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    Ein zwingendes Erbe 

 

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Von je war der Mensch zum Diebstahl an der Erde gezwungen. Dies begann an dem Tage, an dem er aus dem Paradiese ausquartiert wurde. Je stärker sich der Mensch vermehrte, um so unerträglicher wurde dieser Zwang. Vermehren hieß: Diebe erzeugen. Wie kam der Mensch dazu, das Antlitz der Erde zu verändern? Wo lag der Anstoß? 

Als er zu denken anfing, was war der erste Erfolg seines Grübelns? Stärkere Vermehrung. Nicht aber durch Anwachsen der Geburten, sondern durch Minderung der Vernichtungsziffer. Zum Angriff und zur Abwehr wilder Tiere wurden bessere Waffen erfunden, die Höhle oder die selbstgefertigte Behausung wurde immer zweckmäßiger angelegt, der Schutz gegen Kälte und Nässe ständig verbessert. So konnte die Zahl der Menschen anwachsen, ohne daß es zu einer Steigerung der Geburtenzahl kam. Die größere Zahl forderte gesicherte Nahrungsquellen, sie forderte Ackerbau, unterstützt durch Viehzucht; sie zwang kategorisch den Menschen, einzugreifen in den Gang der Natur.

Damit war der große Wettlauf vom Start entlassen, zu dem die Menschheit verdammt sein wird, solange sie gesund ist, zu laufen, und gesund genug, sich fortzupflanzen: der Wettlauf mit dem Hunger. Zwar wuchsen früher mit der Zunahme der Dichtigkeit der Bevölkerung auch die Häufigkeit und Intensität der Seuchen, die oft bis zur Hälfte die Einwohner dahinrafften. Mit der Entwicklung der Naturwissenschaft und Hygiene aber trat dies »Regulativ« schnell zurück, und nun erst begann die Kurve der Bevölkerungszunahme den besorgniserregenden Verlauf zu nehmen, der vielfach zu düstersten Prophezeiungen Veranlassung gibt.

Gesund genug, sich fortzupflanzen! Wir werden im letzten Teil noch davon zu sprechen haben. Hier seien einstweilen nur Bedenken angemeldet.

Überall war ehedem der Boden unseres Planeten im Gleichgewicht. Er produzierte eine reiche Flora von Mikroorganismen, von Gräsern, Kräutern, Büschen und Bäumen und von Tieren verschiedenster Größe und Art. Dem Produzenten fielen dafür wieder die Leichen zu, damit der Haushaltsetat gedeckt wurde und das Gleichgewicht gewahrt blieb. Nur in Zeiträumen von Tausenden von Jahren traten stärkere Verschiebungen des Klimas und damit der Lebens­gemeinschaften ein. Immer aber wuchs das Leben aus dem Abgestorbenen.

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Hier schnitt der Mensch mitten durch. Wo immer er auch in größerer Dichte auftrat, bekam es die Natur zu spüren, daß sie jetzt nur noch abzuliefern hatte, und daß sie größtenteils um ihre Leichen betrogen wurde, um die der Bäume, Büsche, Pflanzen und Tiere. Der Dieb wurde mit jeder Beute skrupelloser. Seine Diebesgelüste trieben ihn zu hemmungsloser Rücksichtslosigkeit. Ganze Kategorien von Lebensgemeinschaften wurden als nutzlos angesehen und entfernt; so Gebüsch, Moore, saure Wiesen, Mischwald, Auwälder und - besonders bedeutungsvoll - Grundwasser.

Was der Mensch heute erpressen konnte, verschob er nicht auf morgen. Die Zinsen, die die Natur bot, genügten nicht. Man räuberte das Kapital. Und man tut dies auch heute noch.

Wenn wir nicht durch die erschreckend ansteigende Kurve der Einwohnerzahl aufgerüttelt worden wären, dann würden wir heute noch zu keiner Gewissens­forschung gekommen sein, und unser Beichtzettel, der die Sünden gegen die Natur enthält, wäre von beruhigend niedlichem Format.

