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4  Die Weisen und die Zwiebelschale  (Flannery-2005)


Eine einfache Berechnung zeigt, dass die Temperatur in den arktischen Regionen um rund acht bis neun Grad Celsius steigen würde, wenn die Kohlensäure [CO2] das zweieinhalb- bis dreifache des gegenwärtigen Wertes annähme ... Gegenwärtig erreicht die Kohleproduktion der Welt in gerundeten Zahlen 500 Millionen Tonnen per annum oder eine Tonne pro Quadratkilometer der Erdoberfläche

Arvid Gustav Högbom, 1894, »Om sannolikheten för sekulära förändringar i atmosfärens kolsyrehalt«    wikipedia  Arvid Högbom  1857-1940


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Zu Beginn des 20. Jahrhunderts hatte sich die Welt stark verändert. Charles Darwin lag seit 18 Jahren im Grab, Gregor Mendels Pionierarbeiten über die genetische Vererbung sollten bald wiederentdeckt werden, und das Pferd ging dem Ende seiner Amtszeit als wichtigstes Transportmittel der Menschheit entgegen. Doch ein Relikt eines heroischen früheren Zeitalters war noch da. 

In seinem achten Lebensjahrzehnt schrieb Alfred Russel Wallace noch immer so energiegeladen und visionär wie eh und je. Ja, als er im Alter von 90 Jahren am Vorabend des Ersten Weltkriegs verschied, verkündete sein Nachruf, er habe »den Stift erst beiseite gelegt, als er starb«.30  

Von allem, was er an seinem Lebensabend hervorbrachte, glich nichts dem monumentalen Werk, das seinem 80. Jahr den Stempel aufdrückte. <Des Menschen Stellung im Weltall> ist ein glänzendes, aber recht eigenwilliges Buch, das zu zeigen versucht, dass die Menschheit der Höhepunkt, das Zentrum — buchstäblich der Grund für die Existenz — von allem ist. Seine Hauptstoßrichtung — neben einer Neigung zum Spiritualismus und einer entschlossenen Ablehnung der segensreichen Immunisierung — führte dazu, dass man Wallace als Ketzer in einer zunehmend orthodoxen Wissen­schafts­welt ansah. 

Aber trotz aller Schrullen ist <Des Menschen Stellung im Weltall> voller Einsichten, die im umweltbewussten 21. Jahrhundert Widerhall finden. Was das Buch so scharfsichtig macht, ist die integrierte, holistische Denkweise des Autors. Es ist ein ähnlicher Ansatz wie der, den James Lovelock mit seiner Gaia-Theorie verfolgte; und wie Lovelock traf es auch schon Wallace wie ein Schlag, als ihm aufging, das selbst kleine Variationen bei den momentanen Ausgangs­bedingungen die Erde unbewohnbar machen könnten. 

Diese Beobachtung wurde zum Refrain des Buches — dass die fauligen Effusionen* der Industriellen Revolution die Menschheit bedrohen. Wenn der Achtzigjährige sich für sein Thema begeisterte, stieg auch sein Blutdruck an. »Lasst alles dem unterordnen«, tobt er, die Menschheit zum Kampf gegen die Umweltverschmutzer hinter sich scharend. »Wie in einem Eroberungs- oder Angriffskrieg darf dem Sieg nichts im Wege stehen.«31)

* (d-2015:)  wikipedia  Effusion  "Ausgießung" bei Vulkanen       Arrhenius bei J.Weiner  

Wallace war nicht der Erste, der die Luftverschmutzung verdammte, und auch nicht der Erste, der die vielen darin schlummernden Gefahren vorhersah. <Fumifugium, or the Inconvenience of Aer and Smoak of London Dissipated, Together with Some Remedies Humbly Proposed> wurde 1661 von dem englischen Schriftsteller und Gesundheitsvorreiter John Evelyn veröffentlicht.32) Schon zu dieser frühen Zeit vermerkte Evelyn, die Abgase der Kohlenfeuer seien so abscheulich, dass man sie meilenweit riechen könne. London, schrieb er, ähnele »den Vororten der Hölle«. Ein paar Jahrzehnte später veröffentlichte Timothy Nourse einen Essay über die Londoner Luft, in dem er schrieb, der Qualm fresse die Stadt bei lebendigem Leibe auf und die ältesten Bauwerke würden, »wenn ich so sagen darf, von diesem höllischen und unterirdischen Dampf geradewegs bis auf die Knochen entblättert und entblößt«

