Teil 1      Start    Weiter

Der Wald 

»The forests of Germany shall be conserved 
and improved for the benefit of all West Europe.« 
Im <Marshall-Plan>

 

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Der Wald ist potenzierte Natur. Wohl den Völkern, die den Wald wie ein Heiligtum, wie einen Tempel verehrten. Sie wurden davor bewahrt, ihn in Gedanken­losigkeit und Habsucht zu schlagen, zu vernichten und so den Fluch der Enkel auf sich zu laden.

Rodungen, Schädlinge, Grundwasserentzug und giftige Industriegase (SO2 und Fluor) bedrohen den Wald. Das Schwefeldioxid, das aus den Schornsteinen kommt, wird bei Feuchtigkeit zu schwefeliger Säure, die die Bäume und Pflanzen schwer schädigt, oft vernichtet. Die Assimilations­vorgänge werden vergiftet, die Spaltöffnungen schließen sich nicht mehr um die Mittagszeit, so daß der Wasserverbrauch ansteigt, trotz der Abnahme der assimilatorischen Leistung.

Fichten und Tannen sind dem Schwefeldioxid gegenüber besonders empfindlich, Eichen und Lärchen weniger. Auch Ultrakurzwellen schädigen in näherem Umkreis die Bäume. Und die Menschen? Werden diese nicht getroffen durch verpestete und vergiftete Luft? Sind sie unempfindlicher als unsere Bäume?

Daß man früher den Einheitswald bevorzugte, darf nicht in Staunen setzen. Was hätte der materialistische Geist auch anderes erfinden können? Zum Kommandieren gehört der uniformierte Untergebene. Also wurde die Natur auch da, wo sie in höchstem Maße auf ihrer Eigengesetzlichkeit zu beharren schien, zum Unnatürlichen gezwungen. 

Der Waldboden mußte fein säuberlich von Streu befreit, er mußte gewissenhaft gestöbert, auch er mußte »ausgeräumt« sein. Das Ideal des Kasernenhofes galt überall.

Heute hat man allenthalben die Nachteile des Einheitswaldes mit seinem einheitlichen Wurzelhorizont und seinen vielen anderen biologischen Unnatürlich­keiten erkannt; man hat erkannt, daß ein jeder Baum, jede Pflanze neben den generellen Forderungen, die sie an den Boden stellen, noch einen bestimmten individuellen Appetit haben und daß dieser bei Monokulturen mit der Zeit nicht mehr befriedigt werden kann. 

Man hat eingesehen, daß man früher mit dem Einheitswald den schädlichen Insekten ein Dorado geschaffen hatte und die Nützlinge hemmte, daß man den Boden krank machte und dem Wasserhaushalt schadete.

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Dankbar gehen wir bereits wieder vielfach wie unsere Vorahnen durch einen mehrstufigen, verjüngungsfrohen Mischwald, der in bestdurchdachter Weise nicht nur zum Wohle der Bäume und zum Wohle der Forstkassen aufgebaut ist, sondern der auch endlich wieder das Wort Wald verdient. 

Hätten auch früher schon nur die uns leider sehr bekannten, wohl-ausgerichteten, kastrierten Stangenwälder bestanden, so wären der Gebrüder Grimm Märchenbücher wohl kaum gedruckt worden, da den Feen, Zwergen und Hexen jedes standesgemäße Domizil gefehlt hätte.

Nun, wir können uns dankbar vor unseren Forstwissenschaftlern und Forstverwaltungen verneigen. Sie haben vor allem den guten Feen wieder ein Asyl geschaffen. Wer die verwickelte Lebensgemeinschaft eines gesunden Waldes kennt, weiß, wie groß die Aufgabe war, die es zu bewältigen galt, als man aufhörte, dem Wald zu kommandieren und statt dessen begann, ihn zu fragen, wie schwer es ist, künstlich einen natürlichen Wald aufzubauen.

Wenn bei Hochwasser die Flüsse trübe werden und wertvolle Humusmassen dem Meer zuführen, so stammen diese nicht oder nur zum allergeringsten Teil aus dem Wald; denn dieser hält ebenso das Wasser wie auch seinen nährstoffreichen Boden zurück. Das Wasser wird von dem Waldboden, falls es sich nicht um ganz abnorme Niederschlagsmengen am Steilhang handelt, leicht aufgenommen, da durch die Bewegung der Baumkronen immer eine Lockerung des Bodens erfolgt (besonders im Laub- und Mischwald). Im Wald und über ihm ist es immer feucht. Austrocknende Winde gibt es hier nicht. Der plötzlich anschwellende Sturzbach kommt nicht aus dem Wald, sondern aus der waldlosen Gegend; denn der Wald ist sparsam mit Wasserabgabe. Ein guter Waldboden ist auch ein guter Wasserfilter. 

Jedoch für das Gelände, wo er gerodet ist, da ist ein Platzregen immer ein schmerzliches Verlustgeschäft. Denn die beste Krume wird davongetragen. Jetzt fehlt das schützende Blätterdach, das bei einem Wolkenbruch namhafte Wassermassen zurückhalten kann, um sie erst hinterher allmählich an den Boden abzugeben. Es fehlt auch das aufsaugende Moospolster. Beide verhindern, daß die aufschlagenden Tropfen die Krume lockern und davonführen. Je mehr aber der Humus schwindet, um so weniger vermag der zurückbleibende spärliche Boden den niederkommenden Regen in sich aufzunehmen, um so wilder und vernichtender werden selbst die kleinsten Rinnsale, um so schneller also treibt das Gelände der Verkarstung zu. Wo der Wald gerodet wird, sinkt der Grundwasserspiegel. Die Erosion im Wald gegenüber der auf dem Feld verhält sich wie 1:1000, aber auch wie 1:30000.

Der Wald ist der große Ausgleicher. Die neuesten Untersuchungen bestätigen dies wiederum vollauf. Fehlt er, so geht alles ins Extreme. Wüstenhitze, wenn die Sonne hoch steht, wechselt mit Nachtfrösten. Ein Bussard, der bei Sonnenschein über den Wald hinfliegt, geht, sobald er über eine größere Waldblöße kommt, sofort zum Gleitflug über. 


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Ohne einen Flügelschlag überquert er die Lichtung, oder — noch häufiger — er entschwebt uns in steilen Spiralen in immer größere Höhen. Denn die Luft auf der gerodeten Stelle ist so überhitzt gegenüber der Luftschicht, die über dem Wald liegt, daß sie wie aus einem riesigen Schornstein nach oben steigt. Und von diesem Warmluftstrom läßt sich der Bussard in die Höhe tragen, ohne einen Flügel rühren zu müssen. Im selben Maße, wie auf solchen Flächen untertags die Hitze unerträglich brütet und den Menschen Kühlung im Wald suchen läßt, im selben Maße schlägt hier nachts die Temperatur in das entgegengesetzte Extrem um.

Extrem wie die Temperatur wird auch die Wasserführung. Entwaldung läßt Quellen versiegen; Wiederaufforstung läßt sie nach einigen Dezennien wieder fließen. In dem Gebiet von Stalingrad begann bereits drei bis fünf Jahre nach der Wiederaufforstung der Grundwasserspiegel zu steigen. Nach 700 Jahren hat man in der Nähe von Florenz am Monte Morello durch Aufforsten eines verkarsteten Höhenzuges Quellen wieder zum Fließen gebracht.

Am gleichmäßigsten sprudeln die Quellen im Wald. Auch im heißen Sommer trocknen die kleinen Murmelbächlein in den großen Waldrevieren nicht leicht aus. Im waldlosen und erst recht im verkarsteten Gebiet jedoch steht man vor wilden, tief eingeschnittenen und ausgehöhlten Flußtälern, deren ungeheures Geröll Zeugnis gibt von der Wucht der Wassermassen, die hier zu Tal stürzen. Und doch, wie schnell hat sich das Wasser wieder verlaufen, und das gewaltige Flußbett liegt wieder völlig ausgetrocknet, öde vor uns. Nichts kann so eindringlich wie gerade dies uns vor Augen führen, welchen Weg wir gehen, wenn wir unseren Wald vernichten.

Und all dies bleibt nicht etwa nur eine lokale Erscheinung. Weithin kann das Klima beeinflußt werden. Fernab von dem Vernichtungsgebiet verrät uns der Puls des Flusses, woher er kommt. Das jähe Ansteigen des Wasserstandes, die schnell vorübergehenden, aber katastrophalen Hochwasser und das bald darauf anschließende Niedrigstwasser sagen uns, daß weit oben die von der Natur geschaffenen Ausgleichsvorrichtungen zerstört worden sind. Man kann sagen: Je mehr der Mensch den Weg des Regentropfens zum Meer hin verkürzt, um so mehr arbeitet er am Untergang seines Landes.

