2. Der Augenblick des Fühlens
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"Als ich zur Therapie kam, war ich bereits praktizierender Psychologe. Nach ein paar Monaten der Therapie kam es mir vor, als hätte ich mich nicht mehr in der Hand. Ich war niedergeschlagen, als all die Begriffe wie <Identität, Persönlichkeit und Therapie> keinen Sinn mehr ergaben, und ich war in gehobener Stimmung, wenn ich einen einzigen Augenblick lang fühlte.
Beim ersten Mal, als ich mich wirklich fühlte, war mir, als hätte ich dieses Gefühl schon früher gehabt, aber irgendwie vergessen oder verloren. Bald vergaß ich es wieder und war jemand mit Namen Riggs.
Riggs ist ein Name mit Vergangenheit, aber irgendwie bin ich das nicht ganz. Ich bin nur, wenn ich fühle. Sonst bin ich wie eine Gestalt in meinem eigenen Film, nur daß sich der Film gewissermaßen selbständig gemacht hat. Mein ganzer Fortschritt in der Therapie bestand darin, mich jeweils einen Augenblick lang zu fühlen. Ich stellte fest, daß wenn ich fühle, ich Impulse und Reaktionen habe, und dann jeden Augenblick wirklich lebe. Die Therapie ermöglicht mir, daß diese Augenblicke schneller und in dichterer Folge kommen, so daß Minuten zu Stunden und Stunden zu Tagen werden.
Was immer jetzt auch in meinem Leben geschieht, mir ist immer bewußt, wann ich vom Fühlen ins Nicht-Fühlen gerate. Was zuerst nur ein undeutliches Gewahrwerden eines vergessenen Ichs war, ist jetzt klar und lebendig. Ich war furchtbar wütend und ganz kaputt durch die Qual, mich zu verteidigen und mich selbst durcheinander zu bringen, ich habe meine verrücktesten Gedanken gezeigt, und ich habe geliebt und bin geliebt worden."
Riggs ist einer unserer Therapeuten.* Was er an dieser Stelle beschreibt, ist seine Rückkehr von einem verworrenen, von festen Vorstellungen bestimmten Leben zu einem geordneten, fühlenden Leben. Diese Umwandlung geschieht durch die Ausdehnung einzelner, wirklich gefühlter Augenblicke des Fühlens. Jeder hat seine eigenen Augenblicke, in denen er fühlt. Für die meisten Menschen besteht er in dem Wissen, daß das, was vor sich, geht, nicht wirklich das ist, was sie wollen; und dennoch können sie das, was sie tun, fühlen oder sagen, nicht ändern. Aus einer vagen inneren Unruhe wird totales Nicht-Gewahrwerden. Ein Mensch verliert den Augenblick des Fühlens, wenn er die Grenzen der ihm zugeschriebenen Rollen und die seiner eigenen Vergangenheit akzeptiert.
Riggs vermochte sein undeutliches Gewahrwerden zu einem beständigen Augenblick wirklichen Lebens auszudehnen. Neue Patienten haben nicht das gleiche Gespür für wirkliches Fühlen wie Therapeuten oder Patienten mit mehr Erfahrung. Wenn sie kommen, leben sie nur halb, empfinden aber ihre Unvollständigkeit oder daß mit ihnen etwas nicht stimmt, daß sie nicht ganz real und in Ordnung sind. Sie möchten, daß ein anderer ihnen die Klarheit eines gefühlten Augenblicks verschafft.
* (d-2006:) "Riggs" = Richard Corriere
Der Augenblick wirklichen Fühlens ist der Beginn der Feeling Therapie. Wenn jemand spürt, daß sein Fühlen unvollständig ist, kann man ihm helfen, vom Abwehren zum Fühlen zu kommen. Ohne dieses Gespür wäre es unmöglich, denn die Abwehr würde gänzlich unbewußt bleiben. Der Augenblick des Fühlens ist jedem zugänglich, zumindest ganz flüchtig. Wenn jemand es leid ist, von seinen Augenblicken fühlenden Bewußtseins zu lassen, und mehr haben will als bloß Erinnerungen an die Wirklichkeit, dann ist er für die Therapie bereit. Jeder kann spüren, wann seine Gefühle unvollständig sind, wenn auch wenige Menschen einsehen, daß sie Hilfe brauchen.
Um die Therapie beginnen zu können, werden jedem in Augenblicken der Entscheidung seine unvollständigen Gefühle bewußt gemacht. Diese Bewußtmachung zwingt ihn zu der Wahl, entweder einer halben Wahrheit zu folgen oder zuzulassen, daß er fühlt, was halbe Wahrheiten ihm antun. In diesem Augenblick der Wahl fühlt der Patient entweder, wie er abwehrt; oder wenn er sich für die Aufrechterhaltung der Abwehr entscheidet, fühlt er, wie der Moment der Offenheit sich ihm versperrt.
Diesen Augenblick der Wahl erkennt man am leichtesten, wenn man ihn vom Standpunkt eines neuen Patienten aus betrachtet. Der Patient des folgenden Beispiels schrieb in seinen Aufzeichnungen, "er fühle sich nicht besonders gut". Er hatte das Gefühl, daß etwas in seinem Leben 'fehle'.
Ich heiße Rob. Während meiner Intensivtherapie konnte ich kaum glauben, daß mein Therapeut tun könnte, was er mir antat: immer wieder, wenn ich über eine Szene aus meiner Vergangenheit weinen wollte, zwang er mich zurück in die Gegenwart und ließ mich meine Abwehr spüren, ehe er meine vergangenen Gefühle an die Oberfläche kommen ließ. Er machte mich für das verantwortlich, was ich mir selber antat. Was mich völlig überrumpelte, war, daß er nie zweimal dasselbe tat. Am zwölften Tag meiner Therapie wartete ich auf ihn im Empfangsraum. Die Zeit war schon vorbei, zu der ich bestellt war. Ich wurde ärgerlich und beschloß, ihn zu suchen. Er saß im Raum und redete, als ob er schon mit mir arbeitete. Ich zog also meine Schuhe aus und begann darüber zu nörgeln, daß er nicht herausgekommen war und mich geholt hatte. Er sagte: <Du bist so wenig existent, daß es ganz gleichgültig ist, ob du im Raum bist oder nicht.> Ich dachte, er müsse total übergeschnappt sein. Er konnte doch nicht Therapie mit mir machen, wenn ich nicht im Raum war!
