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Teil 3      Die Welt unserer Enkel    Demoll-1957

  

247-266

 Falsche Propheten   

Es ist leicht, von falschen Propheten zu sprechen, wenn von zwei Seiten Zukunftsbilder entworfen werden, die einander direkt entgegen­gesetzt sind. Wie oft und besonders eindringlich in den letzten Dezennien wurden die Menschen beschworen, sich emsiger fortzupflanzen, damit das Volk - und jeder meinte damit sein Volk - nicht ausstirbt. Auf der anderen Seite hören wir genügend Propheten, die vor dem Unfug warnen, zu viel Kinder zu erzeugen auf dieser übervölkerten Erde, die dann doch nur zum Hungern verdammt sein werden.

Man ist gewohnt, daß den Kurven eine gewisse Gesetzmäßigkeit innewohnt, daß sie sich konstruieren lassen, wenn man nur einige Teile davon vor sich hat; daß man sie in die Zukunft verlängern kann, wenn man ihren Verlauf in der Vergangenheit bis heute festlegen kann. 

Will man der Frage nachgehen, wieviel Menschen es zur nächsten Jahrhundertwende auf unserem Planeten geben wird, wie viele davon in Europa, und weiter wie viele Germanen, Romanen, Slawen usw., so ist es erste Pflicht, den Kurven zu mißtrauen und jede Gesetzmäßigkeit zu leugnen. Und weiter, man muß sich vermessen vorkommen, wenn man die Fragen zu präzis stellt. Begnügen wir uns daher, aufzuzeigen, was nach der einen und was nach der anderen Richtung weist.

Dem allzu forschen Propheten sei gleich zu Anfang einiges zu bedenken gegeben. Zwei gewissenhafte Forscher: Stoddard und East, kamen hinsichtlich des jährlichen Zuwachses der verschiedenen Rassen zu folgenden Ergebnissen:

Jährlicher Zuwachs
pro 1000 Einwohner

Weiße 

Schwarze 

Gelbe 

Braune

nach East 

12,0 

 5,0 

3,0

 2,5

nach Stoddard 

 8,7

 17,5 

11,6 

11,6

Während East den Weißen die schnellste Vermehrung zuspricht (2½ mal so schnell wie den Schwarzen), kommt Stoddart zum entgegengesetzten Resultat (Schwarze doppelt so schnell wie Weiße).


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Und noch eine zweite Warnung für schwer bezähmbare Propheten. Etwa 1930 begann man sich in Polen Sorge zu machen, was man angesichts der rapid ansteig­enden Einwohner­zahl in den nächsten Dezennien mit der Überfülle von Menschen anfangen solle. Eine Kommission wurde beauftragt, in einigen Jahren Vorschläge zu unterbreiten. Sie war eifrig bei der Arbeit, als ihr 1937 das Statistische Amt in Warschau überraschend erklärte, daß die bisher stark ansteigende Kurve nun mit scharfem Knick abwärts führe und daß sich somit das ganze Problem verflüchtigt habe.

Kurven zu mißtrauen, dazu gehört Mut, und um so mehr Mut, je mehr das Denken bereits ein Leben lang sich in Kurven verstrickt hat. Läßt sich denn nicht die ganze Weltordnung in Kurven einfangen?! Die Kurve beherrscht alles. Beherrscht sie auch die Liebe? Auch dies wird bejaht. Und doch, wenn die Liebe eines Tages plötzlich abbricht, weil die Menschheit sich durch radioaktive Substanzen sterilisiert hat, wo bleibt dann die Macht und Konsequenz der Kurve?

Oder — gehen wir in die Vergangenheit zurück — welcher Mathematiker konnte in die stetig absinkende Geburtenkurve der Chinesen die Auswirkung der Lehre des Konfutse mit einkalkulieren, des einzigen, dem es bisher gelungen ist, schlagartig die Fortpflanzungsneigung eines Volkes in die Höhe zu treiben?

Das einzig Zwingende, was sich über das Auf und Ab der Fortpflanzungskurven sagen läßt, liegt in einer Modifikation eines alten Sprichwortes: Auch die Fortpflanzungs­kurven werden nicht in den Himmel wachsen. Aber auch vorher schon kann es zu einer Katastrophe infolge Übervölkerung kommen.

Aussterben der Menschheit, ebenso wie Überfüllung des Planeten, ist zunächst ein Problem der Quantität. Fortpflanzungswille und Fortpflanzungsfähigkeit sind die entscheidenden Faktoren. Mit ihnen haben wir uns zunächst zu beschäftigen.

 

Wenn sich auch die Liebe am wenigsten Kurven und Voraussagungen beugt, so wollen wir doch betrachten, wie die Kurve bis heute verlaufen ist, um zu erkennen, daß die Angst einer Überfüllung des Stalles, der sich Erde nennt, der Begründung nicht zu entbehren scheint.

Früher, und bis über das Mittelalter hinaus, vollzog sich die Vermehrung der Menschen sehr schleppend, obwohl der Fortpflanzungswille und die Fortpflanzungs­fähigkeit sicher nicht geringer waren als heute. Es kommt also noch ein dritter Faktor mitbestimmend hinzu: die Vernichtungsziffer, d.h. die Vernichtung der Säuglinge und Jugendlichen, die noch nicht zur Fortpflanzung gelangt sind.


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In früheren Zeiten nahm man es als eine Selbstverständlichkeit hin, daß jeder Vermehrung der Menschen alsbald ein Massensterben durch irgendeine Seuche folgte, die sich dann oft genug über ganz Europa hin verheerend auswirkte; so — um nur die bedeutungsvollsten zu nennen — die »Pest« des Antonin (165-180), die von Persien bis an den Rhein tobte. Man weiß nicht, welche Krankheit ihr zugrunde lag, man weiß nur, daß sie furchtbar wütete und ganze Dörfer und Städte völlig verödete. 251-266 ging wieder ein Sterben über Europa hin, die Pest des Cyprian. Bei der Pest des Justinian (531-580) handelte es sich, wie erwiesen, um echte Pest. Ihr erlagen im oströmischen Reich etwa die Hälfte der Einwohner. 

Während der Kreuzzüge, und durch diese verbreitet, wurde die Bevölkerung Europas durch die Pocken dezimiert. Mitte des 14. Jahrhunderts trat der »Schwarze Tod« auf, eine Pestepidemie, die mit ihren Nachwehen, die sich über 35 Jahre ausdehnten, zwei Drittel der ganzen Bevölkerung dahinraffte und Europa völlig entvölkert hätte, wenn nicht in solchen Zeiten immer wieder die Liebe in grotesker Weise mit dem Tod um die Wette liefe, wobei die Liebe meistens das Rennen macht. Damals war die Stadt Catania völlig ausgestorben, ebenso die Insel Cypern. In Smolensk überlebten nur fünf Menschen, in Lübeck zehn Prozent der Einwohner.

