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14. Medien und ökologische Krise

Ferst-2002

 

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Zappt frau oder mann sich durch die gegenwärtige Fernsehlandschaft, kann es passieren, dabei nicht nur einmal, sondern gleich mehrfach in Schußnähe zu geraten. Die offene wie verdecktere Verherrlichung von Gewalt findet kaum noch Grenzen. Zweifellos gibt es von Programm zu Programm Unterschiede. Nichts gegen einen gehaltvollen Krimi. Nur der beständige "Beschuß" mit mehr oder minder geistloser Kost, die privaten Sendeanstalten haben darin einen gewissen Vorsprung, sollte sehr kritisch betrachtet werden. Hier ist einiges aus dem Gleichgewicht geraten, und ein korrigierender Eingriff wäre angebracht.

Dies spricht nicht unbedingt generell gegen Filme, deren einziger Zweck die Unterhaltung ist. Zur Ablenkung von den eigenen Realitäten, vom eigenen Gesichtskreis, zum einfach Wegschalten mögen sie geeignet sein. Die Vitalität etlicher Filme zieht Publikum an. Dieser Wirkung kann man sich auch nur schwer entziehen. 

Kritisch wird es, wenn solcher Filmstoff ernste Themen, die auch nur ernsthaft behandelt werden sollten, auf unverträglich seichtes Niveau senkt oder die ideologische Bemutterung allzu offenkundig zur Schau gestellt wird. Um am Beispiel zu bleiben: Eine gewisse Art von Kriegsfilmen, die man auch nur bei bestimmten Sendern antrifft, gehört nicht ins Fernsehprogramm. Propaganda für militaristisches Gedankengut hat dort nichts zu suchen.

Zweifellos gibt es auch viele subtile Faktoren der Beeinflussung beim Fernsehen, die man nicht begrüßen kann; teils sind die Wirkungen ambivalent. Da will ich noch gar nicht vom Skandal der Werbelawinen reden. Mag sein, es gibt noch Talkshows, bei denen man hinterher etwas für sich gewonnen hat, und wenn es nur eine bestimmte Aussage war, die es sich lohnte zu merken. Beim Gros der Talkshows dürfte es aber über oberflächliches Geplätscher nicht mehr hinausgehen. Es haftet wohl ein Stück Wahrheit daran, wenn der Medienwissenschaftler und einstige PDS-Chef Lothar Bisky in den Talkshows das Denkmal vom Ende der Aufklärung gekommen sieht.111

Auch bestimmte Arten von Serien senken kontinuierlich das geistige Niveau des Mediums Fernsehen und werden mit den anderen Auswüchsen im Sende­betrieb auch zu einer Gefahr für das geistige Niveau der Gesellschaft.

Wie steht es nun aber mit der Zukunftsfähigkeit im Medium Fernsehen? 

Möchte man der "Tagesschau" oder auch anderen Nachrichten glauben, gibt es gar keine ökologische Krise. Natürlich sagt das niemand so. Aber genau darin liegt das Problem. Sie kommt nicht vor. Die unzähligste Folge zum Thema Steuerstreit, Renten und ähnliches — oft geht es nur um minimale Unterschiede zwischen Koalition und Opposition — ist für die "Tagesschau" wichtiger als die weltgeschichtlichen Fragen um Sein oder Nicht-Sein.*

Die aber werden täglich drängender. Da kann es nicht ausreichen, daß hier mal eine kurze Sentenz zu neuen Ergebnissen bei Klimamodellen, da mal ein Hinweis auf El Nino gesendet wird und das mit Abstand von Monaten. Hier sollten die Maßstäbe bei der "Tagesschau", bei den ntv-Nachrichten, bei "heute" und wie die Nachrichtensendungen alle heißen, gründlich umgerückt werden. Dies kann zunächst mit kleinen Schritten beginnen. Um nicht nur zu monieren: Als Michael Succow der alternative Nobelpreis für sein Engagement verliehen wurde, erfuhren in diesem Zusammenhang der Ausbau der Havel und der Bau der Autobahn A20 in Mecklenburg-Vorpommern eine kritische Reflexion in der Tagesschau. Warum gelingt ein solcher Blick so selten in den Nachrichten?