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An den vorhergehenden drei Tagen hatte ich jeden Tag darüber geweint, wie wenig ich mir selber zugestanden hatte, wirkliche Gefühle für meinen Vater zu empfinden. Meiner Ansicht nach hatte ich homosexuelle Gedanken und Neigungen, merkte aber, daß ich mein wirkliches Verlangen nach meinem Vater nie hatte hochkommen lassen. Statt dessen hatte ich in der Gegenwart in bezug auf andere Männer Gefühle, die verworren waren — weder empfand ich mein reales Bedürfnis und die Liebe zu meinem Vater, noch mein reales Bedürfnis und die Liebe zu meinen Freunden in der Gegenwart. Vielmehr verwechselte ich Sex mit engem Kontakt zwischen männlichen Freunden. Nun, ich hatte erwartet, ich würde weiter über meinen Vater reden. Aber statt dessen fragte mich der Therapeut nach einem Haus, das ich mit einem der anderen neuen Patienten hatte mieten wollen.
Es folgt ein Auszug aus der Bandaufnahme von Robs Sitzung
(P = Patient, T = Therapeut):P: Ich fühlte mich betrogen, daß sie uns das. Haus nicht vermieten wollten. Ich wollte sogar darauf verzichten, es anzusehen. Wir zogen uns fein an und waren alle sehr aufgeregt, und dann sagte der Makler, an Ledige würde er nicht vermieten.
T: Das war eine gute Idee. Wahrscheinlich hättet ihr das Haus ruiniert.'
P: Wie kannst du so etwas sagen? Ich bin sehr verantwortungsbewußt.
T: Nein, das bist du nicht.
P: Du ... ich kann es nicht glauben, du kennst mich nicht. Worauf willst du hinaus?
T: Wahrscheinlich gab es nicht viel, was du zu dem Makler sagen wolltest, obwohl du doch so verantwortungsbewußt bist und überhaupt.
P: Doch, aber ich will es hier nicht sagen, es hat keinen Zweck. Er ist ja nicht da.
T: Es würde keine Rolle spielen, ob er da ist — du würdest sowieso nichts sagen. Seit drei Tagen erzählst du mir ununterbrochen alles, was du sagen wolltest. Dann hattest du eine Chance, und schau, was passiert ist.
P: Ich wußte nicht, was ich ihm sagen wollte — wie ungerecht das sei und dergleichen mehr, daß ich den Mistkerl beim Wohnungsamt verklagen würde. Aber dann gab ich diese Gedanken auf, als ich daran dachte, daß ich sowieso nichts erreichen würde. Sein Entschluß stand fest, und ich ging innerlich weg. Ich dachte, wenn ich sagen würde, was ich empfand, würde ich das Haus sowieso nicht bekommen. An dem Ergebnis würde sich nichts ändern.
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T: Du hattest eben keine wirklichen Gefühle und Impulse — dabei mußt du dich gut gefühlt haben.
P: Ich sehe eben, daß er seine Gründe hatte. Du verstehst die reale Welt nicht. Es gibt gewisse Gesetze in der Gesellschaft und die werde ich nie ändern.
T: Na, da du im Leben nichts erreicht hast, bezweifle ich, daß du in der Therapie wirklich etwas erreichen kannst. Ich werde mich jetzt ausruhen.Als Rob das Tonband abhörte, bemerkte er dazu:
Genau das tat er — ich konnte es nicht glauben. Er schlief ein, zumindest bin ich ziemlich sicher, daß er es tat. Ich lag auf dem Fußboden und dachte darüber nach, was ich meinen Gefühlen angetan hatte. Als ich am Tag davor wegging, fühlte ich mich und war bereit zu leben und zu sagen, was ich fühlte, und jetzt gab es lauter beschissene Antworten auf Fragen nach meinen Gefühlen. Nach ganzen zwanzig Minuten des Schweigens sagte mein Therapeut: <Zu Beginn der Therapie hatte ich sehr viel Angst, der zu sein, der ich war.> Dann schien er wieder einzuschlafen.
Ich fing an, laut zu reden. Es war mir egal, ob er schlief oder nicht. Ich wollte reden. Ich redete zuerst davon, welche Angst ich hatte, dem Makler genau zu sagen, was ich empfand. Aber vor allem — welche Angst ich davor hatte, jemand zu werden, den ich nicht kannte. Ich hatte das Gefühl, wenn ich anfing zu sagen, was ich fühlte, dann würde ich niemanden mehr kennen. Meine alten Freunde würden mich nicht mögen. Während ich redete, unterbrach er mich und sagte: <Was ist das für ein Gefühl, wenn du kommst und gehst, wenn du zwischen dem Du-Sein und dem Nicht-Du-Sein hin und her gehst?> Dann schlief er wieder ein.
Alles, worüber ich gesprochen hatte, kristallisierte sich in diesem einen Augenblick. Ich konnte mich spüren, wie ich in das Wissen um mein Gefühl hineinging und es dann wieder verließ. Ich begann lauter zu reden. Ich sagte: <Ich weiß, was ich tun muß, bloß kommt es mir so schwierig vor. Ich komme mir wie ein Arschloch vor, wenn ich mit jemandem rede, der nicht im Zimmer ist. Es kommt mir verrückt vor.> Dann sagte er: <Sei verrückt.> Ich sagte: <Ich will reden, aber ich habe Angst. Ich lasse immer alles vorbeigehen. Aber ich will das Haus haben. Verdammt nochmal, ich will dieses Haus haben.
Ich brüllte weiter und schlug gegen eine Matte an der Wand, bis ich mich fühlen konnte. Ich fühlte mich vollständig. Je mehr ich fühlte , umso mehr wußte ich, daß es noch anderes gab, was ich sagen wollte. Ich wollte nicht 'jemandem' nahe sein. Ich wollte eine Frau, die mich liebt und die ich lieben konnte. Ich wollte guten Sex. Ich schrie tief aus meinem Innern. Die Wörter strömten aus mir heraus. Ich dachte nicht nach und zögerte nicht. Ich hatte gewitzelt, daß ich in bezug auf die anderen Patienten schwul sei. Ich sprach mit lauter Stimme: <Das ist kein Witz.> Darüber habe ich wirkliche Gefühle.
