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11  Die Strukturierung der Therapie 

 

 

 

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Könnten wir Ihnen etwas geben, würden wir Ihnen das geben, was wir haben: ein Gefühl von uns selbst und anderen, den Freunden, die uns helfen, unsere Gefühle zu fühlen und unser Leben teilen.

Leider kann die Feeling-Therapie niemandem geschenkt werden. Um in diesem Leben zu teilen und teil­zuhaben, muß sich jeder neue Patient durch seine Lügen, sein Schweigen und seine Verrücktheit zu seinen Gefühlen durchkämpfen. Dann, fühlend, kann er in einer Gemeinschaft leben, die auf ihn gewartet und ihm geholfen hat, sich selbst zu finden.

Wir nehmen Patienten auf, die unser Leben bereichern. Im Unterschied zu vielen anderen Therapeuten sind wir genau genommen keine Therapeuten, die instandsetzen. Viel eher sind wir Designer. Wir haben für uns und unsere Patienten eine Therapie und eine Gemeinschaft entworfen, in der wir mit vollständigen Gefühlen leben können. Wir reparieren und erneuern nur, um jemanden zur Schaffung seines eigenen Lebens frei zu machen. Er muß wählen, so tief zu fühlen, daß er uns kennenlernen kann, wie wir sind, und unser Leben teilt. Er muß den Schritt vom Patienten zum Mitglied machen.

Würden wir uns zusammensetzen und eine perfekte Gemeinschaft planen, hätten einige Leute gern Bauern­häuser, andere möchten vielleicht Rasenanlagen und Bäume, einige würden lediglich wissen, was sie nicht wollen — keine verschmutzte Luft, keine Überbevölkerung, keinen Verkehr — und wieder andere wüßten nicht einmal, was sie gern hätten.

Die Gemeinschaft der Feeling-Therapie ist nicht perfekt. Und wir wissen, daß es in vieler Hinsicht gut so ist. An unserem Center nehmen erfahrene Patienten Einfluß auf die Struktur der Therapie, wenn sie an der Co-Therapie teilnehmen. Die Therapeuten sind an keiner statischen Feeling-Therapie interessiert. Die jetzige Therapie­struktur gilt nur für jetzt. Wir hoffen, daß sie in ein paar Jahren modifiziert wird, wenn sich eine lebenserfüllendere Struktur anbietet.

Ron, ein erfahrener Therapeut, meint:

"Eines Tages wird die ganze Therapie für neue Patienten damit beginnen, daß wir sie einfach unter uns leben lassen. Sie würden dadurch, daß sie bei uns sind und das Leben, das wir leben, in sich aufnehmen, allmählich erkennen, wie sie ihre Verrücktheit verteidigen. Sie würden feststellen, daß Gefühle nicht gefährlich sind. Nach einigen Wochen oder Monaten würden sie Therapie­sitzungen erhalten, jedoch nicht, bevor sie wirklich genau wissen, was sie wollen."  


Der erste Therapiemonat  

Ron hat in vieler Hinsicht recht. Neue Patienten sind nicht in der Lage, frei in sich aufzunehmen, was in der ersten Therapiezeit geschieht. Am Anfang können wir neuen Patienten das anbieten, was sie zu fühlen vermögen. Dazu ist es notwendig, daß wir ihnen jede Aktivität außerhalb der Therapie für einen Monat untersagen. Wir lassen sie im voraus wissen, daß im nächsten Jahr Gefühle und Therapie im Mittelpunkt ihres Lebens stehen werden. Sie werden nicht nur Therapiesitzungen erhalten, auch die außerhalb der Therapie verbrachte Zeit wird strukturiert sein.

Wir verlangen eine solch massive zeitliche Verpflichtung deshalb, weil wir wissen, daß der Patient sein ganzes Leben lang gelernt hat, Gefühlen aus dem Weg zu gehen. Therapiesitzungen allein reichen nicht aus, um seine retrogressiven Gewohnheiten unwirksam zu machen. Und zweitens wollen wir niemanden in die therapeutische Gemeinschaft aufnehmen, dem nicht ernsthaft an der Transformation seines Lebens gelegen ist. Wir verlangen viel in der ersten Therapiezeit, um zwischen solchen Patienten unterscheiden zu können, die auf Transformation warten, und solchen, die unsere Hilfe wollen, um sich selbst zu transformieren.

Jeder Patient, der zur Therapie zugelassen wird, hat vor seiner Zulassung zahlreiche Fragebögen und Tests ausgefüllt. Nach seiner Zulassung wird ihm mitgeteilt, wann seine Therapie beginnt. Je nach der Wartezeit bis zum tatsächlichen Therapiebeginn können dem Patienten, schon bevor er zum Center kommt, bestimmte Aufgaben aufgetragen werden. Wir verlangen sehr viel von einem Patienten, weil er die Therapie nur dann aufnehmen kann, wenn er beginnt, seine Energien für sich selbst aufzubringen, statt für seine vernünftige Verrücktheit mit ihren Rollen und Manierismen. Was wir dem Patienten vor der Therapie auftragen, dient der Vorbereitung auf seinen ersten Behandlungsmonat.

Viele Leute wollen aufhören zu rauchen, übermäßig zu essen oder Drogen zu nehmen, und sie hoffen, die Therapie werde dies für sie bewerkstelligen. Diese Leute müssen, und darauf bestehen wir mit allem Nachdruck, lange vor ihrem ersten Therapietag damit anfangen, es selbst zu versuchen. Einer Frau zum Beispiel, die uns schrieb, sie wolle Therapie, um ihr ständiges Übergewicht loszuwerden, teilten wir mit, sie könne mit der Therapie beginnen, sobald sie dreißig Pfund abgenommen habe.

Eine andere Bewerberin versprach sich von der Therapie eine Lösung ihrer sexuellen Probleme. Sie ging häufig mit fünf oder sechs verschiedenen Männern in der Woche aus und schlief mit jedem; und klagte hinterher, sie käme sich abgestorben und taub vor.

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Ihr wurde ein Zulassungsbrief geschickt unter der Bedingung, daß sie zwei Monate lang vor dem Therapie­beginn mit keinem Mann schlafen dürfe. Sie war damit einverstanden und wurde als Patientin aufgenommen.

Einem Heroin-Süchtigen wurde die Zulassung erst in Aussicht gestellt, als er sich bereit erklärte, sich sechs Monate lang vor Therapiebeginn einmal wöchentlich einem Nadelstichtest zu unterziehen. Er ist von Heroin auf Qualude* umgestiegen und wurde aufgefordert, dies ebenfalls aufzugeben. Schließlich gelang es ihm, nachdem er neun Monate lang immer wieder rückfällig geworden war, sechs Monate hindurch ohne Drogen auszukommen. Er wurde daraufhin zur Therapie zugelassen.

Diese und viele andere Patienten wollen bei ihren Problemen Hilfe. Wir sind nicht bereit, solchen Patienten unsere Hilfe zu geben bei dem, was sie dazu treibt, "diese Dinge" zu tun, wenn sie nicht von dem Tun lassen wollen. Die Therapie ist viel zu schwierig für Patienten, die nicht gewillt sind, etwas von ihrem eigenen "psychologischen Blut" zu vergießen, ehe sie sich in die Therapie begeben.