Während des Dreißigjährigen Krieges forderte die Pest ungleich mehr Opfer als der Krieg selbst. Augsburg verlor die Hälfte seiner Einwohner, und dies hauptsächlich durch die Pest. In Verona starben an ihr mehr als die Hälfte, in Mailand zwei Drittel der Einwohner.

Auch die Malaria wütete früher in Europa viel stärker als heute. Wenn die deutschen Heere über die Alpen nach Italien zogen, so erwartete sie als grimmigster Feind immer die Malaria. Vier Päpste sind ihr hintereinander erlegen, und acht deutsche Kaiser starben an dieser mörderischen Krankheit.

Das Barbarossaheer (1167) wurde durch Malaria völlig aufgerieben. Noch vor 200 Jahren starben 10% der Menschen an Pocken.

Heute finden wir es selbstverständlich, daß Pest und Cholera vor europäischen Häfen respektvoll haltmachen. Heute sehen wir ein Kuriosum darin, daß früher in den Kriegen oft ganz erheblich mehr Soldaten durch Seuchen als durch das Blei gefallen sind.

So kann es uns auch nicht überraschen, daß die Vermehrung der Menschen jetzt bei uns, aber auch in allen anderen Erdteilen, um ein Vielfaches schneller erfolgt als früher. Rund 1600 Jahre mußten seit Christi Geburt vergehen, bis eine Verdoppelung auf unserem Planeten eingetreten war. 200 Jahre später war bereits die nächste Verdoppelung erreicht und nach nur 70 Jahren die übernächste. (Abb. 12.)


 

   

Abbildung 12 
Zunahme der Einwohner der Erde seit Christi Geburt. 
Für 1960 werden 2850 Millionen angegeben

Wenn nun doch die Kurve recht behielte? Wenn — wofür manches spricht — in 50 Jahren wiederum die Zahl der Menschen sich verdoppelt hat, und wenn dann weiterhin nur noch 30 Jahre nötig sind? Oder wird der Verkehrstod in Zukunft die Seuchen vertreten. 

Prüfen wir also erst sorgsam, bevor wir so bedingungslos unser Mitleid über unsere Nachkommen ausschütten.

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    Die sparsame Verschwenderin   

 

Jede Art von Pflanzen oder Tieren produziert ein Minimum an Nachkommen; das soll heißen, nur soviel als nötig sind, um die Art zu erhalten. Da aber die Vernichtungsziffer bei den verschiedenen Arten außerordentlich differiert, so wechselt auch die Zahl der befruchteten Eier eines Weibchens zwischen einigen wenigen und vielen Millionen. Werden Millionen Eier produziert, so kann man sicher sein, daß die Vernichtungsziffer so hoch ist, daß auch von solchen Massen von Nachkommen durchschnittlich nur zwei das Große Los ziehen und sich wieder zum fortpflanzungsfähigen Organismus entwickeln.

Dem Maximum an Nachkommen steht also ein Maximum an Vernichtung noch Unreifer, noch nicht Fortpflanzungsfähiger gegenüber. Die Natur ist sparsam und verschwenderisch zugleich. Sie verschwendet in allem. Sie rechnet nicht mit der Zeit. Was sind ihr Jahre und Jahrtausende! Sie hat die Ewigkeit für sich. Sonnen und Planeten läßt sie zugrunde gehen und Milchstraßen mit Millionen von Sonnensystemen neu entstehen. Was soll da unsere Erregung über ihre Verschwendung, die sie mit dem lebendigen Organismus treibt, daß sie nicht geizt mit ihren Kindern, daß ihr Weg über Milliarden von Leichen geht. Kostbares wird von der Natur immerfort produziert. Kostbares wird von ihr ständig tausendfach vergeudet. Sparsamkeit beherrscht die Natur, wenn sie die Organismen ausstattet. Aber verschwenderisch läßt sie ihre Kreaturen wieder zu Milliarden vorzeitig untergehen.

Der Spulwurm des Menschen produziert alljährlich viele Millionen Eier; 60 Millionen werden genannt. Manche Bandwürmer kommen auf Milliarden. Und beim Mammutbaum kann man mit 1.000.000.000.000, also mit tausend Milliarden Samen rechnen, von denen im Durchschnitt nur ein einziger wieder sich zum Baum entwickelt. So viel leistet der Stör nicht. Aber auf einige Millionen kann er doch kommen. Der Karpfen begnügt sich im Jahr mit einigen Hunderttausenden. Immer gehen alle zugrunde, und nur zwei werden fortpflanzungsfähig. Die Eizahl der Forelle erreicht alljährlich bis zu einem Tausend, und der Stichling begnügt sich mit 50-80 Eiern. Die Holzbiene vermag mit nur einem Dutzend Eier ihre Art zu erhalten. 


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An der Spitze aller Geschöpfe aber steht der zivilisierte Mensch, der mit 3½, ja schon mit 3,0 Nachkommen bereits eine leichte Zunahme seiner Zahl verzeichnen kann, und der den Bestand vermehrt, wenn auf jede Familie drei Kinder entfallen, die ein Alter von fünf Jahren erreicht haben.

Bei primitiveren Menschen, bei den Negern und in manchen Gegenden Indiens, überleben nur zehn von hundert Kindern das erste Jahr. Erst die moderne Hygiene hat hier stark eingegriffen. Sie will der Natur Sparsamkeit beibringen. Sie will ihr zeigen, wie man mit dem kostbaren Menschenleben umgeht. Unter sieben Neugeborenen werden dank der Hygiene vier wieder fortpflanzungsfähig, unter 3 1/2 also ein Paar.

Aber dies ist ein Gesetz: Je wichtiger der Mensch die Neugeborenen nimmt, um so seltener werden diese, nicht umgekehrt. Und so steigt mit fortschreitender Zivilisation nicht etwa die Kinderzahl an. Im Gegenteil, sie beginnt zu sinken, trotz der geringeren Säuglingssterblichkeit und der konservierenden Tätigkeit der Ärzte gegenüber den notorisch Lebensunfähigen. Denn in der ganzen Natur gilt: Je besser die Eltern ihre Jungen behüten und verteidigen, um so geringer die Vernichtungsziffer, um so geringer damit aber auch die Fruchtbarkeit.

Die Holzbiene füttert und pflegt ihre Jungen und kämpft für sie mit ihrem Stachel. Der Stör dagegen produziert Eier, um deren Schicksal er sich nicht weiter kümmert. So führen die einen den Kampf um Erhaltung ihrer Art mit Waffen, die anderen mit der Zahl der Eier.

Ein Zurückgehen der Fruchtbarkeit um 33 Prozent bei der Holzbiene und beim europäischen Menschen würde zu einem schnellen Aussterben der Rasse führen. Denn die Natur kalkuliert bei geringer Zahl der Jungen viel schärfer als da, wo es um Hunderttausende oder Millionen geht.

