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2.  Der große Luftozean

 

Die vier Atmosphärenschichten und warum Berggipfel, obwohl der Sonne näher, kalt sind — Das Fenster in der Mauer aus Gasen —
Die irdischen Zusammenhänge; und wie die Luftverschmutzung sie verändert — Ein Mitsommernachts-Albtraum in New York — Vom Mauna Loa aus der Erde beim Atmen zusehen.

 Der große Luftozean - Audio

Der große Luftozean, der uns umgibt, hat die wunderbare Eigenschaft, die Wärmestrahlen der Sonne hindurch­zulassen, ohne selbst von ihnen erwärmt zu werden; aber wenn die Erde aufgeheizt wird, erwärmt sich auch die Luft durch den Kontakt mit ihr und auch in erheblichem Maß durch die Hitze, die die warme Erde abstrahlt, denn reine, trockene Luft lässt die dunklen Wärmestrahlen zwar ungehindert passieren, aber der Wasserdampf und die Kohlensäure [CO2] in der Luft fangen sie ein und absorbieren sie.  --- A. Wallace <Des Menschen Stellung im Weltall> 1903 ---

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Wenn wir den Klimawandel verstehen wollen, müssen wir uns mit drei wichtigen — aber oft missver­standenen — Begriffen herumplagen: Treibhausgase, globale Erwärmung und Klimawandel

Unter Treibhausgasen versteht man eine Klasse von Gasen, die Hitze nahe der Erdoberfläche festhalten können. Nimmt ihr Anteil in der Atmosphäre zu, führt die von ihnen zurückgehaltene zusätzliche Wärme zu einem globalen Temperaturanstieg. Diese Erwärmung wiederum setzt das Klimasystem der Erde unter Druck und kann einen Klimawandel auslösen. Genauso wichtig ist es, Wetter und Klima auseinander zu halten. 

Wetter ist das, was wir jeden Tag erleben. Klima ist die Summe aller Witterungsverläufe über eine bestimmte Zeitspanne, und zwar entweder für eine bestimmte Region oder für den Planeten als Ganzes. Und all das wird natürlich in der Atmosphäre produziert. Die Atmosphäre untergliedert sich in vier verschiedene Schichten, die durch ihre jeweilige Temperatur und die Richtung ihres Temperaturverlaufs definiert sind. Der unterste Bereich der Atmosphäre heißt Troposphäre. Ihr Name bedeutet »die Sphäre, in der umgewendet wird«, und sie heißt so, weil die vertikale Durchmischung der Luft für sie charakteristisch ist.

Die Troposphäre reicht durchschnittlich bis in zwölf Kilometer Höhe über der Erdoberfläche, und sie enthält 80 Prozent aller atmosphärischen Gase. Ihr unteres Drittel (das die Hälfte aller Gase in der Atmosphäre enthält) ist der einzige Teil der Gesamtatmosphäre, den wir atmen können. Das Entscheidende an der Troposphäre ist, dass ihr Temperaturgradient »auf dem Kopf steht«: An der Erdoberfläche ist sie am wärmsten und nach oben kühlt sie sich um 6,5°C pro vertikalem Kilometer ab. 

Auf den ersten Blick scheint das dem gesunden Menschenverstand zu widersprechen, denn man würde erwarten, dass die Luft, die der Sonne am nächsten ist (von wo letztlich alle Energie kommt), am wärmsten ist, aber dieser Sonderfall bedingt gerade die gründliche Durchmischung der Troposphäre — schließlich steigt heiße Luft empor. 

Eine weitere Besonderheit ist, dass die Troposphäre der einzige Bereich der Atmosphäre ist, dessen nördliche und südliche Hälften (durch den Äquator geteilt) sich kaum durchmischen, und diese Eigenheit erspart den Bewohnern der Südhalbkugel die Luftverschmutzung, die auf der stärker bevölkerten Nordhalbkugel den Blick zum Horizont einschränkt und Panoramen trübt.

Die Tropopause trennt die Troposphäre von der nächsten Schicht, der Stratosphäre. Im Gegensatz zur Troposphäre wird die Stratosphäre mit zunehmender Höhe immer wärmer. Der Grund dafür ist, dass die obere Stratosphäre reich an Ozon ist; dieses fängt die Energie des ultravioletten Lichts ein und strahlt sie als Hitze wieder ab. Weil sie nicht von aufsteigender warmer Luft durchmischt wird, ist die Stratosphäre deutlich geschichtet, und starke Winde zirkulieren darin.