Wir lenken rasch die Aufmerksamkeit von Problemen und Symptomen auf Transformation. Die Patienten wissen lange vor Beginn der Therapie, wie sie sich auf die Einführung in die Transformationsstufe vorbereiten müssen. Symptome sind, wie wir bereits erläutert haben, einfach ein Durcheinander von Gefühlen, das die auf vollständiges Fühlen gerichteten Impulse verbirgt. Ein Patient ist dann für die Therapie bereit, wenn er bereit ist, seine verborgenen Impulse zu akzeptieren.

Uns ist klar, daß sich nicht gleich sämtliche Symptome verändern lassen, wir wissen aber auch, daß es für eine wirkliche Entschlossenheit spricht, sich selbst mit Hilfe anderer verändern zu wollen, wenn sich jemand Mühe gibt, nicht seinen Symptomen nachzugeben.

 

Die ersten drei Monate

 

Die ersten drei Therapiemonate sind desorientierend, aufregend, erschreckend und erfüllend. Die Therapie ist so strukturiert, daß all die Rollen, die normalerweise der Aufrechterhaltung der Verrücktheit dienen, frei werden. Während des ersten Monats wird der Patient mit niemandem außerhalb der Therapie arbeiten und interagieren, es sei denn, er erhält dazu von seinem Therapeuten spezifische Anweisungen. Das Individuum wird dem Patientsein überlassen. Patientsein ist etwas anderes als die Rolle eines Patienten zu spielen.1)

 

* OD, 2006: Qualude? (so im Orig.)

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Die Patientenrolle ist vielen Menschen vertraut und für sie bequem. Patient in der Feeling Therapie, sein heißt, sich nicht den Reaktionen des Therapeuten zu versperren und die Einladungen zum Fühlen abzunehmen; Patient sein heißt vor allem, das Nicht-Vertraute auszuprobieren.

Zwei Patienten sind sich nie ganz gleich; beiden ist jedoch eine Periode notwendiger Abhängigkeit gemein. Ein Patient schreibt:

"Ich bin seit neun Monaten in der Therapie. In dieser Zeit habe ich ein paar Patienten kennen­gelernt, die aufgefordert worden waren, die Therapie zu verlassen. In den ersten Wochen habe ich auch daran gedacht, aufzuhören. Das war, bevor ich mich fragte, warum ich wirklich herkam. Mich hätte nur dasselbe eintönige Leben erwartet. Ich riskierte es und vertraute darauf, daß sie wissen werden, was sie tun. Verdammt, es klappte. Nicht ganz so, wie ich es mir vorgestellt hatte, aber in meinem Innern hatte ich aufgehört, mich zu verstellen."  

Für diesen Patienten beendete die Abhängigkeit, in die er sich in der Therapie begab, die Abhängigkeit von seiner eintönigen Verrücktheit, in der er früher lebte. Am ersten Tag lernt der Patient seinen Einzel­therapeuten kennen. Im Verlauf der ersten Sitzung wird die innere Struktur der vernünftigen Verrücktheit des Patienten entscheiden, an welchem Therapieniveau er teilnehmen kann.

Manche Patienten beispielsweise werden, um ihre vernünftige Verrücktheit in Gang zu setzen, einzelne Worte sagen oder einfache Laute von sich geben oder absurde Dinge tun. Für diejenigen, die in der Lage sind, Gefühle zu vervollständigen und ihre Abwehr zu fühlen, könnte die erste Sitzung bereits eine Einführung in den Transformationszyklus sein.

Die erste Sitzung ist eine Einzelsitzung ohne zeitliche Begrenzung. Sie wird so lange dauern, wie sich der Patient bemüht, bei seinen Gefühlen zu sein. Sie kann drei Stunden oder zwanzig Minuten dauern. Wir geben keinerlei Garantien, außer, daß der Therapeut da ist, um auf den Patienten zu warten und ihm Augenblicke der Wahl anzubieten. Die Wahl zu treffen, ist Sache des Patienten.

Gelegentlich kommen Patienten mit der Vorstellung in die erste Sitzung, daß die Wahl an der Eingangstür zum Therapieraum beginne und dort wieder ende. Für diese Patienten könnte die erste Sitzung sehr kurz sein. Vielleicht werden sie aufgefordert, sich in einem gegenüberliegenden Geschäft ein wenig mit dem Verkäufer zu unterhalten. Es sind gerade solche alltäglichen Dinge, die viele Patienten meiden. Sie sind auf der Suche nach Gefühlen, setzen sich aber nicht ihrer Umwelt aus. Andere Patienten versuchen, mit dem Therapeuten so zu reden, als sei er ein Verkäufer. Sie lassen sich nicht das Besondere der jeweiligen Situationen und ihres jeweiligen Gegenüber fühlen.

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Gleichgültig, in welchem Verhalten der Patient Zuflucht sucht — in abwehrender Passivität oder unverbind­licher Geselligkeit — es wird vom Therapeuten durchkreuzt werden.

Am Anfang der Therapie steht das Durchkreuzen derjenigen Abwehr im Mittelpunkt der Einzelsitzungen, die der Patient benutzt, um sein wahres Fühlen vor sich zu verheimlichen. Während des ersten Monats besucht er auch viele Realitätsgruppen, deren Schwerpunkt auf dem Unwirksammachen solcher Abwehr liegt, mit denen er sein wahres Fühlen vor anderen verbirgt. Wir gehen theoretisch davon aus, daß ein Patient nur in dem Maße, wie er offen und ehrlich in der Gegenwart ist, offen und ehrlich bei seinen Erinnerungen aus der Vergangenheit sein kann. Ohne Ehrlichkeit in der Gegenwart kann ein Patient seine Vergangenheit dazu benutzen, Veränderungen in seinem Leben zu vermeiden.

Neben Einzelsitzungen und Realitätsgruppen werden dem Patienten zahlreiche therapiebezogene Aktivitäten aufgetragen. Einige davon zielen auf eine Intensivierung des Kontakts des Patienten mit seiner Vergangen­heit ab, andere auf eine Erhöhung seines Kontakts in der Gegenwart. Ganz gleich, um welche Aktivität es sich handelt, sie soll dem Patienten helfen, in der Therapie und in seinem Leben mehr zu fühlen. Die Realitätsgruppe löst häufig Gefühle aus, die erst später in Einzelsitzungen gefühlt werden, und Einzelsitzungen lösen. Gefühle aus, auf die in Realitätsgruppen eingegangen wird. Die Aktivitäten außerhalb der Therapie intensivieren beide Therapieformen. Solche Außenaktivitäten können von gewöhnlichem Basketballspielen über den Besuch bei einer entfremdeten Ehefrau bis hin zu ungewöhnlichen Aktivitäten reichen, wie etwa drei Stunden lang immer wieder seine eigene Tonbandstimme anzuhören.

Alle diese Aktivitäten des neuen Patienten dienen der Vertiefung des Gewahrwerdens der eigenen Abwehr­mechan­ismen und Gefühle. In der zweiten oder dritten Woche wird der Patient in Feeling Gruppen geschickt, wo er für befristete Zeit in einer Gruppenatmosphäre einzeln mit einem Therapeuten arbeitet. Die Feeling Gruppen sollen dem Patienten helfen, mit dem Durchkreuzen seiner eigenen Abwehrmechanismen und dem Aufspüren seiner eigenen Gefühle anzufangen.

Die Feeling Gruppen veranlassen den Patienten, sich einem Augenblick der Wahl mehr zu nähern. Wenn er dies tut, dann vertieft die von dem Therapeuten erhaltene Hilfe sein Gefühlsniveau und führt ihn in ein Mehr-Fühlen hinein. Wenn er sich selbst nicht hilft, wird der Therapeut mit ihm auf einem niedrigeren Gefühlsniveau weiterarbeiten, um ihm ansatzweise gewahr werden zu lassen, wie er sich abschirmt. Den Patienten wird Hilfe gegeben, die die Anstrengungen in Einklang bringt, die sie aufbringen, um sich selbst zu helfen.

