Teil 5   Die Lösung   Start    Weiter

29   Hell wie die Sonne, leicht wie der Wind 

 Kap 30 

 

Haben wir die Mittel, die Welt zu retten? Princeton und die wichtigsten 15 Techniken. Weiß der Wind die Antwort? Dänen zweifeln nicht, sie machen es einfach – trotz angeblichen Lärms und toter Vögel. Die solarthermische Lösung. Es werde Licht: Die wunderbare Welt der Photovoltaik. Wann sind die Kosten wieder eingespielt?

Wenn wir erst einmal die Tür aufgestoßen und über die katastrophalen Veränderungen nachzudenken begonnen haben, eröffnet das eine ganz neue Debatte. Wenn wir nicht wissen, wie sich menschliche Aktivitäten auf diese dünne Schicht lebenserhaltender Systeme auswirken, die die Zivilisation hervorbrachten und gedeihen ließen, und wenn wir nicht zuverlässig abschätzen können, wie mögliche geophysikalische Veränderungen die Zivilisation und die Welt um uns herum in Mitleidenschaft ziehen werden.... sollten wir dann nicht ultrakonservativ sein und mit aller Macht daran gehen, die natürliche Welt auf Kosten des Wirtschaftswachstums und der Entwicklung zu bewahren? Wagen wir es, unseren Fortschritt über die Erhaltung natürlicher Systeme zu stellen und darauf zu vertrauen, dass menschlicher Einfallsreichtum uns irgendwie heraushauen wird, wenn uns die Natur schlechte Karten gibt?  (William Nordhaus, <Climate Change>, 1996)

 

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Eine Grundsatzentscheidung bei unserem Kampf gegen den Klimawandel ist, ob wir unsere Anstrengungen auf Transport und Verkehr oder auf das Stromnetz konzentrieren sollen. Viele würden sagen, wir müssten beides tun, und dem würde ich auch zustimmen, wenn wir die Ressourcen und die Zeit hätten. 

Es geht aber darum, dass wirklich riesige Anstrengungen nötig sind, um die Kohlenstoff-Emissionen wenigstens der einen oder der anderen Quelle zu stoppen, und dabei gewinnt das Stromnetz mit Leichtigkeit. Denn wird der Strom erst einmal ohne Kohlenstoff erzeugt, können wir die so erzeugte erneuerbare Energie dazu nutzen, auch den Transport kohlenstofffrei zu bekommen.

Die Wissenschaftler Steven Pacala und Robert Socolow von der Princeton University haben untersucht, ob die Welt über die erforderlichen Techniken verfügt, ein Stromnetz des Umfangs, der Leistungsfähigkeit und der Zuverlässigkeit unseres heutigen zu betreiben und gleichzeitig die CO2-Emissionen deutlich zu senken. Sie haben 15 grundlegende Techniken ausgemacht, die vom Auffangen des Kohlendioxids bis hin zu Wind-, Sonnen- und Kernenergie reichen und dabei eine wichtige Rolle spielen könnten. Diese Techniken müssen nicht alle angewandt werden, mindestens aber die Hälfte davon, wenn wir die weltweiten Kohlenstoff-Emissionen wenigstens in den nächsten 50 Jahren in den Griff bekommen wollen.1)  

»Mit Sicherheit konnte die Vorstellung widerlegt werden, dass wir erst noch lange Zeit forschen müssen, ehe wir anfangen können«, fasste Socolow die Arbeit zusammen. Zahlreiche Beispiele von Regierungen und Unternehmen überall auf der Welt, die die Emissionen heruntergefahren haben (um über 70 Prozent im Fall einiger britischer Gemeinden), während sie gleichzeitig ein starkes Wirtschaftswachstum erlebten, geben Socolow Recht: Die Angst­kampagnen der Öl- und Kohlemultis, dass das alles zu schwierig und zu teuer wäre, sind mit einem Streich entlarvt.

