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6  Im Kühlhaus geboren

 

Als ein Eismantel langsam über weite Bereiche der Nordhalbkugel kroch, muss der Großteil des Tierlebens nach Süden vertrieben worden sein, was einen Überlebens­kampf auslöste, der zum Aussterben vieler Formen und zum Weiterziehen anderer in neue Gegenden führte. Aber diese Auswirkungen müssen erheblich vervielfacht und intensiviert worden sein, wenn in der glazialen Epoche, wofür gute Gründe sprechen, zweimal oder öfter warme und kalte Perioden alternierten.  -A.R. Wallace, Des Menschen Stellung im Weltall, 1903-

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Wir Menschen sind, wie unser wissenschaftlicher Name Homo sapiens unterstellt, die »denkenden Wesen«, und wir haben die grandiose Bühne der Weltgeschichte erst sehr spät betreten. Die Epoche, in der unsere Art das Licht der Welt erblickte, nennt man das Pleistozän, was wörtlich »jüngste Zeit« bedeutet. 

Die Eiszeiten, während derer wir uns entwickelten, ereigneten sich in den letzten 2,4 Millionen Jahren, und weil das noch nicht so lange her ist, sind die meisten Belege, die wir dafür haben, noch ziemlich frisch. Die ersten unserer Art — moderne Menschen in sowohl körperlicher als auch geistiger Hinsicht — trieben sich vor rund 150.000 Jahren in Afrika herum, und dort haben Archäologen Knochen, Werkzeuge und die Überreste einstiger Mahlzeiten gefunden.

Diese ersten Menschen entwickelten sich aus Vorfahren mit kleinen Gehirnen, die wir Homo erectus nennen und die fast zwei Millionen Jahre lang auf Erden wandelten. Dass einige von »ihnen« zu »uns« wurden, lag vielleicht an den Chancen, die die nahrungsreichen Ufer der Seen im afrikanischen Graben oder der Überfluss des Agulhasstroms entlang der Südostküste des Kontinents boten. An solchen Orten könnten neuartige Nahrungsmittel und Herausforderungen den spezialisierten Werkzeug­gebrauch gefördert und eine hohe Intelligenz zum Auslesekriterium gemacht haben.

Wie auch immer, die Umwelt dieser entfernten Vorfahren unterschied sich sehr von unserer heutigen, denn auf ihrer Erde herrschte ein Kühlhausklima, in dem das Schicksal aller Lebewesen von den Milankovic-Zyklen abhing. Wann immer sie sich verschworen, die gefrorene Welt der Polarregionen auszuweiten, bliesen kalte Winde über den ganzen Planeten, und die Temperaturen sackten ab, Seen schrumpften oder füllten sich, Meeresströmungen mit reichem Nahrungsangebot schwollen an oder versiegten, und Pflanzen wie Tiere gingen über Kontinente hinweg auf Wanderschaft.

Das genetische Erbe, das in dieser Welt aus Eis festgelegt wurde, haben wir noch immer.

Eine große Reduktion unserer genetischen Vielfalt beispielsweise berichtet von einer Zeit vor rund 100.000 Jahren, als Menschen so selten waren wie heute Gorillas. Damals hätten wir leicht von der Erde verschwinden können, denn 2000 fruchtbare Erwachsene waren alles, was zwischen uns und dem ewigen Vergessen und Aussterben stand.

Doch bald danach änderten sich die großen himmlischen Zyklen auf eine Weise, die unserer Spezies zugute kam, und vor 60.000 Jahren waren kleine Menschenhorden über den Sinai hinaus nach Europa und Asien vorgedrungen. Vor 46.000 Jahren hatten sie den Inselkontinent Australien erreicht und vor 13.000 Jahren, als das Eis ein letztes Mal schwand, entdeckten sie Amerika. 

Jetzt gab es schon Millionen von uns auf dem Planeten, und von Tasmanien bis Alaska gediehen die Horden. 

Doch viele Jahrtausende lang blieben diese intelligenten Menschen, die in jeglicher körperlichen wie geistigen Hinsicht wie wir waren, nichts weiter als Jäger und Sammler. Angesichts unserer gigantischen Leistungen im Lauf der letzten 10.000 Jahre ist diese lange Periode des Stillstands ein Rätsel. 

Um es zu lösen, müssen wir das Klima untersuchen, das unsere Spezies prägte. Wenden wir uns also der Eiszeit zu — und der Arbeit derjenigen, die ihr Leben der Aufgabe widmeten, jener Epoche ihre Geheimnisse zu entreißen.