So kann ich dann auch nur die Meinung des Fernsehmoderators Franz Alt unterstützen. Er schreibt: "Wenn es heute abend in einem der vielen Fernseh­programme eine ökologisch realistische Tagesschau gäbe, müßten uns die Sprecher sagen: Auch heute sind 100 Tier- und Pflanzenarten ausgestorben — wurden 55.000 Hektar Tropenholz abgeholzt — haben sich die Wüsten um 20.000 Hektar ausgedehnt — haben wir weltweit 100 Millionen Tonnen Treibhaus­gase in die Luft geblasen."112

(d-2014:)   Beispiel 2014  Michael Schuhmacher 

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Auch wenn das morgen und übermorgen, jeden einzelnen der 365 Tage im Jahr, so weitergeht, so kann man sicher nicht jedesmal dieselben Informationen über den Bildschirm schicken, wohl aber könnte es gelingen, vorausgesetzt, der Wille ist dafür vorhanden, regelmäßig den Blick auf diese Problemzonen zu richten.

Nachrichten müssen in Zukunft die ungeheure Vielfalt unserer zivilisatorischen Zerstörung spiegeln, berichtenswerte Anknüpfungs­punkte dürften sich mehr als genügend finden, insbesondere wenn man etwas gründlicher auf Suche geht. Und selbstverständlich brauchen auch die verschiedenen Alternativen mehr Öffentlichkeit — nicht erst, wenn alternative Nobelpreise verliehen werden. Die Nachrichtenzunft in unserem Lande könnte sehr viel mehr dazu beitragen, das Nachhinken bei weltökologischen Fragen in der öffentlichen Wahrnehmung zurückzudrängen. Die Macher sollten immer öfter riskieren, aus dem eingefahrenen Trott auszuscheren — selbst auf die Gefahr hin, daß diverse "Verantwortungsträger" dies vor allem als ein Problem auffassen und davon nicht begeistert sind. Aber Verantwortung für Wort und Bild darf auch für die Nachrichtenmacher kein Fremdwort sein. Sie sollten sich nicht hinter diversen Sachzwängen verstecken wollen.

Fernsehen auf den verschiedenen Kanälen, als ein zentrales Medium der Meinungsbildung in der Gesellschaft, steht für die Mitgestaltung der ökologischen Zeitenwende ganz entscheidend in der Pflicht. Zusammen mit den Zeitungen repräsentiert es die Hauptquelle gesellschaftlicher Information. So schreibt Rudolf Bahro

"Wir brauchen jetzt die Massenmedien, voran das Fernsehen, als Organ jener letzten Aufklärung. Es gehört zu unserem Verhängnis, daß wir uns da eine Satanskirche halten (und sie womöglich noch von links verteidigen, weil die Zensur gegen den Gewaltkrimi auch irgendeinen kritischen Essay miterfassen könnte). Es würde sofort vieles Gewaltanbetende und Triviale weichen, wenn die Medien klar auf einen sozialen Auftrag verpflichtet würden, der Selbstverständigung über unsere Situation und der Verbreiterung des Zugangs zu der Praxis und den Praktiken der spirituellen Selbstveränderung zu dienen."113

Kommen wir zu einigen Gedanken zum Stand ökologischer Information im Fernsehen. Sie können selbstverständlich nur Ausschnitte betreffen. Fangen wir mit dem öffentlich-rechtlichen Fernsehen an. In der ARD suggeriert man, hier säße man in der ersten Reihe, doch nicht mal ein richtiges Ökomagazin bringt der Sender zustande. Will man "Monitor" im Zukunftsformat sehen, muß man schon zum Brandenburger Regionalsender ORB umschalten. Einmal im Monat geht dort Helmut Henneberg mit <Ozon> auf Sendung. Seit dem Umbruch in der DDR moderiert er sie. Leider konnte sie lange Zeit nur regional empfangen werden. 

Von den Sendungen, die ich gesehen habe, gewann ich den Eindruck, die konventionelle Ökoszenerie wird exzellent abgedeckt, doch strategische Zukunfts­gestaltung bleibt zu oft den unmittelbaren Geschehnissen geopfert. Der Rumpf der ökoglobalen Krankheit bleibt weitgehend unkenntlich. Zweifellos hatte z.B. eine Spezialsendung zu den Ureinwohnern in den sibirischen Weiten höchsten Bildungswert, ebenso wie die daran geknüpfte Frage, wie fortgeschritten die euroamerikanische Zivilisation wirklich ist.

