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Die ökologische Matrix 

und der seelisch-kulturelle Wandel 

Marko Ferst 

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Was würde es heißen, heute jenseits der Illusionen zu leben bzw. dorthin aufzubrechen? Wo kämen wir da hin? Wie sähe eine Gesellschaft aus, die sich jenseits von Illusionen verorten wollte? Auf welche Menschen träfen wir? Welche Irrtümer dürften wir uns leisten und welche nicht? 

Einstweilen könnte es sich als Illusion herausstellen, die heutige Zivilisation würde sich von ihrer Fortschrittsgläubigkeit, der ihr eigenen Siegerpose noch einmal abwenden. Wir stehen in einem Wettlauf mit der Zeit. Aber die Uhren der meisten Menschen sind darauf nicht geeicht. Überall wird uns eingetrichtert, wie der richtige Gang der Dinge zu sein habe. Dabei können wir uns noch sehr pluralistisch geben. Doch die Gefahr steht auf der Türschwelle, ob wir sie nun verdrängen oder nicht. 

Die ökologische Weltkrise stellt unsere gesamte Gesellschaftsverfassung in Frage bis in die tiefenpsychologischen Strukturen hinein. In ihr bündeln sich "symbolisch" auch noch mal alle Ungerechtigkeiten der bisherigen Menschheitsgeschichte von den Kreuzzügen bis zum heutigen Nord-Süd-Konflikt, wie in einem überdimensionalen Prisma. Der biosphärische Rückschlag wäre das Finale. Wir müssen sehr viele Illusionen abstreifen, wenn wir eine Gesellschaft mit menschlichem Antlitz erhalten wollen. 

Unsere Vorstellungen von der Welt sollen einigermaßen sinnvoll zueinander passen, aber es sind Bruchstücke, umgeben von vielen Unbekannten. Wir denken in Strukturen, die immer nur kleine Ausschnitte unserer Wirklichkeit erfassen können.

Alles wird durch die verschiedensten Filter wahrgenommen. Es ist also eine ständige Aufgabe, die Distanz zwischen der tatsächlichen Wirklichkeit und der eigenen Wahrnehmung zu verringern. Erich Fried spitzte dies in dem Gedicht "Die lautere Wahrheit" auf den Hinweis zu, die Teilwahrheiten müßten sich miteinander auseinandersetzen, sonst entstünden daraus ganze Lügen.

Unser heutiger Kulturkanon besteht aus sehr vielen ganzen Lügen bzw. halben Wahrheiten. Zumindest darf als zweifelhaft gelten, daß unsere modernen Verhältnisse weniger von gesellschaftlicher Verdrängung geprägt würden als früher, man könne weitgehende Fortschritte feststellen. Was an einer Stelle gewonnen sein mag an kritischer Reflexion, geht anderswo im Mainstream unter. Womöglich fehlt uns gerade dort Klarheit, wo sie am nötigsten gebraucht würde. 

Erich Fromm hielt offenbar wenig davon, die Chancen für den Fortbestand der Menschheit zu überschätzen. In einem Fernsehinterview von 1977 zu seinem Buch <Haben oder Sein> meinte er, die Lage wäre fast hoffnungslos. Wir würden uns wie Bankrotteure in bezug auf die ökologische Dimension verhalten. Ebenso problematisch schätzte er die sich immer weiter vertiefende Kluft zwischen den reichen Industriestaaten und den ärmeren Ländern der Welt ein. Es sprächen sehr viele Argumente dafür, daß alles so weiter läuft wie bisher. 

Er räumte dem menschlichen Geschlecht eine Überlebenschance von ein bis zwei Prozent ein. Es steht zu befürchten, er könnte mit dieser Prognose recht behalten. Solange es aber noch eine Hoffnung gibt, meinte Erich Fromm, auch wenn sie noch so gering ist, muß man darum ringen, Alternativen zu sichten, und darf nicht aufgeben für sie zu kämpfen. 

Mich überraschte die Schärfe seiner Illusionslosigkeit, weil ich sie in seinen Büchern so bislang nicht wahrgenommen hatte. Gewiß, die Hochrüstungsspirale und die daraus resultierende Atomkriegsgefahr mußten jeden kritischen Zeitgenossen in Aufruhr versetzen. Seine Aussagen in dem Interview verwiesen mich jedoch darauf, daß Erich Fromm meiner eigenen Auffassung zur ökologischen Problematik weit näher lag, als ich es bisher vermutet hatte. 

Heute sieht man noch klarer wie damals, wenn man sich gründlich mit den Eckdaten des Treibhauseffektes, dem Ozonschwund, dem Artensterben und anderen weltzerstörerischen Faktoren befaßt, ohne eine grundlegende Transformation der jetzigen Kulturverfassung, werden die Chancen für eine dauerhafte Zivilisation verspielt. Man kann diese Aussage nun mit allerlei milderndem Beiwerk versehen, um ihr die Härte zu nehmen, ich fürchte aber, man betrügt sich und andere, indem man die globale Dramatik der Dinge vertuscht. 

Sehr auffällig ist im Werk Erich Fromms, wenn man es von der ökologischen Perspektive her in den Blick nimmt, daß er bereits 1955 in seinem Buch <Wege aus einer kranken Gesellschaft>, also lange bevor man eine Umweltbewegung im umfassenderen Range feststellen kann, eine massive Kritik an der Konsumorientierung des Menschen und der kapitalistischen Industrie­gesellschaft als ganzer vornimmt. Er hält fest, der konsumierende Mensch ist ein passiver Mensch, er hakt sich fest in einer Mentalität des Habens, und die Bedürfnisse entwachsen den realen Notwendigkeiten. Die übliche Art des Konsums führt dazu, daß wir niemals befriedigt sind.