Die infrage kommenden Techniken fallen in zwei Kategorien: Solche, die — bislang jedenfalls — Energie nur mit Unterbrechungen liefern, und solche, die unabhängig von äußeren Umständen ständig Energie erzeugen. Von den unregelmäßigen Stromerzeugungsarten ist die Windkraft am meisten ausgereift und wirtschaftlich konkurrenzfähig, und nirgendwo wurde sie entschlossener vorangetrieben als in Dänemark, der Heimat der modernen Windkraftindustrie.

Als sich die Dänen entschlossen, Windkraft zu fördern, lagen die Kosten der auf diese Weise produzierten Elektrizität um ein Vielfaches über denen des Stroms aus fossilen Brennstoffen. Die dänische Regierung erkannte jedoch das Potenzial und subventionierte die Industrie, bis die Kosten sanken. Heute ist Dänemark bei der Stromerzeugung aus Windkraft und beim Bau der Generatoren weltweit führend; Wind liefert jetzt 21 Prozent der Elektrizität des Landes. Ein verblüffender Aspekt der dänischen Windkraftnutzung ist, dass über 85 Prozent der Kapazitäten im Besitz von Einzelpersonen oder Windkooperativen sind, sodass diese Industrie buchstäblich eine volkseigene ist.

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In mehreren Ländern ist Windkraft bereits billiger als Strom aus fossilen Brennstoffen, was die phänomenale Wachstumsrate der Windindustrie von 22 Prozent pro Jahr erklärt.2) Man hat geschätzt, dass Windkraft die Energiebedürfnisse der Vereinigten Staaten zu 20 Prozent decken könnte, und die Wirtschaftlichkeit sieht so aus, dass das von der Regierung Clinton angestrebte Ziel, fünf Prozent der landesweiten Elektrizität bis 2020 aus Wind zu gewinnen, noch immer erreicht werden könnte. In den nächsten paar Jahren, so erwartet man, wird der Preis für Windenergie um weitere 20 bis 30 Prozent sinken, sodass diese Art der Stromerzeugung noch kostengünstiger wird.

Die Windkraft hat jedoch, glauben viele, einen großen Nachteil: Der Wind weht nicht ständig, und die Stromerzeugung ist deshalb unzuverlässig. Das ist eine Verkürzung einer komplexeren Realität, denn der Wind weht zwar nicht am selben Ort ständig mit derselben Stärke, umfassender betrachtet ist aber ziemlich sicher, dass dann irgendwo anders Wind wehen wird. Je mehr Windkraftwerke man über große Entfernungen verteilt errichtet, desto mehr können sie mit Grundversorgern wie Kohlekraftwerken mithalten. Das beinhaltet jedoch eine ziemliche Redundanz, denn oft werden für jede Turbine, die mit voller Kapazität arbeitet, mehrere andere stillstehen.

Im Vereinigten Königreich erzeugt ein durchschnittliches Windkraftwerk im Lauf eines Jahres nur 28 Prozent seiner Kapazität. Um einschätzen zu können, einen wie großen Nachteil das darstellt, muss man einbeziehen, dass alle Arten der Stromerzeugung ein gewisses Maß von Redundanz aufweisen. Im Vereinigten Königreich arbeiten Kernkraftwerke nur 76 Prozent, Gasturbinen 60 Prozent und Kohlekraftwerke 50 Prozent der Zeit. Die hohe Redundanz bei der Windenergie wird jedoch ein Stück weit durch die hohe Zuverlässigkeit ausgeglichen: Windgeneratoren sind seltener defekt als Kohlekraftwerke und auch billiger zu unterhalten.3) Zum Abbau der Redundanz wurde unter anderem vorgeschlagen, überschüssige Windenergie dazu zu verwenden, Luft zu komprimieren und in der Erde zu speichern, und diese dann zu einem späteren Zeitpunkt Generatoren antreiben zu lassen. Eine weitere Möglichkeit ist, damit Wasserstoff zu erzeugen, der dann in stationären Brennstoffzellen Strom erzeugt, wenn wenig Wind weht.

