Adieu, Schnee des Kilimandscharo. - Inseln im Himmel. Auf dem Gipfel geht es nicht mehr weiter. Ein schreckliches Maß an Gewissheit.
Von Paradiesvögeln, Ringelschwanzbeutlern und Baumkängurus. Verlorenes Weltnaturerbe. Nur Anopheles freut sich.
O Himmel, könnte man im Buch des Schicksals doch lesen und der Zeiten Umwälzung, die Berge ebnen, und das feste Land, der Dichte überdrüssig, in die See Wegschmelzen sehn!
William Shakespeare, Heinrich IV., Zweiter Teil
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Steigt man einen Berg hinauf, fällt die Temperatur pro 100 Meter um mehr als ein halbes Grad. Ohne diese Abkühlung wären Berge nichts weiter als topographisch zusammengestauchte Versionen des flachen Landes um sie herum. In diesem Sinn — dass sie zu biologischen Klonen des umliegenden Flachlands zu werden drohen — kann der Klimawandel die Berge der Welt einebnen.
Am deutlichsten zeigt sich dieser Vorgang heute im Schicksal der Gletscher und schneebedeckten Gipfel der tropischen Breiten. Solche Habitate beschränken sich bereits auf die Gipfelregionen, und wir werden sie unweigerlich verlieren, denn weder der Schnee des Kilimandscharo noch die Gletscher Neuguineas können die heutigen CO2-Niveaus länger als nur noch wenige Jahrzehnte überleben. Und unterhalb der eisigen Höhen rücken alle Habitate — von den alpinen Kräutermatten über die Krummholzwälder bis hin zu den moosbewachsenen Bergregenwäldern — samt ihren jeweils einzigartigen Spezies immer weiter nach oben.
Keine andere Prognose der Klimaforschung ist gewisser als das Aussterben vieler Arten, die die Berge dieser Welt bevölkern. Wir können sogar angeben, welche als Erste verschwinden werden. Dieses hohe Maß an wissenschaftlicher Sicherheit rührt aus drei Faktoren her.
Erstens lässt sich die Wirkung steigender Temperaturen auf gebirgige Habitate leicht berechnen, und frühere Anpassungen an Erwärmungen sind gut dokumentiert.
Zweitens kennen wir die Bedingungen, die viele Berge bewohnende Spezies noch tolerieren können.
Und drittens haben diese Arten, wenn das Klima wärmer wird, keine andere Möglichkeit, als weiter nach oben zu wandern, und die Höhe aller Berggipfel der Erde steht präzise fest.
Angesichts der Erwärmungsrate können wir die Zeit bis zum Aussterben der meisten Berge bewohnenden Spezies berechnen. Als die Welt sich das letzte Mal rapide aufheizte — am Ende der letzten Eiszeit — vollzog sich der Rückzug der Spezies in höhere, kühlere Regionen schnell und unerbittlich. Auf der Insel Neuguinea reichten die alpinen Matten, die sich heute größtenteils auf Höhenlagen über 3900 Meter (die Baumgrenze) beschränken, damals bis 2100 Meter hinab. Dieser Rückzug um fast zwei Kilometer nach oben reduzierte ihre Fläche um neun Zehntel, und heute kann man sie nur noch auf den Gipfeln der höchsten Berge finden — abgekapselte Juwelen in einer ansonsten bewaldeten Landschaft. Der Grund für ihre Flucht nach oben war ein Anstieg der globalen Oberflächentemperatur um rund 5 °C in den letzten 7000 Jahren.
Wir wissen, dass sich unser Planet, komme was wolle, in diesem Jahrhundert um 1,1°C erwärmen wird, und wenn wir so weitermachen wie bisher, wird der Temperaturanstieg 3°C betragen. Der höchste Gipfel Neuguineas — Puncak Jaya — misst knapp 5000 Meter, was bedeutet, dass ein Anstieg um 3°C, wenn man von den Veränderungen in der Vergangenheit als Richtlinie ausgeht, das letzte alpine Habitat Neuguineas über die Gipfelhöhe hinaus zwingen und damit auslöschen wird. Faktisch gibt es angesichts einer so extremen Veränderung nur noch wenige Berge auf der Welt, die für ein alpines Refugium hoch genug sind.