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Erich Fromm schreibt: 

"Der Akt des Kaufens und Konsumierens ist zu einem zwanghaften irrationalen Ziel geworden, weil er zum Selbstzweck ohne Beziehung zum Gebrauch der gekauften und konsumierten Dinge oder zu der Freude an ihnen geworden ist. Den "letzten Schrei", das neueste Modell von irgend etwas zu kaufen, was auf dem Markt zu haben ist, ist Traum eines jeden, mit dem verglichen die echte Freude an seiner Benutzung völlig sekundär ist."2)

Dabei bestreitet Erich Fromm nicht, daß Grundbedürfnisse befriedigt sein sollten und dies in einer Weise, bei dem Konsum ein humaner Akt bleibt, aber er meint, es ist eine Scheinfreiheit, König im Supermarkt zu sein. Wir müßten den Zusammenhang zu den realen Bedürfnissen des Menschen wieder herstellen. Es sei eine Illusion, mit Hilfe des Konsums von immer mehr und besseren Dingen zu einem glücklicheren und zufriedeneren Leben zu gelangen. Die ständige Zunahme unserer Bedürfnisse schränke unsere Freiheit überdies ein, da wir mehr und mehr Lebensenergie aufwenden müssen, um diese Konsumsucht zu stillen. Sie ist ein Ausdruck innerer Ruhelosigkeit und der Flucht vor sich selbst. 

Weiterführend könnte man sagen, eine Gesellschaft, die sich primär auf das Herstellen von Produkten konzentriert, die den potenzierten materiellen Aufstieg des Menschengeschlechts zum Dogma erhebt, baut im Grunde genommen seelische Pathologie regelrecht in ihr eigenes Planwerk ein. Generell kann man feststellen, die materielle Entwicklung erhielt immer Vorfahrt gegenüber der geistigen Entwicklung im Zivilisationsprozeß. Dieser Grundfehler spiegelt sich natürlich auch im Konsumstreben, das unsere heutigen Überflußgesellschaften prägt, wider. 

Die Realität ökologischer Zerstörungsprozesse ist für den alltagsgestreßten Normalbürger bestenfalls am Rande der Hierarchie von Aufmerksamkeiten angesiedelt. Diese Wirklichkeit ist verdeckt von dem täglichen Gang zur Arbeit, den Besorgungen, die man zu tätigen hat, und der Spielfilm am Abend lenkt dann unser überschüssiges Bewußtsein ein weiteres Mal weg von Fragen, die die Gefahr mitführen, unangenehm zu sein. Wir sind umstellt von unserer selbstgeschaffenen Kunstwelt. 

Wir wollen nicht wissen, was da geschieht, die Motivation vieler Menschen ist eher auf Abwehr gepolt. Das ist offensichtlich der bequemere Umgang mit der Materie. Gewiß, tote Wälder im Riesengebirge, dort werden sie nicht abgeholzt, wer sehen will, der sieht. Schon schwieriger erfahrbar bleibt: Alle 90 Minuten ist im brasilianischen Regenwald ein Gebiet von der Größe Kölns abgerodet. Mit 3000 m² pro Sekunde vernichten wir global den Wald, mit 1000 Tonnen pro Sekunde erodiert der Boden. 

Erst aus einer zusammenhängenden Panoramaschau einer Vielzahl solcher Daten kommt langsam zum Vorschein, was da eigentlich auf uns zurollt. Dabei sei aber festgehalten, rein mit den verschiedenen messenden Rastern, kann man bestenfalls einige Grundrisse aufzeigen; nichtlinearen Entwicklungen, die schwer abschätzbar sind, kommt man so nur sehr begrenzt bei. 

Offensichtlich hat das Wegsehen aber auch Umschlagpunkte. Wenn etwa das atomare Zwischenlager und das geplante Endlager gleich neben der Haustür liegen, sieht die Lage schon ganz anders aus. Wer schon mal im Wendland war, weiß, dort wo üblicherweise Gartenzwerge ihre Präsenz ausüben, kann man statt dessen auch auf Symbole der Anti-AKW-Bewegung stoßen.

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Die Bevölkerung trägt das. Auch wenn die Autobahn oder der Flugplatz dem eigenen Areal zu nahe kommen, bringt das zuweilen widerständigen Geist hervor. 

Aber Bürgerinitiativen aus Betroffenheit bleiben, so sehr sie eine Ausbruchsstelle sind und sich über den eigentlichen Anlaß erheben können, zunächst mal gefangen in der Logik des Ungenügens. Erich Fromm würde in ihnen sicher auch ein stückweit Rückgewinnen seelischer Gesundheit verorten. Dies ist unstrittig so. Aber wir müssen uns auch genauer anschauen, wie das gesamte Netzwerk der ökologischen Krise gefügt ist. Wir dürfen uns keine Illusionen über ihr Wesen zurechtschneiden. Es ist zu hinterfragen, mit welchen gesellschaftlichen Filtern betrachten wir dieses Phänomen. 

 

Zunächst mal fällt auf: Umweltschutz ist nicht gleich Ökologie, und wer über Reparaturbetrieb an den Schwachstellen des Industrialismus hinausgehen will, der kann sich nicht zufrieden geben mit einem zusätzlichen Naturschutzgebiet oder verbesserten Grenzwerten für diesen oder jenen Gefahrenstoff, so sinnvoll dies als erste Hilfe sein kann. 