Gleichfalls besorgt äußerte sich John Graunt, ein Londoner Textilhändler, der im Jahr 1662 die erste methodische Analyse der Londoner Sterberegister zusammen­stellte.33) Graunt konnte sich auf nichts anderes stützen als auf die Aufzeichnungen der »alten Matronen«, die die schwere Verantwortung zu tragen hatten, alle Leichname in der Stadt zu inspizieren und die Todesursache festzustellen. 

Viele ihrer Diagnosen sind aus heutiger Sicht unverständlich; vielleicht haben sie auch schon Graunt irritiert, denn unter den angegebenen Todesursachen finden sich »Schreck, Kummer, Krätze, Hämorrhoiden, Planet, Aufgehen der Lichter« und »Mutter«.  

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Die letzte Todesursache bezieht sich auf die im 17. Jahrhundert weit verbreitete Überzeugung, die Organe des Körpers seien den Bewohnern eines Dorfes ähnlich. Wenn welche unglücklich waren, konnten sie revoltieren und auf der Suche nach besseren Umständen abwandern. Die Gebärmutter hielt man für besonders leicht aus der Fassung zu bringen: Bekam sie zu viel Sex oder vielleicht auch zu wenig, neigte sie dazu, daran Anstoß zu nehmen und in Richtung Hals zu wandern, wo sie zu Kurzatmigkeit oder sogar zum Ersticken führen konnte. 

Eine beliebte Kur für eine Frau, die an »Mutter« litt, bestand darin, ihr einen übel riechenden Schwamm vor den nach Atem ringenden Mund zu halten und einen süß duftenden an ihre unteren Körperregionen, um die Gebärmutter wieder an ihren Platz zu locken. Heute würde man sowohl das »Aufgehen der Lichter« (als »Lichter« bezeichnete man die Lungen) und »Mutter« als Lungenkrankheiten beschreiben. Wie die Dinge lagen, genügten die Berichte der Matronen Graunt, um festzustellen, was der Öffentlichkeit seit Jahrhunderten klar war: In den Metropolen waren Lungenkrankheiten die häufigste Todesursache — weit mehr als auf dem Land —, und der Grund dafür war die entsetzliche, von Kohle herrührende Luftverschmutzung.

Erschreckenderweise verbesserte man die Londoner Luftqualität bis nach dem Zweiten Weltkrieg kaum. Vielmehr hatten die Londoner bis zum Großen Smog von 1952, bei dem 12.000 Menschen starben, einen perversen Stolz auf die Dreckluft ihrer Stadt ausgebildet.34

Wallace aber dachte anders. Wie die Abgase junge, noch wachsende Körper verkümmern ließen und krank machten, brachte ihn an den Rand des Schlaganfalls. 

Aber seine Besorgnis ging noch weit darüber hinaus, denn er begriff, was für unsichtbare Folgen all dieses Verbrennen von Kohle auf die Systeme haben musste, die die Erde bewohnbar machen.

In den Jahrzehnten, die Wallaces erstem Atemzug unmittelbar vorausgingen, versuchte der brillante französische Mathematiker Jean Baptiste Fourier herauszufinden, was die Durchschnittstemperatur der Erdoberfläche bestimmt. Er fragte sich, warum sich der Planet unter der Strahlung der Sonne nicht einfach immer weiter erwärmt, bis er so heiß wie die Sonne selbst ist. Die Antwort lag in der Wärmestrahlung, die so viel Energie ins All zurücktransportiert, dass im kosmischen Sinn die »Konten der Erde« ausgeglichen sind, und das Resultat davon sind die Durchschnitts­temperaturen unseres Planeten.