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Unglücklicherweise hat die Windkraft eine schlechte Presse, unter anderem wird kritisiert, dass Windgeneratoren Vögel töten, Lärm machen und hässlich aussehen. Die Wahrheit ist: Jedes hohe Bauwerk kann Vögeln gefährlich werden, und bei den frühen Windkraftwerken war dieses Risiko erhöht. Sie waren in Form von Gittermasten errichtet, in denen die Vögel nisteten; mittlerweile wurden sie aber durch Modelle mit glatter Außenhaut ersetzt. Darüber hinaus müssen alle Risiken gegeneinander abgewogen werden. Katzen töten in den USA weit mehr Vögel als Windparks.4) Und wenn wir weiterhin Kohle verbrennen, wie viele Vögel werden dann infolge des Klimawandels sterben? Was den Lärm angeht, so kann man sich am Fuß eines Windkraftturms unterhalten, ohne die Stimme zu heben, und bei neuen Modellen ist die Geräuschentwicklung noch weiter gesenkt. Und was die Hässlichkeit angeht, so liegt die Schönheit sicherlich im Auge des Betrachters. Was ist garstiger anzuschauen: ein Windpark oder eine Kohlegrube samt Kraftwerk? Abgesehen davon sollte keine dieser Fragen über die Zukunft unseres Planeten entscheiden dürfen.

Kommen wir vom Wind nun zu drei wichtigen Verfahren, die sich unmittelbar der Sonnenenergie bedienen. 

Es sind die Warmwassererzeugung mit Sonnenkollektoren, solarthermische Kraftwerke und die Photovoltaik. Wasser mit Hilfe von Sonnenkollektoren aufzuheizen ist die einfachste und in vielen Fällen auch kostengünstigste Methode, die Sonnenenergie für den Privathaushalt zu nutzen: Bei den meisten Häusern kann man damit ziemlich leicht die Energierechnung um größere Beträge reduzieren. Die Sonnenkollektoren werden auf dem Dach nach Süden ausgerichtet (auf der Südhalbkugel nach Norden), wo sie die Sonnenstrahlen einfangen, die das in ihnen zirkulierende Wasser aufheizen. Die Systeme sind so gut wie wartungsfrei, und damit auch immer Heißwasser zur Verfügung steht, wenn man welches braucht, gehört zur Ergänzung ein Gas- oder Elektroboiler dazu.

Solarthermische Kraftwerke produzieren große Mengen Strom — weit mehr als ein Einzelhaushalt je gebrauchen könnte. Bei ihnen werden die Sonnenstrahlen auf kleine, höchst effiziente Solarkollektoren konzentriert, und ihren Namen haben die Systeme daher, dass sie sowohl Elektrizität als auch Wärme erzeugen, wobei Letztere häufig als Prozesswärme beziehungsweise für die Wasseraufbereitung verwendet wird.

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Momentan sind verschiedene Bauweisen auf dem Markt, und die Preise sinken rasch. Solarthermische Kraftwerke werden in Zukunft mit der Windkraft konkurrenzfähig sein, und bei der Erzeugung von Netzstrom ergänzen sie sich aufs Beste, denn wenn gerade kein Wind weht, ist die Wahrscheinlichkeit hoch, dass die Sonne scheint.

Schließlich gibt es noch die Technik, die die meisten Menschen als die eigentliche »Sonnenenergie« betrachten: die Photovoltaik. Den eigenen Strom zu erzeugen ist ein bisschen wie das eigene Bier zu brauen, denn wenn man erst einmal die Ausrüstung gekauft hat, kann man den Multis eine lange Nase drehen. Die Technik ist einfach und weitgehend wartungsfrei (es sei denn, man ist nicht ans Stromnetz angeschlossen und braucht Speicherbatterien); für Solarzellen gibt es eine Garantie von 25 Jahren, und angeblich halten sie bis zu 40 Jahren.