Es ist notwendig zu erkennen, daß unsere technisch-industrielle Infrastruktur durchzogen ist von einem ganzen System selbstzerstörerischer Neben­wirkungen. Man kann ganz offensichtlich nicht mehr davon sprechen, hier oder da wäre eine Korrektur erforderlich, sondern man muß diese Schattenlasten als umfassend verdrängte Realitäten anerkennen. Man richtete die Blicke immer nur auf die erreichten Vorteile und Bequemlichkeiten, auf das Plusmachen, aber der mitgeführte Ballast, da er häufig erst in die Zukunft verschoben auftritt, kommt in der Gesamtrechnung nicht vor. 

Die fossile Energieproduktion, der schnittige Mittelklassewagen oder das neue Haus: Das alles ist universell verknüpft etwa mit dem Treibhauseffekt. Jeder Bundesbürger schickt jährlich ungefähr 12 Tonnen Kohlendioxid gen Himmel. Im Grunde gibt es kaum ein industrielles Produkt in dem nicht diese zerstörerische Folgewirkung eingebaut ist. Wir können ökoeffizienter produzieren, dies ist möglich und notwendig, aber wenn man das Thema gesellschaftliche Selbstbegrenzung nicht mit einbezieht, wird man mit den erforderlichen Reformschritten wohl auf halbem Weg stecken bleiben. Man könnte auch sagen und das wäre genauer: Man geht einen Schritt vor und zwei Schritte zurück. Guten Gewissens kann man und frau sich einreden, etwas getan zu haben für die Umwelt, und das ist auch so, aber weil man sich über das wirkliche Ausmaß der menschlichen Störkapazitäten gegen die natürlichen Gleichgewichte hinwegtäuscht, nehmen die Risikozonen nach wie vor zu. 

Gewiß, bei der Erzeugung von Elektroenergie läßt sich ein großer Teil der Klimagase durch eine vollständige solare Energiewende und Sparpotentiale bei effizienterem Umgang vermeiden. Ökologisch rentabler können in allen Bereichen die Rohstoffe bis zum Fertigprodukt verarbeitet werden. Doch vielerorts lassen sich die Klimagase nicht verbannen. Bei der Herstellung von Metallen aller Art, von Glas, Beton oder auch Plaste bzw. anderen Folgeprodukten aus Erdöl wird bei den energetischen Umwandlungen Kohlendioxid unvermeidbar entstehen. Alle übrigen thermisch-industriellen Prozesse gehören dazu. Filtertechniken sind aussichtslos. Allein die Zementwerke setzen weltweit sieben Prozent der CO2-Gesamtmenge frei, und das bei einer jährlichen Zunahme der Weltproduktion von Zement um fünf Prozent.(3) 

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Es fragt sich nun aber, all die Veränderungen für eine ökologische Zeitenwende, sind sie nicht eher technologischer und politischer Natur, und was will man mit Sozialpsychologie in diesen Zusammenhängen? 

Franz Alt schreibt: "Das Überleben der Menschheit hängt zum erstenmal von einer radikalen geistigen und seelischen Umkehr ab."(4) 

Stimmt das? Oder was stimmt daran wie? 

Immerhin beginnt jeder Akt der Veränderung im Materiellen mit einem Wandel des eigenen Denkens, der eigenen Einstellungen. Auf viele Veränderungen hat der Einzelne jedoch gar keinen Einfluß, und trotzdem liegt der Ausgangspunkt dafür immer im Bereich menschlichen Handelns. 

Andererseits gilt, daß wir in einer Art Megamaschine organisiert sind. Die Bezeichnung stammt von dem amerikanischen Denker Lewis Mumford

Erich Fromm faßt dessen Auffassung, was Megamaschine bedeutet, folgendermaßen zusammen: 

"Er meint damit eine neue Form der Gesellschaft, die sich so radikal von der bisherigen Gesellschaft unterscheidet, daß die Französische Revolution und die Russische Revolution im Vergleich zu diesen Veränderungen verblassen: eine Gesellschaftsordnung, in der die Gesamt­gesellschaft zu einer Maschine organisiert ist, in der das einzelne Individuum zum Teil der Maschine wird, programmiert durch das Programm, das der Gesamtmaschine gegeben wird. Der Mensch ist materiell befriedigt, aber er hört auf zu entscheiden, er hört auf zu denken, er hört auf zu fühlen und er wird dirigiert von dem Programm. Selbst jene, die die Maschine leiten - das muß man hinzufügen -, werden vom Programm dirigiert."(5)

Diese Ambivalenz zwischen der menschlichen Entscheidungsfreiheit und der Herrschaft vergegenständlichten Geistes wird immer mitzudenken sein, wenn man über den möglichen Wirkradius von der Arbeit des Einzelnen an sich selbst spricht. 

Wir leben in einer Gesellschaft, die sehr weitgehend vom Gewinnprinzip gesteuert ist, das Marketing ist zum Teil bis in die Wertstrukturen des einzelnen Menschen verinnerlicht. Die eigene Entscheidung ist also eingebettet in strukturelle Einschränkungen, die jedoch nicht als ewig gegeben hingenommen werden dürfen. 

Jede Veränderung der Gesellschaft beginnt im Menschen, hat dort ihren Vorlauf. Auch die Rettung vor den Folgen unserer heutigen zerstörerischen Lebensweise beginnt in der seelischen Arena jedes einzelnen. Mit den Umschaltungen in der Psyche gedeihen neue Keime, die heranwachsen können. Sie sind am Ende die einzige Hoffnung, mit der wir uns verbünden können. Dort liegen die Fundamente für eine gesellschaftliche Ordnung, die auf Herz und Geist gebaut ist. 