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Doch als er die Balance zwischen der ankommenden Sonnenenergie und der abgehenden Strahlung berechnete, bekam er ständig unsinnige Resultate. Seine Arbeit ergab, dass die Erde ein bei -15°C durchgefrorener Eisblock sein müsste. Dann ging Fourier mit einem Geistesblitz auf, dass seine Berechnungen der Wärmeenergie korrekt waren, aber nicht alles davon wieder ins All entkam. Irgendetwas in der Atmosphäre, erkannte er, musste die Wärme festhalten. Er stellte sich vor, die Atmosphäre müsse wie das Glas eines Treibhauses funktionieren und das Sonnenlicht ungehindert durchlassen, dann aber die Wärme einfangen, die die Sonnenstrahlen erzeugen, wenn sie auf den Boden fallen.35

Heute können wir Fouriers Beobachtung folgendermaßen erklären:  

Die Sonne ist eine sehr starke Energiequelle, und je stärker die Quelle, desto kürzer sind die Wellenlängen der von ihr erzeugten Energie. Der größte Teil der Sonnenenergie weist in der Tat sehr kurze Wellenlängen auf. Das sichtbare Licht reicht von 4000 Nanometern (0,000004 Meter oder gerade einmal vier Hundertstel eines Millimeters) bis 7000 Nanometer, und Energie dieser Wellenlänge passiert die Atmosphäre, ohne sie zu erwärmen. 

Das kann man, nebst einem weiteren wichtigen Prinzip, demonstrieren, indem man ein Skigebiet aufsucht. Dort bleibt die Luft an einem sonnigen Tag kalt, weil zum einen die Sonne die Atmosphäre nicht aufheizt (und in der kalten Luft gibt es nur wenig Wasserdampf, der Wärme speichern könnte) und weil zum anderen die Sonnenenergie vom Schnee in den Raum reflektiert wird. Fallen die Sonnenstrahlen auf etwas Dunkleres, beispielsweise Haut oder einen Skihandschuh, werden sie absorbiert, und es wird Wärme erzeugt. Während Ihr Skihandschuh im Gegensatz zur Umgebung angenehm warm wird, wird die Wärmeenergie, die viel längere Wellenlängen als Sonnenlicht hat, in Richtung Himmel abgestrahlt, wo sie von den Treibhausgasen in der Atmosphäre eingefangen wird. So kann das Licht ungehindert eine mit Treibhausgasen aufgeladene Atmosphäre durchdringen, aber die Hitze hat Probleme, wieder hinauszukommen.

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Fast 70 Jahre lang kümmerte man sich kaum um Fouriers Beobachtung. Dann beschloss Svante Arrhenius, ein schwedischer Chemiker (der 1903 mit dem Nobelpreis geehrt wurde), die Sache eingehender zu untersuchen. 

Mitte der neunziger Jahre des 19. Jahrhunderts, als er sich an diese Arbeit machte, litt der Schwede daran, dass seine Ehe zerbrochen war. Verzweifelt suchte er nach einer Ablenkung von der wohl wirklich unglücklichen Situation, und so verbrachte Arrhenius ein Jahr lang bis zu vierzehn Stunden täglich mit eintönigen, stumpfsinnigen Berechnungen. 

Dieser hatte er sich auf Bitten einiger Freunde angenommen, zu denen auch der Geologe Gustav Högbom gehörte, der von einer der großen Fragen jener Zeit besessen war: Was hatte die Eiszeiten verursacht? Dieses große Mysterium fesselte die Phantasie, seit Louis Agassiz bewiesen hatte, dass weite Teile Europas und Nordamerikas einst von Gletschereis bedeckt gewesen waren. Damals trotteten Mammuts, Riesenhirsche und Wollnashörner durch eine Landschaft, in der heute Weizen auf großen Feldern wächst. Es mussten wirklich gigantische Veränderungen gewesen sein, und wer immer den Siegerkranz davontrüge, indem er erklärte, wie das passiert war, dessen wissenschaftlicher Ruhm war auf ewig gesichert.

Arrhenius konnte zeigen, dass eine Verminderung von CO2 in der Atmosphäre eine Eiszeit herbeigeführt haben konnte, aber wichtiger für unsere Zwecke ist, dass er spekulierte, wie das CO2-Niveau die Erde in Zukunft beeinflussen könne. Er glaubte, dass — ausgehend vom Kohleverbrauch des 19. Jahr­hunderts — die Menge des atmosphärischen CO2 sich in 3000 Jahren verdoppeln könnte, sodass es in Schweden gemütlich warm werden würde. 