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Wie wir gesehen haben, sind die Sedimente der Erde voller klimatischer »Aufzeichnungen«, und je näher wir unserer eigenen Zeit kommen, desto mehr Informationen liefern sie. Im besten Fall enthalten sie eine Auflistung der jährlichen Veränderungen, die Informationen über Windrichtung und -geschwindigkeit einschließen, über die Chemie der Atmosphäre, das Ausmaß und den Typus des irdischen Vegetationsmantels, die Ausprägung der Jahreszeiten und die Zusammensetzung und Temperatur der Ozeane — kurz gesagt, über den Zustand, in dem die Erde beispielsweise vor 5120 Jahren war.

Eine der besten Informationsquellen über das Klima ist — in sehr simpler Form — jedem zugänglich. Schauen Sie sich einen Holzquerschnitt an, und Sie können, festgehalten in den feinen Strukturen und Wachstumsringen, die Geschichte jener Zeit ablesen, in der der Baum lebte. Breite Ringe berichten von Wärme und satten Wachstumszeiten, als die Sonne schien und der Regen zur richtigen Zeit fiel. Schmale Ringe, die ein geringes Wachstum des Baums anzeigen, erzählen von Widrigkeiten, als lange, harte Winter oder trockene, brennend heiße Sommer das Leben Grenzbelastungstests aussetzten.

Das älteste Lebewesen auf unserem Planeten ist eine Grannenkiefer, die in über 3000 Meter Höhe in den White Mountains in Kalifornien wächst. Sie ist über 4600 Jahre alt und steht neben vielen weiteren superbetagten Exemplaren im Methuselah Grove. Ihr genauer Standort ist ein gut gehütetes Geheimnis, denn sie reagiert sehr empfindlich auf Störungen und ist bereits seit 2000 Jahren allmählich am Absterben. Im Stamm dieses einzigartigen Baums steckt eine detaillierte, Jahr um Jahr vervollständigte Aufzeichnung der Klimaverhältnisse in Kalifornien. Wenn man den Kern des Methuselah-Baums mit den äußeren Schichten eines abgestorbenen Baumstumpfs aus der Nähe in Übereinstimmung bringen kann, dann kann man vielleicht 10.000 Jahre in der Zeit zurückblicken. Baumring-Daten über solche Zeitspannen liegen uns mittlerweile von beiden Halbkugeln vor, und es gibt sogar Hoffnung, dass die großen Kaurifichten Neuseelands, deren Stämme in Sümpfen unbeschädigt Jahrtausende überdauern, Daten liefern werden, die 60.000 Jahre Klimaveränderungen abdecken werden.

 

So bequem und weit in die Zeit zurückreichend die Klimadaten der Bäume auch sein mögen, ihre Aussagekraft ist relativ beschränkt. Wenn man wirklich detaillierte Daten haben will, muss man sich dem Eis zuwenden — das aber gibt nur an besonderen Orten all seine Geheimnisse preis. Einer davon ist die Quelccaya-Eiskappe im Hochgebirge Perus. Dort ist Eis in Bändern abgelagert, die jeweils ein Jahr repräsentieren, weil die Schneefälle eines jeden Jahres durch ein schmales Band dunklen Staubs voneinander getrennt werden, der im trockenen Winter aus den Wüsten zu Füßen der Berge heraufgeweht wird.

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Den Sommer über können drei Meter Schnee auf der Quelccaya-Eiskappe fallen, die dann von den Schneefällen des Folgejahres komprimiert werden und erst zu Firn, dann zu Eis werden. Dabei werden Luftblasen eingeschlossen, die als Miniarchive fungieren, in denen der Zustand der Atmosphäre dokumentiert ist. Australische Wissenschaftler waren die ersten, die Techniken entwickelten, mit denen man Informationen über die Anteile von Methan, Stickstoff und CO2 aus diesen Blasen gewinnen kann, die jeweils ihre eigene Geschichte über die biosphärischen Bedingungen in der Vergangenheit erzählen. Selbst der Staub ist informativ, denn er lässt auf die Stärke und die Richtung der Winde schließen und auf die Verhältnisse unterhalb der Eiskappe. Und Sauerstoffisotope im Eis bieten Einblicke, was die Ozeane und die weit entfernten polaren Eiskappen angeht.