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Was mich erstaunte, war nicht, was ich sagte, sondern daß ich mich schlecht fühlte und beschissene Antworten gab. Und dann begann ich wirklich zu fühlen, was in mir vorging. Als ich später darüber nachdachte, fragte ich mich, wie mein Therapeut scheinbar schlafen konnte und dann hellwach war und im richtigen Augenblick das Richtige sagte. Gewöhnlich war er sehr aktiv mit mir — aber an diesem Tag ließ er mich alles allein machen. Wenn ich daran denke, wie sehr er mir half, empfinde ich warme Gefühle in mir.
*
Rob hatte, was viele Menschen niemals haben werden, die Chance, anzufangen, seine Gefühle zu wählen. In der Sitzung, über die er schreibt, gibt es viele Augenblicke des Fühlens, aber sein Therapeut bringt ihn dazu, sie selbst zu finden und zu wählen. Was ihn ändern wird, sogar noch, nachdem er die Intensivtherapie beendet hat, ist die Erfahrung und das Wissen, daß er die Wahl hat, zu fühlen.
Der Augenblick des Fühlens wird erklärt
Wir können einen Augenblick des Fühlens1) als eine entscheidende Wahl zwischen Fühlen und Nicht-Fühlen bezeichnen, und jeder wird natürlich sagen: "Ich wähle das Fühlen. Ich will fühlen." Aber die Schwierigkeit besteht darin, daß wirkliche Entscheidungen nicht rein theoretisch getroffen werden, sondern dann, wenn die Kraft der Verrücktheit eine Person vom Fühlen wegzerrt, während natürliche Impulse sie zum Fühlen hinziehen. In solchen Augenblicken haben Entschlüsse wenig Gewalt.
Der Augenblick des Fühlens ist eine Krise. Es ist tragisch, daß Menschen eine Krise nur erkennen, wenn sie eine ausgesprochene Katastrophe ist. Ein Ehemann mag sich plötzlich von seiner entfremdeten Frau verlassen finden und unglücklich sein und den Schrei, der ihm in der Kehle steckt, durch fest zusammengebissene Zähne zurückhalten.
Tod, Liebesverlust, Versagen — solche Geschehnisse haben die dramatische Kraft, die Möglichkeit zum Fühlen hervorzurufen, und ebenso auch Zuneigung, Erfolg und unerwartete Überraschungen. Wenn der tief empfundene Augenblick verstreicht, vergehen in beiden Fällen die Gefühle.
Krisen, bei denen es um etwas anderes geht, sind nicht dasselbe wie therapeutische Krisen, bei denen es um einen selber geht.
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Jemand hat Gefühle, aber um sie zum Ausdruck zu bringen, muß er die Schichten der Abwehr durchdringen, die seine Gefühle blockieren. Ohne die Krise des momentanen wirklichen Fühlens würde er niemals beginnen, den Weg zum Fühlen einzuschlagen, sondern würde in seiner vernünftigen Verrücktheit, in der er sich sicher fühlt, verharren. Er lebt ein zersplittertes Leben, fürchtet sich vor seiner eigenen Verrücktheit und sehnt sich nach vollständigen Gefühlen. Die folgenden Ausführungen veranschaulichen, was das für Leslie bedeutete, der seit zwei Monaten unser Patient war:
"Neulich erzählte ich Marilyn, was mir auf meiner Geschäftsreise nach Houston passiert war. Ich erzählte ihr, daß ich einen Freund vom College getroffen hatte, aber was ich ihr nicht erzählte, war, daß er mir ein Mädchen für den Abend besorgt hatte. Nachdem ich eine Weile geredet hatte, sagte Marilyn, sie spüre einen Druck im Magen, und fragte, ob ich ihr alles erzählt habe. Gewiß, sagte ich, aber ich war hin- und hergerissen zwischen dem Drang, die Wahrheit zu sagen und die Konsequenzen auf mich zu nehmen, und dem Wunsch, mich zurückzuhalten. Ich dachte, wenn ich ihr die Wahrheit sagte, würde sie wahrscheinlich durchdrehen."
Diese Szene enthält alle Komponenten eines Augenblicks wirklichen Fühlens, aber es kommt nicht zu einem Freiwerden des Gefühls. Leslie hat die Möglichkeit zu sagen, was er fühlt, aber er verleugnet seine natürlichen Impulse durch vernünftiges Verrücktsein. Er hat genug Gefühl, um das Gezerre zwischen seinem Gefühlsimpuls und der vernünftigen Verrücktheit zu spüren, aber indem er sich zurückhält, verliert er genau das, was er sich bei seiner Freundin am meisten wünscht — eine wirkliche Intimität, eine Vertrautheit, die ganz anders ist als seine Vergangenheit. Vor allem aber verwirrt er seine Gefühle, weil er verleugnet, was ihm tatsächlich widerfährt. Er trägt auch zur Verrücktheit seiner Freundin bei, indem er ihr eine Lüge über ihre eigenen Gefühle auftischt; sie muß jetzt entweder verleugnen, was sie spürt, oder das Verhältnis ihrer eigenen Reaktionen zu seinen partiellen Wahrheiten überprüfen.
Was Leslie angetan wurde, als er aufwuchs, war, daß ihm seine natürliche Neigung zum Fühlen genommen wurde. Als Kind widersprach es seiner Natur, einfache Impulsäußerungen zurückzuhalten. Diese Fähigkeit verlieren die Menschen nie ganz, aber es entwickelt sich in ihnen eine vernünftige Verrücktheit, die das, was angeboren ist, zunichte macht. Die Feeling Therapie ist nur möglich, weil sie eine Rückkehr zu dem ist, was von Natur aus in den Menschen steckt. Je erfolgreicher ein Patient in der Therapie ist, um so mehr reagiert er auf seine wesentliche menschliche Natur.
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Leslies Zurückhalten bewirkt bei seiner Freundin einen Druck auf den Magen; Menschen, die vollständig fühlen, werden in Mitleidenschaft gezogen, wenn andere die Gefühlsäußerungen bei sich selbst blockieren. Es ist kein schönes Gefühl für Marilyn, Leslies Zurückhalten zu spüren. Wenn er sich zurückhält, gibt es keinen Gefühlsstrom, sondern nur Abwehr, und das bereitet ihr Unbehagen. Schon in der Kindheit wird den Menschen beigebracht, Abwehren und Zurückhalten seien die richtige Lebensweise. Patienten in der Therapie haben die Möglichkeit, das ihnen natürliche Fließen ihres Lebens wiederzugewinnen. Jeder wird zugeben, daß den Harn zurückhalten schmerzhaft ist, aber es ist nicht schmerzhafter als das Zurückhalten von Lachen, Bewegung oder ehrlichen Worten.