Gut 50 Kilometer über der Erdoberfläche folgt darauf die Mesosphäre. Mit -90°C ist sie der kälteste Bereich der Gesamtatmosphäre, und über ihr schließt sich die letzte Schicht der Atmosphäre an, die Thermosphäre, ein ganz dünnes Süppchen von Gasen, das sich weit ins Weltall erstreckt. Dort können die Temperaturen 1000°C erreichen, aber weil die Gase so hauchfein verteilt sind, würde sich diese Schicht nicht heiß anfühlen.

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Die Hauptschichten der Atmosphäre
und die dazugehörigen Grenzschichten. 
Nur in einem kleinen Teil der Troposphäre
ist die Luft zum Atmen geeignet.

 

Der große Luftozean setzt sich aus Stickstoff (78 Prozent), Sauerstoff (20,9 Prozent) und Argon (0,9 Prozent) zusammen. Diese drei Gase machen fast die gesamte — über 99,95 Prozent — Luft aus, die wir atmen.8) Und interessanterweise hängt deren Fähigkeit, H2O aufzunehmen, von ihrer Temperatur ab: Bei 25°C besteht das, was wir einatmen, zu drei Prozent aus Wasserdampf. Aber wie bei den Wasserozeanen sind es die kleineren Elemente — das verbleibende Zwanzigstel von einem Prozent —, die der Mischung die Würze geben, und einige davon sind für das Leben auf der Erde von entscheidender Bedeutung.

Nehmen wir beispielsweise das Ozon. 

Seine Moleküle setzen sich aus drei Sauerstoffatomen zusammen, und sie sind selbst im Rahmen dieser winzigen Minderheit von »Spurengasen«, wie die Wissenschaftler sie nennen, ziemlich selten. Ozon macht nur zehn von einer Million Molekülen aus, die in den Strömungen des großen Luftozeans umgewälzt werden. Doch ohne den Schutzeffekt jener zehn Moleküle pro Million würden wir bald erblinden, an Krebs sterben oder einer ganzen Reihe weiterer Probleme erliegen.

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Genauso wichtig für unser Fortbestehen sind die Treibhausgase, von denen CO2 das häufigste ist. Zwar sind nur weniger als vier von 10.000 Atmo­sphären­molekülen CO2 — und das kann man kaum allgegenwärtig nennen —, doch das Gas spielt eine entscheidende Rolle dabei, uns vor dem Erfrieren zu schützen und (weil es so rar ist) genauso vor Überhitzung. Teils liegt es an ihm, dass die Durchschnitts­temperatur der Erdoberfläche jetzt bei rund 14 CC liegt, und schon seit sich die ersten komplexen Lebensformen gebildet haben, hat das CO2 mitgeholfen, sie über dem Gefrierpunkt zu halten.

Wir sind so klein, und der große Luftozean ist so riesig, dass kaum zu glauben ist, wir könnten irgendetwas tun, das sein Gleichgewicht stört. In der Tat waren die Menschen über weite Strecken des vergangenen Jahrhunderts davon überzeugt, dass das Klima größtenteils stabil ist und der Floh auf dem Elefantenhintern, den die Menschheit darstellt, keinerlei Auswirkungen haben kann. Stellen wir uns aber die Erde als eine Zwiebel vor, wäre unsere Atmosphäre nicht dicker als die äußerste Pergamenthaut. Ihr atembarer Anteil bedeckt noch nicht einmal vollständig die Oberfläche des Planeten — deshalb müssen Bergsteiger auf dem Mount Everest Sauerstoffmasken tragen. Und die Gase, aus denen sie sich zusammensetzt, stellen eine so kleine Menge dar, dass mehr Gas in den Ozeanen gelöst ist als durch die Atmosphäre treibt und mehr Wärmeenergie nahe den Meeresoberflächen gespeichert ist als im großen Luftozean insgesamt.

Um die Verwundbarkeit der Atmosphäre in vollem Umfang zu begreifen, müssen wir nicht nur ihre Größe und ihre geringe Dichte berücksichtigen, sondern auch ihre Dynamik. Die Luft, die Sie gerade ausgeatmet haben, hat sich schon ziemlich weit ausgebreitet. Das CO2 aus einem Atemzug von letzter Woche ernährt jetzt vielleicht eine Pflanze auf einem fernen Kontinent oder Plankton im Eismeer. Binnen weniger Monate wird sich all das CO2, das Sie gerade ausgeatmet haben, über den gesamten Planeten verteilt haben.9) Wegen dieser Dynamik steht die Atmosphäre in intimer Beziehung zu allen anderen Bereichen unserer Erde vom Mantel an aufwärts. Kein Vulkan spuckt, kein Ozean schäumt — ja, keine Kreatur atmet —, ohne dass der große Luftozean das registriert.