Dabei darf man nicht übersehen, daß der Wald auch ein Wasserverbraucher ist. Dies kann aber die gewaltige Bedeutung des Waldes nicht mindern. Er ist der wirkungsvollste Schutz gegen Oberflächenabfluß und damit gegen Bodenerosion, er ist der beste Ausgleicher, er erhöht wesentlich den Anteil des Sickerwassers, mehrt also das Grundwasser und mindert die Hochwassergefahr, und er trägt zur Erhöhung der Luftfeuchtigkeit und der Niederschläge bei.


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Wir sehen es vor uns, wie sich der Raubbau am Wald in dem ehemals so waldreichen Griechenland und an der adriatischen Küste, am Apennin, auch schon im unteren Etschtal und weiter in Spanien und neuerdings in USA ausgewirkt hat. Wenn Griechenland im Altertum schon entwaldet und durch Erosion seines Humus bis zur Verkarstung beraubt gewesen wäre wie heute, dann hätten sich die Perser um diesen ausgeplünderten Steinhaufen nicht bemüht. Wir wissen, wenn heute z.B. der Schwarzwald kahlgeschlagen würde, dann müßte dies von der ganzen Rheinebene, auch von den linksufrigen Länderstrichen ebenso wie von Württemberg und weiter — auch noch immer genügend fühlbar — von ganz Mitteleuropa bezahlt werden. Alle würden leiden unter der austrocknenden Hitze und den kalten trockenen Winden.

Das Amt der Vereinten Nationen hat dringend empfohlen: »Die Waldbestände sind zu schützen, um dadurch auch das Ackerland zu erhalten.« Hier spricht die klare Erkenntnis, daß der Wald den Acker schützt und daß sich der Mensch mit dem Wald auch seine Ernährungsgrundlage zerstört. Je ungleichmäßiger die Niederschläge, um so entscheidender die Bewaldung.

Die Vernichtung der Wälder kann die fruchtbarste Landschaft in einen steinernen Friedhof verwandeln. Und diese Tat ist meist irreparabel. So verdient der Wald den Ehrentitel: Beschützer unserer Fluren. Über die Auswirkungen der Rodungen schreiben Jacks und White:

»Die Wüsten von Nordchina, Persien, Mesopotamien und Nordafrika erzählen alle die gleiche Geschichte von langsamer Erschöpfung des Bodens durch die steigenden Anforderungen infolge der sich ausbreitenden Zivilisation — er ist so ausgenutzt worden, daß ihm keine Kraft zur Wiederherstellung mehr übrigblieb. Und der Erschöpfung des Bodens folgte natürlich — wie das jetzt der Fall ist — die Erosion. Die alten Heimstätten der chinesischen Kultur im nordwestlichen Lößbodengebiet gleichen jetzt einem riesenhaften tiefgefurchten Schlachtfeld, von vernichtenderen Kräften zerrissen, als es die modernen Kriegsmaschinen sind. Die Skulptur dieser phantastischen Landschaft ist das größte Werk der chinesischen Zivilisation. Auf weiten Strecken ist der einstmals tiefe und fruchtbare Boden völlig verschwunden; als er weggespült wurde, entstanden klaffende Spalten, manchmal mehrere hundert Fuß breit und tief, in dem darunterliegenden Löß; die erodierten Bestandteile lagerten sich auf den Talsohlen ab oder flössen weiter in die Ströme und ins Meer. Der Gelbe Fluß und das Gelbe Meer tragen ihre Namen zu Recht, denn sie sind gelb gefärbt von der Erde, die immer noch aus dem jetzt kahlen Lößhinterland in sie hineinströmt.


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Mehrere hundert Meilen nach den erodierten Gebieten und wieder Hunderte von Meilen längs seines Laufes hebt sich das Bett des Gelben Flusses höher und höher über das umgebende Land durch die immerwährende Ablagerung erodierter Erde. Die Quellwasser, die jetzt nicht mehr von porösem Boden aufgesogen werden, reißen die Berghänge in ihre wachsenden Ströme, und die furchtbarsten Überschwemmungen der Welt — einst wurden sie als Heimsuchungen des Himmels betrachtet — sind jetzt normale und immer erwartete Geschehnisse. Der Gelbe Fluß trägt jedes Jahr eine Ladung von 2500 Millionen Tonnen Erde mit sich! Es gibt auch noch andere erodierende Gebiete und große erdige Ströme in China, aber der zerrissene Nordwesten und der Gelbe Fluß sind schreckliche und ewige Symbole der Sterblichkeit jeder Zivilisation!«

Heute forstet China wieder auf. 20 Millionen ha sollen wieder zu Wald werden. 1 Million ha sind seit 1950 in Angriff genommen. Sie sollen auch einen Schutzwall­gürtel gegen Sandverwehungen bilden.

Wenn die Sahara weiterhin im selben Maße an Ausdehnung gewinnt wie seit der Zeit der Römer, dann wird das Klima von Afrika und Europa nachhaltig und zum Katastrophalen hin beeinflußt. Vor drei bis viertausend Jahren noch bestand der ganze westliche Teil der Sahara aus Buschwald.1) Im Zentrum der Sahara, im Ahaggar-Gebirge, finden sich alte Steinzeichnungen von Rindern und von Krokodilen. Da, wo sich heute die Libysche Wüste dehnt, war vor nur zweitausend Jahren noch fruchtbares Ackerland, das Rom mit Getreide versorgte. Die Abgrenzung der Äcker ist heute unter dem Wüstensand noch deutlich vom Flugzeug aus zu erkennen (Tafelbild 8). In der Ägyptischen Wüste hat man früher gebadet. 

Noch schlimmer sieht es am Südrand der Sahara aus. Durch die ungeschickte Art, wie die Schwarzen das Land bewirtschafteten, und wie es auch heute noch bei Weißen geschieht (Benguela), wurde der Boden ausgetrocknet, und die Wüste ging darüber hin. Die Neger brannten den Wald nieder. Auf dem durch Asche gedüngten Boden wurde geerntet, solange der Ertrag befriedigte. Ging er zurück, dann zog man weiter, und schnell eroberte jetzt die Wüste das Gelände. Eine Karte aus dem Jahre 1540 läßt erkennen, daß damals die Südgrenze der Sahara 400 km weiter nördlicher lag als heute. Das bedeutet auf 2000 km Front einen Geländeverlust von nahezu 1 Million qkm, ein Gebiet, das ungefähr dem Kern des Kontinents Europa entspricht. 

Jetzt soll ein Baumgürtel von 10 km Tiefe dem weiteren Vordringen der Wüste wehren. 16 Milliarden Bäume sind dazu vorgesehen. Wir wollen hoffen, daß diese Zahl der Wüste imponiert.2) 

1)  Der Atlas lieferte Hannibal seine Elefanten.
2)  Im Niger-Knie gewinnt die Wüste immer noch stark an Gelände. 


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Im Norden und Nordosten von Kenia rückt die Wüste alljährlich um 10 km gegen den Urwald vor. Hier aber ist nicht der Neger, sondern der Weiße der Sünder. Und heute noch wendet man in Mexiko dieselben Methoden an wie die Neger in Afrika. (Tafelbild 3 und 4.)

Die gewaltigen Wüsten und Steppen der Südafrikanischen Union machen beängstigende Fortschritte. Bereits seit 1914 beschäftigt sich eine Kommission mit diesem bedenklichen Problem.

1945 feierten die Beduinen der Libyschen Wüste den Sieg der Alliierten, indem sie Millionen Bäume, die die Italiener mühsam gepflanzt hatten, fällten oder ausrissen. Die Dummheit der Masse kennt keine Grenzen.

Sehr emsig hat auch in Deutsch-Ostafrika die Unvernunft der Deutschen und Engländer gearbeitet. Innerhalb von 50 Jahren sind weite Strecken der Savannen in trostlose Steppenwüsten umgewandelt worden. Die Bäume wurden geschlagen und in den Lokomotiven der Bahn Daressalarn-Tanganjika-Viktoriasee verheizt. Alle 50 km hielt der Zug, um einige Dutzend Ster Holz aufzunehmen. Sehr viel schlimmer jedoch wirkte sich die starke Überstockung der Savannen mit Vieh in den letzten Dezennien aus, genauso wie im Gebiet des Missouri. Bald war alles kahlgefressen, kein Halm und kein Bäumchen konnte mehr aufkommen. Die Reste des Pflanzenwuchses wurden durch das ruhelos nach Nahrung umhersuchende Vieh niedergetrampelt, und allenthalben kam der nackte Boden zutage, der nun unter der Glut der Sonne zu verkrusten begann. Auch die Benguelabahn verheizt Holz.1)

Und Europa?!