Seit der Antike sind wir in den materiellen Fortschritten sehr weit gekommen. Gewiß steht davon eine ganze Menge jetzt zur Debatte. Jedoch können wir ein inneres Wachstum im gesellschaftlich-seelischen Bereich seit jener Zeit nur in sehr beschränkten Maße wahrnehmen, und dies gilt erst recht, wenn wir weniger kriegerische Kulturen in den Blick nehmen. Gewiß, wir haben heute so gut wie keine Sklaverei mehr zu verzeichnen, und doch sterben weit mehr Menschen durch gesellschaftliche Ungerechtigkeiten bedingt als im alten Griechenland und selbst später unter römischen

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Verhältnissen, wenngleich wir heute eine viel höhere Weltbevölkerung haben. Diese Aussagen mögen in Bezug auf den europäischen Blickwinkel irritieren, wer aber an die millionenfachen Opfer von Unterernährung oder bewaffneten Konflikten denkt, kann sich dem kaum verschließen. Der ökologische Holocaust wäre nur die Krönung unseres geistigen Versagens.

Dabei will ich sogar nicht ausschließen, daß wir im seelisch-geistigen Profil unter Umständen sogar Verluste zu verzeichnen haben. Man weiß heute, es gab Stämme, die weit friedfertiger und in ihrem Wesen freundlicher gestimmt waren, als wir es heute im gesellschaftlichen Durchschnitt unserer Zeit diagnostizieren müssen. Wir hätten wohl zu lernen, daß Konsummentalität, das Machen von Dingen im Grunde die ganze Realität unserer morbiden Industriegesellschaft uns haften lassen an Verhaltens- und Charaktermustern, die zu hinterfragen sind.

Die gesellschaftlichen Strukturen stellen Muster, die gewisse Perspektiven blockieren und andere fördern. Die politisch-ökonomischen Verhältnisse prägen den Menschen zuinnerst mit. Doch er ist nicht nur Marionette der bestehenden Verhältnisse. Bewußtseinshaltungen erweisen sich als entscheidend für den Lauf der Geschichte. Dennoch bleibt natürlich die Frage, auf welche Weise fördert eine Gesellschaft aber auch der Mensch selbst emanzipatorischen Geist?
Bei aller Destruktion der faktischen Supermächte, die heute wirken: Im Gemenge des psychologischen Energie feldes der Gesellschaft beginnt ihre Erosion, dort werden die Möglichkeiten, ob etwas Neues gesehen wird und welche Formen es annehmen kann, entschieden. Die materielle Grundstruktur und die durch sie hindurchwirkenden Herrschaftsfügungen mögen noch so festgeformt sein - kristallisiert sich eine alternative Entwicklung heraus und wird sie aus der Bevölkerung heraus unterstützt, geraten alte Glaubenssätze und ihre Stein gewordenen Zeugnisse ins Wanken. Sicher gewannen in der Geschichte der menschlichen Zivilisation die glücklichen Wendungen nur selten die Oberhand und wenn, dann nur für kurze Zeit und beschränkt auf einzelne Phasen oder Elemente des gesellschaftlichen Prozesses in dieser oder jener Region der Welt. Uns ist die Aufgabe gestellt, die unheilvolle Kontinuität, die darin liegt, dauerhaft zu überwinden. Es mag sein, dies bleibt tür ewige Zeiten in entrückter Ferne. Aber der Versuch muß mit aller Konsequenz gewagt werden.

Die zerstörerische Überlast des Industriesystems bildet nur die unmittelbarste Ursache des ökologischen Desasters. Das ökonomische System des Nimmersatt mit dem Geldvermehrungstrieb im Mittelpunkt hält diese expansive Megamaschine am Laufen und in fortgesetzter Entwicklung. Die kapitaldominierte Gesellschaftsformation ist mit ihren Zwängen, ihrer Ausprägung als Raff- und Giergesellschaft eine weltumspannende Mißbildung. Sie durchwirkt alle sozialen Verhältnisse. Der Mensch gerät zum Warenwert, er wird benutzt.

Die Kapitaldynamik ist aber nicht die tiefste Ursachenschicht für die ökologische Krise. Der kapitalistische Antrieb wurzelt in einer kolonialistischen Weltsicht und Praxis, ist aus ihr hervorgegangen. Europa erwies sich als die beste Brutstätte dieser aggressiven, herrschaftlichen Weltbezogenheit.

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Gegenüber der europäischen Tiefenideologie ist das Patriarchat eine geschichtlich ältere Schicht und zugleich die ursprünglichste Entgleisung, die hier aber nur auf den menschlichen Geist selbst zurückgehen kann. Der Entwicklungsweg, der jetzt im Weltkapitalismus kulminiert, wurde in letzter Instanz immer durch den Menschen mitformiert, so sehr die im Schlepptau der Verhältnisse liegenden, aber auch die jeweils wertsetzenden Menschen immer mehr vom eigentlichen gesellschaftlichen Prozeß vergewaltigt wurden, sich in ihn hinein entfremden mußten.'' Insofern jedoch bei jedem gesellschaftlichen Tun unsere geistige und seelische Wirklichkeit eingeht, die Qualität der Resultate von dort her entscheidend mitbestimmt wird, ist es von besonderer Bedeutung, welche Reife in unserer Psyche erreicht werden kann, mit welcher Verfaßtheit wir in der Welt agieren.