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Jim, einer unserer Patienten, berichtete aus seinen Tagebuchaufzeichnungen des ersten Monats:

In den ersten beiden Wochen merkte ich, daß ich keine Zeit für mich hatte. Alles drehte sich um "tue dies" oder "hilf dir selbst auf diese Weise" oder "Gruppe hier" und "Gruppe da" Erst in der dritten Woche erkannte ich, daß das alles für mich war. Vor der Therapie hatte ich nur gespürt, daß ich getan habe, was ich tun wollte, wenn mich niemand um mich herum stören konnte. In der dritten Woche hatte ich mit Steve, meinem Therapeuten, eine Sitzung, in der ich fühlte, daß "mich stören" bedeutete, daß ich angefangen hatte, in bezug auf die Menschen in meiner Umgebung etwas zu fühlen. 

Ich erinnere mich, als ich älter wurde, hatte ich ständig genau dasselbe Gefühl bei meinen Geschwistern. Es war dann später so schlimm, daß ich mich als Teenager nur dann wohl fühlte, wenn ich allein war, Fernsehen sah, Musik hörte oder "Solitär" spielte. Zwei Wochen lang ließ mich Steve kaum einen Augenblick für mich allein. Es war grauenvoll. Ich mußte sogar mit zwei anderen Patienten im selben Motelzimmer schlafen. Ich mußte alle meine Mahlzeiten mindestens mit zwei oder drei anderen Leuten einnehmen, und ich machte jeden Tag stundenlang alle möglichen Sportspiele.

Schließlich platzte mir in einer Sitzung der Kragen, und ich fing an, mich mit Steve darüber zu streiten, was ich brauchte. Ich sagte: "Ich kann überhaupt nichts fühlen, wenn dauernd diese ganzen Leute um mich herum sind. Ich muß eine Zeitlang allein sein, dann kann ich mich konzentrieren und wirklich feststellen, was in mir passiert". Ich erklärte ihm, ich wolle allein sein, und bei anderen Therapeuten sei das ja auch möglich. 

Ich erinnere mich, wie er anfing, mich anzuschreien: "Du willst nicht fühlen, was in deinem Innern ist. Du willst es zurückhalten. Die ganze Zeit gibt es für dich Gefühle - jede Minute, die du mit diesen Leuten verbringst. Und du zeigst ihnen rein gar nichts". Zehn Minuten lang schrie er mich an. Ich wollte einfach abhauen, und dann sagte er plötzlich wie aus dem Nichts heraus: "Du tust es jetzt.' Du machst es jetzt genauso, wie du es mit jedem die ganze Zeit machst. Du wartest, bis es vorbei ist, damit du dann alleine weggehen kannst. Aber diesmal wirst du nicht allein weggehen. Du bleibst solange hier, bis du etwas zeigst. Wir bleiben hier ewig". Die nächsten fünfundvierzig Minuten waren für mich die reinste Hölle. Jedesmal, wenn ich wegsah, jede Bewegung, die ich machte, alles hielt er mir vor Augen. Ich konnte nirgendwohin weglaufen. Ich stand auf und wollte rausgehen. Steve stellte sich vor die Tür. Er machte wirklich ernst. Mir war klar, ich mußte mit der Therapie Schluß machen. Es war zu viel. Ich konnte fühlen, wie ich Gedanken und kleine Gefühle in mir verborgen hielt. Ich wollte es nicht, aber es schien ganz automatisch zu kommen. Und dann hielt er mich* auch dies vor Augen: "Jetzt versuch es selbst. Jetzt! In diesem Moment. Erzähl alles: Jede Kleinigkeit."

 

OD, 2006:  "mich" im Or. -- besser "mir" ?

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Ich erinnere mich an meine ersten ängstlichen Worte. "Ich kann hier nicht bleiben. Ich kann hier nicht bleiben." Zwing' mich nicht, hier zu bleiben" Während ich dies sagte, merkte ich, daß ich zu jemandem sprach, zu Steve, einem Menschen. Er war wirklich da. Er ist zwei Wochen meiner Therapie da gewesen, und ich war nicht da. Je mehr ich dies merkte und aussprach, was in meinem Innern war, desto mehr Gefühle überkamen mich. Ich weinte vor Steve. Ich fühlte, wie sehr das Weglaufen in mir war und wie schwer es mir fiel, es anzuhalten. Als er mich immer mehr in meine Gefühle hineinführte, weinte ich über meine leere Gegenwart und über jene schrecklichen Zeiten in der Vergangenheit, als ich vor meinen Brüdern und Schwestern fliehen mußte.

Am Ende der Sitzung erzählte ich Steve, daß er mich wirklich gestört hätte. Er war zu mir vorgedrungen. Ich wollte immer, daß jemand das tut, nicht meinen Worten glaubt und mich nicht wegtreiben läßt. Jetzt möchte ich, daß die Leute "mich stören" um zu mir zu dringen. Ich verbringe manche Zeit allein, aber niemals wieder werde ich in diesen ungestörten Zustand zurück-fallen.  

 

Diese Sitzung war eine Einladung für Jim. Es war seine erste bewußte Berührung mit der Wirklichkeit des Fühlens. Er entdeckte, daß das, was er am meisten fürchtete, nämlich "gestört" zu werden, ein Gefühl war und ein Zugang zur Gemeinschaft des Fühlens. Während der ersten drei Monate sieht der Patient seinen Therapeuten in nahe aufeinanderfolgenden Zeitabständen. Der Patient besucht darüber hinaus Realitäts- und Feeling-Gruppen und führt therapiebezogene Aktivitäten aus.

Nach den ersten drei Monaten läßt sich beurteilen, ob der Patient sich wirklich ernsthaft verändern will. Gewöhnlich beobachten wir in diesem Therapieabschnitt vier Reaktionsformen. Einige Patienten werden in den einleitenden Zyklus der Transformationsspirale hineingeführt. Anderen wird geholfen, sich dem Wunsch nach ihren vollständigen Gefühlen zu öffnen, auch wenn sie jetzt noch nicht auf andere Gefühlsebenen überwechseln können. Die dritte Möglichkeit ist, daß sich der Patient eingesteht, wie leer und verrückt er tatsächlich ist. Er versucht nicht mehr, sich gesund und normal zu verhalten. Die vierte Reaktion zeigen Patienten, die nicht bereit sind, ihre Abwehrmechanismen zu durchdringen, weil sie sich weiterhin an Fantasievorstellungen dessen klammern, was sie gehabt haben oder was sie haben würden, wenn sie dahin zurückkehrten, woher sie gekommen waren. Solche Patienten werden nach Hause geschickt, um diese Fantasien auszuleben, bis sie spüren, daß die Fantasien zu wünschen übriglassen; erst dann können sie anfangen, das zu wollen, was die Feeling Therapie anbietet.

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Nach dem Ende des dritten Monats muß der Patient, wenn er in der Therapie bleiben will, das Therapie­programm fortsetzen, das sein Therapeut für ihn aufgestellt hat. Die Einmaligkeit des jeweiligen Therapieprogramms hängt von den spezifischen Abwehrmechanismen des Patienten ab. Einigen Patienten werden zahlreiche Dinge außerhalb der Therapie aufgetragen, während andere aufgefordert werden, nichts zu tun, was nicht ihren Gefühlen entspricht.

