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5.2 - Der drohende Krieg 

  

 

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Erinnern wir uns: Wenn die Last des Wettrüstens abgeworfen sei, werde die Friedensdividende fällig. Wenn die reichen Staaten ihre Rüstungs­haushalte beschnitten, sei mehr Geld da für die Armen im Süden. 

Das Wettrüsten ist beendet. Von einer Friedensdividende aber ist längst nicht mehr die Rede. Wer begreift, was die Entwicklungs­politik bisher angerichtet hat, wird darüber nur bedingt traurig sein. 

Aber daß nach dem Ende der Ost-West-Konfrontation Entwicklungs­länder nicht mehr gebraucht werden als Bündnis­partner, sondern nur noch als Lieferanten billiger Rohstoffe und als Absatzmärkte sogar für landwirt­schaftliche Produkte aus dem Norden, drängt die Dritte Welt gänzlich an den Rand. Die »Marginalisierung« eines Großteils unserer Welt ist angebrochen, von einer »weltweiten Apartheid zwischen Nord und Süd« spricht der Gießener Soziologe Reimer Gronemeyer.(560)   wikipedia  Reimer_Gronemeyer  *1939 in Hamburg

Und Rajan Malaviya, einst Sprecher der Bewegung der Blockfreien, erklärt: »Wir werden kein globales Jalta akzeptieren.« Die UNO schilt er als undemokratische Organisation mit oligarchischen Strukturen, dem »Weltunsicher­heitsrat« stehe eine wirkungslose Vollversammlung gegenüber. Nach dem Niedergang des traditionellen Kolonialismus stelle sich die Frage, ob seit dem Golfkrieg nicht eine neue Form von Kolonialismus entstehe.561

In der Tat befürchten Vertreter der Dritten Welt, aber auch Fachleute im Norden, daß die Industriestaaten ihre Sicherheits­interessen neu definieren, diesmal gegenüber den Entwicklungsländern. Der Golfkrieg sei typisch für die Zukunft, wenn es nicht gelinge, die »Neue Weltordnung« unter Führung der USA zu verhindern, mahnt Johan Galtung.562

Und Willy Brandt erklärte kurz vor seinem Tod, Europas Sicherheit werde nicht mehr nur durch Massen­vernichtungs­mittel gefährdet, sondern ebenso durch Verteilungs­kämpfe, Wanderungs­bewegungen und Menschen­rechtsverletzungen.563

Der französische Politintellektuelle Jacques Attali, ehemaliger Präsidentenberater, heute Direktor der Europäischen Entwicklungs­bank, befürchtet hinsichtlich des Elends der Armen gar: 

»Wenn der Norden angesichts ihrer Notlage weiterhin passiv und gleichgültig bleibt, besonders aber, wenn Osteuropa dank der vollen Kraft westlicher Hilfs­bereit­schaft in die Umlaufbahn des Wohlstands katapultiert, der Süden hingegen vernachlässigt wird, werden die Völker der Peripherie zwangsläufig aufbegehren und eines Tages einen Krieg beginnen.« 564

Im Süden wie im Norden bauen sich neue Bedrohungsbilder auf und verstärken sich alte. Der Golfkrieg hat gezeigt, daß der massenpsychische Untergrund des Nord-Süd-Gemengelages tiefe Risse aufweist. Daß einem außer­gewöhnlich brutalen Diktator und Aggressor trotz des von ihm vor aller Welt begangenen Rechtsbruchs besonders in der islamischen Welt so viel Sympathie entgegengebracht worden ist, haben viele Beobachter im Norden als »typische arabische Irrationalität« abgetan. Ich vermute, es handelte sich vielmehr um einen Ausdruck massiven Unbehagens gegenüber der westlichen Bevormundung.

Der Pakt mit den Öldiktaturen am Golf hat die moralische Glaubwürdigkeit des Westens weiter angeschlagen. Dies addierte sich zu einer arabischen Grund­erfahrung seit Anfang der siebziger Jahre: Als die Ölstaaten mächtig waren und dem Westen den Hahn abzudrehen drohten, waren die kapitalistischen Staaten bereit zu Zugeständnissen in der Nahostpolitik. Die Bereitschaft schwand in dem Maße, wie das OPEC-Kartell unterminiert wurde.