In der frischen, klaren Morgenluft auf einem Berggipfel Neuguineas zu erwachen und zwischen den Baumfarnen zarte Spinnweben zu sehen, an denen die Tautropfen glitzern, ist eine unvergessliche Erfahrung. Im schräg einfallenden Morgenlicht sind Bronze und strahlendes Grün die dominanten Farben dieser offenen äquatorialen Wiesen; dazwischen zeigen sich leuchtend rote, orange und weiße Blüten rhododendronähnlicher Büsche und einzigartiger Orchideen.
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Der Moosboden unter den Füßen ist von dem meterlangen Langschnabeligel (Zaglossus bartoni) — dem größten eierlegenden Säugetier der Erde — zerkratzt und mit den Gängen einer nur hier lebenden Riesenbaumrattenart — Mallomys gunung — durchsetzt, die mit fast einem Meter Länge von der Nase bis zur Schwanzspitze ebenfalls riesig ist.
In der Morgendämmerung ist die Luft voller Vogelzwitschern, denn diese Berge sind das Rückzugsgebiet von Paradiesvögeln, Papageien und Horden von Honigfressern, die sich um die mit Blüten übersäten Büsche scharen. Im Lauf des Vormittags hört man aus den vereinzelten Sumpftümpeln ein »Uuuh, uuh«, das sich anhört (fand ich jedenfalls) wie die jungfräuliche Lieblingstante, die nach dem Weihnachtsessen beschwipst ist. In diesem Fall handelt es sich jedoch um einen winzigen, rosa-lila Frosch (nicht größer als der Daumennagel eines Kindes), der für die Wissenschaft so neu ist, dass er noch nicht einmal einen Namen bekommen hat.
Alle tropischen Hochgebirge der Erde verfügen über vergleichbare alpine Habitate mit großer Biodiversität, und die Bergwälder darunter weisen noch viel mehr Lebensformen auf. Ja, die Bergregionen der Erde lassen eine Schwindel erregende Vielfalt von Leben gedeihen — von symbolträchtigen Arten wie Pandas und Berggorillas bis zu bescheidenen Flechten und Insekten. In globalem Maßstab zeigt sich die Bedeutung der Berghabitate am besten in der Diversität der alpinen Zone — des Bereichs zwischen der Baumgrenze und dem ewigen Eis der Gipfel. Mit ihren Sträuchern, Graskissen und Kräutern weist diese Region in der Regel eine hochgradig spezialisierte, nur hier heimische Fauna und Flora auf. Die alpinen Habitate machen insgesamt bloß drei Prozent der Erdoberfläche aus, beherbergen aber über 10.000 Pflanzenarten und zahllose Insekten und größere Tiere, sie sind »mega-diversifiziert«.
Bei der Untersuchung, mit der der globale »Fingerabdruck« des Klimawandels identifiziert wurde, kam heraus, dass im Verlauf des 20. Jahrhunderts bergbewohnende Spezies sich im Durchschnitt um 6,1 Meter pro Jahrzehnt die Hänge ihrer Heimat hinauf zurückgezogen haben.27 Die Tiere und Pflanzen taten dies, weil die Verhältnisse am unteren Rand ihres Verbreitungsgebietes ihnen nicht mehr zuträglich waren — zu heiß oder zu trocken — oder weil neue Spezies in ihr Gebiet eingedrungen waren, mit denen sie nicht konkurrieren konnten.
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Die Wegstrecke mag klein erscheinen, aber wir müssen bedenken, dass unser Planet seit Millionen von Jahren nicht wärmer gewesen ist als heute, und diese Situation hat viele uralte Spezies dazu gebracht, sich an die letzten paar hundert Meter unterhalb der Berggipfel zu klammern.