Im vierten Monat treffen neue Patienten mit älteren Patienten in gemeinsamen Gruppensitzungen zusammen. Sie beobachten, wie sich die älteren einander nähern, und die älteren Patienten helfen ihnen, sich mehr zu öffnen. Willis, ein älterer Patient, beschreibt seine Erfahrungen bei den Treffen mit neuen Patienten folgendermaßen:

"Ungefähr zweimal monatlich brachte Linda ihre neuen Patienten mit in meine Realitätsgruppe. Sie forderte die neuen Patienten auf, mit uns zu reden. Es war nicht zu glauben. Sie waren wie Primitive. Sie konnten nicht direkt mit uns sprechen. Sie hatten so viele Gedanken, die sie nicht äußerten, es war wie bei einem Ferngespräch mit schlechter Verbindung. Als ich einer von ihnen zuhörte, wurde ich manchmal wütend darüber, wie fest sie sich an das klammerte, was sie wußte und von dem ich wußte, daß es nicht wahr war.

Mit eben dieser Patientin sprach ich dann jedesmal, wenn wir uns trafen. Linda wollte, daß uns unser neuer Patienten-Partner zweimal wöchentlich anrief. Hin und wieder gingen wir zusammen essen. Ich habe bei Bonnie nichts anderes getan, als ihr zu sagen, was für ein Gefühl ich bei dem hatte, was sie sagte. Oft wurde ich traurig, wenn ich sah, wie sie kämpfte, um aufzuwachen und sich ihren Weg durch all ihre verworrenen Gedanken und Gefühle zu bahnen. Auch ich habe immer noch viel von dem getan, was sie tat, doch ich war einfach schon ein Stückchen weiter. Ab und zu wurde ich hart zu ihr und verlor dabei meine eigenen Gefühle. Ich wollte ihr helfen, sich zu öffnen, und sie nicht dafür bestrafen, daß sie so wenig fühlte; ich wollte sie aus ihrer Versenkung hervorholen, damit wir Zusammensein konnten. Je mehr ich ihr half, umso mehr fühlte ich, was ich mir selbst antue — wie hart ich gegen mich bin."  

Linda bemerkte zu den Folgen der Kombinierung ihrer beiden Gruppen:

"Meine älteren Patienten sehen deutlich die Abwehr der neuen Patienten und spüren, daß sie immer noch das tun, was sie sehen. Ich merke, wie sie sich verändern und verantwortlicher werden für das, was sie tun. Sie arbeiten härter miteinander und kommen dem, was für die Co-Therapie erforderlich ist, immer näher. Meine neuen Patienten sehen, wie intensiv die älteren Patienten miteinander sind und wieviel gegenseitigen Kontakt sie wollen. Sie fangen an, eine gänzlich neue Art des Miteinander-Umgehens zu erlernen."  

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Lindas neue Patientin, Bonnie, berichtete über ihre ersten Erfahrungen, die sie bei den Zusammenkünften mit älteren Patienten machte:

"Sie gefielen mir. Sie waren voller Energie. In meiner eigenen Realitätsgruppe herrschte immer langes Schweigen, nachdem irgendeiner etwas gesagt hatte, und dann hat jemand darauf geantwortet, wenn überhaupt einer geantwortet hat. In der alten Gruppe haben sofort alle oder zumindest zwei oder drei geantwortet. Irgendjemand sagte etwas, und es kamen wirkliche Antworten darauf. Mir fiel auf, daß sich einige manchmal Dinge sagte, die nur ihre eigenen verworrenen Gefühle waren, aber die Gruppe hat sie meist auseinandersortiert. 

Es passierte so viel. Als ich mit meiner eigenen Gruppe zusammenkam, wollte ich, daß mehr geschieht. Es fiel mir schwer, auf alles zu antworten, was ich hörte. Ich merkte dann langsam, daß etwas in meinem Innern passierte, ganz gleich, was jemand sagte. Ich hatte das Gefühl, daß ich immer mehr in mich aufnahm. Wenn ich Willis anrufe, hört er mir zu und hilft mir, näher bei meinen Gefühlen zu bleiben. Er erzählt mir oft, was er durchgemacht hat, und das hilft mir, meinen Gedanken nicht zu glauben oder meine Gedanken auszusprechen und meine Gefühle zu haben."  

Bonnie und Willis begannen, an der therapeutischen Gemeinschaft teilzunehmen. Wir sagen an keinem Punkt: "Okay, jetzt beginnst du". Wir strukturieren vielmehr kleine Schritte und helfen dem Patienten, auf jeden kleinen Schritt zu reagieren. Vielleicht ist ein Schritt, den ein Therapeut einem Patienten vorschlägt, der, daß er mehr individuelle Hilfe erhalten müsse. Manchmal werden die erforderlichen Einzelsitzungen mit dem jeweiligen Einzeltherapeuten stattfinden, oftmals aber auch mit einem in der Ausbildung stehenden Therapeuten unter der Leitung des Einzeltherapeuten. Diese Einzelsitzungen ähneln denen, die der Patient während des ersten Therapiemonats erhalten hatte, allerdings jetzt, da er sowohl gegenüber seinen Gefühlen als auch seiner Abwehr gegenüber offener ist, kann er weiter in seine Vergangenheit eindringen und mit mehr Kontakt in der Gegenwart aus ihr hervorkommen.

 

Co-Therapie  

Vom vierten bis zum zwölften Monat werden die Patienten schrittweise darauf vorbereitet, Co-Therapie durchzuführen. Innerhalb eines Jahres sind Patienten in der Lage, sich an der Co-Therapie zu beteiligen; im zweiten Jahr ist die co-therapeutische Einzelsitzung die wesentliche Therapiequelle der Patienten. Wenn sie vollständig Co-Therapie geben und empfangen können, werden sie langsam mit anderen Patientengruppen zusammengeführt, die sich auf der gleichen Ebene des Fühlens befinden. Schließlich stehen allen alten Patienten viele andere Co-Therapeuten zur Verfügung.

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Alyson, seit sechzehn Monaten als Patientin in der Therapie, schreibt über ihre co-therapeutisehen Erfahrungen:

"Ich hatte anfangs Vorbehalte in bezug auf die Co-Therapie, weil die Therapie von Co-Therapeuten nicht so gut ist wie die von Einzel- oder Assistenztherapeuten. Immer, wenn ich mehr Hilfe brauchte, ging ich zu einer Feeling-Gruppe. Während meiner ganzen Co-Therapiezeit bin ich weiterhin in eine Realitätsgruppe von Dominic gegangen. Er kümmert sich zwar noch um uns, aber nicht mehr so viel wie früher. 

Für mich waren vor allem zwei Dinge bei der Co-Therapie wichtig. Ich erkannte einmal, daß ich meinen Freunden helfen konnte, ohne großartiges theoretisches Wissen im Hinterkopf haben zu müssen, und ich konnte auch von ihnen Hilfe bekommen, ich wehrte mich gegen diese beiden Möglichkeiten. Wenn ich schlechte Therapie erhielt, lief ich oft zu Carole und beklagte mich darüber. Sie hörte es sich an und schickte mich dann zu meiner Realitätsgruppe, wo uns Dominic half, die Probleme herauszuarbeiten. 