Das begrüßte er durchaus, er meinte nur, der Prozess verliefe ein bisschen zu langsam und man könne ihn beschleunigen, indem man mehr Kohle verbrenne. Obwohl seine Überlegungen für Skandinavier und andere, die unter harten Wintern litten, attraktiv waren, wurden sie bald vergessen. Doch insgeheim und ohne einen systematischen Plan befolgte die Industrie Arrhenius' Wünsche und steigerte die Menge der verheizten Kohle.

Ungeachtet dieser Fortschritte schienen sich Klimatologen nicht dafür zu interessieren, wie sich Treibhausgase auf das Klima auswirken. Dann wandte sich 1938 ein Dampfmaschineningenieur namens Guy Callendar mit dem Thema an die Royal Meteorological Society in London. 

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Callendar beschäftigte sich in seiner Freizeit mit Klimaentwicklungen, und seine gründlich zusammengetragenen statistischen Daten zeigten, so glaubte er (richtigerweise, wie sich herausstellte), dass die Welt sich erwärmte. Darüber hinaus verkündete er, er kenne die Ursache — das Verbrennen von Kohle und anderer fossiler Energieträger in Industriemaschinen.36 Unglücklicherweise wurde Callendars hellsichtige Untersuchung von den Akademikern als das Gestümper eines Amateurs abgelehnt, und bald darauf kehrte sich der Erwärmungstrend um, was der Forschung in dieser Richtung vorläufig ein Ende setzte.

 

Rund ein Vierteljahrhundert bevor sich Callendar an die <Royal Meteorological Society> wandte, führte eine Wendung des persönlichen Schicksals zu der großen Entdeckung eines weiteren Klimapioniers. 

 

Milutin Milankovic hatte den größten Teil seines Berufslebens als Bauingenieur im österreichisch-ungarischen Reich verbracht. Im heutigen Serbien geboren, gab er 1909 die Bautätigkeit auf und nahm einen akademischen Posten in Belgrad an. Bald jedoch kamen die turbulenten Ereignisse der Balkankriege und dann des Ersten Weltkriegs dazwischen, und Milankovic wurde in Budapest interniert, wo er in der Bibliothek der Ungarischen Akademie der Wissenschaften arbeiten durfte. Er hatte bereits über das große Rätsel seiner Zeit nachzudenken begonnen — die Ursache der Eiszeiten —, und seine Haft bot ihm Gelegenheit, das Thema mit einer Hartnäckigkeit zu verfolgen, die ein bürgerliches Leben nicht zugelassen hätte. 

Bei Kriegsende hatte er eine Monographie über einige Aspekte des Problems fertig gestellt und damit eine Basis in der Hand, auf der er in den folgenden Jahrzehnten weiterarbeitete. Als 1941 die Welt in einen weiteren globalen Krieg verwickelt war, war Milutin Milankovic schließlich so weit, sein großes Werk zu den Unterschieden bei der Sonneneinstrahlung und der Entstehung von Eiszeiten veröffentlichen zu können.

Milankovic identifizierte drei wichtige Zyklen, die Einfluss auf die Variabilität des irdischen Klimas haben. Der längste dieser Zyklen hat mit der Umlaufbahn des Planeten um die Sonne zu tun. 

Das überrascht vielleicht, aber der Orbit der Erde ist kein perfekter Kreis, sondern eine Ellipse, deren Gestalt sich in einem einhunderttausendjährigen Zyklus verändert; man spricht auch von der Exzentrizität der Erde

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Wenn die Umlaufbahn der Erde stark elliptisch ist, bringt sie den Planeten sowohl näher an die Sonne heran als auch weiter weg von ihr, was bedeutet, dass sich die Intensität der Sonneneinstrahlung auf der Erde im Jahreslauf erheblich ändert. Gegenwärtig ist der Orbit nicht sehr elliptisch, und die die Erde erreichende Strahlung differiert zwischen Januar und Juli nur um sechs Prozent. Wenn die Umlaufbahn der Erde am exzentrischsten ist, beträgt die Differenz jedoch 20 bis 30 Prozent. Dies ist der einzige Zyklus, der die Gesamtmenge der die Erde erreichenden Sonnenenergie verändert, also ist sein Einfluss von erheblicher Bedeutung.