Die Krise der westlichen Kultur kann nicht nur von den äußeren Mächten her verstanden werden. Sie ist wesentlich auch eine Krise der inneren Verfassung des Menschen, jegliche Zivilisation hat historisch wie gegenwärtig den Menschen als Ausgangspunkt ihrer Entstehung, so sehr gesellschaftlich bestimmende Schichten auch den Kurs absteckten. Das kapitalgetriebene Wirtschaftssystem bescherte uns nicht eine göttliche Vorsehung, sondern Menschen mit habenorientierten Interessen, die diese im besonderen Maße kultivieren konnten. Innerhalb der heutigen Megama-schine sind diese Intentionen zu einem Macht-, Zwang- und Suchtgefüge geronnen. Der ökoglobalen Situation liegt also eine In-Weltkrise und eine gravierende Fehlkonstruktion der sozialen Systeme zugrunde. Ein Übermaß an aggressiver faustischer Bewußtseinsprägung und zugleich ein Mangel an zu sich gekommenem Geist verbiegt tendenziell die gesellschaftliche Kommunikation und daraus folgend auch die vergegenständlichte soziale Praxis. Die ökologische sollte in eine kulturell-seelische Zeitenwende eingebettet sein. In einer zukunftsfähigen Ordnung müssen die Werte des „Seins" über denen des „Habens" stehen, wie Erich Fromm das akzentuiert.

Wir brauchen den Übergang vom fortschrittssüchtigen Wohlstandsstaat zur in sich ruhenden Wohl-Seins-Gesellschaft.

Vom Herzen und von geistiger Klarsicht aus hätten wir die Welt neu einzurichten und kalter, dumpfer Machthybris den Weg zu verengen, soweit sie unmittelbar nicht am konkreten Menschen erlöst werden kann. Die Aufrichtigkeit sozialer Beziehungen, das innere Karma des Menschen ist die unmittelbarste Quelle für die Heilung unserer kranken Gesellschaft. Der Begriff Karma bezieht sich hier nicht streng auf herkömmliche asiatisch-religiöse Vorstellungen, sondern auf die Frage, mit welchem psychischen Energiefeld der Mensch in seinem Umfeld wirkt. Wenn ein Mann seine Frau wegen Nichtigkeiten anschreit oder gar Schlimmeres tut, so entsteht gewiß kein gutes Karma, währenddessen in einer aufrichtig - liebevollen Beziehung ein gelungenes Energiefeld wachsen kann. Damit sind nicht alle Schwierigkeiten aufgelöst, aber die Atmosphäre ist eine andere. Die Kernfrage lautet: Wie kann die Gesellschaft mit all ihren Institutionen und Strukturen so gebaut sein, daß die Möglichkeit zum höheren Selbst im Menschen optimal gestützt wird? Wie vermag sie sich allmählich zu einer geistig-seelische Hochkultur wandeln bzw. einem solchen Anspruch näher gelangen? Wie kommen wir zu jener Glückseligkeit, in der die betrachtende Lebensform einen weit größeren Spielraum

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erhält, wie das schon Aristoteles in seiner „Nikomachischen Ethik" zu seiner Zeit im vorchristlichen Griechenland für so wichtig befunden hat? Die Fragestellung ist also nicht unbedingt neu, auch wenn wir sicher andere Rahmenbedingungen voraussetzen. Man könnte heute fragen: Worauf müßte sich eine lebensfrohe Gesellschaft gründen? Was wäre dabei gewiß und was im Grunde noch zu entdecken? Welche Fragen sollten offen bleiben?
Die geistigen Möglichkeiten des Menschwerdens würden stärker ins Sichtfeld zu rücken sein. Heute liegen solche Lebensfragen eher am Rande gesellschaftlichen Geschehens. Jeder soll sie für sich ausmachen, wenn er denn meint, sich überhaupt damit befassen zu müssen. Dabei gibt es keinen politischeren Boden als die innerste Wahrheit über uns selbst, wie wir in der Welt wirken. Daraus folgt auch eine bestimmte Qualität an sozialer Aktivität. Es geht unter anderem z.B. um Fragen: Wie kann Humanität ohne seelische Verdrängungsraster gedeihen? Wie kann Sanftmut sich mit unseren innersten Lebensenergien verbünden und als gesellschaftliche Qualität herauswachsen?"

Erich Fromm verweist in seinen Werken sehr oft darauf, der Mensch brauchte ein produktives Tätigsein seiner inneren Kräfte. Dies wäre die Bedingung für eine emanzipatorische Existenz, für eine Lebensweise im Modus des Seins. Er prägte dafür auch den Begriff der Biophilie. Es ist wohl unzweifelhaft, diese Art innerer Orientierung bietet wohl am ehesten einen Zugang für eine Umkehr in unserer heutigen Kulturkrise. Wo im Menschen der Marketingcharakter oder autoritäre Charakterzüge eine starke Position inne haben, mag dieser Schritt schwieriger sein. Dabei muß man jedoch berücksichtigen, daß solche Erkenntnisgewinne keineswegs zwingend an die Charakterstruktur gebunden sind, sondern aus der Natur der Lebensschicksale sich entwickeln. Oft genug spielen da Zufälle ein wichtige Rolle. Die konkreten Biographien sind jedoch nicht losgelöst von charakterlichen Eigenschaften zu sehen.

