in Unordnung befindlichen Gefühlen und dem Handeln aus vollständigen Gefühlen heraus.

Sobald jemand diese Unterscheidung trifft, kann er aus seinen Impulsen heraus leben. Sie sind der verläßlichste Führer dafür, wie er in der Welt er selbst sein kann, denn vollständige Gefühle verbinden Gedanken und Impulse zu einem einzigen, integrierten Ausdruck.

 

Vollständige und partielle Gefühle 

Wahrhaftig zu leben heißt, getreu seinen Gefühlen zu leben. Wir brauchten mehrere Jahre, um diese Binsen­weisheit zu entdecken, denn es ist nicht immer leicht, das Offensichtliche zu erkennen und zu verstehen. Jetzt wissen wir, daß nur vollständige Gefühle therapeutisch wirksam sind und daß nur das vollständige Durchleben von Gefühlen den Menschen verwandelt. Aber wir brauchten lange, um persönlich den Unterschied zwischen vollständigen Gefühlen und unvollständigen Gefühlen zu begreifen.

Tatsächlich entdeckten wir, vergaßen und entdeckten mehrmals von neuem die Phänomene des vollständ­igen Fühlens und der Umwandlung. Wie andere Therapeuten auch wurden wir verleitet, nach intensiveren Gefühlen zu suchen, und bemühten uns um charakteristische Gefühle oder um eine bestimmte Art zu fühlen, bemühten uns um Gefühle aus der Vergangenheit und bemühten uns, Gefühle in der Gegenwart aufrecht zu erhalten.

Nach vielen Anstrengungen, Versuchen und Irrtümern wurde uns schließlich klar, daß der Ausdruck von Gefühlen — aller Arten, aller Intensitätsgrade, in jedem Alter und in allen Ausdrucksformen — therapeutisch wirksam sein konnte, aber nur, wenn die Gefühle vollständig waren. In späteren Kapiteln werden wir ausführlich beschreiben, was vollständige Gefühle sind, und genau darlegen, warum ein vollständiger Zyklus für die Umwandlung notwendig ist.

An dieser Stelle wollen wir nur den Gedanken einführen, daß ein Unterschied besteht zwischen integralem Fühlen und dem, was üblicherweise für ein Gefühl gehalten wird. 

(Mit dem Begriff Integrales Fühlen meinen wir diese besondere Art des vollständigen Fühlens. Die Begriffe Gegenaktion, Abreaktion, Proaktion und Integration bezeichnen die verschiedenen Schritte des Transformationszyklus. Diese Prozesse werden später erklärt und veranschaulicht).

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Natürlich glaubt jeder oder fast jeder, er könne fühlen. Tatsächlich fühlt auch jeder, doch sind die Gefühle der meisten Menschen verborgen oder verworren. Die Menschen glauben zu fühlen und ihr Gefühl zum Ausdruck zu bringen, während sie in Wirklichkeit nur partiell fühlen und sich zurückhalten oder unvollständig fühlen und ihr Gefühl dramatisieren. Ein partielles Gefühl ist nicht wie eine Hälfte eines Sandwich — nur halb befriedigend. Ein Teilgefühl ist total verschieden von einem vollständigen Gefühl, denn es gewährt keinerlei wirkliche Befriedigung.

Folgende Bemerkungen würden normalerweise in Büchern oder Filmen oder in alltäglichen Unterhaltungen als Ausdruck eines Gefühls gelten:

Aber was damit zum Ausdruck gebracht wird, sind bestensfalls halbe Gefühle und schlimmstenfalls Klischees, die gar keine Aussagekraft haben. Es ist möglich, sie zu übersetzen, aber nicht nach einem Wörterbuch für Übersetzungen aus dem Intellekt ins Fühlen. Nur die Erfahrung der Vervollständigung eines Gefühls kann sinnvolle Übersetzungen hervorbringen.