Die Tiere rechnen nicht, sie kalkulieren nicht, sie überlegen nicht; sie pflanzen sich fort, wie es ihre Natur verlangt. Nur dem Menschen ist es gegeben, einzugreifen und auch das Natürlichste, den Fortpflanzungsakt, zum Problem zu erheben. Er drückt die Vernichtungsziffer immer mehr. Zugleich mindert er auch die Gebärfähigkeit und die Fortpflanzungsfreudigkeit. In den letzten 80 Jahren sank die Säuglingssterblichkeit bei uns von 30 auf 6 Prozent und die der Neugeborenen von 20 bis auf 2 bis 3 Prozent. Während damals nur 56 Prozent das Baby-Alter überlebten, liegt diese Zahl heute bei 92 Prozent. Wie wird sich dies auswirken, zumal die Hygiene nun auch bei den Schwarzen, bei den Indern, kurz in allen Gegenden der Welt sich auszubreiten beginnt und die Einwohnerzahl offenbar in die Höhe zu treiben scheint? Was wirkt stärker: Die Hygiene oder das Sinken der Zahl der Neugeborenen?


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Im paläolithischen Zeitalter mögen auf der Erde etwa eine Million Menschen gelebt haben — nicht mehr. 6000 Jahre v.Chr. mögen es zehn Millionen, 3500 v.Chr. 20 Millionen gewesen sein, und zur Zeit der Ägypter und Babylonier wurden bereits hundert Millionen erreicht.

Olbricht nimmt an, daß um Christi Geburt 250 Millionen die Erde bevölkerten. Im Jahre 1800 waren es rund 800 Millionen geworden. 1900 schon mehr als doppelt soviel (am schnellsten haben in dieser Zeit Holland und Belgien und außerhalb Europas Japan, Philippinen und Lateinamerika zugenommen. Hier findet man heute schon eine Verdoppelung nach 40 und sogar nach 30 Jahren. Die Hungerleidenden vermehrten sich am schnellsten. 

Heute schätzt man über 2,8 Milliarden Menschen. Im Jahre 2000 erwartet Cook vier Milliarden, Burgdörfer zwischen 4 und 5,5 und Fucks errechnet für das Jahr 2050 im Scheitelpunkt der Kurve 8 Milliarden. Legt man aber zugrunde, daß weiterhin jeweils in 70 Jahren eine Verdoppelung stattfindet, so ergibt sich doch schon in 300 Jahren eine Einwohnerzahl von 40 Milliarden. Ein ungeheueres, ein beängstigendes Anwachsen. Aber der Mensch hat dafür gesorgt, daß die Geburtenkurve nicht ins Endlose steigt. Man müßte ihm die Zivilisation erst wieder rauben, um ihm seine frühere Fruchtbarkeit zurückzugeben. Zivilisation konserviert den Menschen, macht aber seine Geburten seltener.

Der Bandwurm bietet mit seinen Milliarden Eiern, aus denen durchschnittlich nur wieder ein einziges dieser zwittrigen Formen hervorgeht, der Selektion ein ungeheueres Material dar. Wie armselig dagegen ist die Auswahlmöglichkeit beim Menschen, wo aus nur 3 1/2 Individuen ein geschlechtsreifes Menschenpaar wird. Muß da nicht die Menschheit degenerieren? Früher, bevor die Hygiene den Tod von der Wiege vertrieb, standen wenigstens für ein Paar ausgewachsene Menschen ein Dutzend und mehr der Selektion zur Verfügung.

Sollte man nicht glauben, daß bei der ungeheueren Selektionsmöglichkeit der Bandwurm die größte Zukunft, der Mensch dagegen die geringste vor sich hat. Man muß aber bedenken, daß Milliarden von Bandwurmembryonen nicht wegen mangelnder Tüchtigkeit hinter dem einzigen, der das Ziel erreicht, zurück­stehen müssen, sondern lediglich, weil der blinde Zufall es so fügt; so wie in einer Lotterie, wo der Haupttreffer nicht dem Tüchtigsten zufällt und wo es ebenfalls Voraussetzung ist, daß unendlich viele leer ausgehen. Die Holzbiene lehrt uns, daß sich eine Art sehr wohl behaupten kann, wenn auch nur ein Dutzend Eier der Selektion zur Verfügung stehen, aus denen dann jeweils wieder ein Pärchen hervorgeht.

Die geringe Zahl ist es nicht, die verhindert, daß Untaugliches möglichst schnell ausgemerzt wird. Wenn unter sieben jeweils drei in den Papierkorb kommen und darunter sich die Mangelhaften befinden, so genügt dies vollkommen, um die Menschheit gesund zu erhalten. Viel bedenklicher ist, daß nicht die Natur die Entscheidung trifft, was auszuscheiden hat, sondern daß weitgehend der Mensch die Gewalt der Jury ausübt.


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    Suspekte Zahlen   

 

Nun müssen wir uns auf etwas schwankenden Boden begeben. Wichtig, daß wir uns dessen immer bewußt bleiben. Es beginnt bereits, wenn wir nach einer Antwort auf die Frage suchen, wieviel Menschen die Erde zu ernähren vermag. Haben wir doch schon gehört, in welchem Ausmaß der Mensch auch heute noch fruchtbares Land in Steppen verwandelt und den Humus in das Meer abschwemmt. Auch heute noch werden Afrika und Australien weithin entwertet, auch heute noch werden in Mexiko Wälder niedergebrannt, um für einige Jahre fruchtbaren Acker zu gewinnen, der dann bald verlassen und der Erosion preisgegeben wird. 

Die Angaben über die Größe der anbauwürdigen Flächen schwanken in weitesten Grenzen. Man findet hier Zahlen, die zwischen 20 und 134 Millionen Quadrat­kilometer liegen.

Was soll man nun für die zukünftige Produktionskraft unserer Erde in Rechnung stellen, soweit diese vom Menschen bestimmt wird? Was ist stabiler am Menschen: seine Rücksichtslosigkeit, Unvernunft und seine egoistische Verantwortungslosigkeit; oder darf man annehmen, daß auch der Dummheit der Menschen Grenzen gesetzt und daß diese bereits erreicht sind? Je nachdem man hier eine pessimistische oder optimistische Antwort für begründet hält, wird man zu sehr verschiedenen Ergebnissen kommen. Es kann daher nicht in Staunen versetzen, wenn die bisherigen Berechnungen der Zahl der Einwohner, die unsere Erde in Zukunft zu ernähren vermag, allzusehr auseinanderfallen. Sie liegen zwischen 2,4 und 18 Milliarden. 