Vor 2000 Jahren noch war es überall von waldreichen Ländern umgeben. Heute wird es immer mehr von Steppen und Wüsten umfaßt und eingekreist. Wann wird es sturmreif sein? Verspüren nicht die Mittelmeerhalbinseln, vor allem Spanien, bereits den Todeshauch? Werden die gewaltigen Anstrengungen der Italiener, neu aufzuforsten, von Erfolg begleitet sein? Wird die Regierung die Macht haben, gegen das Geschenk der Hölle, gegen die Ziege vorzugehen, die keine jungen Bäumchen aufkommen läßt und jeden Wald durch Vernichtung des Nachwuchses zum Sterben bringen kann? Die nackte, humusfreie Felsinsel St. Helena, ehemals dicht bewaldet, ist das Werk der 1513 eingeführten Ziege. Werden die Absichten der Sowjetunion, Südrußland und die Ukraine wieder aufzuforsten, auch verwirklicht werden? Man hat bereits begonnen. Ein Netz von 15 bis 30 km breiten Waldstreifen soll den ganzen Süden und Südwesten in Parzellen von 100 km Länge und 50 km Breite aufteilen. 

1)  Die Wüste <Sind> am unteren Indus ist vor wenigen hundert Jahren auf gerodetem Boden entstanden. Jetzt wächst sie wie ein Karzinom durch den eigenen Gluthauch.


 

 


 


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Dazu kommen vier breite Waldstreifen, die von Norden nach Süden ziehen. (1640 wurde das Moskowiterreich noch als ununterbrochenes Waldgebiet bezeichnet.) Auch das Klima Mitteleuropas könnte dadurch günstig beeinflußt werden. Und Spanien und der Balkan — wird man es erreichen, daß man wieder so wie früher das ganze Land im Schatten durchqueren kann?

Doch auch hier will ich mich mit dem Hinweis auf einige Symptome begnügen. Allerdings: Symptome der Dummheit und Kurzsichtigkeit. Scheint es doch ein zwingendes Gesetz zu sein, daß kein Volk bereit ist, aus den Fehlern und Dummheiten eines anderen Volkes zu lernen. Es würde hierin eine Zumutung, einen Eingriff in seine eigensten Hoheitsrechte erblicken. Während in USA Milliarden ausgegeben werden, um Fehler wieder zu bereinigen, während bei uns die Hoffnung sich verstärkt, daß auch für Wiedergutmachung gegenüber der Natur eines Tages Mittel bewilligt werden, ist man in Australien noch dabei, systematisch das Land zu vernichten. Um vorübergehend etwas mehr Gras für die Schafe zu gewinnen, wurden in Südaustralien die wertvollen alten Eucalyptuswälder »ring-barked«. In Brusthöhe wurde die Rinde entfernt und so der Baum getötet. War er trocken, so wurde er niedergebrannt. Von Melbourne über Sydney bis nach Brisbane (nahezu 2000 km) sieht der Reisende nur noch verkohlte Baumstümpfe. 

Man fragt sich: Fehlt da nicht etwas in der Seele des Menschen? Hat dieser Anschlag gegen das Leben eines Baumes, dieses Ringeln, um ihn langsam absterben und verdorren zu lassen, hat das nicht etwas Heimtückisches? Aber auch hier: Der eine macht es vor, und die anderen sind harmlose »Mitläufer«, wie sie in der ganzen Welt die Hauptmasse darstellen. Warum auch denken, wenn es vom anderen schon vorgedacht wurde.

Die Germanen verurteilten den Waldfrevler zu einem qualvollen Tod. Herausgenommene Darmschlingen wurden an einem Baum angenagelt, und dann wurde der Delinquent um den Baum herumgetrieben, bis er zusammenbrach. Der Wald war unseren Vorfahren heilig.

Der »Tag des Baumes«! Welch feierliche und schöne Zeremonie. Am selben Tag aber wird das Todesurteil unterschrieben für die letzten Baumbestände, die dem Städter in nächster Umgebung Erholung bieten können. Bald werden wir von Stadtvätern eingeladen zum »Tag des letzten Baumes«.

Möge bei uns ein Vorgehen, wie es in Schulen in Holstein aufgekommen ist und in Bayern schon durchgeführt wird, recht eifrige Nachahmung finden. Dort werden Schulkinder nicht einfach für Arbeiten in Schonungen herangezogen, sondern jede Gruppe erhält eine Parzelle zugeteilt, die nun zu »ihrer« Parzelle wird, und die Bäumchen werden zu »ihren« Bäumen


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heranwachsen. Von solchen Kindern darf man erwarten, daß sie den Wald lieben, pflegen und erhalten, sie werden nie in ihrem Leben Bäume ringeln, um Wälder zu vernichten. Man darf von solchen Kindern erhoffen, daß sie ihr Empfinden der Natur öffnen, daß sie befähigt werden, zu jedem einzelnen Baum ein Verhältnis zu gewinnen und daß sie es schließlich den Bäumen gleichtun und sich zu Persönlichkeiten entfalten. Das Sich-Entwickelnde wirkt immer stärker als das Vollendete. Besonders auf das Kind und den jungen Menschen.

Was nützt der Welt ihre auf Überbewertung der Ästhetik aufgebaute Kultur, wenn man nicht schon bei den Kindern die Schönheit des lebendigen Werdens und Gewordenen zum Klingen bringt? Bleibt da nicht alle Ästhetik tot? Denken wir an die Mahnung Goethes: »Daß wir uns durch das Anschauen einer immer schaffenden Natur zur geistigen Teilnahme an ihren Produktionen würdig machen.«

 

 

Wassernot und Wassersnot     

»Das erste aber ist das Wasser,
Besser als olympischer Sieg,
Besser als Gold.« 
Spruch der alten Griechen

In der Sahara gilt das Wort: Ständig leidet man Durst und lebt dauernd in der Angst zu ertrinken. Unter dem Wechsel zwischen katastrophalem Niederstwasser und Hochwasser, zwischen Wassernot und Wassersnot werden alle Länder mehr oder weniger zu leiden haben, wenn die Wasserwirtschaft nicht über die ganze Erde hin gegen dieses Schicksal mit allem Ernst angeht. Bedauerlicherweise muß dabei ein großer Teil ihrer Tätigkeit darin bestehen, wiedergutzumachen, was die Väter ahnungslos gesündigt haben.

Das wichtigste Gebot, das hierbei zu befolgen sein wird, lautet: Das Wasser ist bestmöglich zu konservieren. D. h. es ist alles zu tun, um den Wassertropfen möglichst lange im Lande zu behalten, statt ihn zum Meer hinabströmen zu lassen.

Damit wird auch die zweite Forderung, die zu stellen ist, im wesentlichen schon erfüllt: Es ist für eine möglichst gleichmäßige Wasserführung der Gewässer zu sorgen.

Ob diese Maßnahmen ausreichen werden, ist fraglich. Sie müssen aber mit Konsequenz auch dann durchgeführt werden, wenn außerdem noch


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großräumige Wasserverteilungspläne durchgeführt werden müssen. Doppelt soviel Menschen verbrauchen nur doppelt soviel Nahrung. Ganz anders beim Wasser. Nehmen wir hier noch den Wasserbedarf für die Industrie hinzu, so stellen wir fest, daß vielfach heute schon bis zu 8omal soviel verbraucht wird wie vor 70 Jahren. Im Ruhrgebiet entfallen vier Fünftel hiervon auf die Industrie — für die nächsten 30 Jahre rechnet man mit einer weiteren Steigerung um 50 bis 100%. Und da mit dem Verbrauch auch das verbrauchte Wasser zunimmt, so bleibt bei gleichbleibenden Niederschlägen eine immer geringere Menge von Trink- und Brauchwasser übrig. Etwa ab 1975 werden in US die Schwerindustrie und die Ölraffinerien zwei Drittel des gesamten zur Verfügung stehenden Wasservorrates für sich beanspruchen müssen.