Es ist die unausgesprochene Tragödie im Leben der meisten Menschen, daß Übersetzungen niemals vorge­nommen werden. Ihr Leben lang sagen, wissen oder erleben diese Menschen niemals, was sie wirklich fühlen. Die Sprache des Nichtfühlens oder nur teilweise Fühlens hat die natürliche Sprache des Fühlens ersetzt — die Menschen sprechen mit sich und miteinander in einer fremden Zunge. Wer auch nur ein wenig Zugang zu vollständigen Gefühlen hat, kommt sich wie ein Fremdling in der Welt vor.

Die Menschen sprechen nicht nur eine unverständliche Sprache, sie sind sich auch selbst fremd. Das ist kein Problem, das sie irgendwie lösen können. Die Antwort in der Feeling-Therapie ist, daß es keine fertige Antwort gibt. Denn wenn es keine fertigen Antworten mehr gibt, können die Menschen beginnen, das Leben so zu empfinden, wie es ist, nicht wie es sein sollte oder konnte.

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Kleine Kinder wissen keine fertigen Antworten — sie fühlen einfach. Sie leben aus ihren Gefühlen heraus. Was ihnen widerfährt, ist, daß sie gezwungen werden, Gefühle durch fertige Antworten zu ersetzen.

Beobachten Sie einmal ein Kind: es schreit, wenn ihm etwas weh tut, es brüllt, wenn es wütend ist, es bewegt sich auf das zu, was es haben will, und weg von dem, was es nicht mag. Das Kind ist sehr einfach. Wenn die Menschen heranwachsen, wird der Austausch mit der Welt komplizierter; sie wissen mehr über das, was ringsum geschieht, und weniger über das, was in ihnen vorgeht. Sie geben ihre gefühlte Wirklichkeit auf.

Menschen könnten auf eine Weise heranwachsen, die den Gefühlen ermöglicht, subtiler zu werden, so daß sich die frühen kindlichen Gefühlsäußerungen in alle Impulse des erwachsenen Lebens hinein ausdehnen. Aber bei den meisten Menschen geschieht das nicht. Statt dessen lernen sie immer kompliziertere Antworten und haben immer weniger inneren Kontakt zu einfachen Impulsen; die innere Bewußtheit stirbt ab, während die äußere, weltliche Bewußtheit zunimmt. In der Feeling-Therapie idealisieren wir weder die kindliche Einfachheit noch die kontaktlosen Kompliziertheiten des rationalen Erwachsenen. Vielmehr spüren wir bei einem fühlenden Menschen die Verbindung von Einfachheit und Vielschichtigkeit.

 

Integrale Gefühle 

 

Wenn wir von Gefühlen sprechen, meinen wir integrale Gefühle; es sind Gefühle, bei denen sich Empfindungen, Bedeutungen und der entsprechende Ausdruck in völligem Einklang befinden. Wenn der Ausdruck den inneren Empfindungen und Bedeutungen entspricht, dann ist ein vollständiges Gefühl gegeben. Einen ausgewogenen Gefühlszustand zu erreichen, ist das Ziel der Feeling-Therapie. Es ist das schwierigste Unterfangen, das ein Individuum in Angriff nehmen kann.

Die Gesamtheit der integralen Gefühle an jedem einzelnen trägt viel mehr zum ganzheitlichen Fühlen überhaupt im Leben eines Menschen bei als vorübergehende Hochstimmungen oder Gefühlstiefs. Wir legen besonderen Wert auf integrale Gefühle, denn wenn jemand beginnt, vollständig aus den Gefühlen heraus zu leben, die ihm schon zur Verfügung stehen, dann kann er ohne Verwirrung auf einer bestimmten Gefühls­ebene leben. Sofern ein Patient nicht beginnt, aus seinem verfügbaren Gefühlsniveau heraus zu leben, ist es nicht sinnvoll, dieses Gefühlsniveau zu erweitern.