Es gilt generell: Die Industriestaaten sind nur dann auf Forderungen anderer eingegangen, wenn sie ihre Interessen fördern konnten oder wahren mußten. Der Marshallplan mit seinem riesigen wirtschaftlichen Anstrengungen ist ein Beispiel, die rasche Umleitung enormer Geldmittel gen Osten nach dem Zusammen­bruch des Sowjetimperiums oder eben der teure Golfkrieg sind weitere Exempel für die Fähigkeit des Westens, schnell und massiv zu reagieren.

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Leider müssen die Menschen in der Dritten Welt bis heute darauf warten, daß wir so rasch wie drastisch die Korrekturen bei uns selbst durchsetzen, die im globalen Interesse verwirklicht werden müssen. Das spüren die Asiaten, Afrikaner und Latein­amerikaner, und deshalb sind ihre Helden nicht die unsrigen. Das gilt nicht nur für Saddam.

Auch der ugandische Diktator und Menschenverächter Idi Amin war ein Held in Afrika, weil er sich nicht bevormunden lassen wollte vom Westen, das zählte mehr als alle seine Verbrechen. Und der nicht minder autoritäre Herrscher der Zentral­afrikanischen Republik Bokassa wurde von vielen Landsleuten verehrt, weil er Kritik aus dem Norden an seinen Menschen­rechts­verletzungen und seiner ungehemmten Bereicherung zurückwies.

Besonders im Islam wird eine ideologische Strömung stärker, die sich mit allen Mitteln dagegen wehrt, westliche Werte zu übernehmen: der Fundament­alismus. Seine Wurzeln findet er in einer traumatischen Erfahrung der Moslems, der Kolonial­herrschaft. Die eigene Unterwerfung und die Arroganz der Europäer, gepaart mit einem Modernitätsschock, haben Ablehnung und Haß entstehen lassen.(565)  

Für den Fundamentalismus gibt es nur zwei Welten, die eigene und die der Feinde. Alles Schlechte in der eigenen Welt kommt von außen, ist eine Verschwörung des Westens, von dem man allenfalls moderne Waffen­technik akzeptiert, um sie gegen ihn einzusetzen. Der Göttinger Politologe Bassam Tibi hat in einem dankenswert nüchternen Aufsatz die Strukturen fundament­alistischen Denkens untersucht. Eines seiner Ergebnisse:

»Eine der dramatischen Folgen des Verschwörungsdenkens ist die Dämonisierung der Außenwelt und die Zurückführung allen Übels auf ihre <Machenschaften>. Damit ist die Unfähigkeit verbunden, die Realität so wahrzunehmen, wie sie beschaffen ist. Diese Unfähigkeit wird dem gesamten Kollektiv quasi als kulturelles Gebot vorgeschrieben.« 566

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Zugespitzt formuliert heißt das, daß es Frieden zwischen dem noch nicht im westlichen Zeittakt lebenden Islam und den Industriestaaten nur gibt, solange die arabische Welt trotz der Bereitschaft, die Wirklichkeit zu verleugnen, den Krieg nicht wagt.

Es handelt sich hier keineswegs um eine anthropologische Eigenart der Araber, sondern um die kulturelle Ausprägung einer menschlichen Grundkonstante. Eugen Lemberg hat schon vor fast zwanzig Jahren darauf hinge­wiesen, daß die gruppen­zusammen­haltende Funktion von Ideologien ihre Entsprechung findet in der Abgrenzung gegen die Umwelt. Das ist von art- und lebenserhaltender Bedeutung, weil so die bergende Rolle der Gruppe bewußt wird.   wikipedia  Eugen_Lemberg  *1903 in Pilsen bis 1976

»Das Bewußtsein vom Unterschied zwischen eigener und fremder Art mag wegen der ungerechten und konflikt­erzeugenden Vorurteile, die es bedingt, in einer zivilisierten Gesellschaft noch so viele Bedenken hervorrufen und zu Bemühungen herausfordern, es zugunsten einer humanen und vorurteilsfreien Haltung dem Fremden gegenüber zu überwinden:

Es hat offensichtlich schon in der menschlichen Urgeschichte wie bei gesellig lebenden Tieren eine gewisse Schutzfunktion gehabt, eine lebens- und arterhaltende Aufgabe erfüllt. Diese Schutzfunktion mußte um so wirksamer werden, je stärker die anders- oder fremdartige Umwelt den Charakter einer feindlichen Gegenwelt erhielt und so Instinkte der Abwehr, Emotionen, Furcht oder Aggression hervorrief. Deshalb enthält jedes ideologische System ein Feindbild.« (567)

Fast scheint es, als sei es nur der Mangel an Fähigkeit, der manche Dritte-Welt-Kräfte daran hindert, dem Westen massiv entgegenzutreten. Die Bemühungen einiger arabischer Regierungen, sich mit Israel auszusöhnen, drücken zuerst das reale Kräfteverhältnis vor Ort aus und sind nicht zuletzt das Resultat US-amerikanischen Drucks. Die Erschütterungen, die die islamische Welt seit einigen Jahren heimsuchen, das Wieder­erstarken des Fundamentalismus, die Brüchigkeit vieler arabischer Regimes begründen Zweifel, ob der Friedensprozeß schon so stark verankert ist, daß nichts mehr ihn aufhalten kann.

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In welchen Händen werden schließlich westliche Waffenlieferungen an Saudi-Arabien und andere islamische Staaten landen? Wer glaubt, die maroden und nur auf Ölreichtum gestützten Diktaturen arabischer Autokraten wären eine stabile Bastion gegen den Fundamentalismus, spielt mit dem Feuer. Auch eine Pseudodemokratie wie Ägypten und die schon weitgehend am westlichen Tropf hängende jordanische Monarchie haben eine begrenzte Verfallszeit.

Nicht nur im Verständnis der Fundamentalisten haben die Araber mit uns noch einige Rechnungen offen. Für eine Weltan­schauung, die den gesamten Erdball erobern wollte, ist der heutige Zustand einer Begrenzung auf sein Ursprungsgebiet schwer erträglich. Zumal dieses schon erschüttert wird durch die zersetzende Wirkung der Marktwirtschaft unserer Prägung. Sie kennt keinen Respekt vor Kultur und Religion, sondern walzt alles nieder, was sich ihren Gesetzen in den Weg stellt. Dieses Zusammentreffen einer missionarischen Ideologie mit einer strukturell aggressiven Lebensweise gebiert Gewalt.

Die 42 Tage des Golfkriegs mit ihrer Todesbilanz von 56 US-amerikanischen, 15 britischen und 2 italienischen Opfern auf der einen und etwa 200.000 gefallenen irakischen Soldaten und ungezählten getöteten Zivilisten auf der anderen Seite waren ein gigantisches Manöver, das nicht nur der Psychotherapie eines ganzen Volkes, nämlich der unter dem Vietnam-Trauma leidenden US-Amerikaner, diente, sondern auch dem Rest der Welt vorführte, was der Westen kann und was er tut, wenn seine Interessen verletzt werden. Wenn Menschenrechte und Befreiung von Okkupation die ausschlaggebenden Gründe gewesen wären, dann hätte es zuvor und danach nicht wenige Gelegenheiten gegeben, diesem edlen Streben nachzugehen. Wenn die Einhaltung von UNO-Resolutionen ein Kriegsgrund ist, dann hätte es zuvor und danach tausend Kriegsgründe gegeben. So sehen es viele im Süden. Haben sie völlig unrecht? 

Die Unfähigkeit der Politik des Nordens, die engen Grenzen ihrer Wirksamkeit wahrzunehmen, kombiniert sich mit militärischer Gewalt.

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Das ist in den Augen ihrer Urheber nur logisch: Da unsere Entwicklungspolitik trotz aller Ansprüche gescheitert ist und durch keine noch so plausibel klingenden Korrekturen in Überstimmung gebracht werden kann mit ihren vorgeblichen oder tatsächlichen Intentionen, bleibt uns nur noch übrig, uns gegen den Ansturm der Armut zu verteidigen und die Versorgung unserer Wirtschaft zu sichern.

Schon diese Konstellation ist friedensgefährdend. Mehr als naiv ist, wer glaubt, alle Staaten der Dritten Welt ergäben sich ihrem Schicksal und akzeptierten für alle Zeiten, daß ein geringer Teil der Menschheit ein Maximum an Ressourcen verbraucht und den überwiegenden Anteil der Umweltverschmutzung verursacht, während es für die schuldlos Armen keine Perspektiven aus dem Jammertal geben soll. Es ist vorstellbar, daß Regierungen und politische Kräfte darin eine permanente Kriegserklärung sehen, wenn die Klima­katastrophe sich austoben wird. 