Erich Fromm besetzt die produktive Orientierung gänzlich positiv. Dieses Adjektiv „produktiv" dürfte jedoch doppeldeutig sein oder zumindest scheint mir in ihm eine Schattenseite mit angelegt. Es ist zu fragen, was ist hier wie produktiv? Kann seelische Lebendigkeit, der ständige Akt inneren Geborenwerdens unserer Kultur den faustischen Drang, das immerwährende materielle Aufbauprogramm, mit dem wir jetzt am Abgrund entlang steuern, abgewöhnen? Kompensatorischer Tatendrang läßt sich gewiß zurücknehmen, aber löst dies schon unser Problem endgültig? Ist die produktive Schaffenskraft möglicherweise nicht ein Bestandteil unserer Grundlagenkrise, Teil des Problems und Teil der Lösung zugleich? In einer Zivilisation, in der die ganze materielle Infrastruktur ein tödliches Netz bildet, kann produktives seelisches Tätigsein, selbst wenn es mit kritischer Vernunft verbunden ist, noch keine Gewähr bieten auf einen guten Ausgang. Im Grunde hat die kritische Vernunft kaum eine Chance, bis auf die praktische Lebensrealität durchzuschlagen. Konsumistisches Verhalten kann man ohne Frage sehr weitgehend einschränken, jedoch kommt das Geld für den Lebensunterhalt immer noch aus der Produktionssphäre im weitesten Sinne, und an unseren Arbeitsstätten bewirken wir jeden Tag aufs neue, daß die Zukunft keine Chance bekommt.

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Dagegen kann auch die Solarfabrik oder die Holzhackschnitzelanlage nicht punkten, insofern sie fest eingeschirrt ist in die übrige Technosphäre. Gewiß muß es in einer ökologischen Kultur alternative Techniken und Verfahren geben, vieles wird man aber wohl erneut erfinden müssen, jenseits des industrialistischen Höher, Weiter, Schneller.

Die Existenzweise des Seins und eine zukunftsfähige Gesellschaft müssen offenbar aufeinander bezogen sein, sich in ihren Anforderungen gegenseitig ergänzen, sonst gerät jener Passus Erich Fromms, daß man seinen Talenten, dem Reichtum menschlicher Gaben Ausdruck verleihen möge, zu einem Widerhaken. Da mag es den Computerexperten geben, der in genau diese Zeichnung Fromms passen würde. Er kann in dieser Arbeit seine Kreativität ausleben, ist er bereits im Rentenalter, braucht er nicht mal sein Geld mit seinen Fähigkeiten verdienen und ist von den damit verbundenen Zwängen völlig frei.

Heute überholt eine Computergeneration die nächste, und wer kein solches Gerät hat, wird etwa schon im Studium und erst recht später kaum den erwarteten Leistungen gerecht werden. Dabei vergißt man jedoch, was das Resultat davon wäre, wenn nur, sagen wir zehn Prozent der Weltbevölkerung sich den eigenen Computer hinstellen täte, der dann spätestens alle zehn Jahre ausgewechselt werden muß. All das geht am Ende nicht mehr auf.
Die Existenzweise des Seins setzt die ökologische Matrix zwar keineswegs voraus, aber womöglich sollte das eine auf dem anderen aufbauen. Ökologisches Handeln im Modus des Seins könnte ausgewogener sein als die Rezepte, die im Getriebe der Marketingorientierung entstehen, sofern denn überhaupt etwas Umsteuerndes zustande kommt. Andererseits dürfte seelische Gesundheit in einer vom Menschen zerstörten Mitwelt auf einige Schwierigkeiten stoßen.

Rudolf Bahro spricht davon, wir müßten lernen, ein glücklicheres Bewußtsein zu erlangen, wenn wir eine gute Gesellschaft wollen, wir müßten aus Urvertrauen statt aus Abwehr handeln. Er hält es für wichtig, daß der Mensch sein Daseinsgefühl in der Welt verbessert, die Atmosphäre seiner Kommunikation mit ihr. Gebannt werden sollte die Vorherrschaft der Negativität. Es sei möglich, auf eine befreiende Weise das innere Kräfteverhältnis zwischen aggressiven und antagonistischen Impulsen einerseits und andererseits liebenden, solidarischen Impulsen wesentlich zu verändern.8 Diese Grundposition, meint Rudolf Bahro, könnte ein hoffnungsvoller Schritt sein, der zum Instrumentarium rettender Kräfte gehört, um einen Ausweg aus der ökologischen Kulturkrise zu weisen.

Zuweilen mag es uns gar nicht mehr auffallen, aber die helle Seite der menschlichen Existenz scheint allzuoft in unserem täglichen Tun zu entfliehen. Gewiß, sie ist aufgespeichertes gutes Karma, und sie wird nur dort wachsen können, wo ihr lebendiges Geflecht bewahrt und gepflegt wird. Wo rauhe Bemerkungen zum guten Ton gehören, der schlechte Witz die Normalität bezeichnet, kann man sich dabei auch noch sehr gut fühlen, aber der Gewinn liegt nur auf einer sehr niedrigen Ebene. Worauf es ankommt ist, die Freiräume zu schaffen, in denen sich eine herzzugewandte Lebensweise entfalten kann, wo ein Öffnen dafür möglich ist. Unablässig sind wir mit wichtigen Aufgaben beschäftigt, müssen arbeiten gehen, dies und jenes erledigen.

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Hier und dort tauchen Sorgen und Probleme auf, und in diesem ganzen Gemenge wird der liebebetonte Umgang geradezu automatisch weggedrückt. In unserem unablässigen Machen fehlt oder ist wenigstens zu schwach ausgeprägt eine innere wie gesellschaftliche Instanz, die liebendem Werden eine einbettende, das Ganze durchwirkende Aura verleiht.

