Leseprobe
Eigentum am Arbeitsprodukt.
Stellst du durch deine Arbeit mit eigenen Werkzeugen und Materialien ein Produkt her, so ist dasselbe dein Eigentum.
Hast du nicht eigene Mittel zur Beschaffung der Materialien und Werkzeuge, so kannst du dieselben gegen übliche Verzinsung und ratenweise Rückzahlung entlehnen, wenn ein vermögender Freund, welcher Vertrauen in deine Ehrenhaftigkeit, Arbeitskraft und Fähigkeiten setzt, dafür haftet. Das Produkt deiner Arbeit oder der dafür erzielte Erlös ist auch dann dein unbestrittenes Eigentum.
Schafft ihr aber zu mehreren durch gemeinschaftliche Arbeit in einem Betriebe, mit Kapital, das ihr auf Grund der Haftung eines Kapitalisten entlehnt, verzinst und ratenweise rückzahlt, ein Gut und bringt es in den Konsum, so ist das Produkt eurer gemeinsamen Arbeit oder dessen Erlös Eigentum eurer Gemeinschaft, gleichgültig ob dieselbe aus wenigen oder Hunderten von Mitgliedern besteht. Der für euren Kredit haftende Kapitalist kann zur Sicherung gegen Verluste sich das Eigentumsrecht an eurem Betriebe vorbehalten und sich ausbedingen, von diesem Rechte unter gewissen Umständen Gebrauch zu machen, etwa wenn der Betrieb Verluste bis zu einem bestimmten Betrage herbeiführen sollte; er wird auch berechtigterweise für seine Haftung und die damit verbundene Mühewaltung eine mäßige Entschädigung, vielleicht in Form einer jährlichen Prämie, fordern können.
Ihr seid demnach unbestrittene Eigentümer eures Arbeitsprodukts, d. h. Selbstunternehmer, wenn ihr aus den Erträgnissen eures Betriebes die übliche Verzinsung und ratenweise Rückzahlung des geborgten Kapitals bewerkstelligt, und wenn gleichzeitig für letzteres in unanfechtbarer Weise gehaftet wird.
Dies entspricht den Sitten und der Moral, dem Rechtsgefühl und den Gesetzen.
Grundbegriff der Volkskasse.
Diese Haftung könnt ihr ohne fremde Hilfe selbst leisten, wenn ihr Arbeitenden alle als geschlossene Gesamtheit auftretet und einig handelt.
Ihr seid in Deutschland 50 Millionen Menschen, die von Gehalt, Lohn, Salär abhängen.[1] Wenn jeder von euch wöchentlich nur einen Pfennig in eine gemeinsame Volkskasse gibt, so werdet ihr als Gesamtheit in einer Woche eine halbe Million Mark besitzen; legt ihr dieselbe in unangreifbarer Form an, etwa in Hypotheken oder in sicheren Staatspapieren, so könnt ihr damit Bürgschaft leisten für einen Betrieb mit einer halben Million Mark Kapital, d. h. einige hundert eurer Brüder zu unabhängigen Selbstunternehmern machen, die über ihr Arbeitsprodukt frei verfügen.
Die allwöchentliche Wiederholung dieses unmerklichen Opfers führt in einem einzigen Jahre zu einem Besitz der Gesamtheit von 26 Millionen Mark, mit welchem ihr im Wege der Kredithaftung vielleicht 10000 Brüdern nebst ihren Familienangehörigen, im ganzen 20000 oder 30000 Menschen, unabhängig machen könnt. Entschließt ihr euch aber, statt in jeder Woche an jedem Tage einen Pfennig der Gesamtheit zu opfern, so habt ihr pro Jahr 182 Millionen und in 10 Jahren schon 2 Milliarden Mark zu eurer wirtschaftlichen Erlösung zur Verfügung.
Um dieses wundervolle Ziel zu erreichen, bedarf es nur einer winzigen, unfühlbaren Leistung jedes einzelnen für die Gesamtheit und des Eintretens, des Haftens dieser Gesamtheit für die einzelnen und deren Unternehmungen; die winzige Leistung muß aber von allen ohne Ausnahme vollbracht werden und sich unablässig wiederholen; führt ihr diesen Grundsatz mit eiserner Konsequenz durch, steht ihr zusammen wie ein Mann, handelt ihr zusammen wie ein Kopf, seid ihr unbeugsam gewillt, dieses Ziel zu erreichen, so habt ihr auch die Macht dazu; unaufhaltsam vermehrt sich die Wirkung, und in nicht zu ferner Zeit werdet ihr Brüder und Schwestern alle freie Herren eurer Arbeit sein.