Es gibt verschiedene Typen von Solarzellen auf dem Markt, aber alle wandeln das einfallende Sonnenlicht direkt in Elektrizität um. Der Strom muss dann noch mittels Wechselrichter und Transformator in Wechselstrom mit der im Land üblichen Spannung umgewandelt werden. Hat man einen Netzanschluss, braucht man nichts weiter als diese Geräte und eine Steckdose, dann kann man den eigenen Strom erzeugen. Ein Durchschnittshaus verbraucht rund 1,4 Kilowatt Strom, und die Durchschnittsleistung der Solarzellenpaneele liegt bei 80 oder 160 Watt. Zehn der größeren reichen also für einen Normalhaushalt, allerdings ist es erstaunlich, wie viel verbrauchsbewusster man wird (und wie viel Strom man daher einspart), wenn man seine eigene Elektrizität erzeugt.

Die Photovoltaik funktioniert am besten im Sommer, wenn zusätzlicher Strom für Klimaanlagen gebraucht wird. Dann kann der Solarzellen-Besitzer sogar Geld verdienen: In Japan kann man überschüssigen Strom ins Netz einspeisen, und zwar bis zu einem Gegenwert von 50 Dollar pro Monat, und ähnliche Programme gibt es in 15 weiteren Ländern.5 Im Jahr 2003 war Solarzellenstrom in den Ländern der Nordhalbkugel rund achtmal so teuer wie konventioneller, in Australien noch viermal so teuer. Aber die Preise für Solarpaneele fallen so rapide, dass die auf diese Weise erzeugte Elektrizität, so erwartet man, schon 2010 konkurrenzfähig sein wird.

Es gibt natürlich noch viele weitere Verfahren der Stromerzeugung, die hier nicht diskutiert werden — beispielsweise Solarschornsteine, Gezeiten- und Wellenkraftwerke —, und in manchen Gegenden erzeugen diese alternativen Verfahren bereits jetzt oder in Kürze erneuerbare Energie. Wenn die alternative Stromerzeugung eines lehrt, dann das: Es gibt kein Wundermittel, um das öffentliche Stromnetz kohlenstofffrei zu bekommen, vielmehr werden wir eine große Vielfalt von Techniken im Einsatz sehen, je nachdem, welche für die vorherrschenden Umstände gerade am günstigsten ist.

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30. Nukleaer Lazarus ? 

 

Dr. Lovelock befürwortet Kernkraft – aber kann das gut gehen? Die Ausgaben für einen Reaktor, die Kosten einer  Kernschmelze und der Preis für die Sicherheit. Und wer bringt den Müll weg? Das Gespenst kehrt zurück: China und Indien machen einfach weiter. Geothermik: Warum das Heißwasser versiegte. Die neue Geothermik – bringt sie uns weiter? Nicht vergessen: Die stationäre Wasserstoffnutzung.

Wir hören, dass der Außenminister J.F. Dulles sich seines gefährlichen Pokerspiels
rühmt — der Kunst, uns an den Rand eines nuklearen Abgrunds zu bringen.
—A. Stevenson in <The New York Times>, 26.02.1956

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Man hat oft gesagt, Sonnenenergie sei Kernkraft in sicherer Entfernung. In unserer Ära der Klimakrise wird jedoch auch die Rolle der irdischen Kernkraft neu bewertet, und was bis vor kurzem noch als aussterbende Technologie galt, könnte sich wieder einen Platz an der Sonne verschaffen.

So richtig begann die Wiederbelebung im Mai 2004; weltweit reagierten Umweltorganisationen schockiert, als sie hörten, dass der Urheber der Gaia-Hypothese, James Lovelock, allen Ernstes dafür plädierte, auf dem ganzen Globus die Kernenergie massiv auszubauen. Lovelock tat dies, sagte er, weil der Klimawandel so rapide voranschreite, dass Kernkraft die einzige Option sei, mit der man ihn stoppen könne. Er verglich unsere heutige Lage mit der der Welt vor 1938 — am Rand des Krieges, ohne dass jemand wusste, was dagegen zu tun war. 