Viel höhere Zahlen werden jedoch von denen genannt (75 Milliarden), die eine schnelle Überproduktion der Nahrung von der Technik erhoffen. Die ersten Jahre nach Kriegsende ließen einen solchen Optimismus aufkommen. Denn die während des Krieges stark gesunkenen Zahlen der Weltproduktion gingen in den ersten Jahren schnell in die Höhe. Aber die steil aufwärts führende Kurve verflachte in den letzten Jahren bereits immer mehr trotz maximaler Anstrengung der Wissenschaft und Technik und ließ eine Steigerung schon in kurzer Zeit nicht mehr erwarten. Seit 1957 ist denn auch die Produktion bereits rückläufig, absolut zeigt sie einen Rückgang von 1%, auf den Kopf der Bevölkerung errechnet 2% im Jahr.


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Man bedenke, 10 Jahre lang eine Abnahme von 2% und dem einzelnen muß bereits ein Abzug von 20% gemacht werden. Der Ernst der Lage wird besonders deutlich durch die Feststellung, daß bei einer gleichmäßigen Verteilung aller Nahrungsmittel über die ganze Erde hin heute bereits alle hungern würden.

Darin liegt das Beklemmende. Wird die Wissenschaft das Handicap noch gewinnen können? Oder erst dadurch, daß Hungerseuchen Millionen der Hungernden dahinraffen? Daß in Zukunft synthetische Aminosäuren für die Ernährung von Bedeutung werden, ist sehr wahrscheinlich. Unwahrscheinlich aber ist, daß sie schon eine Rolle zu spielen vermögen, bevor der Hungertod über die Erde dahingeht. Hier gibt es als Soforthilfe nur das eine: Geburten­einschränkung.

Unter dreien hungern zwei. Vertröstungen der Hungernden auf zukünftige Algenkulturen sind deplaciert. Die Hungernden hungern heute und wollen morgen satt werden und nicht täglich noch mehr Hungernde an ihrem Tisch sehen, mit denen sie teilen müssen. Es geht also darum, ob sofort die Vermehrungsziffer gesenkt werden kann, oder von selbst zurückgeht. Dieses Zurückgehen von selbst wird keinesfalls so schnell erfolgen, daß eine Hungerkatastrophe über die ganze Erde hin mit schwersten Erschütterungen wirtschaftlicher und sozialer Art vermieden werden könnte. Man wird also aktiver eingreifen müssen.

Sehen wir uns die erste Möglichkeit, das Absinken der Kurve von selbst, etwas näher an.

Alle Voraussagungen, die die zukünftige Vermehrung des Menschen betreffen, sind recht vage und unsicher. Da es aber hier um eine Soforthilfe, also um die allernächste Zukunft geht, so läßt sich doch einiges mit genügender Sicherheit sagen.

Bei Tieren, bei denen die Willkür, die beim Menschen ausschlaggebend geworden ist, noch ganz ausschaltet, ist es oft schon unmöglich, hinterher zu erkennen, warum plötzlich eine außerordentliche Fortpflanzungswelle eingesetzt hat; geschweige denn, daß sich derartiges voraussagen ließe.

Man hat festgestellt, daß die Lemmingmassen und Lemmingzüge sich um den ganzen Pol herum gleichmäßig verhalten. Wandern sie in Kanada, dann wandern sie auch in Norwegen und in Schweden. Und nicht nur dies. Man konnte ferner einen seltsamen Zusammenhang finden zwischen der Massenvermehrung von Lemmingen und der von vielen anderen Tieren, von Mäusen und Kohlweißlingen, Polarhasen, Bisamratten, ferner von Skunks, Vielfraß, von Spitzmäusen, Nußkrähen, Steppenhühnern und vielen anderen. Wenn die Distelfalter in Zügen bis zu Trillionen Exemplaren von Süd nach Nord wandern, dann wandern auch Windenschwärmer und Totenkopf. Alle folgen sie demselben Unbekannten, alle zeigen rhythmisch eine explosiv starke Vermehrung. Diesen großen Unbekannten glaubt Elton in den Sonnenflecken gefunden zu haben.


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Beim Menschen aber, der alles seinem Intellekt unterstellt, mögen die Sonnenflecken bei seiner Fortpflanzung nicht viel mehr zu sagen haben, als es temporär der Föhn und der Schirokko vermögen. Beim Menschen entscheidet vor allem der Wille und das Können. Bleibt der Mensch in gleichem Maße wie bisher fortpflanzungsfähig? Und wenn ja, bleibt er auch fortpflanzungstwillig und bleibt er weiterhin verantwortungslos dem Geschlechtstrieb verhaftet, oder wird er bei der Zeugung dem Zufall gebieten und der Leichtfertigkeit? 

Hier liegt vor allem die Entscheidung, ob die Kurve weiterhin ansteigt, ob sie auf gleicher Höhe verharrt oder ob sie absinkt. Es kommt uns hier nicht darauf an, nachzuprüfen, ja auch nur all die Zahlen anzugeben, die von verschiedenen Autoren für die Vermehrung der Menschheit gegeben wurden. Sehr wohl aber muß schon jetzt darauf hingewiesen werden, daß von mancher Seite angenommen wird, die Höchstzahl der Menschen könne schon sehr bald erreicht sein. Pearl und Gould nehmen den Gipfel der Kurve im Jahre 2100 an. Notestein errechnete eine Zunahme nur noch bis 1955 und ein Absinken ab 1970. Allerdings gilt dies nicht auch für den Osten Europas und für Asien. Hier wird der Knick nach ihm erst später erfolgen. Die UNESCO rechnet damit, daß die Kurve noch 50 Jahre ansteigt und Fucks errechnet hierfür noch 100 Jahre.

Die Zivilisation hat die Zahl der Menschen erschreckend schnell steigen lassen. Es ist aber nur eine Scheinblüte — wenn Blüte das richtige Wort hierfür ist —, die durch die Erhaltung beinahe aller Neugeborenen erreicht wurde. Bald aber wird die Zivilisation auch ihre negative Seite zeigen. Allerdings ist anzuerkennen: ohne zivilisatorische Technik, ohne Wasserleitung und ohne Abwasserbeseitigungen, ohne sanitäres Wohnen und ohne erhöhten Lebensstandard auch der Unbemitteltsten könnte sich der Arzt in dieser Beziehung wenig auswirken. Hier erscheint uns die Zivilisation und Technik als großer Freund und Helfer der Menschen.

Durch die eminent gesteigerte Lebenserwartung wächst die Einwohnerzahl allein schon nahezu um das Doppelte, allerdings auch zum Teil zugunsten der Alten. Aber immerhin — auch der Erwachsene hat heute etwas mehr Chancen, ein Greis zu werden, als früher. Das heißt also: Die 60- und 80jährigen sind jetzt in erheblicherer Zahl vertreten als vor 100 Jahren. Erst dadurch wird die »Vergreisung« der Völker zur Gefahr. Das eben ist das Gesicht der Zivilisation: Viele Greise — wenig Kinder. Man ist versucht, fortzufahren: große Vergangenheit — wenig Zukunft. Gilt dieses Wort wirklich? Wird hierdurch eine Vergreisung der Kultur zur ernsten Gefahr? 