Was etwa bleibt Ländern, die durch Dürre weitere landwirtschaftliche Nutz­flächen verlieren oder sogar ganz überschwemmt werden, während der Norden für diese wesentlich von ihm zu verantwortenden Verluste die Opfer mit Almosen abspeist, wenn überhaupt?

Wäre es nicht ein Wunder, wenn aus dieser Verzweiflung keine Gewalt entspränge? Wenn nicht zumindest jeder Dutzenddiktator, der die Industriestaaten anklagt oder gar provoziert, bejubelt würde? Richten wir uns also ein auf künftige Saddam Husseins, die allein schon dadurch populär werden, weil sie es uns richtig geben. Wir sitzen auf einem Pulverfaß. Es könnte ein nichtiger Anlaß genügen, um es zu entzünden.

 

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     Nie waren Massenvernichtungswaffen so wertvoll wie heute     

 

Gerade zwei Wochen, im September 1945, war die Welt ohne Krieg oder Bürgerkrieg.568 Die meisten blutigen Konflikte fanden fernab statt in den Kolonien oder später in oder zwischen den neuen Staaten, eingeschlossen allerdings eine stattliche Zahl von Stellvertreterkriegen.

Drei Viertel aller rund 170 Kriege zwischen 1945 und 1990 wurden zwischen Entwicklungs­ländern ausgetragen569, die meisten jedoch wären nicht möglich gewesen, hätte der Norden nicht die Waffen zum Töten geliefert. Die Zahl der Opfer liegt zwischen 15 und 35 Millionen.570

Gewalt gehört zum Alltag, ist vielerorts das Mittel Nummer eins, um Konflikte auszutragen und zu beenden. Angesichts des Unwillens und der Unfähigkeit der Industriestaaten, aus eigener Einsicht oder aufgrund von Forderungen aus der Dritten Welt einen Kurswechsel einzuleiten, drückt der Norden selbst die Perspektiven in Richtung Gewalt. Man hat es den Kriegsgegnern von morgen deutlich genug gemacht, daß ohne Drohpotential nichts zu bewegen ist. Da staunt der Süden über die Finanzspritzen an die Raketen-Supermacht Rußland und über das Entgegenkommen, dessen sich die Regierung der Ukraine einige Jahre erfreuen durfte, solange sie auf Atombomben saß. Die Stalinisten Nordkoreas genießen freundlichste Unterstützung aus dem Westen, seit sie Nuklearpoker gespielt haben. Nie waren Massen­vernicht­ungs­mittel so wertvoll wie heute. Das begreift inzwischen auch der dümmste Diktator. Erpressung liegt in der Luft. Die Strategen der NATO wissen das: Wir werden noch zu schildern haben, wie sie sich auf das neue Feindbild einstellen.

Hinzu kommen weitere Momente, die die Gefahr erhöhen. Wo Knappheit herrscht, ist Streit nicht weit. Schon die weltweit mißachtete Studie »Global 2000« hatte vor den Gefahren gewarnt, die durch Wassermangel entstehen können. Besonders Länder mit hohem Bevölkerungswachstum in Afrika, Südasien, im Mittleren Osten und in Lateinamerika leiden an der Knappheit dieser nicht vermehrbaren Ressource. Wie werden Brasilien und Argentinien das Wasser unter sich aufteilen, das der Rio de la Plata führt? Wie werden sich die verfeindeten Atommächte Indien und Pakistan am Indus verhalten? Wie regeln Israel, Syrien und Jordanien den Wasserverbrauch am Jordan?571) Und wie einigen sich die Türkei, Syrien und der Irak darüber, wie das Wasser von Euphrat und Tigris verteilt wird?

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Wasser wird im Nahen Osten bald kostbarer sein als Öl. Der Journalist Carl E. Buchalla hat in einem vorzüglichen Aufsatz darauf hingewiesen, daß »der nächste Krieg im Nahen Osten, sollte er durch die anzweifelbare Vernunft von Politikern nicht verhindert werden können, (...) zwangsläufig um Wasser geführt werden« wird. 572)  

Wie werden die Industriestaaten reagieren, wenn sie dann nicht mehr ausreichend mit dem für sie nach wie vor elementaren Rohstoff Erdöl versorgt werden, weil um Wasser gekämpft wird? Und wie wird die Lage aussehen, wenn der Abwehrkampf des Fundamentalismus mit dem Konflikt ums Wasser verschmilzt?