 

Jetzt erst beginnt der Mensch zu entdecken, daß sein Gebaren und Tun gegenüber der Natur falsch, zum Teil unverantwortlich war. Wenn der Mensch aber nun zu vernünftigeren Maßnahmen zu kommen sucht, nur weil er erkannt hat, daß auf lange Sicht die Natur mächtiger ist als er, wenn nur die Angst vor der Rache der Natur ihn leitet, so kann uns dies nicht mit Zuversicht erfüllen. Ausschlaggebend ist, daß er einsieht, daß seine Gesinnung sich ändern muß, so daß nicht mehr Herrscher- und Besitzwille bei den Planungen führend sein dürfen, sondern ein Respektieren der Eigengesetzlichkeit der Natur, ein Hinhorchen, um zu erkennen, wie man ihre Harmonie fördert statt zerstört; mit einem Wort: Retten kann uns nur die Erfüllung der Menschen mit Ehrfurcht vor der göttlichen Natur.

Wo auch in der Welt, in Mesopotamien, in Ägypten, in Griechenland und Rom, wo Städte und Kulturen in Schutt versanken, immer konnte man an den Grabstein schreiben: Hier ruht ein Ehrfurchtsloser. 

Soll dies dereinst auch für unsere Kulturen gelten?

Zwei Forderungen stellte der Mensch an die Erde, nachdem er als Pflanzer mit ihr ins Gespräch gekommen war: Erstens, er bestimmte, was zu wachsen hat, und dekretierte hierbei konzessionslos, daß alles Nichtgewünschte als Unkraut zu verurteilen sei. Zweitens verlangte er, daß ihm die Erde ein Maximum an Ertrag biete. Dabei verfiel der herrschsüchtige, geldgierige und von geradezu verwegenem Ordnungssinn beseelte Geist des Menschen auf eine weitere unselige Forderung: Was er zum Acker bestimmt hatte, mußte bis zum letzten Quadratfuß Acker sein. Gebüsche, Hecken und Bäume konnten hier nicht geduldet werden. Sie hinderten eine einheitliche Berechnung und minderten — so glaubte man — den Ertrag.


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Auch wurden die Sä- und Mähmaschinen immer breiter, und wenn sie über die Felder dahinliefen, forderten sie gebieterisch, daß alles auswich, was ihren geraden Weg störte. So mußten die Hecken verschwinden. Nun konnte aber auch der Wind seinen geraden Weg über die Äcker nehmen und den Boden austrocknen. Die Insektenfeinde, die Singvögel, verschwanden, weil ihnen die Nistgelegenheit genommen wurde. Ebenso die mäusevertilgenden Raubvögel, die Eulen, ferner der Igel. Und die Folge: Der Bauer brauchte nicht mehr zu ernten. Dies hatten vor ihm bereits die Mäuse getan. Wohl findet in der Hecke auch manches Tier Schutz, das ein Schädling des Ackers ist (körnerfressende Vögel, Schnecken). Die Gesamtbilanz der Tierwelt, die von hier aus sich auf die Ernte auswirken kann, ist aber durchaus positiv. Baum, Busch und Wald, diese guten Geister, hat man verbannt. Jetzt erst erkennt man ihren Wert.

Die große Sorge des Bauern im Frühjahr ist das Austrocknen des Bodens. Wie konnte er übersehen, daß Windschutz den so wertvollen Tau erhält und die Austrocknung des Bodens verhindert, daß die Hecke innerhalb dieses Mikroklimas auch die Temperatur ansteigen läßt, so daß, wie zahlreiche Versuche lehren, der Ertrag im Bereich des Windschutzes verdoppelt sein kann und daß überdies die Reifung schneller eintritt. Erst als sich die staubtrockenen Böden bei stärkeren Winden auf die Wanderschaft begaben, als selbst in Gebieten mit genügenden Niederschlägen Staubstürme auftraten, begann man wach zu werden.