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Wäre denn die Kultur besser daran, wenn ein hoher Prozentsatz der Menschen das sechzigste und siebzigste Lebensjahr nicht erreichte? Nicht, ob die Alten noch leben, sondern ob so viele Junge nicht leben, nicht geboren werden, ist entscheidend.

Ist es somit berechtigt, mit einem baldigen Rückgang der Bevölkerung zu rechnen? Dann wären die Sünden, die man durch Mißhandlung der Natur begangen hat, gar nicht so sehr in ihrer Auswirkung zu fürchten. Jede Kalkulation ist gewagt. Zwei Drittel der Menschen haben auch heute noch eine Lebenserwartung von nur 25 bis 30 Jahren. Wird diese in nächsten Dezennien auf 60 Jahre gesteigert, so verdoppelt sich hierdurch die Einwohnerzahl bereits, aber es kommt dazu, daß die Frau, die älter als 25 Jahre wird, auch mehr Kinder gebären kann.

 

       Zeugungskraft und Zeugungslust     

 

Geschlechtskrankheiten als Minderung der Zeugungsfähigkeit brauchen hier nicht gesondert besprochen werden. Sie sind nicht das Produkt der Zivilisation, und man wird heute besser mit ihnen fertig als früher. Über die Einwirkung von Gewerbegiften auf die Zeugungskraft wurde bereits unter »Zivilisations­krankheiten« berichtet.

Ebenso über die Einwirkung von dauerndem Stehenmüssen bei der Arbeit, wodurch bei Mädchen in der Entwicklung das zu enge Becken entstehen kann. Ferner über die Schädigung der Frau durch das Motorradfahren. Dazu kommt, daß die Stadt nicht nur den Schädel schmaler formt, sondern auch das Becken, so daß schon aus diesem Grund hier schwere Geburten sich häufen.

Besonders bedenklich aber ist, daß Zange und Kaiserschnitt dazu führen, daß sich auch ungünstige Beckenformen vermehren können. Die Normalgeburt wird immer weniger die normale Geburt darstellen. In manchen Kliniken in US entfallen auf 70 Normalgeburten 30 Kaiserschnitte und mehr. Der Wunsch nach einem Reißverschluß mag den Erfindungsgeist der nächsten Generation der Frauenärzte in Atem halten.

In doppelter Weise kann also die Zivilisation die Fortpflanzungsfähigkeit herabsetzen: einmal dadurch, daß das gesunde Individuum krank gemacht oder verbildet wird (Gewerbegifte, Beckendeformationen, Neurosen usw.); und zweitens dadurch, daß die gesunde Erbmasse eine Verschlechterung erfährt (schädigende Strahlen, manche Gewerbegifte, Ausfall der Selektion beim Geburtsakt). Auch der Mann wird betroffen. In starkem Ausmaße hat der Krieg bei Männern zur Impotenz geführt.

Ausschlaggebend ist aber heute immer noch die Zeugungslust.


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Man konnte feststellen, daß in Ostbengalen die Kinderzahl auf Gütern von 10 ha Größe kleiner ist als auf Gütern von nur 5 ha. Mussolini ließ Familien aus den Elendsvierteln italienischer Großstädte in neue, gesunde Wohnungen bringen, und sofort sank die Geburtenziffer. Er ließ daraufhin allen modernen Komfort wieder aus diesen Häusern entfernen, und die Zahl der Geburten stieg wieder an. Hier tritt etwas Grundsätzliches zutage. Die Begehrlichkeit des Menschen wird durch den Besitz einer größeren Habe nicht gestillt, sondern gesteigert. Um so mehr werden Kinder störend empfunden.

Der Kinderwagen hat in diesem Jahrhundert eine gefährliche Konkurrenz erhalten: das Motorrad und das Auto. Auf der Asphaltstraße herrscht der Motor. Der Kinderwagen aber ist dort deplaciert. Verdient man mäßig, so denkt man an ein Motorrad; und das Kind hat noch etwas zu warten, bis die Einnahmen steigen. Sind sie gestiegen, so sind mittlerweile neue Wunschträume lebendig geworden, die nach Verwirklichung drängen: »Der Schrei nach dem Kind« wird von einer faszinierenden Autohupe übertönt. Das Auto aber ist ein seltsamer Artikel: er kommt immer doppelt so teuer, wie die sorgfältigste Kalkulation vorher ergeben hat. Und schließlich gibt es noch so vielerlei andere Dinge, die man haben muß, und die vorwurfsvoll aus jedem Schaufenster heraus fragen und locken. Dazu gehört: ein billiges Radio, das bald durch ein teures ersetzt werden muß, ein Photoapparat, der gleichen Gesetzen unterliegt, eine Caprireise — wozu würde auch mit solchen Reisen so viel Reklame gemacht, wenn es nicht dazu gehörte.

Alles hat sich gegen das »geplante«, also erwünschte Kind verschworen. Jedes Schaufenster lockt von ihm weg. So äußert sich die Zivilisation kindfeindlich, sofern der Mensch nicht die wirksame Geistesformel findet, um wieder empfänglich zu werden für das Natürliche. Doch äußert sich bei vielen Völkern die Abnahme der geplanten Kinder lediglich in einer Zunahme der planwidrigen.

Entscheidend ist die Begehrlichkeit. Diese zu beherrschen, liegt in unserer Hand. Wer die Zivilisation meistern will, muß zunächst seiner Begehrlichkeit Zügel anlegen. Wem die zivilisatorischen Güter zum Lebensinhalt werden, der ist verloren für die Kultur. Bei der Begehrlichkeit liegt die Entscheidung für die Zukunft eines Volkes. Rom ging an seiner Begehrlichkeit zugrunde. Liegt hier die letzte Ursache?

Solange man die Ethik aus dem Materialismus holt, solange noch der Glaubensartikel gilt: »Der Mensch ist um so glücklicher, je mehr Bedürfnisse er hat«, solange bewegt man sich noch auf falschem Weg.


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Seit 1800 hat sich die Zahl der Menschen der Erde verdreifacht. In Deutschland stieg sie in dieser Zeit von 23 auf 72 Millionen. Die Städte wuchsen, und die Industrie entwickelte sich immer schneller und überschwemmte die Welt mit verlockenden Fabrikaten aller Art. Die Frauen wurden beruflich tätig. Die Geburtenziffer aber begann nun allenthalben zu sinken; in Deutschland von 40,1 (auf 1000 Einwohner) im Jahre 1874 auf 20,5 im Jahre 1924. Somit innerhalb eines halben Jahrhunderts ein Zurückgehen auf die Hälfte. In der Zahl der Einwohner konnte sich dies bisher noch nicht äußern, nicht nur, weil die Erwachsenen eine etwas größere Lebenserwartung haben, sondern vor allem infolge der Herabminderung der Neugeborenen- und der Säuglingssterblichkeit.