Ressourcenknappheit, Nahrungsmangel, soziales Elend, Bevölkerungsdruck sind weitere Ursachen, die schon heute für Konflikte sorgen. Friedensforscher sprechen von der »Chaosmacht« des Südens, die mit Verelendung, Kriegen, Katastrophen, Völker­wanderungen, aber auch mit der zunehmenden militärischen Stärke einzelner Entwicklungsländer wachse und die Industrie­staaten nicht unberührt lassen könne. Wird es nach der Ablösung des alten Feindbilds zu einem neuen kommen: Feindbild Dritte Welt? Wird im Norden die Hemmschwelle sinken, Gewalt im Süden einzusetzen? 573)

Wenn sich größere Teile der Dritten Welt dem Norden entziehen, nicht mehr kontrollierbar sind, wird der Drang stärker, militärisch zu intervenieren (unter welchen Vorwänden auch immer). Die Industriestaaten sind nicht autark, vielmehr abhängig von Rohstoffen außerhalb ihrer Grenzen. Was geschieht, wenn der islamische Fundamentalismus am Golf weiter vordringt? Bricht dann die Ölversorgung des Nordens zusammen? Und dürfen wir dann andere Länder zwingen, uns Öl zu verkaufen? Haben wir ein verbrieftes Recht darauf, fossile Brennstoffe im Eiltempo durch die Schornsteine zu jagen?

Außer Öl müssen wir viele andere Rohstoffe einführen, um die Produktion aufrechtzuerhalten. Die Industrie­staaten sind zum Teil hundertprozentig davon abhängig, bestimmte Metalle zu importieren wie Bauxit, Chrom, Kobalt, Mangan, Tantal, Titan oder Vanadium. 574)  

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Eine weitere Gefahr ist nicht gering einzuschätzen: 

Wenn die Kluft zwischen Nord und Süd weiter wächst, sehen wir uns Auswanderungs­wellen gegenüber, deren Ausmaß das bei weitem überschreiten wird, was bei uns schon ausreichte, um eine denkwürdige Asylrechts­debatte auszulösen.575) Wie wollen Europa und Nordamerika die neuen Elendsflüchtlinge aus dem Süden, aber auch aus dem Osten abwehren? Mit einem hohen Zaun und Waffen wie an der Grenze zwischen den Vereinigten Staaten und Mexiko? Mit einer Mauer an Südspaniens Küsten, wo schon heute jedes Jahr mehr Leichen von Flüchtlingen angeschwemmt werden? Und wie werden die, die abgewiesen werden sollen, darauf reagieren, wo es für sie kaum ein Zurück gibt? Werden nicht Situationen entstehen, die zwangsläufig Gewalt gebären?

Ebenso in kriegerischer Eskalation enden können die zunehmenden militärischen Eingriffe des Westens sowie Rußlands in ihren Interessensphären. Nur wenige nüchterne Beobachter haben in der Hochzeit des kalten Kriegs die These gewagt, daß die Rivalität zwischen Ost und West zuerst geopolitischer Natur sei und durch ideologische Konvergenzen lediglich verschärft werde. 

Heute ist offenkundig, daß sich diese Konkurrenz zwischen der NATO auf der einen und Rußland auf der anderen nach einer kurzen Ruhephase aufgrund innerrussischer Verwerfungen wieder herausbildet, auch mit militärischen Konsequenzen. Hoffentlich läßt sich ein neues Wettrüsten vermeiden und das Gegeneinander auf die Politik beschränken.