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Aber das kann erst der Anfang sein, die Dinge so zu betrachten. 

Trotz alledem fände ich eine Dreiviertelstunde <Ozon> um 20.15 Uhr im Abendprogramm der ARD besser aufgehoben. Die Verantwortlichen in der ARD sollten sich mal einen Ruck geben. Sie hätten ohnehin Grund genug dafür. Eine Untersuchung der Medienwissenschaftlerin Sabine Ledzbur ergab, daß in den letzten zehn Jahren zwei Drittel der Sendezeiten für Umweltthemen innerhalb der Sender der ARD abgeschafft wurden.114 Das ZDF verfügt immerhin über eine eigene Ökosendung unter dem Titel <Planet e>. Jedoch wirkt sich der fehlende feste Programmplatz ungünstig aus, weil man nie weiß, wann die Sendung kommt.

Richtige Konkurrenz vermochte 1997 den öffentlich-rechtlichen Sendern nur RTL mit dem <Greenpeace-Magazin> zu bieten. Konnte man jedenfalls für ein paar Wochen denken. In der angenehmen Moderation von S. Maischberger hangelte sich das Magazin immer an der Symptomebene der Natur­zerstörung entlang. Viel mehr ist wohl in zwanzig Minuten auch nicht zu machen, die dann auch noch von der Werbung der Autokonzerne unterbrochen wird. 

Immerhin bot das Greenpeace-Magazin einen, wenn auch überaus kurzen Nachrichtenüberblick, wie ihn Franz Alt einfordert. Allerdings konnte sich die RTL-Ökosendung nicht lange halten. Auf meine telefonische Anfrage bei RTL, wo denn das <Greenpeace-Magazin> abgeblieben sei, erhielt ich zur Antwort, dieses sei nicht als ständige Sendung geplant gewesen. Weiter hakte ich nach, ob bei RTL irgendwo eine andere Ökosendung ins Programm genommen werde. Die Auskunft war, daß dies nicht der Fall sei. 

Wäre es denn für RTL so ein unüberwindbares Hindernis, jeden Monat eine Dreiviertelstunde für eine Ökosendung bereitzustellen und den Sendetermin nicht kurz vor Mitternacht zu legen, wie beim "Greenpeace-Magazin", sondern ihn im normalen Abendprogramm unterzubringen? Nicht nur Greenpeace, sondern auch der BUND oder andere Ökogruppen könnten an solch einem Projekt beteiligt werden, jedenfalls ein Team, das Ökologie und Imagepflege für die Industrie auseinanderhalten kann.

Die Sender SAT 1 und Pro Sieben bekundeten auf meine Nachfrage in unterschiedlichen Jahren, keine Ökosendung, welcher Natur auch immer, im Programm zu haben. Es gäbe jedoch Informationssendungen, in denen kurze Einzelbeiträge vorkommen können. Gibt es denn keinen einzigen Privatsender, der sich in seinem Programm eine etablierte Ökosendung vorstellen kann? Im Lern- und Arbeitsbuch Umweltpolitik kommt man jedenfalls zu der Auffassung, daß die weitgehende Kommerzialisierung der Fernsehlandschaft in den 80er Jahren durch die neu hinzugekommenen Privatsender und die damit einhergehende Entpolitisierung der Berichterstattung mit dazu beigetragen hat, den Stellenwert ökologischer Probleme zurückzudrängen.115

Sehen wir uns sonst in der Fernsehlandschaft um, so finden wir viel gähnende Leere zu den zivilisatorischen Großproblemen. Hier und da erwischen wir mal einen Kurzbeitrag, auch mal eine spezielle Sendung. Zu untersuchen, wie sich das im einzelnen verhält, ist hier an dieser Stelle natürlich unmöglich. Dennoch kann man feststellen: Ein Spielfilm wie <Nach uns die Sintflut> zur Hauptsendezeit ab 20.15 Uhr in der ARD im Herbst 1996 stellt eher die ganz seltene Ausnahme dar.