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Jemand, der sich nicht in einem integralen Zustand befindet, ist verrückt. Es gibt nur zwei Seinsweisen: im Gleichgewicht oder im Ungleichgewicht zu sein. Ein Mittelding gibt es nicht. Es gibt ausgewogenes Fühlen oder durcheinandergeratenes Fühlen. Weil viele Menschen derart feste, stimmige Antworten in bezug auf sich selbst und ihre Umwelt parat haben, wirkt ihre Verrücktheit nicht allzu verrückt. Durch derartige feste Antworten gerüstet, bleiben sie 'angepaßt', 'in sich ruhend', 'gut erzogen', 'intellektuell' oder 'unverstanden' oder wie immer ihre besondere Antwort lauten mag. Wir streiten mit dem Leuten nicht über ihre besondere Mischung von Antworten. Wir sagen nicht, daß jemand seine festen Antworten aufgeben und das übernehmen sollte, was er für unsere festen Antworten hält.

Indes sagen wir jedem, der seine Antworten unbefriedigend findet, daß er seiner Verrücktheit ins Auge sehen muß. Sobald feste Antworten allmählich aufgegeben werden, wird der persönliche Irrsinn sichtbar. Hinter der festen Antwort verbirgt sich die Verrücktheit als Folge des fehlenden integralen Gefühls­zustandes, der fehlenden Bedeutungen, die aus inneren Empfindungen entstehen, des fehlenden Ausdrucks, der das Innen mit dem Außen in Einklang bringt, und der fehlendem gefühlten Verbindung mit dem Leben.

 

  Gesund werden  

 

Die meisten Therapien sind noch nicht zu lebendigen Unternehmungen gediehen. Sie begnügen sich damit, Lösungen für die Probleme ihrer Patienten zu finden. Das Lösen von Problemen ist zwar eine wichtige Funktion einer Therapie, doch muß sie zweitrangig bleiben gegenüber der Aufgabe, den Patienten für ein gesundes Leben aufgeschlossen zu machen. 

Während der Entwicklung der Feeling-Therapie gelangten wir von partiellen zu vollständigen Gefühlen, von einer unvollständigen Psycho­therapie zu einer transformierenden Psychotherapie. Wir standen einem "Was nun?" gegenüber. Wir stellten fest, daß das Ausdrücken halber Gefühle zwar eine vorübergehende Entspannung brachte, daß unser Leben aber ebenfalls nur ein halbes blieb. Zuerst wußten wir nicht, wonach wir eigentlich suchten; wir wußten nur ganz sicher, daß wir mehr haben wollten als wir hatten. Wir wollten mehr leben und so gesund sein wie wir es — aufgrund unseres Vorgeschmacks in einzelnen kurzen Augenblicken — wirklich sein konnten.

Will man aus einer partiellen Therapie eine vollständige machen, müssen partielle Gefühle im Rahmen des wirklichen Lebens überprüft werden. Ein solches Überprüfen bedeutet, daß jemand aus dem heraus lebt, was er im Zusammensein mit anderen fühlt, die bereit sind, die Vollständigkeit und Wahrhaftigkeit seiner Gefühle zu prüfen.

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Werner, ein Therapeut, schreibt darüber:

Oft wenn ein anderer Therapeut in Frage stellte, was ich sagte, indem er mir erklärte, daß es sich zwar ganz vernünftig anhöre, daß er mich aber nicht als voll da spüren könne, versuchte ich, die Wahrheit von dem, was ich gesagt hatte, zu beweisen. Aber sie griffen mich immer noch mehr an.

Eines Tages sagte ich zu Linda, nachdem wir in einem Restaurant zu Mittag gegessen hatten, wir sollten die Abende tauschen, an denen wir Gruppentherapie abhielten, und auch unsere Methode bei der Einzeltherapie ändern. Sie stimmte mir zu, dann unterbrach sie mich und sagte: <Ich fühle dich nicht. Was du sagst, könnte das Beste für die Therapie sein, aber du bist nicht voll da. Ich möchte, daß du da bist. Dann wären deine Argumente nicht so wichtig. Ich kann dir wirklich zuhören. Ich höre dich, Werner.>  

Mir wurde klar, daß sie nicht gegen das war, was ich gesagt hatte — das konnte richtig oder falsch sein —, es ging ihr um mich. Wenn ich nur partielle Gefühle habe, sind meine Worte sehr wichtig. Aber wenn ich mich fühle, bin ich offen für meine Worte und diejenigen des anderen; wichtig ist der Kontakt, nicht das Ergebnis. 