Mit dem Geburtenstreik hatte die Oberschicht begonnen, d.h. die Schicht, in welcher Neurosen, the next, Frigidität der Frau, mangelnde Libido infolge Tabakgenuß, Morphinismus und Kokainismus, ferner psychische Fehlentwicklungen zuerst auftraten.

Um das Jahr 1880 war in den meisten Ländern Europas davon noch nichts zu verspüren (wohl aber schon in USA). In Kopenhagen war damals die prozentuale Fruchtbarkeit der verschiedenen Bevölkerungsschichten in Prozenten ausgedrückt (die Oberschicht mit 100% eingesetzt):

Oberschicht 100
kleiner Mittelstand 98
Angestellte 87
Arbeiter 104

1901 lag die Oberschicht bereits stark hinter dem Arbeiter. Die Differenz zwischen beiden Gruppen wuchs noch in den nächsten Dezennien, bis schließlich 1920 die Arbeiter und Angestellten, ebenfalls vom Streik ergriffen, nun auch eine schnell absinkende Geburtenzahl aufwiesen.

Um die Jahrhundertwende findet man überall in Europa, in Frankreich ebenso wie in Deutschland, in Holland wie in Skandinavien, dasselbe Bild. In Preußen — um nur ein Beispiel aufzuführen — ist die durchschnittliche Kinderzahl pro Familie im Jahre 1912...

bei Taglöhnern 5,2
bei Fabrikarbeitern 4,1
bei Gesellen 2,9
bei Angestellten 2,5
bei Offizieren, höheren Beamten, freien Berufen 2,0

Heute aber haben sich die Unterschiede weitgehend ausgeglichen dadurch, daß der Geburtenstreik allgemein wurde. Ganz besonders gilt dies für die Stadt.


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Stuttgart zeigte bereits 1928 folgendes Bild:

Schicht I (Höhere Beamte, Akademiker, Fabrikanten usw.) 2,37 Kinder 
Schicht
II
(Mittlere Beamte, Volksschullehrer, Kaufleute usw.) 2,03 Kinder
Schicht
III (Handwerksmeister, kaufm. Angestellte usw.) 2,26 Kinder
Schicht
IV (Unterbeamte, gelernte Arbeiter, Kleinbauern) 2,36 Kinder
Schicht
V (Ungelernte Arbeiter, Taglöhner) 2,62 Kinder
Eltern von Hilfsschülern  4,70 Kinder

Gleiche Kinderzahlen pro Ehen finden wir 1920 auch in Zürich:

Oberschicht 1,58
Selbständiger Mittelstand 1,56
Mittlere Beamte, Angestellte 1,31
Gelernte Arbeiter 1,53
Ungelernte Arbeiter 1,58

Der Unterschied in den verschiedenen Gesellschaftsschichten ist nun verschwunden. Alle pflanzen sich schon so schwach fort, daß der Bestand, wenn überhaupt, nur eben noch erhalten wird. Der Erhaltungsbedarf ist bei Völkern mit bester Hygiene schon mit 2,3, durchschnittlich mit 3 Kindern gegeben. Zieht man die »unerwünschten Kinder« ab im Hinblick darauf, daß weitere Aufklärung dazu führen wird, daß schließlich beinahe alles, was bei uns herumspaziert, erwünscht (wenigstens von der Mutter erwünscht) ist, so ergibt sich, daß die Städte bereits ein erhebliches Minus an Geburten aufweisen.1)

Die Nivellierung der Geburtenzahl hat heute in Großstädten alle Gruppen erfaßt mit Ausnahme der Verbrecher, der Verkommenen und der Säufer; kurz aller derer, die man unter dem Namen »Lumpenproletariat« zusammenfaßt.2) Auch die Schwachsinnigen werden hier angeschlossen. Diese Gruppe allein hat eine hohe Geburtenzahl beibehalten, sofern nicht schlechte Hygiene, Geschlechtskrankheiten, Abtreibungen, bei Säufern auch Impotenz und Behinderung durch Haft, Einhalt tun. Oft wird der Bestand einer Stadtbevölkerung — wenn vom Zuzug abgesehen wird — nur noch durch die höhere Geburtenziffer dieser Gruppe erhalten.

»Die Fruchtbarkeit ist dem Ausmaß der Bedürfnisse umgekehrt proportional.« Der Verlauf des Geburtenstreiks scheint diesem Ausspruch von Serpeille de Gobineau recht zu geben. Nach ihm hat man auch zu erwarten, daß die Stadt unfruchtbarer ist als das Land.

1)  Neuerdings steigt im Bundesgebiet die Kinderzahl mit höherem Einkommen an. 
2)  Der Ausdruck „Lumpenproletariat" ist nicht glücklich gewählt und sollte besser vermieden werden.


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Man nimmt an, daß im Durchschnitt mit 17,4 Geburten im Jahr auf 1000 Einwohner der Bestand eines Volkes in Europa gewahrt bleibt. Die Großstädte liegen heute zumeist schon stark unter diesem Erhaltungsbedarf.

1925 ergab die Statistik als Durchschnitt

für Bayern Städte 18,7 Land 25,6
für Preußen Städte 18,0 Land 23,3

Für die Groß- und Weltstädte aber zeichnete sich damals ein bedenkliches Bild ab. 1927 lag zuunterst Berlin mit 9,9 es folgte:

Dresden mit 11,1 
Frankfurt mit 11,6 
München mit 12,0 
Stuttgart mit 12,0 
Hamburg mit 12,2

Berlin war in dieser Zeit die unfruchtbarste Stadt der Welt. Dem lauten Ruf der Großstadt »panem et circenses« folgte bereits das »Morituri te salutant«.

 

Aber nicht alle Städte waren so unfruchtbar. Wir brauchen dabei nicht auf Moskau und die asiatischen Städte hinzuweisen. Die höchste Fruchtbarkeit in Italien zeigte die Weltstadt Rom. Ihre Fortpflanzungsziffer lag sogar über dem Durchschnitt Italiens. Triest, Bologna, Florenz und Genua, sie schienen, verglichen mit Rom, von ganz anderen Menschen bewohnt. Auch Mailand blieb weit hinter Rom zurück. Und die Ursachen? Weder die Größe der Stadt noch die Gedrängtheit des Wohnens, weder die Lebhaftigkeit des Handels oder die Ausdehnung der Industrie können dafür verantwortlich gemacht werden. So wird Rom zu einem Exempel, welches lehrt, daß Unfruchtbarkeit kein zwingendes Attribut der Großstadt ist.