In Holstein, wo ständig die Luft in Bewegung ist, sind von je die Knicks zu Hause und werden auch heute sorgsam gepflegt. Dort darf man die dichten und ringsum geschlossenen Hecken verwenden. In windarmen und völlig ebenen Gegenden können die allseits geschlossenen Hecken die Kontraste zwischen Tages- und Nachttemperaturen steigern. Hier sind die aufgelockerten Hecken und Baumgruppen am Platze.

Bedenklich ist es, wie die Kurve der Einwohnerzahl der Erde steigt und mit ihr zugleich die Kurve, die den stetigen Verlust von fruchtbarer Ackerkrume durch Erosion wiedergibt. Was will es demgegenüber besagen, wenn innerhalb von einigen hundert Jahren, in der Prärie in 4000 Jahren eine Humusschicht von 1 cm von der Natur neu gebildet wird? Ein Sturm oder ein Sturzregen trägt mehr davon, als in langen Jahren wieder neu entsteht.


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In den letzten Jahren verdunkeln oft Humusstürme den Himmel, die an heißen Sommertagen den leichten, staubtrockenen Boden der Kartoffelfelder des Dachauer Mooses in solchem Ausmaße davontragen, daß die Kartoffeln völlig bloßgelegt werden. In der Gegend von Schleißheim hat der Wind schon etwa die Hälfte des Humus davongeweht. 1947 wurden in der Gemarkung Stade mehrere hundert Meter hohe Staubwolken festgestellt, die 30 Prozent des gesamten angebauten Gebietes unter Flugsand begruben. 

Vor dem Jahre 1945 kannte man das nicht. Erst nachdem 1945 bis 1947 alle Gehölze, Hecken und Knicks vernichtet worden waren, konnten solche Sand- und Humusstürme auftreten. Und doch ist die Wirkung des Windes nur als bescheiden zu bezeichnen, wenn der Humusverlust durch Abschwemmen hierzu in Vergleich gesetzt wird. (Tafelbild 1.)

Aber hier soll nicht wiederholt werden, was in den erschöpfenden Werken anderer Autoren bereits eindringlich dargetan wurde.1) Hier sollen nur einige Akzente gesetzt werden; Symptome sollen erwähnt werden, die auf die geistige Einstellung des Menschen besonders eindeutige Schlüsse erlauben.

William Vogt, der Leiter der Abteilung für Bodenschutz der Panamerikanischen Union, rechnet, daß Mexiko in 100 Jahren zum größten Teil Wüste sein wird, wenn es nicht grundlegend seine bisherige Haltung gegenüber dem Boden ändert. (Tafelbild 3 und 4.)

Seit die Einwohner im Gebiet der Chesapeake-Bai zu roden anfingen und extensiven Tabakbau betrieben, konnte der Hafen von Baltimore nur durch ständiges Baggern offengehalten werden. In 100 Jahren mußten nahezu 100 Millionen cbm eingeschwemmten Bodens entfernt werden.

Und in Afrika: »Ich bin bestürzt und erschreckt«, berichtet J. A. Ducrot der Akademie der Wissenschaften, 

»über die fortschreitende Versandung im Norden, die zunehmende Erosion, die Verschlechterung des Mutterbodens, das Verschwinden des Oberflächenwassers im Süden ... Flüsse und Bäche, die vor einem halben Jahrhundert beständig flossen, sind heute sechs Monate im Jahr trocken. Die Galeriewälder und die Baumwände, die die Ströme, die Nebenflüsse und selbst die Uferbestände des Senegals und des Nigers einfaßten, sind fast völlig vernichtet.«

»Afrique, terre qui meurt!« (Harroy.) Dies ist der Kontinent, auf den wir hoffen. Der verstorbene General Smuts stellte fest: »Für Südafrika ist die Erosion die größte Frage, größer als jede politische.«

Bodenerosion! Man frage unsere Volksschul- und Mittelschulkinder und unsere Studenten, was darunter zu verstehen ist; man frage Verwaltungsbeamte und Bankdirektoren, Generäle, Wissenschaftler und Parlamentarier, und viele werden die Antwort schuldig bleiben müssen. Und doch könnten sie sich bei jedem Volksschulkind der Vereinigten Staaten Belehrung holen. 