Das Geld in eurer Volkskasse, euer Gesamtkapital, wird hierbei nicht ausgegeben; es hat das Wunder bloß durch sein Vorhandensein bewirkt; die Betriebe eurer Brüder sind mit dem Kredit geschaffen, welcher ihnen durch eure Gesamtbürgschaft zuteil wurde. Wenn diese Betriebe blühen und gedeihen und nach einigen Jahren in sich selbst die Sicherheit für ihr Kapital tragen, oder wenn sie es nach und nach zurückbezahlt haben, so kann die Gesamtheit mit der hierdurch frei werdenden Bürgschaftssumme neue Betriebe ins Leben rufen und so in immer wachsendem Tempo das Werk der wirtschaftlichen Erlösung beschleunigen.
Der Inhalt eurer Volkskasse aber, gebildet aus euren unaufhörlich fließenden einzelnen Pfennigen, immer vermehrt und niemals vermindert, wird mit der Zeit unermeßlich werden wie das von den unablässig fallenden Regentropfen gebildete Meer.
Ihr kennt das Beispiel eines zu Anfang unserer Zeitrechnung zu 5% auf Zinseszins angelegten Pfennigs. Derselbe wäre heute zu einer Summe angewachsen, zu deren Darstellung man 5000 Millionen massiv goldener Kugeln von der Größe unserer Erde brauchen würde; diese Rechnung, auf eure Brüderpfennige angewendet, zeigt, daß bei einer Kopfleistung von 1 Pfennig pro Woche die 26 Millionen eurer ersten Jahressammlung allein nach 100 Jahren schon 2¹/2 Milliarden Mark überschreiten, nach 200 Jahren 250 Milliarden Mark. Bei einer Kopfleistung von 1 Pfennig pro Tag aber wachsen die 182 Millionen eurer ersten Jahressammlung nach 100 Jahren auf 18 Milliarden und nach 200 Jahren auf 1800 Milliarden an. Diese an sich schon beinahe unfaßbar hohen Zahlen werden noch beliebig oft vervielfacht, wenn ihr nicht 1 Jahr lang, sondern 10, 20, 30 Jahre lang eure Pfennigsammlung fortsetzt. Wenn ihr also unentwegt Jahr auf Jahr, Jahrzehnt auf Jahrzehnt täglich euren Pfennig zur Volkskasse tragt, so werdet ihr in absehbaren Zeiten als Gesamtheit über ein Vermögen verfügen, für welches das Wort unermeßlich nicht übertrieben erscheint, auch wenn einige eurer Unternehmungen mißlingen und die Bürgschaft eurer Volkskasse von Zeit zu Zeit wirklich beanspruchen sollten.
Begreift ihr die Macht der Zahl und der Zeit? Begreift ihr, daß ihr euch selbst erlösen könnt, wenn ihr Zahl und Zeit richtig verwendet, die Zahl durch Einigkeit, die Zeit durch Beharrlichkeit? Begreift ihr aber auch, daß ihr diese Macht nur habt, wenn jeder von euch, ohne Ausnahme, für die Gesamtheit wirkt, und daß ihr sie nur behaltet, wenn ihr geschlossene Gesamtheit, d. h. einig bleibt?
Nehmt einmal an, ihr hättet alle während mehrerer Jahre einige Pfennige pro Woche und Kopf geopfert, dadurch eure deutsche Volkskasse gegründet und sie besitze bereits 100 oder 200 Millionen Mark; sie werde verwaltet von einem Ausschuß der Besten und Tüchtigsten unter euch, durch euer Vertrauen und von euch selbst berufen zu diesem Ehrenamt. Das Direktorium dieser eurer Volkskasse sei fest organisiert, ihre Gelder in sicherster Form zinstragend angelegt, mit der Bestimmung, daß kein Pfennig davon andern Zwecken dienen darf als ausschließlich der Haftung für den euren Betrieben gewährten Kredit.
Wie werdet ihr nun diese Betriebe ins Leben rufen?
Grundbegriff des Bienenstocks.
Ihr wollt z. B. einen großen Betrieb zur Herstellung von Schuhen errichten.
