3 Das gasförmige Treibhaus
Anfangszweifel an der Macht des CO2 — Ein ziemlich knappes Kohlenstoff-Budget — Dreißig Gase, die die Welt aufheizen — Methan: Sümpfe, Fürze und Rülpser — CFKs; Frankenstein’sche Schöpfungen menschlichen Erfindungsreichtums — Wohin mit all den Gigatonnen? - Die Kohlenstoff-Lungen, -speicher und -nieren der Erde - und die Kohlenstoff-Gaia — Die Lehre einer Dose Limonade — Der irreführende Mississippi.
"Es besteht ein Gleichgewicht zwischen der Temperatur der Erde und der ihrer Atmosphäre.... Die Erde verliert genauso viel Wärme durch Strahlung an den Raum und an die Atmosphäre, wie sie durch die Absorption der Sonnenstrahlen gewinnt.... Ich habe die mittlere Temperaturänderung berechnet, zu der es kommen würde, wenn der Gehalt an Kohlensäure (CO2) von seinem momentanen Durchschnittswert abwiche." (Svante Arrhenius, On the Influence...., 1896)
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Als Wissenschaftlern erstmals klar wurde, dass der CO2-Gehalt der Atmosphäre etwas mit dem Klimawandel zu tun hat, waren einige verwirrt. Sie wussten, dass CO2 nur Strahlung mit einer Wellenlänge von mehr als rund 12 Mikrometern absorbiert (ein menschliches Haar ist rund 70 Mikrometer dick) und schon eine kleine Menge des Gases sämtliche Strahlung in diesem Bereich einfängt. Bei Experimenten schien sich eine Erhöhung der Konzentration nicht wesentlich auf die Menge der eingesammelten Wärme auszuwirken.12
Darüber hinaus ist das Gas so selten, dass es unvorstellbar schien, das CO2 könnte das Klima eines gesamten Planeten ändern. Viele Wissenschaftler machten sich damals nicht klar, dass bei sehr niedrigen Temperaturen — beispielsweise über den Polen und weit oben in der Atmosphäre — mehr Energie jener Wellenlängen unterwegs ist, die CO2 am effizientesten absorbiert.
Noch wichtiger war die Entdeckung, dass CO2 allein weniger für den Klimawandel verantwortlich ist, sondern als Auslöser für das potenteste Treibhausgas, Wasserdampf, dient. Und zwar, indem es die Atmosphäre nur ein wenig erwärmt, was es dieser aber ermöglicht, mehr Feuchtigkeit aufzunehmen und zu speichern, die in der Folge die Atmosphäre weiter aufheizt. So kommt es zu einer positiven Rückkopplungsschleife, die die Temperatur unseres Planeten immer weiter in die Höhe schraubt.13
Wasserdampf ist zwar ein Treibhausgas, zugleich ist er aber auch, was den Klimawandel angeht, ein großes Rätsel, denn er bildet Wolken, und Wolken können sowohl Licht reflektieren als auch Wärme festhalten. Indem sie mehr Wärme einsammeln, als sie Licht reflektieren, tendieren hohe, dünne Wolken dazu, den Planeten aufzuheizen, während tiefe, dicke Wolken das Gegenteil bewirken. Kein anderer einzelner Faktor birgt mehr Unsicherheiten, was Vorhersagen des künftigen Klimawandels angeht.
Viele Treibhausgase werden auf die eine oder andere Weise durch menschliche Aktivitäten erzeugt. CO2 ist zwar selten und seine Kapazität, Wärmeenergie zu binden, nur gering, aber es hält sich sehr lange in der Atmosphäre: Rund 56 Prozent allen CO2, das Menschen durch das Verheizen fossiler Brennstoffe freigesetzt haben, sind noch da oben, und sie sind — direkt wie indirekt — die Ursache für rund 80 Prozent aller globalen Erwärmung.14)
Die Tatsache, dass ein bekannter Anteil von CO2 in der Atmosphäre verbleibt, erlaubt uns — mit reichlich gerundeten Werten — ein Kohlenstoff-Budget für die Menschheit zu berechnen.