Ich habe nie gedacht, daß ich jemals auch von meinen Freunden "wirkliche Hilfe" bekommen konnte. Doch je länger wir Co-Therapie machten, umso besser packten wir es. Wir wurden dadurch besser, daß wir uns mehr als Patienten öffneten und in der Realitätsgruppe alle unsere Gefühle hervorholten. Dominic brachte uns Theorie und Technik bei, aber erst dann, wenn wir anhand unserer eigenen Erfahrungen darauf gestoßen waren. Wenn ich gute Therapie mache, habe ich das Gefühl, daß ich irgendetwas Neues entdecke. 

Meine Therapie ist jetzt auch nicht mehr so teuer, worüber ich froh bin. Weil wir weitermachen, helfen wir uns gegenseitig immer mehr. Ich bin jetzt häufiger Caroles Freundin als ihre Patientin. Manchmal verfluche ich die ganze Struktur, die sie für mich errichtet haben, damit ich so werde, wie ich wirklich bin. Ich erinnere mich noch, wie ich mich in Feeling-Gruppen dagegen gesträubt hatte, selbst alles laut auszusprechen, und wie ich mich in Realitätsgruppen gewehrt hatte, alles zu erzählen, auf das ich reagierte. Aber dies beides ist die Basis für meine Co-Therapie. 

Ich helfe mir selbst in der Co-Therapie, indem ich sage, was ich fühle oder nicht fühle, meine Abwehr' herauslasse und sie unwirksam mache. Ich erlaube mir, meine Abwehr so zuzulassen, wie ich sie fühle. Und wenn ich die verrückte Abwehr nicht zeige, werde ich mich nie verändern. Früher glaubte ich meiner Abwehr und versuchte, sie zu schützen. Jetzt lasse ich sie raus. "Immer ein Schrittchen weiter. Es ist schmerzhaft, zurückzuhalten", wie Carole sagt. Irgendwann möchte ich mit der Therapieausbildung anfangen."  

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Die Gesamtstruktur  

Die Struktur gewährleistet anfangs intensive Einzelhilfe, damit sich der Patient seinem gefühlten Leben öffnen kann. Wenn er sich zu öffnen beginnt und sich an der Vervollständigung seiner eigenen Gefühle beteiligt, arbeitet er in Feeling- und Realitätsgruppen selbst härter daran. Während des vierten bis zwölften Monats konzentriert sich der Patient auf die Vertiefung seines Gefühlsniveaus. Im zweiten Jahr kann er weitgehend auf die Einzeltherapie vertrauen, die ihm aus der Co-Therapie zuteil wird. Abbildung 9 gibt einen Überblick über die Gesamtstruktur. Wir wollen im folgenden die einzelnen Komponenten beschreiben.

 

Abbildung 9  Die Gesamtstruktur

 

1. Monat

2. Monat

3. Monat

4. Monat

Einzelsitzungen bei Einzel- und Assistenz-
therapeuten

Einzelsitzungen bei Einzel- und Assistenz-
therapeuten

Einzelsitzungen bei Einzel- und Assistenz-therapeuten

einzelne Co-Therapie bei Einzel- und Assistenz-
therapeuten

täglich

wöchentlich 

wöchentlich 

wöchentlich

Feeling-Gruppen

Feeling-Gruppen

Feeling-Gruppen

Feeling-Gruppen

wöchentlich

wöchentlich

wöchentlich

-

Realitätsgruppen

Realitätsgruppen

Realitätsgruppen

zusammen­geschlossene 
Realitätsgruppen

täglich

wöchentlich

wöchentlich

wöchentlich

Therapie­aktivitäten

Therapieaktivitäten

Therapie­aktivitäten

Therapie­aktivitäten

täglich

täglich

-

-

 

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Phase 1: Intensivtherapie

 

Jeder Patient erhält eine mindestens vierwöchige Intensivtherapie. Was an der Intensivperiode der Therapie "intensiv" ist, ist nicht die Menge gefühlter Gefühle oder die Dauer der Sitzungen, denn damit würde ein äußerer Maßstab an das Individuum angelegt. Was sie intensiv macht, ist die Forderung, sich darauf einzulassen und sich innerlich zu verpflichten, sein eigenes Leben zu verändern.

Diese Verpflichtung wird in entsprechende Therapiepläne übertragen, indem jeder eintretende Patient aufgefordert wird, sich einen Monat frei zu halten, in dem er alles tun kann, was die Therapie von ihm fordert. Während dieser Zeit unterliegt er keinen äußeren Vorschriften; er ist nur verpflichtet, das zu tun, was zur Wiedererlangung seiner Gefühle notwendig ist. Viele Patienten erhalten in den Anfangswochen Einzeltherapie. Je nach dem Gefühlsniveau des Patienten kann es vorkommen, daß seine Einzeltherapie nach sechs Monaten oder einem Jahr noch nicht abgeschlossen ist.

Einige Patienten fühlen bei ihrem Therapiebeginn bereits so viel, daß ein Mehr-Fühlen das letzte wäre, was sie gebrauchen können. Wir geben jedem Patienten, was er braucht, nicht was er erwartet. Andere Patienten fühlen derart wenig, daß längere Einzeltherapie vergeudete Zeit wäre. Wir stellen Therapiepläne von Gruppen- und Einzelsitzungen auf, die der spezifischen Gefühlsintegration des einzelnen entsprechen. Die Intensivtherapie kann erst dann beginnen, wenn der Patient bereit ist, seine Gefühle aufzudecken, auch wenn das, was er fühlt, "verrückt" oder "tot" oder "sehr wenig" ist. Was wir tun, zielt nicht auf große Ausbrüche ab, sondern auf kleine Erschütterungen der eingefahrenen Abwehrstrukturen und auf stimmigen Ausdruck von Gefühlen.

Die Intensivtherapie könnte alles mögliche sein. Was notwendig ist, um einen Patienten näher an seine realen Gefühle heranzuführen, entspricht nie dem, was der Patient für notwendig hält. Manche Patienten werden vielleicht aufgefordert, sich einen Job zu suchen, sich neu einzukleiden oder zweimal am Tag zu duschen — was auch immer angemessen ist. Anderen wird mitgeteilt, daß sie die Therapie erst dann wieder aufnehmen können, wenn sie nicht mehr auf Hilfe warten. Wir besitzen Techniken, die jede Abwehr vollständig durchdringen, aber neue Patienten müssen nicht durchdrungen werden. Sie müssen in ihre eigene Falle gelockt werden, damit sie selbst ihren eigenen wenigen Augenblicken des Fühlens nachgehen können.

Ein Therapeut, Lee, schrieb über seinen neuen Patienten:

Ich arbeitete mit Nick und ertappte ihn dauernd bei dem Versuch, Therapie zu machen. Er versuchte die ganze Zeit, zu fühlen und kleine Gefühle herauszulassen. Als ich ihn dabei erwischte, sagte er: "Ich schäme mich, daß du mich ertappt hast. Ich möchte, daß du mich ertappst, aber ich möchte, daß mehr geschieht". Zum Schluß war er einfach da als Mensch, und er begann zu fühlen. Es ist so leicht, wenn er erst einmal aufhört, zu versuchen.  

Die Intensivtherapie führt einen neuen Patienten systematisch an Augenblicke der Wahl heran und festigt ihn im Rahmen der Dynamik des therapeutischen Gleichgewichts. Zuerst ist das Wählen und Nichtwählen ein therapeutischer Akt.

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Einzelsitzungen führen erfahrenere Patienten in intensivere Gefühlsebenen hinein. Dies bedeutet, daß die Patienten eine längere Periode bewußter Verrücktheit erleben. Die Intensivtherapie ermöglicht dies nur dann, wenn der Patient fühlen kann, was er sich selbst früher angetan hat und weiterhin antun wird, wenn er abwehrt.