 

Viele Menschen wollen ihre Gefühle niemals überprüfen. Sie glauben, ihre partiellen Gefühle machten all die Wahrheiten aus, die sie je erfahren können oder zu wissen brauchen. Ein Prüfen der Gefühle führt nicht zu richtigen oder falschen Antworten. Es ist ein Augenblick gemeinsamen Suchens, wobei sich beide, die mit ihren Gefühlen konfrontierte Person und der andere, der sie konfrontiert, auf die vollständige Wahrheit zubewegen.

Ein Überprüfen von Gefühlen ist ohne den Zusammenhang mit der Gemeinschaft nicht möglich. Dies ist ein weiterer gravierender Unterschied zwischen der Theorie und Praxis der Feeling-Therapie und denen anderer Therapien. Wir wissen, daß es, um mehr als nur partielle Gefühle zu haben, der Unterstützung einer therapeutischen Gemeinschaft bedarf, in der der Zusammenhang und die Auswirkungen von Gefühlen voll gelebt werden können. Die Feeling-Gemeinschaft ist notwendig, denn wenn die Auswirk­ungen partieller Gefühle empfunden werden, muß eine Struktur vorhanden sein, die beim Zusammenbruch der Persönlichkeit eines Menschen stützend zur Seite ist.

Mit folgenden Worten beschreibt ein Therapeut, Steve, was ihm widerfuhr:

"Ich hatte mich schon drei Jahre als Therapeut betätigt, als wir das Center ins Leben riefen. Ich hatte für einen bekannten Psychologen gearbeitet und sehr gut dabei verdient. Da meine Lehrtherapie so intensiv gewesen war, glaubte ich, viele meiner Probleme gelöst zu haben. Und in mancher Beziehung stimmte das auch. Ich war nicht mehr so verrückt wie ich mir früher vorgekommen war.

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Ich konnte sagen, was ich empfand  und so leben wie ich wollte. Aber ich hatte immer noch diese kleine nagende Spannung im Magen. Ich war anderen Menschen gegenüber offen, fühlte mich mit ihnen aber nie so wohl wie mit mir selber. Da war immer dieses Gefühl des Alleinseins und des Unterschieds zwischen mir und de anderen Menschen. Ich hielt das für ein Zeichen meiner Individualität — mein Alleinsein. Je länger ich mit den anderen Therapeuten zusammen war, desto mehr kam in mir der Wunsch auf, über das hinauszugehen, was ich für wirklich gehalten hatte. Ich wollte mehr als gescheite psychologische Antworten auf mein Alleinsein.

In den ersten zehn Monaten meiner Arbeit im Center mußte ich periodisch wiederkehrende Phasen des Verrücktseins durchmachen. Ich konnte arbeiten und meine Tätigkeit auf dem normalen Niveau oder gar noch besser ausüben, aber jedesmal, wenn ich zu einer Einzeltherapie oder zu einer Gruppensitzung mit anderen Therapeuten-Patienten ging, begann ich die Auflösung meines Selbst zu spüren — meines Selbst, das ich so sorgsam aufgebaut hatte. Ich empfand nicht nur die Belastung, mich gegen die schlimmen Zeiten in meinem Leben zu wehren, sondern auch die totale Verrücktheit der 'normalen' Art und Weise, wie ich erzogen worden war.