Der zweite Zyklus braucht 42.000 Jahre für einen Durchlauf und hat mit der Neigung der Erdachse zu tun. Diese variiert zwischen 21,8° und 24,4°, und davon hängt ab, wo die meiste Strahlung einfällt. Im Moment liegt die Neigung der Erdachse im mittleren Bereich. Der dritte und kürzeste Zyklus, der nur 22.000 Jahre dauert, ist dadurch bedingt, dass die Erdachse »eiert«. Im Verlauf dieses Zyklus zeigt die Erdachse mal zum Polarstern, mal zur Wega. Dies beeinflusst die Intensität der Jahreszeiten. Wenn die Wega im nördlichen Himmelspol steht, können die Winter bitterkalt und die Sommer sengend heiß sein.

Nur wenn die Kontinentalverschiebung große Teile der irdischen Landoberfläche nahe an die Pole bringt, können die Milankovic-Zyklen Eiszeiten verursachen. Dann kann sich bei passendem Zyklenverlauf mit milden Sommern und harten Wintern Schnee auf den polaren Landflächen anhäufen, bis er sich schließlich zu riesigen Schilden aufgehäuft hat.

Selbst in ihren Extremen bedingen die Milankovic-Zyklen nur Variationen in der Gesamtmenge des die Erde erreichenden Sonnenlichts, die unter einem Zehntel Prozent liegen. Doch selbst dieser scheinbar minimale Unterschied kann die Temperatur der Erde um satte 5 °C steigen oder fallen lassen. Wie eine so kleine Ursache zu so großen Veränderungen führen kann, bleibt ein großes Rätsel, aber es ist sicher, dass die Treibhausgase dabei eine Rolle spielen. In der Tat kann man mit Computermodellen keinen Ausbruch einer Eiszeit simulieren, solange nicht das atmosphärische CO2 auf der Südhalbkugel reduziert wird.37)

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Milankovic löste mit seiner Arbeit das Rätsel der Eiszeiten, aber weil er sie auf Serbisch veröffentlichte, dauerte es Jahrzehnte, ehe die Welt von seiner brillanten Leistung erfuhr. Als sein Werk 1969 ins Englische übersetzt wurde, hatten Ozeanographen in Sedimenten vom Tiefseeboden erste empirische Beweise für genau die Auswirkungen gefunden, die Milankovic vorhergesagt hatte. Heute gilt sein Meisterwerk als einer der größten Durchbrüche in der Klimaforschung.

 

Mit ihren Erkenntnissen über Treibhausgase und die Milankovic-Zyklen gewappnet, begannen die Klimatologen zu begreifen, warum das Klima der Erde im Lauf der Zeit variiert; aber es gibt noch weitere Faktoren zu berücksichtigen.

 

Einer davon ist die Intensität der von der Sonne abgestrahlten Energie. Rund zwei Drittel der Sonnenstrahlung, die unseren Planeten erreicht, werden absorbiert und hier genutzt, das restliche Drittel wird ins All reflektiert. Die eingefangene Strahlung ist es, die unser Wetter und unser Klima antreibt und den größten Teil des Lebens auf der Erde erst ermöglicht. Beweise, dass die Sonne kein ewig gleicher Feuerball ist, sind schon seit langer Zeit bekannt. Vor über 2000 Jahren berichteten griechische und chinesische Astronomen von dunklen Flecken auf der Sonne, deren Form und Lage sich änderten. Im April 1612 machte Galileo Galilei mit einem der ersten Fernrohre detaillierte Beobachtungen dieser Sonnenflecken und zeigte, dass es sich dabei nicht um Satelliten handelt, die vor der Sonne vorbeiziehen, sondern dass sie auf dem Stern selbst ihren Ursprung haben. Zufällig fiel Galileis Tod im Jahr 1642 mit einer Periode außergewöhnlich niedriger Sonnenfleckenaktivität zusammen, die mehrere Jahrhunderte lang dauerte und die sowohl zu niedrigen Temperaturen in Europa als auch zu einem Mangel an Interesse für dieses Phänomen geführt haben mag.