Unter denjenigen, welche durch ihre stets wiederkehrende brüderliche Leistung zur Volkskasse deren Bestehen ermöglichten – sie seien einfach Brüder genannt – sucht das Direktorium der Volkskasse diejenigen Männer als Leiter des künftigen Unternehmens aus, welche in diesem Fache den Ruf großer Fähigkeiten genießen und als Ehrenmänner bekannt sind; es schließt mit denselben einen Vertrag, welcher ihre Bezüge, ihre Rechte und Pflichten als Vorstände des Betriebes festsetzt und sie ermächtigt, das nötige Kapital – es sei 1 Million Mark – durch eine Anleihe aufzunehmen, welche aus den Geschäftserträgnissen zu verzinsen und innerhalb 50 Jahren in gleichmäßigen Raten an die Darleiher zurückzuzahlen ist.
Die Schuldscheine, welche für diese Anleihe von der neuen Unternehmung ausgegeben werden, sind mit der unbedingten Haftungsklausel der Volkskasse sowohl für Kapital als Zins versehen; ist der Zinsfuß etwas höher, etwa um 1% als üblich, so wird den Vorständen des zu gründenden Betriebes das Kapital von selbst zufließen, denn keine andere Geldanlage bietet gleiche Vorteile und Sicherheiten. Die Schuldscheine selbst können bei Beobachtung gewisser Formen wie Banknoten als Zahlmittel dienen.
Für ihre Haftung behält sich die Volkskasse das Eigentumsrecht an eurem Betriebe vor, und für ihre Bemühungen und Spesen erhält sie aus eurem Betrieb eine kleine jährliche Prämie, denn das Kapital der Volkskasse darf bestimmungsgemäß nicht angegriffen werden, also auch nicht für geschäftliche Auslagen.
Mit dem Gelde dieser Anleihe errichten die Vorstände ihren Betrieb, genau wie es die Direktoren einer Aktiengesellschaft mit dem ihnen anvertrauten Kapital zu tun pflegen. Sie bringen selbstverständlich die besten Maschinen und technischen Hilfsmittel zur Anwendung, suchen sich unter der Zahl der Brüder die besten als Beamten, Meister und Arbeiter; haben sie doch hieran das größte Interesse, da das ganze Betriebserträgnis Eigentum der Mitwirkenden ist und ihnen als Gegenwert ihrer Arbeit ausbezahlt wird. In einem solchen Betrieb wird jeder ganz von selbst, aus eigenstem Interesse seine höchste Leistung einsetzen; jeder wird sein ganzes Können, seine ganze Zeit und Kraft dem gemeinsamen Werke widmen, dessen Resultat gemeinsames Eigentum ist.
Denkt ihr dabei nicht an einen Bienenstock, in welchem jede Biene in unausgesetztem, hingebendem Fleiß am gemeinsamen Werke mithilft und in welchem der gesammelte Honig gemeinsames Eigentum aller Bienen des Stockes ist als Nahrung, nicht nur für den Augenblick, sondern auch für die Zeit des unproduktiven Winters? Kommt ihr nicht von selbst auf den Gedanken, ein solches Unternehmen einen Bienenstocksbetrieb oder kurz Bienenstock und dessen Mitglieder Bienen zu nennen?
Ebenso wie für Schuhe errichtet ihr unter dem Schutze der Haftung der Gesamtheit – der Volkskasse – noch andere Bienenstöcke für Kleider, Wäsche, Lebensmittel, Möbel, Hausgerät usw., und in kurzer Zeit besitzt ihr einen Grundstock von Selbstbetrieben, welche die wichtigsten Lebensbedürfnisse nicht nur der darin Beschäftigten, sondern einer vielfach höheren Anzahl von Menschen herstellen können, und welche den Ausgangspunkt einer großartigen, auf Interessengemeinschaft beruhenden Organisation bilden.
Da nämlich eure sämtlichen Bienenstöcke einen gemeinsamen Ursprung und einen gemeinsamen Besitzer, die Volkskasse, haben, so werden sie sich nicht gegenseitig Konkurrenz machen, sondern sich aushelfen und unterstützen. Geradezu selbstverständlich ist, daß jeder Bienenstock den andern seine Produkte zusendet für den Absatz an ihre Bienen; denn jeder Bienenstock vereinigt durch seinen Betrieb eine große Anzahl von Menschen, deren Lebensbedürfnisse am einfachsten und bequemsten am Arbeitsorte selbst befriedigt werden. – Eure Bienenstöcke tauschen also ihre Waren aus; in jedem derselben entsteht auf diese Weise ein Tauschlager, dessen Waren den Bienen und deren Familienmitgliedern, aber auch den Brüdern im allgemeinen, zur Verfügung stehen, und zwar zu den denkbar billigsten Preisen, da keinerlei Zwischenspesen darauf lasten.