Nur wenige Untersuchungen der Auswirkungen des Klimawandels auf spezifische Bergregionen sind abgeschlossen worden, vielleicht weil die Arbeit zu deprimierend ist. Die Detailliertesten sind bislang die von Steve Williams und seinen Kollegen von der James Cook University, die sich mit den Auswirkungen des Klimawandels auf die Bergregenwälder im nordöstlichen Queensland befassten.28
Die fraglichen Bergregionen liegen im Atherton-Tafelland westlich von Cairns und erstrecken sich über 10.000 Quadratkilometer. Trotz dieser geringen Größe stellen sie vermutlich das wichtigste Habitat ganz Australiens dar, denn sie sind Heimat einer archaischen Ansammlung von Pflanzen und Tieren — Überlebende eines kühleren, feuchteren Australiens vor 20 Millionen Jahren. Wie wichtig diese Region für die Welt insgesamt ist, wurde 1988 anerkannt, als die Regenwälder als erste Gegend Australiens in die Liste des Weltnaturerbes aufgenommen wurden. Heute strömen die Touristen in Scharen herbei, und zu den beliebtesten Aktivitäten zählen Nachtwanderungen, bei denen sie im Licht eines Scheinwerfers eine Fülle von Beuteltieren aus der Nähe beobachten können. An einigen Stellen raschelt, grunzt und kreischt es im Wald ständig.
Hoch oben in den größten Bäumen hört man die Lemuren-Ringelschwanzbeutler von Ast zu Ast springen. Es sind lebende Fossilien — Überbleibsel der Abstammungslinie, die den majestätischen, meterlangen Riesengleitbeutler der Eukalyptuswälder hervorbrachte. Lemuren fehlt die Gleitflughaut, aber sie sind ausgezeichnete Springer, deren geräuschvolles Krachen durch das Blätterdach zu den beständigsten Nachtgeräuschen zählt. Weiter unten in den Bäumen sieht man vielleicht ein Streifen-Ringelschwanzbeutler-Weibchen mit seinem großen Jungen. Dieses Tier ist beim Fressen so wählerisch, dass das Junge bei der Mutter bleibt, bis es fast erwachsen ist, um zu lernen, welche Blätter am besten sind. Warum diese Kreaturen sich auf Berggipfeln tummeln, ist klar. Lediglich vier bis fünf Stunden bei Temperaturen von 30°C oder mehr würden sie umbringen, und so eine Hitze ist in den umliegenden Ebenen so gut wie alltäglich.
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65 Arten von Vögeln, Säugetieren, Fröschen und Reptilien gibt es einzig und allein in dieser Region, und keine von ihnen kann wärmere Verhältnisse vertragen. Zu ihnen zählen der Säulengärtner (Prionodura newtonia), der Cooktown-Regenwaldfrosch (Cophixalus exiguus) und das Lumholtz-Baumkänguru (Dendrolagus lumholtzi). Außerhalb Australiens wissen die meisten nicht, dass einige Kängurus in den Baumwipfeln tropischer Regenwälder hausen, aber einst waren solche Kreaturen weit verbreitet, denn ihre Fossilien fand man noch unten im Süden in Victoria.
Heute gibt es sie nur noch in den Regenwäldern im nordöstlichen Queensland. Sie und die anderen Regenwald-Spezies verdanken ihren prähistorischen Niedergang einer Verschwörung von tektonischen und klimatischen Kräften. Vor 40 Millionen Jahren begann die Kontinentaldrift Australien nach Norden zu verlagern, und die zusätzliche Wärme und das sich ändernde Klima trockneten den Kontinent aus und verbannten damit die kühlen Regenwälder an die Ostküste. Dann vernichteten die Eiszeiten die Wälder im Süden, sodass nur noch die im nordöstlichen Queensland als Rückzugsgebiet blieben.
Steve Williams' Untersuchung lässt darauf schließen, dass steigende Temperaturen Tiere wie den Streifen-Ringelschwanzbeutler, die Kühle brauchen, unmittelbar betreffen und dass Perioden extremer Temperaturen häufiger werden. Daneben wirkt sich das höhere CO2-Niveau auch noch auf das Pflanzenwachstum aus. Im Experiment tendieren Pflanzen in einer mit CO2 angereicherten Umgebung zu einem reduzierten Nährwert, festeren Blättern und höheren Konzentrationen von Abwehrchemikalien (beispielsweise Tanninen und Phenolen), was sie zu einer viel schlechteren Nahrungsquelle macht.
Allein diese Veränderung wird vermutlich die Kletterbeutler-Dichte reduzieren, und da die diversen Arten sich in immer höhere Lagen zurückziehen müssen, wird wegen der in den Gipfelregionen sehr kargen Böden der Nährwert ihres Futters immer schlechter. Als wäre dies nicht schlimm genug, wird sich auch die Variabilität der Niederschläge vermutlich verstärken, es wird ausgeprägte Dürreperioden geben, und zugleich wird die Wolkenschicht, die jetzt den Bergwäldern 40 Prozent der nötigen Feuchtigkeit zuführt, nach oben steigen, sodass die Wälder mehr Sonnenlicht bekommen und mehr Wasser verdunsten.