Erst im 19. Jahrhundert wurde die Erforschung der Sonnenflecken wieder ernsthaft aufgenommen, und man fand heraus, dass ihre Aktivität sowohl in einem elfjährigen Zyklus variiert als auch noch in einem längeren, Jahrhunderte dauernden Zyklus. Sonnenflecken sind etwas kühler als die restliche Oberfläche des Sterns, wenn es aber viele davon gibt, scheint sich die Erde paradoxerweise zu erwärmen. Eine geringe Anzahl von Flecken, glaubt man, war für rund 40 Prozent des Temperaturrückgangs während des so genannten Maunder-Minimums von 1645 bis 1715 verantwortlich.38) 

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In diesem Zeitraum fielen die Temperaturen in Europa in den Keller, sodass die Themse und die holländische Zuidersee regelmäßig zufroren. Welche Rolle die Sonnenflecken bei diesen Veränderungen spielten, wird jedoch noch immer von manchen hinterfragt, denn trotz des zeitlichen Zusammenfallens ist bis heute kein überprüfbarer physikalischer Mechanismus gefunden worden, nach dem die Sonnenflecken die Temperatur unseres Planeten beeinflussen könnten.39) 

In jüngster Zeit haben Wissenschaftler eingeräumt, dass Variationen der Sonnenstrahlung und der Treibhausgas-Konzentrationen das Klima der Erde auf grundsätzlich unterschiedliche Weise beeinflussen. Der Grund dafür ist, dass die Sonnenstrahlung die oberen Schichten der Stratosphäre erwärmt, weil die ultravioletten Anteile dort vom Ozon absorbiert werden.40) Im Gegensatz dazu erwärmen Treibhausgase die Troposphäre, und zwar am stärksten in den tiefen Schichten, wo ihre Konzentration am höchsten ist. Im Moment durchlebt die Erde sowohl eine stratosphärische Abkühlung (aufgrund des Ozonlochs) als auch eine troposphärische Erwärmung (aufgrund gestiegener Treibhausgas-Mengen).

Diese Erkenntnis hat zu einer Neubewertung einiger Klimaveränderungen geführt, von denen die so genannte mittelalterliche Warmzeit die bekannteste ist. Seit H. H. Lamb erstmals von jenem wärmeren England Chaucers schrieb, das seine eigenen Reben anbauen und seinen eigenen Wein machen konnte, wurde die Vorstellung, dass die mittelalterliche Erde um 1 bis 2°C wärmer war als heute, kaum angezweifelt.41 Ja, sie ist sogar zu einem Lieblingsthema der Klimawandel-Skeptiker geworden, denn mit dem Argument, dass die mittelalterliche Erwärmung nichts mit dem Verbrennen fossiler Energieträger zu tun haben konnte, stellen sie auch den Zusammenhang zwischen Treibhausgasen und gestiegenen Temperaturen infrage. 

Lassen wir die etwas schüttere Logik beiseite — diese offensichtliche Diskrepanz konnte erklärt werden, als man herausfand, dass eine stratosphärische Abkühlung die Zirkulation in der Troposphäre beeinflusst, sodass sich Teile der Erde nach einem komplexen Flickenteppich-Muster erwärmen beziehungs­weise abkühlen. Eine Übersicht der globalen Temperaturentwicklung (anhand von Eisbohrkernen, Baumringen und Sedimenten in Süßwasserseen) zeigt, dass die Erde damals insgesamt sogar etwas kühler war (um 0,03°C) als zu Anfang und in der Mitte des 20. Jahrhunderts, was beweist, dass die Vorstellung einer globalen mittelalterlichen Wärmeperiode Quatsch ist.42

Treibhausgase, Variationen der Erdumlaufbahn und Sonnenflecken kann man sich alle als »Kräfte« vorstellen, die die Temperatur unseres Planeten verändern. Als Wissenschaftler begannen, über den Einfluss dieser Kräfte nachzudenken und sich die geologischen Befunde anzusehen, um herauszufinden, wie sie in der Vergangenheit gewirkt hatten, entdeckten sie, dass die fossilen Daten durch abrupte Wechsel von einem stabilen, langfristigen Klimazustand in einen anderen charakterisiert sind.

Es war, als hätte unser Planet sprunghaft auf die Faktoren reagiert, die das Klima beeinflussen, und diese Serie hektischer Veränderungen trieb ganze Habitate von einem Ende eines Kontinents zum anderen, verursachte mancherlei Artensterben, beließ die Bedingungen aber innerhalb der Grenzen, die Leben weiterhin zulassen. 

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