Organisationen wie <Greenpeace> oder die <Friends of the Earth> verwarfen Lovelocks Vorschlag auf der Stelle. In einer Hinsicht konnte Lovelock jedoch punkten, denn alle Stromnetze brauchen eine zuverlässige »Grundlast«, und ob erneuerbare Techniken die Kapazität haben, diesen Basisbedarf an Strom zu erzeugen, ist noch eine große Frage. Frankreich bezieht fast 80 Prozent seines Stroms aus Kernkraftwerken, Schweden die Hälfte und das Vereinigte Königreich ein Viertel. Kernenergie liefert bereits 18 Prozent der Weltelektrizität — ohne jegliche CO2-Emissionen. Ihre Befürworter argumentieren, man könne noch weit mehr Strom damit erzeugen, aber selbst die Energiepropheten der Regierung Bush glauben, dass der Anteil an Kernenergie im Lauf der nächsten zehn Jahre faktisch zurückgehen wird — auf nur noch zehn Prozent der Gesamterzeugung.6

Wenn man über Kernkraft zur Stromerzeugung diskutiert, muss man bedenken, dass Atomreaktoren im Grunde nichts weiter sind als komplizierte und potenziell gefährliche Maschinen zum Wasserkochen, die Dampf erzeugen, mit dem Turbinen angetrieben werden.

Wie im Fall der Kohle sind Kernkraftwerke sehr groß — sie liefern rund 1700 Megawatt —, und mit Einstiegspreisen von rund zwei Milliarden US-Dollar pro Stück sind sie sehr teuer. Der von ihnen erzeugte Strom ist jedoch gegenwärtig mit dem aus Windkraft konkurrenzfähig. Weil die Anlagen so groß sind und so viele Sicherheitsfaktoren berücksichtigt werden müssen, kann der Genehmigungsprozess für ein Kernkraftwerk bis zu zehn Jahren dauern, der Bau rund fünf Jahre. Bei einer Entstehungszeit von 15 Jahren und bei noch viel mehr Jahren, bis die Investitionen sich auszahlen, ist Kernkraft nichts für ungeduldige Anleger. Neben den Sicherheitsbedenken erklärt genau das, warum in den USA wie im Vereinigten Königreich seit 20 Jahren keine neuen Reaktoren mehr gebaut worden sind.

Drei Dinge vor allem fallen den meisten Menschen ein, wenn das Thema Kernkraft aufkommt: Sicherheit, Abfallentsorgung und Bomben. 

 

Der schreckliche Unfall von Tschernobyl in der Ukraine im Jahr 1986 war eine Katastrophe von ungeheuren Ausmaßen, deren Folgen auch zwei Jahrzehnte nach dem Zwischenfall andauern. Schilddrüsenkrebs ist eine seltene Erkrankung, die nur eines von einer Million Kindern spontan bekommt. Aber ein Drittel der Kinder, die unter vier Jahren waren, als sie dem Fallout von Tschernobyl ausgesetzt waren, wird die Krankheit bekommen. Sieben Prozent der ukrainischen Bevölkerung (über 3,3 Millionen Menschen) sind infolge der Kernschmelze erkrankt, und im benachbarten Weißrussland, das 70 Prozent des Fallouts abbekam, ist die Lage noch schlimmer. Nur ein Prozent des Landes ist nicht kontaminiert, 25 Prozent der landwirtschaftlichen Nutzflächen müssen auf Dauer brachliegen, und jedes Jahr sterben fast 1000 Kinder an Schilddrüsenkrebs. Gegenwärtig werden 25 Prozent des weißrussischen Staatshaushaltes dafür ausgegeben, die Nachwirkungen der Katastrophe abzumildern.7)