1)  Als erster Alwin Seifert


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Denn dort wird schon den Kindern eindringlich vorgetragen, was die Gesundheit unseres Planeten für die Menschheit zu bedeuten hat, und was die Vernichtung des Humus für eine ausschlaggebende Rolle spielt. Allerdings, erst mußte amtlich festgestellt sein, daß zwei Drittel des Landes der USA eine »vom Mensch gemachte Wüste« sei. Dann begann das Erwachen.

Der Hwang-ho transportiert jährlich zwei Milliarden Tonnen Löß in das Meer. Auf Güterwagen verladen, ergibt dies einen Güterzug, der etwa 30 mal um den Äquator geht. Schuld daran ist die radikale Entwaldung seit 4000 Jahren. Der Amazonas dagegen hat einen sehr viel geringeren Materialtransport. (Die Angaben sind für beide Flüsse widersprechend.) Im Mittel kann man annehmen, daß der Amazonas nur etwa 1/3 bis 1/5 soviel Schlamm dem Meer zuführt, obwohl seine Wasserführung die des Hwang-ho mindestens um das 30fache übertrifft. Pro cbm enthält der Hwang-ho somit etwa 100 bis 150 mal mehr Schlamm. Hierin zeigt sich die Auswirkung der Entwaldung Nordchinas. Demgegenüber der Amazonas, der Strom der Urwälder. Der Mississippi führt 0,12 Prozent, der Nil 0,16 Prozent, der Domador in Indien 0,3 Prozent Schlamm mit sich. Viel höher steigt der Prozentgehalt bei Hochwasser. Die Isère wird dann zu einem Schlammbrei und kann relativ ebensoviel erdige Bestandteile mitführen wie der Hwang-ho bei Hochwasser, nämlich 12 Prozent. Dazu noch die bedeutenden Mengen gelöster Stoffe, die die ungelösten noch übertreffen können.

Der Rhein führt dem Meer jährlich 4,6 Millionen Tonnen zu (darunter täglich 10.000 bis 30.000 Tonnen gelöste Salze); vor der Korrektion nur den fünfzigsten Teil. Der Mississippi 980 Millionen Tonnen. Er wird von dem Magdalenenstrom in Columbia noch übertroffen; und die bescheidene »Tiroler Ache« bringt dem Chiemsee bei starkem Hochwasser (max. in den letzten Dezennien) innerhalb zweier Tage rund drei Millionen Kubikmeter Schlamm, falls dieser nicht zum Heil des Chiemsees vorher in den herrlichen, weil bisher gut gedüngten Auenwäldern sich ablagern kann. Dies setzt allerdings voraus, daß die teuer erachteten Hochwasserdämme wieder einreißen — was im Interesse der Wälder sowie des Sees und seiner Fische lebhaft zu begrüßen wäre. Sonst muß in zwei Tagen bei Hochwasser der Chiemsee im schlimmsten Fall den Schlamm von einem Güterzug aufnehmen, der von München bis Ulm reicht. Kostbarer Humus. Alles Folgen der Entwaldung, Folgen vom Dränieren und Entwässern und von falscher Behandlung der Hangfläche.

Gewiß wird sich auch ohne menschliche Eingriffe die Natur im Laufe von hunderttausend Jahren ändern. Immer schon haben sich an den Flußmündungen Deltas gebildet aus dem Humus, den das Wasser mitbrachte.


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Flußdeltas waren schon vor dem Pfluge da. Aber das Arno-Delta, das früher nur ganz langsam wuchs, schiebt sich seit der Rodungsepidemie im Apennin jährlich um 8 1/2 m weiter ins Meer hinaus.1) Immer schon führte der Blaue Nil infolge der gewaltigen Regengüsse große Schlammassen mit sich, immer schon haben sich die Flüsse mit der Zeit eingetieft (etwa 1/5 mm pro Jahr); man soll aber nicht alles tun, um diese Prozesse, die sich so langsam vollziehen, daß sie unschädlich bleiben, aufs äußerste anzutreiben und so dem Menschen seinen Planeten, auf den er nun mal angewiesen ist, unbrauchbar machen.