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Gelegentlich gelingt es, einen Dokumentarfilm mit ökologischem Thema zu erwischen, da muß man jedoch die Programm­zeitschriften zuvor gut studiert haben.

Allein wenn in bestehenden Magazinen nicht nur die tagespolitischen Anliegen zur Sprache kämen, sondern mehr auch die Dinge, die auf das Großeganze gerichtet sind, könnte im ersten Ansatz schon viel gewonnen sein. Da wir vorhin die Seichtigkeit der Talkshows ansprachen: Wie wäre es mit einer ernsthaften Diskussionssendung zu den brenzligen Zukunftsthemen? Und vielleicht gelingt es auch, die Leute heranzuholen, die dazu wirklich Substantielles sagen können, auch wenn sie eher wenig bekannt sind? In der Vergangenheit zeigte die 3sat-Sendung <Drei Länder — ein Thema> von Franz Alt: Dies alles liegt in Reichweite. 

Befördern sollte man auch die Verfilmung von Romanstoffen, die sich mit der zivilisatorischen Krise, die zugleich eine Krise der menschlichen Verfaßtheit ist, auseinandersetzen. Nur um Beispiele zu nennen: Der Roman <GO! Die Ökodiktatur> von Dirk C. Fleck oder auch <Die Richtstatt> von Tschingis Aitmatow dürften sich vorzüglich dafür eignen. Sicher läßt sich in dieser Richtung noch viel mehr finden. Till Bastians Roman <Tödliches Klima> gäbe gewiß einen quoten­tauglichen Ökokrimi ab. 

 

Wenn man über Ökologie und Medien schreibt, dann muß auch über die Zeitsprung-Reihe geredet werden. Filme wie <Fluchtweg aus dem Treibhaus> oder <Mobil ohne Auto> von Franz Alt dürften zu den zukunftsweisendsten gehören, die in den 90er Jahren in Deutschland über die Bildschirme flimmerten. Auch ist angenehm zu sehen, wie eben auch Lernprozesse stattfinden, und das beim Fernsehen. 

Ich denke z.B. an die Entwicklung zwischen dem —Zeitsprung— <Biofleisch statt Rinderwahn> und dem — Querdenker — <Haben Tiere eine Seele?>. Während in der ersten Sendung von einer Ökolandbauwende ausgegangen wird, von einer Fleischproduktion ohne Chemie, ohne Tierquälerei und ohne Rinderwahn, stellt der <Querdenker> unseren Fleischverbrauch aus ethischer Sicht grundsätzlich in Frage. Die Brisanz dieser Herangehensweise ist klar, nicht zuletzt wenn man bedenkt, nur 3 bis 5 Prozent der Bevölkerung in den Industrieländern ernähren sich rein vegetarisch.116

Wenn ich hier nun einige Zeilen Lob zollte, so ist aber auch kritische Reflexion nötig. Eine Grundfrage, die ich mir bei den Zeitsprung-Sendungen immer wieder stellte: 

In einem Interview stellte ich Franz Alt die Frage so:  

"Kann es sein, daß, wenn man heute sagt, so und so müssen wir unsere Lebens- und Wirtschaftsweise verändern, dann später vor der Einsicht steht, wir haben uns das zu einfach gemacht, weil wir die menschengemachten Wirkungen auf die Naturgleichgewichte zu oberflächlich wahrnahmen, zu viele Aspekte außer acht ließen?"  

Franz Alt:

"Wir sehen vieles anders als die Generationen vor uns. Wahrscheinlich geht es den Generationen nach uns ähnlich. Alles andere wäre ja sterbens­langweilig."117

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Gegen die Antwort ist erst mal nichts einzuwenden. Zugleich dürfte sie aber auch ein gelungenes Ausweichmanöver sein. Die jüngere Generation, kann sich mit dieser Antwort nicht mehr zufriedengeben, die Brüche einfach wegdrücken oder überspielen, die damit angezeigt sind. 

Wir werden abstürzen, wenn wir nur vier Meter springen, die zu überwindende Kluft aber fünf Meter mißt. Gut gesprungen, aber doch gescheitert — und das, weil wir uns das Areal, in dem wir handeln, nur im Schnelldurchgang angesehen haben, zu sehr die Beschränktheit unserer Wahrnehmungs­muster zum Maß machen, die Menschheits­probleme nicht in ihrem ganzen Horizont neu besehen und erforschen. 