 

    Die neuen Bedrohungen    

 

Es geht den Industriestaaten weiterhin nicht darum, Gerechtigkeit einziehen zu lassen in die ökonomischen Beziehungen zwischen Nord und Süd, es geht vielmehr um eine neue Weltordnung, um einen »robusten Interventionismus«, um den Weg vom »kalten Krieg zur heißen Ordnung«, in der Staaten und Regionen im Elend versinken dürfen, es sei denn, die Interessen der Reichen sind in Gefahr.576

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Die haben sich auf die neuen Bedrohungen schon eingerichtet. Der verstorbene NATO-Generalsekretär Manfred Wörner hat sich 1991 so aufschlußreich dazu geäußert, daß hier ein längeres Zitat nicht zu umgehen ist:

»Wenn wir von einer Verringerung der klassischen Bedrohung der Sicherheit des Bündnisses sprechen, dann dürfen wir nicht die wachsende Bedeutung der von außerhalb, des Bündnisgebiets auf uns zukommenden Herausforderungen übersehen. Wie die Golfkrise zeigt, können neue und bedeutende Gefahren aus unerwarteten Quellen auftauchen. Zwar hat sich das Bündnis seit seiner Gründung immer wieder solchen Herausforderungen gegenüber gesehen, aber es liegen jetzt Gründe für die Annahme vor, daß sie von keinem einzelnen Bündnispartner als zu weit entfernt oder sekundär betrachtet werden können.

Der Trend zur Abrüstung und zu schrumpfenden Verteidigungshaushalten läßt die Bedeutung der Waffenarsenale in vielen Ländern der Dritten Welt, die — wie im Irak — eine globale Dimension angenommen haben — als um so gefährlicher erscheinen. Zu diesen Arsenalen gehören zunehmend auch Massen­vernichtungs­waffen, die zur unmittelbaren Bedrohung des Bündnisgebiets oder als Druckmittel gegenüber unserer Politik eingesetzt werden könnten.

Entlang der gesamten Südgrenze des NATO-Gebiets entwickelt sich ein Spannungsbogen vom Maghreb bis zum Nahen Osten. Die ohnehin dort herrschenden Spannungen werden nicht nur durch die Insistenz absolutistischer und ehrgeiziger Herrscher wie Saddam Hussein, sondern auch durch das erneute Auftauchen tiefverwurzelter Entwicklungsprobleme verschärft, die zu einem noch größeren Bevölkerungswachstum, zu Wanderungserscheinungen, Ressourcenkonflikten, religiösem Fundamentalismus und zu Terrorismus führen.

Wir können daher heute weniger denn je die Sicherheit des Bündnisse als etwas betrachten, das an unseren Grenzen haltmacht oder das nur diejenigen Bündnispartner betrifft, die besondere Beziehungen zu diesen Regionen unterhalten.«  577)  

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Die »Verteidigungspolitischen Richtlinien« des Bundesministeriums für Verteidigung haben vorgesorgt für die neue Zeit: »Deutschland ist eine kontinentale Mittelmacht und exportabhängige Industrienation«, heißt es darin. Zu den »vitalen Sicherheits­interessen der deutschen Politik« zählt nun auch die »Aufrechterhaltung des freien Welthandels und ungehinderten Zugangs zu Märkten und Rohstoffen im Rahmen einer gerechten Welt­wirt­schafts­ordnung«. 578  

Den Verweis auf eine gerechte Weltwirtschaftsordnung — was immer die Militärs darunter verstehen — können wir mit gutem Gewissen zur Rechtfertigungsrhetorik zählen. Bisher jedenfalls hat sich die Bonner Politik günstigstenfalls verbal dafür eingesetzt, geschehen ist in dieser Richtung nichts. Statt dessen verweisen die Richtlinien auf »demographische, ökonomische und ökologische Fehlent­wicklungen«. »Kommt es zu solchen Fehlentwicklungen, werden zerstörerische Einflüsse auch in die hochent­wickelten Gesellschaften getragen. Bei insgesamt negativem Entwicklungsverlauf kann dieser Zusammenhang auch militärische Dimensionen gewinnen.« 579  

Schon am 27. Februar 1989, also vor dem Zusammenbruch des Warschauer Pakts, hat ein Generalmajor namens Klaus Naumann, damals Abteilungs­leiter für Militärpolitik im Führungsstab der Streitkräfte, eine bemerkenswerte Erklärung abgegeben, die nicht zuletzt zeigt, daß führende Köpfe der Bundeswehr nach wie vor ganz eigene Schwierigkeiten haben mit der Aufarbeitung der nationalsozialistischen Gewalt­verbrechen. Naumann formulierte seine Sorgen wie folgt:

»Die deutsche Einschätzung der Rolle militärischer Macht ist es, die unsere Situation im Bündnis so ungeheuer erschwert. Staaten, die aus Tradition ein gewachsenes und gesundes Verhältnis zur Macht haben, sehen die Zukunft der Rolle militärischer Macht im globalen Kontext weit nüchterner, weit objektiver als wir. In diesem zusammenwachsenden Europa, das in einer interdependenten Welt entsteht und das immer, in jeder seiner Handlungen, globalen Kontext zu berücksichtigen hat, muß man Macht in allen Facetten ausüben können.