Der tägliche Verlust an Ackerland in USA beträgt 4000 Acker. Sie fließen ins Meer oder verschlammen die Talsperren und die Häfen. Der nördliche Teil von Südrhodesien verliert jährlich 10 bis 14 cm an Humus. Der Boden vom nördlichen Njassaland ist voraussichtlich in 70 Jahren restlos abgeschwemmt.

Durch Trypanosomen, die bei Menschen die Schlafkrankheit erzeugen, aber auch für das Vieh todbringend sein können, wird auf etwa 12 Millionen Quadratkilometern im tropischen Afrika die Viehzucht und damit auch die Landwirtschaft nahezu oder ganz unmöglich; und dieses wird — ein Symptom unserer Zeit — von verantwortungsvollen Kennern keineswegs bedauert, sondern lebhaft begrüßt. Denn heute noch bedeutet die Landwirtschaft der Schwarzen extremsten Raubbau. Durch die Trypanosomiasis bleibt das Land vor den schädigenden Einflüssen des Menschen geschützt. In diesem Sinne kann man der Tsetsefliege, der Überträgerin dieses gefährlichen Parasiten, als einer Treuhänderin für spätere Generationen Dank sagen.

Aber nicht nur der Neger zerstört sein Land. Das gewaltige Erdnußprojekt der Engländer, das sich über eine Million Hektar erstrecken sollte, würde dem Boden Afrikas genauso schaden. Auch hier können wir froh sein, daß die Tsetsefliege vorderhand das Land rettet. Waibel sagt: »Wie eine ungeheure Walze schiebt sich der Erdnußanbau durch das Land, vor sich vernichtet er die Wälder, dann schafft er einige Jahre blühendes Leben, und hinter sich läßt er unfruchtbares Land zurück.«

In Südamerika legen die Indianer Brände, um die Eier von Gürteltieren und Straußen leichter zu finden.

Wo wir auch hinschauen, in jedem Erdteil sehen wir dasselbe: »Our Plundered Planet.« (Fairfield Osborn.) Der Mensch bekehrt sich erst, wenn er die Hitze der Hölle zu spüren beginnt.

1)  Pisa lag zur Zeit Strabos 3,7 km vorn Meer entfernt, heute 12 km.


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Man sage nicht: Erosion sei unweigerliche Folge von Ackerbau. Japan ist der Lehrmeister, der uns zeigt, wie man durch Terrassierung von Hangflächen und durch Pflügen entlang den Höhenlinien und Zwischenfügen von Rasenstreifen und weiter durch Windschutz die Erosion auf ein Minimum beschränken kann.

Das erschreckende Fazit: Die Menschheit nimmt immer schneller zu; die natürliche Bodenfruchtbarkeit nimmt in allen Erdteilen rapid ab.

 

Es gibt aber noch eine andere Art der Erosion, die ebenfalls recht gefährlich werden kann. Im Schwarzwald tritt in bestimmten Tälern eine Mangelkrankheit bei den Rindern auf, die sogenannte Hintsch-Krankheit, die auf Kobaltarmut des Futters beruht. In Australien sind weite Gebiete davon betroffen. Auch hier ist der Boden kobaltarm. Ein Anteil Kobalt auf 2.000.000 Anteile Futter genügt, um die Krankheit zu verhindern. Das ist sehr wenig. Aber solche Spuren müssen im Boden und weiter im Futter vorhanden sein zum Aufbau des lebenswichtigen Vitamins B 12. Wie aber kann es kommen, daß in großen Gebieten Australiens der Boden in den oberen Schichten so gut wie kobaltfrei ist — daß er es erst jetzt geworden ist? Australien exportiert ständig Kobalt: im Fleisch, in der Wolle, in den Fellen, im Weizen und im Heu. War der Boden vorher schon ausgesprochen kobaltarm, so kann mit der Zeit eine weitere Verarmung eintreten, die nun zur Mangelkrankheit bei Pflanzenfressern führt. Also: Düngen mit Kobalt. Die Weltproduktion beträgt jährlich aber nur 12.000 m.t. Selbst bei einem Spurenstoff reichen solche Mengen für die Düngung von Flächen in kontinentalen Ausmaßen nicht aus. Die Heidemoorkrankheit beruht auf Kupfermangel.