Vor 1800 (dem Beginn der Industriellen Revolution) fanden sich rund 280 Teile CO2 pro Million in der Atmosphäre, was insgesamt auf rund 586 Gigatonnen (Milliardentonnen) CO2 hinausläuft.
(Um Vergleiche zu erleichtern, beziehen sich Zahlen wie diese nur auf den Kohlenstoff in den CO2-Molekülen. Das tatsächliche Gewicht allen CO2 wäre 3,7-mal größer.)
Heute belaufen sich die Zahlen auf 380 Teile pro Million oder rund 790 Gigatonnen.
Wenn wir die CO2-Emissionen auf einem Niveau stabilisieren wollen, das doppelt so hoch ist wie das vor der Industriellen Revolution (und das weit und breit als Schwelle zu gefährlichen Veränderungen gilt), müssen wir alle zukünftigen menschlichen Emissionen auf rund 600 Gigatonnen limitieren. Knapp über die Hälfte davon würde in der Atmosphäre verbleiben, was das CO2-Niveau auf rund 1100 Gigatonnen oder 550 Teile pro Million bis zum Jahr 2100 anheben würde. Es wäre übrigens ein ziemlich knappes Budget, mit dem sich die Menschheit begnügen müsste, denn wenn wir nur noch ein weiteres Jahrhundert lang fossile Brennstoffe verwenden, entspräche das einem Budget von sechs Gigatonnen pro Jahr.
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Wenn Sie das mit den durchschnittlich 13,3 Gigatonnen CO2 vergleichen, die wir in den neunziger Jahren alljährlich akkumuliert haben (die Hälfte davon aus dem Verheizen fossiler Brennstoffe), und die Hochrechnung dazu nehmen, dass die Menschheit bis Mitte dieses Jahrhunderts auf neun Milliarden anwachsen wird, dann können Sie das Problem erfassen.
Selbst sehr langfristig betrachtet ist so ein Anstieg ohne Beispiel. Die atmosphärischen CO2-Konzentrationen in vergangenen Zeiten kann man anhand von Luftblasen messen, die sich im Eis erhalten haben. Wissenschaftler haben ein über drei Kilometer tiefes Loch in die antarktische Eiskappe gebohrt und einen Bohrkern herausgeholt, der fast eine Million Jahre Erdgeschichte abdeckt. Dieses einzigartige Zeugnis deckt auf, dass zu kalten Zeiten das CO2-Niveau auf rund 160 Teile pro Million abfiel und es bis vor kurzem niemals 280 Teile pro Million überstieg. Die Industrielle Revolution änderte das, wenn auch langsam, denn noch 1958, als Keeling mit seinen CO2-Messungen auf dem Mauna Loa begann, betrug der Wert nur 315 Teile pro Million.
Australische Wissenschaftler haben kürzlich festgestellt, dass in den Jahren 2002 und 2003 das CO2-Niveau jeweils um rund 2,54 Teile pro Million stieg, während es in der Dekade davor nur um durchschnittlich 1,8 Teile pro Million jährlich angehoben wurde.15 Es ist unklar, ob dies einfach nur ein »Schluckauf« im Trend war, oder ob die Akkumulation sich beschleunigt.
Unsere Sklaven sind es — die Milliarden von Maschinen, die wir so gebaut haben, dass sie mit fossilen Brennstoffen wie Kohle, Benzin, Diesel und Gas laufen —, die die Hauptrolle bei der CO2-Produktion spielen. Am gefährlichsten von allen sind die Kraftwerke, die aus Kohle Elektrizität erzeugen. Die schwärzeste Kohle (Anthrazit) besteht aus mindestens 92 Prozent Kohlenstoff, während trockene Braunkohle rund 70 Prozent Kohlenstoff und fünf Prozent Wasserstoff enthält.16 Kohlenstoff und Sauerstoff — die Bestandteile von CO2 — sind im Periodensystem enge Nachbarn, was heißt, dass sie ähnliche Atomgewichte haben. Weil zwei Sauerstoffatome mit einem Kohlenstoffatom zusammen CO2 bilden, werden für jede Tonne verbrauchten Anthrazits rund 3,5 Tonnen des Gases produziert.