Meine Familie war immer eine 'gute Familie'. Aber ich stellte fest, daß 'gut' für mich bedeutete, daß ich nicht bekam, was ich wirklich brauchte. Ich erkannte, daß ich als Erwachsener mein wirkliches Bedürfnis in der Gegenwart mit verrückt erwachsenen Theorien und Worten wegredete. Ich brauchte wirkliche Freunde, aber vor allem hatte ich es nötig. daß ein anderer Mensch mich durch meine Abwehr hindurch erreichte. Meine Verrücktheit nahm viele Formen an — manchmal war ich in der Gegenwart krankhaft wütend. Ich wußte nicht warum, bis ich ganz hatte zum Ausdruck bringen können, was in mir war. In meinen Sitzungen wollte ich töten und rasen. Ich war ein Verrückter auf freiem Fuß, ein veritabler Dr. Jekyll und Mr. Hyde. Und zu anderen Zeiten war ich dann voller Angst — hatte Angst zu sehen und zu hören und zu berühren.

In anderen Therapien hatte ich diese Gefühle aus meiner Vergangenheit oft empfunden, aber sie waren von mir, wie ich jetzt war, irgendwie abgespalten gewesen. Und jetzt empfand ich sie als meine. All meine Gedanken über mich waren zum Teufel, wenn ich fühlen konnte, wie quälend und erschreckend es tatsächlich war, einen anderen Menschen anzusehen und zu hören und zu berühren. Aber nur indem ich all das mir selbst und den anderen in dies er therapeutischen Gemeinschaft enthüllte, begann ich zu erkennen, daß wirkliche, tatsächliche Gesundheit möglich war. Es ist nicht ein bestimmter Ort oder eine bestimmte Seinsweise, sondern ein fühlender Kontakt, der mich mit der Wirklichkeit meines Lebens verbindet und mit meiner eigenen Kraft, zu entscheiden, ob ich fühlen oder nicht fühlen will.

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Ich wußte nie, was Verrücktsein bedeutete, bis ich zu fühlen vermochte, wie es für mich war, wenn ich richtig Angst davor hatte, jemanden anzusehen, dem ich vertraute und mit dem ich arbeitete. Was mir als Kind widerfuhr, war nicht schlimmer als das, was anderen widerfuhr — tatsächlich war ich ein ganz gewöhnliches Kind mit gewöhnlichen Gefühlen und Abwehrhaltungen, und das reichte aus für eine völlige Spaltung meines Fühlens und Empfindens. Ich stellte fest, daß ich manchmal stark und manchmal schwach war. Aber ich war ich, wenn ich fühlte."  

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Diese kurze Beschreibung gewährt Einblick in die Verrücktheit, die in jedem von uns steckt. Die Menschen gestehen ihre Verrücktheit selten ein, weil sie plausible Antworten für sich und die Welt gefunden haben. Aber Antworten werden für denjenigen immer ungenügend sein, der sich so fühlen will, wie er wirklich ist, und nicht so, wie er zu sein glaubt.

Steve stellte fest, daß er nur in der Gemeinschaft seiner Freunde Zugang zu Bereichen von sich hatte, die vorher abgeriegelt gewesen waren. Er wurde von seinen Freunden Überprüfungen ausgesetzt, bis seine Unwahrhaftigkeit verging und seine vollständigen Gefühle deutlich sichtbar wurden. Dies zeigt, daß all das, was ein Mensch, sein kann, was er sich selbst antut und was ihm angetan wurde (die Verrücktheit), gleichzeitig gewußt wird. Ein Mensch kann sich nur gesund fühlen, wenn er durch seine Verrücktheit hindurchgeht. Verrückt zu bleiben heißt, bei unvollständigen Gefühlen stehen zu bleiben. Das fühlende Individuum macht seine Gesundheit und seine Verrücktheit bewußt zugänglich.