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Die Kernkraftwerke in den Vereinigten Staaten und in Europa sind überwiegend sicherer, aber wie der Zwischenfall von Three Mile Island zeigte, ist keines wirklich gegen Unfälle oder Sabotageakte gefeit. Da in den USA mehrere Atomreaktoren in der Nähe großer Städte stehen, ist man auch wegen möglicher Terrorangriffe sehr besorgt.8 Wie es in den USA Ende 2004 um die Kernkraft stand, fasste die National Commission on Energy Policy wie folgt zusammen: »Es wäre wünschenswert, dass die Wahrscheinlichkeit einer größeren Freisetzung von Radioaktivität, pro Reaktor und pro Jahr gemessen, noch einmal um den Faktor zehn oder mehr gesenkt wird [ehe man über eine Verdopplung oder Verdreifachung der Kernkraftkapazitäten nachdenkt]. Das verlangt nach besserem Schutz vor Terrorangriffen und auch vor Fehlfunktionen und menschlichem Versagen.«9

Die Entsorgung der radioaktiven Abfälle ist ein weiterer Grund zur Sorge. In den USA verwies die Nuklearindustrie lange auf die geplante Deponie für hoch radioaktiven Abfall am Yucca Mountain in Nevada als Lösung. Aber die Abfallströme haben jetzt solche Ausmaße angenommen, dass sogar die Yucca-Mountain-Deponie, würde sie morgen eröffnet, sofort voll wäre und man eine weitere brauchte. In Wirklichkeit wird sich die Eröffnung der Yucca-Mountain-Deponie wohl noch jahrelang hinziehen, während sich die Gerichte mit den Einspruchsverfahren beschäftigen. 

Und auf die Frage, was man mit alten, nicht mehr zu verwendenden Kernreaktoren machen soll, gibt es so gut wie keine Antwort: Allein in den Vereinigten Staaten stehen 103 Kernkraftwerke, die ursprünglich für eine Laufzeit von 30 Jahren genehmigt worden waren, jetzt aber dazu verdammt sind, noch einmal so lange weiterzulaufen. Dieser alternde Maschinenpark muss der Industrie Kopfschmerzen bereiten, vor allem da bislang noch kein Reaktor erfolgreich zerlegt worden ist, was vielleicht daran liegt, dass man die Kosten dafür auf rund 500 Millionen Dollar pro Stück schätzt.

Die meisten neuen Kernkraftwerke werden in Entwicklungsländern gebaut, wo eine weniger engmaschige Bürokratie und mehr Zentralismus alles leichter machen. China will in den nächsten 20 Jahre zwei neue Atomreaktoren pro Jahr in Auftrag geben, was in globaler Hinsicht höchst wünschenswert ist, denn 80 Prozent des chinesischen Stroms werden momentan aus Kohle erzeugt. 

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In Indien, Russland, Japan und Kanada sind ebenfalls Reaktoren in Bau, Genehmigungen für 37 weitere liegen in Brasilien, im Iran, in Indien, Pakistan, Südkorea, Finnland und Japan vor. Das Uran für diese Reaktoren zu beschaffen, wird schwierig werden, denn die Welt verfügt über keine großen Uranreserven, und gegenwärtig wird ein Viertel der Weltnachfrage dadurch befriedigt, dass man den Stoff aus überflüssig gewordenen Nuklearwaffen wiedergewinnt.

Das leitet direkt zu dem Problem über, dass Kernwaffen in die falschen Hände gelangen könnten. Wie der momentane Streit um den geplanten iranischen Reaktor lehrt, kann jeder, der angereichertes Uran hat, auch eine Atombombe bauen. Da Kernreaktoren immer weitere Verbreitung finden und politische Allianzen wechseln, steigt die Wahrscheinlichkeit, dass solche Waffen irgendwann allen zur Verfügung stehen, die sie haben wollen.