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Der große Luftozean hat eine bemerkenswerte Eigenschaft, die erst kürzlich zur Kenntnis genommen worden ist: seine Telekinese. Als Sie das letzte Mal von Telekinese hörten, verbog Uri Geller vermutlich gerade Löffel, aber der Ausdruck ist wissenschaftlich gültig definiert. Er bedeutet »Bewegung über eine Entfernung hinweg ohne materielle Verbindung«, und im Fall der Atmosphäre ermöglicht es die Telekinese, dass sich Veränderungen simultan in weit entfernten Regionen manifestieren. 

So kann unsere Atmosphäre beispielsweise als Reaktion auf Erwärmung oder Abkühlung ganz von selbst und unmittelbar von einem klimatischen Zustand in einen ganz anderen übergehen. Dadurch können sich Stürme, Dürreperioden, Überflutungen oder Windverteilungsmuster auf globaler Ebene verändern, und zwar mehr oder weniger gleichzeitig. Telekinetische Entitäten sind sehr mächtig, aber auch überaus empfindlich, was Störungen angeht. Unsere globale Zivilisation ist ebenfalls telekinetisch, und deshalb entfaltet sie innerhalb der Biosphäre eine solche Kraft, aber ihre Telekinese erklärt auch, warum regionale Störungen — etwa Kriege, Hungersnöte und Krankheiten — schreckliche Folgen für die Menschheit als Ganze zeitigen können.

Die Atmosphäre ist für die meisten Formen von Strahlungsenergie undurchlässig. Viele Menschen denken, das Tageslicht sei die einzige Energie, die wir von der Sonne bekommen, aber dieses Sonnenlicht — das sichtbare Licht — ist nur ein schmaler Ausschnitt aus einem breiten Spektrum von Wellenlängen, die die Sonne auf uns abfeuert. Licht ist für uns natürlich wichtig, denn wir sind Tagtiere, deren Augen sich so entwickelt haben, dass sie auf die Wellenlängen genau dieses Bereiches des Spektrums reagieren. 

Für andere Wellenlängen ist die Atmosphäre so undurchdringlich wie eine Mauer, und es sind jene Gase, die Teil dieser Barriere bilden, die im Zentrum dieses Buches stehen — insbesondere die Treibhausgase, eine Ansammlung unterschiedlicher Moleküle, denen die Fähigkeit gemeinsam ist, die langen Wellenlängen der Sonnenenergie zu blockieren. Lange Wellenlängen sind uns eher unter dem Namen »Wärmeenergie« vertraut, und Wärme ist das, was diese Gase einfangen. Indem sie das tun, werden sie jedoch instabil und setzen schließlich die Wärme wieder frei, von der ein gewisser Teil auf die Erde strahlt. Treibhausgase sind zwar selten, wirken sich aber massiv aus, denn indem sie die Wärme nahe der Planetenoberfläche festhalten, heizen sie unsere Welt auf und sind zugleich für den Temperatur-»Kopfstand« der Troposphäre verantwortlich.

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Eine Vorstellung davon, wie viel Macht Treibhausgase über die Temperaturen haben, bekommt man, wenn man andere Planeten untersucht. Die Atmosphäre der Venus besteht zu 98 Prozent aus CO2, und ihre Oberflächentemperatur beträgt 477°C.

Sollte CO2 je einen Anteil von einem Prozent an der irdischen Atmosphäre erreichen, würde es — wenn alle anderen Faktoren unverändert blieben — die Oberflächentemperatur der Erde an den Siedepunkt bringen.10

Wenn Sie einen unmittelbaren Eindruck bekommen wollen, was Treibhausgase bewirken, besuchen Sie New York im August. Zu dieser Jahreszeit tauchen die Hitze und die Luftfeuchtigkeit alle, die sich noch durch die Straßen schleppen, in Schweiß. Man spürt, wie ungesund diese Hitze ist — gefangen in einer übervölkerten, künstlichen Betonumwelt mit harten Linien, ausgetrocknetem Bitumen und klebrigen menschlichen Körpern —, sodass sie fast unerträglich wirkt. Und am schlimmsten ist es nachts, wenn die Luftfeuchtigkeit und eine dicke Wolkenschicht die Hitze einschließen. Ich erinnere mich daran, wie ich mich in einem Zimmer nahe der Kreuzung 9th Street und Avenue C zwischen schweißgetränkten Laken wälzte und herumwarf. Während meine Augen brannten, als wären sie voll Sand, und meine Haut verkrustete, konnte ich den Schmutz der acht Millionen menschlichen Körper in der Stadt, ihre Ausdünstungen und ihren Müll riechen.