All dies addiert sich zur Katastrophe.
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Bei einem Temperaturanstieg von nur 1°C (der kommen wird, was immer wir tun) wird zumindest eine Spezies der feuchten Tropen — der Thornton-Peak-Regenwaldfrosch (Cophixalus sp.) — aussterben. Das ist eine Tragödie, denn dieses Tier wurde erst vor so kurzer Zeit entdeckt, dass es noch nicht einmal einen wissenschaftlichen Namen hat. Bei einem Anstieg um 2°C werden die tropischen Feuchtökosysteme kaputtgehen. Bei 3,5°C wird rund die Hälfte der 65 feucht-tropischen Tierspezies verschwinden, der Rest wird sich auf heikle Habitate zurückziehen, die weniger als zehn Prozent des ursprünglichen Verbreitungsgebiets ausmachen. Faktisch werden ihre Populationen nicht lebensfähig und ihr Aussterben nur eine Frage der Zeit sein.
Williams' Untersuchung verheißt für die Zukunft der Biodiversität Australiens Ungeheuerliches.
Die größeren 65 Spezies, die es einzig und allein in den feucht-tropischen Gebieten gibt, machen nur die Spitze eines Berges von Biodiversität aus. Man denke nur an die einheimischen Kiefern, die bloß einen winzigen Bruchteil der örtlichen Flora darstellen. Zwei Arten mit farnähnlichen Blättern und herrlichen roten oder blauen, fleischigen Früchten (Prumnopitys amara und P. ladei) sind auf die Gipfel beschränkt, und den Bunya-Bunya-Baum (Araucaria bidwilli) — einen Verwandten der chilenischen Araukarie und die älteste Spezies einer vorzeitlichen Abstammungslinie — gibt es nur auf zwei Bergketten.
Diese Art — oder etwas sehr Ähnliches — gab es schon im Jura vor gut 230 Millionen Jahren. Ihr Aussterben wäre verhängnisvoll; aber in vielen anderen Fällen hätten wir keine Ahnung, was wir verlieren, denn im Jahr 1994 fand man auf den höchsten Gipfeln der Bergkette — Mount Bartle Frere und Mount Pieter Botte — eine ganze neue Gattung von Regenwaldbäumen.29 Diese entfernten Verwandten der Banksien und der Silberbaumgewächse haben harte, nussähnliche Früchte, die sich als Fossilien in 30 Millionen Jahre alten Ablagerungen in Victoria finden. Doch das sind noch längst nicht alle Beispiele — man denke nur an die Vielfalt der Orchideen, Farne und Flechten. Und die Wirbellosen habe ich überhaupt noch nicht angesprochen — die Legionen von Würmern, Käfern und anderen fliegenden und kriechenden Kreaturen, die sich zu Zehntausenden finden.
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Die drohende Zerstörung der tropischen Regenwälder Australiens ist ein am Horizont lauerndes biologisches Desaster, und die dafür verantwortliche Generation wird von ihren Nachkommen verflucht werden. Was werden sie ihren Kindern sagen, wenn ihre immer größeren Häuser und Allradwagen sowie ihre Weigerung, das Kyoto-Protokoll zu unterzeichnen, dem Land die prächtigsten natürlichsten Schätze geraubt haben werden?
Überall auf der Welt, auf jedem Kontinent und auch auf vielen Inseln, gibt es Bergketten, die für Spezies von bemerkenswerter Schönheit und Vielfalt das letzte Rückzugsgebiet sind. Und wir sehen untätig zu, wie all das verloren geht, von den Gorillas über die Pandas bis zur neuseeländischen Raoulia (einer einzigartigen Polster-Pflanze). Kein Rettungsversuch könnte umfassend genug sein, um wenigstens in Gefangenschaft Kolonien von auch nur einem Zehntel von einem Prozent der gefährdeten Arten zu erhalten. Es gibt nur eine Möglichkeit, sie zu retten. Wir müssen das Problem an der Wurzel packen — der Emission von CO2 und anderen Treibhausgasen.