Die Eisschilde Grönlands und der Antarktis liefern die längsten Bohrkerne der Erde, aber da das Eis »fließt«, ist in älterem, stärker komprimiertem Eis in der Regel die Abfolge der Jahresschichten gestört. Unter günstigen Umständen aber kann man daraus wirklich spektakuläre Daten gewinnen. In den neunziger Jahren des vergangenen Jahrhunderts machten sich europäische und amerikanische Forscherteams auf, um Eisbohrkerne aus dem Inlandeis Grönlands zu holen. Sie konnten sich nicht auf einen Plan einigen, also schickten sie zwei Bohrer in die Tiefe, die weit genug voneinander entfernt waren, um sicherzustellen, dass jede in den Bohrkernen registrierte Veränderung allgemein gültig und keine lokale Anomalie war. 

Das europäische Team, das im Norden bohrte, hatte großes Glück, denn sein Kern hatte sich über Granitfelsen verfestigt, deren Radioaktivität einiges an Wärme abgab. Dies brachte die untersten Eisschichten zum Schmelzen, was die Verzerrung der darüber liegenden verhinderte und somit einen detaillierten Querschnitt durch das Klima der letzten 123.000 Jahre konservierte. 

Anhand dieser einzigartigen Daten konnte das Team zeigen, dass es innerhalb von nur fünf der jährlichen Eisschichten zu spektakulären Wechseln im nordatlantischen Klima gekommen war und Grönland sich vor 115.000 Jahren einer bis dahin unbekannten Warmphase erfreut hatte, zu der es in der Antarktis keine Entsprechung gab.50)

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Als im Juni 2004 ein über drei Kilometer langer Eisbohrkern aus einer Region der Antarktis gezogen wurde, die Dome C genannt wird (rund 500 Kilometer von der russischen Wostok-Station entfernt), erhielt man noch spektakulärere Ergebnisse. Die Gewinnung eines so langen Eisbohrkerns muss als einer der größten Triumphe der Wissenschaft gelten, denn durch Eis zu bohren ist komplizierter, als man glauben mag. 

Die Bohrstelle war bitterkalt: -50 °C zu Beginn der Bohrsaison und -25 °C in der Mitte des antarktischen Sommers. Der Bohrer selbst hat nur zehn Zentimeter Durchmesser, und während er sich in die Tiefe mahlt, wird eine schlanke Eissäule herausgeschält und zur Oberfläche hochgezogen. Der erste Kilometer war besonders schwierig, denn dort war das Eis voller Luftblasen, und die tendierten dazu zu zerplatzen und das Eis in nutzlose Scherben zu zersplittern, wenn der Kern hochgezogen wurde. Noch schlimmer war, wenn Eissplitter den Bohrkopf verstopften, sodass er blockierte. Im Sommer 1998/99 hing der Bohrkopf in über einem Kilometer Tiefe so fest, dass das Loch aufgegeben werden musste und das Team keine andere Möglichkeit hatte, als ganz von vorn anzufangen. Als sie danach dann tatsächlich drei Kilometer tief bis zum Grund bohrten, stoppten sie den Bohrer nach jeweils ein bis zwei Metern und holten den kostbaren Kern an die Oberfläche.

Als das Team über den Punkt hinaus bohrte, der zuvor erreicht worden war, war die Begeisterung mit Händen zu greifen.51 »Man weiß, dass man das Zeugs kriegt, das noch nie zuvor jemand gesehen hat«, sagte ein Teammitglied, und jeder vollbrachte Kilometer wurde mit eigens erwärmtem Champagner gefeiert. Dann, als man fast schon den Felsgrund erreicht hatte, tauchte ein weiteres Problem auf. Die Wärme aus dem Felsen darunter schmolz das Eis, sodass der Bohrkopf ein weiteres Mal zu blockieren drohte. Die letzten 100 Meter wurden Ende 2004 gebohrt, man behalf sich mit einem Plastikbeutel voll Äthanol (das sanft den Weg nach unten freischmolz).

Der Bohrkern von Dome C reicht 740.000 Jahre in der Zeit zurück, und da die letzten paar hundert Meter noch datiert werden müssen, besteht die Hoffnung, dass sogar noch ältere Daten gewonnen werden können.52) Das ist ein enormer Fortschritt, denn er erlaubt uns, einen Blick darauf zu werfen, wie die Dinge vor rund 430.000 Jahren standen — als die Milankovic-Zyklen die Erde das letzte Mal in eine Position brachten, die ähnlich der ist, die sie heute einnimmt. Damals, enthüllt das Eis, dauerte die Warmzeit (das Interglazial) außerordentlich lange, was vermuten lässt, dass unser Planet vielleicht weitere 13.000 Jahre mildes Klima haben wird.53)

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Warmphasen (auch kürzere als die gegenwärtige) waren jedoch während des Eiszeitalters die Ausnahme. Typischer sind Kälteperioden, einschließlich der so genannten glazialen Maxima, wenn das Eis die Erde am festesten im Griff hat. Das letzte Mal geschah dies vor 35.000 bis vor 20.000 Jahren. Damals lag der Meeresspiegel über 100 Meter tiefer als heute, was die Umrisse der Kontinente veränderte; und die heute am dichtesten besiedelten Landschaften Nordamerikas und Europas lagen unter kilometerdickem Eis. 