Nur wer beginnt, die Unvollständigkeit hinter seinen Antworten in bezug auf sich und die Welt um ihn zu überprüfen und zu empfinden, kann sich allmählich durch Fühlen vervollständigen — ganz werden. Nur wer beginnt, seine Verrücktheit zu empfinden, kann erfahren, daß es Gesundheit gibt. Und nur wer beginnt, die Sicherheit des gewahrten Alleinseins oder der oberflächlichen Vertrautheit aufzugeben, kann eine wirkliche Gemeinschaft kennenlernen. Diese drei Thesen werden in diesem Buch immer wieder vorkommen. Sie verdienen es, wiederholt zu werden, weil die meisten Menschen nicht wissen, daß es vollständige Gefühle gibt; sie finden sich mit der Unvollständigkeit und Verwirrung ab, weil sie nichts anderes kennen. Da sie ihre Verrücktheit nicht spüren, können sie auf wirkliche Möglichkeiten, gesund zu werden, nicht reagieren.

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    Was Transformation bedeutet   

 

Ein Patient in der Feeling-Therapie verwandelt tatsächlich sich und sein Leben. Transformation ist Meta­morphose: der Mensch, der sein Leben verwandelt, kriecht aus einem Kokon des Nichtfühlens und des partiellen Fühlens. Wir verwenden das Wort Transformation nur, wenn jemand von einer Lebensweise zu einer anderen überwechselt, die in der Art seines inneren Fühlens begründet ist. Umwandlung ist nicht identisch mit Veränderung. Die Menschen ändern sich dauernd — durch Nachahmung anderer, durch äußeren Druck, aus Heuchelei oder durch Zufall —, aber keine dieser Veränderungen sollte Transformation genannt werden. Sie finden alle außerhalb der Person statt.

Durch die Transformation in der Feeling-Therapie werden die Menschen in die Lage versetzt, einfach und grundsätzlich aus ihren Gefühlen heraus zu leben. Natürlich haben sie alle möglichen Ängste und Einwände gegen eine solche Lebensweise: "Wie ist es mit Sadismus und hemmungslosem Essen?" — "Und wie steht es mit der Verantwortung anderen gegenüber?" — "Was ist mit Recht und Unrecht?" — "Wie steht es mit höheren Bewußtseinszuständen?" — Im Augenblick können wir nur behaupten, daß trotz all dieser Fragen Gefühle die verläßlichsten Führer durch das Leben sind. Wir werden dieses ganze Buch und anschließende Bücher brauchen, um zu erklären, wie und warum diese einfache Wahrheit in der Verwirrung emotionaler Unordnung verloren geht. Wir werden auch erklären, wie man sie wiederfindet und in der Feeling-Therapie erlebt.

Aus sich heraus zu leben, wahrhaftig und vollständig zu leben, ist das Ziel der Transformation. In mancher Beziehung ist uns dieses Ziel eher vertraut als ein religiöses, denn als therapeutisches Ziel. Die Psycho­therapie hat die Religion und Philosophie als Hauptinstanz, bei der die Menschen nach einem persönlichen Sinn suchen, ersetzt3). Aber die meisten Psychotherapien sind nicht weit genug in diese Richtung gegangen. Wir wissen, daß eine Therapie mehr sein muß als eine liebevoll angewandte persönliche Theorie oder Überzeugung. Psychotherapie muß die persönlichen und sozialen Kontakte hervorbringen, die in der Gemeinschaft fehlen. Wenn eine Therapie die Möglichkeit schafft, daß eine Person sich selbst fühlen und ihre Gefühle leben kann, dann wird diese Therapie transformatorisch. Das ist das eigentliche Ziel einer vollständigen Psychotherapie.

Transformation ist möglich, aber die Mühe ist groß, und die Ängste sind stark. Die Feeling-Therapie stellt keine Theorien darüber auf, was für Ängste das sind. Im Teilnehmen, Heilen und Umwandeln seines Lebens begegnet der einzelne seinen eigenen Ängsten. Diese Ängste kann weder der Therapeut noch der Patient voraussehen; Ängste können nur in Augenblicken der Wahl erlebt werden

Wir nennen diese entscheidende Möglichkeit, sich für das Fühlen zu entscheiden, den Augenblick des Fühlens.

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