Im täglichen Lauf der Dinge verliert bei vielen Menschen der Himmel sein wirkliches Blau, und die Natur wird zu einer bloßen Kulisse, wir atmen nicht mehr durch den Reichtum des Lebens. Die eigene Existenz gerinnt zu einer immergleichen Masse von festgefügtem Handeln und Denken. Dieses nimmt sich selbst gefangen. Für eine alternative Kultur kommt es darauf an, das Streben nach Konsum, Karriere, Leistung und Sicherheit zunächst einmal zurücktreten zu lassen, ohne die damit verbundenen Risiken zu ignorieren. Uns ist aufgegeben, in den Versuch eines immerwährenden inneren Geborenwerdens einzutauchen.

Ohne Frage schränken die gängigen Alltagsstrukturen und -zwänge den eigenen geistig-seelischen Radius ein. Die ganze Gesellschaft läuft in ihrem Aufbau einer hohen Liebeskultur zuwider. Jedoch wirken wir auch aktiv mit unserer ganzen Persönlichkeit auf die Gesellschaft ein. Indem wir unseren eigenen Beitrag herunterrechnen, mag er denn auch noch so klein sein, unterschätzen wir die Großmacht, die als die psychische Wirklichkeit des Menschen hervortritt.

Jeder einzelne Mensch verfügt über das Potential, das für einen neuen Anfang einsetzbar ist. Zunächst bedeutet das, sich selbst aus dem Automatismus des Sich-leben-lassens beziehungsweise des Gelebt-werdens wenigstens ein stückweit auszuklinken. Peter Lauster schreibt: „Die Wahrnehmungsfähigkeit stumpft im täglichen Einerlei ab, denn die Gedanken kreisen immer um dieselben Probleme wie Erfolg, Leistung, Konsum und Sicherheit. In dieser Stumpfheit, Eintönigkeit und Gleichförmigkeit erschöpft sich der Mensch, und er fühlt sich gestreßt von seinen Zwangsgedanken, die täglich gleich sind und deshalb ermüdend wirken und ihn nicht erfrischen und beleben können."(9) Wenn wir uns nicht in den üblichen Weg der Abstumpfung, Sicherheit und Langeweile einreihen wollen, müssen wir lernen, den Pfad zum Herzen zu suchen, empfindsamem Wahrnehmen und seelischer Lebendigkeit den Vortritt lassen, wo bisher routiniertes Handeln üblich war. Liebe und Freude als Lebensstimmung zu verinnerlichen, muß sich verbinden mit kritischem Denken und einer Alltagsrealität, in der sich das schöpferische Potential des Menschen entfalten kann. Gelingt dies nicht oder nur zum Teil, greifen destruktivere Elemente im Gefüge der Psyche und diktieren ihre Regeln.

Mit liebebetonter Existenzweise zur Mitwelt und zu sich selbst ist natürlich nicht gemeint, das eigene Verhalten in der gesellschaftlichen Atmosphäre zu beschönigen, es sich besser zu retuschieren, als es tatsächlich ist. Zuweilen neigt der Mensch dazu, sein Handeln und die eigenen Fehler mit größerer Nachsicht zu behandeln. So kann es nicht das Ziel sein, mit dem Anspruch einer neuen Kultur die Widersprüche im eigenen Leben und der Gesellschaft zuzukitten.

Wir müssen auf ein Zeitalter der Sanftmut zugehen, auf ein Auferstehen dieser menschlichen Wesenskräfte. Jenes Gebot aus dem neuen Testament; liebe deinen

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Nächsten wie dich selbst, besitzt größte Aktualität, unabhängig davon, ob man dem herkömmlichen Gottesbegriff folgen will oder nicht. Unsere allzu stur rationalistische Kultursicht muß aufgebrochen werden, hinter der der Homo ökonomicus lauert mit seiner genormten Arbeitswelt, der Gottheit Geld und dem Ideal, wie sich der Mensch als flinkes Rädchen der Megamaschine zu verhalten habe. Zudem ist es wichtig, die eigene innere Natur anzunehmen, und sie zu genießen, statt vor ihr zu fliehen.(10)

Dazu gehört aber auch die Bewußtheit, was ich in mir kultivieren möchte. Daß der Mensch zu einer liebegeleiteten inneren Verfassung gelangt gegenüber einer permanent besitzorientierten Existenzweise, ist ein maßgebliches Moment der Tiefenwandlung unseres Bewußtseins. Das Haben darf das Mensch-Werden nicht abschnüren. Als Voraussetzung für die Existenzweise des Seins bezeichnet Erich Fromm Unabhängigkeit, Freiheit und Vorhandensein kritischer Vernunft. „Ihr wesentlichstes Merkmal ist die Aktivität, nicht im Sinne von Geschäftigkeit, sondern im Sinne eines inneren Tätigseins, dem produktiven Gebrauch der menschlichen Kräfte. Tätigsein heißt, seinen Anlagen, seinen Talenten, dem Reichtum menschlicher Gaben Ausdruck zu verleihen, mit denen jeder - wenn auch in verschiedenem Maß - ausgestattet ist. Es bedeutet sich zu erneuern, zu wachsen, sich zu verströmen, zu lieben, das Gefängnis des eigenen isolierten Ichs zu transzendieren, sich zu interessieren, zu lauschen, zu geben. Keine dieser Erfahrungen ist jedoch vollständig in Worten wiederzugeben."(11)

In der Verfaßtheit des Besitzen-müssens von Sachen und Menschen kann der Mensch sich selbst nie genug sein. Er engagiert sich unablässig für weiteres Haben. Gewiß muß man dafür Sorge tragen, Essen auf dem Tisch und ein Dach über dem Kopf zu erlangen. Aber überall steckt schon der Keim darin, das angemessene Maß zu verlassen. Die ganze patriarchal-kapitalistische Gesellschaft richtet sich weitgehend darauf aus, beständig die Schranken niederzureißen, die zukunftsfähige und humane Ziele setzen müßten. Sie kennt nur das äußere Wachstum, inneres Wachstum ist ihr weitgehend wesensfremd. Der geschaffene Reichtum wird ihr zur tödlichen Falle, weil es offenkundig nicht gelingt, die Ausgewogenheit zwischen materiellem und geistigem Reichtum zu erreichen. Haben-müssen ist zu großen Anteilen in unsere Gesellschaft wie ein Pflichtgebot integriert.