Menschen werden geboren und sprechen die Sprache des Gefühls, aber sie werden gezwungen, die Sprache der Abwehr und des Zurückhaltens zu lernen. Diese Sprache ist eine zweite Sprache und wird das Gefühl über das eigene Selbst niemals so vollständig übermitteln wie natürliche Äußerungen.
Ein paar Tage lang konnte Leslie seine natürlichen Impulse, sich zu äußern, verleugnen, aber weil er zu fühlen begonnen hatte, wurde es unbehaglich, im Zustand des Zurückhaltens zu verharren. Er war seinen vernünftigen Irrsinn leid, der darin bestand, daß er im Geist Gespräche mit anderen Menschen führte, und er bat um eine Therapiesitzung.
"Der erste Grund, weshalb ich mich wirklich schlecht zu fühlen begann, war, daß ich Marilyn angelogen hatte. Ich kam mir schmutzig und ekelhaft vor. Ich hatte das Gefühl, daß de Therapie nicht wirksam sein konnte, wenn ich immer noch lügen konnte. In der Sitzung war ich wütend auf Carole — meine Therapeutin — ich sagte ihr, daß die Therapie nicht helfe, schließlich erzählte ich ihr, was ich getan hatte und wie mir zumute war. Dieser Teil ging mir nicht leicht von den Lippen. Sie putzte mich ganz schön herunter, nicht, weil ich gelogen hatte, sondern weil ich so lange gewartet hatte, sie anzurufen, wo ich weniger und weniger fühlte. <Du bist hergekommen>, sagte sie, <weil du dich ändern wolltest. Die erste wirkliche Veränderung, die du erreichen kannst, ist, um Hilfe zu bitten, wenn du weißt, daß in dir etwas passiert.> Ich fühlte, wie mir ein Schauer überlief, als sie das sagte — ich wußte, wie viele Jahre ich eben das hatte tun wollen, aber ich hatte nie jemanden, bei dem ich es tun konnte. Sie war so ganz anders als andere Therapeuten, die ich gekannt hatte. Sie wollte, daß ich aus meinem verrückten, verworrenen Leben auftauchte. Sie bestand darauf, mich daraus auftauchen zu sehen.
Später in der Sitzung weinte ich und sagte ihr, wie entsetzlich die letzten Tage gewesen seien. Ich hatte sie anrufen und Hilfe bekommen wollen — genau wie ich es meiner Freundin hatte sagen wollen —, aber ich hielt mich zurück.
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Als ich weinte, war mir, als ob alles auseinanderfiele. Zurückzuhalten erschien verrückt, aber als ich begann, alles zu sagen, und mich meinen Gefühlen überließ, war mir, als ob ich nicht wüßte, was geschehen würde. Bei meiner Freundin glaubte ich gewußt zu haben, daß sie mich verlassen würde, und jetzt, als ich wirklich fühlte, wußte ich nicht, was geschehen würde. Ich wußte nur, wie abscheulich es war, mich Carole und meiner Freundin gegenüber zurückzuhalten. Mir war, als würde ich durch eine altmodische Mangel gedreht — all meine alten Lügen kamen heraus. Ich konnte fühlen, was ich mir selber antat, wenn ich mich in Lügen und ungesagten Wahrheiten verstrickte. Mir wurde klar, wie meine Lügen zu meinen sogenannten Wahrheiten wurden. Ich war von innen nach außen gekrempelt. Der, der ich zu sein glaubte, war ich gar nicht. Ich wußte nur, daß ich fühlen wollte und daß alles, was weniger war, mir schrecklich vorkam.
Während der ganzen Sitzung spürte ich, daß Carole mit mir in Verbindung war, durch meine Abwehr hindurch. Mir fiel ein, daß keiner von meiner Familie das je für mich getan hatte. Ich erinnerte mich an Gefühle und Gelegenheiten aus meiner Vergangenheit, bei denen mir meine Familie Lügen über wirkliche Gefühle erzählte. Ich fühlte mich wie damals — ich verlor mich immer mehr, je mehr mir vorgelogen wurde.
Ich fing an, jene starken Impulse zu fühlen, die ich schon als Kind gehabt hatte, alles zu sagen, was ich empfand. Ich war wütend, ich war liebevoll, ich war verletzt. Immer mehr Gefühle stiegen in mir auf, bis ich das Bedürfnis hatte, mich auszuruhen. Es gab so vieles in mir, das verloren gegangen war. Und jetzt hatte ich eine Gegenwart, in der ich so sehr ich sein konnte, wie ich nur wollte. Es gab nichts, was ich irgendeiner Therapie vorwerfen konnte — da waren nur Carole und ich. Ich mußte fühlen, was ich. mir antat und was mir in der Vergangenheit angetan worden war. Diese Gefühle öffneten mich für das, was möglich war, aber ich mußte die Gegenwart so gestalten, wie ich sie haben will.
Als ich nach der Sitzung wegging, wollte ich mit meiner Freundin reden und ihr sagen, was ich ihr angetan und was ich mir angetan hatte. Ich wußte, sie würde wohl wütend sein, aber dem konnte ich ins Auge sehen. Ich hatte ihr angetan, was mir angetan worden war. Aber das weiterhin zu tun, war für mich unannehmbar. Ich habe nur mein Leben und möchte, daß es jetzt für mich wirklich ist, und nicht wirklich für meine verrückten Ideen und Gründe."
*
An diesem Beispiel können wir sehen, daß Leslie schließlich den Augenblick des Fühlens zuließ. Es machte ihn aufgeschlossen für neue Augenblicke und noch weitere Augenblicke. Sein Leben ist nicht vollständig, aber es ist seines. Er hat keine neuen Höhepunkte erreicht; er ist in sein Inneres zurückgekehrt, wo seine gefühlte Wahrheit erreichbar ist. Er hat, was er selber entwickelt, die Fähigkeit, sich für die Wahrheit seines Fühlens in seinem Innern zu entscheiden.