Überraschenderweise gibt es jedoch Arten, die enorm von diesem Aspekt des Klimawandels profitieren werden. Es handelt sich um jene vier Parasiten, die die verschiedenen Formen von Malaria hervorrufen. Mit zunehmenden Niederschlägen werden sich die Mücken ausbreiten, die die Erreger übertragen, die Malariasaison wird länger werden und die Krankheitsfälle werden immer mehr zunehmen. Von Mexico City bis zum Mount Hagen in Papua-Neuguinea leben in den Bergtälern der Welt dicht gedrängte Menschenmengen. Es sind gesunde, wunderschöne Gegenden, in denen Krankheiten selten sind, wo die Bevölkerungsdichte nicht ganz so groß ist. Doch knapp unterhalb dieser Siedlungen — im Fall von Neuguinea auf rund 1400 Metern Höhe — erstrecken sich große Wälder, in denen niemand lebt. Der Grund dafür ist die Malaria, die in Teilen der Tropen so verbreitet ist, dass sie das menschliche Bevölkerungswachstum in Schach hält. In naher Zukunft wird die globale Erwärmung den Malariaerregern und ihren Überträgern, den Anopheles-Mücken, Zugang zu diesen hohen Gebirgstälern verschaffen, und dort werden sie Zehntausende von Menschen finden, die gegen die Krankheit keinerlei Abwehrkräfte entwickelt haben.30
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19 Wohin geht die Reise?
Von Florida nach Montreal – Bäume auf Wanderschaft. Eucalyptus – das Schicksal von 819 Arten. - Abschied von Fynbos und Karru, den schönsten Blumengärten der Welt. In die Ecke gedrängt: Der Südwesten Australiens. Wer weiterziehen kann, hat es gut. Naturschutzgebiete werden zu Todesfallen. -- Megastudie prophezeit Massensterben – aber werden es eine von fünf oder sechs von zehn Arten sein?
Umschauend sahn sie, ach, das Paradies —
Ihr Wonnesitz noch eben ...
Der Erde Raum
Bot sich zur Wahl des neuen Wohnorts dar ...
—John Milton, Das verlorene Paradies, Zwölftes Buch—
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Die Forscher Camille Parmesan und Gary Yohe definierten den »globalen Fingerabdruck« des Klimawandels. Aber wie wird jener Fingerabdruck nach einer Erwärmung um 1,1°C oder sogar um die vorausgesagten durchschnittlichen 3°C aussehen?
In der Vergangenheit konnten Spezies Klimaumschwünge überleben, weil Berge hoch genug waren, Kontinente weit genug und der Wandel allmählich genug, sodass sie weiterziehen konnten. Manchmal legten sie dabei enorme Entfernungen zurück. Vor gerade mal 14.000 Jahren beispielsweise waren die Laubwälder, wie sie jetzt in Kanada in der Gegend von Montreal wachsen, nur im nördlichen Florida anzutreffen. Der Klimawandel, der diese Migration auslöste, war zwar weit langsamer, aber von ähnlicher Größenordnung wie jener, zu dem es den Prognosen zufolge in diesem Jahrhundert kommen soll. Das heißt, dass der Schlüssel zum Überleben im 21. Jahrhundert darin liegen wird, ständig in Bewegung zu bleiben. Wie aber sollen die Spezies heute solche weiten Strecken überwinden können?
Dieser Aspekt des Klimawandels stellt zumindest Pflanzen vor Probleme, die erstmals im Jahr 1996 von einer Gruppe australischer Botaniker unter Führung von Lesley Hughes von der Macquarie University umrissen wurden.31 Schon 1992 wurde einigen klar, dass infolge des Klimawandels die Temperaturen in Australien um bis zu 5°C steigen könnten, wenn sie global um bloß 2°C zunehmen.