Der Therapeut nimmt während der ersten Sitzungen Kontakt mit dem neuen Patienten und dessen Gefühlen auf. Er macht eine Abwehr nach der anderen unwirksam, bis die verborgenen Gefühle zum Vorschein kommen. Doch dies ist erst der Anfang, denn diese ersten Gefühle sind keine echten Abreaktionen; es sind lediglich oberflächliche Gefühle, die ins Innere hineinführen. Der Therapeut ruft eine Mischung aus gegenwärtigen und vergangenen Gefühlen hervor. Auf eine klare Trennung kommt es ihm erst an, wenn der Patient in der Lage ist, diese Mischung zum Ausdruck zu bringen.

 

Die Fallgeschichte von Bob ist ein einfaches Beispiel dafür, wie oberflächliche Gefühle zu tieferen und intensiveren Gefühlen führen. Bob ist ein dreißigjähriger Zimmermann, der Therapie wollte, weil er feststellte, daß er im letzten Jahr alle seine Gefühle für seine Frau und seine fünfjährige Tochter verloren hatte. Am meisten quälte ihn, daß ihn seine Familie nicht einfach bloß langweilte, sondern er spürte, daß er sie immer noch liebte. Was ihm in Wirklichkeit Sorgen machte, war, daß er begann, den Kontakt zu den meisten seiner Gefühle zu verlieren. Er selbst sagte, er habe den Eindruck, daß er "irgendwie nach und nach absterbe". 

Am zweiten Tag seiner Intensivtherapie erklärte er:

P: Weißt du, ich habe darüber nachgedacht, was du gestern gesagt hast. Ich bin nach der Sitzung auf mein Zimmer zurückgegangen und habe versucht, mich daran zu erinnern, wann dieses Gefühl, daß ich nichts mehr für meine Kleine empfinde, zum erstenmal aufgetaucht ist. Ich habe es genauso gemacht, wie du es mir gesagt hast. Ich fing also an, über die letzten Jahre nachzudenken, und zuerst konnte ich eigentlich nichts Besonderes entdecken. Dann erinnerte ich mich auf einmal an eine, Camping-Reise letzten Sommer mit Jean (seiner Frau) und Angela (seiner Tochter). Angela war damals vier. Diese Reise ragte wie ein wunder Daumen aus allem heraus, weil es das erste Mal war, daß wir gemeinsam Camping machten, und es machte mir überhaupt keinen Spaß.  
T: Was war anders an der Reise?  
P: Nun, ich weiß nicht genau. Es war irgendwie langweilig. Ich erinnere mich noch, Angela wollte, daß ich mit ihr am Strand spiele, aber ich hatte einfach keine Lust dazu. Sie bettelte und bettelte und machte mich schließlich ganz rasend.

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T: Was hast du getan?  
P: Nichts. Ich konnte nicht sauer auf sie sein. Ich meine, so sind nun mal Kinder.  
T: Wenn du hättest sauer sein können, was hättest du. dann am liebsten zu Angela gesagt?  
P: Mein Gott, das kann ich nicht.  
T: (Der Therapeut ermutigt ihn, indem er ihm sagt, daß sie jetzt nicht hier sei und daß ihn niemand daran'hindere, alles zu sagen, was er sagen wolle-. Nach langem Zureden begann der Patient schließlich immer lauter zu reden, bis er schrie.)  
P: Warum läßt du mich nicht in Ruhe, Ich fühle mich nicht gut, und ich habe keine Lust, zu spielen! Reg' mich nicht auf, hau ab, ich will dich nicht mehr sehen. Ich weiß nicht, was ich mit' dir anfangen soll.

Das Weinen und Schluchzen, das seine Worte "Ich weiß nicht, was ich mit dir anfangen soll" begleitete, kennzeichnete das Ende der oberflächlichen Gefühle. Als nächstes wehrte der Patient die aufsteigenden tiefen Gefühle ab, während der Therapeut dieser Abwehr entgegenarbeitet und dem Patienten hilft, sich dem nächsten Ausdruck seiner Gefühle zuzuwenden.

T: Als du geweint hast, hast du dich nicht wie ein Vater angehört. Wie hast du dich gefühlt?  
P: Ich hatte das Gefühl, daß ich nicht weiß, was ich tun soll.  
T: Kannst du mir ein paar Situationen nennen, wo du dieses Gefühl hattest?  
P: Ich erinnere mich, daß ich mich ab und zu so fühlte, wenn ich wollte, daß mein Vater mit mir spielte.  
T: Beschreib mal eine solche Situation.  
P: Nun, es kam bestimmt ganz oft vor, im Moment fällt mir kein Beispiel ein. Ich meine, jeder Vater macht mit seinem Kind Ballspiele oder sonst was, oder?  
T: Dein Vater auch?  
P: Na klar.  
T: Wann?  
P: Nach der Schule und so.  
T: Kannst du dich noch an irgendein Ballspiel erinnern?  
P: Im Augenblick nicht.  
T: Denk etwas nach.  

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P: Nun, das ist lange her. Weißt du, es fällt mir schwer, mich daran zu erinnern. Laß mich jetzt in Ruhe damit, bitte. Ich kann heute nicht mehr. Ich bin müde. Mir fällt keine Situation ein. Ich möchte für heute Schluß machen.  
T: Nein. Wir bleiben hier. Ijch'hab ' ne Menge Zeit für dich. Wie fühlst du dich?  
P: Ich bin ein klein weni^j traurig. Mir fällt kein bestimm-, tes Beispiel ein, aber ich erinnere mich an das Gefühl, das ich damals hatte.  
T: Was war das für ein Gefühl?  
P: Ich merkte, daß er keine Zeit für mich hatte, und darüber bin ich traurig. Ich war früher immer traurig, wenn ich wollte, daß er bei mir ist. Er war immer so selten zu Hause, und wenn er 'mal da war, dann nahm er sieh keine Zeit für mich.  
T: Wieviel Zeit hättest du denn gern gehabt?  
P: Bloß ein paar Minuten.  
T: Sag ihm das.  
P: Bitte Pappa ... das ist nicht zuviel ... bloß ein paar Minuten ... bitte hilf mir. Ich weiß nicht, wie ich es anpacken soll ... (An dieser Stelle weint Bob heftig und kann kaum sprechen. Das einzige Wort, das er über die Lippen bringt, ist "bitte", und er weint weiterhin, während er es immer wieder sagt.)

 

Obgleich dies nur eins von vielen Gefühlen war, die der Patient in seiner Therapie durchgearbeitet hatte, dient es als gutes Beispiel dafür, wie ein oberflächliches Gefühl zu einem tieferen Gefühl führen und eine Abreaktion dieser Kindheitserfahrung zur Folge haben kann. Der Therapeut versucht nicht, eine Erinnerung von Bob zu erzwingen; viel wichtiger ist das Gefühl des Patienten und die Abwehr, die er gegen das Gefühl benutzt. 