»Wasser — Mangelware«; »Wasser kostbarer als Gold«; »Dürstende Erde«; »Brunnen versiegen« usw. — all diese beinahe täglich zu lesenden alarmierenden Überschriften in den Zeitungen und Zeitschriften sind keineswegs eine Konzession an den sensationslüsternen Leser. Sie haben bedauerlicherweise eine sehr reelle Grundlage. Wer aber sind die »sündigen Väter«, die uns in diese üble Lage versetzt haben? Es waren durchaus nicht allein die Wasserbauingenieure. Alle, die mit Wasser zu tun hatten, haben in gleicher Weise gefehlt. Man wollte nicht bemerken, daß man den eigenen Wohnsitz immer mehr entwertete, zumal man sich sagen durfte, daß die unheilvollen Auswirkungen erst die Enkelkinder treffen werden. Heute aber gibt es kein Ausweichen mehr; denn diese Enkelkinder sind wir selbst.

In allen Ländern sah man dasselbe Bild: Staat und Privatmann opferten den lokalen Vorteilen das Wohl des Ganzen.

Ein Grundwasserstrom, der bisher mehrere Jahre brauchte, um schließlich in einen Fluß einzumünden, wird jetzt immer wieder angeschnitten und abgefangen und dem Vorfluter zugeführt, so daß die Strecke von 20 oder 40 km jetzt in wenigen Stunden statt in vielen Jahren zurückgelegt wird. So werden die Niederschläge nicht mehr von aufsaugenden Schwämmen und im Grundwasser zurückgehalten. Dies bedingt Überschwemmung in den Bächen und fordert deren Regulierung und Begradigung. Ist diese im Oberlauf bei den Bächen durchgeführt, so wird sie ebenso dringlich für die Flüsse, sollen hier Katastrophen durch die schnell anstürzenden Wassermassen verhindert werden. Im Februar 1946 führte die Leine in Hannover ein Hochwasser von i9oom3/s. Damit überschritt sie das höchste Hochwasser aus früheren Zeiten um das Doppelte. Das radikale Dränieren und Anschneiden der Grundwasserströme führt somit dazu, daß 1. das Wasser statt in Monaten und Jahren bereits in Stunden abfließt und


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2. Katastrophenhochwasser und Niederstwasser miteinander abwechseln, d. h. daß die Wasserführung möglichst ungleich wird. — Die beiden Gebote der biologischen Wasserwirtschaft sind somit hier mißachtet. Es ist die Tat der Vernichtung des Grundwassers durch Entwalden und Dränieren, die fortzeugend Böses muß gebären. — Heute schreibt J. Krauß (Oberste Baubehörde Bayerns): »Auf das Jahrhundert der Abflußbeschleunigung muß das Jahrhundert der Abflußverzögerung folgen.«

Nun aber zu einem schwerwiegenden Einwand, der zeigt, in welch fataler Lage sich die immer stärker anwachsende Menschheit befindet. Sie verlangt nach Nahrung und somit nach rationellster Ausnutzung des Bodens. Zu hoher Grundwasserstand und stagnierende, stauende Nässe machen schwere Böden unfruchtbar. Ohne Dränung läßt sich hier nicht wirtschaften. Diese aber führt und soll ja auch hier führen zur Grundwassersenkung und zu schnellerem Abfluß des Wassers. Sie verstößt gegen die oben ausgesprochene Grundregel. Sie schickt das Wasser schneller fort und läßt den Abfluß ungleich werden. Diese mancherorts erzwungene Schädigung kann man oft ganz erheblich dadurch mildern, daß man mit der Entwässerung eine regulierbare Bewässerung verbindet.

Mit Wassernot und Wassersnot mußten die Menschen immer schon rechnen. Es waren seltene Katastrophen; und sie traten nur in vereinzelten Länderstrichen auf. Heute werden sie immer mehr zur ständigen Erscheinung und zu Kalamitäten, die nahezu alle Länder der Erde heimsuchen.

Daß der Ingenieur die Welt der Maschinen, der überdimensionierten Ungeheuer erfunden und uns aufgezwungen hat, vor der wir und er selbst mit gelindem Schauder stehen, sei ihm bewundernd verziehen — er kann nichts dafür. Es hat in ihm, in dem faustischen Menschen, erfunden. Daß er in der Welt das Unterste nach oben kehrt, wie ein Regenwurm aus der Tiefe des Bodens das Fruchtbare herausholt, und dem Acker Kali und Phosphor schenkt, sei ihm gedankt. Er wollte nützlich sein wie der Regenwurm. Anders aber, als er ohne innere Notwendigkeit einst auf die Idee kam, die Wasserbehälter, die Ausgleichsbecken und Grundwasserströme zu zerstören, wodurch er die entwässerten Moore zu den schlimmsten Frostlöchern machte. Die Schiffahrt und der Fischer und alle die anderen, die Industrien, Gemeinden und Bauern, die an einem Fluß oder Bach sitzen und von ihm abhängig sind, sie alle wünschen sich, daß das Wasser das ganze Jahr über möglichst gleichmäßig ströme. Der Zerstörer der Ausgleichbecken hat das Gegenteil bewirkt.

Aber die Schuld der Ingenieure war in gleicher Weise unser aller Schuld. Jene sind nur der gesteigerte Ausdruck unserer Zivilisation.


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Wie ein grausiges Protokoll, in dem es um Wohl und Weh, um Tod und Leben von Hunderttausenden geht, liest sich ein Bericht vom Jahre 1952:

»Graubraune Fluten wälzen sich bedrohlich in den Flußbetten des Missouri, des Ohio und des Mississippi. Wo sie sich vereinigen, in St. Louis und weiter südlich inCairo, klettert der Pegel von Stunde zu Stunde hoher. In den Städten heulen die Sirenen, und auf dem Lande läuten die Kirchenglocken die Farmer zusammen.«

»Staatsfeind Nr. 1, der Mississippi. Überschwemmung bedroht wieder einmal das technisch hochstehendste Land der Erde, Amerika. Für die Bewohner von Dakota, Minnesota, Nebraska und Iowa ist der Krieg ausgebrochen. Im Kampf gegen die gurgelnden Fluten ist die ganze Bevölkerung aufgerufen, Tausende von Zivilisten und Soldaten arbeiten fieberhaft Tag und Nacht, um die Dämme zu verstärken und zu erhöhen.«

»Rücksichtslose Abholzung ist schuld an den Überschwemmungen."

Staatsfeind Nr. 1! Man fragt sich, wer ist dieser Staatsfeind? Der Fluß, den der Mensch gezwungen hat, Verheerungen über das Land zu bringen? Oder ist dieser Staatsfeind der Mensch selbst?

Erst setzt man die günstigsten Bedingungen für Hochwasserbildung. Dann versucht man sich zu schützen durch immer höhere Dämme. Sobald aber die Fließgeschwindigkeit eines Flusses unter ein bestimmtes Maß sinkt, wird die Schleppkraft des Wassers so gemindert, daß nun das in gesteigertem Maße anfallende Geschiebe liegenbleibt und hier die Flußsohle auffüllt. Die Dämme müssen daher weiter erhöht werden, und schließlich fließt der Fluß mehrere Meter (Mississippi, Po, Hwangho 7 m) über dem umgebenden Land dahin. Wehe, wenn jetzt ein Dammbruch erfolgt. Dann schüttet das Flußbett alle Wassermassen über die Ebene aus. So ertranken 1887 bei einer Flutwelle des Hwangho über eine Million Menschen.

Überhöhung des Flußbettes als Folge der Ablagerung von Sedimenten bei geringer Wassergeschwindigkeit und Eintiefung bei Geschwindigkeitssteigerung infolge von Regulierungen, Begradigungen und Steigerung der Hochwasser; beide Extreme durch den Menschen verursacht. Wo es auch ist, meist treiben unsachgemäße Eingriffe in die Natur zu extremen Reaktionen. »Eintief ung«, das ist ein Wort, das noch nicht Allgemeingut geworden ist, jedenfalls noch nicht in dem Maße, wie Versteppung und Verwüstung, obwohl hieran häufig die Eintiefung die Schuld trägt. Verkürzung des begradigten Flußlaufes, infolgedessen Steigerung der Fließgeschwindigkeit, dazu Steigerung der Hochwasser, dies alles läßt den Bach und Fluß immer mehr durch Abhobeln der Sohle in die Tiefe sinken, zumal das mitgeführte Geröll die Wirkung des Wassers noch erheblich unterstützt.


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Etwa 2 Millimeter zählte innerhalb von je io Jahren die Eintiefung der mitteleuropäischen Flüsse, bevor sie die Herrschaft des Lineals verspürten; nach Metern berechnet sich die Eintiefung heute.

