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Vorwort von Gwynne Dyer 2008

Schlachtfeld Erde

"Jüngste wissenschaftliche Erkenntnisse haben uns (...) ein Bild von den möglichen Auswirkungen des Klimawandels auf unserem Planeten geliefert.
Diese gehen über den Bereich der natürlichen Umwelt weit hinaus. Ganz zentral werden die Folgen für die Sicherheitspolitik sein." 

Margaret Beckett, ehemalige britische Außenministerin

9-16

Eine Krise apokalyptischen Ausmaßes wird mit ziemlicher Sicherheit das Gesicht des 21. Jahrhunderts prägen. Dieses Buch versucht, ein Bild dieser Zukunft zu entwerfen. Es analysiert die politischen Strategien, mit denen auf diese Krise reagiert werden könnte. 

Mittlerweile gibt es zahlreiche wissenschaftliche Werke, die sich mit dem Klimawandel beschäftigen. Einige unterbreiten auch konkrete Vorschläge, wie man das Problem in den Griff bekommen könnte. Allerdings gibt es erst wenige Veröffentlichungen, die es wagen, sich konkret und im Detail mit der erschreckenden, dornigen Frage auseinanderzusetzen: Wie werden einzelne Länder auf die tiefgreifenden Veränderungen reagieren?

Denn die Länder der Erde werden bei zunehmender globaler Erwärmung jeweils höchst unterschiedlichen Belastungen ausgesetzt, in vielen Fällen sogar mit vernichtenden Szenarien konfrontiert sein. Vermutlich wissen wir dabei doch alle, dass die nationale und internationale Politik die Entwicklungen wie die Ergebnisse maßgeblich bestimmen wird.

Besonders aus zwei Gründen hielt ich es für nötig, dieses Buch zu schreiben: 

Der erste und wichtigste Effekt des Klimawandels auf die menschliche Zivilisation wird eine akute, anhaltende Ernährungskrise sein. Regelmäßiges Essen und Mahlzeiten - darüber lässt niemand mit sich verhandeln. Eine Nation, der es nicht gelingt, ihre Bürger mit Nahrung zu versorgen, kann mit einer solchen Situation nicht mehr so vernünftig umgehen, dass sie rational berechenbar bleibt. Und das wird sich nicht nur auf Länder in der sogenannten »Dritten Welt« beschränken, also die Entwicklungsländer Asiens, Afrikas und Lateinamerikas.

Zum andern wurde mir zunehmend klar, wie wichtig Klimawandel-Szenarien in der militärischen Planung etlicher Großmächte bereits heute sind, und ihre Relevanz nimmt ständig zu. Erstaunlich ist das nicht: Schließlich gehört es zu den wesentlichsten Aufgaben des Militärs, »Bedrohungen« der inneren Sicherheit zu benennen und auf sie zu reagieren, aber die Implikationen ihrer Szenarien sind im höchsten Maße bedrohlich. Die Wahrscheinlichkeit von Kriegen bis hin zu Atomkriegen wächst mit dem Ansteigen der Temperatur um 2-3°C bereits erheblich. Und wenn es erst soweit ist, sollten wir jegliche Hoffnung auf internationale Kooperation zur Drosselung des CO2-Ausstoßes und zum Aufhalten der Erwärmung aufgeben.

Die umweltpolitischen Aktivisten, die vor den Folgen des Klimawandels warnen, äußern sich nur zögerlich zu diesen Themen in der Öffentlichkeit - womöglich aus Sorge, diejenigen, die sie mobilisieren wollen, dadurch in unproduktive Verzweiflung zu stürzen. 

In den (mittlerweile glücklicherweise vergangenen) Jahren, als die Klimawandel-Verleugnungsindustrie, vor allem in den USA, noch die Pseudo-Debatte aufrechterhielt, in der sie das Phänomen der globalen Erwärmung pauschal in Abrede stellte, mag es aus taktischen Gründen ratsam gewesen sein, die politischen Folgen darstellerisch eher herunterzuspielen. (Um nicht als Panikmacher und Extremist verschrien zu werden; eine Vorgehensweise, die ich für falsch halte, erweist es sich doch im Endeffekt als das Beste, die Tatsachen ohne Rücksicht auf die Folgen so darzustellen, wie man sie sieht).

Wie dem auch sei:

Die Partei der Leugner des Klimawandels befindet sich mittlerweile in vollem Rückzug, und es ist höchste Zeit, dass alle genau das sagen, was sie denken. Dieses Buch thematisiert die politischen und strategischen Folgen des Klimawandels. Die wissenschaftlichen Grundlagen und einige der geläufigeren Szenarien der globalen Erwärmung bezog ich hauptsächlich aus veröffentlichten Sekundärquellen wie dem Vierten Sachstandsbericht des Intergovernmental Panel on Climate Change aus dem Jahr 2007 und dem 2006 veröffentlichten Stern-Report.(1)

Wo es mir nötig erschien, ergänzte und aktualisierte ich diese Darstellungen durch Interviews, die eigentlichen Säulen dieses Buches. Ich bin durch gut ein Dutzend Länder gereist, habe mit Wissenschaftlern, Militärs, Beamten und Politikern gesprochen, die täglich mit der Problematik zu tun haben, und das war insgesamt eine äußerst aufschlussreiche Erfahrung für mich - eine Erfahrung zudem, die mein Vertrauen auf die menschliche Vernunft zu stärken vermochte.(2)

Ich verzichte darauf, hier noch einmal die Argumente anzuführen, die belegen, dass die menschliche Zivilisation einen entscheidenden Einfluss auf das Klima hat. Diese Debatte ist - sieht man von einigen beinharten Skeptikern ab - abgeschlossen. 