In späteren Therapieabschnitten werden die Erinnerungen des Patienten klarer sein, da sich sein Gefühls­niveau vertiefen wird. In der Feeling Therapie sind nicht Erinnerungen wichtig, sondern Gefühle und ihr Ausdruck. In vielen Fällen sind am Anfang der Therapie Erinnerungen generalisierte Anstrengungen, in der Abwehr einen Sinn findet. Der Patient "erinnert" sich, an etwas, um seinem gegenwärtigen Abwehrverhalten einen Sinn zu geben. Beispielsweise werden viele junge Patienten ihre Abwehr, die darin besieht, daß sie in der Gegenwart hilflos tun, mit Erinnerungen an frühe Geburtserfahrungen zu rationalisieren versuchen, welche die Hilflosigkeit als Kind mit der Wirkungslosigkeit als Dreiundzwanzigjähriger gleichsetzen. Das Gleichsetzen erscheint zwar der Abwehr vernünftig, ergibt aber keinen Sinn für den fühlenden Therapeuten. Der Patient versucht, seine Abwehr zu überspringen. Abwehrmechanismen müssen durchgearbeitet und nicht durch falsche Erinnerungen verschleiert werden.

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Dieses Beispiel von Bob könnte irreführend sein. Er hatte in Therapiesitzungen Zugang zu realen vergangenen Gefühlen, war aber monatelang nicht imstande, wirklich zu fühlen, wie er tagtäglich war. Bei anderen Patienten ist genau das Gegenteil der Fall — sie können die Gegenwart fühlen, aber haben Schwierigkeiten, zu vergangenen Gefühlen vorzudringen. Was die Patienten fühlen können und sollen, läßt sich auf keine allgemeine Formel bringen. Das Entscheidende der Therapie ist nicht das Ergebnis, sondern der Prozeß des Fühlens von Abwehr und der Ausdruck von Gefühlen.

Bobs Sitzung ist ein Beispiel für ein bestimmtes Ergebnis der Intensivtherapie. Obwohl die Therapie­sitzungen häufig in einer anderen Form ablaufen, liegt der Nachdruck dieser ersten Sitzungen auf das Wiederentdecken des Gefühlsprozesses, einem Prozeß, der früher einmal natürlich war. Während der Patient erlebt, was es heißt, in der Vergangenheit und Gegenwart zu fühlen, wird er langsam mit den Vorgängen der Gegenaktion und Proaktion vertraut.

Bob, zum Beispiel wußte nach seiner zweiten Therapiesitzung, daß die Wutreaktion gegenüber seiner Tochter, als sie ihn bat, mit ihr zu spielen, in Wirklichkeit eine Abwehr gegen seine eigenen verletzten Gefühle bei seinem Vater war. Bobs Therapeut bemühte sich sehr, ihm zu helfen, dies zu verstehen, und um zu sehen, ob Bob das umsetzen konnte, was er gelernt hatte, schickte er ihn nach seinem fünften Therapietag für ein Wochenende zurück zu seiner Familie. Ihm wurde gezielt aufgetragen, so viel Zeit wie möglich mit Angela zu verbringen. 

Bob berichtete im folgenden, was an diesem Sonntagnachmittag geschah, als er mit Angela zu einem Spielplatz ging:

"Wir gingen so um zwei herum zum Spielplatz. Meine Frau blieb zu Hause, weil sie noch einkaufen wollte. Ich glaube, sie wird wohl eine Erkältung bekommen. Naja, als Angela und ich zum Park kamen, wollte sie sofort zu den Schaukeln. Ich nahm sie auf den Arm und trug sie dorthin. Mir kam es vor, als hätte ich sie stundenlang geschaukelt, aber schließlich hatte ich keine Lust mehr. Sie wollte dann, daß ich mit ihr im Sandkasten spiele. Wir hatten ihre Lieblingsspielsachen für Sandspiele mitgenommen; die nehmen wir auch immer zum Strand mit. Wir saßen also da, buddelten im Sand herum, bauten Häuser und Brücken und waren glücklich wie noch nie. Es war kaum zu fassen, daß das der gleiche war, der erst vor sieben Tagen mit der Therapie angefangen hatte! Schließlich hatte ich keine Lust mehr, und es war auch schon nach vier, darum sagte ich Angie, daß wir langsam aufbrechen sollten. Sie sagte, sie wolle noch ein bißchen spielen. Ich war einverstanden.

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Aber als ich ihr erklärte, ich würde ihr von der Bank aus beim Spielen zusehen, wurde sie pampig und sagte, sie wolle, daß ich bei ihr bleibe. Nun, wir stritten uns ein bißchen, und plötzlich merkte ich, daß ich innerlich kochte und ein komisches Gefühl im Magen hatte, weißt du, es war das gleiche Gefühl wie letzte Woche in der Therapie, als ich hier ein paar Mal in Rage kam. In dem Moment, als das passierte, tat ich das, was du mir gesagt hast, ich zog mich da raus, und irgendwie fragte ich mich, was zum Teufel mit mir los war. Und weißt du, als ich nicht mehr wütend auf sie war, geschah etwas Unglaubliches. Ich konnte gar nicht fassen, wie schnell das alles ging und wie stark die Gefühlswelle war, die mich überkam! Als ich merkte, was geschehen war, und meine Vergangenheit mit meinem Vater und meine Gegenwart als Mensch auseinander­halten konnte, fühlte ich mich erleichtert und konnte wirklich auf meine Tochter antworten. Ich sagte ihr, nein, ich sei nicht wütend, bloß müde."  

Bei Bob wurden durch das harmlose Bitten seiner Tochter frühere Gefühle ausgelöst. Durch Proaktion seiner Abwehr agierte er die früheren Gefühle nicht aus und war imstande, in der Gegenwart bei seiner Tochter zu bleiben. In einer späteren Therapiesitzung befaßte er sich mit diesen Gefühlen.

In gewisser Hinsicht gleicht die Proaktion der Sublimation: beides sind funktionale Reaktionen in der Gegen­wart auf regressive Impulse aus der Vergangenheit, mit einem allerdings entscheidenden Unterschied — die Proaktion ist bewußt. Vollständige Proaktion kann nur einer vollständigen Abreaktion folgen, die der Person ermöglicht, Abwehr oder frühere Gefühle als das zu erkennen, was sie sind und sie nicht auszuagieren. 

Es hilft nichts, einem Patienten zu sagen, er solle sich anders verhalten. Vielleicht hilft es, wenn er gezwungen oder darauf konditioniert wird, sich anders zu verhalten — es hilft in einer spezifischen Situation so, wie ein Arzneimittel hilft. Der Patient wird nicht wissen, wie er sich selbst beeinflussen kann,, wenn andere Formen der Abwehr oder andere Gefühle hochkommen. Proaktion ist bewußtes Handeln; es genügt nicht, zu erkennen, daß ein Impuls oder eine Verhaltensweise ausagiert wird — der Patient muß sich seinen realen Gefühlen in der Gegenwart zuwenden. Bob würde sich selbst verleugnen, wenn er nicht bei seiner wahren Antwort des "Nein" bliebe oder "wütend" würde, da keines von beiden seinem realen Gefühl entspräche.

Dieses Ergebnis ist ein ausgezeichnetes Beispiel dafür, wie der Patient mit den Grundprozessen der Feeling Therapie vertraut wird, indem er seine eigenen Gefühle unmittelbar erlebt und mit diesem Wissen sein Leben beeinflußt. Natürlich wird er mehr Erlebnisse benötigen, ehe diese Grundprozesse wirklich zu einem integralen Bestandteil seines Lebens werden. Dennoch war Bob in der Lage, ohne jemals das Wort "Proaktion" gehört zu haben, seine Gefühle in sein Leben einfließen zu lassen, was zu einer Verbesserung der Beziehung zu seiner Tochter führte und unbewußte Regression verhinderte.