Selbst Regionen südlich des Eises, beispielsweise Zentralfrankreich, waren baumlose, subarktische Wüsten, und ihre jährliche Vegetationsperiode von nur 60 Tagen bestand aus einem Wechsel von eisigen Nordwinden und ein paar ruhigen Tagen, an denen ein den Atem raubender Dunst aus Gletscherstaub die Luft erfüllte.

 

Man sagt oft, die Prioritäten einer Agenda würden davon bestimmt, wie groß ein Ding ist und wie schnell es sich bewegt, und gegen Ende der Eiszeit waren die Veränderungen wirklich groß, und sie vollzogen sich schnell. Es überrascht daher nicht, dass sich Klimatologen vor allem für die Zeit vor 20.000 bis 10.000 Jahren interessieren — als das glaziale Maximum abnahm —, denn in jenen zehn Jahrtausenden erwärmte sich die Gesamtoberfläche der Erde um 5°C — der steilste Anstieg in der jüngeren Erdgeschichte.

Es lohnt sich, das Tempo und das Ausmaß der Veränderungen während jener Periode mit dem zu vergleichen, was für dieses Jahrhundert vorhergesagt wird, wenn wir unsere Emissionen von Treibhausgasen nicht reduzieren. Wenn wir so weitermachen wie gewohnt, scheint ein Anstieg um 3°C (plus/minus 2 °C) im Verlauf des 21. Jahrhunderts unausweichlich.54) Diese Veränderung hat zwar geringere Ausmaße als die am Ende des letzten glazialen Maximums, aber die schnellste damals festzustellende Erwärmung betrug nur 1°C pro tausend Jahren.55) Der heutige Wechsel vollzieht sich dreißigmal schneller — und weil Lebewesen Zeit zur Anpassung brauchen, ist das Tempo beim Klimawandel ebenso wichtig wie das Ausmaß.

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Obwohl sich die Wissenschaftler intensiv mit dieser Phase beschäftigten, sind die Details, wie sich die Welt vom glazialen Maximum zum warmen Interglazial veränderte, nur langsam ans Tageslicht gekommen. Im Jahr 2000 ergab die Analyse eines Bohrkerns aus dem Bonaparte Gulf im tropischen Nordwesten Australiens, dass vor 19.000 Jahren binnen bloß 100 bis 500 Jahren der Meeresspiegel abrupt um 10 bis 15 Meter stieg, was darauf hinweist, dass das Tauwetter weit früher einsetzte, als man bislang gedacht hatte.56 Wegen der Schwierigkeiten, die Sedimente zu datieren, wurde dieser Befund zunächst misstrauisch beäugt, aber 2004 ergab eine zweite Untersuchung in der Irischen See einen vergleichbaren, aber besser datierten Anstieg.57 

Die Tatsache, dass sich die Welt in der Folge nicht weiter erwärmte, war irritierend, aber nachdem man die unmittelbare Ursache für den Meeres­spiegel­anstieg identifiziert hatte, war der Grund dafür klar. Das Wasser, so stellte sich heraus, stammte aus dem Zusammenbruch eines Eisschilds auf der Nordhalbkugel, wodurch sich ein Viertel bis zwei Sverdrup Süßwasser in den Nordatlantik ergossen.

Meeresströmungen werden in Sverdrup gemessen, benannt nach dem norwegischen Ozeanographen Harald Ulrik Sverdrup. Ein Sverdrup stellt eine sehr große Menge fließenden Wassers dar — eine Million Kubikmeter pro Sekunde —, und dieser Zustrom hatte, indem er den Golfstrom unterbrach, weitreichende Folgen.

Der Golfstrom transportiert riesige Mengen Wärme aus der Nähe des Äquators nach Norden — fast ein Drittel dessen, was die Sonne Westeuropa liefert —, und als Transportmittel dafür dient eine Strömung warmen Salzwassers. Wenn es seine Wärme abgegeben hat, sinkt das Wasser nach unten, weil es wegen des höheren Salzgehalts schwerer ist als das Wasser in der Umgebung, und dieses Absinken zieht mehr warmes, salziges Wasser nach Norden. Wird der salzige Golfstrom mit Süßwasser verdünnt, sinkt er beim Abkühlen nicht mehr ab, und kein weiteres warmes Wasser wird in seinem Gefolge mehr nach Norden transportiert.