Wer sagt uns denn, daß die Bilanzen und Reduktions­quoten der einzelnen Schadstoffe etwa in der Studie <Zukunftsfähiges Deutschland> hinreichend sind — und vor allen Dingen aber, ob sich die dargestellten Leitbilder mit den Bilanzen decken? Da kommt mir mancher Zweifel.

Um auch gegen mich selbst zu sprechen: 

Die Umrisse für den Rück- und Umbau unserer technischen Zivilisation, deren Abmaße ich versuchte, konzentriert in dem Abschnitt <Effizienzrevolution und Faktor Zehn> auszubreiten und andernorts mitzureflektieren, reichen vorne und hinten nicht hin. Sie stellen nicht mehr dar als ein notdürftiges Provisorium, ein Zwischenstadium im Erkenntnisprozeß. 

Mir ist die Abgrundtiefe dieses Ansinnens klar. 

So könnte die Auseinandersetzung über das Wie unserer Rücknahmen und die darauf zugeschnittenen Alternativen, erst mal nur, was die materielle Ausgangs­position betrifft, tausendfach Professorenleben füllen. Wir müssen uns diesem Faktum stellen und dürfen es nicht an die nächste Generation überweisen, lieber Franz Alt, auf daß sie intelligenter sein mögen als wir. Wir haben geradezu die Pflicht, unsere eigene Borniertheit, unsere eigene Beschränktheit beim Umgang damit aufzudecken. Dies ist der erste Schritt, um zu einem integraleren Verständnis zu kommen. Wir dürfen es uns nicht zu einfach machen.

Jedenfalls bezweifle ich, wenn späterhin jeder Haushalt bei zukünftig 10 oder mehr Milliarden Erdenmenschen über seinen eigenen Fernsehapparat, den Ökokühlschrank, die Ökowaschmaschine usw. verfügt, dies könnte gut gehen. Das ist eine Illusion. Genau die aber wurde durch einige <Zeitsprung>-Sendungen genährt.

Es wird also noch einmal ein neuer Durchgang zu dem Thema Selbstbegrenzung gebraucht.

Genauso brisant stellt sich die Frage nach den künftigen sozialen und ökonomischen Strukturen

Auf Grund der gegebenen Verhältnisse in den Industrie­staaten wird man zunächst auf eine ökologisch-soziale Marktwirtschaft orientieren. Auf längere Sicht kann dies aber nur ein Übergangsstadium sein. 

Eine Produktionsweise, die das <Prinzip vom Nimmersatt> fortzeugt, kann sich menschheitsgeschichtlich gesehen nur für einen kurzen Zeitraum halten. Der in ihr angelegte Widerspruch vermag nur in einer neuen, zukunftsfähigen Wirtschaftsordnung lösbar sein oder mit dem Untergang der menschlichen Gattung enden. 

Die gängige Verklärung mit dem Raster "uneffiziente Planwirtschaft im ehemaligen Ostblock — gute westliche Marktwirtschaft" hält wissenschaftlicher Betrachtung nicht stand. Beide Pole signalisieren das Produkt antiquierter Weltzustände. Eine sozialökologische Wirtschaftsordnung muß sich auf eine höherentwickelte politökonomische Struktur gründen. Immerhin scheint es auch den Autoren der Studie <Zukunftsfähiges Deutschland> zu dämmern, es könnte Probleme geben mit dem kapitalistischen Getriebe. Aber so genau wollten sie es dann offenbar doch nicht wissen.118)  

Wäre doch mal ein spannendes Thema für eine Fernsehsendung? Immerhin schien mir die Reflexion dieses Konflikts z.B. in der <Zeitsprung>-Sendung <Arbeit für alle — Das ökologische Wirtschaftswunder> ungenügend.

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Und ein Drittes.

Natürlich weiß ich, ich laufe da auf offene Türen zu. Um Franz Alts eigene Worte zu benutzen: "Die wirklichen Revolutionen sind die Revolutionen des Herzens".119 Seine Auseinandersetzung mit dem Psychologen Carl Gustav Jung mag ein zusätzlicher Hinweis sein. 