In Sorge um die Biodiversität Australiens untersuchte Hughes die Verteilung von 819 Eucalyptus-Spezies und stellte fest, dass diese Bäume insgesamt zwar für die australische Landschaft charakteristisch sind, die Mehrheit der Arten aber in kleinen isolierten Regionen zu Hause ist, für die sehr enge Temperaturspektren typisch sind. Bei über 200 Spezies (25 Prozent) umfassen die Temperaturspannen in ihrem Verbreitungsgebiet bloß 1°C, bei 41 Prozent sind es nur 2°C. Bei faktisch 75 Prozent von ihnen variieren die Temperaturen um weniger als 5°C. Sollte die Temperatur Australiens in diesem Jahrhundert um lediglich 3°C steigen (was realistisch ist, wenn wir so weitermachen wie bisher), würde die Hälfte der australischen Eucalyptas-Arten außerhalb ihrer gegenwärtigen Temperaturbereiche wachsen.32 Wenn sie das überleben sollen, müssen sie migrieren, aber zahllose Barrieren, darunter der Südpazifik und von Menschen umgestaltete Landschaften, versperren ihnen den Weg.
Im Jahr 2004 machte die Nachricht die Runde, dass die Eukalyptuswälder Tasmaniens, die zum Weltnaturerbe zählen, infolge trockenerer, heißerer Verhältnisse sterben. Es war erschreckend, dass sich Dr. Hughes' Prognose, was mit den australischen Gummibäumen geschehen werde, nach nur zehn Jahren bestätigte und dies auch noch in genau der Gegend Australiens, wo (wegen der hohen Breitengrade) der Klimawandel am schnellsten voranschreitet.
William Hare hat im Auftrag des <Wissenschaftlichen Beirats Globale Umweltveränderungen der deutschen Bundesregierung> eine globale Zusammenfassung der wahrscheinlichen Auswirkungen des Klimawandels auf die natürlichen Systeme der Welt ausgearbeitet.33 Betrachtet man seine tabellarisch aufgelisteten Ergebnisse, wird klar, dass kein einziges Ökosystem der Erde vom Klimawandel unbehelligt bleiben wird. Für einige werden jedoch schon kleine Veränderungen bedrohlich.
Die Sukkulenten der südafrikanischen Karru-Steppe umfassen 2500 Pflanzenarten, die man nirgends sonst findet — die reichste Flora arider Zonen auf der Erde —, und sie sind wegen der Schönheit ihrer Frühlingsblüte berühmt, die von den spärlichen Winterregen abhängt. Wenn sich das Klima ändert, gibt es für diese Vegetation einfach keine Ausweichmöglichkeit, denn im Süden und Osten — in die Richtung, in die der Klimawandel sie treiben würde — liegt das Kap-Faltengebirge, dessen Topographie und Böden für die Pflanzen aus der Karru ungeeignet sind. Computersimulationen lassen darauf schließen, dass 99 Prozent der Karru-Sukkulenten bis 2050 verschwunden sein werden.
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Südlich des Kap-Faltengebirges folgt die wunderbare Fynbos-Vegetation, die zu den sechs Florenreichen der Erde zählt und die größte Pflanzenvielfalt außerhalb der Regenwälder aufweist. Die Pflanzen sind kaum mehr als kniehoch, aber von außergewöhnlicher Form. Die Binsen tragen leuchtende, glockenförmige Blüten, deren Nektar von kräftig bunten Netzfliegen mit zwei Zentimeter langen Saugrüsseln, die sie tief in die Glocken stecken, aufgesaugt wird. Steinige Abhänge zieren buschige Silberbaumgewächse voller sternförmiger lila Blüten von der Größe von Untertassen, und die Unmassen von Schmetterlingsblütern, Gänseblümchenartigen und Verwandten der Schwertlilie scheinen kein Ende zu nehmen. Eingerahmt vom Ozean an der Südspitze des Kontinents ist die Fynbos-Vegetation ein Naturparadies. Aber wenn die Erde wärmer wird, bedeutet der azurblaue Hintergrund, dass sie nirgendwo anders hin kann, und so wird mehr als die Hälfte ihres Verbreitungsgebietes bis 2050 verloren gehen und damit eine beachtliche Anzahl der über 8000 hier heimischen Spezies.