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Einige Kraftwerke verheizen 500 Tonnen Kohle pro Stunde, und sie sind so ineffizient, dass rund zwei Drittel der dabei erzeugten Energie verschwendet werden. Und wozu dient das alles? Einfach um Wasser zu kochen, aus dem Dampf wird, der gigantische Turbinen in Bewegung setzt, welche die Elektrizität erzeugen, mit denen unsere Häuser und Fabriken versorgt werden. Wie der große Luftozean selbst sind diese Dickens'schen Maschinen für die meisten von uns unsichtbar — und die wenigsten machen sich eine Vorstellung davon, dass Technik des 19. Jahrhunderts die ausgeklügelten Apparate des 21. Jahrhunderts brummen lässt.
Es gibt rund 30 weitere Treibhausgase in der Atmosphäre; sie alle sind nur in Spuren vorhanden, und für die meisten Zwecke wird ihre Wirkung im CO2-Maßstab ausgedrückt (in wissenschaftlichen Gleichungen werden sie in »CO2-Einheiten« umgerechnet). Die meisten sind so selten, dass sie als vernachlässigbar erscheinen mögen, aber weil sie Wärme anderer Wellenlängen als CO2 absorbieren, ist jede Zunahme ihres Volumens von Belang. Stellen Sie sie sich als Glasfenster in der Decke vor, wobei jedes Gas ein anderes Fenster ist. Wenn die Zahl der Fenster zunimmt, gelangt mehr Lichtenergie in den Raum, wo sie als Wärme festgehalten wird.17)
Das nach CO2 wichtigste Treibhausgas ist Methan. In der Atmosphäre macht es gerade mal 1,5 Teile pro Million aus, aber seine Konzentration hat sich im Verlauf der letzten Jahrhunderte verdoppelt. Im Zeitmaßstab von einem Jahrhundert gemessen, fängt Methan sechzigmal wirkungsvoller als CO2 Wärmeenergie ein, aber es hält sich glücklicherweise nicht so viele Jahre in der Atmosphäre. Methan wird von Mikroorganismen erzeugt, die in sauerstoffloser Umgebung wie etwa stehenden Tümpeln und Gedärmen gedeihen, weshalb es in Sümpfen, Fürzen und Rülpsern reichlich vorhanden ist. Man schätzt, dass Methan 15 bis 17 Prozent der in diesem Jahrhundert zu erlebenden globalen Erwärmung verursachen wird. Da es relativ kurzlebig ist, jedoch manchmal in großen Mengen freigesetzt wird, hat Methan eine wichtige Rolle bei den positiven Rückkopplungsschleifen gespielt, die gelegentlich unseren Planeten aufgeheizt haben.
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Distickstoffoxid (Lachgas, N2O) schließt Wärme zweihundertsiebzigmal effizienter ein als CO2; es ist zwar viel seltener als Methan, bleibt aber 150 Jahre lang in der Atmosphäre. Etwa ein Drittel der globalen N2O-Emissionen rühren vom Verheizen fossiler Brennstoffe her, der Rest vom Verbrennen von Biomasse und der Verwendung von stickstoffhaltigen Düngemitteln. Es gibt zwar auch natürliche Quellen für Distickstoffoxid, aber die menschlichen Emissionen übertreffen sie mittlerweile mengenmäßig bei weitem, und infolgedessen befinden sich heute 20 Prozent mehr Distickstoffoxid in der Atmosphäre als zu Beginn der Industriellen Revolution.
Die seltensten aller Treibhausgase zählen zu den Chemikalienfamilien FKW (Fluorkohlenwasserstoffe) und CFK (Chlorfluorkohlenstoffe). Diese Ausgeburten menschlichen Erfindungsreichtums gab es nicht, ehe Chemiker sie industriell herstellten. Einige dieser Stoffe, so etwa das zungenbrecherische Dichlortrifluoräthan, das einst für Kühlzwecke benutzt wurde, speichern Wärmeenergie zehntausendfach effizienter als CO2, und sie können für viele Jahrhunderte in der Atmosphäre bleiben. Wir werden diese Klasse von Chemikalien später wiedertreffen, wenn es um das Ozonloch geht.