Worum es geht, ist eine Evolution menschlichen Geistes, des inneren kulturellen Raumes. 
Wie gelangen wir zu einer geistigen und seelischen Hochkultur? 

Dies ist eine Kernfrage der künftigen Menschheitsentwicklung, denn sie ist in jeder politischen, aber auch persönlichen Aktivität mit aufgegeben. Ich würde mir wünschen, dieses Anliegen bekäme in den Sendungen mehr Gewicht. Ohnehin finden sich Sendeminuten zu der Sphäre von Psyche und geistiger Entwicklung im Fernsehen nur äußerst selten.

Noch ein abschließender Gedanke zur <Zeitsprung>- und <Querdenker>-Reihe.

Immerhin scheint das Experiment, aus konventioneller Fernsehwelt ein Stück weit auszubrechen, mehrfach gelungen. Darin steckt ein zukunftsfähiger Ansatz, der erhalten bleiben sollte, der in sich aber auch die Chance trägt, neue Höchstqualitäten zu erreichen. Man sollte dafür Sorge tragen, daß es Fernsehideen analoger Art auch künftig gibt. Die erwähnten Filmreihen sind im übrigen als Filmkassetten erhältlich.120

 

Wenden wir uns nun dem geschriebenen Wort zu, speziell dem der Zeitungswelt. 

Trotz Medienkonzentration und anderer weniger angenehmer Erscheinungen finden wir eine weite Blättervielfalt vor, und es liegt nicht in meinem Vermögen, hier nun in irgendeiner Weise eine hinreichende Querschnitts­analyse zu geben. Dennoch möchte ich anhand einiger Indizien versuchen, ein wenig auf die allgemeinen Umstände zu sprechen zu kommen. 

Gewiß kann man festhalten, die <Frankfurter Rundschau> und das <Neue Deutschland> leisten sich regelmäßig Umweltseiten. Auch die <tageszeitung> räumt Umweltthemen verhältnismäßig viel Raum ein. In der Wochenzeitschrift <Der Spiegel> kann man von Zeit zu Zeit fündig werden, wenn man nach Informationen über Klimaproblematik, Artensterben u.a. sucht. Die <Berliner Zeitung> behandelt Analoges auf ihren Wissenschaftsseiten, auch etwa Themen wie die solare Wärmewirtschaft u.a. Selbstverständlich reflektieren die verschiedenen Zeitungen, die einen weniger, die anderen mehr, wenn gerade das Thema — Ozonloch — sich angesichts von Daten anbietet, oder am Nordpol das Eis mal unerwarteterweise abhanden gekommen ist. Doch über diesen Mindestanspruch geht es selten hinaus.

In der Regel werden ökologische Themen und die wirtschaftlichen Konsequenzen, die Fragen des Lebensstils so behandelt, als würde es zureichen, hier und da eine Reihe von Umbauten vorzunehmen, und dann löst sich im Laufe der Zeit das Problem. Intelligente gesellschaftliche Selbstbegrenzung, als Aufgabe und Problemstellung formuliert, findet man in Zeitungszeilen höchst selten. Das ist schon ein Tabuthema.

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Eher trifft man auf Hinweise zu technischen Innovationen im Dienste des Umweltschutzes. Das ist nicht verkehrt und ist auch nützlich, aber kaum hinreichend zur Verständigung über die Sackgasse, in die wir geraten sind. Es reicht auch nicht aus, konventionell mal etwas Kritisches zum Autobahnneubau, zu verletztem Naturschutz oder zum Energiesektor etc. einzuschieben. Damit ist noch nichts gewonnen, auch wenn es gut ist, daß es überhaupt zu Drucke kommt.

In den Zeitungen würde es darauf ankommen, das Phänomen ökologische Weltkrise in seiner Komplexität praktisch und gesellschafts­theoretisch zu reflektieren. Das ist selten von Autoren und Autorinnen zu erwarten, die dies bisher auch nicht getan haben. Insofern muß man sich schon mal umschauen, wo Leute gründlicher mit ökologischen Themen befaßt sind. Von der naturwissenschaftlichen Seite her ist es wichtig aufzuzeigen, wie die "Fieberkurve des Planeten" steigt, welche Prozesse im Gang sind nicht nur in Bezug auf das Klima, sondern auch auf das Artensterben oder den stratosphärischen Ozonschwund u.v.a. Neue Erkenntnisse auf all diesen Gebieten bergen immer die Chance, daß man die Themen noch mal in Gänze aufrollt. Dies sollte permanent getan werden. 