In den diversen Heidelandschaften des australischen Südwestens wachsen über 4000 Spezies Blütenpflanzen. Bei nur einem halben Grad zusätzlicher Erwärmung werden die 15 bislang untersuchten Arten von Säugetieren und Fröschen, die ausschließlich in dieser Region vorkommen, auf winzige Resthabitate beschränkt sein oder aussterben. Nur wenige der hier heimischen Pflanzen wurden im Detail erforscht, eine Ausnahme stellt aber die Gattung Dryandra dar. Zwei Drittel der 92 Spezies dieser den Banksien ähnlichen Büsche und kleinen Bäume würden bei solch einer Temperaturverschiebung aussterben, und wir wissen bereits jetzt, dass es auf jeden Fall zu einer Erwärmung um ein halbes Grad kommen wird.34
Die Topographie dieser Region und die Geschichte ihrer Rodung machen sie so verwundbar. Der Klimawandel wird die diversen Pflanzengemeinschaften immer weiter nach Südwesten Richtung Ozean treiben. Diejenigen, die überhaupt weiterziehen können, werden noch Glück haben, denn ein Großteil des Südwestens ist heute ein gigantisches Weizenfeld.
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Einige Spezies werden nur an Straßenrändern, entlang der Eisenbahngleise oder in taschentuchgroßen Florareservaten überleben. Ein paar außergewöhnliche Areale wurden als Naturschutzgebiete ausgewiesen, aber angesichts des galoppierenden Klimawandels werden auch diese zu kaum mehr als Todesfallen.
Der entscheidende Punkt hierbei ist, dass die globale Erwärmung für die Biodiversität zu keinem schlechteren Zeitpunkt hätte kommen können. Wenn es in der Vergangenheit zu abrupten Klimawechseln kam, migrierten Bäume, Vögel, Insekten — ja, ganze Lebensgemeinschaften — auf der Suche nach für sie geeigneten Lebensbedingungen kreuz und quer über die Kontinente. In der jetzigen Welt mit ihren 6,3 Milliarden Menschen ist so etwas nicht mehr möglich. Heute beschränkt sich die Biodiversität größtenteils auf Naturschutzgebiete und Wälder, die oft auf weite Strecken von Landschaften umgeben sind, welche menschliche Aktivitäten gründlich umgestaltet haben.
Zwar sind die mediterranen Pflanzengemeinschaften Südafrikas und Australiens für den Klimawandel besonders anfällig, doch nahezu überall wird es zu enormen Verlusten kommen.
Weil der amerikanische Westen immer trockener wird, der Meeresspiegel steigt und die Zahl der Stürme zunimmt, werden die Winterhabitate für ziehende Watvögel in Nordamerika signifikant reduziert. Unter wärmeren Sommern, höheren Verdunstungsraten und wechselhafterem Wetter werden beispielsweise die Bruthabitate von Wasservögeln an den kleinen Teichen in der Prärie leiden. Wärmere Flüsse bedeuten, dass die Lachse abnehmen werden, und im Nordatlantik folgen die kommerziell wertvollen Fische bereits dem kalten Wasser nach Norden und in die Tiefe. Die Fauna Mexikos wird von Hitze, Dürre und Wetterextremen unter Druck gesetzt, was zu vielerlei Artensterben führt, und durch dieselben Faktoren, erklären Botaniker, ist ein Drittel der europäischen Pflanzenarten ernstlich gefährdet.
Auf kleineren Landmassen ist die Lage noch prekärer. Weil Wellen des Klimawandels über Inseln hinwegfegen und sie für viele einheimische Arten unbewohnbar machen werden, werden viele Inselvögel des Pazifiks über die Grenzen ihrer Belastbarkeit hinaus getrieben, und bei allen Lebensformen auf Inseln, von Bäumen bis zu einzigartigen Insekten, wird es zum Artensterben kommen.
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Und wie wir gesehen haben, sind Naturschutzgebiete heute Inseln in einem Ozean menschengemachter Umwelten. Der Krüger-Nationalpark in Südafrika ist fast so groß wie Israel, doch zwei Drittel seiner Spezies drohen verloren zu gehen.35
Man muss dabei bedenken, dass dies bloß ein paar Beispiele für den prognostizierten Verlust an Biodiversität in wissenschaftlich untersuchten Regionen sind. Stellen Sie sich vor, wie sich im Lauf Ihres Lebens die Klimazonen der Welt drastisch verändern — sodass das Klima von Washington oder Frankfurt am Main eher dem des heutigen Miami oder Algier ähneln wird — und überlegen Sie, was das für die Wälder, Vögel und die anderen Tiere Ihrer Heimat bedeutet, dann werden Sie sich ein umfassenderes Bild machen können.