Erich Fromm weist darauf hin, Gewinnstreben ist nicht nur ein persönlich psychologischer Zug von habgierigen Menschen, auch wenn dies vorkommt. El gilt insbesondere als ein Maßstab für die Richtigkeit ökonomischen Verhaltens. Der Gewinn ist Beleg für eine erfolgreiche ökonomische Bilanz.12 Für künftige gesellschaftliche Veränderungen wird von entscheidender Bedeutung sein, wieviele einzelne Individuen sich auf einen alternativen Weg begeben. Die Qualität des zugrunde liegenden Bewußtseinswandels wird prägend für das Niveau eines möglichen Kulturumbruchs ausfallen. Wir stehen heute vor der Situation, daß die geistig-seelische Wirklichkeit in der ganzen Welt entscheidenden Einfluß auf das ökologische Überleben der Menschheit gewinnen wird. Ökologischer Strukturwandel, wenn kosmetische Verbesserungen am Bestehenden nicht mehr ausreichen, sondern ein gravierender Einschnitt in die Lebensverhältnisse unausweichlich ist, wird nicht allein von technisch-politischem Sachverstand her bewirkt werden können, sondern

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er muß sich mit einer inneren Umkehr verbinden. Wir müssen den ungeheuren Ernst der Lage erkennen, ohne uns von der Angst des Untergangs paralysieren zu lassen, unsere Motivation zu sehr von dort her abhängig zu machen.

Die großen Weltreligionen vom Buddhismus über den Islam bis zum Christentum und andere artikulierten das höhere Selbst im Menschen. Gewiß wurden sie immer wieder auch für niedere Beweggründe instrumentalisiert und boten die geistige Staffage für ungeheure Verbrechen. Hier sei nur die Inquisition stellvertretend genannt. Gewiß sind auch die Ausdrucksformen der Religionen nicht unbedingt geeignet, um in der heutigen Welt als angemessen zu erscheinen.

Aber das sinnmachende Moment der Religionen ist bei der Kritik an ihnen zu oft ausgespart worden. Wenn man Jesus oder Buddha als Vorboten für ein zukünftiges Zeitalter begreift, so tragen sie eine andere Botschaft, als wenn man sie in ihrer Rolle beläßt, religiöse Statussymbole zu sein. Dem Glauben an Gott wird nur der Gläubige folgen. Eine spirituelle Erneuerung jenseits konventioneller Religion eröffnet einen weiteren Raum. Dies erfordert ein kulturelles Fundament, das heute nur in sehr wenigen Ansätzen vorliegt. Aber gerade darauf kommt es an. Wir müssen uns bemühen, nach einer besseren inneren Gestalt unseres kulturellen Eingewobenseins zu suchen. Wie gelingt es, in einer freudig festlichen Stimmung uns einzuwohnen, die zugleich höchste Verantwortung mit lebendiger Kreativität verbindet? Kann der „göttliche Funken" im Menschen stärkeren Einfluß gewinnen auf ihn selbst und das gesellschaftliche Geschehen?

Vielen Zeitgenossen reicht es festzuhalten, der Mensch ist wie er ist, und alle Geschichte möge beweisen, nichts wird sich daran ändern. Das klingt einfach und klar, und doch ist die Wirklichkeit schon immer komplizierter gewesen. Auch künftig werden nicht alle Menschen und auch nicht jeder Mensch in Gänze das ideale Bild abgeben. Ein solcher Anspruch wäre nicht einlösbar. Wohl aber könnten sich innerhalb der gesamten Gesellschaft Verschiebungen einstellen, wenn ein sozialökonomischer und seelisch-geistiger Wandel Fuß fassen würde.

So etwas geschieht natürlich nicht im Selbstlauf, dies muß errungen werden, und ganz klar ist: Das geistige Klima einer Gesellschaft kann sich auch verschlechtern, wenn die inneren und äußeren Umstände darauf hinwirken. Wir sollten dabei nicht aus den Augen verlieren, jeder einzelne ist mitverantwortlich. Die Evolution von Innen gehört zu den entscheidenden Fxkpfeilern auf dem Weg in eine ökologisch lebende Gesellschaft. Erich Fromm beschäftigte sich nicht nur mit den sozialpsychologischen Phänomenen der Gesellschaft, sondern versuchte auch Alternativen für gesellschaftliche Veränderungen zu formulieren und dabei seine Kenntnisse als Psychoanalytiker einzubringen. Seine Vorschläge reichten vom garantierten Existenzeinkommen, über eine grundlegende Demokratisierung des Wirtschaftsgeschehens bis hin zu Volksabstimmungen zu allen politischen Fragen über die Instanz von Nachbarschaftsgruppen. Auf diesem Weg sollte die Bevölkerung über das Votum eines Unterhauses mitbestimmen. Die heutigen Konzeptionen von Volksbegehren und Volksentscheiden sind sicher einfacher handzuhaben, wenngleich ihre Einführung auf Bundesebene bislang aussteht. Erich Fromm vertrat die Auffassung, es reiche nicht aus demokratische Regularien

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