Wichtig ist dabei, daß auch die politischen Schlüsse daraus kenntlich gemacht werden und nicht zurückgefallen wird in die angebliche Sachzwanglage, die mit unserer totalitären Wirtschaftsverfassung mitgegeben ist. Gerade bei dieser Überbrückung muß ein Qualitätssprung stattfinden in der Darstellung in unseren Zeitungen. Oftmals werden an diesem Punkt die notwendigen Konsequenzen wenn nicht mit Schweigen, so mit allerlei umweltschutztechnischem Kleinwerk verstellt und damit der Durchgang zu einer neuen öffentlichen Wahrnehmung verhindert. Das wäre zu ändern. Wenn dies jedoch keine Auswirkungen auf das Gesamtprofil der Zeitung erhält, dann bleibt es allerdings eine Trockenübung. Da kann es Rezensionen zu Büchern geben, die bisher kaum Beachtung fanden, oder eine regelmäßige Rubrik zu Ökothemen. Da können neue solare Techniken oder alternative Lebensformen portraitiert werden u.v.a.

Wenn 95 Prozent der Beiträge weiterhin suggerieren, oft eher unterschwellig als direkt, alles bleibt im bisherigen Bannkreis, dann kann man nichts erreichen. Das gleiche gilt für das Fernsehen. Da kann die eine Ökosendung zwischendurch auch nicht die ganze Schieflage richten. Ein grundsätzlich anderes Herangehen ist also gefragt — und wenn es denn auf leisen Sohlen daherkommt, so ist das immer noch besser, als der bisherige höchst unbefriedigende Stand.

Man muß es in den Medien darauf anlegen, hier ein Tor aufzuweiten für einen neuen geistigen Impuls, für die Logik einer rettungsfähigen Lebensordnung. Da sollte man nicht mit Ausflüchten kommen. Beiträge sind gefragt, die bekunden: Wir sind auf dem Weg, wir versuchen das Unmögliche! Nur so wächst das Rettende! Das sollten sich die Zeitungsredaktionen an ihre Merkbretter klemmen. 

Die Larmoyanz, von wegen das Thema — Ökologie — ist gerade nicht in, darf grundsätzlich als unakzeptabel gelten. Meinungsanalysen ergeben: Fragt man nach dem aktuell wichtigsten Thema, dann sagen 80 Prozent der Deutschen: die Massenarbeitslosigkeit. Wenn jedoch gefragt wird, was ist mittelfristig das wichtigste Thema, dann antworten ebenfalls 80 Prozent: die ökologische Krise.121) 

Generell gehören die Medien an den Pranger, denn sie sind nicht ganz unschuldig daran, daß die bestehende Sackgasse hier nicht aufgebrochen wird, denn wer will, kann auch anders. Aber man und frau muß wollen. Das ist die Voraussetzung. Zu oft wird nicht gewollt, zu oft auch gar nicht erst gesehen. 

So habe ich mir die Zeit genommen, vom Herbst 1998 bis Herbst 1999 den <Spiegel>, <Focus> und den <Stern> zurückzuverfolgen, insbesondere unter dem Schwerpunkt Wissenschaft und Forschung — und das bestätigte erst mal meinen Eindruck, den ich eben schon über den <Spiegel> schilderte, wenngleich auch nicht durchgängig. Als äußerst mangelhaft würde ich die analogen Bemühungen im <Focus> und im <Stern> bewerten. Das kann dann auch der eine gute Beitrag nicht mehr rausreißen, der bei über 50 Heften dann mit dabei ist. Beide Redaktionen sollten also darüber nachdenken, wie sie sich von diesem Negativ-Image lösen könnten. Eigentlich dürfte das doch nicht so schwer sein? 

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 Marko Ferst - Wege zur ökologischen Zeitenwende - 2002