Nun noch eine Frage. Hat William Vogt nicht doch übertrieben? Können wir nicht auch ohne Humus leben? Man züchtet Pflanzen und Früchte auf Wasser, dem die nötigen Salze beigegeben werden; zwischen den Matten senken die Pflanzen ihre Wurzeln in das Wasser hinab und lassen die Pflanzen gedeihen.

 

     Wozu also Humus?    

 

Die wichtigsten Lebensmittelgruppen sind Kohlehydrate, Fette und Eiweiße. Durch Biosynthese, d.h. durch Nährstoffgewinnung aus Süßwasser- und Meeresalgen und Pilzen, die in hohen Standgläsern bei Tageslicht und nachts bei elektrischem Licht »arbeiten« können, sollte manche Ernährungslücke geschlossen werden. Diese Kleinorganismen haben den Vorteil, daß kein Abfall die Produktion mindert. Pro Quadratmeter ließe sich ein Vielfaches (bis zu 50faches) gegenüber dem Acker ernten. Auch enthalten sie genügend Vitamine (A und C).

* (d-2014:)  William Vogt, Road to Survival, bei detopia


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Aber das Eiweiß dieser Algen ist für den Menschen völlig unverdaulich (Schormann und Winter, 1957). Außerdem schmeckt es, ähnlich den Blaualgen, widerlich.

Und das Degussa-Verfahren und die Hydroponik könnte nur unerschwinglich teures Gemüse liefern. Die hohe Empfindlichkeit dieser Kulturen läßt auch fragen, ob dieses Gemüse dem normal im Boden wurzelnden völlig gleichwertig ist. Neuerdings werden die freihängenden Wurzeln nur noch ständig besprüht.

Scharf hiervon zu trennen ist die chemische Synthese von Nahrungsmitteln. Die Tiere und die Pflanzen bilden kein chemisch reines Fett, aber unser Körper verlangt, so scheint es, nach solchen natürlichen Fetten und nach natürlichem Eiweiß. Kann trotzdem eine Retortennahrung helfen?1)

Der Körper benötigt von den etwa 30 vorkommenden Aminosäuren, die die Eiweiße bilden, ein Drittel, die man die essentiellen nennt. Der sich entwickelnde Organismus ist auf 10 bestimmte Aminosäuren angewiesen; für den fertig Entwickelten fallen 2 als nicht mehr unerläßlich weg. Ohne die essentiellen Aminosäuren ist kein Wachstum und kein Ersatz des Abgenützten möglich. Bei der Verdauung wird das Eiweiß bis auf diese Bausteine abgebaut. Man muß sich daher fragen, ob der Organismus nicht vollkommen auf Eiweiß verzichten kann, wenn ihm nur die Abbauprodukte, die essentiellen Aminosäuren, geboten werden? Es hat sich in der Tat gezeigt, daß man Versuchstiere selbst über einige Generationen hin — soweit man beurteilen kann — gesund ohne Eiweiß, nur mit Aminosäuren am Leben erhalten kann.