Die Donau wurde durch Regulierung auf bayerischem Gebiet um j6 km kürzer, die Geschwindigkeit entsprechend erhöht. Die Eintiefung beträgt in io Jahren jetzt 15 cm. Mit dem Flußbett sinkt aber auch der Grundwasserspiegel in der anschließenden Ebene immer mehr. Starke Anzeichen der Versteppung sind bereits vorhanden: die Konsequenz des Dränierens und Entwässerns. Der Gewinn, der im Oberlauf Millionen bringt, muß in der Ebene und bei Katastrophenhochwasser mit Milliarden bezahlt werden. (Tafelbild 5 und 6.)

Die Begradigung des Rheines von Basel bis Mannheim, die Tulla vor 130 Jahren durchführte, hat den Flußlauf um 80km gekürzt. Alle Seitenarme und Altwässer wurden abgeschnitten, der Querschnitt des Flusses zu stark eingeengt. Damit war der Rheinstrom gebändigt, die Fischerei aufs schwerste geschädigt, und die Fruchtbarkeit der damals geradezu üppigen Rheinebene sank nun seit 1850 erheblich von Jahr zu Jahr. Die Preuß. Oberbau-Deputation hatte schon 1826 in einem Gutachten auf die drohende Ausdörrung des Ufergeländes hingewiesen. Sie behielt recht. Es kam auch so. Der Strom grub sich immer tiefer ein (oberhalb Breisach bis zu 7 m) und saugte jetzt in den anschließenden Ebenen das Grundwasser immer stärker ab. Das war die erste Attacke gegen die Rheinebene.

Als man vor 20 Jahren mit dem Bau des Rheinkanals unterhalb Basel begann, wurde prophezeit, daß bald der Sanddorn in der badischen und elsässischen versteppten Rheinebene die Obstbäume verdrängen werde. Von anderer Seite wurden diese Unheilspropheten als übertreibende Pessimisten bezeichnet. Heute schon muß jeder zugeben, daß es eine Utopie war, vom Aufkommen des Sanddorns in manchen Teilen der rheinischen Ebene zu reden. Wohl gingen die Obstbäume zugrunde (Neuenburg hat noch vor dem 1. Weltkrieg jährlich bis zu 25 Waggons Zwetschgen zum Versand gebracht; heute müssen die Neuenburger ihren eigenen Bedarf von auswärts beziehen), und der Sanddorn kam. Aber er ist an manchen Stellen bereits wieder dabei zu gehen und bleibt nur da, wo er »pfleglich« behandelt wird, da selbst diese anspruchslose Pflanze nicht mehr die für ihre Existenz nötigen Bedingungen findet.

Durch den Kanal sinkt der Wasserspiegel des Rheines, dem bei Niederwasser nur 10 m3/s Wasser zugestanden werden,1) um weitere 2 m bis 4 m. In gleicher Weise sinkt das Grundwasser der Rheinebene. Dies bedingt fortschreitende Versteppung und weitere Verwüstung. Heute wird die

* Jetzt 50 m 3 /sec.


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Grundwassersenkung bereits bis an die Schwarzwaldhänge verspürt. Brunnen, die die Römer in der oberrheinischen Tiefebene angelegt hatten, liegen heute trocken, obwohl sie auf 15m Tiefe hinabgehen. Rechtsrheinisch bestehen schon 3000 ha »staatlich anerkannte« Wüste. Das französische Hohe Kommissariat erachtet im Elsaß bereits 80.000 ha für geschädigt. Wenn der Kanal vollständig ausgebaut sein wird, werden auf badischer Seite 70 Stadt- und Dorfgemeinden, im ganzen 300 qkm, schwer betroffen sein.1) (Tafelbild 9.)

In den letzten 15 Jahren entstanden 24 finanzschwachen Gemeinden südlich des Kaiserstuhls Schäden an der Landwirtschaft, am Forst und an der Fischerei in der Gesamthöhe von 105 Millionen DM.

Um eine weitere Eintiefung zu verhindern, hat man neuerdings den Versuch gemacht, das tief eingeschnittene Bett des Rheines unterhalb Basel zu pflastern. Man akzeptiert die Absenkung des Flußbettes auf 8-10 m, und man akzeptiert die Vernichtung der Rheinebene, des linken wie des rechten Teiles derselben.

Bei Ruhrort hat sich der Rhein in den letzten 28 Jahren um 1 m, seit der Jahrhundertwende um rund 2 m eingetieft. Weitere Absenkung des Flußbettes um nochmals 2 m ist zu erwarten. Hauptursache ist die künstliche Verengung des Flußbettes.

In Duisburg wird der Unterschied zwischen Rheinsohle und der Sohle des Hafens immer größer. Ein tieferes Ausbaggern des Hafens ist unmöglich, weil die Fundamente der Mauern unterhöhlt würden. Nun hat man einen kühnen Plan: Man will die Kohlenfelder, die unter den Hafenanlagen liegen und bisher als »Sicherheitsfelder« galten, abbauen. Davon verspricht man sich, daß sich das gesamte Hafengebiet langsam innerhalb von Jahren senkt und so die Differenz zum Rhein aufgehoben wird. (Abbildung 2.)

Man ist sich klar darüber, daß während der Absenkung der Stadt und ihres Hafens viele Gebäude leiden werden, daß mancherlei Überraschungen täglich auf dem Güterbahnhof möglich sind und daß die Ruhr ständig in den Rhein übergepumpt werden muß, damit die Stadt Duisburg nicht in einem See ertrinkt. Man muß damit rechnen, daß in den nächsten Jahrzehnten auch die weiter oben liegenden Häfen in gleicher Weise von der schnellen Eintiefung des Rheinbettes betroffen werden. 

1) Es ist modern geworden, das Wort Versteppung als Übertreibung abzulehnen. Die typische Steppenflora kümmert sich aber um solche Vogel-Strauß-Optimisten nicht und verdrängt immer mehr die normale Flora. Es ist üblich geworden, die Wasserverknappung zu bagatellisieren, obwohl in den USA schon mehr als 80 Prozent der Einwohner auf Trinkwasser angewiesen sind, das aus verunreinigtem Wasser gewonnen werden muß. Württemberg ist groß und hat viele Flüsse und Bäche aufzuweisen, und doch holt Stuttgart teures Trinkwasser aus dem Bodensee. Warum wohl?


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Seit der Regulierung des Lechs hat sich das Grundwasser infolge der Eintiefung des Flusses so stark gesenkt (5 m), daß die Flußebene versteppt. Die Wertach hat sich stellenweise 10 m eingetieft. Und da das Grundwasser folgte, sind die Auenwälder zugrunde gegangen. Man könnte in beliebiger Zahl weitere Beispiele aufführen, ja man kann sagen, daß heute schon nur noch wenige Flüsse vorhanden sind, die man nicht nennen könnte.

Überall ist das Flußwasser in Werkkanäle abgefangen und so der Fluß trockengelegt worden. Um so schneller verblutet sich das umgebende Gelände in das leere Flußbett hinein, und um so intensiver vermag das dem ausgetrockneten Bett zugemutete Hochwasser die Sohle auszugraben und einzutiefen.

»Je länger ein Land bewohnt wird, desto wald- und wasserärmer ist es.« Wenn dieser Ausspruch eines Franzosen auch weiterhin wahr bleibt, dann bedeutet dies das Todesurteil für die Menschheit, zu vollstrecken in 100 Jahren. Sind wir nicht schon am Beginn der Katastrophe: Zahlreiche Städte können keine Industrie und keine Einwohner mehr aufnehmen, weil es an Wasser fehlt. Überall entbrennt unter den Städten und zwischen diesen und der Industrie der Kampf ums Wasser. Die Wirtschaft hat schon bald keine Entwicklungsmöglichkeit mehr aus Wassermangel. Pallasch und Clodius (Bundesregierung) schreiben 1951: »Wir sind an einem Tiefstand der Wasserversorgung angelangt, der befürchten läßt, daß in Kürze durch Wassermangel jede weitere Entwicklung unserer Wirtschaft gehemmt wird.« Soll man darauf vertrauen, daß der Mensch bald so weit sein wird, künstlich Regen zu erzeugen? Das hieße sich in das vorgezeichnete Schicksal fügen. Denn man wird immer nur regnen lassen können, wenn regenschwangere Wolken da sind. Diese aber aus Nichts zu erzeugen, wäre Zau-


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berei. Das Regenmachen wird immer nur von lokaler Bedeutung sein. Die Wolke, die man dem einen schenkt, nimmt man bei geringem Feuchtigkeitsgehalt der Luft dem anderen weg. 4% der vorhandenen Feuchtigkeit können den Wolken entnommen werden.