Die Nuklearindustrie hofft, dass technische Fortschritte zu narrensicheren Reaktortypen führen werden, die Strom zu denselben Kosten wie ein Kohlekraftwerk produzieren. Zu den neuen Reaktortypen zählen weiterentwickelte Kugelhaufenreaktoren, die mit schwach angereichertem Uran arbeiten und kleiner gebaut werden können als konventionelle Anlagen, und verbesserte Druckwasserreaktoren, die Strom billiger erzeugen sollen als Kohlekraftwerke. Wie im Fall der Kohlenstoff-Endlagerung bleibt abzuwarten, ob diese Versprechen eingehalten werden können.

Was könnte die Kernkraft dazu beitragen, eine Klimakatastrophe abzuwenden? 

China und Indien werden wahrscheinlich die Nuklearoption mit allem Nachdruck verfolgen, denn gegenwärtig gibt es für sie keine preiswerte, in großem Maßstab zu verwirklichende Alternative. Beide Länder verfügen bereits über Kernwaffen, also ist das relative Risiko der Proliferation nicht so groß. In der entwickelten Welt jedoch wird jede größere Ausweitung der Kernkraft davon abhängig gemacht werden, ob neue, sicherere Reaktortypen zur Verfügung stehen.

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Es gibt noch eine weitere Möglichkeit, kontinuierlich Strom zu produzieren. Die Technik der geothermischen Energiegewinnung ist seit langem bekannt, aber obwohl zwischen der Erdkruste unter unseren Füßen und dem geschmolzenen Mantel unseres Planeten große Mengen Erdwärme gespeichert sind, liefert die Geothermik weltweit bloß magere 10.000 Megawatt.

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Diese beklagenswerte Lage könnte sich bald ändern, denn mittlerweile spricht sich herum, dass wir an den falschen Stellen nach Erdwärme gesucht haben. Zuvor wurde die Geothermik in Vulkangebieten genutzt, in denen wasserführende Schichten im heißen Fels überhitztes Wasser und Dampf liefern. Es scheint vernünftig, an solchen Stellen nach geothermischer Energie zu suchen, aber man muss auch die Geologie bedenken. Lavaführende Vulkane gibt es nur da, wo die Erdrinde auseinander gerissen ist, sodass das Magma zur Oberfläche dringt. Dafür ist Island ein gutes Beispiel, das an jener Stelle des Meeresbodens entstand, wo Europa und Nordamerika voneinander wegdriften. 

An solchen Orten steht viel Hitze zur Verfügung, der Energiegewinnung daraus stellen sich aber auch enorme Hindernisse entgegen, wobei die wasser­führenden Schichten das größte Problem sind. Zapft man sie an, gibt es zunächst reichlich Wasser und Dampf, bald aber versiegt dieser Strom, und es gibt keine Möglichkeit mehr, die Hitze des Untergrunds zu den Generatoren des Kraftwerks zu bringen. In den achtziger Jahre begannen Betreiber, Wasser in den Untergrund zurückzupumpen, weil sie hofften, es würde erneut erhitzt und könnte wieder verwendet werden. Ziemlich oft verschwand dieses Wasser einfach, denn in Gegenden, in denen die Erdkruste auseinander gerissen ist, gibt es viele senkrechte Spalten, in denen das Wasser verschwindet, statt zum Bohrloch zurückzukehren.

In der Schweiz und in Australien finden Firmen kommerziell nutzbare Erdwärme an den unwahrscheinlichsten Stellen. 

Als Öl- und Gasgesellschaften Prospektionen in den Wüsten des nördlichen Südaustraliens durchführten, entdeckten sie in fast vier Kilometern Tiefe eine Masse Granit, die auf rund 250°C aufgeheizt war — der heißeste oberflächennahe nichtvulkanische Felsen, der bislang entdeckt wurde.