Plötzlich sehnte ich mich danach, in einer Wüste zu sein — einer trockenen, klaren Wüste, in der, wie heiß der Tag auch sein mag, der blanke Nachthimmel die segensreichste Erleichterung bringt. Der Unterschied zwischen einer Wüste und New York City bei Nacht besteht in einem einzigen Treibhausgas, dem potentesten von allen: Wasserdampf. Als ich an den Umstand dachte, dass Wasserdampf zwei Drittel all der Wärme speichert, die sämtliche Treibhausgase zusammen einfangen, verfluchte ich die Wolken über mir.11) Aber sie haben auch ihr Gutes. Im Gegensatz zu anderen Treibhausgasen hält Wasserdampf in Form von Wolken tagsüber einen Teil der Sonnenstrahlung zurück und dadurch die Temperaturen niedrig.

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Die Keeling-Kurve zeigt die CO2-Konzentrationen in der Atmosphäre, wie sie auf dem Gipfel des Mauna Loa auf Hawaii zwischen 1958 und 2000 gemessen wurden.

Der Sägezahn-Effekt rührt von den jahreszeitlichen Vegetationsschwankungen der Wälder in den nördlichen Breiten her, der verheerende Gesamtanstieg aber ist auf das Verbrennen fossiler Energieträger zurückzuführen.

 

Es zeugt von menschlicher Ignoranz, dass noch vor 30 Jahren weniger als die Hälfte der Treibhausgase identifiziert war und Wissenschaftler noch immer darüber stritten, ob die Erde sich erwärme oder abkühle. Ohne diese Moleküle herrschte auf unserem Planeten lebensfeindliche Kälte — sie wäre eine Eiskugel mit einer durchschnittlichen Oberflächentemperatur von -20 °C. Aber wir wussten und wissen, und zwar schon seit einiger Zeit, dass diese Gase immer mehr werden.

CO2 ist das häufigste der Spuren- oder Treibhausgase, und es entsteht, wann immer wir etwas verbrennen oder etwas zersetzt wird. Seit den fünfziger Jahren des vergangenen Jahrhunderts hat ein Klimatologe namens Charles Keeling regelmäßig den Mount Mauna Loa auf Hawaii bestiegen, um die CO2-Konzentrationen in der Atmosphäre zu messen. Aus seinen Werten entwickelte er eine grafische Darstellung, die Keeling-Kurve, die zu den wunder­barsten Dingen gehört, die ich je gesehen habe, denn in ihr sieht man unseren Planeten atmen. In jedem Frühling auf der Nordhalbkugel, wenn die sprießenden grünen Pflanzen dem großen Luftozean CO2 entziehen, beginnt das große Einatmen unserer Erde, das in Keelings Kurve als ein Rückgang der CO2-Konzentration verzeichnet ist. Wenn dann im Herbst auf der Nordhalbkugel die Zersetzung CO2 erzeugt, kommt es zum Ausatmen, das die Luft mit dem Gas anreichert. 

Keelings Arbeit enthüllte aber noch etwas anderes. Er entdeckte, dass nach jedem Ausatmen ein bisschen mehr CO2 in der Atmosphäre war als bei dem davor. Diese unschuldigen kleinen Spitzen in der Keeling-Kurve waren das erste untrügliche Anzeichen, dass der große Luftozean sich als die Achillesferse unserer nach fossilen Brennstoffen süchtigen Zivilisation erweisen könnte. 

Im Rückblick erkenne ich in jener Graphik den <Stummen Frühling> des Klimawandels, denn man muss nichts weiter tun, als seinen Verlauf in die Zukunft zu verlängern, um sich klar zu machen, dass das 21. Jahrhundert eine Verdopplung des atmosphärischen CO2 erleben wird — von drei Molekülen pro 10.000 Anfang des 20. Jahrhunderts auf sechs. Und darin steckt das Potenzial, unseren Planeten um rund 3°C aufzuheizen, vielleicht sogar um 6°C. 

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