Der Mensch versucht das Wetter zu beherrschen. Und doch, noch nie war es so unbeherrscht wie heute.

Neuerdings wird man mit einer sehr trostreichen Lösung des Kapitels Wassernot bekannt gemacht. Es ist in einfacher Weise gelungen, Meerwasser zu entsalzen. »Der salzige Ozean ist besiegt.« Der Sieg geht aber nicht über Tausende und Hunderttausende von m3/s, sondern über Mengen, die vorderhand nur lokal von Bedeutung sind. Die sehr reiche Stadt Koweit, am Persischen Golf gelegen, versorgt seine 200 000 Einwohner mit entsalztem Meerwasser; ebenso die Insel Aruba (8000 m3 im Tag). Curacao folgt bald nach. Man hofft, 20 Liter trinkbaren Meerwassers für 1 bis 2 Pfennig herstellen zu können. Gelingt es hier, wesentliche Fortschritte zu machen, so könnten im gleichen Arbeitsgang wertvolle Spurenstoffe gewonnen werden. Bei der schnellen Erschöpfung der verschiedenen Lager unserer Erde innerhalb von 50 und 100 Jahren wird das Meer für die Gewinnung mancher Stoffe die letzte Quelle darstellen.

Was soll nun aber geschehen? Die Dränagen wieder vernichten, die Bäche und Flüsse verwildern lassen, in der Hoffnung, daß dann von selbst ein gesundes Gleichgewicht sich wieder einstellt?

Und der Wald? Er würde allerdings in seiner früheren Ausdehnung nicht wieder aufgeforstet werden können. Nein — dieser Weg ist nicht gangbar. Es geht nicht um die Alternative, wieder kehrtzumachen oder eine weitere Steigerung der Eintiefungen mit all ihren schlimmen Folgen in Kauf zu nehmen.

Der Ingenieur kann den Fluß bändigen, ohne seine Geschwindigkeit zu steigern. Er kann Staue anlegen, die den Pegel halten, die das Wasser —falls es sich um größere Staue handelt — langsamer und gleichmäßiger abfließen lassen, die die Schiffahrt erleichtern, Elektrizität gewinnen lassen und die auch der Fischerei eher nützen als schaden. Staue werden somit zumeist sich eindeutig segensreich auswirken. Die Umwandlung unserer nun mal begradigten Flüsse in eine Reihe von Stauen wird daher die Flußebenen vor den Folgen einer übertriebenen, z.T. erzwungenen Tendenz, Acker, Wiesen und Moore zu dränieren, retten können. Die Wucht des Gebirgsbaches wird durch den Einbau von Stufen gebrochen.

Die oberirdischen Staue können noch durch unterirdische Betonschürzen ergänzt werden. Sie bedeuten das Gegenteil vom Anschneiden und Zerstören des Grundwasserstromes. Von besonderer Bedeutung aber werden die großen Speicherseen werden, die imstande sind, auch die höchsten Hochwasser aufzufangen und sie gleichmäßig über das Jahr zu verteilen.


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In USA ist es gelungen, durch Aufforsten und durch Anlegen von Speicherseen die Überschwemmungen im Mündungsgebiet des Yazoo River in den Mississippi ganz zu beheben und den Abfluß erheblich gleichmäßiger zu gestalten.

Die Aufgaben, die dem Ingenieur gestellt sind, fordern größte Umsicht. Was nützt ein Ausgleichbecken, das bald mit Geschiebe und Humus angefüllt ist? In vielen Gegenden mit intensivem Ackerbau haben Speicherseen nur Sinn, wenn gleichzeitig durch Wasser verursachte Erosionen behoben werden. Versuche im Tennesseegebiet haben ergeben, daß auf geneigtem Gelände von einem unbestellten Acker pro ha 200 Tonnen Boden im Jahr fortgespült werden, von einer gleichgroßen Fläche, die dicht mit Gras oder mit Getreide bewachsen ist, nur eine Tonne. Andere, in Texas durchgeführte Versuche lehrten, daß sich der Humusverlust durch Erosion im Wald zu dem in einem Baumwollfeld verhält wie 1:4000, aber auch bis 1:30000. Bei sanft geneigtem Acker führt ein Liter Wasser nach starkem Regen 8-10 Prozent feste Bestandteile mit sich.

Die Behandlung der Hänge entscheidet also, ob Staue und Wasserspeicher verschlammt werden oder nicht, ob sie nützen können oder nicht. Der Ingenieur kann keine Rettung bringen, wenn der Bauer seinen Acker am Hang falsch anlegt. Für ihn lautet die Forderung, daß er alles tut, um die Niederschläge an Ort und Stelle zur Versickerung zu bringen.

Bei Flurbereinigung ist sehr darauf zu achten, daß der Bauer die Möglichkeit gewinnt, seinen Acker hangparallel anzulegen.

Hieraus ist die zwingende Forderung abzuleiten: Die umsichtige, vorausschauende Wasserwirtschaft hat nicht erst im Bach und Fluß einzusetzen, sondern schon im Niederschlagsgebiet. Die Behandlung des Ackers am Hang ist entscheidend. Der Bauer also muß den Anfang machen. Laufen die Furchen von oben nach unten, dann fließt das Wasser schnell ab und reißt viel Humus mit. Überschwemmungen und schnelle Auffüllung der Staue mit Humus sind die Folgen. Quer verlaufende Ackerfurchen dagegen führen zu einer Anreicherung des Grundwassers. Hier Segen, dort Un-segen. Der Bauer hat des Volkes Schicksal in der Hand. (Tafelbild 10, 11.) 


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        Grundwasser, das Blut unseres Planeten    

 

Es ist üblich geworden, sich gegenseitig Grundwasser zu stehlen. Die Richter haben öfter damit zu tun. Daraus schon muß man schließen, daß es sich um einen begehrenswerten, um einen raren Artikel handelt. Aber das Grundwasser ist noch sehr viel mehr als das. Man kann es als das Blut unseres Planeten bezeichnen. Wo es fehlt, schwindet das Leben. Somit wird die Behandlung des Grundwassers zum Barometer für das Maß der Verantwortung, das wir unseren Enkeln gegenüber fühlen. Immer tiefer sinkt dieses Barometer in der ganzen Welt mit wachsender Zivilisation.

Daß man auch das Grundwasser bewirtschaften kann und muß, daß man auf die Dauer nicht beliebige Mengen Wasser dem Boden entnehmen kann, daß Grundwasserbecken auslaufen können und erst innerhalb großer Zeiträume — abhängig von Stärke und Geschwindigkeit des Grundwasserstromes — sich wieder regenerieren, auf all dies wurde man erst richtig aufmerksam, als das Grundwasser selten zu werden begann. »Was kann das Grundwasser liefern?«, so fragte man früher. Heute ist man vorsichtiger geworden und fragt: »Was kann es dauernd liefern?« Hat man doch schon recht unerfreuliche Erfahrungen infolge Oberbewirtschaftung von Grundwasserströmen gemacht.

Durchschnittlich sickern zum mindesten 15 Prozent (bis zu 30 Prozent) des Regens in das Grundwasser; das übrige wird z.T. von den Pflanzen aufgenommen und im Transpirationsstrom wieder an die Luft als Wasserdampf abgegeben, z.T. verdunstet es schon vor dem Einsickern und auch später aus offenen Gerinnen.

Das Grundwasser tritt schließlich in Quellen und in Wasserläufen aus. Die Geschwindigkeit des Grundwassers hängt vor allem von der Neigung und von dem Porenlumen der Gesteinsschicht ab. Je feiner dieses ist, um so langsamer fließt das Grundwasser, und um so stärker kann sein Spiegel geneigt sein. Die Geschwindigkeiten liegen zwischen o m (stehendes Grundwasser) und etwa 8 km im Tag.

Entscheidend, insbesondere in niederschlagsarmen Gegenden, für die Fruchtbarkeit des Landes ist die wasserhaltende Kraft des Bodens und die Tiefe, in der der Grundwasserstrom dahinzieht. 3 bis 30 m unter der Oberfläche kann bei uns als normal angesehen werden; Wüsten entstehen, wenn er sehr tief liegt (bis zu 300 m und mehr) und dazu die Niederschläge gering sind. Im Westen der Vereinigten Staaten (Colorado, Mohavewüste) findet man ihn in 1000 m Tiefe. Das Grundwasser stellt die Reserve dar, die der Pflanze über große Hitzeperioden hinweghelfen kann. Die Gefahr besteht für die Pflanze weniger in dem Ausbleiben von Regen während der heißesten Jahreszeit als darin, daß sie bei Sonnenschein stark assimilieren muß und daß dies zu einer Uberhitzung und Verbrennung der Pflanze führt, wenn sie sich nicht durch einen lebhaften Transpirationsstrom Abkühlung verschaffen kann. Während eine Birke an einem trüben,


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mäßig warmen Sommertag 8 bis 10 Liter pro Tag veratmet, steigt die benötigte Wassermenge an heißen, sonnigen Tagen auf 400 Liter pro Tag. Eine mittelgroße Ulme verdunstet p. d. $000 bis 7000 Liter.