Der Bienenstock erhöht also eure Einnahmen, indem er euch sein ganzes Betriebserträgnis auszahlt, und er erniedrigt gleichzeitig die Ausgaben für eure gesamte Lebenshaltung, indem er euch eure Lebensbedürfnisse zu den niedrigsten überhaupt erreichbaren Kosten am Arbeitsorte überläßt.
Da ihr nun notwendigerweise durch eure Tätigkeit gezwungen seid, euch täglich in eurem Bienenstock zu vereinigen und eure Familien in der Nähe zu haben, so drängt sich von selbst der Gedanke auf, diese Versorgung nicht auf die materielle Seite eures Lebens zu beschränken, sondern auch auf eure sonstigen körperlichen, geistigen und sittlichen Bedürfnisse auszudehnen durch Einrichtungen, welche am besten als »soziale Einrichtungen« des Bienenstockes bezeichnet werden.
Auf diese Weise wird der Bienenstock nicht nur ein Produktionszentrum, sondern gleichzeitig ein Zentrum vollständiger wirtschaftlicher Versorgung für euch und die eurigen von der Geburt an bis zum Tode.
Kapitel 2.
Organisation der Volkskasse. Volksvertrag.
Inhaltsverzeichnis
Vorhin wurde vorausgesetzt, eure Volkskasse sei bereits gegründet und fest gefügt; nunmehr ist deren Organisation zu erläutern.
Grundlagen und Zweck der Volkskasse.
Die Volkskasse beruht auf einem Vertrag, den die freiwillig Beitretenden unter sich abschließen; letztere werden im einzelnen, je nach ihrem Geschlecht, Brüder oder Schwestern, in ihrer Gesamtheit aber ohne Unterscheidung Brüder genannt; ihr Vertrag heißt kurzweg Volksvertrag. Die Brüder vereinbaren darin, unter sich die Errichtung von Bienenstöcken zu veranlassen, zu unterstützen und zu fördern und möglichst zahlreiche Brüder zu Bienen, d. h. zu Mitgliedern von Bienenstöcken zu machen.
Bienenstöcke sind Betriebe, welche unter Ausschluß der Erzielung eines Gewinnes folgende Zwecke haben:
ihre gesamten Erträgnisse ihren Bienen als Gegenwert ihrer Arbeit auszuzahlen und durch richtige Organisation der Arbeit und der Güterverteilung die Einnahmen der Bienen zu erhöhen, deren Ausgaben zu vermindern und ihre materiellen Bedürfnisse vollständig und in möglichst vollkommener Weise zu befriedigen;
durch soziale Einrichtungen auch für die Befriedigung der körperlichen, geistigen und sittlichen Bedürfnisse der Bienen und ihrer Angehörigen, wozu auch ein ausreichendes Maß von Lebensannehmlichkeiten gehört, möglichst vollständig zu sorgen;
durch vorsorgliche Maßnahmen die Bienen und ihre Angehörigen von der Geburt bis zum Tode vor den Folgen der natürlichen Ungleichheiten (Verschiedenheit der Gesundheit, der physischen und geistigen Fähigkeiten, der Lebensdauer) und der sozialen Schädlichkeiten (Unfälle, Arbeitslosigkeit) zu schützen;
nicht zum Bienenstock gehörende Brüder in möglichst großem Umfange in den Mitgenuß der aufgezählten Vorteile zu setzen.
Zur Erreichung dieser Zwecke hat jeder Bienenstock in seinem Betrieb folgende Abteilungen:
einen Produktivbetrieb zur Herstellung von Arbeitsprodukten oder für bestimmte Arbeitsleistungen;
ein Tauschlager für Austausch und Verteilung der Güter;
die sozialen Einrichtungen;
die vorsorglichen Kassen, deren Führung und Kontrolle vertragsmäßig der Volkskasse zusteht, bzw. für welche dieselbe haftet.
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Erlösung des Menschen Rudolf Diesel Ingenieur in München