Wir haben infolge unseres Verhaftetseins aus geschichtlicher Erfahrung in einem Versöhnungs- und Friedenspathos Probleme, uns mit der legitimen Anwendung von Gegengewalt ausein­anderzusetzen. Insofern sind wir Deutschen völlig isoliert im westlichen Bündnis. (...) Solange wir diesen Widerspruch nicht auflösen und uns zu militärischer Machtanwendung bekennen können, werden wir im zusammenwachsenden Europa eine untergeordnete Rolle spielen, werden Politik- und Handlungsfähigkeit verlieren.« 580  

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Endlich schießen wie Amerikaner, Engländer oder Franzosen, endlich das »Versöhnungspathos« ablegen und jenen NS-Ballast, der den Großmacht­träumen deutscher Militärs als moralische Hürde im Weg steht. Seien wir dankbar für die Offenheit eines deutschen Offiziers, der es uns erspart, zwischen den Zeilen Inter­pretations­künste üben zu müssen.

Der Generalmajor wurde übrigens nicht aus dem Dienst verjagt, sondern kurz nach dieser Äußerung zum General­inspekteur der Bundeswehr befördert, zu Deutschlands erstem Soldaten.

Diese Militarisierung der Sicherheits- und Außenpolitik haben zum Mißfallen ihres Ministers und der Generale sogar Sozial­wissenschaftler an der Führungsakademie der Bundeswehr bemängelt. Statt sich den Kopf zu zerbrechen, wie die Ursachen künftiger Kriege beseitigt werden könnten, »richtet man sich vor einer alarmistisch aufgebauten Drohkulisse auf klassische militärische Gewaltanwendung ein«, erklären die Kritiker. Und: »Weder klassisches Militär, neue sogenannte Krisen­reaktions­kräfte noch sogenannte <robuste> Blauhelme können durch Intervention von außen viel bewirken — wie die Beispiele Somalia und Bosnien zeigen.«581

Eine Sicherheitspolitik im Angesicht der Verschärfung des Nord-Süd-Konflikts hätte diesen Namen nur verdient, wenn sie die Kriegsrisiken minderte. Das aber geschieht nicht. Offenkundig verlassen sich die Militärplaner lieber darauf, Kriege zu gewinnen, als sie zu vermeiden. Letztlich geht es darum, daß die Reichen ihren Besitzstand, den sie auch auf Kosten der Armen erwerben konnten, verteidigen wollen. Um jeden Preis.

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Die Vereinigten Staaten haben sich ebenfalls auf das neue Feindbild eingeschossen. Die militärische Einsatz­planung der US-Streitkräfte reicht nun von Guerillabekämpfung bis zur Austragung klassischer Kriege. Und zumindest ein Teil der Sprengköpfe der US-amerikanischen Interkontinental­raketen wurde umpro­grammiert auf Ziele in Entwicklungs­ländern. Das ist die Reaktion der Vereinigten Staaten auf die Verelendung eines wachsenden Teils der Welt. Es gibt allerdings keine Waffe, die die Armut bekämpft und sie daran hindert, in den Norden zu kriechen.

 

Fieberhaft arbeiten die Rüstungslabors an neuester Technik, die in den kommenden Kriegen mit maximaler Effizienz tötet. Etwa zwanzig Entwicklungsländer besitzen Raketen, zum Teil mit mittlerer Reichweite. Wenigstens vier Staaten des Südens verfügen über Atomwaffen: China, Indien, Pakistan und Israel. Chemie- und biologische Waffen sind trotz aller internationalen Abkommen schlecht zu überwachen und vor allen Dingen leicht herzustellen. Vagabundierende Bestände von Plutonium und Uran sind wie vagabundierende Atomwissen­schaftler ein nicht überschaubares Risiko. Warum soll nicht anderen Staaten gelingen, was dem Irak gelungen ist, nämlich ein geheimes Atomprogramm durchzuführen, das allen Kontrollen verborgen blieb, bis endlich UN-Inspekteure darauf stießen?582