Für den Augenblick müssen wir mehr über den Kohlenstoff im CO2 wissen, denn für den Klimawandel ist er von überragender Bedeutung. Sowohl Diamanten als auch Ruß sind Kohlenstoff in reiner Form; der einzige Unterschied besteht darin, wie die Atome arrangiert sind. Kohlenstoff verbindet sich mit so gut wie allen nichtmetallischen Stoffen, und deswegen basiert das Leben auf Kohlenstoff (Kohlenstoffverbindungen sind vielseitig genug, um die komplexen Prozesse zu ermöglichen, die in jedem nur vorstellbaren Körper ablaufen). Kohlenstoff ist auf der Oberfläche des Planeten Erde überall zu finden. Ständig gelangt er in unsere Körper und wieder hinaus und genauso aus Felsen ins Meer oder in Böden und von dort in die Atmosphäre und wieder zurück. Seine Umschichtungen sind außerordentlich komplex und hängen von der Temperatur, der Verfügbarkeit anderer Elemente und den Aktivitäten von Spezies wie der unseren ab.
Gäbe es keine Pflanzen und Algen, würde uns bald der Sauerstoff ausgehen, und wir würden in CO2 ersticken. Bei der Fotosynthese (dem Prozess, bei dem Pflanzen mittels Sonnenlicht und Wasser Zucker produzieren) verwenden die Pflanzen unseren CO2-Abfall und erzeugen daraus ihre Energie, wobei sie ihrerseits als Abfall Sauerstoff produzieren.
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Dieser raffinierte, sich selbst unterhaltende Kreislauf bildet die Basis allen Lebens auf der Erde. Die Menge Kohlenstoff, die auf und um unseren Planeten zirkuliert, ist gewaltig. Rund eine Billion Tonnen Kohlenstoff sind in Lebewesen gebunden, aber die in der Erde vergrabenen Mengen sind weit, weit größer.18) Und auf jedes CO2-Molekül in der Atmosphäre kommen 50 in den Ozeanen.19)
Wenn der Kohlenstoff die Atmosphäre verlässt, gelangt er an Orte, die man Kohlenstoff-Reservoire nennt. Sie und ich und alle Lebewesen sind Kohlenstoff-Reservoire, genauso wie Ozeane und ein Teil der Felsen unter unseren Füßen. Manche dieser Reservoire sind sehr groß, aber sie sind nicht unendlich, und ihre Größe bleibt im Verlauf der Zeit auch nicht stabil. Seit Äonen wurde viel CO2 in der Erdkruste eingelagert. Dazu kommt es, wenn abgestorbene Pflanzen begraben werden und in tiefere Schichten gelangen, wo sie zu fossilen Brennstoffen werden. Dieser vergrabene Kohlenstoff ist es, dem der Sauerstoff in unserer Atmosphäre seine Existenz verdankt. Wären Menschen irgendwie in der Lage, allen fossilen Kohlenstoff hervorzuholen und ihn mittels Verbrennung wieder an die Atmosphäre zurückzugeben, würden wir sämtlichen Sauerstoff in der Atmosphäre verbrauchen.20
Über kürzere Zeiträume kann viel Kohlenstoff im Boden eingelagert werden, und zwar in dem schwarzen Humus, den die Gärtner so lieben. Schon die flegelhaften Rülpser der Vulkane (die viel CO2 enthalten) können das Klima für lange Zeiträume stören. Und auch Himmelsboten können Wirkung zeigen, denn Meteoriten und andere Dinge, wie sie von Zeit zu Zeit mit der Erde kollidieren, brachten die Ozeane, die Atmosphäre und die Erdkruste schon so durcheinander, dass sie den Kohlenstoffzyklus unterbrachen.