Aber Rom ist Ausnahme, ein Musterschüler in Fortpflanzung. Allgemein kann man sagen, daß die meisten europäischen Städte in 100 bis 150 Jahren ausgestorben sein würden, bekämen sie nicht ständig Zuzug vom Land. Großstädte sind Stätten des Todes — einfach deshalb, weil sie nicht Stätten der Geburten sind. Noch bedenklicher als dies ist, daß all die Großstädte und Riesenstädte sich immer mehr zu ungeheuren Sterilisationsapparaten entwickeln, die ihre unfruchtbar machenden Strahlen weit aufs Land hinausschicken und die Landbevölkerung treffen. Jede Großstadt gebraucht ein ihrer Größe entsprechendes Stück Land, das sie aussaugen und verderben kann. Ohne dieses ist sie nicht lebensfähig. Sie bilden zusammen eine Einheit. 


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Nicht imstande, aus eigener Kraft die Einwohnerzahl zu halten, wirkt die Großstadt auf die Umgebung wie ein Vakuum; sie zieht die Landbevölkerung an, um auch sie unfruchtbar zu machen und zu verderben, und sie übt ihren magischen Reiz besonders auf die Intelligentesten und Gewecktesten aus, auf die, die sich gewachsen fühlen den höheren Anforderungen des Lebenskampfes, die sich zutrauen, mit dem rätselhaften, lockenden Gebilde Stadt fertig zu werden. So wird auf dem Lande durch die Stadt immer der Rahm abgeschöpft, die Tüchtigsten werden fortgeholt, die Intelligenzkurve wird stetig auf der Plusseite gelichtet und bei stetig fortschreitendem Prozeß schließlich in eine Verdummungskurve gewandelt. Die Stadt trübt auf diese Weise selbst den Quell, der ihr Rettung sein soll, und kann so zum Grabe der ganzen völkischen Intelligenz werden.

Aber das Land selbst ist schon dabei, zu verstädtern. Es ist nicht mehr »Land«.

Heute ist die Lage außerordentlich ernst, ja schon bedrohlich. Der geringe Lohn in der Landwirtschaft vertreibt den Arbeiter, und die Stadt zieht ihn an. Die abstoßende Kraft des Landes wird von der lockenden Kraft der Stadt jedoch stark übertroffen. »Panem et circenses!« Auch hier gibt dies den Ausschlag, wobei die Circenses alles übrige übertönen. Das will sagen, daß die geistige Einstellung und nicht die Lohnfrage das Entscheidende ist. Seltsam, daß das Primat des Geistes immer wieder verkannt wird. 

Ich glaube, Friedell war es, der den Unterschied des Städters und des Bauern etwa so faßte: Der Städter lebt cerebral und mechanisch, der Bauer lebt organisch. Jedenfalls kann man sagen, wer dieses organische Vegetieren verliert, ist auch für den Bauernstand verloren. Er wird leichte Beute der Stadt. Entwickelt und ständig gesteigert wird aber eine solche cerebrale und mechanische Einstellung beim Bauer durch alles, was die Wachheit fördert, zugleich aber die Besinnlichkeit verdrängt: Die Attentäter sind die großen Zeitungen, Radio und Kino. Also — fort damit? Unmöglich. Der Bauer wird geschult durch Radio und Zeitung. Und das Motorrad ermöglicht ihm den Kinobesuch in dem nächsten Städtchen.

Nicht Lohnsteigerung kann den Bauern auf der Scholle halten, sondern nur eine starke Verinnerlichung, eine lebendigere Religiosität. Versuche, die daran vorbeigehen, sind Totgeburten.

1948 haben 340.000 Landarbeiter ihren Beruf aufgegeben. Groß ist die Zahl der offenen Stellen. Von der Großstadt werden diese Arbeitsunwilligen vorderhand nur durch die Zuzugssperren ferngehalten.

Im Bundesgebiet gibt es bereits gegen 200.000 auslaufende Bauernhöfe, die nur noch von alten, nicht mehr voll arbeitsfähigen Leuten bewirtschaftet werden. Überall droht das Schicksal, das in Frankreich bereits große Teile der Ebene der Garonne ereilt hat: tote Bauernhöfe. Die »Erosion« der Landbevölkerung ist ein Problem, nicht weniger bedrohlich als die Erosion des Humus.

Diese Betrachtung, die eher einen ganz allmählichen Rückgang der Bevölkerung als eine Zunahme wahrscheinlich macht, gilt aber nur für den Westen Europas.


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      Wer dirigiert?     

 

Die Geburtenkurve geht unvermittelt nach abwärts, und hinterher glaubt man dafür auch eine befriedigende Erklärung geben zu können. Aber ebenso unvermittelt biegt sie wieder nach oben und belehrt uns, daß die vorher gegebene Erklärung nicht ganz stimmen kann. Wer dirigiert dieses unverständliche Auf und Ab? Deutschland kann hier als Beispiel nicht herangezogen werden, da seit dem letzten Weltkrieg durch den Flüchtlingsstrom und durch die aus aller Welt Zurückkehrenden ein klarer Überblick nicht gewonnen werden kann. Doch die vorausgehende Phase des Geburtenrückgangs ist kaum irgendwo so stark ausgeprägt wie bei uns. 40,1 Geburten im Jahre 1874 gingen in 50 Jahren zurück auf 20,5. (In Bayern sanken die Geburten von 29 im Jahre 1913 auf 19 nach dem Weltkrieg.)

Sehen wir uns nun nach dem Kurvenverlauf in anderen Ländern um, und zwar nicht nur in der Hoffnung, dieser seltsamen Erscheinung der plötzlichen Umkehr etwas Verständnis abzugewinnen, sondern noch aus einem anderen Grunde.

»Nicht nur zieht man in Betracht, 
Was man selber damit macht. 
Nein, man ist in solchen Sachen 
Auch gespannt, was andere machen.« 

Diese tiefgründige Weisheit von Wilhelm Busch bezieht sich auf die Liebe. Sie gilt aber von Volk zu Volk auch für das Resultat der Liebe, für die Geburtenzahl. Die Englische Königliche Kommission hat betont, daß man die Frage der Geburtenbeschränkung nicht entscheiden kann, ohne das Verhalten vor allem solcher Völker mit in Betracht zu ziehen, die vielleicht als Feinde in naher Zukunft eine Rolle spielen können.

Vielleicht wird mit der Zeit die Atombombe so vollendet, daß sie ohne Infanterie den Krieg entscheidet. Dann besteht keine Veranlassung mehr, aus Patriotismus sich intensiv fortzupflanzen; dann werden nicht mehr Soldaten erzeugt, sondern nur noch Menschen.