Die Rüstungsetats in der Dritten Welt sind seit dem Ende des kalten Kriegs zwar zurückgegangen, betragen aber immer noch ein knappes Sechstel der weltweiten Militärausgaben. Mehr als fünfzig Entwicklungs­länder besitzen eigene Rüstungsindustrien. Ein Ergebnis des Golfkriegs dürfte sein, daß der Drang zur High-Tech-Aufrüstung wächst. Es hängt maßgeblich von den Industrie­staaten ab, ob sie dem aus Gewinnstreben nachgeben, so wie sie in der Vergangenheit zu oft dem Profit den Vorrang gaben vor der Sicherheit. Der erste und der zweite Golfkrieg, ausgetragen mit Waffen aus dem Norden, sind der beste Beweis für die These, daß die heute strapazierten Bedrohungsszenarien ihren Ursprung nicht zuletzt bei uns haben. Ohne unsere Panzer, Flugzeuge, Gewehre und Granaten hätten weder die Ayatollahs noch der Irak Saddam Husseins ihre militärische Macht aufbauen können.

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Eine weitere Lehre aus dem Golfkrieg ist, daß in den Augen eines Großteils der Welt die UNO sich in ein Machtmittel des Westens verwandelt hat. Längst sind die Zeiten vorbei, in denen Staaten des Südens glaubten und forderten, einen weltweiten Interessen­ausgleich durch die Vereinten Nationen zu vermitteln. In der Tat scheint die UNO inzwischen zum Spielball der NATO degradiert worden zu sein. Diszipliniert werden allein schwächere Länder, die völkerrechtlich fragwürdigen Interventionen von Industrie­staaten bleiben ungesühnt.

Wenn aber das Weltforum ausfällt, wenn die Dritte Welt nicht wenigstens Gremien der Vereinten Nationen nutzen kann, um ihre Interessen einzuklagen, wenn sie gleichzeitig am Schuldentropf der Reichen hängt und es nicht zuletzt von ihrem Wohlverhalten abhängt, ob sie härter oder milder behandelt wird, dann bleibt dem Süden kaum eine Alternative. Die bisherigen Entwicklungs­perspektiven haben sich zerschlagen, neue Chancen lassen sich in kosmetischen Korrekturen von OECD, Weltbank oder IWF nicht entdecken, das Allheilmittel Freihandel — GATT — setzt darauf, die Marktkräfte, die die Schwachen in den Abgrund ziehen, zu stärken.

In der Geschichte haben weniger gewichtige Gründe als Ausweglosigkeit Kriege ausgelöst. Wahrscheinlich wird der kommende Krieg den bisherigen nicht gleichen. Die Kräftekonstellation wie die Bewaffnung sprechen dafür, daß wir auf zähe gewalttätige Auseinander­setzungen zusteuern, die sich abspielen im Spektrum zwischen Terrorismus und »begrenztem« Krieg, ausgetragen mit konventionellen Waffen und den Massen­vernicht­ungsmitteln armer Länder wie Giftgas und Bakterien.

Wir könnten dieser Bedrohung entgehen, wenn wir die Kluft zwischen Nord und Süden schlössen. Soziale Ungleichheit, wirtschaftliche Ungerechtigkeit, Ausbeutung, Fremdbestimmung, ideologischer Imperialismus, Ressourcen­verknappung, Hunger — das alles sind Ursachen der Kriege von morgen

Es spricht nichts dafür, daß wir bereit sind, sie zu beseitigen.

Es ist jedes Mal das gleiche. Irgendwo in Afrika. Ein Kind verhungert. Wir vor der Mattscheibe können den Hunger sehen. Und die Schwäche des Kindes, das sich den Fliegen ergibt, Hunderten der metallfarbenen Insekten, die ihm in Mund, Nase, Augen und Ohren kriechen. Sie leiden keinen Hunger, sondern trinken Tränen, Blut und Speichel des sterbenden Kindes. Das Festmahl der Fliegen kündet vom nahenden Tod.

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Ende

 

 

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 Von Christian von Ditfurth 1995