Die Hitze war von natürlicher Radioaktivität im Granit erzeugt worden, und eine fast vier Kilometer dicke Sedimentschicht hielt sie zurück. Wirklich aufregend fanden die Geologen, dass dieser Granit nicht in einer Gegend lag, an der die Erdkruste aufriss, sondern an der sie komprimiert wurde. Das führte zu horizontalen, nicht zu vertikalen Frakturen im Fels. Noch besser ist, dass die Felsen in überhitztem Wasser unter großem Druck baden und die horizontalen Frakturen es möglich machen, dass es leicht wieder verwendet werden kann.

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Diese eine Felsmasse in Südaustralien hat Schätzungen zufolge genug Hitze gespeichert, um sämtliche Energiebedürfnisse Australiens 75 Jahre lang befriedigen zu können, und das zu den Kosten von Braunkohle, aber ohne CO2-Emissionen. Diese Energiereserve ist so gigantisch, dass die Entfernung zu den Abnehmern kein Hindernis darstellt. Man kann einfach den Strom in solchen Mengen ins Netz einspeisen, dass Übertragungsverluste ausgeglichen werden. Für 2005 ist der Bau von Versuchskraftwerken geplant, dann kann das enorme Potenzial der Geothermik getestet werden.

Überall auf der Welt suchen Geologen eifrig nach ähnlichen Lagerstätten, denn wie groß die Ressource sein könnte, ist kaum bekannt. Es gibt jedoch Gründe zu der Annahme, dass Australien mit dieser potenziellen Energiequelle besonders gesegnet ist, denn die letzten 40 Millionen Jahre lang ist der Kontinent stetig um rund acht Zentimeter pro Jahr nach Norden gewandert, und als er vor 15 Millionen Jahren auf Asien traf, wurden enorme Kompressionskräfte freigesetzt. Infolgedessen müssen sich in australischen Bergwerken in einem Kilometer Tiefe die Ingenieure mit Kompressionskräften herumschlagen, die es anderenorts, beispielsweise in Südafrika, erst in fünf Kilometern Tiefe gibt.

Das sieht zwar nach einem aufregenden Durchbruch aus, wir müssen aber dabei bedenken, dass bislang nur sehr wenig Strom aus Erdwärme erzeugt worden ist, und selbst wenn die Geothermik ein Erfolgsmodell wird, wird es aller Wahrscheinlichkeit noch Jahrzehnte dauern, bis diese Technik ein gut Teil zur Weltstromerzeugung beiträgt.

Die hier diskutierten Energieoptionen stellen die Menschheit vor schwierige Entscheidungen. Billionen Dollar müssen investiert werden, um den Übergang zu einer kohlenstofffreien Wirtschaftsweise zu schaffen, und wenn erst einmal ein bestimmter Weg eingeschlagen wurde, wird er so viel Eigendynamik entwickeln, dass es schwer fallen würde, die Richtung zu ändern.

Wie könnte das Leben also aussehen, wenn wir die eine Möglichkeit den anderen vorziehen? 

Bei der Wasserstoff- und der Nuklearwirtschaft wird höchstwahrscheinlich Energie weiterhin zentral produziert, was den großen Energieunternehmen das Überleben sichern würde. Windkraft- und Solarenergietechniken würden andererseits die Möglichkeit eröffnen, dass die Menschen den größten Teil ihrer Energie für zu Hause und für den Transport und sogar das Wasser (mittels Kondensation aus der Luft) selbst erzeugen können.

Wenn wir diesen zweiten Weg einschlagen, stoßen wir die Tür in eine Welt auf, wie wir sie seit den Tagen von James Watt nicht mehr gesehen haben, als ein einziger Energieträger die Nachfrage der Industrie, der Haushalte und des Transportwesens gleichermaßen befriedigte; der große Unterschied wäre nur, dass diese Energie nicht von großen Unternehmen, sondern von uns allen erzeugt würde.

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Flannery 2005