In den letzten beiden Jahrzehnten haben Wissenschaftler überwacht, wohin das CO2 gelangt, das Menschen durch das Verheizen fossiler Brennstoffe produzieren. Man kann das machen, weil das Gas aus den fossilen Energieträgern eine einzigartige chemische Signatur hat, sodass man ihm auf der Spur bleiben kann, wenn es um den Planeten zirkuliert. In stark gerundeten Zahlen ausgedrückt, werden alljährlich zwei Gigatonnen von den Ozeanen und weitere 1,5 Gigatonnen von Landlebewesen absorbiert.21)
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Der Beitrag, den das Land dazu leistet, resultiert zum Teil aus einem historischen Zufall — der Pionierzeit in Amerika —, der einigen Landpflanzen zu einem Heißhunger nach Kohlenstoff verholfen hat. Alte Wälder binden nicht viel CO2, denn sie befinden sich im Gleichgewicht; sie setzen CO2 frei, wenn alte Vegetation verrottet, und absorbieren es, wenn neue wächst. Aus diesem Grund sind die größten Wälder der Welt — die Nadelwälder Sibiriens und Kanadas — und die tropischen Regenwälder keine guten Kohlenstoff-Reservoire, junge, heftig wachsende Wälder hingegen schon.
Während des 19. und Anfang des 20. Jahrhunderts rodeten und verbrannten die amerikanischen Pioniere die großen Wälder im Osten, und sie verbrannten und beweideten die Ebenen und Steppen im Westen. Veränderungen der Landnutzung ermöglichten dann, dass die Vegetation zurückkehrte und wuchs. Infolgedessen sind die meisten der amerikanischen Wälder jünger als 60 Jahre und wachsen mit voller Kraft nach, wobei sie alljährlich rund eine halbe Milliarde Tonnen CO2 der Atmosphäre entziehen, und neu angepflanzte Wälder in China und Europa absorbieren vielleicht dieselbe Menge.
Ein paar entscheidende Jahrzehnte lang haben diese jungen Wälder geholfen, unseren Planeten kühl zu halten, indem sie überschüssiges CO2 aufnahmen. Doch während sich die Wälder und Gebüsche der Nordhalbkugel von den Schlägen der Pioniere erholen, nehmen sie immer weniger CO2 auf — und das genau zu der Zeit, da Menschen immer mehr davon in die Atmosphäre blasen.
Die Hoffnung, dass uns langfristig die Wälder bei unserem Kampf gegen die globale Erwärmung helfen, wurde kürzlich durch eine Untersuchung zunichte gemacht, die das Kohlenstoff-Budget unseres Planeten über zwei Jahrhunderte hinweg untersuchte.22 Sie zeigte, dass es wirklich nur ein großes Kohlenstoff-Reservoir auf unserem Planeten gibt, und das sind die Ozeane. Sie haben 48 Prozent allen von Menschen zwischen 1800 und 1994 emittierten Kohlenstoffs absorbiert, während im Verlauf derselben zwei Jahrhunderte das Leben an Land faktisch Kohlenstoff an die Atmosphäre abgegeben hat.
Die Fähigkeit der Weltmeere, Kohlenstoff zu absorbieren, variiert jedoch. Ein einziges Ozeanbecken, der Nordatlantik — der nur 15 Prozent der Meeresoberfläche der Welt ausmacht —, enthält fast ein Viertel allen Kohlenstoffs, den die Menschen seit 1800 emittierten.23)
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Noch merkwürdiger ist, dass das CO2 anscheinend nicht vom Nordatlantikbecken selbst absorbiert, sondern dort nur abgelagert wurde, nachdem es an anderer Stelle aufgenommen worden war. Diese »andere Stelle« erwies sich als die Nordsee, jenes flache Meeresbecken zwischen Großbritannien und Nordeuropa, das dank einer ungewöhnlichen Schichtung seiner Gewässer CO2 in den Bereichen knapp unter der Oberfläche akkumulieren kann, von wo es in den Nordatlantik transportiert wird. Dieses kleine Meer ist eine so potente »Kohlenstoff-Niere«, dass es 20 Prozent allen je von Menschen emittierten Kohlendioxids ausgesondert hat.24
Nachdem sie gerade die »Kohlenstoff-Niere« unseres Planeten entdeckt haben, sind die Wissenschaftler besorgt, dass Veränderungen der Meeresströmungen aufgrund des Klimawandels deren Effizienz mindern könnten. Das könnte auf vielerlei Weise geschehen. Und über eine davon kann man am besten nachdenken, während man eine Dose warme Cola konsumiert. Dem intensiven Zischen beim Offnen der Dose folgt eine langweilige Fadheit — was darauf hinweist, dass die Flüssigkeit sehr schnell alles Kohlendioxid freigesetzt hat, das ihr die Spritzigkeit verliehen hatte. Kalte Getränke sprudeln länger, und was auf eine Dose Limonade zutrifft, gilt auch für Ozeane. Kaltes Meerwasser kann viel mehr Kohlenstoff binden als warmes, wenn der Ozean sich also erwärmt, wird er weniger von dem Gas absorbieren.