Diese erzwungene Steigerung um das 4ofache ist nur möglich, wenn die Pflanze an die kostbaren Wasserreserven im Boden, an das Grundwasser, herankommt. 1 kg Grünlandtrockensubstanz braucht 800 Liter Wasser, d.h. also während der Vegetationsperiode 400 bis joomm Niederschlag abzüglich dessen, was das Grundwasser dazu liefert. Da aber 400 bis 500 mm Niederschlag während Frühjahr und Sommer nur im Gebirge erreicht werden, so erhellt daraus, daß auch für die Grünlandwirtschaft das Grundwasser von einschneidender Bedeutung ist. Viele Pflanzen haben sich an ein tiefliegendes Grundwasser angepaßt. Sie senden Wurzelfäden, die sich nicht verzweigen, mehrere Meter tief in den Boden (Wüstengräser und Tamarisken, die in der Wüste strauchartig wachsen, bis zu 30 m, Palmen bis 50m tief). Dabei ist das Entscheidende nicht, daß die Wurzeln das Grundwasser selber erreichen — viele meiden es sogar wegen der Sauerstoffarmut, denn die Wurzel braucht Sauerstoff. 1 qm bewachsener Boden entnimmt p. d. der Luft zwei Liter, im August bis zu 26 Liter Sauerstoff. Entscheidend ist, daß die Wurzeln an das über dem Grundwasser stehende Kapillarwasser und an das über diesem sich befindende Haftwasser herankommen. Diese beiden Wasserschichten aber sind von der Höhe des Grundwasserspiegels abhängig; alle drei Schichten können zusammen als Grundwasser im weiteren Sinne bezeichnet werden.

Wie weit sich das Grundwasser durch das darüber sich bildende Kapillar- und Haftwasser auf die Flora auszuwirken vermag, hängt von der Gesteinsschicht ab. Bei humusreichem Boden einige Meter. Im Rheintal unterhalb Basel liegen die Verhältnisse besonders ungünstig. Dem trockengelegten Rhein werden im wesentlichen nur die Hochwasser zugeleitet. Die dadurch entstehenden enormen Pegelschwankungen bedingen, daß das Grundwasser der Rheinebene allen Feinsand in den Fluß abschwemmt. Dadurch werden hier Kapillarwasser und Haftwasser auf ein Minimum reduziert. Die Folge davon ist, daß schon bei 7 m Grundwasserstand die Steppe entsteht.

Sinkt das Grundwasser, so verschwinden die Huminsäure und damit auch die von ihr festgehaltenen Stoffe. Dies aber ist gleichbedeutend mit einer Entwertung des Humus durch Minderung oder Vernichtung des Grundwassers. Auch bei dem Dränieren der Moore ist dies von großer Bedeutung; auch beim Moor und Torf macht sich infolge Trockenlegung eine ungünstige Veränderung bemerkbar. Sie verlieren ihren kolloidalen Charakter; sie werden schwer benetzbar; sie saugen Niederschläge nicht auf, sondern lassen sie augenblicklich bis auf das Niveau der Dränageröhren durchfallen.


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Die Bäche und Flüsse sind nicht deshalb im Sommer so niedrig, weil die Niederschläge um so viel geringer wären, sondern weil der Transpirationsstrom der Pflanzen und die direkte Verdunstung mit steigender Temperatur so erheblich zunehmen müssen. Wenn der Nil im Jahresdurchschnitt — also nicht nur zur Zeit der Bewässerungen — nur 2,7 Prozent seiner ganzen Wassermassen ans Mittelmeer abgibt und 97,3 Prozent verdunsten, so mag dies den Einfluß der heißen Tage illustrieren.

Die Wolken, die über uns hinwegziehen, und die, die als Regen niedergehen, sind nicht nur ein Geschenk ferner Gegenden und des Meeres. Wenn ein Hektar Fichten- oder Buchenwald im Sommer täglich durchschnittlich bis 50.000 Liter Wasser veratmet, wenn eine feuchte Wiese im Sommer täglich 130.000 bis 150.000 Liter Wasser pro Hektar an die Luft verdunstet, dräniertes Gelände aber nur einen Bruchteil davon (je nach Bebauung), so mag man wohl erkennen, daß die Vegetation des Landes sein Klima ganz wesentlich mitbestimmt. Und da die Gefahrenperiode für Baum und Strauch in den heißen Sommertagen liegt, hier aber die Grundwasserreserven entscheidend werden, so mag man ersehen, daß das Grundwasser bestimmt, welchen Anteil das Land selbst durch seine Vegetation zu seinem Klima liefert.

In Mitteleuropa ist es also nicht primär das Klima, das die Versteppung heraufbeschwört, sondern das überall abgesenkte und verringerte Grundwasser. Erst die hierdurch entstandene Steppenflora, die ein Minimum von Wasser abgibt, muß nun auch noch das Klima zum ungünstigen wenden und so die Wüste vorbereiten.

Der Bedarf an Grundwasser steigt, und der Pegel desselben sinkt. Er sinkt überall, wo die Hand des Menschen in die Natur eingreift: in der Freisinger Ebene seit 1933 von 2m auf um Tiefe; in der Wertachebene um 10 m. Es läßt sich kaum noch ein Bach oder Fluß finden, in dessen Umgebung das Grundwasser nicht stark gefallen wäre. Siedeln ist meist identisch mit Vernichtung der natürlichen Wasserspeicher. Die Schüttung der Brunnen geht bedrohlich zurück. In manchen Gegenden sind sie völlig versiegt, und die Bauern müssen in Odelfässern ihr Trink- und Brauchwasser mühsam im Tal holen. In der Rheinebene unterhalb Basel sank der Pegel des Grundwassers zugleich mit dem des Rheines um nahezu 10 m (bei Kembs bis 20 m), ebenso im Oderbruch. In Sachsen-Anhalt steht das Grundwasser stellenweise auf 80 m Tiefe, früher auf 1,5 m. Wälder mußten sterben infolge zu hohen Grundwasserverbrauchs durch die Industrie.


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Die Stadt Mexiko ist von 500.000 Einwohnern im Jahre 1900 auf 4 ½ Millionen angewachsen, und das Grundwasser ist von nahezu 0 m auf 70 m gefallen. Nun senkt sich der an sich nicht gute Baugrund, die Gebäude gehen aus den Fugen, die Zu- und Ableitungsrohre des Wassers und Abwassers ändern die Gefällsrichtung und brechen. Man hat Mangel an Wasser und läuft dabei Gefahr zu versumpfen im eigenen Abwasser. Auch hier rächt sich der Raubbau am Wald der ganzen Umgebung, der zu Überschwemmungen führte. Nun senkte man das Grundwasser (Ableitung nach Norden, 1920) und überforderte es zugleich (Kahr). Heute leidet die baumlose Ebene auch unter Staubstürmen, die die Straßen der Stadt bisweilen so verdunkelten, daß die Autos bei Tag nur mit Scheinwerfer fahren. Das Unheil begann, als man die Axt an den Baum legte.

Wie eine gewaltige Dränage wirkte sich der Bau des 9 m tiefen Nordostseekanals in den höher gelegenen Gebieten aus. Bis auf 8 km Entfernung senkte sich der Grundwasserspiegel. Die stärkste Absenkung erreichte 20 m. Ähnlich wirkte sich der Mittellandkanal aus. 

In Baltimore hat sich das Grundwasser seit 1916 um 45 m gesenkt. Im Santa-Clara-Tal, unweit des Sacramento, wurden seit 1890 Hunderte von artesischen Brunnen erbohrt. Das Grundwasser vermochte diesen Anforderungen auf die Dauer nicht zu genügen. Erste Warnung war: Die artesischen Brunnen hörten auf, artesisch zu sein. Aber man wollte nicht hören, wendete Gewalt an, und pumpte. Der Grundwasserspiegel sank bedenklich, bis zu 2 m im Jahr! Allmählich ließ auch die gepumpte Wassermenge nach. Aber man pumpte weiter, und man förderte im untersten Teil des Tales Salzwasser. In das leergelaufene Grundwasserbecken war nun Meerwasser eingedrungen. 