Es bleibt eine winzige Möglichkeit, dass die Skeptiker recht haben und dass der ganze Rest sich irrt. Doch die Indizien dafür, dass die globale Erwärmung vom Menschen mitverursacht ist, sind so zahlreich und offensichtlich, dass umgehend gehandelt werden muss. Die potentiellen Kosten, die es mit sich bringt, wenn wir zu spät zu wenig unternehmen, werden unendlich viel größer sein als die Kosten, die dadurch entstehen, womöglich massiver als nötig gegen die globale Erwärmung vorzugehen.

Die Szenarien, die ich jedem Kapitel voranschicke, sollen keine Vorhersagen sein. Sie illustrieren lediglich an Hand von Beispielen unterschiedliche politische Krisen, die der Klimawandel auslösen könnte. Sie sind auch nicht Bestandteile einer einzigen umfassenden, zusammenhängenden Zukunftsvision. Jedes Szenario steht für sich. Gewisse Ungenauigkeiten und Unstimmigkeiten sind dabei unvermeidlich und ohne Belang. Wenn ich im Rahmen dieser Szenarien Expertenäußerungen aus Interviews oder anderen Quellen anführe, soll das nur betonen, dass eine von mir angestellte Vermutung von den Experten als plausibel angesehen wird. Es heißt nicht, dass der zitierte Fachmann dem Szenario - das er eventuell gar nicht als Ganzes kennt - insgesamt beipflichtet.

Die einzelnen Szenarien zu datieren unterlag einer gewissen Willkür. Sollte sich die globale Erwärmung langsamer vollziehen, als es die aktuellen Erkenntnisse nahe legen, treten einige Prognosen zeitlich später ein. Nichtsdestoweniger habe ich versucht, die Szenarien so glaubwürdig wie möglich zu entwerfen, und greife dabei auf meine lange Berufserfahrung als Auslandsjournalist zurück. Und meine Prognosen haben sich in der Vergangenheit schon des Öfteren als recht zutreffend herausgestellt. 

Nachdem ich nun ein Jahr lang in Sachen Klimawandel in der Welt unterwegs war, seien gleich zu Beginn vier Schlussfolgerungen angeführt, vier Einsichten, die mir vor meiner Expedition so klar noch nicht waren.

Erstens kommt der gesamte Problemkomplex wesentlich schneller auf uns zu, als die Öffentlichkeit es wahrhaben will. Wenn man mit Menschen spricht, die unmittelbar mit Fragen des Klimas zu tun haben - seien es nun Wissenschaftler oder Politiker -, kommt in vielen Gesprächen eine kaum verborgene, gerade noch zurückgehaltene Panik zum Ausdruck. Ohne eine Menge Opfer zu bringen überstehen wir das alles nicht - wenn wir es überhaupt überstehen.

Zweitens mag das ganze Theater, wie etwa andere Glühbirnen zu benutzen und weniger Auto zu fahren, zwar irgendwie nützlich sein, um ein bestimmtes Bewusstsein zu erzeugen und den Menschen das Gefühl zu vermitteln, ihr Schicksal in einem gewissen Ausmaß selbst in der Hand zu halten. Für den Verlauf und den Ausgang der globalen Klimakrise jedoch spielt es praktisch keine Rolle. 

Wir müssen unsere Wirtschaft vollständig dekarbonisieren, und wenn wir es bis zum Jahr 2050 nicht geschafft haben, die Emission von Treibhausgasen auf Null zurückzufahren, und am besten bis 2030 bereits eine Reduktion um 80% erreicht haben, dann wird die zweite Hälfte des 21. Jahrhunderts eine Zeit werden, in der zu leben sich keiner wünschen würde. 

Wenn wir es aber schaffen, dann wird das Benzin für unsere Autos und Flugzeuge und der Strom, der Licht in unsere Häuser bringt und unsere Industrie mit Energie versorgt, keinerlei Kohlendioxid oder andere Treibhausgase mehr erzeugen. Wir können davon so viel verbrauchen, wie wir wollen – oder so viel, wie wir uns leisten können. 