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Abwehrmechanismen widersetzen sich Augenblicken des Fühlens
Was Leslie tagelang von Momenten wahren Fühlens abhielt, war seine Abwehr. Abwehr ist das Gegenteil von einem Augenblick der Wahl. Es gibt nichts Besonderes, was jemand zur Abwehr tun muß, denn Abwehr findet dauernd statt. Um zu einem Augenblick der Wahl zu gelangen, muß jemand eine Übereinstimmung erleben zwischen dem, was er innerlich fühlt, und dem, was er äußerlich zeigt. Wir möchten betonen, daß ein Augenblick der Wahl nicht als eine Art breiter Wegkreuzung angesehen werden sollte, wo man sich entscheidet, einen von zwei deutlich gekennzeichneten Wegen einzuschlagen. Vielmehr ist dieser Augenblick eher wie der Konvergenzpunkt eines Fadenkreuzes — begrenzt, flüchtig und schwer bestimmbar. Auf der einfachsten und frühesten Ebene bedeutet das, ehrlich zu sein in bezug auf unvernünftige Gefühle. Diese scheinbar einfache Aufgabe erfordert ein Umstoßen all dessen, was Menschen beigebracht wird.
Kinder werden selten unverhohlen zum Lügen angehalten, aber sie werden gezwungen, Lügen zu leben. Menschen werden Lügner, wenn sie ihren Ausdruck und ihre Gefühle nicht in Einklang bringen. Sie lügen sich selbst etwas vor, indem sie Gründe und Argumente finden, warum sie nicht sagen können, was sie fühlen. Sie lügen sich gegenseitig etwas vor, wenn sie halbe Wahrheiten und halbe Gefühle als Kontakt und Kommunikation ausgeben. Dieses Nicht-in-Übereinstimmung-bringen von Gefühl und Ausdruck ist eine Abwehrmaßnahme. Die gesellschaftliche Verrücktheit bleibt dadurch erhalten, daß diese mangelnde Übereinstimmung gelebt wird. Patienten beginnen, eine Übereinstimmung in sich zu fühlen, wenn sie ihre Abwehr zum Ausdruck bringen, ohne an ihr als Wahrheit festzuhalten. Das ist schwer zu verstehen und noch schwerer zu vollbringen, denn die Menschen wollen ihre Abwehr umgehen; doch der Weg zu Gefühlen führt nicht um die Abwehr herum, sondern durch sie hindurch.
Damit Leslie seine Abwehrhaltung durchbrechen konnte, mußte er sie zum Ausdruck bringen. Zuerst war er wütend auf seine Therapeutin; obwohl diese Wut defensiv ist, wird sie doch eine Brücke zum wirklichen Fühlen, wenn sie in einer Therapiesitzung geäußert wird. Leslie sagte nicht: "Ich bin wütend und will es zum Ausdruck bringen, damit ich meinen Gefühlen näher komme." Er wurde dazu gebracht, alle seine verworrenen und zurückgehaltenen Gefühle herauszulassen, und sie kamen als Wut heraus. Das bedeutete noch keine Übereinstimmung, war aber doch ein realer Anfang.
Hätte man Leslie Einhalt geboten und gesagt: "Das ist nicht die Wahrheit" — dann hätte man ihm die Möglichkeit genommen, seine Verrücktheit zu fühlen. Die Therapeutin versuchte nicht, mit ihm zu diskutieren, denn sie wußte aus ihren eigenen Erfahrungen, daß Leslie seine verworrenen Gefühle zum Ausdruck bringen mußte, ehe er seine stimmigen Gefühle empfinden konnte.
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Vor der Therapie hatte Leslie aus seiner Abwehr heraus gelebt; er neigte dazu, seine Freundin zu kritisieren, statt ehrlich zu sein. Es spielt keine Rolle, ob er sie richtig oder falsch beurteilte — wichtig ist nur, daß diese Urteile benutzt wurden, um sein wirkliches Fühlen zu ersetzen.
Urteile rufen bei den Menschen verworrene Gefühle und eine logisch begründete Verrücktheit hervor; wird die Verwirrung geäußert und werden die Gefühle vervollständigt, werden die Menschen offen für ein Leben, in dem sie immer wieder erneut wählen können: zu fühlen und — was natürlich ist — ein Leben voller Kontakt und Fühlen. Wenn Menschen sich gegen Gefühle wehren, halten sie ein Leben voller Ersatzbefriedigungen und Diskrepanzen aufrecht.
Abwehr
Abwehr ist ein Ersatz: eine Ersatzbedeutung, Ersatz-Empfindung oder ein Ersatz-Ausdruck, die an die Stelle der eigentlichen Komponenten eines vollständigen Gefühls treten. In einem bestimmten Augenblick in jeder transformierenden Sitzung wird ein Patient das Gefühl haben, als wüßte er nicht, was vor sich geht. Das ist das, was wir unter Desintegration verstehen. Leslie begann, die Desintegration zu empfinden, als er schrieb: "Mir war, als ob alles auseinanderfiele." Der Patient läßt es zu, daß zwar vertraute, aber durcheinandergeratene Empfindungen, Bedeutungen und Ausdrucksweisen sich auflösen, wenn diese Ersatzformen weichen sollen, um wirklichen Gefühlen Platz zu machen.
Die Funktion defensiver Ersatzformen ist es, Gefühle, die nicht zum Ausdruck gebracht werden konnten, zu verbergen und abzuschwächen. Manchmal sind solche Abschwächungen schwer zu entdecken; Ausdruck als Ersatz für nicht wirklich Gefühltes kann durchaus intensiver erscheinen und klingen als der wahre Ausdruck, den er verbirgt. Aber Ersatzformen sind erkennbar, weil die Dramatisierung nicht den Empfindungen und Bedeutungen entspricht, die sie ausdrücken soll. Der nicht stimmige Ausdruck ist nicht gefühlt und ausgedrückt, er ist erdacht und dargeboten.
Eine Abwehr ist also einfach ein Ersatz, der Spannung entlädt und den direkten Ausdruck von Impulsen verhindert. Wir können Formen der Abwehr danach einstufen, ob sie auf die Empfindungs-, Bedeutungs- oder Ausdrucksebene eines Gefühls einwirken. Unaufmerksamkeit oder sich treiben lassen bedeutet einfach, sich nicht um die Impulse kümmern; die Person drückt sich davor, ihre eigenen, höchst dringlichen Empfindungen zu erkennen. Diese Abwehr wirkt auf der Impulsebene — die Person sperrt ihre Empfindungen aus. Verrückte Gedanken oder Phantasien sind Ersatzbedeutungen. Verrückte Tätigkeit oder Symptome sind Mittel zum Ausagieren, fern vom wirklichen Ausdruck. Sie sind Ausdrucks-Ersatz.