Auch in Holland ist das über dem Salzwasser lagernde Süßwasser-Grundwasser bereits verbraucht worden. In kleinerem Ausmaße erlebt man dasselbe in Schleswig-Holstein. Auch hier hat die schnell angewachsene Einwohnerschaft und die Industrie dem Grundwasser zu viel abverlangt; und auch hier wird statt Süßwasser vielerorts Meerwasser gefördert. 10 km landeinwärts entstehen bereits Salzpfannen. Die Errichtung gewaltiger Speicherseen wird auch in Holstein die einzige Rettung sein.

Heute schon reicht das Grundwasser, das, aus tieferen Schichten kommend, bakterienfrei ist, bei weitem nicht mehr aus, um den Bedarf des Menschen an Trinkwasser zu decken. Mehr als 50 Prozent werden bereits dem Fluß- und Seewasser entnommen - in USA schon 75 Prozent -, und diese Prozentzahlen wachsen von Tag zu Tag. Im Ruhrgebiet und im Weißelstergebiet - und viele andere Gebiete werden nachfolgen - trinken 90 Prozent der Bevölkerung künstlich hergestelltes Grundwasser, das oft mehrfach schon den menschlichen Körper passiert hat. 


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Man trinkt damit auch Viren, für die bisher weder ein im großen befriedigend wirkender Filter noch eine sichere Inaktivierung durch Zusatz von Stoffen gefunden wurde, die im Trinkwasser erträglich sind. Zusatz von Chlor in normalen Grenzen ist kein sicherer Schutz. Schließlich werden in solchem Wasser auch Hormone dem Körper zugeführt, die ein anderer ausgeschieden hat. Einige von ihnen behalten ihre Wirkung auch, nachdem sie Magen, Darm und Leber passiert haben (Schilddrüsenhormon, Insulin). Zur Unappetitlichkeit kommt hier noch die Möglichkeit einer Schädigung, die besonders dann gegeben ist, wenn dauernd kleinste ungechlorte Gaben zugeführt werden.

Früher durfte ein Trinkwasser auch seiner Herkunft nach nicht unappetitlich erscheinen. Dieses Reichsgesetz ist durch die Not außer Kraft gesetzt. Auch hier wieder zeigt sich das Doppelgesicht der Zivilisation: Der Mensch wird heute hygienischer, oft zu hygienisch und zu aseptisch aufgezogen; auf der anderen Seite muß über berechtigte hygienische Bedenken und über peinliche Empfindungen hinweggegangen werden. Unsere Seen befinden sich schon vielfach in einem Zustand, der sie als Trinkwasserlieferanten bedenklich erscheinen läßt, da ihnen zu viel Abwasser zugeführt wird.

Der Bodensee, der in seinem nordwestlichen Teil (Überlinger See) noch rein ist, erfreut sich einer immer weitreichenderen Beliebtheit. Sein guter Ruf als Reinwasserbecken hat schon den Main überschritten. Bald wird man erkennen: Wenn es keinen Bodensee gäbe, so müßte man darauf sinnen, einen zu schaffen.

Früher, noch vor 50 Jahren, hatten unsere herrlichen Alpenseen nichts zu tun, als schön zu sein. Heute müssen sie von der Wasserwirtschaft eingespannt werden in die Rettungsaktion zur Beseitigung eines katastrophalen Mangels an Nutz- und Trinkwasser, zumal die natürlichen Wasserspeicher, die Gletscher, immer mehr schwinden. Heute haben sie vor allem sauber zu sein.

Was tut nun der Mensch, um das Grundwasser zu erhalten und anzureichern, was tut er, um es zu vernichten?

Dränieren und Entwalden ist gleichbedeutend mit Vernichtung des Grundwassers. Dazu kommt die Überbewirtschaftung desselben und da, wo es dem Menschen im Wege ist, die absichtliche Beseitigung. Das große Grundwasserbecken westlich von Köln, das nahezu doppelt soviel Wasser faßt wie der Starnberger See, wird in einem eigens hierfür angelegten Kanal in den Rhein gepumpt, um ein Kohlenbergwerk anlegen zu können. Die Erft könnte die 30 m3 pro Sekunde, die acht Jahre hindurch abgepumpt werden, nicht fassen. Die hierdurch bedingte Senkung des Grundwasserspiegels der ganzen Gegend bis auf 250 m wird vielleicht auch die bisher bestehende Trinkwasserversorgung der Stadt Köln gefährden. Auf alle Fälle muß man mit bedenklichen Störungen des hydrostatischen Drucks auch in fernliegenderen Gebieten rechnen. (Änderung der Richtung des Grundwasserstroms; Aufsteigen von Mineralwässern usw.) Man befürchtet, daß 2700 Quadratkilometer in Mitleidenschaft gezogen werden.


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Doch bedeutet auch die vom Menschen gesteigerte Ernte einen erheblichen Mehrverbrauch an Grundwasser. Eine Tonne Zuckerrübentrockensubstanz benötigt 580 Kubikmeter, ein Tonne Grünfutter 1100 Kubikmeter Wasser. Um 1 Kilogramm Pflanzentrockenmasse zu erzeugen, müssen 250 bis 1200 Liter Wasser aufgenommen und wieder verdunstet werden. Eine Mehrerzeugung an Nahrung scheitert somit schließlich am Wassermangel. Heute schon müssen wir es als ein besonders günstiges Geschick preisen, wenn in einem Jahr der optimale Wasserbedarf unserer Erde auch nur stellenweise erfüllt wird. Wir können unsere Erde schon deshalb nicht zum Treibhaus machen, weil das Wasser hierzu fehlt.

Zu der quantitativen Beeinträchtigung des Grundwassers durch den Menschen kommt noch eine qualitative Veränderung in Form von Verunreinigung. Bei hochliegendem Grundwasserspiegel und bei grobem Schotter können größere Kehrichtablagerungen bei starken Niederschlägen zu Verunreinigung des Grundwassers führen. Durch Versickerung von Abwässern häuslicher und gewerblicher Art und von Öl und Benzin kann das Grundwasser auf viele Jahre hinaus für menschlichen und tierischen Genuß unbrauchbar und für Pflanzen giftig werden.1)

Eine neue Gefahr droht. Die Speicherung von Gas geschieht, wenn es sich um gewaltige Quantitäten handelt, am billigsten unterirdisch in ehemals entleerten Erdgasfeldern, in Ölfeldern, aber auch in Kalibergwerken usw. Dabei rechnet man mit einem Verlust bis zu 50%. Dieses in die umgebende Erdschicht eindringende »Kissengas« kann mit der Zeit auch das Grundwasser erreichen und unbrauchbar machen. Bei Chikago hat man einen solchen Speicher von 50 km2 Ausdehnung errichtet.

Das Grundwasser hat einen Feind: die Zivilisation. Es hat aber auch einen Freund: wiederum die Zivilisation. Diese fordert Stauseen und Speicherseen, durch die der Grundwasserspiegel verhindert wird, abzusinken, und durch die zugleich das Wasser zu gleichmäßigerem Abfließen gezwungen wird. Die Flüsse werden schließlich in eine fortlaufende Kette von Stauseen verwandelt werden, nicht in erster Linie, um Energie zu gewinnen. Wenn heute durch Freimachen von Atomkräften alle Wasserwerke überflüssig würden, die Staue müßten bleiben und da, wo nicht besondere Naturschönheiten zu wahren sind, weiter ausgebaut werden, um die Bildung von Steppen und Wüsten zu verhindern. Immer aber muß der Ingenieur vorgehen wie der Chirurg, der bei jedem Eingriff die Gesundheit des ganzen Körpers zu fördern versucht. Tut man dies, dann wird Wasser zu Brot. Aber wehe, wenn die Natur darunter leidet und die Harmonie zerstört wird. Dann wird Brot zu Wasser.

Gewaltig sind die Vernichtungstaten, die der Mensch in den letzten 50 Jahren vollbrachte. Nur noch weitere 50 Jahre mit gleich imponierenden negativen Leistungen, und die Menschheit wäre am Ende. Das Tempo ist beängstigend. 

1) Im Bundesgebiet versickern jährlich etwa 2.500 Kubikmeter Öl und vernichten das Grundwasser.  

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Bändigt den Menschen: Ketten für Prometheus - Gegen die Natur oder mit ihr?  (1957) Professor Reinhard Demoll