Drittens ist es unrealistisch zu glauben, dass wir diese Fristen einhalten können. Hätten wir uns vor 15 oder auch noch vor 10 Jahren ernsthaft auf das Problem eingelassen, dann hätten wir vielleicht noch eine Chance gehabt – aber jetzt ist es zu spät. Als der erste Vertrag zum Klimawandel, die Klima-Rahmenkonvention, 1992 in Rio de Janeiro unterzeichnet wurde, erhöhte sich der CO2-Ausstoß pro Jahr noch um ungefähr 1 Prozent. Mittlerweile steigt der Ausstoß um rund 3% pro Jahr. Im größten Teil Asiens, dem Lebensraum der Hälfte der Menschheit, entstehen mit beängstigender Geschwindigkeit immer neue industrialisierte Konsum-Gesellschaften. 

Soll die globale Durchschnittstemperatur so niedrig bleiben, dass das Auftreten einiger wirklich schlimmer Reaktionen verhindert werden kann, dann müssen wir SOFORT den CO2-Ausstoß um 1% pro Jahr reduzieren. Bei einem Supertanker wie der Weltwirtschaft kann man das Ruder einfach nicht so schnell herumreißen. Wir werden also auf Maßnahmen aus dem Bereich des Geo-Engineering, wie beispielsweise Stoppgas, zurückgreifen müssen, um die Temperatur niedrig zu halten, während wir uns gleichzeitig bemühen, die Emissionsrate zu reduzieren, und wir sollten diese Möglichkeiten unbedingt umgehend genau unter die Lupe nehmen. 

Eine breite Mehrheit vertritt die Auffassung, wir sollten und dürften uns auf Techniken des Geo-Engineering gar nicht erst einlassen, weil damit eine »moralische Versuchung« (vgl. Kap. 6) verbunden sei: Es bestehe die Gefahr, dass wir uns mit den Geo-Engineering-Methoden zufriedengeben und aufhören, die Emissionen weiter zu reduzieren. Aber wir haben, wollen wir das Menschheitsproblem Klimaerwärmung lösen, nur einen einzigen Versuch, und dieser wird ohne Geo-Engineering scheitern. 

Viertens schließlich nehmen mit jedem Grad der globalen Durchschnittstemperatur die Migrationsbewegungen zu. Die Anzahl von Staatengebilden, die sich auflösen und zusammenbrechen, wird ansteigen und damit sehr wahrscheinlich auch die Zahl interner und internationaler Kriege. Sobald aber eine bestimmte Häufigkeit und Heftigkeit erreicht ist, wird keine globale Zusammenarbeit mehr möglich sein. Damit aber würde die absolut notwendige Bedingung der Möglichkeit ausfallen, an der momentanen Entwicklung konstruktiv etwas zu ändern. 

Eines sollte ich hier noch erwähnen:

In bestimmten Kreisen bin ich dafür bekannt, dass ich mich in der schlechten alten Zeit des Kalten Krieges häufig tief besorgt über die Möglichkeit eines Atomkriegs äußerte.(3) Aber die Drohung eines Atomkriegs und eines nuklearen Winters, die das Ende des 20. Jahrhunderts überschattete; die Gefahr eines unkontrollierbaren Klimawandels, die uns heute umtreibt; und die unbekannten, aber sehr wahrscheinlich schrecklichen Krisen, die, selbst wenn wir es schaffen sollten, den Erwärmungsprozess zu stoppen, unseren Kindern und Enkeln bevorstehen – all das sind Facetten ein und derselben fundamentalen Wahrheit: Wir haben als Gattung den Punkt kritischer Masse erreicht. Wir sind so viele geworden, und wir haben einen derart hohen Verbrauch, dass die Erde ungefähr ein Drittel größer sein müsste, damit alle einigermaßen überleben können. Wollten alle Menschen auf dem Niveau des westlichen Standards leben, bräuchten wir drei bis vier Planeten. 

Dennoch ist die heutige Klimakrise lösbar! Sie ist lösbar, wenn wir uns von den Methoden der Industriellen Revolution zugunsten von Technologien verabschieden, die weniger ausbeuterisch und destruktiv mit der Umwelt umgehen. Unsere destruktiven Kräfte reichen allerdings schon so weit, dass die Krise mittlerweile in einem umfassenderen Sinn in einen Dauerzustand übergegangen ist, obwohl ihre charakteristischen Merkmale sich immer wieder ändern werden. 

Vielleicht ist uns nicht einmal der Luxus vergönnt, es nur mit einer einzigen von mehreren möglichen apokalyptischen Krisen zu tun zu haben (was vergleichsweise angenehm wäre). Beispielsweise werden wir uns in den 2020er-Jahren womöglich in einer Auseinandersetzung mit dem Stellenwert der Künstlichen Intelligenz befinden, die für die Zukunft der Gattung Mensch genauso wichtig ist wie die Forderung, unseren Einfluss auf das Klima in den Griff zu bekommen. 

Und jenseits des »bekannten Unbekannten« erstreckt sich dann bekanntlich noch, wie es der frühere Verteidigungsminister Donald Rumsfeld formulierte, das »unbekannte Unbekannte«. Wie pflegte doch der Obermaat, Leiter meiner Grundausbildung bei der Navy, zu sagen? »Wenn Sie keinen Spaß verstehen, hätten Sie gleich wegbleiben können.«

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Gwynne Dyer (2008) Vorwort