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Zunächst zu der Zunahme der Bevölkerung in den verschiedenen Erdteilen in der Zeit von 1900 bis 1949. (Nach: WHO., Epidem. a. Vital Statist. Rep. IV, 1951, Nr. 4.)

                       Afrika  Amerika  Asien  Europa  Ozeanien

1900                 141       151         839      415          6  
1950                  198       321      1254        593       12 
Vermehrung in %   40      113         49          43       110  

Nach diesen Zahlen steht Amerika an der Spitze mit über 113% Vermehrung in 50 Jahren. Die Einwanderer sind dabei allerdings auch mitgezählt.

Noch mehr Interesse als die gesamten Erdteile verdienen in dieser Hinsicht die einzelnen Völker. Frankreich, das vor dem Krieg bereits einen Bevölkerungsschwund aufwies, hat jetzt wieder mehr Geburten als Sterbefälle (besonders stark ausgeprägt 1948). Die Geburtenzahl stieg von 14,7 auf 21,0. In Großbritannien ist die Geburtenzahl in den letzten 10 Jahren nach vorausgegangenem Absinken von 15,3 auf 18 pro 1000 Einwohner und Jahr angestiegen; in USA von 17,1 auf 26,0 und in Kanada von 20 auf 28. Auch in Holland stellt man ein starkes Anwachsen fest (von 20 auf 25). Weniger schnelles Ansteigen zeigen Österreich, Belgien, Schweden und Norwegen, während in Dänemark und in Italien ein leichter Rückgang eingetreten ist. (Abb. 14.)

Stark rückläufig ist die Bevölkerungszahl in der Tschechei, in Polen (heute wieder zunehmend) und in Rumänien. Die Sowjetunion hat in den letzten 10 Jahren um 23 Millionen zugenommen. Nach anderen Quellen in den Jahren 1936 bis 1946 um 11 Millionen. Man rechnet in der Sowjetunion, daß die Einwohnerzahl in 40 Jahren 300 Millionen erreichen wird (heute etwa 200 Millionen).

Kann man diesen Kurvenverlauf deuten? Läßt sich verstehen, warum zunächst überall in den hochzivilisierten Ländern ein scharfer Rückgang, dann, etwa seit 10 Jahren, wieder ein wesentlicher Anstieg eingesetzt hat? Und weiter, warum in der Sowjetunion anscheinend eine fortlaufende, ununterbrochene Geburtenzunahme zu verzeichnen ist, während die Staaten zwischen West und Ost, das sind vor allem Polen, Tschechei und Rumänien, jetzt erst den Abstieg in der Kurve erleben, der bei den Weststaaten 30 und 50 Jahre früher eingesetzt hat? Anzeichen eines Wiederansteigens oder einer bald zu erwartenden Umkehr sind bei diesen Staaten nicht vorhanden (Ausnahme Polen).


Abbildung 13
Der europäische Geburtenrückgang 1913-1938 

 

Geburten im Jahr auf 1000 Einwohner 

 

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Sicher spielt bei den seit 10 Jahren wieder ansteigenden Kurven der westlichen Welt die verminderte Säuglingssterblichkeit noch mit. Soweit ist der Zuwachs nur temporär. Erklärt wird aber damit dieses neuerliche Ansteigen in seinem ganzen Umfang keineswegs. Auch daß die Spätehen wieder etwas zurückgehen, ist nicht wesentlich. Ja, die Zunahme ist um so erstaunlicher, als Schädigungen durch Gewerbegifte, durch Verbildung des Beckens und durch erhöhten Tabakgenuß in gleichem Maße zugenommen haben, wie die Frau allgemein berufstätig wurde. Oft genug aber kann die berufstätige Frau »Kinder nicht brauchen«. Trotzdem nach steilem Abfall wieder ein Anstieg.

Wer dirigiert? Im Westen wird das Tempo wieder schneller genommen, in der Sowjetunion bleibt es immer noch schnell, und in den Staaten dazwischen das stark verzögerte, schleppende Tempo. Wer führt hier den Taktstock?

Vermutungen lassen sich wohl aufstellen, Gewißheit aber ist nicht zu erlangen. Meine Vermutung geht dahin: Asphalt und Maschinenwelt wirken auf den Menschen, der den Kontakt damit noch nicht erlernt hat, wie ein Gift. Das Volk verfällt einem Fieber, aus dem es nach Dezennien schließlich wieder gesundet hervorgehen kann. Der Westen hat den etwa 50 bis 70 Jahre dauernden Anfall überwunden; er ist immun geworden. Der Osten hat die Wucht der Maschinenwelt noch gar nicht verspürt. Und die Staaten dazwischen werden jetzt erst von den Fieberanfällen gepackt.

Unter- und Überbevölkerung eines Landes zeigen keinerlei Auswirkung auf die Vermehrungsquote. Seit 1800 haben sich Rußland und Norwegen schnell vermehrt. Rußland ist unterbevölkert, Norwegen ebensosehr überbevölkert. Eine langsame Vermehrung findet man ebenso bei dem unterbevölkerten Spanien und Frankreich wie bei dem überbevölkerten Italien und bei der Schweiz. Eine mittlere Vermehrung zeigt das überbevölkerte Deutschland, ebenso auch das unterbevölkerte Schweden.

Dagegen wird eine Relation zwischen Lebensstandard und Geburtenquote deutlich. Und zwar derart, daß bei den europäischen Völkern der höchste Lebensstandard mit der niedersten Geburtenzahl einhergeht. Wenn weder Radio noch Motorrad gekauft werden kann, dann hört auch ihre Konkurrenz mit dem Kinderwagen auf. Da nun Kriege den Standard senken, so ergibt sich, daß sie zu stärkerer Vermehrung führen. Die Toten werden um ein Vielfaches ersetzt. In weichen Daunen werden weniger Kinder gezeugt als auf Stroh.  

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TAFEL 9

14 
Durch Raupen der Floreule kahlgefressener,
vernichteter Reinbestand von Kiefernjungwald.

»Zur Vorbeugung derartiger Schäden ist der Einsatz
hochwirksamer chemischer Bekämpfungsmittel erforderlich,
deren Breitenwirkung fast die gesamte Insektenfauna eines Waldes trifft
und neben den Schädlingen auch die Nützlinge vernichtet.« (Zwölfer.)

 

 

 

 

15 
Farbenprächtig verziertes Klubhaus auf den Salomonen mit schöner Speiseschüssel.
Heute statt dessen: Wellblechbaracken und aufgeschnittene Benzinkanister.
Wohl bieten die dicken Bambusstangen den Ratten (Pestratte) bequeme Nistgelegenheit.
Doch könnte dies auf verschiedene Art vermieden werden, ohne die Bambushütten aufzugeben.

 

  

TAFEL 10

16 
Den Fahrer gefährdende Reklame in Italien

17
... auch im schönen Oberbavern

 

 

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 (1957) Professor Reinhard Demoll