Der Golfstrom war in der Vergangenheit mehrfach unterbrochen. Ohne die Wärme, die er mitführt, beginnen die schmelzenden Gletscher wieder anzuschwellen, und da ihre weiße Oberfläche die Sonnenenergie ins All zurückstrahlt, kühlt sich das Land ab. Tiere und Pflanzen migrieren oder sterben, und gemäßigte Regionen wie beispielsweise Zentralfrankreich versinken in sibirischer Kälte. 

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Die Wärme jedoch verschwindet nicht. Das meiste davon sammelt sich um den Äquator herum und auf der Südhalbkugel, wo es zu einem Abschmelzen der südlichen Gletscher kommen kann, sodass die Sonnenstrahlen auf eine dunkle Meeresoberfläche fallen statt auf Eis und absorbiert werden. Dies heizt die Welt sozusagen von unten her auf, und wenn der Golfstrom sich dank der zunehmenden Eismassen des Nordens wieder etabliert hat, tritt die Welt in einen weiteren Zyklus der Erwärmung ein.

Etwas in der Größenordnung von zwei Sverdrup Süßwasser ist erforderlich, um den Golfstrom merklich abzubremsen, und die geologischen Daten bestätigen, dass dies vor 20.000 bis 8000 Jahren wiederholt passiert ist. Der Übergang von der Eiszeit zur Wärmephase von heute war also kein sanfter Anstieg, sondern vielmehr eine wilde Achterbahnfahrt, deren Spitzen und Tiefpunkte sich scharf wie Sägezähne darstellen.

Die bekannteste und am besten untersuchte Zacke ist die jüngere Dryaszeit, benannt nach einer alpinen Pflanze (Silberwurz), deren Samen aufgrund einer gut dokumentierten Abkühlung an unerwarteten Orten auftauchten. Die plötzliche Kälteperiode begann vor 12.700 Jahren, nachdem die Erwärmung den Zusammenbruch eines massiven Eisdamms bewirkt hatte, der einen Schmelzwassersee aufgestaut hatte, und so zu einer Umleitung der Süßwasserströme quer durch Nordamerika führte — vom Mississippibecken zum St.-Lorenz-Strom. Die bittere Kälte hielt 1000 Jahre an, und ein Großteil Europas wurde von Eiszeitbedingungen heimgesucht, sodass viele Teile des Kontinents unbewohnbar waren. Zu einer weiteren Abkühlung kam es vor 8200 Jahren, und diese führte dazu, dass die Temperaturen auf Grönland 200 Jahre lang um 5°C niedriger lagen. Wie im Fall der jüngeren Dryaszeit scheint auch dafür der Bruch eines Eisdamms verantwortlich gewesen zu sein, wobei diesmal die Wassermassen in die Hudson Bay eingeleitet wurden.58

Das verrückte Sägezahnmuster, das vom alternierenden Schmelzen auf der Nord- und der Südhalbkugel verursacht wurde, beförderte die Erde ruckelnd, aber unerbittlich in Richtung ihres heutigen Zustands. Und dann wich dieser klimatische Irrsinn der gelassensten Ruhe. Es war, sagt der Archäologe Brian Fagan (Professor emeritus der University of California in Santa Barbara), als hätte ein langer Sommer eingesetzt, dessen Wärme und Stabilität die Welt seit einer halben Million Jahren nicht mehr erlebt hatte.59)

Infolgedessen begannen überall auf der Welt Menschen, die bislang in Hütten Schutz gesucht und von der Hand in den Mund gelebt hatten, unabhängig voneinander Getreide anzubauen, Tiere zu domestizieren und in planvoll errichteten Städten zu leben. Es drängt sich die Vermutung auf, dass das feindselige Eiszeitklima und der wüste Übergang zum Interglazial bis dahin dieses großartige Erblühen von Kreativität und Komplexität verhindert hatten.60) 

In der Tat haben Wissenschaftler der University of California in Davis kürzlich dargelegt, dass extreme Kälte, niedrige CO2-Werte und große Klimaschwankungen es bis vor gut 10.000 Jahren unmöglich gemacht haben, Getreide anzubauen.61) Dann änderte sich das alles, und erst heute konnten wir die Gründe für unser gegenwärtiges gutes Los ausloten. 

Wenden wir uns also jenem zehn Jahrtausende langen Sommer zu — und den revolutionär neuen Erkenntnissen, die gegenwärtig über seine Ursprünge gewonnen werden.

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