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Jede dieser Abwehrformen kann entweder durch Spannung oder durch das Auftauchen des ursprünglichen Gefühls aktiviert werden. Mit anderen Worten, Abwehrformen generalisieren, so daß eine Abwehrhandlung, zum Beispiel das Fantasieren von Messern, das ursprünglich mit einer bestimmten Bedeutung verknüpft war, sowohl durch diese ursprüngliche Bedeutung wie durch Spannung, die von einem anderen blockierten Impuls herrührt, herbeigeführt werden kann. Abwehrformen sind auf vielfache Weise determiniert. Darum wird eine Abwehrhaltung, wenn man sie bis zu einer der ursprünglichen Bedeutungen zurückverfolgt, gewöhnlich nicht aus dem Repertoire eines Patienten verschwinden, selbst wenn es ihm gelingt, sie nicht in diesem bestimmten Sinne anzuwenden.
Ausdruck und Spannung
Bei jedem Augenblick des Fühlens gibt es eine empfundene Bedeutung, die einen Impuls zu aktivem Ausdruck hervorruft; Gesten sind die natürliche Sprache des Körpers. Aktivitäten sind symbolisch, wenn sie ein indirekter Ausdruck eines Impulses sind. Jede indirekte oder symbolische Aktivität erzeugt Spannung, weil der Organismus eine zurückhaltende oder vermittelnde Reaktion herstellen muß, während er annehmbare indirekte Auslaßventile für die Energie des ursprünglichen Impulses sucht. Das momentane Zurückhalten ist spannungserzeugend. Schließlich lernt der Organismus eines Kindes, jede Art von Reaktion zurückzuhalten. Wenn dieses Zurückhalten in der Therapie gefühlt wird, verspürt der Patient Unbehagen. Es ist nicht schmerzhaft, Gefühle zu empfinden und zum Ausdruck zu bringen — vollständige Gefühle sind an sich natürlich; schmerzhaft und unnatürlich ist lediglich das mit unvollständigen Gefühlen verknüpfte Zurückhalten.
Schmerz — Bauchschmerzen, Kopfschmerzen, ein verkrampfter Nacken — kann ein gutes Zeichen sein, weil er bedeutet, daß jemand seine Gefühle nicht hinwegsymbolisiert. Er ist dem gefühlten Ausdruck näher, als er es sonst wäre. Natürlich sind die durch blockierte Impulse hervorgerufenen unbehaglichen Empfindungen selbst Ersatzformen, aber sie sind den Gefühlen näher als Fantasieren oder Ausagieren. Kleine Kinder sind ihren Schmerzen sehr nahe; jedesmal, wenn sie am Ausdruck und am Fühlen gehindert werden, empfinden sie Schmerz. Schmerz ist ein Zeichen, daß <mein Ausdruck unterbunden wird>. Schließlich lernen Kinder sekundäre Abwehrformen, um ihren Schmerzen ein Ende zu bereiten.2)
Hier ein einfaches Beispiel:
Jason kam zur Therapie, weil er nicht länger homosexuell sein wollte. Seit er sechs Jahre alt war, hätte er sich als "mehr Mädchen als Junge" eingeschätzt. Seine Mutter bestärkte ihn darin, mit Puppen zu spielen und ihr im Haushalt zu helfen.
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Sein Vater kümmerte sich nicht um ihn oder schrie ihn an, weil er im Weg war. In den ersten Therapiesitzungen sprach er davon, daß sein Vater niemals mit ihm gespielt habe, abgesehen von gelegentlichen Kartenspielen. Jason hatte viele Manieriertheiten an sich, die mit weibischer Homosexualität zusammenhingen: er hielt seine Arme nach hinten, ließ seine Handgelenke schlaff herunterhängen und wiegte sich in den Hüften. Zuerst konzentrierte sich der Therapeut darauf, Jason dazu zu bringen, eine gegenteilige Haltung einzunehmen: die Arme vorzustrecken, die Handgelenke steif zu halten und mit geraden Hüften zu gehen. In dieser ungewohnten Körperhaltung begann Jason sich zu fürchten und kam oft wieder auf die schwächere, vertrautere, zurückhaltende Gestik zurück.
Als Jason das Zurückhalten als unbehaglich zu empfinden begann, versuchte er es mit neuen, expressiven Gesten. Er ging zu ein paar Tanzereien und verabredete sich mit einem Mädchen.
In dem folgenden Auszug aus der Bandaufnahme seiner Sitzung hören wir, wie Jason zu fühlen anfing, sich über seine Verabredung aussprach und dann wieder in sich zusammenfiel.
P: Ich fühlte mich zu ihr hingezogen.
T: Was meinst du mit hingezogen?
P: Ach, ich wollte ... na ja ... sie halten.
T: Sie wo halten?
P: Ach ... sie bloß halten.Nachdem Jason zehn Minuten herumgeredet hatte, griff der Therapeut energisch ein.
T: Du siehst jetzt geradezu schwachsinnig aus und klingst auch so, schlichtweg schwach und schwachsinnig. Hast du so mit Mary geredet?
P: Ja.
T: Was hast du sonst noch Schwachsinniges mit ihr gemacht?
P: Ach, es war so schwierig.
T: Das ist schwachsinnig, du gebrauchst das 'es war schwierig' bloß als Ausrede.
P: Aber es war wirklich schwierig.... Ich hatte Angst.
T: Angst, was zu tun? Was zu sagen?
P.: Zu sagen, was ich wollte ...
T: Das ist schwachsinnig. Ich werde dich nicht ausquetschen. Steh' auf.
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An diesem Punkt ließ der Therapeut Jason eine körperlich anstrengende Haltung einnehmen, um seine physische Abwehr zu verstärken, und ließ ihn all das sagen, was er auf schwachsinnige Weise gemacht hatte. Jedesmal, wenn Jason sagte: "Ich war schwachsinnig, als ...", begann er zu zittern und fiel dann in sich zusammen.
T: Fall nicht zusammen, unterstütze dein eigenes Zittern! Laß dich zittern und rede weiter. Rede laut! Sag', was du getan hast und was du nicht getan hast.
Als Jason sich dafür entschied, sein Zittern zu unterstützen und nicht wieder in die schwache Stimme und die schwache Haltung zurückzufallen, die ihm vertraut waren, begann er wütend zu werden. Mit dieser Wahl erhielt er die Chance, die Körperspannung hinter seinen schwachen Gesten und seinem in sich Zusammenfallen zu spüren und statt dessen zum direkten Ausdruck seiner Gefühle zu gelangen.
P: Ich will nicht schwachsinnig sein! Ich will nicht.... ich will nicht ...