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Wegen einiger Nachforschungen für dieses Buch war ich in London, und vom Jetlag geplagt erwachte ich eines Morgens noch vor der Dämmerung und sah zu, wie der Osthimmel heller wurde. Nach und nach nahm ein vertrauter Umriss Gestalt an. Es war ein australischer Gummibaum, der kräftig in einer Gegend wuchs, die traditionell eigentlich viel zu kalt für ihn ist. Als dann die ersten Finger des Morgenlichts nach dem kleinen Garten unter mir griffen, stiegen aus dem Baum ein paar Vögel empor. Es waren Alexandersittiche. Ich hatte Spatzen erwartet, aber man sagte mir, die seien in der Stadt so gut wie ausgestorben. Ich fragte mich, wie die klimagewandelte Stadt der Zukunft wohl aussehen wird.
Noch auf andere Weise lässt sich begreifen, wie der Klimawandel in die Ökosysteme des Planeten eingreift.
Man kann alle verfügbaren Daten zusammenfassen, darunter auch die von über 1000 Arten wie etwa Bäumen, Krustazeen und Säugetieren, und prüfen, was statistisch insgesamt dabei herauskommt. Diesen Ansatz verfolgte eine Forschergruppe unter Leitung von Chris Thomas von der University of Leeds, die ihre Ergebnisse Ende 2004 in Nature veröffentlichte.
Bei diesem Projekt wurde das Schicksal von 1103 Pflanzen- und Tierarten von den Silberbaumgewächsen bis zu den Primaten unter dem Blickwinkel des Klimawandels bis 2050 untersucht. Deren Habitate lagen in Regionen, die 20 Prozent der Erdoberfläche abdecken, unter anderem in Mexiko, Südafrika, Europa, Südamerika und Australien.
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Thomas und seine Kollegen fanden heraus, dass bei der geringsten (unausweichlichen) globalen Erwärmung — zwischen 0,8 und 1,7°C — rund 18 Prozent der herangezogenen Spezies »der Extinktion ausgesetzt« sein werden, wie es in der leidenschaftslosen Sprache von wissenschaftlichen Zeitschriften heißt. Anders ausgedrückt: Sie sind zam Untergang verdammt. Bei den Prognosen im mittleren Bereich — 1,8 bis 2,0°C — wird rund ein Viertel aller Spezies aussterben, während am oberen Ende der vorausgesagten Temperaturanstiege — über 2°C — mehr als ein Drittel aller Arten verschwinden wird.
Ob Sie es glauben oder nicht, das sind noch gute Nachrichten: Bei diesen Analysen ist man davon ausgegangen, dass die Spezies migrieren können. Aber welche Möglichkeiten hat ein Silberbaumgewächs, sich in den dicht besiedelten Küstenebenen der südafrikanischen Kapprovinz auszubreiten, oder ein Löwenäffchen, die landwirtschaftlichen Nutzflächen zu überqueren, die die atlantischen Regenwälder Brasiliens fast völlig verdrängt haben? Kaum welche, lautet die Antwort natürlich, und bei Arten, die nicht weiterziehen können, ist die Wahrscheinlichkeit des Aussterbens ungefähr doppelt so groß. Das bedeutet, am oberen Ende des vorhergesagten Temperaturanstiegs sind über die Hälfte (58 Prozent) der 1103 untersuchten Arten »der Extinktion ausgesetzt«.36
Rechnet man Thomas' Daten hoch, sieht es so aus, als sei bei den momentanen Treibhausgas-Niveaus zumindest eines von fünf Lebewesen auf diesem Planeten zum Aussterben verdammt. Der World Wildlife Fund, der Sir Peter Scott Trust und die Nature Conservancy arbeiten seit Jahrzehnten dafür, relativ wenige — im Verhältnis zu den absoluten Zahlen — Spezies zu retten. Mittlerweile sieht es aber danach aus, dass Zigtausende von der steigenden Flut des Klimawandels hinweggespült werden, wenn man nicht die Treibhausgas-Emissionen reduziert.
Wir müssen vor allem bedenken, dass wir zwei Spezies für jede gegenwärtig zum Aussterben verdammte Art retten können, wenn wir jetzt handeln.
Wenn wir weitermachen wie bisher, werden aller Wahrscheinlichkeit nach drei von fünf Spezies zu Beginn des nächsten Jahrhunderts nicht mehr unter uns sein.
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