Da man bereits in der Lage ist, die Aminosäuren synthetisch herzustellen, so sollte man glauben, daß sich das Hungerproblem angesichts der chemisch reinen Aminosäuren schnell verflüchtigen wird. Manche mögen es vielleicht noch besonders begrüßen, daß die »Mahlzeit in Pillenform« damit ihrem idealen Ziel erheblich näher gerückt wird: Kein Zeitverlust mehr durch Essen — kein Zeitverlust, um zum frühen Herzinfarkt zu gelangen. —

Immerhin macht es nachdenklich, daß in der Natur alle Kreaturen ihren Eiweiß- oder, richtiger gesagt, ihren Aminosäurenbedarf immer in Form von Eiweiß und von Eiweißgemischen decken. Sollte die Retorte hier wirklich vollen Ersatz bieten können? Auch wenn es gelingen sollte, das gegenseitige Gleichgewicht der künstlichen Aminosäuren zu wahren? Oder wird der Magen sein Veto einlegen und nicht nur streiken, sondern auch einen unüberwindlichen Widerwillen empfinden.

1) Es ist seht möglich, daß die Nahrungsmittel, bei denen der Gesamtverband ungestört erhalten ist, besondere noch unbekannte Wirkungsqualitäten entfalten.


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Vor allem aber — bisher kann man die allein wirksamen linksdrehenden Aminosäuren nur als Gemisch mit den rechtsdrehenden darstellen. Die rechtsdrehenden aber kann der Körper nicht gebrauchen. Somit müssen diese erst in einem teuern Verfahren beseitigt werden. Also auch hier vorderhand keine Waffe gegen den Hunger, unter dem bereits zwei Drittel der Menschheit leiden.

Und die Algen? Nehmen wir an, daß das Verfahren so verbilligt werden kann, daß es eines Tages herangezogen wird, und vor allem, daß eine Alge mit verdaubarem Eiweiß gefunden wird. Zwei Drittel der Menschen sind unterernährt. Die Menschheit nimmt erschreckend zu, schneller als die Nahrungsmittel­produktion (F.A.O. Bericht 1958). Die Erosion des Humus wird die Kurve der Nahrungsproduktion immer ungünstiger beeinflussen. Werden künstliche Kulturen einst die Fett- und Eiweißlücken schließen können, oder ist der Ausdruck »Lücke« eine freundliche Bezeichnung für einen katastrophalen Nahrungsmangel, der mit jedem Jahr näher rückt?

Wenn der Magen Hopfenersatz oder einen Wein mit einem verdächtigen, aus dem Reagenzglas stammenden Bukett vorgesetzt bekommt, so kann er sich - vielleicht - damit abfinden. Der Zukunftsmensch trinkt »drinks« und keinen Wein. Bedenklich aber ist es, daß wir heute zwar eine endlose Speisekarte vorgesetzt bekommen, daß aber die Zahl der Urnahrungsmittel erschreckend zurückgegangen ist. Von 250 verschiedenen Pflanzenarten ernährten sich die Menschen noch vor einigen tausend Jahren, heute nur noch von 50, und zwar ausschließlich von Kulturpflanzen. In Zukunft werden auch diese z.T. durch Fabrikate ersetzt. Und der Wald? Auch für Holz wird man Ersatz finden, und der störende Wald wird Platz machen den Wäldern der Hochspannungsmasten und -leitungen. Der Mensch der Zukunft wird im Lexikon nachlesen, was Humus »war«, und daß dieser erst in historischen Zeiten ins Meer abgeschwemmt wurde. Er wird Bilder von Wäldern in seinen Museen zeigen, Dioramen, »belebt« von den letzten ausgestopften Rehen, Hasen und Rindern.

Und wer wird das letzte Museum bauen, in dem der letzte Mensch ausgestopft zu sehen sein wird, der letzte, der mit Selbstmord endete, weil er auf nacktem Fels, auf Schotter und in der Sandwüste zwischen Fabriken nicht mehr leben wollte, und weil er nicht mehr leben konnte, da ihm all die synthetischen Delikatessen so zuwider wurden, daß ihm jeder Appetit und jede Verdauungsmöglichkeit verging? Und als Inschrift: Der letzte Bankrotteur!

Bleiben wir dabei, daß die Erosion ein großes Unglück ist und daß mit allen Mitteln dagegen angegangen werden muß. Noch leben wir vom Humus, und nicht von Algen und chemischen Präparaten. 

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  (1957) Professor Reinhard Demoll