T: Willst du, daß Mary weggeht, so wie sie es tat?
P: Nein, das will ich nicht.
T: Sag ihr, sag ihr, was du willst!
P: Ich will nicht, daß du weggehst. Komm zurück! Bleibe bei mir. Ich will dich haben!
T: Laß deinen Körper sich bewegen, bewege dich mit deinem Wollen, zeig1, was du willst.
P: Ich will dich berühren, Mary ... Ich will deine Brüste berühren ...Ich will dich küssen ... Ich will dich vögeln ... Ich will deine Mose berühren ...(All das wurde mit lauter Stimme gesagt, während Jason durch den Raum ging, die Arme hin- und herschwang, um sich schlug und aufstampfte.)
Was in dieser Sitzung geschah, war, daß Jason anfing zu lernen, sein Zittern zu ertragen und sich in seinen Bewegungen von seinem Wollen leiten zu lassen. Als Kind hatte er gelernt, schwache Haltungen einzunehmen und in sich zusammenzufallen, wenn ihm etwas <zu schwierig> oder <zu beängstigend> vorkam. Seine passive Manieriertheit hatte er tatsächlich schon mit sechs oder sieben Jahren gelernt. Kinderbilder von ihm zeigen einen Jungen, der mit fünf Jahren noch offen und stark war. Aber seit seinem siebenten Geburtstag zeigen alle Bilder einen Jungen, der sich von den Menschen um ihn herum schwächlich wegwindet. Diese Kombination von Schwäche und schlaffem Sich-Winden paßt genau zu der Rolle eines passiven Homosexuellen.
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Dabei fühlte er sich in Wirklichkeit sexuell nicht besonders zu Männern hingezogen; es war lediglich eine <einfachere> Lebensweise. Für Jason war die Homosexualität eine soziale Rolle, in der er seine Passivität ausleben konnte. Solange er die passive Person spielen konnte, brauchte er sich nie schwach zu fühlen oder zu versuchen, selbständig zu handeln. Er konnte seine Abwehr im Leben verwirk1ichen.3)
Jason entschied sich dafür, die Angst vor dem Zittern in seinen Sitzungen zu ertragen und er begann zu fühlen, daß er sich selbst stützen und sich für das einsetzen konnte, was er wollte. Aber die schwächliche Manieriertheit verschwand nicht. Jason mußte nicht nur sein Zittern unterstützen, sondern auch seine Gefühle und sich aus seinen Impulsen heraus bewegen. Das war schwierig für ihn, und oft fiel er wieder in die behagliche schwache Abwehrhaltung zurück, die er so gut gelernt hatte.
Doch trotz dieser Rückschläge gewann Jason jedes Mal, wenn er für sich eine Wahl traf, mehr von seinem gefühlten Leben. Schließlich war er häufiger imstande, aus seinen Gefühlen heraus zu handeln, als ihnen entgegen. Das ist der Punkt, an dem es keine Rückkehr mehr gab, denn jetzt tut es Jason mehr weh, seinen Gefühlen Einhalt zu gebieten, als aus ihnen heraus zu leben. In der Feeling Therapie wissen wir, daß jeder, der sich dafür entscheidet, das Leben zu fühlen, diesen Punkt erreichen kann. Die Wahl muß immer wieder von neuem getroffen werden.
Mehr über das Abwehren
Jedes Buch über Psychiatrie oder Klinische Psychologie wird sehr ausführlich verschiedene Abwehrmechanismen beschreiben. Da wird die Rede sein von Verdrängung, Regression, Reaktionsbildung, Isolierung, Ungeschehenmachen, Projektion, Introjektion, Wendung gegen die eigene Person, Verkehrung ins Gegenteil und Sublimierung.
Der arglose Leser beginnt sich bald Gedanken über seine eigene Form der Abwehr zu machen und sich in all den Beschreibungen zu sehen, die er liest. Die mehr populärwissenschaftlichen Bücher verwenden umgangssprachliche Ausdrücke für Abwehrmechanismen, zum Beispiel <Topdog> und <Underdog> oder reales Selbst und irreales Selbst oder Elternteil, Erwachsener und Kind. Der Leser versucht, Verbindungen herzustellen zwischen <Topdog> und Sublimierung oder zwischen Introjektion und Elternteil. Aber die Menschen sind so versessen auf unzählige Kombinationen von Abwehrmechanismen, daß es bald sehr schwierig wird, genau festzustellen, welche Abwehrformen jeden Augenblick am Werk sind.
Abwehrmechanismen werden gewöhnlich mit Arten von pathologischen Befunden in Verbindung gebracht. Jemand blättert den Abschnitt "Anormal" des psychologischen Buches durch, das er liest. Er findet heraus, daß er ist, was er nicht sein sollte.
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Je mehr er liest, umso fester gerät er unglücklicherweise in die Falle. Er stellt fest, daß er nicht nur Abwehrmechanismen hat, sondern auch einen Anflug von manischer Depression, Hysterie, Schizophrenie, Psychopathie und Homosexualität — er sieht sich also als ein vom Durchschnitt total abweichendes Individuum.4)
Vereinfachungen sind der wirkungsvollste Sprengstoff für konventionelle Theorien.
Wir legen zwei einfache Einwände vor.Erste Bilderstürmerei: Abwehrmechanismen und Arten von pathologischen Befunden sind einfach Stadien unvollständigen Fühlens. Das Verstehen und Klassifizieren von Abwehrformen erzeugt sowohl für den Patienten wie für den Therapeuten sofort eine unwirkliche Situation. Eine Klassifikation bedeutet einen Schritt weg vom therapeutischen Impuls, der darin besteht, Prozessen des Nicht-Fühlens entgegenzutreten, die jeder aufweist. Trotz ihrer überwältigenden Vielfältigkeit und Komplexität sind Abwehrmechanismen sehr leicht zu verstehen. Alle Feeling Therapeuten und Co-Therapeuten fragen sich: "Was tut diese Person, um nicht zu fühlen? Was muß sie tun, um zu fühlen?"
Zweite Bilderstürmerei: Die meisten Therapeuten wissen nicht, was integrale Gefühle sind, und vermögen daher nicht zu erkennen, wie Nicht-Fühlen bei ihnen und bei ihren Patienten beschaffen ist. Sie können Abwehrmechanismen leicht aufzeigen und Symptome diagnostizieren, aber nur selten bringen sie den Patienten vom Nicht-Fühlen zum Fühlen. Um das zu tun, ist es erforderlich, das Fühlen zu erkennen und durch eine Reihe von Augenblicken zu verfolgen, das Fühlen in seinem Brennpunkt zu verdichten und schließlich dem Gefühl zu seinem Ausdruck zu verhelfen. Und das ist nur möglich, wenn der Therapeut selbst aus seinen integralen Gefühlen heraus lebt.