Für die Fähigkeit des Meerwassers, CO2 zu absorbieren, ist auch die Menge der darin gelösten Carbonate entscheidend. In die Ozeane gelangen Carbonate mit Flüssen, die über Kalkstein und andere kalkhaltige Felsen geflossen sind, und sie reagieren mit dem von den Ozeanen absorbierten CO2. Momentan herrscht zwischen der Carbonatkonzentration und dem absorbierten CO2 ein Gleichgewicht. Wenn jedoch die CO2-Konzentration in den Ozeanen zunimmt, werden die Carbonate aufgebraucht. Infolgedessen werden die Ozeane saurer, und je saurer ein Ozean ist, desto weniger CO2 kann er absorbieren.
Im Juli 2004 veröffentlichten zwei Wissenschaftler, Peter Raymond von der Yale University und Jonathan Cole vom Institute of Ecosystem Studies in Millbrook, Ergebnisse, die scheinbar gute Nachrichten von dieser Front bedeuteten.25 Sie fanden heraus, dass der Mississippi aufgrund zunehmender Landdegeneration und verstärkter Regenfälle in seinem Einzugsgebiet immer mehr Carbonate ins Meer transportiert.
»Diese Beobachtungen haben für das potenzielle Management der Kohlenstoffabgabe in den Vereinigten Staaten wichtige Implikationen«, erklärten die Autoren.26) Es sah danach aus, als biete eine immer mehr degenerierende terrestrische Umwelt Rettung vor unserem Klimadilemma, doch eine wenige Monate später von Klaus Lackner veröffentlichte Antwort rückte die Dinge wieder ins rechte Maß.27) Die zusätzlichen von dem kränkelnden Fluss herbeigeschafften Carbonate, lässt uns Lackner wissen, reichen aus, um Amerikas CO2-Emissionen für gerade 36 Stunden pro Jahr wettzumachen. Sollte dasselbe Phänomen auf sämtliche Flüsse der Welt zutreffen, würde auch das nur alljährlich zehn Tage lang die weltweiten Emissionen ausgleichen.
Das Kohlendioxid in den Ozeanen wird auch von Lebewesen aufgenommen, die, wenn sie sterben und hinabsinken, den Kohlenstoff zum Meeresboden mitnehmen. Solange sie leben, kann ein versauernder Ozean auch einige von diesen Arten schädigen, denn sie sind dann nicht in der Lage, die Carbonatschalen aufzubauen, die sie unbedingt brauchen. All das bedeutet, dass die Ozeane bis zum Ende dieses Jahrhunderts geschätzte zehn Prozent weniger CO2 aufnehmen werden als heute. In der Tat haben Wissenschaftler bereits festgestellt, dass der Anteil des von Menschen produzierten CO2 in den Ozeanen abnimmt.28 Während der achtziger Jahre des vergangenen Jahrhunderts speicherten die Ozeane rund 1,8 Gigatonnen Kohlenstoff pro Jahr. In den neunziger Jahren fiel dieser Wert auf weniger als 1,6 Gigatonnen.29)
Nachdem wir einige Funktionen der Atmosphäre, ihrer Treibhausgase und des Kohlenstoffzyklus kennen gelernt haben, können wir jetzt einschätzen, was das alles bedeutet, und dafür gibt es keine bessere Möglichkeit, als zu den Arbeiten jener einfallsreichen Wissenschaftler von anno dazumal zurückzukehren, die ohne die Segnungen von Computern, Satelliten oder Massenspektrometern einfach Beobachtungen und pure Vernunft kombinierten, um abzuleiten, dass die Welt wegen unseres Herumpfuschens an der Atmosphäre ein Problem hat.
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