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Im allgemeinen wird während der Intensivtherapie einem Patienten bewußt, daß er nicht wirklich fühlt. Er erlebt die Grenzen der Verrücktheit. Ohne solche spezifischen Gefühle erkennt der Patient nie, daß er eine "Wahl" hat.

In diesem frühen Abschnitt der Therapie wird der Therapieplan des Patienten strukturiert. Wenn er die Wahl trifft, erhält er eine Therapie, die seine Gefühle in Übereinstimmung bringt — nicht mehr und nicht weniger. Wenn ein Patient keine Wahl getroffen hat, vermag er nicht den subtilen Wechsel zu spüren zwischen dem Nichtfühlen und dem Fühlen, das ihm sagt, was er tun kann, um zu fühlen.

Sobald der Patient den Wechsel von Fühlen und Nichtfühlen empfindet, beginnt er, die Grenzen seines- Gefühlsniveaus zu erkennen. Diese Grenzen zeigen, daß er in Wirklichkeit

"Angst vor der Wahrheit"
"Angst vor dem Fühlen"
"Angst vor dem Tod" 
"Angst vor dem Leben"  
"Angst vor dem Wissen"  
"Angst vor der Nähe"  
"Angst vor der Liebe" 
"Angst vor der Offenheit" 
"Angst vor der Veränderung"  

hat.

Er kann nur dann, wenn die Grenzen wirklich gefühlt werden, allmählich zu tieferen Ebenen der Intensiv­therapie vordringen.

Viele Patienten arbeiten in der Therapie gut mit, bis sie sich wirklich zu verändern beginnen, wenn sie merken, daß mit ihnen mehr geschieht, als sie wollten. (Im Grunde wollten sie sich verändern, ohne die Abwehr aufzugeben und anders zu leben.) Sie stehen vor der Krise, die Wahl zu treffen, entweder in der Therapie zu bleiben und zu fühlen, was mit ihnen geschieht, wenn sie sich vollkommen öffnen, oder wieder zu früheren und sichereren Lebensweisen Zuflucht zu nehmen.

Schließlich beginnt der Patient erst dann, wenn die Grenzen gefühlt werden, mit der Einführung aus dem Bedeutungslosen ins Bedeutungsvolle, aus dem Sinnlosen ins Sinnvolle. Diese fundamentalen Einführungen erfordern viele Augenblicke der Wahl und nehmen, viele Monate in Anspruch, ehe intensivere Gefühls­ebenen erreichbar sind.

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Phase 2: Realitätsgruppen und "Feeling"-Gruppen  

Die Einzeltherapie verläuft während der Intensivperiode sehr unterschiedlich. Der wesentliche Prozeß, Gefühle aufzuspüren und dem Nichtfühlen entgegenzuwirken, bleibt jedoch derselbe. Als wir die einzelnen Stufen der Transformation beschrieben, wurde deutlich, daß der Patient bei der Abreaktion, Proaktion und Gegenaktion die Verantwortung für seine Gefühle übernimmt. Seine Teilnahme an Realitäts- und Feeling-Gruppen hilft ihm dabei. 

Der Inhalt der Realitäts- und Feeling-Gruppen wurde bereits in Kapitel 9, "Therapie in Gruppen", beschrieben. Wir wollen im folgenden darlegen, wie die Realitätsgruppe zur Co-Therapie wird.

 

Phase 3: Co-Therapie

Innerhalb von zwölf bis vierzehn Monaten nach Therapiebeginn sind sich viele Patienten ihrer eigenen Abwehrmechanismen soweit bewußt, daß sie sie proagieren und selbst aktiv leben. Diejenigen, die in der Lage sind, echte Beziehungen zu Freunden zu haben, sich ihrer eigenen Bedürfnisse bewußt sind und auf die Bedürfnisse anderer antworten können, werden aufgefordert, mit der Co-Therapie zu beginnen.

Da es am Ende des ersten Jahres zu einer derart einschneidenden Verlagerung der Verantwortung von den professionellen Therapeuten auf die Co-Therapeuten kommt, verlangen wir, daß sich alle Patienten zu diesem Zeitpunkt erneut bewerben. Wir entscheiden auf der Grundlage dieser erneuten Bewerbungen, welche Patienten für die Co-Therapie geeignet sind, welche Patienten das Standardprogramm des ersten Jahres intensivieren müssen und welche Patienten das Center für eine gewisse Zeit verlassen sollten. Der letzteren Patientengruppe empfehlen wir "Therapieferien" für vielleicht einen Monat oder ein Jahr oder unbestimmte Zeit. Solche Ferien von der Therapie sind für manche Patienten ebenso wichtig wie für andere die Fortsetzung der Therapie.

Zum Beispiel: Todd war einundzwanzig Jahre alt, als er mit der Therapie begann. Er war nie bei einem Job geblieben, hatte nie Verabredungen gehabt, hatte nie mit einer Frau geschlafen und niemals etwas anderes getan, als das, was seine Eltern für richtig hielten (außer, sich für die Therapie bewerben.) Am Ende seines ersten Therapiejahres hatte er viel von seiner "kleiner Junge"-Abwehr überwunden und konnte mehr aus dem heraus leben, was er fühlte, und selbst wählen. Er war sich nicht sicher, ob er mit der Co-Therapie beginnen sollte, denn er wollte auch eine Zeitlang reisen und vielleicht an der Ostküste eine Stelle annehmen. 

Wir empfahlen Todd, Therapieferien zu nehmen und einfach so zu leben, wie er es wollte. Für den Fall, daß er später einmal in einer Gemeinschaft von Menschen mehr für sich bekommen möchte, weiß er, daß er sich jederzeit erneut für eine Rückkehr zum Center bewerben kann.

Für viele Patienten, die weitermachen, ist die Co-Therapie eine schwierige Stelle auf ihrem Weg. Sie haben zahlreiche Abwehrmechanismen durcharbeiten — können, doch wenn sie vor der Co-Therapie stehen, sind manche nicht bereit, die Verantwortung dafür zu übernehmen, Freunden zu helfen und sich von Freunden helfen zu lassen und vollkommen die Sicherheit aufzugeben, "der Patient" zu sein. Wenn sich ein Patient jemals vollständig transformieren will, muß er imstande sein, mit der Co-Therapie zu beginnen und sie zu empfangen.

Das Angstmachende bei der co-therapeutischen Arbeit ist, daß der Patient andere so, zu sehen beginnt, wie sie sind. Wenn ein Patient andere klar sieht, ist er gezwungen, sich selbst auch klarer zu sehen. Um zum Kern der therapeutischen Gemeinschaft vorstoßen zu können, muß ein Patient weiter intensivere Ebenen des Fühlens aufrechterhalten. Für solche Patienten, die das, was sie fühlen, ausleben können, ist die Co-Therapie der Anfang einer neuen Therapiestufe. Sie haben einen Punkt neuer Freiheit erreicht. Sie lernen, wie sie sich gegenseitig helfen können, mit immer mehr Gefühlen zu leben. Die Worte "Therapie" und "Patient" werden bedeutungslos; Menschen geben und erhalten einfach Hilfe voneinander.

Bis jetzt haben wir unsere grundlegenden Konzepte und Methoden vorgestellt und aufgezeigt, wie sie in eine Gesamt­struktur einfließen. Aber alle diese Komponenten haben nur Bedeutung, wenn die Feeling-Gemeinschaft, die sie mit Leben füllt, verstanden wird. Kapitel 12 beschreibt das Wesen und die Bedeutung der Feeling-Gemeinschaft, in der wir leben.

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