Beim Aufspüren eines Gefühls muß der Feeling Therapeut die Art der Abwehr, die in jedem einzelnen Augenblick angewandt wird, erkennen und durchbrechen. Der Patient könnte projizieren (d.h. seine Gefühle dem Therapeuten zuschreiben), aber er tut niemals bloß das. Jedes Gefühl, gegen das man sich wehren muß, erfordert Bewegung, in der Zeit, weg von dem anfänglichen Augenblick des Fühlens. Diese Bewegung aufgrund eines einzigen Gefühls geht sehr schnell vor sich. Der Patient vermag sich aus einem fühlenden Zustand zurückzuziehen, weil er oder sie als Kind gelernt hat, eine Reihe wirksamer Fluchtwege zu vervollkommnen. Für jede gegebene Situation haben alle Menschen eine Reihe sicherer Fluchtwege, um sich aus einer möglichen Gefühlssituation in einen eindeutig nicht fühlenden Zustand zu begeben.
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Fluchtwege
In unserer Kultur gibt es zahlreiche Fluchtwege, über die sowohl derjenige Bescheid weiß, der aus einer bestimmten Gefühlssituation entkommen möchte, als auch derjenige, der die Flucht beobachtet. Zum Beispiel wird eine Frau, die mit einem Mann ausgegangen ist und nach Hause gehen möchte, das nicht direkt sagen — sie wird leichte Kopfschmerzen haben oder "schrecklich müde" sein, oder sie hat eine kranke Zimmergenossin, um die sie sich kümmern muß; wenn sexuelle Avancen gemacht werden, spielt sie entweder die Fluchtrolle der passiven emanzipierten Frau, für die Sex ohne innere Beteiligung vor sich geht, oder sie bedient sich des Fluchtwegs des "altmodischen Mädchens"; jeder Fluchttrick ist erfolgreich für den pathologischen Befund, versagt aber für die Person.
Es gibt "Hausfrauen"-Fluchtwege, "Arbeiter"-Fluchtwege, "Kranken"-Fluchtwege, "Therapie"-Fluchtwege, "religiöse" Fluchtwege, "Draufgänger"-Fluchtwege, "hübsches Mädchen"-Fluchtwege und noch viele andere. Alle sind festgelegt wie Rollen in einem Mysterienspiel — manchmal werden sie Spiele genannt, aber sie werden von Zuschauern im Leben gespielt, nicht von Beteiligten.
Wichtig ist nicht, daß eine Person den Fluchtweg, den sie benutzt, erkennt und bezeichnet, sondern daß sie die Augenblicke der Wahl, in denen sie wagen kann, anders zu sein, spürt und daraus reagiert. Bei jedem Fluchtweg gibt es einen Augenblick, in dem das Individuum sagen kann: "Halt... Ich möchte folgendes sagen... So fühle ich...."
Der Fluch des Verrücktseins ist, daß die Menschen ständig vor ihren Gefühlen und vor ihrem Leben flüchten. Es gibt verschiedene Fluchtweisen — jene, die funktional sind, und jene, die es nicht sind. In der Gesellschaft wird eine funktionale Flucht als 'normal' und eine nicht funktionale als 'anormal' bezeichnet. Im Grunde genommen besteht indes kein Unterschied zwischen ihnen, denn sowohl Normale als auch Anormale sind vor ihren Gefühlen geflohen, und beide leben in irrealen Welten. Nur stufen die in der Gesellschaft gängigen Auffassungen einen Typus der Irrealität als besser ein als einen anderen.
In der Feeling Therapie haben wir festgestellt, daß jeder Mensch funktionale und nichtfunktionale Fluchtwege einschlägt. Es mag wenig Unterschiede im Gefühlsniveau zwischen dem hochgeehrten Mathematiker und dem in eine Heilanstalt eingewiesenen "Napoleon Bonaparte" geben. Nur die Umstände und soziale Gepflogenheiten sorgen dafür, daß der eine Preise erhält und der andere in ein Heim eingesperrt wird. Beide sind Eskapisten und bedienen sich ausgeklügelter, intellektueller Fluchtmechanismen.
Die Durchschnittshausfrau in ihrer Einsamkeit und zeitweisen Verzweiflung unterscheidet sich nicht von dem angsterfüllten Manisch-Depressiven in der Irrenanstalt. Der typische männliche Hauseigentümer zum Beispiel hält ebenso hartnäckig an seinen Ansichten über Regierung, Geld, Arbeit und Leben fest wie ein unlenkbarer Paranoiker. Was die Menschen wirklich unterscheidet, ist ihr Gefühlsniveau.
Jede Person benutzt lediglich unterschiedliche Fluchtwege, um sich von intensiveren Gefühlsebenen zu entfernen. Mit <intensiver> meinen wir nicht unbedingt etwas Dramatisches oder Emotionales. Jemandem, der dicht vor einem Augenblick des Fühlens steht, kann das Fortschreiten zum vollständigen Fühlen und die Entfernung von den vertrauten Fluchtwegen seines unvollständigen Fühlens sehr heftig erscheinen, selbst wenn es dazu wenig mehr als eines geflüsterten Wortes bedarf.
Bei allen bisher angeführten Beispielen gab es viele Augenblicke des Fühlens. So etwas wie <den> Augenblick des Fühlens gibt es nicht. In jeder transformierenden Sitzung kommt es zu vielen solchen Augenblicken. Sie treten in geordneter Folge auf, und wenn jeder erlebt und gefühlt wird, werden ein vollständiges Fühlen und die Anfänge der Transformation möglich.
Wovor sich die Patienten in der Therapie und die Menschen außerhalb der Therapie fürchten, ist, von Gefühlen beherrscht zu werden. Werden immer mehr Augenblicke des wirklichen Fühlens akzeptiert und zum Ausdruck gebracht, dann öffnen sie einen Menschen für die Welt des integralen Fühlens. Mehr als vor Verrücktheit und Abwehrmechanismen fürchten sich die Menschen vor einem Leben, das völlig anders ist als die vernünftige Verrücktheit ihres Erwachsenendaseins. Gefühlszyklen setzen diese Veränderung in Gang.
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